2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT DIGITALISIERUNG UND FRAUEN - DIE ...

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2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT DIGITALISIERUNG UND FRAUEN - DIE ...
Zeitschrift der unabhängigen GewerkschafterInnen

       Schwerpunkt
Digitalisierung und Frauen
   Anlässlich des Frauentags
  beschäftigen wir uns mit der
    Digitalisierung und ihrer
    Auswirkung auf Frauen.

                                                              2021
                                                                01
2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT DIGITALISIERUNG UND FRAUEN - DIE ...
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        Kennst du schon...?                                   Kolumne Veronika Litschel                                 In dem Schwerpunktartikel                           Schwerpunktartikel von Vera
      Diesmal stellen wir euch                                   Frauentag und Krise                                  schreibt Karin Stanger über die                      Koller zum Thema Arbeiten von
         Elisabeth Doppler,                                                                                              Chancen und Risiken der                           Zuhause und Vereinbarkeit von
       Christian Husch und                                                                                                    Digitalisierung                                     Beruf und Familie
        Erwin Schleindl vor

                      9                                                10/11                                                     12/13                                           14/15
    Betriebsratsvorsitzende                                 Schwerpunktartikel von Beate                                Interview mit Astrid Schöggl                                  MUCH
 Claudia Stadler und ihr Team                               Neunteufel-Zechner über die                                  über den sozialen Prozess der
   über Betriebsratsarbeit in                                psychische Belastung durch                                         Digitalisierung
    Zeiten von Homeoffice                                        die Digitalisierung

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  Fritz Schiller analysiert die                                Über die Vor- und Nachteile                                Kampagne Lieferketten                                Dr Michaela C. Fried
                                                                                                                                                                                 in

  Sozialpartnereinigung zum                                       digitaler Meetings                                    Christine Petioky stellt die                       berichtet über die Situation im
 Homeoffice Maßnahmenpaket                                                                                              Kampagne zum europäischen                            Flüchtlingslager Kara Tepe
                                                                                                                          Lieferkettengesetz vor

                    22                                                         23                                                24/25
  Christine Petioky berichtet                                          Notizen                                                Nachrichten aus dem
 über das Weltsozialforum 2021                                Aktuelles aus Gewerkschaft                                         UG Universum
                                                               und Gesellschaftspolitik                                        Neuigkeiten von den
                                                                                                                                 Unabhängigen
                                                                                                                              GewerkschafterInnen

           26/27                                                               28
     Cornelia Stahl rezensiert                                        Aktuelle Termine
    Herlinde Koelbl’s Faszination
       Wissenschaft und Luis
     Stabauer’s Brüchige Zeiten

IMPRESSUM
Medieninhaberin, Verlegerin: Alternative und Grüne GewerkschafterInnen (AUGE/UG), Herausgeberin: Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB (UG/ÖGB), Redaktion:
Renate Vodnek, Layout & Satz: Stefanie Hintersteiner, Adresse: Alle 1040, Belvederegasse 10/1, Telefon: (01) 505 19 52-0, E-Mail für Abonnement: auge@ug-oegb.at, Redak-
tion: alternative@ug-oegb.at, Internet: www.ug-oegb.at, Bankverbindung IBAN AT30 1400 0001 1022 8775, IC: BAWAATWW. Dass namentlich gezeichnete Beiträge nicht
unbedingt der Meinung der Redaktion der Herausgeberin entsprechen müssen, versteht sich von selbst. Titel und Zwischentitel fallen in die Verantwortung der Redaktion,
Cartoons in die Freiheit der Kunst. Textnachdruck mit Quellenangabe gestattet, das Copyright der Much-Cartoons liegt beim Künstler. DVR 05 57 021. ISSN 1023-2702

Offenlegung gemäss §25 Mediengesetz
Medieninhaberin der „Alternative“ ist der Verein „Alternative und Grüne GewerkschafterInnen – UG“. Mitglieder des Bundesvorstandes sind: Klaus Brandhuber, Martin
Gstöttner, Julienne Hartig, Sandra Hofmann, Klaudia Paiha, Karin Stanger. Herausgegeben wird „die Alternative“ von den „Unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB“ (UG).
Die Unabhängigen GewerkschafterInnen - ein Zusammenschluss überparteilicher und unabhängiger Listen im ÖGB – sind eine Gewerkschaftsfraktion, die für die
Demokratisierung der Arbeitswelt und der Gewerkschaften eintritt. Die Linie der „Alternative“ wird von diesen Intentionen bestimmt. Geschäftsführende Vorsitzende
der UG ist Vera Koller, Kassierin ist Cornelia Lamm.

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2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT DIGITALISIERUNG UND FRAUEN - DIE ...
Editorial

                                           W     e proudly present: die erste Ausgabe der neuen
                                                 Alternative! In neuem Gewand, mit zusätzlichen
                                           Rubriken und einem Themenschwerpunkt. Dieses Mal
                                           mit dem Fokus Digitalisierung und ihre Auswirkung auf
                                           Frauen.

                                              Karin Stanger führte ein Interview mit Astrid Schöggl
                                           von der AK Wien über den sozialen Prozess der Digitalis-
                                           ierung. Sie und Beate Neunteufel-Zechner analysieren die
                                           Chancen und Risken aus feministischer Perspektive. Vera
                                           Koller beschäftigt sich mit der Frage, ob Homeoffice eine
                                           bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zulässt und
                                           Claudia Stadler berichtet welche Auswirkungen Homeof-
                                           fice auf die betriebsrätliche Arbeit hat.

                                             In unserer neuen Rubrik ,Kennt ihr schon?‘ stellen wir
                                           euch Elisabeth Doppler, Erwin Schleindl und Christian
                                           Husch vor.

                                             Wir freuen uns über euer Feedback zur ersten Ausgabe –
                                           gerne auch für unsere neue Rubrik Leser*innenbriefe!

                                             Ich darf an den Abo Beitrag für 2021 erinnern – bitte auf
                                           das Konto IBAN AT30 1400 0001 1022 8775 einzahlen!
                                           Auf Wunsch schicken wir auch gerne einen Erlagschein
                                           zu – bitte eine Mail an auge@ug-oegb.at schreiben oder
                                           01/505 19 52 anrufen.

                                             Abschließend möchte ich auf die Petition zum Erhalt
                                           der ÖGB-Buchhandlung hinweisen – bitte unterstützt
                                           diesen wichtigen Ort (mehr unter Notizen).
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2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT DIGITALISIERUNG UND FRAUEN - DIE ...
Gleichbehandlungsbeauftragte der UG

    Kennst du schon...?                                                Wie bist du zur UGÖD und UG gekommen?
                                                                        Ich engagiere mich schon seit der Gründung im Jahr
    In der Rubrik stellen wir (neue) Betriebsrät*innen,
                                                                       1991 bei der Unabhängigen Liste „Offenes Team“
    Personalvertreter*innen und Aktivist*innen der
                                                                       am Wissenschaftsministerium, heute BMBWF und
    Unabhängigen Gewerkschafter*innen vor.
                                                                       bin auch Mitglied der UGÖD.
                                                                       Außerdem habe ich fast 20 Jahre Erfahrung als
                                                                       Gleichbehandlungsbeauftragte am BMBWF. Ein
                                                                       Grund, warum ich im Herbst 2019 als Gleichbeauf-
                                                                       tragte der UG kandidierte und seitdem diese
                                                                       Funktion voller Elan ausführe.

                                                                       Was hat dich dazu gebracht, dich
                                                                       gewerkschaftlich zu organisieren?
                                                                        Alle sollen die Möglichkeit haben sich in der Arbeit
                                                                       zu entfalten. Gegenseitiger Respekt zwischen
                                                                       Vorgesetzten und KollegInnen ist zentral. Und das
Wer bist du!                                                           unabhängig von Geschlecht, Weltanschauung,
Ich heiße Christian Husch, BSc MSc MSc und bin                         Herkunft, Religion, sexueller Orientierung oder
Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger (DGKP)                    einer Behinderung. Direkte und indirekte Diskrimi-
in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Zusätzlich bin ich               nierungen von Frauen in ihrer Karriere haben eine
Biologe mit Spezialisierungen in Immunologie,                          lange Tradition und es ist notwendig, dass die lang-
Mikrobiologie, Genetik, molekulare Mikrobiologie,                      wierig erkämpften Rechte zur Gleichbehandlung
mikrobielle Ökologie und Anthropologie.                                durchgesetzt werden.

Wie bin ich zur UGÖD und UG gekommen?
Im Rahmen eines Kurses lernte ich Sandra Gaupmann
kennen und wir kamen ins Gespräch wegen der ungerechten
Bezahlung der Pflege im Justizbereich. Nach einigen Gesprächen
fragte sie mich, ob ich mich auch engagieren möchte. Ich
nahm dieses Angebot gerne an und bin sehr dankbar für
die gute Zusammenarbeit.
                                                                         Wer bist du?
Ich bin Mitglied der Arbeitsgruppe „Gesundheit,                         Ich bin am 23.01.1980 in Braunau am Inn geboren, bin
Soziales, Pflege“, in der verschiedene UG Säulen ver-                   verheiratet und habe fünf Kinder. Ich arbeite als Lagerist
treten sind. Was hat mich dazu gebracht mich gewerk-                    bei der Firma KTM AG.
schaftlich zu organisieren?
  Als DGKP in der Justizanstalt Wien-Josefstadt erlebe ich,             Was hat dich dazu gebracht, dich
wie die Pflege in den Justizanstalten aufgrund der meist viel           gewerkschaftlich zu organisieren?
schlechteren Bezahlung gegenüber anderen Einrichtungen                  Durch meinen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn
nicht konkurrenzfähig ist. Deswegen ist es schwer Personal              ergriff ich 2014 die Chance und wurde Betriebsrat.
zu finden und zu halten. Ich setze mich für eine gerechtere             Dadurch konnte ich schon viel für meine KollegInnen
Entlohnung, zeitgemäße Zulagen und adäquate Arbeitsbe-                  erreichen, trotz so manchen Widerstands.
dingungen ein (ugoed.at/pflege-hinter-gittern).
                                                                        Wie bist du zur AUGE/UG gekommen?
                                                                       2013 wurde ich Parteimitglied der Grünen.
                                                                       Dadurch fand ich meinen Weg zur AUGE/UG.
                                                                       Als Vorstand der AUGE/UG OÖ kämpfe ich
                                                                       für die Förderung von Arbeitsplätzen für
                                                                       Menschen mit Beeinträchtigung und für
                                                                       100 Prozent Überstunden Zuschläge ab
                                                                       der 1. Überstunde.

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2021 ZEITSCHRIFT DER UNABHÄNGIGEN GEWERKSCHAFTERINNEN - SCHWERPUNKT DIGITALISIERUNG UND FRAUEN - DIE ...
K O L U M N E

Frauentag
und Krise
TEXT Veronika Litschel

D
         ie Frauenarbeitslosigkeit steigt.   der Effizienz, die durch Gerechtig-             Die Aussichten dafür sind nicht
         Und es zu befürchten, dass          keit behindert wird, anstimmt. Denn          rosig. Die Kosten der Krise werden auf
         es noch schlimmer wird. Ein         schließlich ist es ja ein Experte. So zu-    viele Schultern verteilt, aber nicht auf
Jahr des Lock-auf und Lock-zu haben          mindest der Eindruck aus der Medien-         jene, die es sich leisten können. Eine
müde gemacht, die Reserven angegrif-         lektüre.                                     Solidarabgabe oder gar Vermögens-
fen. Die wirtschaftlichen Folgen sind           Martin Kocher ist ein wirtschafts-        besteuerung sind nicht durchsetzbar.
noch nicht im vollen Umfang abzu-            liberaler Ökonom und wie das Amen            Die politischen Vorzeichen mit einer
sehen, aber es wird ungemütlich. Die         im Gebet, kommt der Ruf nach Pen-            skandalgebeutelten ÖVP, Grünen, die
Verdrängung der Frauen aus dem Ar-           sionskürzungen um die Krisenkosten           nicht wissen, wo sie stehen, einer dar-
beitsmarkt als bekannte und häufige          zu stemmen. Und die Pflegekräfte             niederliegenden       Sozialdemokratie
Folge wirtschaftlicher Krisen. Zurück        werden als unqualifizierte Dillas, die       und den wirtschaftsliberalen NEOS,
in die Privatheit, an den Herd. Küm-         eigentlich nicht mehr verdient haben,        sind schlecht.
mert euch um eure Lieben, denn die           desavouiert. Hoffentlich ist er nicht           Ein trauriger Frauentag, der uns
öffentliche Versorgung müssen wir            bald auf eine angewiesen, eine Pflege-       wieder einmal zeigt, wie lang unser
leider zurückfahren. Eh schon wissen,        kraft. Und wenn doch, hoffentlich hat        Atem, wie groß unsere Kraft sein
die Pandemie.                                sie das nicht gehört.                        muss.

Übertreibung                                 Krisen schreiben
oder bittere Realität?                       traditionelle Rollenmuster fest
   Weg gebrochene Arbeitsplätze kön-            Die Kurzarbeit, das Homeoffice, der
nen nicht herbeiqualifiziert werden.         Lockdown haben nicht dazu geführt,
Aber dieses gebetsmühlenartige Wie-          dass die unbezahlte Arbeit gleicher
derholen der mangelnden Qualifizie-          verteilt wurde. Das Gros der Männer
rung taugt dazu, die Verantwortung           hat sich nicht gedacht: ach, jetzt sehe
zu individualisieren. Wer nicht hat,         ich endlich, wie viel Arbeit das alles ist
der und vor allem die ist zu wenig wei-      und pack mal mit an. Jetzt, im zweiten
tergebildet, danke auch.                     Corona-Jahr, wird der Kampf um die
   Zum Glück haben wir ja jetzt ei-          Arbeitsplätze beginnen. Frauen haben
nen neuen Arbeitsminister. Eine soge-        durch tatsächliche oder unterstellte
nannten Experten, Forscher, Ökonom,          Betreuungspflichten schlechte Chan-
Professor. Da ist es nicht so tragisch,      cen. Sie werden zu den Verlierer_innen
dass er sich mit dem Arbeitsmarkt bis-       zählen, wenn nicht steuernde Ein-
lang nicht wirklich beschäftigt hat.         griffe in den Arbeitsmarkt erfolgen.
Seine Vorschläge werden in Expertise         Deutliche Arbeitszeitverkürzung, ge-
verkleidet, das überdeckt die ideologi-      teilte Karenz als Normmodell, massive
sche Ausrichtung. Und wir sind beru-         finanzielle Aufwertung so genannter
higt. Wenn er das Lied von Angebot           Frauenberufe, um nur mal dringlichs-
und Nachfrage, der Überlegenheit des         ten Schritte anzuführen.
freien Wettbewerbs für Innovation,

                                                         die Alternative • 2021                                                 5
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Frauen und
Digitalisierung:
TEXT Karin Stanger

                                            Chance
                                            oder
                                            Risiko?
Wir arbeiten online, erledigen
Einkäufe per Mausklick - der
digitale Wandel ist allgegenwärtig.
Ein Anlass den Schwerpunkt dieser
Ausgabe dem Thema zu widmen.

D
         ie anhaltende Corona-Krise
         hat nicht zuletzt dazu
         geführt, dass sich der digitale
Wandel in vielen Bereichen massiv
beschleunigt hat. Auch in der Arbeits-
welt hinterlässt das tiefe Spuren.
So ist Tele-Arbeit für viele Arbeit-
nehmer_innen plötzlich Normalzu-
stand und vieles deutet darauf hin,
dass diese Form der ortsungebunde-
nen Arbeit sich dauerhaft etablieren
wird. Die Frage nach Potentialen und
Risiken der Digitalisierung stellt sich
nicht zuletzt aus feministischer Pers-
pektive.

Besonders betroffen:
Produktionsferne Bereiche
und Dienstleistungssektor
   Auch wenn der genau konkrete Um-
fang umstritten ist, herrscht größten-
teils Einigkeit darüber, dass durch den
technologischen Fortschritt Arbeits-
kräfte ersetzt und Jobs verloren gehen
werden. Die darüber geführte Debatte
basiert oft auf der falschen Annahme,
dass der digitale Wandel vorrangig
den männlich dominierten Sektor
der Produktion betrifft. Eine Anfang
2018 vorgestellte Studie des Weltwirt-
schaftsforums widerlegt das. Dem-
nach sind beispielsweise Arbeitsplätze
in produktionsfernen Bereichen der
                                                                          FOTO mindspace studio

Industrie und im Dienstleistungssek-
tor besonders betroffen – Berufsspar-
ten, in denen überproportional viele
Frauen tätig sind. Neue Technologien

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T H E M A

werden in männlich dominierten Be-       rassistische Tendenzen. Diese spie-           Gerade in Hinblick auf die Klima-
reichen oft unterstützend eingesetzt,    geln sich in den Algorithmen nicht nur    krise braucht es Gestaltung. Wenn
während sie in weiblich dominier-        wider, sie werden im Laufe des ‚Lern-     sie gut genutzt wird, bietet die Digi-
ten Bereichen häufiger Arbeitskräfte     prozesses‘ weiter verstärkt. In einer     talisierung hier einige Chancen. Etwa
ersetzen. Andererseits gibt es auch      im Frühsommer veröffentlichten Stu-       durch die ressourceneffizientere Pro-
frauendominierte Berufssparten, die      die wiesen zwei Wissenschaftler der       duktion von Gütern, die Mobilitäts-
sich gegenüber der Digitalisierung als   Universität Linz beispielsweise nach,     wende oder den Einsatz von ‚grüner‘
äußerst resistent erweisen, zum Bei-     dass bestimmte Algorithmen ‚eine          Energie. Auf letztere sind wir ange-
spiel soziale Dienstleistungen.          besonders ausgeprägte geschlechts-        wiesen, denn Digitalisierung verur-
                                         spezifische Verzerrung verursachen‘.      sacht hohen Stromverbrauch, z.B. für
Hoffen auf Vorteile                                                                die Kühlung von riesigen Daten-Ser-
durch Flexibilisierung                      Für Aufsehen sorgte in diesem Zu-      vern. Auch eine öko-soziale Steuerre-
     Ein großes Potential der Digita-    sammenhang auch der Einsatz des           form ist ein wichtiges Instrument zur
lisierung liegt in der zunehmenden       AMS-Algorithmus, der Frauen schon         Gestaltung.
Flexibilität bezüglich Arbeitsort und    auf Grund ihres Geschlechts schlech-
Arbeitszeit. Nach einer Studie der       tere Chancen am Arbeitsmarkt zu-          Arbeitszeitverkürzung
                                         schreibt. Für Betreuungspflichten         ist das Gebot der Stunde
                                         gibt es weitere Abzüge. Nur für Frauen,       Nach langen Verhandlungen konn-
   Auch eine ökosoziale                  wohlgemerkt. Paola Lopez, Mathema-        ten die Sozialpartner endlich klare
    Steuerreform ist ein                 tikerin an der Universität Wien und       Rahmenbedingungen zum Thema Ho-
                                         Verfasserin der ersten wissenschaft-      meoffice durchsetzen. Aber auch prin-
   wichtiges Instrument.                 lichen Arbeit zum AMS-Algorithmus:        zipielle Fragen wie die Verteilung von
                                        „Der Algorithmus berechnet also nicht      Arbeit und Einkommen müssen mit
deutschen Hans Böckler Stiftung ver- die ‚Chancen‘, die ein Individuum am          Blick auf die rasant voranschreitende
bessert diese tatsächlich die Verein- Arbeitsmarkt hat, sondern die struk-         Digitalisierung diskutiert werden.
barkeit von Beruf und Familie und        turelle Benachteiligung, die Men-         Durch den technologischen Fort-
hat gleichzeitig das Potential den       schen mit gleichen Dateieinträgen in      schritt ist die Produktivität allein in
Gender Pay Gap zu verringern. Keine      der Vergangenheit widerfahren ist“.       den letzten 20 Jahren um 25 Prozent
Hinweise finden sich hingegen auf                                                  gestiegen. Von dieser Produktivitäts-
eine potentielle Umverteilung der un- Digitalisierung                              steigerung profitieren bisher aber fast
bezahlten Sorgearbeit.                   braucht Gestaltung                        ausschließlich die Unternehmen. Es
                                              Aus feministischer Perspektive       ist höchste Zeit, den Vollzeitstandard
   Erwähnt werden muss in diesem         ist das Thema Digitalisierung ein
Zusammenhang, dass von der ge- zweischneidiges Schwert: Es kann
steigerten Flexibilität in erster Linie  einerseits    vorhandene     Ungleich-
                                                                                      Zusätzlich braucht
höher qualifizierte Frauen profitieren. heiten aufbrechen, sie aber auch             es strukturpolitische
Und obwohl sich die strukturellen Ver- zementieren. Nicht zuletzt um Gleich-         Maßnahmen, um den
änderungen tendenziell stärker auf       stellungspolitik und Digitalisierung
sogenannte Frauenberufe auswirken, besser miteinander zu verknüpfen,                   digitalen Wandel
wird das vorhandene Potential für den    müssen Betriebsrät_innen, Perso-            geschlechtergerecht
Abbau von Geschlechterungleichhei- nalvertreter_innen und Beschäftigte
ten im Rahmen von betrieblichen Di- innerbetrieblich stärker in Digitali-
                                                                                         zu gestalten.
gitalisierungsprozessen bisher kaum      sierungsprozesse einbezogen werden.
genutzt.                                 Zusätzlich braucht es strukturpoliti-     auf 30 Wochenstunden zu senken und
                                         sche Maßnahmen, um den digitalen          in Green Jobs zu investieren. Das sorgt
 ‚Computer says no‘                      Wandel geschlechtergerecht zu gestal-     nicht nur dafür, dass endlich auch die
    Auch der Einsatz von Künstlicher     ten. Dazu muss unter anderem Sorge-       Arbeitnehmer_innen vom digitalen
Intelligenz ist in diesem Zusammen- arbeit in Zukunft gerechter zwischen           Wandel profitieren, es schafft auch
hang ein heikles Thema. So wurde in      Männern und Frauen verteilt und das       neue Jobs. Und dass ist angesichts
jüngerer Vergangenheit zunehmend         Recht, außerhalb der Arbeitszeit nicht    der höchsten Arbeitslosigkeit in der
über das diskriminierende Potential      erreichbar zu sein, garantiert werden.    Geschichte der Zweiten Republik
von Algorithmen berichtet. Algorith- Außerdem gilt es zu verhindern, dass          aktuell wichtiger denn je.
men nutzen Daten, die von Menschen       sexistische Muster durch den Einsatz
kategorisiert werden und beinhal- von Künstlicher Intelligenz gefestigt
ten daher oft bereits sexistische und    oder gar verstärkt werden.

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Arbeiten
von zu Hause
Bessere Vereinbarkeit von Beruf
und Familie oder die Verstärkung
der „Zurück an den Herd“ Politik

TEXT Vera Koller

D
         urch die Lockdowns und die      hat ein eigenes Zimmer zur Verfügung        die Pflege von Angehörigen, die
         Corona Pandemie hat das         und viele fühlen sich durch Kinderbe-       Instandhaltung der Wohnung, das Ko-
         Arbeiten von zu Hause einen     treuungspflichten in ihrer beruflichen      chen von Mahlzeiten und noch vieles
enormen Schub erfahren. Laut einer       Tätigkeit belastet. Gibt es ein Arbeits-    mehr.
Ifes Studie im Auftrag der Arbeiter-     zimmer, wird dieses häufig von Män-            Ständig hin- und her gerissen
kammer Wien1 haben rund 60% der Be-      nern genutzt. Frauen arbeiten oft am        welche der Aufgaben zuerst erledigt
schäftigten im Jahr 2020 Homeoffice      Küchentisch und sind generell tech-         werden muss. Zwar sind Männer bzw.
genutzt. Von denen, die nicht im         nisch schlechter ausgerüstet.               Väter auch davon betroffen, die Haupt-
Homeoffice waren, meinen über 80%           Bedenkt man dazu, dass 67% der           last bleibt weiblich, wie alle Umfragen
im ihrem Beruf ist Arbeiten von zu       Frauen unter 40 Jahren eher im Home-        zeigen.
Hause nicht möglich.                     office arbeiten, als eine Pflegefreistel-
   Homeoffice ist 2020 für viele zur     lung in Anspruch zu nehmen, wird die        Notwendige Bedingungen
Norm geworden. Und auch wenn diese       Problematik sehr schnell offensicht-          Viele Arbeitnehmerinnen bevor-
Entwicklung sicherlich durch die Pan-    lich.                                       zugen trotzdem zumindest zeitweise
demie befeuert wurde, werden auch in        So sehr die Zeitersparnis der Verein-    Homeoffice. Die langfristigen Folgen
Zukunft viele Beschäftigte zumindest     barkeit von Beruf und Familie ent-          werden dabei oft nicht gesehen.
zeitweise in ihren eigenen vier Wän-     gegenkommen kann, birgt die Ver-            Nicht nur die möglichen psychischen
den arbeiten.                            schmelzung von Freizeit und Arbeit          und gesundheitlichen Folgen, son-
   Grundsätzlich wird das von den        besonders für Frauen und vor allem für      dern auch die Auswirkung auf die
Arbeitnehmer*innen geschätzt. Vor        Mütter eine extreme Gefahr. Frauen          Erwerbstätigkeit von Frauen sollte
allem die Zeitersparnis durch den        leisten schon immer den Löwenanteil         dabei berücksichtigt werden. Frauen
Wegfall von Wegzeiten, aber auch die     an unbezahlter Arbeit. Bei der Tätig-
Selbstbestimmtheit und Ungestört-        keit im Betrieb bleibt diese Verpflich-
                                                                                                                               ILLUSTRATIONEN Stefanie Hintersteiner

heit werden immer wieder ins Treffen     tung zumindest für ein Zeitfenster
geführt.                                 entfernt. Werden jedoch beide Berei-
                                         che, der private und der dienstliche
Auswirkungen auf Frauen                  miteinander vermischt, sind die unbe-
  Die Studie zeigt: Für Befragte         zahlten Verpflichtungen omnipräsent.        werden bei Einstellungen per se kri-
mit Kindern stellt das Arbeiten von         Frauen übernehmen vom Küchen-            tischer als ihre männlichen Mitbe-
Zuhause oft eine größere Herausforde-    tisch aus während ihrer beruflichen         werber bewertet. Die Möglichkeit
rung dar – nur jede/r Zweite von ihnen   Tätigkeit die Betreuung der Kinder,         einer Schwangerschaft, Ausfälle durch

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Betriebsrätliche Arbeit
in Zeiten von                                     Homeoffice
Betriebsräte stehen vor besonderen Herausforderungen, wenn sie
die Kolleg*innen nicht mehr direkt und persönlich ansprechen können.
Ein Erfahrungsbericht aus dem Grünen Klub.

                                                                Z
                         TEXT Betriebsrät*innen des                    u Beginn des Sommers 2020          zu beginnenden Verhandlungen
                         Grünen Klubs im Parlament                     konstituierte sich unser Be-       der Betriebsvereinbarung. Wir or-
                       Claudia Stadler als Vorsitzende sowie
                                                                       triebsrat, nachdem sich der        ganisierten Austausch-Treffen mit
                       Nikolaus Ganahl, Katrin Fallmann und
                                            Philipp Rohringer
                                                                grüne Klub im Parlament mehr und          BR-Vertreter*innen und den jewei-
                                                                mehr mit Mitarbeiter*innen füllte.        ligen Teams im Klub. Nachdem es
                                                                Wir nützten das Zeitfenster nach dem      in den Herbstmonaten nicht mög-
                                                                ersten Lockdown im Frühling und           lich war, eine physische Betriebsver-
                                                                bevor die Urlaubszeit losging, um die     sammlung einzuberufen, stellten
                                                                Wahlen durchzuführen. Dass wir mit        wir Ende Jänner 2021 erstmals ein
                                                                Anfang Juli bereits mehr als 75 Kol-      Online-Neujahrsgespräch für alle
                                                                leg*innen hatten, war für uns zu die-     Mitarbeiter*innen via Zoom auf die
                                                                sem Zeitpunkt nicht sichtbar. Alle,       Beine. Unsere im Oktober von der
                                                                die seit März im Klub zu arbeiten         Ersatzliste neu hinzugekommene
                                                                begonnen hatten , starteten mitten        Betriebsratskollegin hatte die geniale
                                                                im Lockdown und somit im Homeof-
Betreuungspflichten etc. sind für viele                         fice Modus. Dazu kam, dass der Klub       Wie können wir unseren
Arbeitgeber*innen Gründe genug, um                              erst mit Ende August all seine Räum-
Männer zumindest implizit zu bevor-                             lichkeiten beziehen konnte, und es im     Kolleg*innen vermitteln,
zugen. Verschärft sich die Situation                            Sommer so gut wie nicht möglich war,      dass wir da sind, wenn
durch z.B. Meetings, in denen Kinder                            neuen Mitarbeiter*innen physisch zu
                                                                                                            sie uns brauchen?
durchs Bild huschen, während Kol-                               begegnen. Die einzige Möglichkeit,
legen dem Chef die ungeteilte Auf-                              uns als Betriebsratsteam der Beleg-
merksamkeit schenken, kann dies                                 schaft vorzustellen, gelang in einer      Idee, unsere Kolleg*innen mit einem
Auswirkungen auf die berufliche                                 ein paar Wochen vor den Wahlen an-        Computerprogramm interaktiv in Ab-
Zukunft haben. Auch ein vermehrtes                              gelegten Betriebsversammlung. So          stimmungen zu Fragen über derzei-
Aussteigen von Frauen aus dem Beruf                             begann unsere Arbeit als vierköpfiger     tige Themen in den Verhandlungen
kann eine Konsequenz sein.                                      Betriebsrat mitten in der Corona Pan-     zur Betriebsvereinbarung einzubin-
   Für Frauen im Homeoffice ist es                              demie. Ein kleiner Vorteil dabei: zu-     den. Wir hatten so zumindest ein
daher umso wichtiger klare Ver-                                 mindest ein Betriebsratsmitglied war      Drittel der Belegschaft dazu gebracht,
bindlichkeiten zu haben. Hauptfor-                              auch im alten Klub beschäftigt. Den-      mit uns über Zoom in Kontakt zu tre-
derungen sind die Begrenzung von                                noch sind wir bis heute mit der Schwie-   ten und sich über den Verhandlungs-
Erreichbarkeiten, um Arbeit und                                 rigkeit konfrontiert, den Betriebsrat     stand, Aktuelles und Wünsche zur
Freizeit auseinander zu halten und                              und seine Aktivitäten sichtbar zu         Kommunikation zwischen Betriebs-
die klare Trennungsmöglichkeit zwi-                             machen. Wie können wir unseren Kol-       rat und Mitarbeiter*innen auszu-
schen Betreuungspflichten, ob für                               leg*innen vermitteln, dass wir da sind,   tauschen. Das Fehlen des direkten
pflegebedürftige Angehörige oder                                wenn sie uns brauchen? Wie finden         Kontaktes mit der Mehrheit der Kol-
Kinder, und der beruflichen Tätigkeit.                          wir heraus, welche Wünsche unsere         leg*innen schmerzt, umso mehr sind
Nur so kann Homeoffice tatsächlich                              Kolleg*innen bei den Verhandlungen        wir als Betriebsrat motiviert, für un-
den gewünschten Effekt der Entlas-                              zur Betriebsvereinbarung haben?           sere Kolleg*innen da zu sein, wissend,
tung bringen.                                                                                             dass die dauerhafte Remote Situa-
                                                                Kommunikation im Lockdown                 tion eine zusätzliche Belastung und
                                                                  Wir begannen zuerst, Willkom-           Herausforderung an unsere Arbeit
                                                                mens-Mails an neue Mitarbeiter*in-        darstellt.
                                                                nen auszusenden. Mit Infomails
1
 ) Die Studie findet sich hier:                                 an alle versendeten wir Updates
https://tinyurl.com/s6huysfh                                    zu unserer Betriebsratsarbeit und

                                                                           die Alternative • 2021                                             9
S C H W E R P U N K T

                                                              Digitalisierung
                                                              Wo sind die Frauen in der
                                                              Gestaltung der digitalen
                                                              Arbeitswelt?
                                                              Fragen zu verschwundenen Arbeitsplätzen,
                                                              neuen Rahmenbedingungen und psychischen
                                                              Belastungen.

                                                                                            TEXT Beate Neunteufel-Zechner

L
       inda Scott behauptet in ihrem    down 4 von 10 ArbeitnehmerInnen            den Frauen voraussichtlich in einen
       Buch ‚Das weibliche Kapital‘     gezeigt, wie flexibel sie sind? Sie sind   doppelten Konkurrenzkampf getrie-
       (Hanser Verlag 2020), dass       im März 2020 von einem Tag auf den         ben – um Arbeitsplätze und gegen
Männer gar kein Interesse daran         anderen vom Büro ins Homeoffice um-        Männer auf Arbeitsuche.
haben, mit Frauen gemeinsam             gestiegen. Viele Frauen hielten beruf-
für ein ‚gutes Leben für alle‘ zu       lich ihr Leistungsniveau, sammelten        Wie verändert sich
arbeiten. Männer beherrschen die        neue Erfahrungen in der digitalen          die Arbeitswelt?
Finanzmärkte und treiben die Digi-      Arbeitswelt und sind sogar mit Lohn-          Sei es das Automatenhotel, das
talisierung voran, seit gut 40 Jahren   arbeit und der Versorgung ihrer            Online-Banking oder die Scankasse,
bemühen sie sich, menschliche Ar-       Familie unter einem Dach zurecht-          die vollautomatische Reinigungsma-
beitskraft durch digitale Leistung zu   gekommen. In zahlreichen Medien            schine oder die Überwachungska-
ersetzen. Sollen Frauen also durch      wurde so positiv berichtet, weniger        mera, die Nutzung von Datenbanken
Digitalisierung wieder ganz aus dem     häufig wurde der Zusammenbruch             zur Informationsbeschaffung oder
Arbeitsmarkt verdrängt werden?          von Internetverbindungen erwähnt,          das elektronische Amt, der Audio-
                                        wenn Frauen und Männer aus Angst           guide im Museum oder der Chatbot,
Wie stark werden Frauen                 um den Arbeitsplatz und ihre Kinder        der unseren Anruf in einem Callcen-
eingebunden in die Gestaltung           für den Schulerfolg so intensiv wie        ter entgegennimmt – sie alle erset-
der digitalen Arbeitswelt?              möglich alle Verbindungskapazitäten        zen kommunikative Arbeitsplätze.
   Die Entscheidung von Unterneh-       gleichzeitig ausschöpften.                 Wie bald schon werden Pflegeroboter,
mensleitungen für Digitalisierung                                                  sogenannte Care-O-bots, die mit-
kann doch nicht nur Gewinn- und         Arbeitnehmerinnen werden                   menschliche Arbeit in der Pflege und
                                                                                                                             FOTO | links Carl Heyerdahl | rechts Kelly Sikkema

Rationalisierungsrichtlinien folgen!    von der Corona Pandemie                    Betreuung ersetzen?
Über die Einbindung von Arbeitneh-      besonders hart getroffen.                     Plattformarbeit als digitales Modell
merInnen in die Entscheidung für ei-       Frauendominierte Branchen wie           der Arbeitsorganisation und Leis-
nen digitalen Wandel in Betrieben ist   Tourismus, Gastronomie und persön-         tungserbringung sickert langsam
wenig bekannt. Die Beschleunigung       liche Dienstleistungen haben in den        aber stetig in den Arbeitsmarkt ein.
von Arbeitsprozessen durch Digitali-    COVID-19-Lockdowns einen hohen             Das reicht von der Befüllung von Da-
sierung nimmt zu, die Forderung der     Anstieg der Arbeitslosigkeit verzeich-     tenbanken über kreative Arbeit und
Wirtschaft nach mehr Flexibilität der   net, +34% seit März 2020 bei Frauen.       Übersetzungen bis hin zu administ-
ArbeitnehmerInnen bleibt.               Durch    beschleunigte     Digitalisie-    rativen und logistischen Dienstleis-
   Haben aber nicht gerade im Lock-     rung in und nach der Pandemie wer-         tungen. Beim Crowdworking clicken

10                                                 die Alternative • 2021
T H E M A

Digitalisierung kann die
Gesundheit gefährden.

zwar Personen, aber wer nicht gut
genug ‚clickt‘ wird durch ein algorith-
misches Rating-System ausgeschlos-
sen – weltweit. Steuerrechtliche und
sozialversicherungstechnische Fragen
sind bei der grenzüberschreitenden
Plattformarbeit noch ungelöst, durch
vorgetäuschten Wettbewerb gibt es
anstelle von Löhnen oft nur Preise zu
gewinnen.

Wie wirkt sich Digitalisierung
auf den Einsatz menschlicher
Arbeitskraft aus?
   Die Zerlegung von Arbeitsprozes-
sen in Einzelmodule reduziert nicht
unbedingt den Arbeitsanfall, beein-
flusst jedoch Leistungsdruck und
Bewertung der erbrachten Leistun-
gen. Eine unüberschaubare Informa-
tionsflut ist zu bewältigen, ständige
Lern- und Einsatzbereitschaft wird
gefordert. Elektronische Kontrollins-
trumente sind zwar bekannt, werden
jedoch nicht offen diskutiert. Mengen-
und Zeitvorgaben zur Erfüllung von
Aufgaben sorgen bereits innerbetrieb-
lich für Vereinzelung, durch Home-
office wird der persönliche Austausch
in auswertbare Videokonferenzen           talisierung die körperliche und psychi-   men auch noch das Erbringen von
verschoben. Mit elektronischem Feed-      sche Gesundheit gefährden kann. Vor       unbezahlter Arbeit eingefordert wird.
back steigt die Verunsicherung und        entgrenzter digitaler Arbeit wird zwar       Die Digitalisierung unserer Arbeits-
insgesamt entsteht der Eindruck,                                                    welt ist kaum aufzuhalten, daher wird
dass durch Digitalisierung jedes                                                    es umso wichtiger, dass Frauen bei ih-
menschliche Maß in der Arbeitswelt         Wer nicht genug ‚clickt‘                 rer Entwicklung auf allen Ebenen mit-
verloren gehen kann.                       wird ausgeschlossen.                     reden und sich mit ihren großartigen
                                                                                    und vielfältigen Fähigkeiten einmi-
Werden die gesundheitlichen                                                         schen und einbringen.
Auswirkungen von digitaler                generell gewarnt, dennoch wurde der
Arbeit gezielt untersucht?                Zwölfstundentag gesetzlich ermög-
   In den letzten Jahren wird über        licht. Teilzeitarbeit nimmt stetig zu,
eine Zunahme der Arbeitsbelastung         Arbeitszeitverkürzung fordern bis-
an sich berichtet und davon, dass psy-    lang nur GewerkschafterInnen. Unre-
chische Erkrankungen in der Arbeits-      gulierte Digitalisierung trifft Frauen
welt vermehrt auftreten. Ohne dass        jedoch umso härter, weil von ihnen
eine direkte Beziehung hergestellt        bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung
wird, ist davon auszugehen, dass Digi-    von traditionellen Gesellschaftsfor-

                                                     die Alternative • 2021                                             11
S C H W E R P U N K T

                                                     Digitalisierung ist
                                                     ein sozialer Prozess
                                                     Wir befinden uns im Übergang zu einer digitalen
                                                     Gesellschaft. Über Chancen und Risiken für die
                                                     Arbeitnehmer:innen haben wir mit Astrid Schöggl,
                                                     Referentin für Digitales bei der Arbeiterkammer
                                                     Wien, gesprochen.

                                                                                   Das Interview führte Karin Stanger.

Die Digitalisierung bringt einen
massiven Strukturwandel mit sich.                                               Inwiefern trifft die Digitalisierung
Welche Branchen und Tätigkeiten                                                 Frauen? Sind Frauen überproportio-
treffen die Veränderungen am              Am potenziell stärksten betrof-       nal von Jobverlust bedroht?
stärksten?                             fene Berufsgruppen sind Hilfsarbeits-       Frauen werden oft als Verliererin-
   Auf dem Arbeitsmarkt gibt es da     kräfte, Handwerker:innen, Maschi-        nen der Digitalisierung bezeichnet,
gerade ein Auseinanderdriften. Zwei    nenbediener:innen und Personen in        weil arbeitsunterstützende Technolo-
Arten von Tätigkeiten sind schwer      Dienstleistungsberufen.                  gien vor allem in männerdominierten
                                                                                                                         ILLUSTRATION Stefanie Hintersteiner

zu automatisieren: hochqualifizierte      Im Großen und Ganzen gibt es oft      Feldern eingesetzt werden, arbeitser-
Aufgaben, die abstraktes Denken er-    die Angst, dass die Digitalisierung      setzende aber in frauendominierten
fordern und Routine-Tätigkeiten, die   viele Jobs verschwinden lässt. Das       Tätigkeiten. In der Industrie 4.0 kann
manuell hoch flexibel sein müssen      muss aber nicht so sein, wie man aus     man das gut beobachten: Da rentiert
oder soziale Interaktion erfordern.    der Geschichte lernen kann. Es ist       sich eine neue arbeitsunterstützende
Zwischen diesen beiden Polen steigt    eine Frage der politischen Gestaltung,   Technologie nur, wenn man sich da-
die Automatisierung von Tätigkeiten    dringend wäre jetzt zum Beispiel eine    von einen Vorteil am Weltmarkt
laufend an.                            Arbeitszeitverkürzung.                   erwarten kann. Dort, wo das gleiche

12                                                die Alternative • 2021
I N T E R V I E W

Produkt mit menschlicher Arbeit                                                         Wo gibt es Missstände und Verbes-
günstiger hergestellt werden kann, ist                                                  serungspotenzial?
das nicht der Fall. Wenig überraschend                                                       Das ist tatsächlich eine besorgni-
sind gerade in den schlechter bezahl-       weiblichen Pflegekräften als ‚arbeits-       serregende Entwicklung. Oft wird
ten Industriezweigen besonders viele        unterstützend‘ vorgesetzt wird. Oft          so getan, als wäre das innovativ, weil
Frauen beschäftigt (Lebensmittel-           gehen diese Lösungen, zum Beispiel           Plattformarbeit etwas Digitales ist.
und Tabakverarbeitung, Textil- und          für Dokumentation, aber komplett an          Dabei ist die ‚Innovation‘ einfach eine
Bekleidungsindustrie). Dementspre-          der Arbeitsrealität vorbei. Das ist Digi-    Verschlechterung von Arbeitsbedin-
chend weniger Ansporn gibt es dort,         talisierung ‚von oben herab‘. Wir brau-      gungen durch Schein-Selbstständig-
die Innovation voranzutreiben.              chen mehr Mitbestimmung.                     keit, von denen Unternehmen wie
   Im Gegenzug kommt es in den Fel-                                                      Mjam, Uber und Amazon massiv pro-
dern, wo viel Technologie eingeführt           Ungerechtigkeiten                         fitieren. Das müssen wir bekämpfen,
wird, oft zu einer Verdrängung von                                                       für Plattformarbeiter:innen müssen
Frauen, zum Beispiel weil sie nach wie       werden durch manche                         die gleichen Standards gelten, wie für
vor bei Neuanstellungen, Schulungen           Technologien sogar                         vergleichbare Jobs, die nicht digital
und Beförderungen benachteiligt sind.                                                    vermittelt werden.
Gleichzeitig geht die technologische
                                                   verstärkt.                                Es wäre wichtig, dass sich Platt-
Neuerung meist mit einer Aufwer-                                                         formarbeiter:innen organisieren, um
tung der Felder einher, also mit besse-                                                  für bessere Arbeitsbedingungen zu
rer Bezahlung und Status.                                                                kämpfen. Aber das gestaltet sich im
                                            Welche Rolle spielt die                     ‚digitalen Raum‘ aus vielen Gründen
Werden Ungleichheiten durch die             Arbeitnehmer:innenvertretung,                schwierig. Die Plattformen sind mäch-
Digitalisierung aufgebrochen                insbesondere die Betriebsräte,               tig: Zum Beispiel haben sie großen
oder einzementiert?                         beim Thema Digitalisierung?                  Einfluss auf die Politik oder versuchen
    Solche Ungerechtigkeiten werden            Technologien werden ja in der Regel       aktiv jede Organisierung im Keim zu
 durch manche Technologien sogar            im Interesse derer eingesetzt, die sie       ersticken.
 verstärkt. Algorithmen, zum Beispiel       entwickelt haben. Im schlimmsten
 in Rekrutierungs-Software, neigen          Fall kann Digitalisierung im Betrieb        Die AUGE/UG tritt vehement
 stark zu Vorurteilen und Diskriminie-      mit Überwachung, Kontrolle, Ver-            für die 30-Stunden-Woche ein.
 rung. Das liegt daran, dass Software       letzung von Persönlichkeitsrechten,         Digitalisierung und Arbeitszeitver-
 eine Empfehlung oft auf Basis von be-      Aushöhlung von Arbeitsschutzbestim-         kürzung – ein Paar, das zusammen-
 stehenden Informationen ausspricht.        mungen, usw. einhergehen. Betriebs-         gehört?
 So ein Algorithmus sagt zum Beispiel       rät:innen können das verhindern.               Unbedingt. Wenn man sich die
„Ah, Frauen wurden für diese Posi-             Ganz allgemein ist Digitalisierung       Beschäftigungsentwicklung des 20.
 tion in der Vergangenheit selten aus-      eine Entwicklung, deren Konsequen-          Jahrhunderts ansieht, gab es trotz bei-
 gewählt, dementsprechend gering ist        zen nicht in Stein gemeißelt sind. Es       spiellosem technischen Fortschritt
 die Wahrscheinlichkeit, dass für diese     ist ein sozialer Prozess, der wie alle      langfristig keine steigende Tendenz
 Position jetzt eine Frau ausgewählt        anderen Entwicklungen zwischen              der Arbeitslosigkeit. Ein Grund dafür
 wird.“ – das ist klassisches Fortschrei-   den gesellschaftlichen Interessen           kann auch die Arbeitszeitverkürzung
 ben von Vorurteilen.                       ausgehandelt wird. Betriebsräte und         sein. Die Arbeitszeit halbierte sich
    Das liegt auch daran, dass Software     Gewerkschaften haben hier die zent-         zwischen 1870 und 2000. Tatsächlich
 hauptsächlich von weißen Männern           rale Aufgabe, dafür zu kämpfen, dass        kommen die Vorteile der Digitalisie-
 entwickelt wird. Dem können wir            Digitalisierung unter der Kontrolle         rung, also die erhöhte Effizienz, den
 entgegenwirken, wenn wir Betroffene,       von und im Interesse der Arbeitneh-         Arbeitnehmer:innen derzeit nicht zu
 zum Beispiel Frauen, in die Entwick-       mer:innen gestaltet wird.                   Gute. Anstatt dieselbe Arbeit in weni-
 lung einbinden.                                                                        ger Zeit zu erledigen, muss in der glei-
    Besonders plakativ ist das im Pfle-     Die Arbeitsbedingungen bei                  chen Zeit mehr geschafft werden. Es
 gebereich. Da entwickeln Männer an         Plattformarbeit (z.B. Mjam, Uber,           braucht eine gerechte Verteilung der
 technischen Universitäten Software,        Online-Putzvermittlung) stehen              Arbeit, also mehr Jobs mit weniger
 die dann schlecht bezahlten, zumeist       regelmäßig in der Kritik.                   Arbeitszeit.

                                                        die Alternative • 2021                                               13
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15
T H E M A

Auf diesen Seiten finden
sich Standpunkte und
Meinungen zum Schwer-      Sozialpartnereinigung
punkt der jeweiligen
Ausgabe – diesmal zum      bei Homeoffice
Thema ‚Digitale Meetings
                           Am 27. Jänner gab die Bundesregierung die Einigung mit
und Homeoffice‘.
                           den Sozialpartnern über das sog. Homeoffice Maßnahmenpaket
                           bekannt. Es wurde auch Zeit!
                                                                                          TEXT Fritz Schiller

                           B
                                  islang ist es nur eine Regie-      Arbeitgeber*innen können ohne
                                  rungsvorlage, entsprechende        die Einbeziehung der Betriebsräte
                                  gesetzliche Regelungen müs-        Einzelvereinbarungen mit Arbeit-
                           sen erst ausgearbeitet werden. Die        nehmer*innen abschließen, was
                           Sozialpartner einigten sich auf           mitunter für Letztere sehr nachtei-
                           sechs wesentliche Punkte:                 lig wirken kann.

                            1.) Freiwilligkeit des Homeoffice        Arbeitsmittel und Arbeitszeit
                            mit einer schriftlichen Einzelverein-    Digitale Arbeitsmittel inkl.
                            barung,                                  Datenvermittlung müssen nun von
                                                                     den Arbeitgeber*innen zur Verfü-
                            2.) Möglichkeit einer freiwilligen
                                                                     gung gestellt werden. Andernfalls
                            Betriebsvereinbarung nach § 97 ArbVG,
                                                                     ist den Arbeitnehmer*innen hierfür
                            3.) Arbeitsrechtliche Regelungen (AZG,
                                                                     eine angemessene (Pauschal)Ab-
                            ARG und DienstnehmerhaftpflichtG),
                                                                     geltung zu bezahlen. Diese kann pro
                            4.) Arbeitnehmer*innenschutz,
                                                                     Jahr maximal 300 Euro steuerfrei
                            5.) Unfallversicherung und
                                                                     betragen. Für ergonomisch geeignetes
                            6.) Entschädigungen für
                                                                     Mobiliar können darüber hinaus im
                            Arbeitsmittel.                           Rahmen der Arbeitnehmer*innen
                                                                     Veranlagung bis zu 300 Euro p.a.
                           Der Vorteil der Freiwilligkeit für das    geltend gemacht werden. Inwieweit
                           Homeoffice ist, dass die Arbeitge-        diese Vergütungen aber die realen
                           ber*innen sie nicht anordnen können.      Aufwendungen ersetzen ist fraglich.
                           Der Nachteil ist, dass es kein Recht
                           auf Homeoffice gibt. Daher bedarf         Positiv ist, dass die Bestimmungen
                           Homeoffice immer einer Einigung           des Arbeitszeit-, des Arbeitsruhe-
                           zwischen Arbeitgeber*in und Arbeit-       und des Dienstnehmerhaftpflichtge-
                           nehmer*in.                                setzes im Homeoffice ihre Gültigkeit
                                                                     behalten. Es gelten in diesem
                           Auswirkungen und                          Bereich also die gleichen Regelungen
                           Rahmenbedingungen                         wie im Betrieb. Außerdem soll die
                           Es ist zu erwarten, dass die Anzahl       aktuelle, coronabedingte Form der
                           der möglichen Arbeitsplätze reduziert     Unfallversicherung ins Dauerrecht
                           werden, um Mietkosten zu sparen.          übernommen werden.
                           Sogenannte ‚shared desk Arbeits-          Insgesamt ist das Ergebnis der
                           plätze‘ werden steigen. Das bedeutet      Sozialpartnerschaft ein Schritt in
                           eine massive Veränderung der Büroor-      die richtige Richtung, die Rechte
                           ganisation, die für viele Kolleg*innen    der Arbeitnehmer*innen hätten
                                                                                                                ILLUSTRATIONEN Stefanie Hintersteiner

                           mehr Flexibilität, aber auch höhere       aber deutlich umfangreicher
                           Kosten mit sich bringen kann.             ausfallen können.

                           Sehr bedauerlich ist, dass eine
                           erzwingbare Betriebsvereinbarung
                           nach § 96 ArbVG nicht durchgesetzt
                           werden konnte. Das schwächt die
                           Position der Betriebsräte.

16                                     die Alternative • 2021
D E B A T T E N S E I T E

Digitale Meetings
Vor - und Nachteile
                                       TEXT Sandra Gaupmann

A
       ls NichtComputerNerdin hat mich die
       Umstellung von face-to-face-Meetings
       auf digitale Meetings naturgemäß
kurzfristig in Panik versetzt.

Ich habe zwar ein privates Netbook, war
aber bisher nicht mal in der Lage zu skypen.
Gut, jetzt in diesen Zeiten ist nun mal Flexibilität
gefragt, um weiterhin am beruflichen
Leben aktiv teilzuhaben. Noch dazu, da ich
auch an der Strafvollzugsakademie unterrichte
und auch hier nun Distancelearning angesagt
war. Eine Herausforderung!

Nach einigen technischen und persönlichen
Adaptierungen, Versuch- und Irrtumsagitationen
bin ich nun überraschenderweise zur Erkennt-
nis gekommen, dass digitale Meetings in
Pandemiezeiten gut geeignet sind, um weiter-
hin zumindest Menschen zu sehen und
mit ihnen im Kontakt zu sein. Bei reiner
Mailkommunikation und Telefonaten fehlt mir
einfach das Gesicht, die Mimik und ein
Lächeln.

Natürlich gibt es nicht nur Vorteile, digitale
Meetings machen um einiges schneller müde,
sind generell anstrengender und die Augen ma-
chen Probleme. Bzgl. des Datenschutzes gehe
ich davon aus, dass auf Einhaltung gerade im
Justizressort besonders geachtet wird.

Dennoch, ich freue mich sehr, Freunde,
Bekannte und natürlich Kolleg*innen baldigst
persönlich wieder zu treffen!

                                                       die Alternative • 2021   17
T H E M A

Eine Art „Entfremdung“
                                                                           TEXT R.W.

Vieles ist schon geschrieben worden,      so, dass ich zwar von der Arbeitsbe-
und vieles wird noch geschrieben          lastung stärker gefordert bin als im
werden. Dennoch ist es mir ein            normalen Büroalltag, aber ich den-
Bedürfnis, auch einen kleinen             noch nicht wirklich in der Arbeit bin.
Beitrag zu Wahrnehmungen in der           Ich bin aber auch nicht in der Frei-
Pandemie zu leisten.                      zeit. Ich habe das Gefühl, zwischen

A
                                          der privaten und beruflichen Welt zu
         uslöser für diese Zeilen war     schweben. Mein Zugang zu meinen
         eines der mittlerweile sel-      Kund_innen bekommt mit zuneh-
         tenen Gespräche mit einer        mender Dauer eine fiktive Kom-
meiner Arbeitskolleginnen. Selten         ponente. Der direkte, persönliche
deshalb, weil ich mich seit geraumer      Austausch vor Ort wird ersetzt durch
Zeit zu nahezu 100% in Homeoffice         die Eindimensionalität des Telefons
befinde. Jetzt könnte man annehmen,       oder im besten Fall durch die zwei
dass ich für Homeoffice die optimalen     Dimensionen einer Videokonferenz.
Bedingungen habe. Mein Job ist der-       Die wesentlichen Elemente der
art gestaltet, dass ein Arbeiten außer-   direkten Sinneseindrücke bei einem
halb der mir zugedachten Büroräume        Kund_innenbesuch fehlen. Das hat
ganz gut möglich ist. In meinen eige-     auch Auswirkungen auf die Gedächt-
nen vier Wänden habe ich einen ei-        nisleistung. Ich merke mir einfach
genen Raum mit Schreibtisch, einem        Gesprächsinhalte und Fragestellun-
Bürosessel und einen etwas älteren        gen besser, wenn ich eine konkrete
Fernseher, den ich als Bildschirm nüt-    Person in ihrem konkreten Umfeld
zen kann. Ein eigenes kleines Büro        erleben kann und darf.
also, in dem ich ohne Störung anderer     All das ist jetzt auf ein absolutes Mini-
in Ruhe einen Call nach dem ande-         mum reduziert, und verstärkt meine
ren mache. Ja, so gesehen bin ich auf     unmittelbare Arbeitsbelastung.
der Butterseite derjenigen Menschen,      Und das Privatleben kommt auch ein
die dazu „ermuntert“ werden von zu        wenig durcheinander. Früher war es
Hause aus zu arbeiten. Und dennoch        klar, wann und wo die Arbeit
fühle ich mich auf eine ganz spezielle    beginnt. Jetzt ist es eine ziemlich ver-
Art von meiner Arbeit und auch Frei-      mischte Angelegenheit. Dabei fällt
zeit entfremdet.                          mir auf, wie wichtig mir der Weg in
Laut Wikipedia bezeichnet Entfrem-        die Arbeit war und ist. Und der
dung „einen individuellen oder ge-        Wegfall desselben meine Tagestruk-
sellschaftlichen Zustand, in dem eine     tur ziemlich durcheinander bringt.
ursprünglich natürliche Beziehung         Konnte ich doch meine Wegzeit am
aufgehoben, verkehrt, gestört oder        Morgen zur Vorbereitung und Ein-
zerstört wird.“ Wobei sich diese Ent-     stimmung auf den Tag nutzen, und
fremdung auf verschiedenen Ebenen         am Abend den Rückweg dazu, um
wie der Beziehung zu sich selbst, sei-    den Arbeitstag (auch mental) zu ei-
ner Umwelt und somit auch zur             nem guten Abschluss zu bringen. Jetzt
Arbeit auswirken kann.                    greift beides ineinander, praktisch
                                          ohne Übergang.
Das Gespür verlieren                      Ja, wie schon so viele vor mir festge-
In meinem Fall ist mir im vorhin er-      stellt haben: Eine schwierige Zeit, die
wähnten Gespräch aufgefallen, dass        viele Veränderungen mit sich bringt.
ich mein Gespür für die Arbeit ver-       Aber auch die Chance, daran zu wach-
liere. Irgendwie ist es im Homeoffice     sen.

18                                                    die Alternative • 2021
I N T E R N AT I O N A L

Lieferketten Kampagne
Menschenrechte brauchen Gesetze

                                            TEXT Christine Petioky

W
           eltweit engagieren sich hunderte NGOs gegen
                                                                                                           KOMMENTAR Klaudia Paiha
           systematische Gewinn-Maximierung durch
           menschenrechtswidrige und umweltschädi-                               Unser Wirtschaften geht allzu oft auf Kosten
gende Arbeitsbedingungen und fordern wirksame Gesetze                            der Gesundheit und Lebensgrundlagen
und Sanktionen. Die UNO konnte bisher nur Leitprinzipien                         der Menschen in anderen Ländern. Unsere
vorgeben, die viele Mitglieder, auch Österreich, nicht in                        Rosen blühen auf den wenigen fruchtbaren
nationales Recht umgesetzt haben.                                                Böden in Ländern, wo Menschen verhun-
                                                                                 gern, die Freude in den Gesichtern unserer
 Seit 2015 wird über ein rechtlich verbindliches                                 Kinder angesichts des Schoko-Nikolos
 UN-Abkommen verhandelt, das Menschenrechtsverlet-                               verseucht anderswo Kinder mit Pestiziden,
 zungen und Umweltschäden entlang globaler Lieferketten                          unsere modischen Kleider machen anders-
 verhindern soll. Die Verantwortung der Unternehmen –                            wo die NäherInnen krank … - das muss ein
 auch für Aktivitäten ihrer Subunternehmen und Zulieferer                        Ende haben! Wir brauchen verbindliche
– soll sichergestellt werden. EU und europäische Regierun-                       Gesetze, die Unternehmen zur Einhaltung
 gen sind hier besonders gefordert, denn derzeit überprüft                       sozialer und ökologischer Standards
 nur jedes dritte EU-Unternehmen seine globalen Lieferketten                     verpflichten – nicht nur hier, sondern auch
 auf Menschenrechte und Umweltauswirkungen.                                      entlang ihrer internationalen Lieferketten.

EU-Parlament und EU-Kommission haben nun
Gesetzes-Initiativen vorgelegt, die Unternehmen für ihre
gesamte Wertschöpfungskette haftbar machen und
Geschädigten aus Drittländern Zugang zu EU-Rechtsmitteln
verschaffen sollen.
                                                                                                             KOMMENTAR Vera Koller
Dieser Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz
ist in Begutachtung. Mit der Kampagne Enforcing Human                            Dass Konzerne Profite auf dem Rücken der
Rights Due Diligence bauen 134 nationale und internatio-                         Beschäftigten scheffeln und dabei jegliche
nale NGOs, darunter Arbeiterkammer und Gewerkschaften,                           Verantwortung für die Arbeitsbedingungen
Druck für eine rasche Umsetzung auf: oegb.at                                     verweigern, ist nicht länger hinzunehmen.
                                                                                 Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dies ist
                                                                                 nicht nur ethisch untragbar, sondern auch
                                                                                 gesundheitspolitisch höchst problematisch.
                                                                                 Es ist schnellstmögliches Handeln auf
                                                                                 österreichischer und europäischer Ebene
                                                                                 gefordert, um diesem ausbeuterischen
                                                                                 Handeln klare Grenzen zu setzen.
                                                                                 Lassen wir die EU-Kommission wissen, was
                                                                                 im EU-Lieferkettengesetz drinnen stehen
                                                                                 muss!

                                                        die Alternative • 2021                                            19
I N T E R N AT I O N A L

                                                                                            wieder ein, wandeln in Angstträumen
                                                                                            im Schlaf, haben Panikattacken un-
Auszug aus einem Tagebuch                                                                   tertags. Eltern haben keine Kraft und
                                                                                            Hoffnung mehr und können deshalb
aus Lesbos/Kara Tepe                                                                        ihren Kindern nur schwer helfen.
                                                                                               Bevor wir therapeutisch beraten
Im Jänner 2021 waren vier Frauen aus Österreich                                             ist es notwendig, Leid anzuerken-
in Kara Tepe, eine von ihnen schildert ihre Eindrücke.                                      nen und zu betonen, dass wir hier
                                                                                            sind, um Zeuginnen zu sein, Zeugin-
                                                                                            nen auch in unseren Heimatländern,
                                                                   TEXT Michaela C. Fried   in denen die Politik sich nicht nur ge-
                                                                                            gen eine Evakuierung des Lagers aus-
                                                                                            spricht, sondern sich gegenseitig den
                                                                                            Ball der Verantwortung zuspielt. Etwa
                                                                                            in der Frage, warum teure Hilfsgüter
                                                                                            wie Winterzelte seit Wochen in Athen
                                                                                            zwischenlagern und nicht hier ankom-
     8. – 13 Jänner 2021                   vielleicht einmal die Erlaubnis zu ko-           men, wo sie überlebenswichtig sind.
   Wir arbeiten in einem Teilprojekt       chen. Hoffnung auf vertraute Speisen
von Medical Volunteers International       und Gerüche aus der heimatlichen Kü-
(MVI) in einem internationalen Team        che. Das ist seit dem Brand von Moria              15.1.2021
aus vielen Berufsgruppen. Ein aus Af-      verboten. Eine kollektive Bestrafung                Heute war ein schlimmer Tag hier,
ghanistan geflohener Arzt, der mit sei-    nach der immensen Traumatisierung.               weil heute die Kinder nicht zu uns
ner Familie im Lager lebt, übersetzt          Männer reparieren in der Werkstatt            kommen konnten, angeblich wegen
für uns. Er wurde erst in Afghanistan,     Fahrräder. Kinder spielen am Spiel-              Corona. Es war traurig leer am Ge-
dann auf der Flucht und auch in Les-       platz und nehmen an Kindergruppen                lände. Auch langgebuchte Termine in
bos geschlagen und gequält, Becken,        teil, in denen sie über ihre Nöte spre-          Spitalsambulanzen wurden nicht zu-
Ellenbogen und Kniegelenke sind zer-       chen. Im Lager sind Kinder vor nichts            gelassen. Wir nutzten die Zeit für Su-
trümmert.                                  geschützt, werden sogar Augenzeugen              pervision mit dem Team von mental
   MVI kann ihm für seine Arbeit mo-       von Gewalt. Die Zeltwände können                 health. Sie schätzen die fachärztliche
natlich 400 Euro zahlen. Das Wich-         Sorgengespräche der Eltern ebenso                Expertise der Kinderpsychiatrie. Wir
tigste ist für den Arzt aber beschäftigt   wenig abhalten, wie das nächtliche               sind beeindruckt mit wieviel profes-
und nützlich zu sein. Der Ohnmacht         Angstweinen und Wimmern anderer                  sioneller Kreativität und liebevoller
durch erlebte und jeden Tag fortwäh-       Kinder. Immer wieder müssen Kinder               Achtsamkeit das Team arbeitet. Da-
rende Traumatisierung zu entkom-           ihre Eltern trösten oder beschützen!             für sorgt, dass Kinder in den wenigen
men. Wieder handlungsfähig werden,                                                          Stunden, die sie das Lager verlassen
ins ‚tun zu kommen‘ rettet sein Leben,     Draußen schneit es, uns                          dürfen, über ihre Nöte und Ängste
erzählt er mir.                                                                             sprechen oder sich spielend ausdrü-
   Unser Einsatzort befindet sich am        ist kalt, trotz der vielen                      cken lernen. Papierpüppchen mit
Hügel etwa 600m oberhalb des Camps         Socken und Schichten                             verschiedenen Gesichtsausdrücken
Kara Tepe, im Gelände von ‚One happy                                                        brechen den Damm aufgestauter Ge-
family‘. Das Gelände wurde liebevoll
                                             Gewand, der heißen                             fühle: Der Brand von Moria mitten in
und mit kultureller Achtsamkeit er-                    Suppe.                               der Nacht, körperliche und sexuelle
richtet.                                                                                    Gewalt an Kindern, Todesängste, die
   Den meisten NGOs ist der Zutritt          14.1.2021                                      ständigen Sorgengespräche der Er-
zum Lager verwehrt. Die Menschen              Dr.in Wurm und ich arbeiten haupt-            wachsenen, das schreiende Kind im
im Lager dürfen das Camp 1x pro Wo-        sächlich mit Eltern, während deren               Nachbarzelt. Vier Stunden pro Woche
che für 4 Stunden verlassen. In diese      Kinder in einer Kindergruppe Thera-              auch einmal Spaß haben und alles ver-
Zeit fallen Einkäufe in der Stadt, aber    pie, Psychoedukation, soziale Skills             gessen. Plötzlich hört man Kinderla-
auch die Therapiezeiten für Kinder         und Selbstwertstärkung erfahren.                 chen und sieht Mütter, die stolz ihre
und Eltern in unserem Programm.               Eltern machen sich Sorgen um Kin-             Häkelarbeit präsentieren oder mit an-
Hier können Familien kurz auftan-          der, die sich immer mehr zurückzie-              deren Müttern in der Nähstube tanzen.
ken: Für Mütter und Frauen gibt es         hen, nicht mehr aus dem Zelt gehen               Wir gehen jetzt immer zu Fuß von un-
Nähkurse. Bei heißen Tee und bun-          wollen, nicht mehr leben wollen oder             serer Arbeit zum Apartment, ca. eine
ter Wolle wird Hoffnung geschöpft.         aufgrund der Enge im Zelt aggressives            Stunde, das hilft, die schlimmen Ge-
Auf ein bisschen Normalität im Lager,      Verhalten zeigen. Viele nässen nachts            schichten aus dem Kopf zu bekommen.

20                                                    die Alternative • 2021
T H E M A

                             18.1.2021
                            Heute ist Sonntag: wir machen
                         einen Brunch für unsere Freunde
                         aus Österreich. Zuvor wird selbstver-
                         ständlich getestet, ob unsere Rachen
                         auch clean sind. Helga Longin und Sa-
                         bine Sommerhuber von ‚Unser Bruck
                         hilft‘ berichten aus dem Camp, wo sie
                         am Samstag Essen und Kleidung ver-
                         teilt hatten. Dann besucht uns Doro
                         Blancke, die Ute-Bock -Preisträgerin.
                         Unglaublich, was sie hier leistet.

                            19.1.2021
                            Draußen schneit es, uns ist kalt,
                         trotz der vielen Socken und Schich-
                         ten Gewand, der heißen Suppe. Um 4
                         Uhr morgens sehe ich aus dem Fenster
                         auf die verschneiten Autos und denke
                         an das 12 Monate alte Kind, mit hohen
                         Fieber, wegen dem Helga Longin mich
                         spät abends kontaktiert hat: Paraceta-
                         mol, für den Moment und gegen das
                         Frieren.
                            Europa schaut weg. Etwas zu tun,
                         hier zu sein - unterstützt von vielen
                         zuhause, zu bezeugen, was uns berich-
                         tet wird, ist wichtig. Dennoch ist un-
                         ser Tun nur eine Schmerztablette. Die
                         eigentliche Behandlung müsste Eva-
                         kuation heißen.

                         Helga Longin und Sabine Sommerhuber von ‚Unser
                         Bruck hilft‘ waren bei der NGO ‚Home for all‘ in Lesbos,
                         um sie mit Waren aller Art zu unterstützen.
                         Dr in Michaela C. Fried und Dr in Ulla Wurm (Fachärztinnen
                         für Kinderpsychiatrie, beide vom PSD Eisenstadt)
                         waren in der Zeit für ‚Medical Volunteers International‘,
                         die unter anderem das mental health kids program
                         betreiben, tätig. Michaela teilte ihr Tagebuch und
                         Fotos auf www.facebook.com/Bridges4HP/, eine
                         Organisation die Brücken baut zu Menschen in Not
                         und die Michaela entsandt hat.

die Alternative • 2021                                                         21
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