Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...

 
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Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
Das Magazin für Führungskräfte
Ausgabe 6/2019

                                                                                       Vorsicht,
                                                                                       Überlast!
                                                                                   Wie Führungskräfte Zeit- und
                                                                                  Leistungsdruck managen, bevor
                                                                                           es zu spät ist

AUS FEHLERN LERNEN                     TATORT ARBEITSPLATZ                  KRANK INS BÜRO?
Von der Schuldkultur zur Lernkultur:   Wie Führungskräfte gefährdete        Lieber nicht! Der sogenannte
So gelingt der Umgang mit Fehlern 08   Beschäftigte entlasten können   12   Präsentismus ist keine Kleinigkeit   14
Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
I N H A LT

                                                                                                                                       8
                                                                                          AUS FEHLERN
                                                                                            LERNEN

                                                            4                      Weg von der Schuldkultur,
                                                                                   hin zur Lernkultur: So kann
                                                                                      der gute Umgang mit
       – machen Sie Sicherheit und                                                      Fehlern gelingen
Gesundheit zu Ihrem Tagesordnungspunkt
Nummer eins.

Immer alles sofort, am besten gleichzeitig:
Der Druck in der Arbeitswelt ist groß. Durch
viele äußere Einflüsse, Stichwort Fach-
                                                                                                                          12
kräftemangel, sind die Belastungen auch                                                                                                            TAT O RT
nicht so einfach zu reduzieren. Ein mög-                                                                                                      A R B E I T S P L AT Z
licher Ansatz: Wer sich selbst und seinen
                                                                                                                                         Wenn Beschäftigte oft mit

                                                                                                                                                                                   Illustrationen: Thomas Walloch; DGUV; Getty Images/gt29; flaticon.com
Beschäftigten gegenüber eingesteht, dass
Zeit- und Leistungsdruck dazugehören,                                                                                                    Gewalt konfrontiert wer-
kann damit konstruktiv umgehen.                                                                                                           den, müssen Führungs-
                                                                                                                                           kräfte gegensteuern
Dann müssen Teams zwar immer noch dem
Druck standhalten, erfahren dafür aber
Wertschätzung. Zudem können Führungs-
kräfte und Beschäftigte gemeinsam überle-
gen, wie Belastungen und Ressourcen am
besten verteilt werden, so dass die Arbeit
für alle gut oder besser zu schultern ist.                                               R ECH T L I CH E U P DAT ES                         E M P F O H L E N ZU M ...
                                                                                                 S eite 11                                           S eite 2 0
Das heißt natürlich nicht, dass Beschäf-
tigte und Führungskräfte alles hinnehmen                                                    KRANK INS BÜRO?                                         I M B L I CK :
und nur ihre Einstellung ändern müssen.                                                      L I E B E R N I CH T !                         W E I H N ACH TSST R ESS
Neben strukturellen Änderungen gibt es

                                                                                                                                                                                   Fotos: Getty Images/AydAn Mutlu/ollo/Piotr Marcinski/EyeEm
                                                                                                   S eite 14                                         IM GRIFF
einige weitere Stellschrauben für Führungs-                                                                                                          S eite 2 1
kräfte. Ob Pausenkultur, Selbstsorge oder
                                                                                      AU S W I SSE N S CH A FT U N D
Umverteilung: Richtig eingesetzt, können
                                                                                              F O R S CH U N G :                         H AU SM E I ST E R I N CO N N Y :
diese Maßnahmen für Entlastung und ein
                                                                                     G ES U N D B E R U F L I CH M O B I L                W E I H N ACH TSW I CH T E L N
besseres Betriebsklima sorgen.
                                                                                                 S eite 16                                           S eite 2 2

Wie Sie Zeit- und Leistungsdruck ablassen
                                                                                              G E FA H R STO F F E :                   AU F D E N P U N K T G E B R ACH T:
können, erfahren Sie in der        -Titel-
                                                                                              E I N Ü B E R B L I CK                   Z WA N G ZU R T E I L N A H M E A M
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                                                                                                   S eite 18                                  B E T R I E B SF EST ?
                                                                                                                                                   S eite 2 3

IMPRESSUM
       , 2. Jahrgang, erscheint zweimonatlich, Entgelt für den Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten // Internetadresse: topeins.dguv.de //
Herausgegeben von: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV), Vorsitzende des Vorstandes: Volker Enkerts, Manfred Wirsch,
Hauptgeschäftsführung: Dr. Stefan Hussy, Glinkastraße 40, 10117 Berlin, Telefon: 030 13001-0, Fax: 030 13001-9876, E-Mail: info@dguv.de,
Internet: www.dguv.de, Umsatzsteuer-Identifikationsnummer: DE123382489, Vereinsregister-Nr.: VR 751 B beim Amtsgericht Charlottenburg //
Redaktionsbeirat: Jens Ackermann, Renate Bantz, Gregor Doepke, Julia Fohmann, Karsta Herrmann-Kurz, Prof. Dr. Frauke Jahn, Gerhard Kuntze-
mann, Dirk Lauterbach, Dr. Ralf Michaelis, Ina Neitzner, Meike Nohlen, Michael Quabach, Rike Schmickler-Bouvet, Dr. Ronald Unger, Dr. Martin Weber,
Dr. Thorsten Wiethege, Dr. Monika Zaghow, Holger Zingsheim, Dr. Klaus Zweiling // Leserservice: redaktion@topeins.dguv.de. Bitte geben Sie bei
Adressänderungen, Abbestellungen etc. möglichst Ihre Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse an. // Verlag: CW Haarfeld GmbH, Luxemburger Str. 449,
50939 Köln, www.cwh.de // Chefredaktion: Stefan Boltz (verantwortlich), Kathrin Baltscheit (Stellvertretung), DGUV // Redaktion: Kai Stiehl
(Redaktionsleiter), Markus Fischer, Lena Markmann, Manuela Müller, Maren Zeidler // Druck: Print- und Medienproduktion Hamburg GmbH,
Moorfleeter Deich 312 a, 22113 Hamburg // Grafisches Konzept: CW Haarfeld GmbH // Titelbild dieser Ausgabe: Thomas Walloch //
Stand dieser Ausgabe: 13.11.2019 // Die nächste Ausgabe erscheint am 12.02.2020.
Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
D
                                                                                                er Duft der Arbeit.
                                                                                                Weder in Deutsch-
                                                                                                land noch auf inter-

S
                                                                                         nationaler Ebene gibt es
       martphone aus – Erholung an. Im Privaten wie
                                                                                         bisher ein etabliertes Ver-
       im Job ist es ein ständiger Begleiter: das Mobil-
                                                                                         fahren, wie Geruchsstoffe
       telefon. Gleichzeitig klagen viele Menschen über
                                                                     in der Innenraumluft zu bewerten sind. Gerade
Ablenkung, Konzentrationsmangel und die permanente
                                                                     Gestank wird aber häufig als sehr störend wahr-
Erreichbarkeit. Nun zeigt eine Studie der International
                                                                     genommen und ist oftmals sogar Anlass für Mes-
School of Management (ISM) in Hamburg, dass bewusste
                                                                     sungen, weil Schadstoffe vermutet werden. Das
Auszeiten vom Smartphone sich positiv auf unsere psy-
                                                                     zeigen aktuelle Daten aus einem Forschungspro-
chische Erholung auswirken. Bei regelmäßigen Pausen
                                                                     jekt des Umweltbundesamtes. Und auch wenn
nimmt das Verlangen nach dem Gerät ab, das Abschalten
                                                                     eine gesundheitliche Gefährdung ausgeschlos-
von der Arbeit gelingt besser und es fällt leichter, zu re-
                                                                     sen wird, kann die Wahrnehmung eines Geruchs
generieren. Die Studienteilnehmenden verzichteten für
                                                                     über das übliche Maß belasten. Zurzeit wird des-
einen Zeitraum von zehn Tagen bewusst auf ihre Smart-
                                                                     halb diskutiert, ob Gerüche bei der Festlegung
phones und beantworteten Fragen zu ihrer subjektiven
                                                                     von Arbeitsplatzgrenzwerten für den (Büro-)
Befindlichkeit. Die Ergebnisse zeigen: Das Verlangen
                                                                     Innenraum berücksichtigt werden sollten. Duft
nach dem Smartphone nahm deutlich ab, je länger auf
                                                                     und Gestank sind aber schwer zu messen – sie
das Gerät verzichtet wurde. Die Fähigkeit zur Erholung
                                                                     sind höchst subjektiv, stark an Emotionen ge-
nahm hingegen zu. Je schwächer der Wunsch nach dem
                                                                     koppelt und sprachlich schwer zu umschreiben.
Gerät war, desto besser jedoch erholten sich die Studien-
                                                                     Das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin
teilnehmenden. Vielen Smartphone-Nutzenden gelingt
                                                                     (IPA) setzt deshalb das sogenannte Polaritäten-
es nur schwer, das Telefon aus der
                                                                     profil ein, um Gerüche (möglichst) objektiv zu
Hand zu legen, auch wenn sie es
                                                                     erfassen. Dabei werden Wortpaare für die Be-
eigentlich möchten. Deshalb emp-
                                                                     schreibung des Geruchs verwendet, aus denen
fehlen die Autorinnen der Studie,
                                                                     die Betroffenen auswählen müssen – am Ende
in Unternehmen und Bildungsein-
                                                                     entstehen daraus sogenannte Geruchsprofile.
richtungen smartphonefreie Zonen
einzurichten.                                                           t1p.de/m4tb

   t1p.de/ha03

              Film ab! beim kommmitmensch Film & Mediafestival der A+A 2019. Abgeräumt
              haben die Azubis der BASF Colors and Effects GmbH. Gleich drei Preise nahmen
              die Jugendlichen aus Ludwigshafen für ihren Kurzfilm „999“ mit nach Hause. Im
              Düsseldorfer Messekino wurden am 7. November die besten Beiträge des Festivals aus-
              gezeichnet. Die Beteiligten waren sich einig: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit
              können über Filme besonders gut vermittelt werden – dafür braucht es nicht allzu viel
              Technik und Know-how, aber ein wenig Mut. Alle ausgezeichneten Beiträge gibt es unter:

                 kommmitmensch.de > „Gewinner 2019“

                                                                             Sicher. Gesund. Miteinander.

                                                                                               6/2019                   3
Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
SE R I E A R B E I T E N 4.0

        Serie
„Arbeiten 4.0“
Die Arbeitswelt der Zukunft wird (noch)
digitaler, flexibler und vernetzter. Doch
wird sie auch besser sein? Werden die
Menschen selbstbestimmter und gesünder
arbeiten?

Die Digitalisierung der Arbeitswelt, kurz
Arbeiten 4.0, schafft neue Rahmenbedin-
gungen für den Arbeitsschutz.
         betrachtet mit einer sechsteiligen
Serie das Thema Arbeiten 4.0 genauer:
Unter den Titeln „Erreichbarkeit“, „Flexi-
bles Arbeiten“, „Führen 4.0“, „Neue
Technologie“, „Neue Schlafkultur“
sowie „Zeit- und Leistungsdruck“ werden
prägende Aspekte der neuen Arbeitswelt
mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen
vorgestellt. Zudem rückt          Ansätze in
den Blickpunkt, wie Führungskräfte mit den
neuen Entwicklungen umgehen können.

                    Serie
                 Arbeiten 4.0

                    THEMA

                                               N
          Zeit- und                                     ach diesem Projekt wird es einfacher“,
       Leistungsdruck                                   „Ja, der Kunde ist schwierig, aber das wird
                                                        schon“, „Wenn die Kollegin wieder da ist,
                                                        können Sie Aufgaben abgeben“, „Setzen
                 Teil 6/6                      Sie Ihre Prioritäten doch anders“ oder gar „Machen
                                               Sie sich mal locker“. So oder so ähnlich antworten
                                               Führungskräfte auf Klagen der Beschäftigten über zu
                                               kleine Zeitbudgets für zu große Anforderungen. Das
                                               Gleiche bekommen sie selbst zu hören, wenn sie bei
                                               ihrem Management vorsprechen.

                                               Tatsächlich ist weder das nächste Projekt einfacher
                                               noch der neue Kunde. Die eine Kollegin kommt
                                               zurück, doch dann fehlt jemand anderes. Prioritäten
                                               setzen ist kaum möglich – die Arbeit fällt einem auf
                                               die Füße. Der Grund: Aufgaben sind zu eng getaktet.
                                               Hinzu kommen immense Komplexität und starke
                                               Regulierung sowie hochgesteckte – teilweise wider-
                                               streitende – Ziele.

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Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
Vorsicht,
                                  Überlast!
                                  Die Belastung in der Arbeitswelt ist oft hoch
                                  und auch nicht so einfach zu reduzieren. Wer
                                  dies sich selbst und seinen Beschäftigten
                                  gegenüber eingesteht, kann mit Zeit- und
                                  Leistungsdruck konstruktiver umgehen.

                                                                            Es scheint, als fordere das dauerhaft hohe Pensum sei-
                                                                            nen Tribut. Eine technische Störung, das nächste Mee-
                                                                            ting, der Anruf einer Kundin oder die Kurznachricht
                                                                            des Kindes, das früher nach Hause kommt, lassen
                                             Illustration: Thomas Walloch

                                                                            keinen „Flow“ entstehen. Also lieber mal die Pause
                                                                            sausen lassen – laut BAuA-Arbeitszeitreport 2016 ent-
                                                                            scheiden sich 20 Prozent der Befragten häufig dafür.
                                                                            Der Grund: Die Arbeitsmenge sei anders nicht zu be-
                                                                            wältigen. Aber schafft man dadurch mehr? Dr. Sabine
                                                                            Gregersen, Psychologin bei der Berufsgenossenschaft
                                                                            für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW),
                                                                            verneint das. „Wer die Pause auslässt, arbeitet zwar
Weniger Druck, dennoch mehr Belastung                                       länger, aber deutlich weniger effektiv. Zugleich steigt
Dabei scheinen Zeit- und Leistungsdruck etwas ab-                           die Gefahr von Fehlern und Unfällen“, so Gregersen.
genommen zu haben. Dies zeigt eine Erwerbstätigen-                          Wo Beschäftigte durcharbeiten, liegt das oft am „Vor-
befragung durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz                         bild Vorgesetzte“. Führungskräfte nutzen laut Statistik
und Arbeitsmedizin (BAuA). Die Ergebnisse aus dem                           ihre Pause noch seltener als ihre Mitarbeiterinnen und
Jahr 2018 lassen sich über zwölf Jahre vergleichen und                      Mitarbeiter. Die Expertin der BGW rät: gemeinsam
spiegeln die Einschätzungen in puncto belastende                            eine Pausenkultur einführen!
Arbeitsbedingungen wider. Das Belastungsempfin-
den jedoch ist nicht gesunken: Das 2006 schon hohe
Niveau ist trotz intensiver Anstrengungen in der                            Tipp 1: Pausen (ernst) nehmen
Prävention in der Summe nicht weniger geworden.                               Fest in den Arbeitstag integrierte Pausen helfen, ein
Multitasking und Unterbrechungen sind aktuell leicht                          hohes Arbeitspensum gut zu bewältigen.
angestiegen, andere Faktoren werden jedoch weniger                            Erholsam sind Pausen, die eine echte Auszeit darstel-
häufig genannt: starker Termin- oder Leistungsdruck                           len – also möglichst den Arbeitsplatz verlassen und
und sehr schnelles Arbeiten. Trotzdem wird an den                             etwas anderes tun als dort: Wer am Schreibtisch sitzt,
Arbeitsplätzen nicht aufgeatmet. Im Gegenteil: Mehr                           geht spazieren. Wer körperlich arbeitet, legt die Beine
Menschen geben an, sich belastet zu fühlen.                                   hoch und ruht aus.
                                                                              Kurzpausen von wenigen Minuten steigern die Leis-
                                                                              tungsfähigkeit nachweislich.                            >

                                                                                                               6/2019                     5
Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
SE R I E A R B E I T E N 4.0

         > Durcharbeiten ist keine Dauerlösung                                                  Der Soziologe Prof. G. Günter Voß erforscht Zeit- und
           Um ihr Pensum leisten zu können, streichen Beschäf-                                  Leistungsdruck. Er zieht nach einer aktuellen Be-
           tigte nicht nur Pausen, sondern verschieben auch den                                 fragung von 52 Fach- und Führungskräften unter
           Feierabend. Das kann mal entlastend wirken, um et-                                   dem Titel „Professioneller Umgang mit Zeit- und
           was in Ruhe abzuarbeiten. „Eine Dauerlösung darf das                                 Leistungsdruck“ im Auftrag der BAuA Bilanz: „Viele
           nicht sein“, warnt Prof. Dr. Dirk Windemuth vom Insti-                               der Befragten wissen gar nicht, wie sie mit dem Druck
           tut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetz-                                  umgehen können.“ (Interview mit Prof. Voß in der
           lichen Unfallversicherung (IAG). Tatsächlich werden                                  topeins 6/2018, Seite 16) Die Belastung zu leugnen sei
           so die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen unterlaufen,                               sinnlos – es verspiele die Handlungsoptionen. Wichtig
           die für den gesundheitsgerechten Ausgleich sorgen.                                   sei zunächst die Selbstsorge. Vorgesetzte sollten sich
           Der Europäische Gerichtshof hat deshalb im Mai                                       den Druck, unter dem sie stehen, bewusst machen, wo
           unterstrichen: Unternehmen sind verpflichtet, Arbeits-                               möglich Ursachen angehen und sich selbst Leistungs-
           zeitgesetze einzuhalten und dies zu dokumentieren.                                   grenzen setzen.
           Wie sollen Beschäftigte ihre Aufgaben in den be-
           grenzten Zeitfenstern bewältigen können? „Ein erster
           Schritt kann für alle Beteiligten sein, Privates und                                 Tipp 3: für sich selbst sorgen
           Berufliches möglichst klar voneinander abzugrenzen“,                                   Anzeichen für Überforderung kritisch beobachten
           betont Windemuth.                                                                      Für emotionalen und körperlichen Ausgleich sorgen
                                                                                                  Auf ausreichende Erholungsphasen und guten
                                                                                                  Schlaf achten
             Tipp 2: Berufliches und Privates klar trennen                                        Sich in kritischen Phasen privat und beruflich Unter-
                Gesetzliche Arbeits- und Erholungszeiten einhalten                                stützung sichern
                Im Job weniger private Messengerdienste und Social                                Mit eigenen und fremden Anforderungen prag-
                Media benutzen und zuhause keine dienstlichen E-                                  matisch umgehen
                Mails checken                                                                     Aufgabenfülle bewusst begrenzen
                Berufliche Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit
                und private Erreichbarkeit innerhalb der Arbeitszeit                            Überforderung erkennen
                absprechen und Regeln festlegen                                                 Wer so mit sich selbst umgeht, hat auch einen Blick
                Flexible Arbeitszeiten als Gestaltungsinstrument                                für die Leistungsgrenzen von Beschäftigten. Anzei-
                nutzen                                                                          chen dafür sind Gereiztheit und Unruhe, Klagen über
                Homeoffice nur unter bestimmten Bedingungen an-                                 Kopf-, Rücken- oder Magenbeschwerden, Herz-Kreis-
                bieten (siehe topeins, Ausgabe 4/2019, Seite 4–7)                               lauf-Probleme, häufige krankheitsbedingte Abwesen-
                                                                                                heit oder überlange Arbeitszeiten. Auch achten sollten
                                                                                                Führungskräfte auf Anwesenheit trotz Krankheit, auf
         Welchen Bedingungen sind die Beschäftigten                                             den Konsum von Medikamenten oder Drogen sowie
         in welchem Umfang ausgesetzt?                                                          auf sinkende Qualität der Arbeit.

                                                                                                Darüber zu sprechen, ist nicht einfach. Vor allem,
            Verschiedene Arbeiten                                       59 %
             gleichzeitig betreuen
                                                                                                wenn das Unternehmen von einer Leistungskultur
                                                                        58 %                    geprägt ist, die kritische Stimmen als „Low Perfor-
                                                                         60 %                   mer“ stigmatisiert. Zudem können Beschäftigte selten
              Starker Termin- oder                                 54 %                         einen bestimmten Belastungsgrund nennen. Wolfgang
                   Leistungsdruck                                                               Engelhorn, ein auf Stressmanagement spezialisierter
                                                                  52 %
                                                                48 %                            Businesscoach, empfiehlt dann, ein „Stresstage-
                                                                                                buch“ zu führen. Oft wird sichtbar, dass der Druck auf
                   Störungen und                              47 %
             Unterbrechungen bei
                                                                                                mehreren Ebenen entsteht – eine belastende familiäre
                                                             44 %                               Situation, eine neue Anforderung oder ein Konflikt am
                        der Arbeit
                                                              46 %                              Arbeitsplatz, die Angst vor Kündigung.
             Sehr schnell arbeiten                         45 %
                                                        39 %                                    Laut Voß akzeptieren Beschäftigte hohen Druck we-
                                                      34 %                                      niger als Führungskräfte. Wichtig ist für Vorgesetzte
                                                                                                zu erkennen, ob Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter
            Arbeiten an der Grenze        17 %
            der Leistungsfähigkeit
                                                                                                beispielsweise in einer privat belastenden Lebenssi-
                                         16 %                                                   tuation oder auch mit zunehmendem Alter veränderte
                                         16 %                                                   Optionen brauchen. Schließlich sind Erwerbstätige in
                                                                                                Deutschland im Schnitt 44 Jahre alt – diese Zahl hat
                                             2006               2012              2018          das Statistische Bundesamt für das Jahr 2018 ermittelt.
                                       Quelle: baua: Fakten „Zeitdruck und Co – Wird Arbeiten
                                       immer intensiver und belastender?“

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Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
Stellschrauben im Team finden
Es geht also um klassische Felder der Prävention:
Verhältnisse und Verhalten. Dabei zählen Zeit- und
Leistungsdruck zu den psychischen Belastungen. Klar
ist: Führungskräfte haben andere Gestaltungsspielräu-
me als ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch
wenn sie sich selbst im Hamsterrad gefangen fühlen.
Ein Kurz-Check der Kampagne kommmitmensch kann
helfen, gemeinsam die Stellschrauben auf Teamebene
zu finden.

Tipp 4: Gestaltungsmöglichkeiten im
Team nutzen
  Handlungsspielräume gewähren, die entlastend
  wirken
  Für eine technisch angemessene und ergonomische
  Ausstattung der Arbeitsplätze sorgen
  Regelmäßig Team- und Mitarbeitergespräche führen
  Beteiligungsmöglichkeiten anbieten
  Mit Fehlern konstruktiv umgehen (siehe Seiten 8–10)
  Aufgaben und Kommunikation klar strukturieren
  Qualifizierungsmaßnahmen oder alternative Einsatz-
  möglichkeiten anbieten

So wichtig der Führungsstil des Chefs oder der Chefin
ist – Windemuth vom IAG sieht auch die Betriebe in
der Pflicht. „Das hohe Niveau der psychischen Belas-
tungen wird faktisch hingenommen, anstatt Instru-
mente wie die Gefährdungsbeurteilung zu nutzen.“
Auch Manfred Kynast, der für die Handwerkskammer
des Saarlandes Betriebe berät, verweist darauf. „Es
geht dabei um funktionierende Abläufe, ein angeneh-
mes Betriebsklima, eine gute Kommunikation und da-
mit auch um weniger Belastungsempfinden“, berichtet
der Ingenieur.

Tatsächlich weist nur die Hälfte der Betriebe die
                                                            Illustration: Thomas Walloch

gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung
auf. Kontrollen und Sanktionen sind wie beim Thema
Arbeitszeit die Ausnahme. Das Forscherteam um Voß
resümiert: „Die von Zeit- und Leistungsdruck betroffe-
nen Beschäftigten werden mit dem Druck weitgehend
vom Betrieb allein gelassen.“ Windemuth stellt einen
Vergleich auf: „Es ist so, als würde ich eine Leitung re-
parieren, ohne den Gashahn zuzudrehen. Stattdessen
hänge ich ein Warnschild daran: Vorsicht, explosiv!“
                                                                                           Weitere Informationen zum Umgang
                                                                                           mit Zeit- und Leistungsdruck finden
Tipp 5: Der Kurz-Check der Kampagne                                                        Sie auf der Webseite der Kampagne
kommmitmensch                                                                              unter
Der Kurz-Check vermittelt durch sechs kurze Fragen
einen ersten Eindruck, in welchen Handlungsfeldern
Führungskräfte mit ihrem Team aktiv werden können.
                                                                                                           Sicher. Gesund. Miteinander.

AUTORIN: Miriam Becker
                                                                                              kommmitmensch.de

                                                                                                                                    6/2019   7
Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
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                                                       Lernkultur
                                                            statt
                                                     Schuldkultur
                                                 Fehler sind nach wie vor ein großes Tabu. Doch der An-
                                                 spruch, fehlerfrei zu sein, ist nicht nur unrealistisch. Er
                                                 kann die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sogar
                                                 gefährden. Mit professionellem Fehlermanagement und
                                                 einer Vertrauenskultur fahren Führungskräfte besser.

           M
                        enschen werden immer Fehler machen.            Instituts der AOK (WIdO) berichtet. Das übersteigt die
                        Schon allein aufgrund der Funktion und         Zahl der durch Verkehrsunfälle Getöteten bei weitem:
                        Kapazität des Gehirns: „Von der Art und        2014 starben 3.377 Personen im Straßenverkehr.
                        Weise, wie wir Informationen verarbeiten,
            müssen wir Fehler machen“, spricht der Wirtschafts-        Ein systematisches Fehlermanagement und eine
            psychologe und -forscher Professor Michael Frese von       vertrauensvolle Betriebskultur sind die Bordmittel,
            der Leuphana Universität Lüneburg ganz nüchtern ein        mit denen sich in jeder beliebigen Branche Fehler
            mit negativen Emotionen besetztes Thema an.                reduzieren und die Sicherheit erhöhen lassen. Nur
                                                                       wenn Fehler offen eingestanden werden, lassen sich
            Vermeidungskultur hemmt Lernprozesse                       die Entstehungsursachen ergründen. Erst dann haben
            Freses Untersuchungen haben unter anderem er-              Betriebe die Chance, Arbeitsabläufe und vorhandene
            geben, dass Deutschland in puncto Fehlertoleranz           Sicherheitsbarrieren überhaupt zu hinterfragen.
            von 61 Ländern an vorletzter Stelle steht. Fehler und
            Misserfolge werden hierzulande meist unnachsichtig         Fehleranalyse mit dem Schweizer-Käse-Modell
            geahndet. Wo Sanktionen oder zumindest Peinlich-           Nach dem Psychologen James Reason von der Univer-
            keit drohen, traut sich kaum jemand, Fehler offen          sität Manchester sind mangelnde Sicherheitsbarrieren
            einzugestehen – mit zum Teil fatalen Folgen. Nicht         wie Löcher im Schweizer Käse. Liegen diese Löcher
            nur der wirtschaftliche Erfolg und die Effizienz von       aufgrund besonderer Umstände direkt voreinander,
            Unternehmen sowie öffentlichen Einrichtungen               kann eine vorhersehbare Gefahr oder eine abweichen-
            leiden darunter. Auch die Sicherheit und Gesundheit        de Handlung die Barrieren überwinden und zu einem
                                                                                                                                Zeichnung: DGUV

            von Menschen sind dadurch gefährdet. So sterben            schweren Unfall oder einem anderen unerwünschten
            allein in deutschen Krankenhäusern jährlich rund           Ereignis führen (siehe Abbildung auf Seite 10). Die
            18.800 Menschen aufgrund vermeidbarer Fehler, wie          Löcher in den Barrieren entstehen laut Reasons Feh-
            der Krankenhausreport 2014 des Wissenschaftlichen          lertheorie durch aktives und latentes Versagen. Zudem

8                             6/2019
Vorsicht, Überlast! - Deutsche Gesetzliche ...
können sich die Barrieren durch äußere Einflüsse und     vom rein persönlichen Versagen und öffnet den Blick
psychologische Vorläufer, etwa mangelnde Konzentra-      für das Versagen des Systems. Selbst wenn negative
tion wegen Müdigkeit, dynamisch verschieben (siehe       Auswirkungen durch latentes Versagen sich zunächst
auch         5/2019, Seite 12).                          nicht zeigen, begünstigen sie doch das Auftreten von
                                                         aktiven Fehlern. Wichtiger als die Frage nach dem
Aktives Versagen sind sogenannte unsichere Hand-         oder der Schuldigen ist bei diesem Modell die Frage,
lungen, sprich Fehler und Verstöße der Beschäftigten:    wie sich gefundene Fehler künftig vermeiden lassen.
etwa die Gabe eines falschen Medikaments oder das
Manipulieren einer Maschine.                             Statt der hierzulande vorherrschenden und weitge-
                                                         hend nutzlosen Schuldkultur führt ein systemischer
Latentes Versagen entsteht durch Entscheidungen          Ansatz zu der im angelsächsischen Raum weitverbrei-
der Leitungsebene einer Organisation. Ein Beispiel:      teten, pragmatischen Lern- und Fehlerkultur. Der Weg
Ein Unternehmen schafft eine kostengünstige, aber        dorthin führt im Wesentlichen über zwei Faktoren.
benutzerunfreundliche Maschine an, deren Sicher-
heitsvorkehrungen deshalb manipuliert werden.            Erfolgsfaktor Kommunikation
Latentes Versagen kann auch auf dem Ausfall von Res-     Eine gute Fehlerkultur setzt voraus, dass Belegschaft
sourcen oder ungünstigen baulichen Gegebenheiten         und Führungskräfte darauf vertrauen können, beim
beruhen – Beispiel Lärmbelastung im Großraumbüro         Eingeständnis eines unbeabsichtigten Fehlers nicht
(siehe auch        2/2019, Seite 10–12).                 an den Pranger gestellt oder bestraft zu werden. Und
                                                         genau da liegt das Problem: „Ein relativ großer Teil
Gemeinsam bessere Barrieren finden                       der Betriebe ist weit entfernt davon, eine Vertrauens-
Das Schweizer-Käse-Modell bietet einen für viele deut-   kultur zu haben“, formuliert Dr. Marlen Cosmar vom
sche Betriebe neuen und wertvollen Ansatz zur Er-        Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG)
mittlung von Fehler- und Unfallursachen: Es geht weg     ihre Erfahrung aus Schulungen.                         >

                                                                                           6/2019                   9
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                                                                   7           Tipps
                                                                               für eine
         Das Schweizer-Käse-Modell der                                         gute
         Unfallentstehung von James Reason
                                                                               Fehlerkultur
     > Die Arbeitspsychologin ist am IAG unter anderem
       zuständig für das Thema gesundheitsförderliche
       Führung. Eine ergebnisoffene und vertrauensvolle
       Kommunikation spiele bei einer erfolgreichen Fehler-
       kultur die entscheidende Rolle, so Cosmar.                      1      Schaffen Sie einen geschützten Rahmen
                                                                              für Eingeständnisse von Fehlern.

         Beim Reden dürfe es jedoch nicht bleiben. Fehler und
         Beinahe-Unfälle müssen selbstverständlich gemeldet
         und dokumentiert werden. Besonders wichtig: „Be-
                                                                       2      Formulieren Sie Ihre Fragen nach den
                                                                              Gründen für etwaige Fehler ergebnisoffen.

         schäftigte müssen das Gefühl haben, dass mit diesen
         Meldungen etwas passiert“, unterstreicht die Psy-
         chologin. Je nach Größe des Betriebs eignen sich für
                                                                       3      Stellen Sie Beschäftigte nicht an den
                                                                              Pranger.

         Meldungen einfache Vordrucke oder Kontaktformulare
         im Intranet bis hin zu Datenbanken, wie sie etwa der
         global agierende Technologiekonzern ABB verwendet.
                                                                       4      Senden Sie Ich-Botschaften, statt Ihre
                                                                              Sätze mit „Sie haben/dürfen nicht …“ etc.
                                                                              zu beginnen.

         Erfolgsfaktor Führungskraft
         Ganz egal, welches Tool zum Einsatz kommt: Der
         Erfolg des Fehlermanagements steht und fällt mit dem
                                                                       5      Lassen Sie Kommunikation in beide
                                                                              Richtungen zu – nehmen Sie Kritik an Ihrem
                                                                              Handeln oder Ihren Entscheidungen offen an.
         Grad der Hierarchie. „Starke Hierarchien sind tenden-
         ziell weiter von einer Fehlerkultur entfernt“, sagen
         Cosmar und Frese übereinstimmend. Der Schlüssel
         zum Erfolg sind die Geschäftsleitungen und Führungs-
                                                                       6      Schaffen Sie verbindliche Regeln, was wie
                                                                              intern dokumentiert und kommuniziert wird.

         kräfte, die flache Hierarchien und ein Vertrauensver-
         hältnis schaffen und kontinuierlich vorleben müssen.
         Erst wenn die Mitarbeitenden sich trauen, offen zu
                                                                       7      Schulen Sie Ihre Beschäftigten, wie Fehler
                                                                              und unerwünschte Ereignisse nach außen
                                                                              kommuniziert werden können und sollen.
         kommunizieren, können Regelabweichungen – mit
         welchem System auch immer – dokumentiert und
         ausgewertet werden. Und nur dann können Prozesse
         besser, sicherer und gesünder gestaltet werden.

         AUTORIN: Manuela Müller

                                                                                Sicher. Gesund. Miteinander.

                                                                 Weitere Informationen und Handlungshilfen zum
                                                                 Herunterladen bietet die Präventionskampagne
                                                                 kommmitmensch der Berufsgenossenschaften und
                                                                                                                            Zeichnung: DGUV

                                                                 Unfallkassen im Internet:
                                                                    kommmitmensch.de > „Fehlerkultur“

10                             6/2019
R EC H T L I C H E U P D AT ES

         Regeln, Vorschriften,                     >

         Informationen & Grundsätze
Sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt, sind die hier vorge-
stellten Publikationen über die Datenbank der DGUV zu beziehen:
dguv.de/publikationen Die Suche nach Stichwörtern sowie den im
Text genannten Nummern garantiert ein leichtes Auffinden.

                     NEU                                               NEU

Das Paketboten-Schutz-Gesetz wurde am              Die DGUV Information 215-410 „Bildschirm-
18.09.2019 vom Bundeskabinett beschlossen.         und Büroarbeitsplätze – Leitfaden für die
                                                   Gestaltung“ ist im Juli 2019 erschienen und
Mit dem Gesetz soll die Nachunternehmer-           steht im Internet zum Download bereit. Der
haftung nun auch auf die Paketbranche aus-         Leitfaden konkretisiert die sicherheitstechni-
geweitet werden. Für die Baubranche gilt sie       schen, arbeitsmedizinischen, ergonomischen
bereits seit 2002. Ziel des Gesetzes ist es, die   und arbeitspsychologischen Anforderungen für
Arbeitsbedingungen in der Kurier-, Express-        die Gestaltung und den Betrieb von Bildschirm-
und Paketbranche (KEP) zu verbessern. Die          und Büroarbeitsplätzen. Die Kriterien sind auf
Nachunternehmerhaftung soll dafür sorgen,          andere Arbeitsplätze übertragbar. Der Leit-
dass auch für die in Subunternehmen Tätigen        faden erspart Betrieben die eigene Auslegung
Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.        und hilft dabei, die Schutzziele der Bildschirm-
                                                   arbeitsplatzverordnung korrekt umzusetzen.
Hintergrund: Durch den kontinuierlich wach-
senden Onlinehandel hat die Zahl der in Sub-
unternehmen Beschäftigten stark zugenom-
men. Das betrifft nahezu jede sechste Stelle
in der KEP-Branche. Das Paketboten-Schutz-
Gesetz stellt sicher, dass künftig die Hauptauf-
traggeber für die abzuführenden Beiträge der
Subunternehmen haften.                                   ZURÜCKGEZOGEN

Um Hauptunternehmer zu entlasten, ohne die         Die DGUV Information 213-028 „Tätigkeiten
Pflichten der Nachunternehmer zu vernachläs-       mit Gefahrstoffen im öffentlichen Dienst“
sigen, können Krankenkassen und die Unfall-        wurde zurückgezogen. Die Inhalte dieser DGUV
versicherungsträger jenen Nachunternehmen,         Information werden mittlerweile durch die
die die Sozialbeiträge bisher ordnungsgemäß        im Jahr 2018 überarbeitete DGUV Information
abgeführt haben, eine Unbedenklichkeitsbe-         213-079 „Tätigkeiten mit Gefahrstoffen – Infor-
scheinigung ausstellen.                            mationen für Beschäftigte“ abgedeckt.

                                                                               6/2019                             11
G E W A LT A M A R B E I TSP L AT Z

                                         Tatort
                                      Arbeitsplatz

                                                                                                 Icons: Thomas Walloch
                                                                                                 Foto: Getty Images/AydAn Mutlu/ollo

                                 Viele Beschäftigte wurden schon einmal Opfer von Gewalt. Be-
                                 sonders betroffen sind Mitarbeitende im Rettungsdienst. Wie
                                 Arbeitgebende ihre Beschäftigten schützen können – und was
                                 dabei hilft, Gewalterlebnisse zu bewältigen –, erklärt      .

12                           6/2019
E
        s ist Freitagabend, betrunkene Partybesu-                                   reichend viele Funkgeräte. Auch die Kommunikation
        cher wanken aus einer Bar. Sie beginnen eine                                mit der Zentrale muss jederzeit gewährleistet sein“,
        Schlägerei, es gibt Verletzte, jemand ruft den          Therapie            sagt die IAG-Expertin. So kann die Leitstelle den Kol-
        Rettungsdienst. Die eintreffenden Notfallsa-         Mitarbeitenden         leginnen und Kollegen etwa während ihrer Fahrt zum
nitäterinnen und -sanitäter finden eine aufgeheizte        stehen nach einem        Einsatzort durchgeben, ob sie eine bedrohliche Situ-
Menge vor. Einige Umstehende beschimpfen die               beruflichen Gewalt-      ation erwartet. Auf der organisatorischen Ebene geht
Einsatzkräfte, rempeln sie an. Eine Situation, wie          erlebnis mit psy-       es darum, Abläufe zu standardisieren: „Das sorgt für
sie Daniel Schulte zu gut kennt. Der Fachbereichs-          chischen Folgen         eine bessere Teamarbeit. Die Beschäftigten wissen in
leiter Bevölkerungsschutz beim Deutschen Roten             fünf probatorische       einer Notfallsituation sofort, was zu tun ist.“ Darüber
Kreuz (DRK) Niedersachsen arbeitet seit 16 Jahren im         therapeutische         hinaus sollten Arbeitgebende ihre Mitarbeitenden auf
Rettungsdienst. „Die Hemmschwelle zu Beleidigungen            Sitzungen zu.         bestimmte Gewaltsituationen vorbereiten.
und Provokationen sinkt“, sagt der 36-Jährige. Und:
„Vor allem der Konsum von Alkohol verändert das                                     Interkulturelle Kompetenz schulen
Wesen vieler Menschen.“                                                             Entsprechende Schulungen gibt es bereits in der
                                                                                    Ausbildung. „Da die Ausbildung seit 2014 drei Jahre
Ob Rettungskräfte, Amtsmitarbeitende, Polizei oder                                  umfasst, gibt es bereits viele Möglichkeiten, sich auf
Pflegepersonal – Gewalt im Einsatz gehört für viele                                 Gewaltsituationen vorzubereiten“, sagt Schulte vom
Beschäftigte zum Arbeitsalltag. Betroffen sind vor                                  DRK. Beschäftigte im Rettungsdienst haben eine
allem Erstere – die Rettungskräfte –, zeigt eine Studie                             30-stündige Fortbildungspflicht, die sie zum Beispiel
der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2018: Von                                  für Deeskalationsschulungen nutzen können. Auch
den 335 befragten Rettungskräften berichteten 94,3                                  die interkulturelle Kommunikation werde immer wich-
Prozent von körperlichen oder verbalen Angriffen                                    tiger, sagt Schulte: „Bei Einsätzen begegnen wir auch
in den vorangegangenen zwölf Monaten. Vor allem                                     Menschen aus anderen Kulturen. Es hilft, wenn man
Einsätze in Wohnungen bieten laut Notfallsanitäter                                  etwa einordnen kann, dass ein lauter Wortschwall
Schulte Gewaltpotenzial. „Wir betreten damit einen                                  in fremder Sprache nicht zwingend eine Bedrohung
                                                               Austausch
sehr privaten Raum, in dem wir nicht alle Gewohn-                                   darstellt.“
                                                           Der Austausch mit
heiten kennen. Viele reagieren darauf aggressiv.“
                                                           Ansprechpersonen
Insbesondere bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt                                  Wer Gewalt auf der Arbeit erlebt hat, sollte darüber
                                                             im Betrieb ist
drohen Rettungskräften gewalttätige Anfeindungen.                                   sprechen – davon ist Expertin Gehrke überzeugt.
                                                              oft hilfreich.
                                                                                    „Arbeitgebende können zum Beispiel Einsatznach-
Meldung ist Pflicht                                                                 besprechungen führen oder eine Deeskalations-
Zwar sieht das Gesetz vor, dass Arbeitgebende prüfen,                               pause ermöglichen – also eine kurze Auszeit nach
wie gefährlich die Arbeit in ihrem Unternehmen ist –                                schwierigen Konfliktsituationen.“ Alternativ helfe ein
auch in Bezug auf psychische Folgen. Doch bisher                                    psychologisches Gespräch. Doch nicht jeder will mit
gebe es die Gefährdungsbeurteilung zu psychischen                                   einem externen Therapeuten sprechen. Das DRK setzt
Belastungen noch in zu wenigen Unternehmen, sagt                                    deshalb auf interne Anlaufstellen: die sogenannten
Anne Gehrke, Referentin Verkehrssicherheit beim Ins-                                Kollegialen Ansprechpersonen. Sie sprechen mit ihren
titut für Arbeit und Gesundheit (IAG) der DGUV. Wenn                                Kolleginnen und Kollegen, wenn sie zum Beispiel
Mitarbeitenden allerdings etwas passiert und sie mehr                               eine Gewaltsituation erlebt haben, und geben Tipps,
als drei Tage arbeitsunfähig werden, sind Betriebe                                  wie Beschäftigte damit umgehen können. Oder, wie
verpflichtet, das zu melden. Und auch bei kürzeren Ar-                              Schulte es formuliert: „Ein Grundsatz im Rettungs-
beitsausfällen empfiehlt Gerke eine Meldung. „Jedem                                 dienst lautet schließlich, dass man sich nicht selbst
Mitarbeitenden stehen nach einem Arbeitsunfall mit                                  gefährden soll. Und wer über belastende Situationen
psychischen Folgen im Rahmen des Psychotherapeu-              Schulungen            spricht, schützt sich bereits enorm.“
tenverfahrens der DGUV fünf probatorische Sitzungen          Spezielle Deeskala-
zu – unabhängig davon, ob er durch das Gewaltereig-        tionsschulungen oder     AUTORIN: Nina Bärschneider
nis einen körperlichen Schaden erlitten hat.“                Trainings in gewalt-
                                                           freier Kommunikation
Gewisse Risikofaktoren lassen sich im Rettungsdienst      können Mitarbeitende
nie ausschließen. Doch sie können möglichst gering        in betroffenen Berufen
                                                                                                     Weitere Informationen
gehalten werden. Gehrke verweist dafür auf das                   vorbereiten.
TOP-Prinzip, das für technische, organisatorische und                                            ... zum Umgang mit Gewalt im
personenbezogene Maßnahmen für einen besseren                                                    Berufsalltag finden Sie unter:
Arbeitsschutz steht. Wichtig sei eine zeitgemäße                                                      t1p.de/7a3q
Technik. „Rettungskräfte brauchen moderne und aus-

                                                                                                            6/2019                        13
G ES U N D H E I T

         Lieber
         zuhause
         bleiben

                                                               H
                                                                        usten, Schnupfen, Bindehautentzündung:
                                                                        Viele Beschäftigte bleiben trotz Krankheit
         Wer krank zur Arbeit kommt, tut sich und den Mit-
                                                                        nicht zuhause. So kam eine repräsentative Be-
         beschäftigten keinen Gefallen. Dieses Phänomen der             fragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes
         Arbeitswelt nennt sich Präsentismus und hat Folgen    (DGB) aus dem Jahr 2017 zu dem Ergebnis, dass mehr
                                                               als zwei Drittel der Arbeitnehmenden bisweilen krank
         für Beschäftigte und Unternehmen.           berich-
                                                               zur Arbeit gehen. Damit gefährden sie nicht nur ihre
         tet, was Betriebe dagegen tun können.                 eigene Gesundheit, sondern auch die ihrer Kollegin-
                                                               nen und Kollegen. Zudem verringert sich die Produkti-
                                                               vität. Beschäftigte, die krank am Arbeitsplatz erschei-
                                                               nen, sind weniger leistungsfähig, machen mehr Fehler
                                                               und erleiden und verursachen mehr Unfälle. Anders
                                                               ausgedrückt: Präsentismus kostet Unternehmen Geld.

                                                               Weiterarbeiten – ja oder nein?
                                                               Studien unterstreichen: Wer krank weiterarbeitet
                                                               schädigt die eigene Gesundheit dauerhaft. Auch
                                                               die Gefahr einer Chronifizierung steigt. Deshalb gilt
                                                               meistens: Wer krank ist, braucht Ruhe. Das stimmt
                                                               aber nicht immer. Präsentismus kann sich im Ein-
                                                               zelfall auch stabilisierend auswirken. Denn es gibt
                                                               chronische oder psychische Erkrankungen, bei denen
                                                               es gut ist, weiter zu arbeiten, da Arbeit in diesem Falle
                                                               Sicherheit und Struktur bietet. „Es ist individuell
                                                               abzuwägen, ob trotz gesundheitlicher Beeinträchti-
                                                               gung ein Weiterarbeiten angezeigt ist,“ erklärt Anja
                                                               Mücklich vom Institut für Arbeit und Gesundheit der

14                        6/2019
Verhältnisse gut sind, das entsprechende Verhalten der
                                                                                                                                       Mitarbeitenden. Es müssen also alle mitmachen.

                                                                                                                                       Denjenigen Beschäftigten, die besonders anfällig für
                                                                                                                                       ein gesundheitsgefährdendes Verhalten sind, können
                                                                                                                                       Betriebe gezielte Coachings anbieten. So können Mit-
                                                                                                                                       arbeitende sensibilisiert und unterstützt werden. Auch
                                                                                                                                       konkrete Maßnahmen sollten ergriffen werden, um
                                                                                                                                       Krankheiten wie die Grippe schon im Vorfeld zu ver-
                                                                                                                                       hindern. Durch Heizungsluft trocknen zum Beispiel die
                                                                                                                                       Schleimhäute schneller aus. Sie sind so Nährboden für
                                                                                                                                       Erkältungserreger. Dagegen helfen intensives Lüften
                                                                                                                                       und viel Trinken. Auch Grippeschutzimpfungen und
                                                                                                                                       Hinweise zum richtigen Händewaschen bieten sich an.
                                                                                                                                       Mitarbeitende, die mit Schnupfen zur Arbeit erschei-
                                                                                                                                       nen und nicht in die Armbeuge niesen, sollten darauf
                                                                                                                                       hingewiesen werden. Ebenso wichtig ist ein funktio-
                                                                                                                                       nierendes betriebliches Wiedereingliederungsmanage-
                                                                                                                                       ment (BEM). Beispiele von gelungenen Behandlungen
                                                                                                                                       und Wiedereingliederungen können dann etwa intern
                                                          Foto: Getty Images/PeopleImages Icon: flaticon.com

                                                                                                                                       kommuniziert werden. So wird Betroffenen die Angst
                                                                                                                                       genommen, Nachteile zu erwarten, wenn sie nach län-
                                                                                                                                       geren Fehlzeiten die Arbeit wieder aufnehmen.

                                                                                                                                       Vorbild Führungskraft
                                                                                                                                       Hat Gesundheit im Unternehmen nur einen geringen
                                                                                                                                       Stellenwert und stehen schnelle Ergebnisse im Vorder-
                                                                                                                                       grund, hat die mittlere und untere Managementebene
                                                                                                                                       kaum Chancen, im Sinne ihrer Beschäftiten zu führen
                                                                                                                                       – sie werden den Druck nach unten weitergeben. Die
                                                                                                                                       beste Prävention gegen Präsentismus ist hingegen
                                                                                                                                       eine Unternehmenskultur, die wertschätzend ist und
                                                                                                                                       Beschäftigten Sicherheit vermittelt.
Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
„Das hängt von der Art der Beeinträchtigung ab und                                                                                     Neben fairen Arbeitsverträgen, realistischen Zielver-
vom Arbeitsplatz. Gefährlich wird es, wenn häufig oder                                                                                 einbarungen und Vertretungsregelungen können auch
längere Zeit gegen ärztlichen Rat weitergearbeitet wird                                                                                Führungskräfte mit ihrem Verhalten dazu beiträgen,
oder Beschäftigte erst gar nicht zum Arzt gehen, damit                                                                                 Präsentismus zu bekämpfen. Forschungen konnten
sie weiterarbeiten können und dadurch der Heilungs-                                                                                    zeigen, dass gute Führung Präsentismuskosten senken
prozess beeinträchtigt wird“, so die Expertin weiter.                                                            Kultur gegen          kann. Für gute Aufgabenverteilungen, faire Leistungs-
Gegenüber Beschäftigten, denen es an Einsicht man-                                                               Präsentismus          vorgaben sowie Dialogbereitschaft sind Führungs-
gelt und die deshalb weiterarbeiten, sollten Betriebe                                                          Die beste Prävention    kräfte immer (mit)verantwortlich – und damit auch
klar äußern, dass dieses Verhalten unerwünscht ist.                                                            gegen Präsentismus      für ein gesundheitsförderliches Arbeitsumfeld. Damit
                                                                                                                ist eine Unterneh-     Führungskräfte das leisten können, brauchen sie den
Gesundheitskompetenz fördern                                                                                   menskultur, die wert-   Rückhalt der Geschäftsführung beziehungsweise ihrer
Ob aus Pflichtgefühl, der Angst, den Arbeitsplatz zu                                                            schätzend ist und      Vorgesetzten. Denn von einer gemeinsamen Strategie
verlieren, oder der Befürchtung beruflicher Nachtei-                                                           Beschäftigten Sicher-   gegen Präsentismus profitieren am Ende alle: Beschäf-
le: Gründe für das Erscheinen am Arbeitsplatz trotz                                                               heit vermittelt.     tigte, Vorgesetzte und der Betrieb insgesamt.
Krankheit gibt es viele. Um dem entgegenzuwirken,
sollten Unternehmen ihre Kultur und Werte prüfen:                                                                                      AUTOR/IN: Florian Jung / Maren Zeidler
Unterstützt das Unternehmen Präsentismus unter den
Mitarbeitenden – oft sogar unbeabsichtigt? In Zeiten
von ergebnisorientierter Projektarbeit mit oft hohem
Termin- und Leistungsdruck müssen Beschäftigte
in der Lage sein, eigene gesundheitliche Grenzen zu                                                                                          Weitere Informationen
beachten. Sonst werden Krankheiten möglicherweise
verschleppt. Betriebe können Beschäftigte darin unter-                                                                                     Mehr zum Thema Präsentismus
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zu treffen, indem sie gezielt die Gesundheitskompetenz                                                                                         iga-info.de > „Präsentismus“
fördern. Andererseits braucht es selbst dort, wo die

                                                                                                                                                                 6/2019                    15
AU S W I SSE N S CH A FT U N D F O R S C H U N G

                                                              Gute Fahrt!
                          Berufsbedingt unterwegs – das trifft auf viele Menschen in Deutschland zu.
                          Und es werden mehr, denn die Mobilität im Job steigt. Damit die Beschäftig-
                          ten sicher ankommen, werden im Auftrag der Deutschen Gesetzlichen Unfall-
                          versicherung (DGUV) Präventionsansätze erforscht – praxisnah im Betrieb.

             A
                        utobahn, Stadtverkehr, Stau, Parkplatzsu-       Doch wie geht man am besten vor, um diese Viel-
                        che: Für viele Berufstätige ist das auch im     zahl an Belastungen zu erkennen und zu benennen?
                        Job Teil des Alltags. Pflegedienste, Montage-   Zunächst wurden über 35 Betriebe gefunden: aus der
                        und Serviceteams, Vertriebsmitarbeitende        Pflegebranche, dem Rettungsdienst, dem Consulting
             und viele andere sind jeden Tag auf den Straßen            sowie Unternehmen, die Montageteams beschäftigen.
             unterwegs. Ihr Beruf erfordert es, mobil zu sein, auch     Die Betriebe wählten Mitarbeitende aus. Diese wurden
             wenn die eigentliche Arbeit nicht im Fahrzeug statt-       mehrfach befragt, sie führten über mehrere Tage
             findet (wie es beispielsweise bei Lastwagenführenden       arbeitsbezogene Tagebücher und wurden auf ihren
             der Fall ist). Stressiger Verkehr, langes Sitzen, enge     Fahrten begleitet.
             Taktung und eine erhöhte Unfallgefahr sind nur einige
             der Belastungen, denen diese Beschäftigtengruppen          Mit GoPro auf Fahrt
             ausgesetzt sind. Der Trend ist deutlich: Die berufliche    Ein Alleinstellungsmerkmal der Studie ist es, dass so-
             Mobilität in Deutschland steigt. Damit die Unfallzah-      genannte psycho-physiologische Belastungen erfasst
             len nicht mitsteigen, ist Prävention unerlässlich.         wurden, das heißt vor allem, welche körperlichen
                                                                        Reaktionen welchen psychischen Belastungen folgen
             Wo drückt der Schuh?                                       und umgekehrt. Dafür wurden die Testpersonen ausge-
             Im Auftrag der DGUV erforscht ein Team aus Fachleu-        stattet mit Herzfrequenzmessern und GoPro-Kameras.
             ten der Technischen Universität Dresden, der Fried-        Die kleinen Kameras wurden im Fahrzeug in Kopfhöhe
             rich-Schiller-Universität Jena und der systemkonzept       montiert und erstellten sogenannte Point-of-view-Auf-
             GmbH aus Köln Präventionsmaßnahmen bei berufs-             nahmen, also Aufnahmen aus der Perspektive der fah-
             bedingten mobilen Tätigkeiten. Das Projekt heißt           renden Person. Die Testpersonen mussten außerdem
             „BestMobil“. Um funktionierende Maßnahmen zu               im Tagebuch vor und nach jeder Schicht eine Reihe
             entwickeln, ist es zunächst wichtig, die Belastungen       von Fragen beantworten – zum Beispiel, ob und wie
             und Gefahren im Verkehr zu verstehen. Und die sind         sie Stress empfunden haben, wie ihre Schlafqualität
             vielfältig. „Maßgebliche unfallbegünstigende Situatio-     war und ob sie im Laufe des Tages Konfliktsituationen
             nen beziehen sich auf das Fahrumfeld, das Verkehrs-        erlebt hatten. Stressbelastungen durch Faktoren wie
             umfeld und die Verkehrssituation, und natürlich auf        Termindruck oder Stau konnten so gut erkannt werden.
             das Fahrzeug selbst“, erklärt Dr. Katrin Höhn von der
             TU Dresden, die im Projekt mitarbeitet. „Außerdem
             spielen das betriebliche Umfeld, also zum Beispiel die
             Stressbelastung, die Arbeitsorganisation, und die
             Menge der Fahrten eine wesentliche Rolle.“

16                          6/2019
Foto: Getty Images/alexbaumann
Sammeln und individualisieren                            Durch die Testphase im Unternehmen kristallisierten
Einige Ergebnisse dieser Analysen fasst Dr. Höhn zu-     sich Maßnahmen heraus, die für diesen spezifischen
sammen: „Es zeigte sich, dass vor allem Zeitdruck,       Mobilitätstyp besonders wirksam sind:
ungeregelte Pausen und zum Teil auch lange Auto-           Coaching zum Fahrverhalten, Stärkung der Risiko-
fahrten zum Alltag vieler mobil Tätigen gehören. Dies      kompetenz
sind unsere Ansatzpunkte für die Prävention.“ Nämlich      Pausenmanagement und Stressregulation
Ansatzpunkte zum Handeln: Die Forscherinnen und            Stärkung von Kommunikation, Mediation, Motivation
Forscher stellten anhand der gewonnenen Erkenntnisse       (etwa Plakat-Aktionen, Multiplikatoren-Workshops)
aus der Voruntersuchung eine große Zahl an Maßnah-         Workshop zum Umgang mit belastenden Situationen
men zusammen. Von der technischen Aufrüstung der
Fahrzeuge über Fahrsicherheitstrainings bis zu organi-   Die Maßnahmenbündel können Betriebe einsetzen,
satorischen Veränderungen: 130 Instrumente und Best      wenn sie Bedarf sehen. Noch sind die Bündel jedoch
Practices wurden gelistet und getestet.                  nicht geschnürt: Leitfaden und Praxishilfe für die
Welche Maßnahmen in welchen Betrieben bei welchen        Unternehmenspraxis werden nach Abschluss des
Personen Sinn ergeben, ist individuell sehr unter-       Projektes Ende 2019 vorliegen.
schiedlich. Die Empfehlungen für die Betriebe sollen
deshalb auf die Branche zugeschnitten und in Maßnah-     AUTORIN: Maren Zeidler
menbündeln angeboten werden.

Beispiel gefällig?
Wie im Unternehmen S.: Es bietet technische Dienst-
leistungen in den Bereichen Energie und Kommuni-
kation an. Während der BestMobil-Analyse stellte sich
heraus, dass an einigen Stellen besonderer Hand-                                  Weitere Informationen
lungsbedarf bestand:
   Zeitdruck durch Kundentermine                                             ... zum Projekt „BestMobil: berufs-
  Informationsüberflutung                                                    bedingte Mobilität – Identifizierung
   fehlende Pausen und Erholung                                              und Erprobung von Präventionsan-
   hohe Risikobereitschaft und geringe Risiko-                               sätzen“ finden Sie unter.
  kompetenz der Mitarbeitenden                                                    dguv.de > Webcode dp116615
   ungünstige Umgebungsbedingungen im Einsatz

                                                                                            6/2019                  17
G E FA H R STO F F E

                                                                        Foto: DGUV/Fotografie Schulzki Icons: Getty Images/Skarin
                                     Gefährlich?
                                      Geschützt!
                                        Der Umgang mit Gefahr-
                                        stoffen muss im Betrieb so
                                        organisiert sein, dass Be-
                                        schäftigte nicht zu Schaden
                                        kommen. Verantwortlich sind
                                        die Arbeitgebenden.
                                        gibt einen Überblick über die
                                        Risiken und Pflichten.

18                          6/2019
Europäische Kennzeichen
                                                             Die Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen ist in
                                                             Europa einheitlich, nach der europäischen CLP-Verordnung
                                                             (Classification, Labelling and Packaging of Substances and Mix-
                                                             tures) geregelt, die auf dem Global Harmonisierten System zur
                                                             Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien der Vereinten
                                                             Nationen (GHS) aufbaut.

S
         ie lauern in fast jedem Betrieb: Gefahrstoffe,
         die für Beschäftigte gefährlich werden kön-      Vier Schritte für sichere Beschäftigte
         nen. Arbeitgebende sind verpflichtet, solche     Um passende Schutzmaßnahmen zu ermitteln, müs-
         Stoffe ordnungsgemäß zu kennzeichnen und         sen sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber an das
die Beschäftigten darüber aufzuklären, wie sie sich       STOP-Prinzip halten.
schützen können. Fehlen in einem Unternehmen aus-
reichende Schutzmaßnahmen oder gehen Beschäftigte         Substitution: Die beste Schutzmaßnahme für Be-
fahrlässig mit Gefahrstoffen um, kann das ernste Fol-       schäftigte ist, eine Gefährdung im Vorfeld zu
gen haben. Verätzungen, Verbrennungen, Stürze – die         vermeiden. Wenn möglich, sollten Unternehmen
Gefahren sind vielfältig. Unfälle und berufsbedingte        Gefahrstoffe also durch weniger gefährliche Subs-
Erkrankungen betreffen aber nicht nur den Einzel-           tanzen ersetzen.
nen. Im Unternehmen führen sie zu Fehlzeiten und
mindern das Image in der Öffentlichkeit.                  Technische Schutzmaßnahmen: Sie helfen dabei,
                                                            Expositionen gegenüber Gefahrstoffen zu vermei-
Gefahrstoff: Was ist das?                                   den oder zumindest zu minimieren – zum Beispiel
Gefahrstoffe können unter anderem toxisch, reizend,         indem Betriebe Arbeitsabläufe in geschlossenen
ätzend, entzündbar, explosiv oder krebserregend sein        Anlagen ausführen lassen.
(zur Klassifizierung siehe Kasten rechts oben). Was
wie gefährlich ist, erkennen Beschäftigte im Zweifel      O rganisatorische Schutzmaßnahmen: Die Arbeit
anhand der Kennzeichnung auf dem Gefäß und durch             muss so organisiert sein, dass Beschäftigte mög-
das Sicherheitsdatenblatt. Behälter mit Gefahrstoffen        lichst wenig und kurzen Kontakt zu den Gefahrstof-
sind mit einem oder mehreren Piktogrammen gekenn-            fen haben. Ein wichtiger Aspekt ist außerdem die
zeichnet. Es gibt insgesamt neun davon – rot umran-          regelmäßige Unterweisung der Beschäftigten.
dete Rauten, in deren Mitte sich ein Symbol befindet,
zum Beispiel der Totenkopf mit gekreuzten Knochen.        Persönliche Schutzmaßnahmen: Das bedeutet bei-
Außerdem finden Beschäftigte dort immer noch ein            spielsweise das Bereitstellen und Tragen von Atem-
Signalwort – „Achtung“ oder „Gefahr“ – sowie Gefah-         schutz (z. B. Atemschutzmasken) und Handschutz
renhinweise (sogenannte „H-Sätze“) und Sicherheits-         (z. B. Chemikalienschutzhandschuhe).
hinweise („P-Sätze“).
                                                          S wie Substitution sollte dabei immer an erster Stelle
Strenge Pflichten für Arbeitgebende                       stehen, erst dann kommen T, O und erst als letzter
Bevor Beschäftigte mit Gefahrstoffen arbeiten dürfen,     Schritt sollte das P in Erwägung gezogen werden.
müssen Arbeitgebende eine Gefährdungsbeurteilung
durchführen und Schutzmaßnahmen festlegen:                AUTORIN: Katharina Münster
  Arbeitgebende müssen sich die nötigen Informatio-
  nen zu den Gefahrstoffen beschaffen und ein Gefahr-
  stoffverzeichnis anlegen.
  Sie müssen ermitteln, in welchem Ausmaß die Be-
  schäftigten den Gefahrstoffen ausgesetzt sind.                        Weiterführende Links:
  Daraus ergeben sich Schutzmaßnahmen.                                Übersicht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
  Die Beschäftigten müssen vor Beginn der Tätigkeiten                 Arbeitsmedizin (BAuA) zu Gefahrstoffen:
  und in regelmäßigen Abständen unterwiesen werden.                      t1p.de/srux
  Und Arbeitgebende müssen eine Wirksamkeits-
  überprüfung der getroffenen Schutzmaßnahmen                         Alle DGUV Publikationen zu Gefahrstoffen:
  vornehmen.                                                             t1p.de/p5vb

                                                                      Praxisorientierter Überblick des Instituts für
                                                                      Arbeitsschutz (IFA) der DGUV:
                                                                         dguv.de/ifa > Praxishilfen Gefahrstoffe

                                                                                             6/2019                       19
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Alles neu! Die Publikationsdatenbank der         Das digitale Planungsbüro. Wenn es um          Gegen die Stigmatisierung von
Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung        Sicherheit und Gesundheit im Krankenhaus       psychischen Erkrankungen. Stress und
erstrahlt in neuem Glanz. In der Datenbank       geht, gibt es viele Stolperfallen – wort-      Überforderung betreffen uns alle von
bündeln Berufsgenossenschaften und               wörtlich und im übertragenen Sinne. Damit      Zeit zu Zeit – auch in krank machen-
Unfallversicherung alle ihre Publikationen.      alle Gefährdungen berücksichtigt werden,       dem Ausmaß. Dennoch sind psychische
Um die Bedienungsfreundlichkeit zu er-           bietet die Deutsche Gesetzliche Unfallver-     Erkrankungen immer noch ein großes
höhen, wurde in einem Relaunch nun unter         sicherung einen digitalen Service, der alle    Tabuthema. Insbesondere am Arbeits-
anderem das Design überarbeitet und die          relevanten Regelwerke zusammenfasst.           platz wird nicht offen über psychische
Suchfunktion verfeinert. Das neue Portal         Das „Sichere Krankenhaus“ ist ein interak-     Erkrankungen gesprochen und die Er-
ist responsiv, das heißt, es lässt sich von      tives Branchenportal, das Führungskräfte,      krankten werden dadurch stigmatisiert.
Smartphone, Tablet und PC gleichermaßen          Arbeitsschutzfachleute und Beschäftigte        Dabei erfüllt jährlich jede oder jeder vierte
besuchen. Auf den neu gestalteten Seiten         über Vorschriften und Regeln zur be-           Erwachsene in Deutschland die Kriterien
findet sich nicht nur das DGUV Regelwerk,        trieblichen Sicherheit und Gesundheit in       einer psychischen Erkrankung. Das Projekt
sondern auch Forschungsveröffentlichun-          Krankenhäusern und anderen Gesundheits-        „Psychische Gesundheit in der Arbeits-
gen, Texte zu Versicherungsschutz und            einrichtungen informiert. Per Mausklick        welt“ (psyGA) des Bundesministeriums
Prävention sowie eine Reihe von Filmen.          können die Benutzerinnen und Benutzer          für Arbeit und Soziales beschäftigt sich in
Selbst wenn gerade keine konkrete Regel          Informationen über Tätigkeiten, Arbeitsmit-    seinem aktuellen Fokus mit mehr Offen-
oder Vorschrift benötigt wird, lohnt es sich,    tel und Schutzmaßnahmen bekommen. Das          heit im Umgang mit psychischer Gesund-
durch die Publikationen zu stöbern. Gerade       sogenannte „Planungsbüro“ ist auch für         heit. Denn nur wenn sich der Umgang
unter den Forschungsergebnissen finden           Büroarbeitsplätze interessant. Im virtuellen   normalisiert, können Präventionsmaß-
sich interessante Berichte rund um Sicher-       Büro können all jene Bereiche angeklickt       nahmen optimal greifen. Mehr zu Destig-
heit und Gesundheit bei der Arbeit.              werden, die eine Gefährdung darstellen         matisierung lesen Sie auf der Website der
                                                 können. Durch die Visualisierung und die       Initiative unter:
     publikationen.dguv.de
                                                 dahinterstehenden Informationen ist das
                                                                                                    psyga.info > „Destigmatisierung“
                                                 Planungsbüro eine Bereicherung für Gebäu-
                                                 deplanung und -umbau.

                                                     pb.sicheres-krankenhaus.de

                                      Arbeitsschutzmanagement
                                      Um die gesetzlichen Pflichten aus dem          Aber warum überhaupt ein ASM? Ziel ist es,
       LEXIKON                        Arbeitsschutz zu erfüllen, können Arbeit-      Unternehmen so zu führen, dass Arbeits-
                                      gebende ein Arbeitsschutzmanagement-           sicherheit und Gesundheitsschutz als Ziel-
                                      system (ASM) einführen. Ein ASM ermöglicht     setzung gleichwertig mit anderen unterneh-
                                      den Arbeitgebenden, die vorgeschriebenen       merischen Zielsetzungen stehen und in allen
                                      Arbeitsschutzregelungen effektiv umzuset-      Unternehmensbereichen und Organisations-
                                      zen. Gleichzeitig erfüllen Arbeitgebende so    und Arbeitsebenen konsequent umgesetzt
                                      ihre Pflichten zur Dokumentation und können    werden. Und das lohnt sich:
                                      nachweisen, dass sie ihrer Verpflichtung       Trotz des vermeintlichen Aufwandes kann
                                      zur sicherheits- und gesundheitsgerechten      die Wirtschaftlichkeit des Arbeitsschutzes
                                      Organisation des Betriebes und der Arbeits-    durch ein systematisches ASM nachhaltig
                                      plätze nachkommen.                             gesteigert werden.

20                           6/2019
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