Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester

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Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester
Harald Bodenschatz           Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester   k                3/2005 - 1

Harald Bodenschatz

Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester

England, das ist meine Ausgangsthese, ist in städte-            ruhen in innerstädtischen Armutsgebieten während der
baulicher Hinsicht zur Zeit das vielleicht interessanteste      80er Jahre.
und anregendste Land Europas. In England ist Städte-               1998 richtete John Prescott eine Urban Task Force
bau – anders als in Deutschland – ein wichtiges Thema           ein, die Wege zu einer Erneuerung der Innenstädte wei-
auf vielen Ebenen: in den Massenmedien, vor allem in            sen sollte. Der Schlussreport der von Richard Rogers
den Zeitungen und im Fernsehen, auf der Ebene der na-           geleiteten Urban Task Force wurde 1999 unter dem Titel
tionalen Regierung, auf der Ebene der großen Städte,            «Towards an Urban Renaissance» veröffentlicht.1        Ihr
auf der Ebene des wichtigsten Architektenverbandes,             Ziel war die Bestimmung der Gründe für den Verfall der
des Royal Institute of British Architects. Der zentrale         Städte in England und die Erarbeitung von Vorschlägen,
Begriff, der all diese Akteure beflügelt und – trotz aller      wie diesem Verfall begegnet werden kann. Mit dem
internen Gegensätze – zusammenhält, ist Urban Re-               Schlussreport war der Begriff Urban Renaissance sozu-
naissance, die Renaissance der Innenstädte, vor allem           sagen offiziell geworden.
die Renaissance der Zentren. Es ist erstaunlich, welche            Der Schlussbericht der Urban Task Force war eine
herausragende Bedeutung das Thema «Urban Renais-                Verbeugung vor der Stadt, die in den 90er Jahren die
sance» in England gewonnen hat – ganz im Gegensatz              europäische Debatte maßgeblich beeinflusst hatte:
zu unserem Lande, das sich eher im Klagen über das              Barcelona.2 Barcelona wurde dort als «die kompaktes-
Schrumpfen der Städte politisch erschöpft.                      te und lebhafteste europäische Stadt»3 gefeiert. Hinter-
  Schon seit Ende der 80er Jahre und vor allem in den           grund der Vorschläge der Urban Task Force war das
90er Jahren lassen sich in zahlreichen englischen Städ-         Studium von Entwicklungen und Projekten im Ausland,
ten die Zeichen einer neuen Stadtpolitik erkennen.              vor allem in «Deutschland, den Niederlanden, Spanien
Schrumpfende ehemalige Industriestädte in Mittel- und           und den Vereinigten Staaten».4 Gerade diesen politi-
Nordengland werden aus den Zentren heraus neu ani-              schen Blick auf internationale Erfahrungen im Städte-
miert und für die kommunale Konkurrenz fit gemacht.             bau vermissen wir in Deutschland zurzeit besonders.
Manche Städte, etwa Birmingham und Manchester,                  Eine Schlüsselaussage des Reports lautete: «Die nach-
können als Teststädte der neuen Stadtpolitik angese-            haltigste Entwicklungsoption zu Beginn des 21. Jahr-
hen werden, die noch vor der Regierungsübernahme                hunderts ist die Konzentration von Menschen, Wohnun-
durch New Labour die Weichen für eine Urban Renais-             gen und Jobs im Kern unserer städtischen Gebiete
sance stellten.                                                 (...).»5 Und weiter: «(...) wir gehen davon aus, dass die
  Nach dem Regierungsantritt von Tony Blair 1997                kompakte, polyzentrische und mischgenutzte Stadt, die
kam die Politik der Urban Renaissance aber erst richtig         zu Fuß gehen, Fahrrad fahren und den öffentlichen Ver-
in Fahrt. Wie wichtig der Regierung Blair das Ziel der Er-      kehr fördert, die nachhaltigste Form der Stadt ist.»6 In
neuerung der Städte war, zeigt das große Gewicht ihres          sozialer Sicht wird «Social Inclusion» propagiert, was
Städtebauministers, John Prescott. Das Amt von John             insbesondere eine Verbesserung des Erziehungswe-
Prescott – zugleich Vizepremierminister – umfasst               sens und der Gesundheit, die Schaffung von integrier-
Schlüsselressorts wie die Verantwortlichkeiten für              tem preiswerten Wohnraum sowie den Abbau von Ar-
regionale und kommunale Regierungen, Wohnungspoli-              mut und Kriminalität zur Voraussetzung hat.7 Politisch
tik, Planungspolitik und eben Revitalisierung. Der stell-       ist, so der Report, eine starke Führung der Urban Re-
vertretende Premierminister hat sich die Erneuerung der         naissance seitens der Regierung erforderlich8 – also
Städte zu seinem persönlichen Anliegen gemacht. Es              kein Rückzug des Staates, sondern eine Neuformulie-
darf allerdings nicht vergessen werden, dass bereits die        rung seiner strategischen Rolle.
konservative Regierung eine neue Politik zugunsten der             Mit der Politik der Urban Renaissance verband sich
Städte eingeleitet hat – nicht zuletzt angesichts der Un-       das Ziel der Regierung Blair, die englischen Städte und
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damit auch das Image des Landes zu erneuern. Ziel war              Mein Überblick über die Politik der Urban Renais-
und ist die erfolgreiche Transformation von Städten der         sance konzentriert sich auf die Beispiele der Stadtzent-
Industriegesellschaft in postindustriegesellschaftliche         ren von Birmingham und Manchester. Warum gerade
Städte, die sich in der internationalen Städtekonkurrenz        Birmingham und Manchester? Sicher, es gibt auch an-
behaupten können. Dieses generelle Ziel hat erhebliche          dere englische Städte, die mit Urban Renaissance as-
Implikationen – hinsichtlich der räumlichen wie der so-         soziiert werden: etwa Liverpool, die designierte Kultur-
zialen Orientierung. Die neue Politik soll auch die Dis-        hauptstadt Europas 2008, aber auch Leeds, Bristol, die
tanz zur Thatcherära demonstrieren, obwohl einige               Doppelstadt Newcastle/Gateshead, ja sogar Milton
wichtige Weichenstellungen dieser Ära nicht mehr rück-          Keynes. Birmingham und Manchester zeichnen sich da-
gängig gemacht wurden.   9                                      durch aus, dass sie – zusammen mit London – in den
                                                                1980er Jahren in besonderem Maße von sozialen Unru-
  Unterstützt wird die Politik der Urban Renaissance
                                                                hen in den Inner Cities betroffen waren. Birmingham
inzwischen auch vom Royal Institute of British Archi-
                                                                und Manchester markieren insofern einen Ausgangs-
tects. Dessen Präsident, George Ferguson, hat 2004 ei-
                                                                punkt    der    neuen,     nachmodernen   Periode     des
nen Kurs eingeschlagen, der den Städtebau ins Zen-
                                                                Zentrumsumbaus. Sie symbolisieren zugleich einen
trum rückt.10 Diese Orientierung ist auf einem Kongress
                                                                überregional propagierten Höhepunkt des Zentrums-
Anfang Juli 2005 gefestigt worden. Auch die Prince’s
                                                                umbaus.11 Das zeigt sich auch daran, dass Birming-
Foundation, der operationale Arm der gestalterischen
                                                                ham und Manchester Tagungsorte der beiden städte-
Ambitionen des Prinzen of Wales, hat sich seit Beginn
                                                                baulichen Großveranstaltungen der Regierung Blair
dieses Jahres noch stärker dem Thema Städtebau zu-
                                                                waren, die unter dem Titel Urban Summit eine strategi-
gewandt. Schließlich darf die Schlüsselrolle von Ri-
                                                                sche Orientierung der britischen Städtebaubaupolitik
chard Rogers bei dieser ganzen Entwicklung nicht
                                                                zugunsten der Innenstädte inszeniert haben. Der erste
übersehen werden. Richard Rogers hat bereits in den
                                                                Urban Summit wurde im Oktober 2002 in Birmingham
80er Jahren – noch mitten in der Hochzeit der konser-
                                                                veranstaltet und bot eine ausgezeichnete Gelegenheit,
vativen Regierung – begonnen, die öffentliche Meinung           die Wiedergeburt des Zentrums von Birmingham zu de-
für eine Politik der Urban Renaissance zu gewinnen.             monstrieren. In Manchester fand zu Beginn dieses Jah-
1986/87 präsentierte Rogers seine städtebaulichen Vi-           res der zweite Urban Summit statt. Diese Summits die-
sionen für London in einer Ausstellung unter dem Titel:         nen der Festigung der Koalition der Akteure der Urban
«London As It Could Be – A City for People». 1992 mel-          Renaissance.
dete sich Rogers zusammen mit dem Schattenminister
                                                                   Abschließend werde ich in thesenartiger Form die
der Labour Party für Kultur, Mark Fisher, mit dem Buch
                                                                Besonderheiten der Strategie der Urban Renaissance
«A New London» zu Wort, ein Buch, das wiederum eine
                                                                zusammenfassen. Es bleibt noch anzumerken, dass ich
Revitalisierung Londons vorschlug. Im März 1995 hielt
                                                                kein klassischer England-Experte bin, eher ein Experte
Rogers seine berühmten Vorlesungen im BBC Radio,
                                                                für Zentrumsumbau. Kürzlich habe ich ein Forschungs-
die schließlich 1997 in einem Klassiker des postmoder-
                                                                projekt zum Zentrumsumbau in London und Berlin ab-
nen Städtebaus, dem Buch «Cities for a small planet» in
                                                                geschlossen. Die Ergebnisse sind im Herbst in Buch-
überarbeiteter und ergänzter Form veröffentlicht wur-
                                                                form unter dem Titel: «Renaissance der Mitte –
den. Nach der Regierungsübernahme durch New La-
                                                                Zentrumsumbau in London und Berlin» erschienen.
bour im Jahre 1997 übernahm Richard Rogers nicht nur
den Vorsitz der Urban Task Force, sondern wurde im
Jahre 2000 – nach der Einrichtung der Greater London            Birmingham - vom «Workshop of the World» zum
Authority – auch Berater für Architektur und Städtebau          «International Business Centre»
des neuen Londoner Bürgermeisters Ken Livingstone.              Die erste Station unserer kleinen Reise ist Birmingham,
Richard Rogers hat den strategischen London Plan, der           eines der großen und berüchtigten Zentren der industri-
2004 verabschiedet wurde, wesentlich geprägt. Der               ellen Revolution in Mittelengland, Ziel von Angriffen der
englische Architekt kann vor diesem Hintergrund als             deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg und heute mit
politisch einflussreichster Architekt Großbritanniens, ja       knapp einer Million Einwohnern die zweitgrößte Stadt
wohl Europas betrachtet werden.                                 Englands (Abb. 1). Birmingham besitzt unzählige Kanäle,
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die einst für den industriellen Transport genutzt wurden.

  Die Stadt ist ein einzigartiges Museum der engli-
schen Stadterneuerung – und deswegen auch ein
schwieriger Patient. Ihr Zentrum zeigt noch Spuren des
großartigen Stadtumbaus zwischen 1876 und 1882,
aber auch Zeugnisse des Neuaufbaus nach den deut-
schen Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg, und vor
allem die Produkte der Ära des modernen Städtebaus
während der 1960er und 70er Jahre. In dieser Zeit wur-
den die öffentlichen Räume des Zentrums fast ausra-
diert – zugunsten von gewaltigen Schnellstraßen und
großen Solitärbauten. Dazu gehört das sog. Bull Ring
Centre von 1964, «damals das modernste cityintegrier-
te Einkaufzentrum Europas».12 Sie sehen dieses Zent-
rum auf dem Plan rot markiert. Besonders berüchtigt
war die Ringschnellstraße, die das Zentrum von der üb-
                                                                  Abb.1: Plan von Birmingham mit Einzeichnung des vorgestellten
rigen Innenstadt abgetrennt, ja abgewürgt hat, eine zwi-          Ringweges. Quelle: Government Office for the West Midlands, Give
                                                                  Way 2004.
schen 1960 und 1971 angelegte Straße mit dem schö-
nen Namen Concrete Collar, Betonkragen. Diese Straße              auch und vor allem der Politik der Stadt Birmingham,
verfügte über solche Neuerungen wie zweigeschossige               die auf Urban Design, auf fußgängerfreundliche öffentli-
Kreuzungen und Unter- bzw. Überführungen für Fuß-                 che Räume, eine neue Nutzung der Kanäle und die Zu-
gänger. Sie hat nicht nur wertvolle historische Gebäude           rückdrängung der autogerechten Stadt orientierte. Eine
und städtische Räume zerstört, sondern auch das ne-               Politik, die Mitte der 80er Jahre eingeleitet wurde und
gative Image von Birmingham geprägt.                              kaum 20 Jahre alt ist. Das damals gebaute und 1991
  Darüber hinaus hat Birmingham vor allem während                 fertig gestellte International Convention Centre zielte
der 70er und 80er Jahre seine Funktion als große Indus-           auf die Ankurbelung des «Business Tourism», die Stär-
triestadt, als Workshop of the World, wie sie früher ge-          kung des postindustriellen Dienstleistungssektors.
nannt wurde, verloren. Die metallverarbeitende Indus-                1987 veröffentlichte die Stadt die City Centre Strate-
trie, der Stolz der Stadt, verfiel. Und mit ihr ging eine         gy, die auf die Überwindung der Ring Road, eine neue
große Zahl an Arbeitsplätzen verloren, aber auch an               Mischnutzung einschließlich Wohnen, die Herausarbei-
Einwohnern. 1981 betrug die Einwohnerzahl 1.014.000,              tung der Besonderheiten der zentralen Quartiere und
2003 – trotz der Einwanderungswelle nach 1980 – nur               auf fußgängerfreundliche Räume zielte. Zu diesem Zeit-
mehr 971.800, davon inzwischen fast ein Drittel sog.              punkt konkretisierte sich das Projekt einer ost-west-ge-
ethnische Minderheiten. Vor diesem Hintergrund war                richteten Fußgängerachse zwischen dem Bahnhof und
auch Birmingham gezwungen, eine neue Funktion als                 dem International Convention Centre. Design, Urban
Dienstleistungszentrum, als «internationales Business             Design, wurde zu einem Zauberwort der Urban Renais-
Centre»,   13
                als «Convention City» 14
                                           zu erringen, eine      sance von Birmingham. 1993 wurde der so genannte
Funktion, die nicht nur einen Imagewandel erforderte,             Birmingham Plan publiziert. In diesem gesamtstädti-
sondern auch neue Bauten und Räume für diejenigen,                schen Plan spielte der Umbau des Zentrums eine
die in den Dienstleistungsbranchen arbeiten sollen. Da-           Schlüsselrolle bei der Werbung für ein neues, post-
für war Birminghams Modellstadt des modernen Städ-                industrielles Birmingham. Mit Unterstützung durch EU-
tebaus wenig gerüstet. Trotz dieser widrigen Ausgangs-            Mittel wurden die Kanäle dekontaminiert und wieder-
bedingungen hat Birmingham unter einer Labour-                    hergestellt.
geführten Stadtregierung mit großem Aufwand begon-                   Während in der Ära des modernen Städtebaus eine
nen, sich der Herausforderung des Strukturwandels wie             gewaltige, autogerechte Ringstraße um das Zentrum
des Imagewechsels zu stellen.                                     das Symbol der Modernisierung war, ist es heute eine
  Die Revitalisierung des Zentrums ist das Ergebnis               Kette von fußgängerfreundlichen öffentlichen Räumen,
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Abb.2: Birmingham, Victoria Square.                                  Abb.4: Birmingham, Centenary Square.

die einen neuen Ring bildet. Ausgangspunkt dieser Ket-               chen, historischen Gebäuden umgeben (Abb. 2). Der
te ist der Hauptbahnhof von Birmingham, die New                      ein wenig an die Spanische Treppe in Rom erinnernde
Street Station, die, so die Neue Zürcher Zeitung, den                Platz ist ein Schlüsselprojekt der neuen Planungspolitik
«Charme einer verwahrlosten U-Bahn-Station» aus-                     und ein Symbol für das neue Zentrum von Birmingham.
strahlt.   15
                Vom Bahnhof – auf dem Plan gelb markiert –
                                                                        Weiter nach Westen folgt der Chamberlain Square.
erreicht man die New Street, eine noch etwas ruppige
                                                                     Auch dieser theatralisch angelegte Platz wird durch ei-
Fußgängerzone, auf dem Plan grün gekennzeichnet.
                                                                     ne Treppenanlage geprägt (Abb. 3). Eine Passage ver-
Die New Street führt im Westen zu einer Folge von neu
                                                                     bindet den Chamberlain Square mit dem nächsten
gestalteten Plätzen, die nunmehr das repräsentative
                                                                     Platz, dem Centenary Square. Sie führt durch die Zen-
Zentrum von Birmingham bilden.16 (Diese zentrale
                                                                     tralbibliothek, ein typisches Monument des modernen
Platzfolge ist auf dem Plan blau markiert.) Es folgt das
                                                                     Städtebaus in Beton und Glas, das 1974 über dem
Leuchtturmprojekt des ganzen Zentumsumbaus in Bir-
                                                                     Concrete Collar errichtet wurde. Der riesige Centenary
mingham – das neue Quartier Brindley Place, auf dem
                                                                     Square wurde in den 30er Jahren als Civic Forum ge-
Plan flächig lila markiert. Nach Süden erstreckt sich das
                                                                     plant und in der aktuellen Form 1991 angelegt (Abb. 4).
Gas Street Basin, das nach Osten hin über das Groß-
                                                                     Auch er wird durch historische öffentliche Gebäude be-
projekt Mailbox zum Ausgangspunkt, dem Bahnhof, zu-
                                                                     herrscht. Im Zuge der Neuanlage kam 1991 das Inter-
rückführt. Beides ist blau markiert. Soweit der Ringweg,
                                                                     national Convention Centre hinzu.17 Vor dem Conven-
den wir jetzt beschreiten werden.
                                                                     tion Centre gibt es Raum für Open Air Konzerte und Arts
   Wenn man die New Street nach Westen geht, er-
                                                                     Festivals. Die Oberfläche des Platzes und das Straßen-
reicht man den Victoria Square, der früher eine Autover-
                                                                     mobiliar sind aufwendig gestaltet, auch ein Brunnen
kehrshölle war, Teil des Concrete Collar. Seit 1993 ist er
                                                                     durfte nicht fehlen (Abb. 5).
ein traditioneller öffentlicher Platz mit einem neuen, mo-
numentalen, von breiten Treppen flankierten Brunnen                     Hinter dem Centenary Square erstreckt sich eine der
mit Wasser-Kaskaden. Er wird von prächtigen öffentli-                spektakulärsten und größten Konversionsanlagen in

Abb.3: Birmingham, Chamberlain Square.                               Abb.5: Birmingham, International Convention Centre.
Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester
Harald Bodenschatz                 Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester       k                 3/2005 - 5

                                                                      Abb.7: Birmingham, Brindleyplace Square.

                                                                      Sitzmöglichkeiten gegliedert wird (Abb. 7). Nobilitiert
                                                                      wird der Hauptplatz durch ein kleines gläsernes, ele-
                                                                      gantes Café, das hier sehr klein in der Mitte des Bildes
                                                                      zu sehen ist. Ausschließlich Neubauten, die aufeinander
                                                                      abgestimmt sind, säumen den Platz, darunter die Land-
                                                                      mark des ganzen Quartiers: das turmbekrönte Büro-
                                                                      haus von Demetri Porphyrios, einem Verfechter traditio-
                                                                      neller, klassischer Architektur. Der zweite Platz, Oozells
                                                                      Square, zeigt ebenfalls ein aufwendiges Freiraumde-
                                                                      sign, so etwa eine diagonale Wasserrinne. Restaurants
                                                                      und Galerien säumen den Oozells Square (Abb. 8). Ne-
                                                                      ben Büros werden in den Gebäuden auch Wohnungen
Abb.6: Birmingham, Quartier Brindley Place.
                                                                      angeboten. Ein weiterer kleinerer Platz und mehrere
England überhaupt: das neue, mischgenutzte und                        Gassen vernetzen das Quartier im Inneren wie nach au-
hochgepriesene Quartier Brindley Place, dessen Ent-                   ßen. Auch an den Kanälen gib es weitere Wohnbauten.
wicklung 1998 abgeschlossen werden konnte (Abb. 6).                   Ein spektakulärer Neubau gibt dem Viertel ein besonde-
In Brindley Place kann man sehen, was aus dem dahin-                  res Gesicht: das moderne National Sealife Centre, das
modernden System der Industriekanäle gemacht wer-                     größte Inland-Aquarium Englands. Es wurde als Touri-
den kann: ein hipper, heiterer Ort mit Büros, Eigentums-              stenmagnet wie üblich von einem Stararchitekten ent-
wohnungen, Hotels, Shops, Kunstgalerien, Parkraum,                    worfen, von Norman Foster. Insgesamt ist das Quartier
Restaurants, Bars und Kultureinrichtungen für besser-                 sehr dicht bebaut, in der Höhe aber – mit Rücksicht auf
verdienende Bewohner, Angestellte und Touristen.                      die nahe gelegene historische Hauptstraße Broad
Schon die Namensgebung verweist auf eine neue Wert-                   Street – beschränkt.
schätzung des für Birminghams Aufschwung als Indus-
triestadt    ausschlaggebenden           Kanalsystems.      Denn
James Brindley war ein Kanal-Ingenieur und der Schöp-
fer des Birmingham Canal (1768). Tatsächlich prägen
die historischen Kanäle das neue Quartier. Hinweis-
schilder erinnern an die längst vergangene Geschichte
der Kanäle. Brücken und Uferwege erschließen diese
neue Welt. Dazu kommt eine ganze Sequenz fußgän-
gerfreundlicher neuer öffentlicher Räume.
   Das Herz des Quartiers bildet der Brindleyplace
Square, der durch Kunstwerke, Grünflächen, Baum-
gruppen, Treppen- und Wasseranlagen sowie unzählige                   Abb.8: Birmingham, Brindley Place, Oozells Square.
Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester
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Abb.9: Birmingham, The Mailbox.                                      Abb.10: Birmingham, Shopping Centre im Osten des Bahnhofs New
                                                                     Street Station. Neubau des Warenhauses Selfridges. Qelle: Corbett
                                                                     2004, S. 147.

   Vom Quartier Brindley Place gelangt man in Richtung               das größte Einzelhandelserneuerungsprojekt in Europa.
Südosten zum Gas Street Basin. Hier kann man erle-                   Teil dieses sehr umstrittenen Projekts war der Neubau
ben, wie die Kanäle selbst aufpoliert wurden – durch                 des Warenhauses Selfridges, das in heute so beliebter,
Säuberung des Wassers, die Anlage gepflasterter Wege                 modischer biomorpher Gestalt errichtet wurde (Abb
mit Bänken entlang des Kanals, durch die Sanierung                   10).18 Noch weiter östlich erstreckt sich das Eastside
historischer Bauten und die Errichtung neuer Gebäude.                Project. Dort finden wir wieder einen englischen Starar-
Die Kanäle sind zu einem Ereignisraum mit besonderer                 chitekten am Werk: Richard Rogers, der eine neue Bi-
Stimmung geworden – und zu einem Standort für exklu-                 bliothek als Symbol der Revitalisierung von Birming-
sive Eigentumswohnungen. Über die Kanalroute er-                     hams Eastside entworfen hat. Diese multifunktionale
reicht man bald einen weiteren spektakulären Großbau,                Bibliothek soll mit Weiterbildungsprogrammen auch
ein umgenutztes Postgebäude, The Mailbox genannt                     den weniger privilegierten Bewohnern dienen.19
(Abb. 9). Hier finden sich Büros, Designer-Shops, ele-
gante Restaurants, Hotels, Luxuswohnungen und Bars.
                                                                     Manchester reinvented - von der «World’s first
Die im Jahr 2000 eröffnete Mailbox gilt als der größte
                                                                     Industrial City» zur «Coolest City in Britain»
gemischt genutzte Baukomplex in England. Von der
Ostseite der Mailbox ist es nicht mehr weit zur New                  Manchester ist als führende Stadt der industriellen Re-
Street Station. Dieses Gebiet ist zurzeit eine Großbau-              volution nicht nur durch den Bericht von Friedrich En-
stelle. Ein neuer Platz ist vor der Mailbox geplant.                 gels gerade in Deutschland bekannt geworden. Mit
   Wenn das Gebiet entwickelt ist, wird der postindu-                diesem Namen verbindet sich eine besonders harte
strielle Ring öffentlicher Räume geschlossen. Die                    Form des Kapitalismus während der industriellen Revo-
Adressaten der Revitalisierungspolitik, die neuen urba-              lution. Weniger bekannt ist, dass schon im Jahre 79
nen Mittelschichten, bekommen dann eine ununterbro-                  nach Christus die Römer ein Fort im Südbereich des
chene Folge öffentlicher Räume geboten, die sie etwas                heutigen Zentrums bauten. Manchester hatte im Jahre
vergessen lässt, in welcher desolaten und verarmten                  1757 erst etwa 17.000 Einwohner. Bereits 1831 stieg
Stadt sie sich eigentlich bewegen, die sie vergessen                 die Einwohnerzahl Manchesters auf 182.000. Die Stadt,
lässt, dass sie in einer Stadt der «ethnischen Minoritä-             so heißt es, «schuf die erste industrielle Ökonomie und
ten» unterwegs sind, oder, positiver gesagt, die ein Ver-            Gesellschaft der Welt.»20 Auch Manchester wurde im
sprechen dafür ist, wohin die Reise der Urban Renais-                Zweiten Weltkrieg durch deutsche Luftangriffe teilzer-
sance gehen soll, die gerade erst begonnen hat. Denn                 stört. 1971 erreichte die Einwohnerzahl 541.500. 2003
weitere gewaltige Umnutzungsprojekte sind bereits ab-                wohnten nur mehr 432.500 Personen in der Stadt. Aber
geschlossen oder in Arbeit. So wurde das herunterge-                 diese Zahlen täuschen. Wenn man nur die innere Stadt
kommene, in den 60er Jahren errichtete Bull Ring Cen-                betrachtet, so schrumpfte dort die Einwohnerzahl zwis-
tre im Osten des Bahnhofs New Street Station im Jahr                 chen 1951 und 1981 um mehr als die Hälfte.21
2000 abgerissen und 2003 durch ein neues Shopping                    Manchester gilt als Stadt der Extreme, als Stadt in
Centre ersetzt. Dabei handelte es sich, so heißt es, um              dauernder Veränderung. «Die erste Industriestadt war
Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester
Harald Bodenschatz                Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester      k                      3/2005 - 7

auch die erste Stadt, die mit einer umfassenden Dein-
dustrialisierung Erfahrung machen musste»22 – und
zwar schon seit den 50er Jahren. Zwischen 1961 und
1983 verlor Manchester mehr als 150.000 Arbeitsplätze
in der Industrie.23 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts
betrug die Quote der Langzeitarbeitslosen 14,5 Prozent
und lag damit in etwa im Durchschnitt des Vereinigten
Königreichs. Während nur noch etwa 18 Prozent aller
Beschäftigten im gewerblich-industriellen Sektor arbei-
ten, ist die Quote im Dienstleistungssektor mit gut 57
Prozent erheblich höher. Dabei teilen sich der öffentli-
che und der private Sektor die Dienstleistungsar-                    Abb.11: Plan von Manchester. Quelle: Werbeblatt Welcome to City
                                                                     Centre Manchester, 1999.
beitsplätze.   24   Auch Manchester setzt auf den Service
Sector.                                                              Einkaufszentrum in Europa.27
  Die touristische Vermarktung der Stadt ist weit                       Der Zentrumsumbau von Manchester wurde nach ei-
fortgeschrittener als in Birmingham. Unterhaltung,                   nigen früheren Versuchen vor allem nach 1987 in Fahrt
Nachtleben, Kultur, Stadtgeschichte, historische wie                 gebracht. Eine wichtige Rolle spielten dabei Groß-
zeitgenössische Architektur, selbstverständlich Sport-               events, zum Teil der besonderen Art. Zuallererst der
ereignisse und nicht zuletzt spektakulär erneuerte oder              1992/93 gestartete Versuch, die Olympischen Spiele
neu geschaffene öffentliche Räume sollen den touristi-               2000 nach Manchester zu holen. Die Bündelung der
schen Aufwärtstrend stabilisieren. In der Stadtwerbung               Kräfte, die dieser Versuch mit sich brachte, führte zu ei-
wird Manchester heute als Coolest City in Britain ver-               ner Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Eli-
marktet.  25
                                                                     ten, die ein gemeinsames Ziel hatten: mit Hilfe der Spie-
  2004 kam die Stadt überdies bei einem Ranking                      le die Stadt zu revitalisieren. In diesem Kontext wurde
hinsichtlich der aufregendsten und unkonventionell-                  ein Entwicklungsprogramm formuliert, das auf das
sten («most bohemian») Städte auf Platz 1 in Großbri-                Stadtzentrum orientiert war.28 Es war dann der Bom-
tannien.26                                                           benanschlag der IRA im Zentrum der Stadt 1996, der
                                                                     dieser Orientierung neuen Schwung gab und den Höhe-
  Auch Manchester ist ein Brennglas der Politik der ra-
                                                                     punkt des Zentrumsumbaus in Manchester bewirkte.
dikal-modernen Stadterneuerung und der Suburbani-
                                                                     Denn dieser Anschlag wurde schnell als Chance für ei-
sierung vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg. Das
                                                                     ne radikale Neugestaltung erkannt.
zeigt sich in aller Härte ebenfalls im Zentrum, wenn-
gleich die autogerechte Straßenplanung nur in Ansät-                    Man findet dieses Wort immer wieder: Opportunity,
zen realisiert wurde. So wurden in den 50er und 60er                 Chance für einen Neubeginn.29 Dem gescheiterten
Jahren zahlreiche historische Bauten abgerissen und                  Werben um die Olympischen Spiele folgte 2002 schließ-
viele neue Bürobauten als solitäre Scheiben oder Hoch-               lich die erfolgreiche Abhaltung der Commonwealth-
häuser errichtet. Kleinteilige Strukturen mussten Groß-              Spiele. 2002 war zugleich ein Höhepunkt der Zentrums-
komplexen weichen. 1969 wurden zwei Bahnhöfe ge-                     renaissance: Im Kontext der Spiele wurden zahlreiche
schlossen.          Als   unübersehbarer     Höhepunkt       des     Umbaumaßnahmen fertig gestellt.
Städtebaus der Moderne wurde 1972-79 nach US-                           Im Zuge all dieser «Events» festigte sich seit 1987 ei-
amerikanischem Vorbild die Riesenanlage des Arndale                  ne neue Trägerschaft der Urban Renaissance – eine Ko-
Centre im Beton-Design errichtet, ein sperriges, intro-              alition von Akteuren, die auf eine radikale Umstrukturie-
vertiertes, unansehnliches, wenig stadtverträgliches                 rung der Stadt zugunsten des Service Sector setzte.
Einkaufszentrum auf zwei Ebenen mit Monsterpark-                     Dazu gehörte in erster Linie die Stadt selbst, dann aber
haus, Busbahnhof, Wohnungen und einem Bürohoch-                      auch Unternehmen des Dienstleistungssektors, im Be-
haus. Das Arndale Centre beschleunigte den weiteren                  reich des Tourismus, des Einzelhandels und der Unter-
Verfall ganzer Straßen im Zentrum. Es war zu seiner Er-              haltung, vor allem auch viele Personen, die in den zahl-
bauungszeit das größte überdachte innerstädtische                    losen Entwicklungsagenturen tätig waren und sind.30
Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester
Harald Bodenschatz                 Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester    k              3/2005 - 8

Abb.12: Millennium Quarter masterplan.
Quelle: http://www.cabe.org.uk/library/casestudy.asp?id=72

 Der neue Brennpunkt der Politik war auf Investitionen
und Entwicklung gerichtet, und nicht mehr, wie das Be-
obachter nannten, auf das Lecken der Wunden infolge
des Arbeitsplatzabbaus und der Einschnitte in die kom-
munalen Haushalte.31 Mit diesem Wandel veränderte
sich auch das Verhältnis der Labour-regierten Stadt                   Abb.13: Manchester, Urbis-Museum.

zum konservativ regierten Zentralstaat – aus einem Ge-
                                                                      auch ein wenig ein Symbol für die Art der Wiedergeburt
genspieler wurde die Stadt zum Mitspieler, ohne dass
                                                                      des Zentrums: Hinter der grandiosen Hülle aus Glas
sich die Stadtregierung personell veränderte. Das
                                                                      verbirgt sich zum einen ein Luxusrestaurant, zum ande-
stadtpolitische Projekt der New Urban Left in Manche-
                                                                      ren ein Museum zur Stadtkultur, dessen Ausstattung
ster hat in vielerlei Hinsicht die Politik der New Labour
                                                                      aber noch etwas dürftig ist – mehr Hülle als Inhalt. Ne-
Party von Tony Blair vorweggenommen.32 Das neue
                                                                      ben dem Urbis Museum erstrecken sich die neu ange-
Projekt zielte auf ein erneuertes, mischgenutztes Zent-
                                                                      legten Cathedral Gardens, ein Park, der sehr gefragt ist
rum mit fußgängerorientierten öffentlichen Räumen und
                                                                      und spektakuläre Blicke auf den Museumsbau erlaubt.
aufgewerteten Wasserlagen, das sich als touristische
Attraktion, als neues Zentrum für Kunst und Kultur dar-                  Selbst das im Osten an das neue Quartier angren-
stellt.33                                                             zende unbeliebte Arndale Centre, ein Saurier der Nach-
   Das bedeutendste neue Zentrumsquartier, das nach                   kriegsmoderne, erhielt seit 2003 eine Verjüngungskur.
dem Bombenanschlag der IRA von 1996 neu gestaltete                    Weitere Maßnahmen sind in Vorbereitung. Als wichtig-
Millennium Quarter westlich des Arndale Centre, kann                  ster neuer Raum entstand der Exchange Square, ein
als Musterbeispiel für eine Vernetzung neu geschaffe-                 dreieckiger, abschüssiger Platz, der mit zum Sitzen ge-
ner öffentlicher Räume angesehen werden (Abb. 12). Es                 eigneten Rampen und Wasserspielen fußgängerorien-
wurde kombiniert mit der Ansiedlung einer neuen An-                   tiert entworfen wurde (Abb. 14). Am Platz erstrecken
kernutzung, dem 1999 eröffneten Kaufhaus Marks &                      sich zwei Großkomplexe, die 2000 eröffnet wurden: das
Spencer, und dem Bau einer neuen, «ultramoder-                        Triangle, ein Shopping Centre für Design-Kleidung, so-
nen»Landmark, dem Urbis-Museum (Abb. 13).34 An der                    wie in der Bildmitte die Printworks, ein Unterhaltungs-
Stelle des Urbis-Museums war vorher «ein Parkplatz                    komplex mit Kino, Fitness-Center, Nachtklub, Pubs und
und zu Engels’ Zeiten ein Slum (...).»         35   Urbis ist aber    Restaurants. Ebenfalls am Platz stehen die ältesten
Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester
Harald Bodenschatz                Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester       k            3/2005 - 9

Abb.14: Manchester, Exchange Square.                                 Abb.16: Manchester, Great Northern Square.

Gebäude Manchesters, das Old Wellington Inn und Sin-                 südwestlichen Rand des Zentrums. Castlefield ist eine
clairs, zwei urtümliche Bauten, die schon mehrfach ver-              historische Landschaft besonderer Art. Dort finden sich
setzt und wiederaufgebaut wurden (Abb. 15). In der Nä-               die Reste eines stolz zur Schau gestellten römischen
he des Platzes finden sich noch viele weitere Shops für              Forts, Kanäle und Lagergebäude aus der Zeit der indu-
gut verdienende Mittelschichten.36                                   striellen Revolution und sogar das Gebäude des ersten
   Weiter südwestlich findet sich der 1999 fertig gestell-           Passagierbahnhofs der Welt (1834). Das Viertel gilt als
te Great Northern Square, ein völlig neu geschaffener                der erste Urban Heritage Park der Welt (1982) (Abb. 17).
öffentlicher Raum in Form eines römischen Theaters                   Es wurde mit massiven öffentlichen Mitteln neuen Nut-
(Abb. 16). Sein Name geht auf ein Eisenbahn-Gebäude                  zungen zugeführt – dem schicken Wohnen am Kanal,
zurück, das den Platz im Norden begrenzt wie be-                     aber auch neuen Vergnügungseinrichtungen.
herrscht: das Great Northern Railways Warehouse. Das
                                                                        Eines der jüngsten Projekte war schließlich die Er-
Baudenkmal beherbergt heute die typischen Mischnut-
                                                                     neuerung der verfallenen Piccadilly Gardens, der größten
zungen eines schicken Zentrums: Shops, Bars, Restau-
rants, Clubs, ein Multiplex-Kino, ein Fitness-Studio und             öffentlichen Freifläche des Zentrums. Sie wurde dadurch

nicht zuletzt Autoparkmöglichkeiten. Ganz in der Nähe                finanziert, dass ein Teil der Gardens als Baugrundstück
finden sich weitere wichtige neue Einrichtungen: ein                 für ein Bürohaus zweckentfremdet wurde. Die Gardens
Ausstellungszentrum, ein Kulturzentrum, ein Kongress-                erhielten eine radikal neue Gestalt mit weitflächigen Was-
zentrum und neue Bürobauten. Stufen und Rampen                       serspielen, Rasenflächen, Baumpflanzungen und einem
führen dort zu den Kanälen, die durch Fußwege er-                    Pavillon nach Plänen von Tadao Ando. Die 2002 fertig ge-
schlossen und durch Bars und Restaurants angerei-                    stellten Piccadilly Gardens dienen heute als Schauplatz
chert wurden.                                                        stadtweiter Events.37 Nördlich der Piccadilly Gardens hat
   Das Kanal-Ambiente spielt in einem weiteren Teil des              der postindustrielle Aufwertungsprozess das Northern
Zentrums eine noch wichtigere Rolle: in Castlefield am               Quarter inzwischen längst erreicht.38

Abb.15: Manchester, Exchange Square. Old Wellington Inn und          Abb.17: Manchester, Castlefield.
Sinclairs.
Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester
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Abb.18: Manchester, Salford Qays, Imperial War Museum North.         Abb.19: Manchester, Salford Quays, The Lowry.

   Nicht nur im Zentrum wurden die Wasserlagen auf-                     John Prescott hat Manchester kürzlich «the country’s
gewertet, sondern auch weiter im Westen, in Salford.                 regeneration capital» genannt.39 Das klingt vielleicht
Dort boten die aufgegebenen Docks am Manchester                      übertrieben, ist es aber vermutlich nicht. Jedenfalls gibt
Ship Canal die einzigartige Chance, große Wasserflä-                 es keine Zweifel: Manchester hat sich stark verändert.40
chen als Bühne neuer Gebäude zu nutzen. Hier finden                  Vor allem dort, wo der normale Besucher der Stadt
sich Wohnanlagen, aber auch riesige postmoderne,                     sich aufhält – im Zentrum. Die angestrebte Transforma-
neue Bürogebäude. Zwei atemberaubende Großkom-
                                                                     tion des Zentrums in eine 24-Stunden-Vergnügungs-
plexe beherrschen das nun Salford Quays genannte
                                                                     stadt41 erscheint realistisch. Europäische und nationale
Gelände: das 2002 eröffnete Imperial War Museum Nor-
                                                                     Fördertöpfe sowie Gelder der Nationalen Lotterie wur-
th von Daniel Libeskind (Abb. 18), und das 2000 eröff-
                                                                     den erfolgreich angezapft. Verändert hat sich aber auch
nete Kulturzentrum The Lowry mit einer einzigartigen
                                                                     die politische Konstellation der Stadtpolitik, und – als
Sammlung des Malers Lawrence Stephen Lowry (Abb.
                                                                     Folge dieses Wandels – die sichtbare Vermarktung der
19). Dieses eigentliche Zentrum der Salford Quais, ge-
                                                                     Stadt durch die Werbung. Aggressiver Optimismus,
plant seit 1992 von Michael Wilford, besitzt auch einen
                                                                     nicht das Jammern über Schrumpfung und Arbeitslo-
eigenen öffentlichen Raum, die Plaza, die das Kultur-
                                                                     sigkeit beherrscht die Selbstdarstellung der Stadt. Je-
zentrum mit der Galleria verbindet, einem Mix aus
                                                                     des neue Projekt wird offensiv vermarktet – mit irgend-
Shops, Kinos, Gastronomie und Wohnungen. Das gan-
ze Gelände ist aber bei weitem weniger belebt als das                welchen Superlativen, ganz anders als etwa die

Zentrum von Manchester. Und das aufgegebene Hafen-                   Projekte in Berlin. Manchester lobt sich selbst, wird
gebiet präsentiert sich heute als eine merkwürdige Mi-               aber auch gelobt – und heimst Preise ein für seine
schung von eher isolierten urbanen und suburbanen                    Politik.42
Anlagen.                                                                Etwas außerhalb der dynamischen, zentralen Ent-
   Ein beeindruckendes Beispiel für die Fähigkeit Man-               wicklungspole dämmern allerdings noch große Stadt-
chesters, sportliche Ereignisse zu einem urbanen Event
zu machen, war das Fußballendspiel der Champions
League am 28. Mai 2003. Die Stadt startete damals ein
«Festival Europa», das über elf Tage angelegt war. In
dieser Zeit wurden einige der neu geschaffenen öffentli-
che Räume zu einer heiteren urbanen Bühne, auf der
sich die zahlreichen Schlachtenbummler mit Einheimi-
schen trafen. Da das Endspiel zwischen AC Mailand
und Juventus Turin ausgetragen wurde, konnte man
sich schon fast in Italien fühlen. Selbst das Wetter spiel-
te mit – es war ungewöhnlich warm. Sie sehen hier den
                                                                     Abb.20: Manchester, Platz vor dem Rathaus zur Zeit der Champions
Platz vor dem Rathaus im Mai 2003 (Abb. 20).                         League im Mai 2003.
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Abb.21: Manchester, Hulme.                                      Abb.22: Manchester, Quartier Ancoats.

brachen vor sich hin. Jedoch sind die Anstrengungen             sich eine Stadt als wiedergeboren städtebaulich insze-
nicht zu übersehen, die Verhältnisse auch in sozial be-         niert, ohne die Wiedergeburt der Gesamtstadt hinsicht-
nachteiligten Quartieren am Zentrumsrand zu verbes-             lich der wirtschaftlichen Grundlagen schon wirklich voll-
sern. Manchester kann hier ein nationales Referenzpro-          zogen zu haben.
jekt43 vorweisen: die Erneuerung von Hulme, eines
                                                                   Urban Renaissance als Urban Theatre – eine Strate-
Stadtteils mit Sozialwohnungsbau am südlichen Rand
                                                                gie, deren Erfolg hinsichtlich des Imagewandels der
des Zentrums (Abb. 21).44 Dieser Stadtteil war ein Lehr-
buchprojekt der Stadterneuerung. In den 60er Jahren             Stadt nicht bestritten werden kann. Ein Erfolg, der gera-
wurden die als Slum qualifizierten Reihenhäuser der vik-        de in einer Welt mit zunehmend wichtigeren weichen
torianischen Ära abgerissen und durch architektonische          Standortfaktoren nicht unterschätzt werden darf.48
Großbauten des modernen Städtebaus ersetzt. Das                 Manchester rühmt sich wie Berlin eine «Stadt des Wis-
war damals eines der größten Kahlschlagsanierungs-              sens»49 zu sein – eine wichtige Voraussetzung für die
projekte in Großbritannien. Diese Großbauten wurden
                                                                erfolgreiche Anwerbung von Unternehmen. Die Stadt
nach 1992 wieder abgerissen und durch neue, niedrige
                                                                betont weiter, über die größte Konzentration von Unter-
Bauten mit funktionaler und sozialer Mischung ersetzt,
                                                                nehmen im Bereich der Medien, der kreativen Indus-
die sich in ein traditionelles Straßenraster einfügen. Das
                                                                trien, des Sport und des Tourismus außerhalb Londons
Quartier erhielt 2001 schließlich auch einen neuen Park.
Das Erneuerungsprojekt erhielt im Schlussbericht der            zu verfügen.50 Das selbst gesteckte Ziel, eine «führen-
Urban Task Force eine positive Würdigung.45                     de europäische Stadt»51 zu werden, die sich mit Berlin,

   Noch weiter außerhalb Richtung Nordosten erstreckt           Barcelona und Mailand vergleichen lässt,52 klingt im-

sich das durch aufgegebene große Industrieanlagen               mer noch sehr vermessen, erscheint aber nicht mehr
gekennzeichnete Quartier Ancoats – eine urbane Step-            völlig abwegig.
pe mit schlummernden Großbauten im Wartestand
(Abb. 22). Dieses Gebiet ist Teil des riesigen Regenera-
tionsprojekts New East Manchester, eines Projekts, das
über die Fähigkeit Manchesters entscheiden wird, die
Renaissance über das Zentrum hinauszuführen und da-
bei sozial benachteiligte Schichten mit auf den Weg zu
nehmen (Abb. 23).46 In East Manchester wurden bereits
einige große Sportanlagen errichtet.
   Urban Renaissance in Manchester meint vorerst vor
allem die Wiedergeburt des Zentrums, während Teile
des Zentrumsrands weiter verfallen. Die großen sozia-
len Probleme sind aus dem Blick, an den Rand ge-
drängt.47 Manchester ist ein Musterbeispiel dafür, wie          Abb.23: Manchester, Quartier Ancoats.
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Urban Renaissance – ein neuer Trend                                Um das Zentrum attraktiv zu machen, werden viele

Abschließend     möchte    ich   die   hier   vorgestellten     Projekte und Maßnahmen gestartet. Neue Mischnut-

Beispiele in einigen Überlegungen thesenhaft verallge-          zungsprojekte, Rückgewinnung öffentlicher Räume vor

meinern.                                                        allem zuungunsten von Autoverkehrsflächen, Nutzung
                                                                spektakulärer Wasserlagen, Ausbau des öffentlichen
  Strategisch zielt Urban Renaissance auf die Forcie-
                                                                Nahverkehrs, Bau neuer Museen oder anderer touristi-
rung des Abschieds von der Stadt der Industriegesell-
                                                                scher Attraktionen – das sind die wichtigsten Elemente
schaft zugunsten einer Stadt der Dienstleistungen. Die
                                                                der neuen Politik der Urban Renaissance. Teil dieser
Zukunft der Stadt, so die Botschaft, liegt im Service
                                                                Politik ist es, all diese Faktoren breit in der Öffentlichkeit
Sector, im Tourismus, im Kongresswesen, in der Kul-
                                                                zu propagieren und in einer geradezu aggressiven Posi-
turindustrie, in den Creative Industries, im exklusiven
                                                                tiv-Werbung zu bündeln. Diese Werbung blendet offen-
Shopping und Dining, in der Vergnügungsindustrie,
                                                                sichtliche Probleme aus und orientiert sich an den Wer-
aber auch im urbanen, teuren Wohnen. Adressaten der
                                                                bestrategien großer Unternehmen. Jammertöne sind
Urban Renaissance sind in erster Linie urbane wie sub-
                                                                verboten, von Schrumpfung wird nicht gesprochen,
urbane Mittelschichten – als Angestellte, Shopper, Be-
                                                                vom weiteren Verfall der Gebiete jenseits des Zentrums
wohner, als Touristen aus dem Umland wie von weiter-
                                                                auch nicht.
her. Den Bedürfnissen vor allem dieser sozialen
Schichten soll Urban Renaissance entsprechen – hin-                Die wichtigsten Projekte betreffen die Wiedergewin-
sichtlich der Gestaltung, der Nutzungsangebote und              nung oder Neuanlage von öffentlichen Räumen. Der öf-
der Sicherheit. Durch die Konzentration der beschränk-          fentliche Raum der Zentren wird ausdifferenziert – hin-
ten öffentlichen Mittel auf die Förderung einer attrakti-       sichtlich seiner Zugänglichkeit, Nutzungsmöglichkeiten
ven Dienstleistungsstadt, so die Überzeugung, kann die          wie seiner sozialen Adressaten. Insgesamt verändert er
Stadt eine neue ökonomische Grundlage erhalten und              sich zugunsten der Fußgänger. Dafür wird die Ausstat-
für den internationalen Wettbewerb fit gemacht werden.          tung der öffentlichen Räume verbessert. Für privat
Es werden zwar auch Projekte zur Erneuerung der sozi-           produzierte öffentliche Räume werden aufwendige land-
al benachteiligten Quartiere am Zentrumsrand gestartet          schaftsarchitektonische Planungen umgesetzt. Entschei-
– allerdings im Schatten der Zentrumsprojekte, und oft          dend ist, dass solche Räume nicht als Inseln produziert,
erst in einem zweiten Schritt. Sie zielen darauf, die so-       sondern miteinander vernetzt werden – in einer Art urba-
zialen Verlierer des Abschieds von der Industriegesell-         nem Lustwandelgang. Erst ihre Vernetzung erlaubt die
schaft, also diejenigen Schichten, die in und für Indus-        höchstmögliche Aktivierung der Potentiale der Zentren.
triegesellschaft sozialisiert worden sind und nun ohne             Architekten, Stadtplaner und Freiraumarchitekten
Arbeit dastehen, in die neue Dienstleistungswelt mitzu-         sind die Vollstrecker des Zentrumsumbaus, soweit sie
nehmen.                                                         sich der strategischen Generalorientierung unterord-
  Räumlich zielt Urban Renaissance zuallererst auf einen        nen. Urban Design und Architectural Design sind
Umbau des Stadtzentrums. Für eine Attraktivierung des           Schlüsselbegriffe der Urban Renaissance. Attraktivie-
Zentrums einer Großstadtregion werden die Kräfte gebün-         rung des Zentrums heißt in erster Linie: städtebauliche
delt. Im Gegensatz zur jahrhundertealten englischen Tra-        Attraktivierung. Diese soll dazu beitragen, eine heitere
dition der räumlichen Dezentralisierung der Großstädte          Bühne für die urbanen Mittelschichten zu schaffen. Da-
wird nunmehr einer radikalen Rezentralisierung das Wort         mit diese Bühne auch komplex bespielt werden kann,
geredet. Urban Sprawl wird als negativ, amerikanisch, we-       müssen sich die Nutzungen radikal ändern: freifinan-
nig nachhaltig gebrandmarkt. Gerade ein attraktives Zen-        zierte Wohnungen, Designershops, prestigeträchtige
trum, so die Annahme, kann die besten Standorte für den         Büroarbeitsplätze, Bars und Restaurants. Eine neue Art
Dienstleistungssektor bieten, nur ein attraktives Zentrum       der Nutzungsmischung zielt vor allem auf Freizeitver-
kann die hochmobilen urbanen Mittelschichten langfristig        gnügen inklusive Shopping während der Mittagspau-
an eine Stadt binden. Ein erneuertes Zentrum, so die Bot-       sen, zur Abendunterhaltung und während des Städte-
schaft, ist die beste Werbung für die weitere Stadtregion,      kurzurlaubs. Sie soll das Leben in den Zentren zu einem
die eigentliche wirtschaftsräumliche Einheit einer immer        besonderen Genuss machen. Von Bedeutung sind wei-
stärker globalisierten Ökonomie.                                ter die Bauten, die die öffentlichen Räume prägen.
Harald Bodenschatz          Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester     k                3/2005 - 13

Einige historische Gebäude werden umgenutzt und neu            Interessenblock im Stadtbauwesen, der sich von dem
inszeniert, viele Gebäude der Nachkriegsmoderne wer-           Interessenblock des modernen Städtebaus etwas un-
den umgebaut oder abgerissen, und Neubauten wer-               terscheidet. Der neue Interessensblock umfasst den
den mehr oder minder sorgsam in den urbanen Kontext            Zentralstaat, der bereits in der Spätphase der konserva-
eingefügt. Die Architektur dieser Neubauten ist äußerst        tiven Regierung auf eine Förderung der Urban
wichtig: Sie muss die soziale Distanz der neuen Stadt          Renaissance umgeschaltet hatte. Er umfasst die zahl-
der Mittelschichten zur Stadt der Vergangenheit gestal-        reichen staatlichen und halbstaatlichen Entwicklungs-
terisch zum Ausdruck bringen. Der Stil ist dabei zweit-        agenturen. Er umfasst weiter die Kommune, die städti-
rangig: In den neuen Quartieren finden sich Beispiele          sche      Ebene,    die   eine   Schlüsselrolle   bei    der
neomoderner wie neotraditioneller Architektur. Verein-         Ausarbeitung des Programms wie der Praxis der Urban
zelt werden neue Landmarks produziert, spektakuläre            Renaissance spielt. Er umfasst schließlich ein fragiles
Bauten, die von der Urban Renaissance künden sollen            Netzwerk aktiver Dienstleistungsunternehmer – vor al-
und deren architektonische Qualität durch die Beauftra-        lem aus der Kulturindustrie, der übrigen sog. Creative
gung von Stararchitekten unterstellt wird. An ausge-           Industries, aber auch Teile der Architektenschaft. Weiter
wählten Schlüsselorten wird die «Geschichte» der Stadt         zu nennen wären die innerstädtischen Grundeigentü-
aktiviert – durch Hinweistafeln vor Ort, durch Hinweise        mer und die Bauindustrie, aber auch große Investoren-
in den Werbeprospekten und Reiseführern.                       konsortien und Developer, die Urban Renaissance als
  Die neue soziale Orientierung verändert die Erwar-           Verkaufsschlager und Mittel zur eigenen Profilierung
tungen hinsichtlich des erwünschten Verhaltens im öf-          betrachten.
fentlichen Raum, die Regeln für dieses Verhalten wer-             Auffallend ist die starke Rolle der Stadt selbst, die
den neu erstritten – unter dem Motto mehr Sicherheit           Subventionen allerart akquiriert und für Schlüsselpro-
und Sauberkeit.                                                jekte einsetzt, die nicht nur dem Zentrum nützen sollen,
  Gerade in den englischen Städten werden in extensi-          sondern die Botschaft der Urban Renaissance auch in
ver Form Überwachungskameras zur Kontrolle einge-              die übrige Welt tragen sollen.53 Die neue englische
setzt und Kampagnen gegen Unsocial Behaviour                   kommunale Planungspolitik bedeutet also keineswegs
durchgeführt. Gefühlte Sicherheit wird zum Maßstab ei-         den Rückzug der Stadt aus der Planung – die Städte er-
nes «guten» öffentlichen Raumes. Belästigungen jegli-          hielten nach einer radikalen Entmachtung zu Beginn der
cher Art sollen vermieden werden. Gefühlte Sicherheit          Thatcher-Ära inzwischen wieder einige Kompetenzen
wird zum Maßstab eines «guten» öffentlichen Raumes –           zurück.
auch bei ärmeren sozialen Gruppen. Zudem ist Sauber-
                                                                  Sie impliziert auch keineswegs einen vollständigen
keit gefragt: Graffiti werden nicht geduldet, ebenso we-
                                                               Abbau der Subventionen. Im Gegenteil: Es werden wei-
nig wie «hässliche» Werbetafeln, die öffentlichen Räu-
                                                               terhin immense öffentliche Mittel eingesetzt – Mittel von
me werden häufig gereinigt. Der öffentliche Raum wird
                                                               der EU, vom Zentralstaat, aber auch – das ist eine eng-
darüber hinaus zunehmend Gegenstand von kultureller
                                                               lische Besonderheit – in großem Umfang aus der Lotte-
wie kommerzieller Animation. Das Auto wird vornehm-
                                                               rie. Entscheidend ist vielmehr die neue Orientierung –
lich optisch entsorgt. Der öffentliche Nahverkehr wird
                                                               weg von der vorrangig sozialstaatlichen Förderung der
verbessert.
                                                               Opfer des Abschieds von der Industriegesellschaft, die
  Im Schatten der Zentrumsrevitalisierung und zeitlich         gerade in den Labour-regierten englischen Industrie-
oft in einem zweiten Schritt werden auch Projekte jen-         städten eine große Tradition hatte, hin zu einer projekt-
seits der Zentren gestartet, dort, wo die arme Bevölke-        bezogenen Förderung vor allem zugunsten der urbanen
rung lebt und die sozialräumlichen Probleme besonders          Mittelschichten, die von einer Politik der versuchten
gravierend sind. Solche Projekte betreffen etwa Wohn-          Mitnahme sozial benachteiligter Gruppen begleitet
verhältnisse und Weiterbildungseinrichtungen.                  wird. Dieser fundamentale kommunale Politikwandel
  Urban Renaissance bedarf einer Trägerschaft, einer           vollzog sich in der Regel innerhalb der Labour Party
expliziten oder impliziten Koalition von Gruppen, die          selbst, ja zum Teil innerhalb der führenden Personen
sich von der Urban Renaissance etwas versprechen.              dieser Partei. Manchester und London sind Musterbei-
Urban Renaissance stützt sich auf einen herrschenden           spiele für diesen Politikwechsel durch ein und dieselbe
Harald Bodenschatz            Vorbild England: Urban Renaissance in Birmingham und Manchester   k               3/2005 - 14

Person – durch Graham Stringer in Manchester und                 tisch vorgeführt hat. Für die Leitung der städtebauli-
durch Ken Livingstone in London. Geschmiedet wurden              chen Initiativen der Prince’s Foundation, der operativen
die neuen Koalitionen in den Städten im Rahmen der               Einrichtung von Prinz Charles, wurde zu Beginn dieses
Vorbereitung großer Projekte, auf nationaler Ebene               Jahres Hank Dittmar gewonnen, Vorsitzender des
durch große Events wie Urban Summits.                            Council for the New Urbanism in den USA und von der

   Im Zuge der Durchsetzung der Strategie der Urban              professionellen Herkunft her kein Architekt, sondern ein

Renaissance haben sich die Beziehungen des briti-                Lobbyist des öffentlichen Nahverkehrs. Auch George

schen Städtebaus zur US-amerikanischen Reformbe-                 Ferguson, Präsident des Royal Institute of British Archi-

wegung des New Urbanism verstärkt. Das erscheint nur             tects, betreibt seine verbandspolitische Wende in Rich-

für den verblüffend, der immer noch glaubt, New Urba-            tung Städtebau mit explizitem Bezug auf den New Ur-

nism wäre vor allem eine Propagandabewegung für tra-             banism in den USA wie auf kontinentaleuropäische

ditionelle Architektur. In der Tat sind die programmati-         Referenzstädte.54
schen Gemeinsamkeiten zwischen der Strategie der                    In England, so bleibt zusammenzufassen, hat sich
Urban Renaissance und dem New Urbanism zahlreich.                unter dem Begriff der Urban Renaissance in den 90er
Auch New Urbanism richtet sich zuallererst gegen den             Jahren eine besondere Form des Stadtumbaus, der
Sprawl, die suburbane Zersiedlung, er orientiert auf die         städtebaulichen Transformationspolitik verfestigt. Die
Revitalisierung der Städte, insbesondere der Down-               Merkmale dieser besonderen Form betreffen die strate-
towns, seine sozialen Adressaten sind die Mittelschich-          gische Zielsetzung, die räumliche Ebene, die zentralen
ten, er propagiert – wie John Prescott – die Stärkung            Projekte und die Trägerkonstellation. All diese Merkma-
der lokalen Communities, und er setzt schließlich auf ei-        le der Urban Renaissance führen zu einer bemerkens-
nen neuen herrschenden Interessenblock im Stadtbau-              werten Vernetzung von europäischen Revitalisierungs-
wesen, in dem die öffentliche Hand eine strategische             strategien mit den Strategien des US-amerikanischen
Rolle übernimmt und der private Sektor in der Umset-             New Urbanism. Damit ist ein neuer Typus des Zentrum-
zung dominant ist. Auch die empfohlenen Maßnahmen                sumbaus benannt, der sich von früheren Typen deutlich
der von der britischen Regierung eingesetzten Urban              unterscheidet.
Task Force sind nicht weit vom Programm des New Ur-
                                                                    Ein Typus, den wir keineswegs nur in England vorfin-
banism entfernt. Selbst das städtebauliche Manifest
                                                                 den. Die Grundzüge der Urban Renaissance finden sich
«Cities for a small planet» von Richard Rogers ist im
                                                                 auch auf dem Kontinent – vielleicht zum ersten Mal in
Analyseteil den Positionen des New Urbanism außeror-
                                                                 ausgereifter Form in Barcelona, aber auch in Paris, in
dentlich nahe, im Analyseteil, nicht im Projektteil.
                                                                 Moskau und in Berlin. Und selbst in Bella Italia, etwa in
   Wie zeigt sich nun der neue Bezug zum New Urba-               Rom, Bologna oder jüngst in Genua, der Kulturhaupt-
nism? John Prescott, der mächtige Städtebauminister              stadt Europas 2004. Urban Renaissance ist ein domi-
der Regierung Blair, auch als Freund spektakulärer               nanter städtebaulicher Trend in Europa. Alle Städte wol-
Wow-Architecture bekannt, hat auf einer USA-Reise ei-            len    heute      Dienstleistungsstädte   werden,      sie
nige Referenzprojekte des New Urbanism besichtigt                konkurrieren um ähnliche Unternehmen, um ähnliche
und positiv gewürdigt, darunter Seaside in Florida und           soziale Schichten, und sie setzen ähnliche Instrumente
Milwaukee in Wisconsin. Der vielleicht bedeutendste              ein, um in dieser Konkurrenz bestehen zu können: auf-
ausländische Redner auf dem Urban Summit in Man-                 gewertete Zentren, die sich allerdings in ihrer räumli-
chester war John Norquist, Präsident des Council for             chen Struktur und in ihrer Geschichte unterscheiden.
the New Urbanism.                                                Von daher auch die große Aufmerksamkeit, die der kul-

   In seiner Grundsatzrede auf dem Urban Summit hat              turellen Konstruktion der Stadtgeschichte wie der In-

Städtebauminister John Prescott die Verknüpfung von              szenierung besonderer öffentlicher Räume zu Teil wird.

«amerikanischem New Urbanism und europäischer Tra-               Was weit weniger deutlich wird, ist die soziale Flankie-

dition» explizit beschworen. John Prescott rückte auch           rung dieser Orientierung in den verschiedenen Städten

etwas näher an die städtebaulichen Positionen von                Europas.

Prinz Charles heran, die dieser etwa in Poundbury, einer            Was England auszeichnet, ist eine kompakte Strate-
Stadterweiterung von Dorchester in Südengland, prak-             gie, an der die staatliche wie die kommunale Ebene an
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