HÄMOLYTISCH-URÄMISCHES SYNDROM IM KINDESALTER
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Fortbildung HÄMOLYTISCH-URÄMISCHES SYNDROM IM KINDESALTER Kathrin Buder, Markus Feldkötter, Giuseppina Spartà Abstract ist die TMA durch eine Endothelschädigung mit Bil- Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist eine dung von Mikrothromben in den kleinen Blutgefässen der häufigsten Ursachen eines akuten, dialysepflich- gekennzeichnet.8) tigen Nierenversagens im Kindesalter. Das HUS ist eine multisystemische Erkrankung, die sowohl akut Ätiologie-basierte Klassifikation, als auch langfristig zu renalen und extrarenalen Ma- Pathophysiologie und Epidemiologie nifestationen und Komplikationen führen kann. Ätio- Allgemeines logisch wird zwischen den häufigen (ca. 90-95%) in- Die beschriebene Trias ist nicht HUS-spezifisch und fektions-assoziierten sowie den seltenen (ca. 5-10%) findet sich auch bei anderen TMA-Formen. Infolge komplementvermittelten und weiteren HUS-Formen wechselnder pathophysiologischer Konzepte unterlag unterschieden. Da sich die HUS-Formen hinsichtlich die TMA- bzw. HUS-Klassifikation in den letzten Jahr- Therapie und Prognose grundlegend unterscheiden, zehnten einem ständigen Wandel. Die über lange Zeit ist eine sorgfältige ätiologische Abklärung unverzicht- verwendete Einteilung in Durchfall-positive und Durch- bar. Patienten mit einem HUS müssen langfristig fall-negative oder typische und atypische HUS-Formen nephrologisch verlaufskontrolliert werden, um mögli- ist inzwischen einer Ätiologie-basierten und detaillier- che renale Langzeitfolgen frühzeitig detektieren und teren Klassifikation gewichen (Abbildung 1).3), 8), 9) behandeln zu können. Im Kindesalter treten überwiegend infektions-as- Einleitung soziierte HUS-Formen auf (ca. 90-95%); deutlich sel- Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist eine tener sind komplementvermittelte sowie andere an- der häufigsten Ursachen für ein akutes, dialysepflich- geborene oder sekundäre HUS-Formen (ca. 5-10%). 2) tiges Nierenversagen im Kindesalter. In der Schweiz Innerhalb des Formenkreises der TMA ist die wich- erkranken jährlich durchschnittlich ca. 1.4 pro 100.000 tigste, jedoch bei Kindern und Jugendlichen sehr sel- Kinder ≤ 16 Jahren an einem HUS.1) tene, Differentialdiagnose des HUS die thrombo- tisch-thrombozytopenische Purpura (TTP). Das HUS ist eine multisystemische Erkrankung, die mit lebensbedrohlichen renalen und extrarenalen Bei der differentialdiagnostischen Abklärung ei- Manifestationen einhergehen kann. 2-6) Durch verbes- ner TMA bzw. eines HUS sollte zwingend das Mani- serte intensivmedizinische Überwachungs- und Be- festationsalter mitberücksichtigt werden, da dies handlungsmöglichkeiten, sowie ein umfassenderes pa- wichtige Hinweise auf die zugrundeliegende Genese thophysiologisches Verständnis der einzelnen HUS-For- geben kann (Abbildung 2). men, sank die Mortalität bei Kindern mit HUS in den letzten 60 Jahren, in Abhängigkeit von der jeweiligen HUS durch Shigatoxin-produzierende Erreger HUS-Form, von ca. 40-50% auf ca. 1-12%.1, 2, 7) (STEC-HUS) Das Shigatoxin-assoziierte HUS stellt mit ca. 90% die Definition häufigste Form des HUS im Kindesalter dar. Ursäch- Das HUS ist definiert durch die Trias lich sind Infektionen mit Shigatoxin-bildenden Erre- gern – meist enterohämorrhagischen Escherichia coli • nicht-immunologisch bedingte hämolytische Anä- (EHEC) oder seltener auch Shigella dysenteriae Typ mie mit Nachweis von Fragmentozyten im periphe- 1 -, bei denen die freigesetzten Toxine zur Endothel- ren Blutausstrich, schädigung und TMA führen.2, 8) EHEC-Infektionsquel- len sind: Nicht pasteurisierte Rohmilchprodukte, kon- • Thrombozytopenie bzw. Zeichen eines Thrombozy- taminierte Nahrungsmittel und Tierkontakte. Aller- tenverbrauches und dings entwickeln nur etwa 5-15% aller Patienten mit einer EHEC-Infektion ca. 7 bis 14 Tage nach Beginn • Zeichen einer akuten renalen Schädigung (Oligurie/ der gastrointestinalen Symptomatik ein STEC-HUS. 2,3) Anurie, Erhöhung der Kreatinin-Konzentration, Pro- Das STEC-HUS tritt typischerweise bei Kindern im teinurie, Hämaturie, sonomorphologisch auffällige Alter zwischen 2 und 5 Jahren auf (Abbildung 2).3) Nieren), Korrespondenz: Insbesondere im Rahmen von epidemischen Ausbrü- kathrin.buder der histopathologisch eine thrombotische Mikroangi- chen können auch andere Altersgruppen betroffen @kispi.uzh.ch opathie (TMA) zugrunde liegt.1) Pathophysiologisch sein.10) 18 Vol. 31 | 4-2020
Fortbildung angeboren: STEC-HUS Mutationen in Genen für - C3 - CFH - CFI Pneumokokken- - CFB assoziiertes HUS - MCP/CD46 - Trombomodulin Komplement- vermitteltes HUS autoimmunologisch: - Faktor H-Antikörper (in Hämolytisch- Kombination mit Mutatio- urämisches Syndrom nen in Genen (HUS) für CFHR-Proteine; DEAP-HUS) weitere angeboren: HUS-Formen - Cobalamin C-HUS - DKGE-HUS Trombotische Mikroangiopathie sekundär: - solide Organtrans- plantation - Stammzelltransplan- tation - Malignome/Chemothe- kongenitale TTP rapie (ADAMTS 13-Gen- - Autoimmunerkrankun- Thrombotisch- Mutation) gen (z. B. Systemischer thrombozytopenische Lupus erthematodes) Purpura (TTP) - Medikamente (z. B. Cal- ADAMTS 13-Aktivität
Fortbildung STEC-HUS P-HUS Komplement-vermitteltes HUS sekundäre HUS-Formen Cobalamin C- HUS Einzelfälle Hauptmarifestationsalter DGKE- HUS kongenitale TTP erworbene TTP 15 10 15 20 25 Alter in Jahren Abbildung 2: Altersverteilung bei Manifestation thrombotischer Mikroangiopathien Nach Holle J et al. 2017, S.1009 3) Abkürzungen: DGKE, Diacylglycerolkinase ; HUS, hämolytisch-urämisches Syndrom; P-HUS, Streptococcus pneumoniae-assoziiertes HUS; STEC, Shigatoxin-produzierende Escherichia coli; TTP, thrombotisch-thrombozytopenische Purpura Personen und einem Gesamtanteil von ca. 5-10% an Faktor-Cleaving-Protease ADAMTS13 (A Disinteg- allen pädiatrischen HUS-Fällen ebenfalls selten.3) Ur- rin-like And Metalloprotease with a ThromboSpondin sächlich sind verschiedene autosomal-rezessiv oder type 1 motif, member 13) von < 10% einher. Diese autosomal-dominant vererbte Defekte von Komponen- kann angeboren (Upshaw-Schulman-Syndrom) oder ten des Komplementsystems und/oder erworbene autoimmunologisch (Nachweis von ADAMTS13-Anti- Faktor H-Autoantikörper (Abbildung 1).8,9) Derzeit ge- körpern) bedingt sein (Abbildung 1). Durch die vermin- lingt bei nur ca. 60-70% der betroffenen Patienten die derte Aktivität dieser Protease bleibt die Spaltung der Identifikation der jeweiligen Mutation(en) in für Kom- Multimere des von-Willebrand-Faktors im Plasma aus. ponenten des Komplementsystems kodierenden Ge- Die Akkumulation dieser Multimere führt zur Throm- nen.9) Diese Komplementdefekte führen, getriggert bozytenaggregation in der Mikrozirkulation und hier- durch endo- oder exogene Faktoren (z. B. Infektionen, durch zur TMA.13) Die Erkrankung ist insgesamt sehr Operationen, Schwangerschaft), über eine unkontrol- selten; zuverlässige Zahlen zur Inzidenz der TTP im lierte Aktivierung des alternativen Komplementsys- Kindes- und Jugendalter fehlen. tems zur Endothelschädigung und TMA.8,9) Das kom- plementvermittelte HUS kann in jeder Altersgruppe Anamnese und Klinik und im Gegensatz zu den o.g. infektions-assoziierten Bei vielen Patienten mit HUS ist innerhalb weniger Tage HUS-Formen insbesondere auch rezidivierend auftre- eine zunehmende Beeinträchtigung des Allgemeinzu- ten (Abbildung 2).12) standes zu beobachten. Typische Symptome sind: Weitere HUS-Formen 1. Blässe, ggf. Müdigkeit, reduzierte Nahrungs- und Neben weiteren angeborenen HUS-Formen (Cobala- Flüssigkeitsaufnahme und/oder verminderte kör- min C-Mangel, Diacylglycerolkinase -Mutation) mit perliche Aktivität Manifestation im Säuglings- oder Kleinkindesalter kön- nen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen di- 2. Petechien; Blutungen verse sekundäre HUS-Formen unter Einnahme be- stimmter Medikamente (z. B. Calcineurininhibitoren), 3. Abnehmende Urinmenge bis hin zur Anurie; ggf. nach soliden Organ- oder Stammzelltransplantatio- Ödeme, gelegentlich auch Makrohämaturie. nen und/oder im Rahmen von verschiedensten Grun- derkrankungen (z. B. bei systemischem Lupus erythe- Diese Symptome können einzeln oder auch in matodes oder Pankreatitis) auftreten (Abbildung 1).8,9) Kombination auftreten. Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) Ca. 40-70 (-85)% der Patienten mit HUS entwi- Die TTP, der ebenfalls eine TMA zugrunde liegt, geht ckeln ein akutes, dialysepflichtiges Nierenversa- mit einer verminderten Aktivität der von-Willebrand- gen.1,2,10,11) Die übrige klinische Symptomatik ist von 20 Vol. 31 | 4-2020
Fortbildung der Ätiologie und eventuellen extrarenalen Manifesta- kung, die mit lebensbedrohlichen extrarenalen Kom- tionen abhängig: plikationen assoziiert sein kann. 2,3,9) Mögliche extra- renale Symptome und Befunde sind in Tabelle 1 STEC-HUS dargestellt. Die Mitbeteiligung des zentralen Nerven- Kinder mit STEC-HUS fallen typischerweise mit einer systems stellt mit ca. 17-29% die häufigste extraren- gastrointestinalen Symptomatik, in der Regel Übel- ale Manifestation und zugleich häufigste Todesursa- keit, Erbrechen und (häufig blutiger) Diarrhoe auf. Die che des HUS dar.1,2,4,5,6,12,14) gastrointestinale Symptomatik kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und reicht von nahezu asymp- Typische extrarenale Symptome bei hämoly- tomatischen bis hin zu schwerwiegenden klinischen tisch-urämischem Syndrom1,4,5,6,12) Verläufen mit gastrointestinalen Komplikationen wie z. B. ischämischen Colitiden und Darmperforatio- Diagnostik nen. 2,10) Im Hinblick auf endemische oder epidemische Allgemeines HUS-Ausbrüche ist es wichtig, bei der Erhebung der Die Diagnose eines HUS kann mithilfe eines Blutbil- Anamnese nach weiteren Betroffenen mit ähnlicher des, der Bestimmung von Nierenretentions- und Hä- Symptomatik in der unmittelbaren Umgebung (Fami- molyseparametern sowie wegweisender anamnesti- lie, Kindertagesstätte, Schule etc.) zu fragen. scher Angaben meist innerhalb weniger Stunden ge- stellt werden. P-HUS Die Symptomatik bei P-HUS wird vor allem durch die Bei jedem Patienten mit HUS bzw. TMA sind zwin- vorausgegangene invasive Pneumokokkeninfektion gend weiterführende (differential-) diagnostische Ab- bestimmt. Letztere präsentiert sich meist als Pneu- klärungen erforderlich, um: monie (70%) oder Meningoencephalitis (20-30%), und seltener als isolierte Streptococcus pneumoniae-Bak- 1. das Ausmass renaler und extrarenaler Mani- teriämie, Sinusitis oder akute Otitis media.7,10) festationen zu erfassen und diesbezüglich reagieren zu können, Komplementvermitteltes HUS Dem komplementvermittelten HUS gehen ebenfalls 2. eine evtl. notwendige spezifische Therapie früh- häufig Infektionen, in etwa einem Drittel der Fälle auch zeitig einleiten zu können, eine Gastroenteritis, voraus.9) Anamnestisch hinwei- send auf ein komplementvermitteltes HUS können ein 3. den weiteren Verlauf und die Prognose abschät- für ein STEC- oder P-HUS «untypisches» Manifestati- zen sowie den Umfang der Nachsorgeuntersuchun- onsalter (< 1 Jahr; > 5 Jahre), fehlende Symptome hin- gen planen zu können. sichtlich einer evtl. EHEC- oder Pneumokokken-Infek- tion, eine positive Familienanamnese mit weiteren Extrarenale Symptome HUS-Betroffenen und insbesondere rezidivierende HUS-Episoden sein, wobei letztere hinsichtlich des kli- Zentrales Nervensystem nischen Bildes und der Verläufe von milder Hämolyse • Krampfanfälle bis hin zum Vollbild des HUS mit renalen und extra- • Bewusstseinsstörungen renalen Komplikationen deutlich variieren können.9) • Ataxie • Hemiplegie Weitere seltene HUS-Formen • Dysarthrie Die übrigen HUS-Formen lassen sich aufgrund der • Vestibuläre Symptome Vielfalt der zugrundeliegenden angeborenen oder er- worbenen Ursachen kaum mit charakteristischen Magen-Darm-Trakt • Hämorrhagische Gastritis / Enteritis Symptomen beschreiben (Abbildung 1). Die Berück- • Darmperforation sichtigung des Manifestationsalters sowie die sorg- • Analprolaps fältige Erfassung vorbestehender Grunderkrankun- • Gallenblasenhydrops / Cholezystolithiasis gen, der Dauermedikation und der Familienanamnese • Pankreatitis Diabetes mellitus Typ 3 sind für die Diagnosestellung dieser HUS-Formen un- erlässlich (Abbildung 2). Augen • Sehstörungen bei retinalen Hämorrhagien TTP Herz-Kreislauf-System Klinisch-anamnestisch ist die TTP insbesondere von • Arterielle Hypertonie; hypertensive Krisen den komplementvermittelten HUS-Formen nicht si- • Herz-Kreislauf-Versagen (Infarkte; Kardiomyopa- cher zu unterscheiden und kann ebenfalls durch In- thien; Perikarderguss) fektionen getriggert werden sowie schubweise auftre- ten.13) Tendenziell scheinen bei der TTP im Vergleich Lunge zum HUS die renalen Manifestationen eher milder und • Respiratorisches Versagen, vor allem sekundär durch Überwässerung die neurologischen Komplikationen häufiger zu sein.13) HUS als Multiorganerkrankung Tabelle 1: Multiorganbeteiligung bei hämolytisch- Unabhängig von der Ätiologie ist das HUS keine iso- urämischem Syndrom. Typische extrarenale liert renale, sondern eine multisystemische Erkran- Symptome.1, 4, 5, 6, 12) Vol. 31 | 4-2020 21
Fortbildung In Tabelle 2 sind wesentliche Labor- und appara- Diagnosesicherung eingeleitet werden, um irreversible tive Untersuchungen zur Erfassung renaler und ex- Schäden durch renale und extrarenale Komplikatio- trarenaler Manifestationen sowie zur Klärung der Ätio- nen zu verhindern. logie zusammengefasst. Die diagnostischen Abklärun- gen können und sollten unter Berücksichtigung der Therapie Charakteristika des jeweiligen Patienten entsprechend Supportivtherapie bei allen HUS-Formen angepasst, reduziert oder erweitert werden. Die medizinische Betreuung von Kindern und Jugend- lichen mit HUS bzw. TMA sollte entweder in einem Bei eindeutiger Anamnese, «typischem» Mani- kindernephrologischen Zentrum oder in enger Zusam- festationsalter, unauffälliger Familienanamnese und menarbeit mit einem Kindernephrologen erfolgen. «typischem» Erregernachweis (EHEC oder Pneumo- Grundsätzlich ist insbesondere initial eine engma- kokken) und somit eindeutiger Diagnose eines STEC- schige Überwachung kardiorespiratorischer und neu- oder P-HUS kann auf weitere differentialdiagnostische rologischer Parameter, der Urinausscheidung sowie Abklärungen (vorerst) verzichtet werden. wesentlicher Laborparameter (Blutbild, Hämolysepa- rameter, Nierenretentionsparameter, Elektrolyte, Säu- Bei jeglichen Abweichungen von der «typischen» re-Basen-Haushalt) – häufig auf einer Kinderinten- Anamnese, vom «typischen» Alter, vom «typischen» sivstation – notwendig. Aufgrund potentiell lebens- Verlauf (beispielsweise bei schwerer renaler Beteili- bedrohlicher Komplikationen und Verläufe sollten gung ohne Erholung der glomerulären Nierenfunktion, betroffene Patienten frühzeitig und rasch in ein spe- schwerer neurologischer Beteiligung oder schwerer zialisiertes Zentrum, das über sämtliche kinderinten- kardialer Beteiligung), bei positiver Familienanamnese, sivmedizinische Überwachungs- und Behandlungs- fehlendem Erregernachweis und insbesondere rezidi- optionen (einschliesslich aller Möglichkeiten der Nie- vierendem Verlauf ist der Ausschluss der übrigen renersatztherapie und Apherese) verfügt, verlegt HUS-Formen sowie einer TTP zwingend und zeitnah werden. mittels weiterführender Abklärungen erforderlich (Ab- bildung 2 sowie Tabelle 2). Die Supportivtherapie aller HUS- bzw. TMA-For- men umfasst eine bilanzierte Flüssigkeitszufuhr in- Komplementdiagnostik klusive einer adäquaten Volumentherapie bei Dehy- Die Interpretation der Komplementdiagnostik, die im dratation, eine medikamentöse Therapie und/oder Wesentlichen einer Abgrenzung zwischen komple- eine entsprechende Diät bezüglich renaler Sekundär- mentvermittelten und den übrigen HUS- bzw. TMA-For- komplikationen (metabolische Azidose, Hyperkaliä- men dient, ist im Einzelfall bisweilen schwierig. Der mie, Hyperphosphatämie), eine ausreichende Kalori- Nachweis einer C3- (und ggf. C4-) Hypokomplemen- enzufuhr zur Vermeidung einer Katabolie, sowie ggf. tämie spricht in der Regel für einen vermehrten Kom- die (restriktive) Gabe von Blutprodukten (z. B. Ery- plementverbrauch und somit eine Komplementakti- throzytenkonzentrate bei hämodynamisch instabilen vierung. Allerdings weisen nicht alle Patienten mit Patienten, Thrombozytenkonzentrate bei Blutungen komplementvermitteltem HUS eine C3-Hypokomple- und ggf. vor operativen Eingriffen). 2,3,8) mentämie auf.9) Ausserdem können auch Patienten mit STEC- oder P-HUS eine C3-Hypokomplementämie Bei Vorliegen einer Dialyseindikation wird in den zeigen.7,9) Zur genaueren Eruierung des Ausmasses meisten Fällen, insbesondere bei Kleinkindern, eine der Komplementaktivierung ist eine erweiterte Kom- Peritonealdialyse initiiert; bei Vorliegen von Kontrain- plementdiagnostik mit Bestimmung von diversen Ein- dikationen für eine Peritonealdialyse (z. B. schwere zelfaktoren des Komplementsystems, Autoantikör- hämorrhagische Colitis und/oder Darmperforation bei pern gegen einzelne Komplementfaktoren sowie der STEC-HUS) oder bei älteren Kindern und Jugendlichen Konzentration des terminalen Komplementkomplexes werden zudem auch extrakorporale Blutreinigungs- erforderlich (Tabelle 2). verfahren, im Sinne einer kontinuierlichen oder inter- mittierenden Hämodialyse- bzw. Hämo(dia)filtration, ADAMTS13-Diagnostik durchgeführt. Bei Nachweis einer ADAMTS13-Aktivität < 10% muss das Vorliegen einer TTP angenommen werden. Die Ab- STEC-HUS grenzung zwischen einer kongenitalen und einer er- Bis dato gibt es keine kausale Therapie des STEC-HUS. worbenen TTP ist mithilfe des Manifestationsalters Bei Patienten mit schweren neurologischen Kompli- sowie des Nachweises von ADAMTS13-Antikörpern kationen konnte in einigen Fällen durch Plasmaphe- möglich (Abbildung 1). rese oder zunehmend auch durch C5-Komplementin- hibition mittels Eculizumab eine Besserung der Sym- Bedeutung und zeitlicher Rahmen der Diagnostik ptomatik bis hin zur restitutio ad integrum erzielt Die gründliche und rasche differentialdiagnostische werden; klare Therapieempfehlungen (bzw. Zulassun- Abklärung sowie die abschliessende ätiologische Zu- gen) diesbezüglich fehlen jedoch bis dato. 2, 10,14) ordnung eines HUS bzw. einer TTP sind sowohl für die Therapie als auch die Prognose unerlässlich. Proble- P-HUS matisch ist, dass derzeit viele der notwendigen Ab- Invasive Pneumokokken-Infektionen müssen antibio- klärungen Wochen bis Monate beanspruchen; die er- tisch behandelt werden. Für das P-HUS selbst gibt es forderlichen therapeutischen Massnahmen müssen analog zum STEC-HUS ebenfalls keine kausale hingegen rasch und meist noch vor der endgültigen Therapie. 22 Vol. 31 | 4-2020
Fortbildung HUS-/TMA-Diagnostik Parameter/Tests/Fragestellungen Blut-Untersuchungen bei allen HUS-/TMA-Formen Anämie- und Hämolyseparameter Differential-Blutbild, Fragmentozyten, Retikulozyten, LDH, Haptoglobin Nierenretentionsparameter Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, (Cystatin C) Säure-Basen-Haushalt Blutgasanalyse Elektrolyte Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium, Phosphat Infektionsparameter CrP Diagnostik bzgl. extrarenaler ALAT, ASAT, GGT, AP, Gesamt-Bilirubin, direktes Bilirubin, Lipase, Manifestationen Protein, Albumin, IgG, Troponin, CK Gerinnungsparameter Quick, INR, PTT, Antithrombin, D-Dimere, Fibrinogen Transfusionsmedizinische Diagnostik Blutgruppe, direkter Coombs-Test Orientierende Komplementdiagnostik C3-Komplement, C4-Komplement Ergänzende Blut-Untersuchungen in Abhängigkeit von Anamnese und Alter bei Manifestation STEC-HUS EHEC-Serologie (IgG und IgM versus EHEC-Serotyp O 157) P-HUS Blutkultur (Steptococcus pneumoniae; ggf. Serotypisierung) Komplementvermitteltes HUS Erweiterte Komplementdiagnostik: CH50, APH50, Faktor H, Faktor I, Faktor B, terminaler Komplementkomplex (C5b-9), Bestimmung von Faktor H- und Faktor-l-Antikörpern, Faktor H-Westernblot, molekular- genetische Diagnostik Cobalamin C-HUS Homocystein, Methionin, molekulargenetische Diagnostik DGKE-HUS Molekulargenetische Diagnostik Sekundäres HUS z. B. antinukleare Antikörper, Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörper Kongenitale TTP ADAMTS13-Aktivität, molekulargenetische Diagnostik Erworbene TTP ADAMTS13-Aktivität, ADAMTS13-Antikörper Urin-Untersuchungen Urin-Status = Urinstreifentest Erythrozyturie/Hämoglobinurie? Proteinurie? Leukozyturie? Durchflusszytometrie/Urinsediment Leukozyturie? Erythrozyturie? Dysmorphe Erythrozyten Klinische Chemie Quantitative Proteinuriediagnostik (Protein/Kreatinin-, Albumin/Kreati- nin-, alpha 1-Mikroglobulin/Kreatinin-Ratio) Urin-Kultur Bakterielle Erreger und Resistenz Stuhl-Untersuchungen Stuhl Stuhlkultur auf Enteritiserreger Shigatoxin-PCR (auch bei fehlendem EHEC-Nachweis) Analabstrich Shigatoxin-PCR Apparative Untersuchungen Sonographie Abdomen: Aszites? Hepatosplenomegalie? Pankreas-Pathologien? Harntrakt inkl. farbkodierter Duplexsonographie: Nierengrösse/Volu- men, kortikomedulläre Differenzierung, Perfusion Pleura: Pleuraergüsse? Nierenbiopsie Thrombotische Mikroangiopathie? Spätschäden? (selten notwendig) EKG Ischämie? Linksventrikuläre Hypertrophie? Echokardiographie Perikarderguss? Kardiomyopathie? Funktion? Linksventrikuläre Hypertrophie? Augenärztliche Untersuchung Retinale Blutungen? Fundus hypertonicus? EEG Grundaktivität? Epilepsiespezifische Potenziale? Cerebrale Magnetresonanztomo- Ischämie? Blutung? graphie Tabelle 2: Diagnostik bei hämolytisch-urämischen Syndrom Spezifische Therapie bei komplementvermittel- des Gegenteils ein komplementvermitteltes HUS an- tem HUS genommen werden. Die Therapie der Wahl, die unver- Bei fehlendem Nachweis eines infektions-assoziierten züglich und noch vor Eingang aller endgültigen Labo- HUS, inklusive STEC-HUS und P-HUS (siehe oben), so- rergebnisse im Falle eines komplementvermittelten wie Ausschluss einer TTP, muss aufgrund der unmit- HUS eingeleitet werden muss, stellt derzeit die kom- telbaren therapeutischen Konsequenz bis zum Beweis plementinhibitorische Therapie mit dem monoklona- Vol. 31 | 4-2020 23
Fortbildung len C5-Antikörper Eculizumab (Soliris®) dar.8),9) Durch tem HUS im Kindesalter. Nephrologische Nachsor- Blockade des C5-Komplements unterbindet Eculizu- geuntersuchungen sind aufgrund der möglichen mab die untergeordneten Komplementreaktionen der Spätfolgen sowohl im Kindes- als auch im Erwachse- Komplementkaskade, die nachfolgende Bildung des nenalter dringend empfohlen.1,2,3,9,14) terminalen Komplementkomplexes und somit die En- dothelschädigung und TMA. Die Eculizumab-Therapie Die Prognose der komplementvermittelten HUS- erfolgt nach engmaschigeren Gaben in der Initialphase, Formen hat sich seit der Etablierung der komplemen- etwa ab Woche 3 alle 14 Tage über eine intravenöse tinhibitorischen Therapie mit Eculizumab entschei- Infusion. Hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils ist vor dend gewandelt: Vor Einführung dieser Therapie kam allem die erhöhte Anfälligkeit für Infektionen mit be- es – in Abhängigkeit vom zugrundeliegenden Komple- kapselten Bakterien, insbesondere Neisseria meningi- mentdefekt – in bis zu 90% der Fälle zu einem rezi- tidis (mit einem relativen Risiko von 5000 im Vergleich divierenden Verlauf, in bis zu 83% der Fälle zu einem zur Normalbevölkerung), zu berücksichtigen.8,9) Pati- terminalen Nierenversagen, sowie nach einer alloge- enten unter Eculizumab-Therapie müssen daher mit nen Nierentransplantation in bis zu 90% der Fälle zu den verfügbaren Meningokokken-Impfstoffen (gegen einem Rezidiv der Grunderkrankung mit nachfolgen- die Serotypen A, C, W135, Y und B) geimpft werden dem Transplantatverlust. 2),3),12) Inzwischen können bei und erhalten vor Beendigung der Immunisierung und den meisten Formen des komplementvermittelten ggf. auch darüber hinaus eine geeignete orale antibio- HUS rezidivierende Verläufe, das Eintreten einer ter- tische Prophylaxe.8,9) Aufgrund des rezidivierenden Ver- minalen chronischen Niereninsuffizienz sowie Rezi- laufes der komplementvermittelten HUS-Formen wird dive im Nierentransplantat verhindert bzw. behandelt derzeit eine lebenslange Behandlung mittels einer werden. Blockade des Komplementsystems empfohlen, wenn- gleich Einzelfallberichte und kleinere Fallserien von er- Bei den übrigen HUS-Formen sind aufgrund der folgreichen Auslassversuchen – unter Berücksichti- unterschiedlichen Ätiologien keine verallgemeinern- gung individueller Risikofaktoren – berichten.15) Ge- den Aussagen zum renalen Outcome möglich; dieses genwärtig befinden sich verschiedene alternative wird letztlich auch von der jeweiligen Grunderkran- Komplementinhibitoren in der Entwicklung. kung mitbeeinflusst. Spezifische Therapie bei weiteren HUS-Formen Extrarenale Prognose Die spezifische Therapie der übrigen HUS-Formen ist Bei besonders schwerer extrarenaler HUS-Manifesta- abhängig von der jeweiligen Grunderkrankung (z. B. tion in der Akutphase sind – unabhängig von der Hydroxycobalamin- und Folat-Substitution beim Co- HUS-Ätiologie – auch extrarenale Langzeitkomplikati- balamin C-HUS; immunsuppressive Therapie bei sys- onen, z. B. in Form von persistierenden neurologischen temischem Lupus erythematodes; Beendigung der Pathologien bei zentralnervöser Beteiligung, Diabetes Gabe von HUS-/TMA-auslösenden Medikamenten [z. mellitus bei Pankreatitis oder persistierenden Sehstö- B. Calcineurininhibitoren]). 2),8) rungen bei retinaler Beteiligung, möglich.1),10),11),14) TTP Fazit Die kongenitale TTP wird mittels Plasmainfusionen be- • Anhand der typischen Trias kann die Diagnose ei- handelt; durch die in den Plasmapräparaten enthaltene nes HUS rasch gestellt werden. ADAMTS13 kann die zugrundeliegende Endothelschä- digung und TMA unterbunden werden.13) Bei der erwor- • Die Klärung der Ätiologie des HUS umfasst eine benen TTP stellt die Entfernung der ADAMTS13-Anti- sorgfältige Anamnese und differentialdiagnostische körper mittels Plasmapherese die Therapie der Wahl Aufarbeitung. Sie ist für die Einleitung evtl. erfor- dar; bei rezidivierenden Verläufen kann zudem eine im- derlicher spezifischer Therapien sowie die weitere munmodulatorische Therapie mittels B-Zell-Depletion Prognose unerlässlich. durch den CD20-Oberflächenantigen-Antikörper Rituxi- mab erwogen werden.13) • Unabhängig von der Ätiologie sind nach jedem HUS – auch im Erwachsenenalter – nephrologische Ver- Prognose, Langzeitfolgen und Nachsorge laufskontrollen dringend empfohlen. Insgesamt ist die Langzeitprognose nach HUS gut. Renale Prognose Literatur Nur etwa 1-5% der pädiatrischen Patienten mit STEC- 1) Schifferli A, von Vigier RO, Fontana M, Spartà G, Schmid H, Bianchetti MG, et al. Hemolytic-uremic syndrome in Switzerland: HUS bzw. P-HUS entwickeln eine terminale chronische a nationwide surveillance 1997-2003. Eur J Pediatr. Niereninsuffizienz mit der Notwendigkeit einer Nie- 2010;169(5):591-8. renersatztherapie.1,10,14) Allerdings zeigt ein nicht ge- 2) Loirat C, Saland J, Bitzan M. 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Pathogenic Variants in Complement Genes and Risk of Atypical 2012;55(6):753-9. Hemolytic Uremic Syndrome Relapse after Eculizumab Discontinuation. Clin J Am Soc Nephrol. 2017;12(1):50-9. Autoren Dr. med. Kathrin Buder, Abteilung Pädiatrische Nephrologie, Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung Dr. med. Markus Feldkötter, Abteilung Pädiatrische Nephrologie, Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung PD Dr. med. Giuseppina Spartà, Abteilung Pädiatrische Nephrologie, Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonoren- stiftung Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. PUBLICITÉ über 20 Jahre Obstipations- Kompetenz Das Original-Laxans, so individuell wie Ihre Patienten. BEZEICHNUNG DES ARZNEIMITTELS: MOVICOL®, MOVICOL® aromafrei, MOVICOL® Chocolat. Zusammensetzung: Wirkstoffe: Macrogolum 3350 /Natrii hydrogencarbonas /Natrii chloridum /Kalii chloridum; MOVICOL® (mit Limetten- und Zitro- nenaroma): 13,125 g/178,5 mg /350,7 mg /46,6 mg; Acesulfamum-Kalicum (E950), Limetten- und Zitronenaroma, und Schwefeldioxid (E 220, im Aroma); 186,81 mg ( 8,126 mmol) Natrium pro Sachet. MOVICOL® aromafrei: 13,125 g /178,6 mg /350,8 mg /50,2 mg; 186,88 mg ( 8,129 mmol) Natrium pro Sachet. MOVICOL® Chocolat: 13,125g /178,5mg /350,7mg /31,7mg; Acesulfamum-Kalicum (E950), Schokoladenaroma, 14,1 mg Alcohol benzylicus (im Aroma), Schwefeldioxid (E220, im Aroma); 186,81 mg ( 8,126 mmol) Natrium pro Sachet. Indikationen: Symptomatische Behandlung der Obstipation bei Erwachsenen. Ohne ärztliche Empfehlung nicht länger als 3 Monate anwenden. Symptomatische Behandlung der Koprostase bei Erwachsenen. Anwendung bei Koprostase mit höherer Dosierung max. 3 Tage. Dosierung: Obstipation: 1-2 Sachets täglich; Koprostase: 8 Sachets täglich innerhalb 6 Stunden. Der Inhalt je eines Sachets ist in 125 ml Wasser zu lösen und ein- zunehmen. Für Kinder unter 12 Jahren nicht empfohlen. Kontraindikationen: Überempfindlichkeit gegen einen der Inhaltsstoffe, intestinale Perforation oder Obstruktion, Ileus, schwere entzündliche Darmerkrankungen. Vorsichtsmassnahmen: Bei Patienten mit beeinträchtigter kardiovaskulärer Funktion sollte bei Behandlung einer Koprostase die Dosis so aufgeteilt werden, dass nicht mehr als 2 Sachets innerhalb einer Stunde eingenommen werden. Diese Patienten sind speziell zu überwachen. Bei Symptomen, die auf eine Verschiebung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes hinweisen, Einnahme sofort beenden. Patienten mit renaler Insuffizienz sind bezüglich Volumen- und Elektrolytverschiebungen zu überwachen. Interaktionen: Die Resorption anderer Arzneimittel kann vorübergehend reduziert sein. Schwangerschaft/Stillzeit: Bei Anwendung in der Schwangerschaft/Stillzeit ist Vorsicht geboten. Unerwünschte Wirkungen: Gastrointestinale Störungen, allergische Hautreaktionen, allergische Reaktionen, Elektrolytverschiebungen, Kopfschmerzen, periphere Ödeme. Packungen: 20 / 100 Sachets [B]. Zulassungsnummer: Movicol 53869, Movicol aromafrei 58420, Movicol Chocolat 59056. Zulassungsinhaberin: Norgine AG, Werftestrasse 3, 6005 Luzern, Switzerland. Ausführliche Informationen entnehmen Sie bitte der Fachinformation auf http://www.swissmedicinfo.ch. Stand der Information: Oktober 2019. 1009242 Das verwendete Bildmaterial dient der Illustration des Einsatzzwecks. Die abgebildeten Personen sind Models. MOVICOL, NORGINE und das Norgine-Segel sind eingetragene Marken der Norgine-Unternehmensgruppe. Datum der Erstellung: 08/2020 CH-GE-MOV-2000016
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