Intelligenz LEBEN IN DIGITALEN WELTEN - ECHTZEIT: INFRA-STRUKTUREN - ZVEI
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
EDITORIAL 3 Liebe Leserin, lieber Leser, diese Ausgabe von ampere erscheint kurz vor der Bundestagswahl, der – wieder einmal – große Bedeu- tung zukommt. Waren früher Ostpolitik, Wieder- vereinigung oder europäische Einigung die großen Themen, so lautet die entscheidende Frage dieses Mal: Wie wollen wir das Industrieland Deutschland in eine digitale und klimafreundliche Zukunft füh- ren? Es herrscht dabei weitgehend Konsens darüber, dass wir Digitalisierung, Klimaschutz und unser ökonomisches Wohlergehen nicht unabhängig von- einander betrachten dürfen. Der Dissens zwischen den zur Wahl stehenden demokratischen Kräften besteht vor allem in den Antworten, also dem „Wie?“ des Wandels. Unser Verband der Elektro- und Digitalindustrie repräsentiert weit mehr als 1.000 Unternehmen, von Mittelständlern mit weniger als 100 Beschäf- tigten bis hin zu Konzernen mit mehreren 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Auf dieses kom- petente Netzwerk greifen wir zurück, wenn wir unsere Konzepte und Argumente formulieren und unsere Lösungsbeiträge für die großen Aufgaben anbieten, „Wir sollten in vor denen die nächste Bundesregierung steht – und zwar unabhängig von ihrer Zusammensetzung. Eine der großen Herausforderungen besteht da- der kommenden rin, einen Digitalisierungsschub anzustoßen, ohne den ein modernes, klimafreundliches Energie- system nicht denkbar ist. Die dafür benötigten smar- Legislaturperiode ten Technologien sind überwiegend verfügbar und kommen dennoch hierzulande noch nicht flächen- deckend zum Einsatz. Darüber hinaus sind in den dringend über kommenden Jahren die Weichen zu stellen für die Infrastrukturen, die wir vor allem im Bereich der Elektrifizierung für eine klimaneutrale Wirtschaft in konkrete Maß- den vor uns liegenden Jahrzehnten brauchen. Wir sollten in der kommenden Legislaturperiode deshalb dringend weniger über abstrakte Ziele, als über kon- nahmen sprechen.“ krete Maßnahmen sprechen – eben jenes „Wie“! Diese ampere gibt hierzu einen wichtigen Impuls. Ihr Foto ZVEI / Alexander Grüber DR. GUNTHER KEGEL ZVEI-PRÄSIDENT ampere 3 . 202 1
4 I N H A LT Zukunft jetzt 12 6 KOPF ODER ZAHL KLEINBUS STATT KEIN BUS 8 EXPERTENWISSEN CHIPFERTIGUNG MEILENSTEIN USB - SCHNITTSTELLE 9 SCHALTZEICHEN WIDERSTAND MEIN GADGET HEADSET Titelthema 10 AUFTAKT DIGITAL IST NICHT EGAL Die Deutschen nutzen smarte Technologien überall. 12 CHEFSACHE „AM ENDE ZÄHLT, WAS AUF DEM TELLER IST“ Miele-Gesellschafter Dr. Reinhard Zinkann erläutert, wie das Digitale dem analogen Leben dient. 16 FAKTEN STATT VORURTEILE DENKEN STATT BEDENKEN Digitale Lösungen sind weder klimaschädlich noch unsicher. 18 BLICK INS LABOR NICHT SEXY, ABER KLUG Elektromobilität für alle ist nur mit intelligenten Netzen machbar. 16 22 BESTE PRAXIS GEOP OLITIK MIT NANOSTRUKTUREN Halbleiter sind gefragter denn je. Wie Europa reagiert und der ZVEI unterstützt. 26 ZWIEGESPRÄCH „GUTE REGULIERUNG KANN VERTRAUEN STÄRKEN“ Europa-Parlamentarier Axel Voss im Gespräch mit Dr. Tanja Rückert, CDO von Bosch 32 GRENZÜBERSCHREITUNG ETWAS CHAOS UND VIEL CHUZPE KI-Start-ups in Israel ampere 3 . 202 1
I N H A LT 5 Impressum 42 C H E F R E DA K T E U R Thorsten Meier H E R AU S G E B E R ZVEI-Services GmbH Dr. Henrik Kelz, Patricia Siegler (Geschäftsführung) Lyoner Straße 9, 60528 Frankfurt am Main +49 69 6302-412 zsg@zvei-services.de www.zvei-services.de ZSG ist eine 100-prozentige Servicegesellschaft des ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V. A N S P R E C H PA R T N E R Z V E I E . V . Thorsten Meier (Abteilungsleiter Kommunikation und Marketing), Thorsten.Meier@zvei.org Karen Baumgarten, Sabrina Pfeifer (Referentinnen Kommunikation und Marketing), Karen.Baumgarten@zvei.org, Sabrina.Pfeifer@zvei.org www.zvei.org V E R L AG , K O N Z E P T & R E A L I S I E R U N G Publik. Agentur für Kommunikation GmbH Rheinuferstraße 9, 67061 Ludwigshafen Projektleitung: Stefanie Lutz, s.lutz@agentur -publik.de Redaktion: Johannes Winterhagen Art-Direktion: Barbara Geising Korrektorat: exact! Sprachenservice und Informationsmanagement GmbH ANZEIGEN Echtzeit Dr. Henrik Kelz, Henrik.Kelz@zvei-services.de 44 Die Nachweise der im Inhaltsverzeichnis verwendeten Bildmotive sind in den entsprechenden Artikeln vermerkt. DRUCK 34 REPORT DAU E R B AU S T E L L E INFRASTRUKTUR SEW-EURODRIVE GmbH & Co KG Mobilfunk, Ladeinfrastruktur Der Bezug des Magazins ist im ZVEI-Mitgliederbeitrag enthalten. und Stromnetze müssen Alle Angaben sind ohne Gewähr, Änderungen vorbehalten. Nachdruck, Vervielfältigung und Onlinestellung nur mit schriftlicher Genehmigung zukunftssicher werden. des Herausgebers gestattet. Alle Rechte vorbehalten. Stand: 08/2021 38 GEWALTENTEILUNG Titel iStockphoto.com / DrAfter123, shutterstock.com / Yevhen Tarnavskyi UPDATE FÜR DEUTSCHLAND Christian Lindner (FDP), Alexander Schweitzer (FDP) und Wolfgang Weber (ZVEI) zum Infrastrukturausbau Dieses Magazin wurde auf FSC®-zertifiziertem Papier gedruckt. Mit der FSC®- 42 HEISSES EISEN Zertifizierung (Forest Stewardship Council) wird garantiert, dass sämtlicher verwendete Zellstoff aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt. Der FSC® setzt ENERGIE? ABER SICHER. sich für eine umweltgerechte, sozial verträgliche und wirtschaftlich tragfähige Bewirtschaftung der Wälder ein und fördert die Vermarktung ökologisch und Ute Poerschke, Geschäftsführerin sozial korrekt produzierten Holzes. Elschukom, kümmert sich selbst um Strom für ihre Fabrik. Download & Bestellung Sie können die Ausgabe von ampere über den QR-Code downloaden oder 44 EINEN SCHRITT WEITER unter zsg@zvei-services.de bestellen. QR-Code-Reader im App Store EYECANDYLAB herunterladen und Code mit Wie ein Münchner Start-up den Ihrem Smartphone scannen. ISSN-Nummer 2196-2561 Medienkonsum neu definieren will. Postvertriebskennzeichen 84617 ampere 3 . 202 1
KOPF ODER ZAHL 7 Kopf oder Zahl KLEINBUS S TAT T K E I N B U S 569 Pkw pro 1.000 Einwohner meldet das Statistische Bundesamt für Deutschland. 2010 waren es noch 509 Pkw pro 1.000 Einwohner. Der Motorisierungsgrad in Deutschland steigt allen Klimaschutzdebatten zum Trotz. Die Hansestadt Hamburg liegt zwar mit 434 Pkw pro 1.000 Ein- wohner unter dem Durchschnitt, leidet aber auch aufgrund der durch den Hafen verursachten Lkw- Fahrten an massiven Verkehrsproblemen. Lösungen sollen zum Weltkongress für Intelligente Transport- systeme im Oktober 2021 vorgestellt werden. Eine davon ist ein autonomer Kleinbus der Hochbahn, der im Neubauquartier „Hafen City“ seine Runden dreht. Der HEAT („Hamburg Electric Autonomous Transportation“) wurde vom deutschen Ingenieur- dienstleister IAV entwickelt. Anders als in vielen anderen Projekten weltweit fährt der Kleinbus nicht auf abgesperrten Straßen, sondern im normalen Ver- kehr – und das mit bis zu 25 km/h. Für die Sicherheit sorgen nicht nur im Fahrzeug verbaute Sensoren, sondern auch eine permanente Kommunikation mit der von Siemens stammenden straßenseitigen In- frastruktur. Am bereits vorab laufenden Testbetrieb kann sich jeder beteiligen – die Akzeptanz bei Einwohnern und Touristen zu erforschen, ist neben der Technik ein Teil des Vorzeigeprojekts. win ampere 3 . 202 1
8 ZUKUNFT JETZT Expertenwissen CHIPFERTIGUNG Autofabriken stehen still, Konsumenten müssen lange auf bestellte Elektrogeräte warten. Ursache ist der aktuelle Chipmangel. Warum die Halbleiter- produzenten kurzfristig nicht mehr herstellen können, erläutert ZVEI-Experte Sven Baumann. „Halbleiter sind derzeit Mangelware. Fertigung der Wafer, die bis zu 16 Wo- Gerät eingebaut wird. Mindestens so In einer Marktwirtschaft reagieren die chen in Anspruch nehmen kann, folgt gravierend wie die technischen sind Anbieter darauf mit erhöhten Ferti- die Assemblierung zu einbaufertigen jedoch die betriebswirtschaftlichen gungskapazitäten. Das passiert auch – Chipsystemen einschließlich Kontak- Aspekte: Die Hersteller betreiben ihre und dauert trotzdem ziemlich lange. tierung. Das dauert noch einmal bis Werke ohnehin mit fast 100 Prozent Dass kurzfristige Lösungen nicht greif- zu acht Wochen, wozu auch intensive Auslastung, und das 24 Stunden am bar sind, hat sowohl technische als auch Tests beitragen. Die Assemblierung Tag und sieben Tage in der Woche. wirtschaftliche Gründe. Technisch do- (international meist als „Packing“ be- Neue Kapazitäten zu schaffen dauert miniert dabei die Komplexität des Her- zeichnet) erfolgt zu mehr als 80 Pro- selbst dann, wenn das Geld für milliar- stellprozesses. Er besteht aus rund 800 zent durch asiatische Spezialanbieter, denschwere Investitionen vorhanden einzelnen Schritten, die zudem in der weshalb lange Transportzeiten hinzu- ist. Eine langfristige Planung und bes- Regel nicht in einer einzelnen Fabrik kommen – jeder Chip ist mehr als zwei- sere Prognosen sind daher unerläss- durchgeführt werden. Denn auf die mal um die Welt gereist, bis er in ein lich.“ win Meilenstein zu verbinden oder an den Strom an- zuschließen. Entwickelt hat das uni- 1996 verselle serielle Bussystem in den frühen 1990er-Jahren ein Konsor- tium aus Unternehmen wie Compaq, Seitdem 1996 der erste DEC, Intel, IBM und Microsoft. Maß- geblich beteiligt war ein Team um Standard für ein uni- den Entwickler Ajay Bhatt von Intel. verselles serielles Bus- Er soll sich von der Einfachheit einer Wandsteckdose inspirieren haben las- system (USB) eingeführt sen, die man ohne viel Nachdenken wurde, kommunizieren nutzen kann, anstatt sich – wie etwa bei der Verbindung eines Druckers Computer und Hardware mit dem Computer – mit vielpoligen verschiedener Hersteller Steckern, kleinen Schräubchen und einer zu installierenden Software reibungslos miteinander. Die besten Erfindungen sind die, herumzuplagen. Seit der Einführung über deren Nutzen, Wirkweise und 1996 trat der USB-Standard, der mit Form sich niemand Gedanken macht. einer maximalen Datenübertragungs- Ein USB-Anschluss gehört dazu. Er rate von 12 Megabit pro Sekunde ist selbstverständlich geworden, um startete, seinen Siegeszug an – mitt- Computer, Drucker, Kameras, Smart- lerweile lassen sich bei der Version Foto ZVEI phones und manchmal auch Ventila- USB 3.2 bis zu 20 Gigabit in derselben toren oder Leselampen miteinander Zeit übertragen. msa ampere 3 . 202 1
ZUKUNFT JETZT 9 Schaltzeichen W I D E R S TA N D Die Klimaziele in Deutschland werden immer ehrgeiziger – gleichzeitig stockt der Ausbau der Windkraft: Woran liegt das? schon heute den größten Anteil an tiven gegen die Pläne. Ihnen geht es den Erneuerbaren hat. Doch ausge- vor allem um den Artenschutz von rechnet deren Zubau ist seit Jahren Vögeln und Fledermäusen, außer- rückläufig. Kamen 2017 noch Anlagen dem um Form- und Verfahrensfehler mit einer Maximalleistung von 5.333 sowie den Lärmschutz. Das verhin- Das Bundeskabinett hat die Klima- Megawatt hinzu, waren es 2020 nur dert häufig den Neubau. Doch es ist ziele für Deutschland für 2030 ange- noch 1.431 Megawatt. nicht alles so negativ wie es scheint: hoben: Die Treibhausgasemissionen Die Ursachen für den Rückgang Das Repowering, bei dem alte Wind- sollen um 65 statt um 55 Prozent sind vielfältig. Es gibt vor allem zu we- energieanlagen durch neue ersetzt im Vergleich zum Jahr 1990 sinken. nig planerisch ausgewiesene Flächen, werden, wird mit dem neuen Energie- Einen großen Anteil daran soll die um die Anlagen zu bauen. Sie ste- und Klimapaket erleichtert. Außer- beschleunigte Umstellung der Strom- hen oft in sogenannten Nutzungs- dem zeigt das Branchenbarometer der erzeugung auf regenerative Energien oder Schutzkonflikten, etwa mit der Windenergiemesse in Hamburg, das haben. Große Hoffnungen ruhen auf Funknavigation der zivilen Luftfahrt. im Juni dieses Jahres veröffentlicht der landgestützten Windkraft, die Außerdem klagen viele Bürgerinitia- wurde, auffrischenden Wind an. msa Mein Nicolas-Fabian Schweizer, Vorstandsvorsitzender der Schweizer Electronic AG und Vorsitzender des ZVEI- Gadget Fachverbands PCB-ES, verbringt viel Zeit in Video- konferenzen. Dafür nutzt er ein modernes Headset. HEADSET Geräusche im Umfeld. Ginge es Neue Normalität: Familien- nach Schweizer, könnte das unternehmer Nicolas-Fabian Schweizer verbringt bis Als Chef eines mittelständischen, Headset aber noch kleiner zu acht Stunden am Tag gleichwohl weltweit tätigen Elek- und leichter werden – vor dem PC. tronikunternehmens fühlte sich und trotzdem Akku- Schweizer schon früher manchmal kapazität für mindestens wie ein Pilot – und flog auch fast so 24 Stunden mitbringen. viel. Als dann die Corona-Pandemie Gut möglich, dass ihn zuschlug und sich nahezu jede Kom- das Headset oder dessen munikation ins Virtuelle verlagerte, Nachfolger künftig auch investierte er in ein kabelloses Head- auf Reisen begleitet. Denn so set mit integriertem Mikrofon. Bis zu positiv Schweizer den Schritt acht Stunden am Tag begleitet es ihn vom Telefonat zur Videokonferenz seither. Vor allem in internationa- sieht: Die direkte menschliche Inter- Foto Nico Pudimat len Kon ferenzen mit vielen Teilneh- aktion fehlt ihm. Nicht alles ist durch mern oder bei schlechter Verbindung Technik zu ersetzen, schon gar nicht schätzt er die gute Wiedergabe und im Umgang mit Geschäftspartnern die aktive Unterdrückung störender aus anderen Kulturkreisen. win ampere 3 . 202 1
10 A U F TA K T AU F TA K T Digital ist nicht egal Das mobile Internet und smarte Technologien sind im Alltag der Menschen an- gekommen. Nur Politik und Verwaltung begegnen der Digitalisierung noch immer überwiegend misstrauisch. T E X T J O H A N N E S W I N T E R H AG E N ampere 3 . 202 1
A U F TA K T 11 cht Jahre sind vergangen, Doch sobald der Blick in die Amts- A seit die scheidende Bundes- kanzlerin Angela Merkel das Internet während einer Pressekonferenz als „Neuland“ be- zeichnete. Die Ureinwohner dieses stuben der Republik fällt, scheint die Zeit stillzustehen. Da werden Formu- lare von Hand ausgefüllt, Dokumente gefaxt und auch der gute alte Hauspost- umschlag existiert noch. Der Mangel Landes, all jene, die sich seit den an Digitalisierung in der öffentlichen 1990ern bereits im Netz bewegten, Verwaltung mag pittoresk erscheinen, 79 % sparten nicht mit Spott. Doch neh- führt aber stellenweise das Prinzip der men wir einmal an, im Jahr 2013 wäre Daseinsfürsorge ad absurdum, wenn die Stunde Null des Internets gewe- Lebensbereiche wie Bildung oder Ge- sen: Wie schnell wäre die „Terra in- sundheit betroffen sind. Schnelle der 20- bis 29-jährigen Deutschen glauben, dass sie cognita“ erkundet, kartografiert und Besserung ist nicht in Sicht. In einer persönlich insgesamt von der besiedelt worden? Die Zeichen stan- im Auftrag des Kompetenzzentrums Digitalisierung profitieren. den nicht schlecht: Die deutsche Öffentliche IT 2020 durchgeführten Der Wert sinkt mit dem Alter, Elektroindustrie hatte das Produk- Studie gaben 32 Prozent der Kommu- bei den 60- bis 69-Jährigen beträgt er noch tivitätspotenzial der Digitalisierung nen an, dass keine Digitalstrategie für längst erkannt und im Schulter- schluss mit dem Maschinenbau die „Industrie 4.0“ ausgerufen. Die Autobranche, die hierzulande fast die eigenen Aufgaben existiere, weite- re 35 Prozent vertrösteten damit, dass man derzeit eine Strategie entwickele. Ineffiziente, nicht digitalisierte Prozesse 49 %. Quelle: D21-Digital-Index 2020/2021 40 Prozent aller F&E-Ausgaben der kosten den Staat Geld, das der Bürger Wirtschaft tätigt, arbeitete bereits an über Steuern oder Gebühren bezahlt. autonomen Fahrzeugen. Die viel schlimmere Folge ist jedoch das Acht Jahre und zwei Legislatur- grundsätzliche Misstrauen der Politik, perioden des Bundestags später exis- das allem Digitalen entgegenschlägt. tieren zwei Pole: Auf der einen Seite Ein Ausweis dieses Misstrauens war stehen die Menschen, auf der ande- jüngst wieder zu bestaunen: Ladesäulen ren der Staat. Viele Verbraucher ha- für Elektroautos sollen ab Mitte 2023 ben sich von analogen Gewohnheiten durchgängig mit einem Kreditkarten- und Gütern verabschiedet. Am deut- lesegerät ausgestattet werden, obwohl Illustration iStockphoto.com / DrAfter123, shutterstock.com / Yevhen Tarnavskyi lichsten zeigt das der D21-Digital- das mobile Zahlen mit dem Smart- Index, der vom Bundeswirtschafts- phone immer beliebter wird und die ministerium gefördert wird: 80 Pro- Plastikkarte zunehmend verdrängt. zent aller Deutschen über 14 Jahre Dass die Mehrheit der Menschen in nutzten 2020 das mobile Internet, Deutschland smarter leben will, daran 2015 waren es erst 54 Prozent. 97 Pro- besteht wenig Zweifel. Es wäre an der zent aller Berufstätigen bewegen sich Zeit, etwas mehr Zutrauen in die tech- mittlerweile im Internet – also eben nischen Möglichkeiten zu entwickeln nicht nur jene, die im Büro oder und eine ambitioniertere Digitalpoli- Homeoffice sowieso am Computer sit- tik zu gestalten. Wir wiederholen da- zen. Das Smartphone wird von deut- her sicherheitshalber an dieser Stelle, lich mehr Menschen als Tor ins Netz was bereits im Sommer 2013 in diesem genutzt (84 Prozent) als der Rechner Magazin veröffentlicht wurde: „Das auf dem Schreibtisch (47 Prozent). Und Internet der Dinge verspricht nicht mittlerweile sagen sogar 39 Prozent nur mehr Komfort und Multimedia, der Befragten, dass sie ein smartes TV- sondern auch saubere Energie und Gerät als Zugang verwenden. selbstbestimmtes Leben im Alter.“ ampere 3 . 202 1
12 CHEFSACHE ampere 3 . 202 1
CHEFSACHE 13 „Am Ende zählt, was auf dem Teller ist“ Das Digitale muss dem analogen Leben dienen, greifend sicher, dass unsere Geräte nicht umgekehrt. Dr. Reinhard Zinkann, geschäfts- und Services über offene Schnittstel- führender Gesellschafter von Miele, ist davon len etwa mit Sprachboxen oder Liefe- ranten von Lebensmitteln kompatibel überzeugt, dass smarte Software-Lösungen zwar sind. So beginnt etwa der Kochkreis- das Leben verbessern, aber längst nicht alles lauf mit der Frage, was genau ich über- haupt kochen möchte, gefolgt von technisch Mögliche auch sinnvoll ist. Einkauf, Vorbereitung, Garprozess und Anrichten. Dann wird gegessen und T E X T J O H A N N E S W I N T E R H AG E N · FOTO G R A F I E H E N N I N G R O S S am Schluss das Geschirr gespült und der Frage nachgegangen, was sich mit übrig gebliebenen Zutaten anstellen Herr Dr. Zinkann, während der Coro- andere Geschäftsmodelle, etwa „pay lässt. Für all dies gibt es smarte Funk- na-Pandemie haben Millionen Deut- per use“ für Lebensphasen, in denen tionen, die den Alltag erleichtern und sche ihr Heim renoviert. Was haben man für einige Zeit an einem anderen für noch mehr Genussvielfalt sorgen. Sie im Lockdown gemacht? Ort wohnt, trotzdem aber eine gute Vieles davon können wir aus eigener Wir haben unseren Garten neugestal- Waschmaschine oder moderne Koch- Kompetenz abdecken, etwa über unse- tet und einen lang geplanten Anbau geräte im Haus haben will. ren Kompetenzbereich Smart Home/ realisiert. Hat gedauert, aber nun sind Electronic mit mehr als 1.000 eigenen wir fast fertig. Waschmaschinen aus Ihrem Haus Spezialistinnen und Spezialisten. Für werden auf eine Mindestlebensdauer Lösungen außerhalb unseres bisheri- Für viele Menschen hat das Zuhause von 20 Jahren getestet. Wie passt gen Stammgeschäfts haben wir eine eine neue Bedeutung bekommen. Ist so etwas in eine schnelllebige Zeit, eigene Business Unit gegründet, die dieser Trend von Dauer? in der neue Funktionen vor allem „New Growth Factory“. Dort beschäf- Auf jeden Fall wird er uns noch eine durch digitale Vernetzung realisiert tigen wir uns mit ganz neuen Themen ganze Weile begleiten. Die Pandemie werden? wie einer Rezepte-App oder einem ist nicht vorbei, und grundsätzlich Es ist schlicht nachhaltiger, elektroni- Gewächshaus für zuhause und bieten bleibt die Gefahr, die von jeglicher sche Geräte möglichst langlebig zu ge- eine Landebahn für solche Ideen, die Art Virus ausgeht, in unserer globa- stalten, und Langlebigkeit ist Teil des sich dort in aller Ruhe weiterentwi- lisierten Welt höher denn je. Dadurch genetischen Codes von Miele. Eben- ckeln können. Und natürlich arbeiten könnte es schon zu einem dauer- so unverzichtbar ist aber der Einsatz wir weiter auch mit externen Partnern haften Umdenken und einer neuen neuester Technologien. Die elektroni- zusammen. Werteskala kommen nach dem Mot- schen Steuerungen unserer Produkte to: weniger außen, mehr innen. Viele lassen sich per Software-Update nach- Wie smart wird denn in Zukunft Menschen haben in der Pandemie rüsten. Früher musste man ein neues gekocht? aber auch einfach gemerkt, wie schön Gerät kaufen, wenn man eine neue Das hängt unter anderem davon ab, es zuhause sein kann. Aber damit es Funktion nutzen wollte. Heute lassen welchen Kulturkreis wir betrachten. dort schön ist, muss man es sich auch sich etwa bei hochwertigen und lang- Deshalb muss man sich der Frage schön machen. lebigen Waschmaschinen neue Wasch- zunächst regional nähern. Weitere programme nachträglich aufspielen – wesentliche Unterschiede im Kunden- Geht damit eine Wiederaufwertung auch für Textilien, die wir heute verhalten ergeben sich aus Alter und des Besitzes einher? womöglich noch gar nicht kennen. Familienstand. Und nicht zuletzt Menschen streben immer danach, spielt es eine entscheidende Rolle, ob Besitz zu erwerben. Das gilt erst recht Aber alles selber machen ist doch in wir einen Haushalt auf dem Land oder für Zeiten, in denen Geldvermögen einer Smart-Home-Umgebung un- in der Großstadt betrachten. In New nicht verzinst wird und sich so eine möglich. York wird manch teurer Herd nur ein- schleichende Geldentwertung voll- Absolut richtig, und deshalb stellt mal im Jahr verwendet, um am Ernte- zieht. Dennoch gibt es auch Raum für unsere Elektronikentwicklung über- dankfest den gelieferten Truthahn ▷ ampere 3 . 202 1
14 CHEFSACHE „Wir werden den Weg in die Zukunft nicht finden, wenn wir uns ausschließ- lich auf Daten aus der Vergangenheit verlassen.“ aufzuwärmen. Gleichzeitig ist das niert mit den aktuellen Trends und den Wie viele andere Elektrounterneh- Kochen für immer mehr Menschen Ideen unserer Entwickler und Designer men macht Miele mittlerweile weni- eine Leidenschaft, für die sie die best- geben Daten wichtige Impulse. ger als ein Drittel seines Umsatzes in mögliche Technik einsetzen wollen. Deutschland. Inwieweit kann man da Die eine smarte Lösung für alle gibt es Was sollte man als Hersteller im Um- smarte, auf das Leben der Menschen deshalb nicht. Der Trend geht jedoch gang mit solchen Daten beachten? passende Lösungen noch hierzulan- in Richtung intelligente Assistenz- Zunächst einmal muss klar sein, dass de entwickeln? systeme, Sprachsteuerung, Einbin- die strikte Einhaltung der Bestim- Wir haben Scouts in allen Märkten, dung von Künstlicher Intelligenz und mungen zum Datenschutz erste Prio- die sehr aufs Detail achten, auch Nachhaltigkeit, etwa mit Blick auf we- rität hat. Dies vorausgesetzt, macht es und gerade mit Blick auf die regio- niger Verschwendung durch Wegwer- natürlich einen Unterschied, ob man nalen Bedürfnisse und Gewohn- fen von Lebensmitteln. nur Maschinendaten ausliest oder die- heiten der Kundinnen und Kunden, se auch konkreten Personen zuordnet, angefangen mit der Gestaltung der Wenn Ihre Geräte alle vernetzt sind möglicherweise sogar ein detaillier- Geschirrspülerkörbe oder der Auto- und Ihre Apps beim Kochen assistie- tes Nutzerprofil erstellt. Miele wertet matikprogramme im Backofen. Denn ren, dann kennen Sie das Koch- und Daten grundsätzlich nicht personen- ansonsten kann in der Tat einiges Essverhalten einzelner Kunden doch bezogen aus. Bei der anonymisierten schiefgehen. Auch die Größe eine Ge- genau. Nutzen Sie die Daten? Auswertung, etwa wie oft Kochfelder rätes kann entscheidend sein, etwa Das Schwierige daran ist aus heutiger genutzt werden, brauchen meiner mit Blick auf den bereits erwähnten Sicht die ungeheure Datenflut, die man Meinung nach nicht so enge Grenzen Thanksgiving-Truthahn in den USA. dafür auswerten müsste. Aber natürlich gezogen werden. Ich glaube, dass die Für eine intelligente Produktlösung schauen sich unsere Produktentwick- Selbstregulierung von Märkten in die- muss beides stimmen: Software und ler genau an, wie unsere Geräte genutzt sem Punkt funktioniert, sprich, dass Hardware. werden. Das geht übrigens nicht nur bei die Kundinnen und Kunden mit den vernetzten Geräten, sondern bei allen Füßen abstimmen. Wer ein Smart- Könnte es auch sein, dass nach der klassischen Großgeräten mit elektro- phone intensiv nutzt, wird wahr- Pandemie die Sehnsucht nach dem nischer Steuerung auch über den Kun- scheinlich auch damit einverstanden Analogen so stark wird, dass kein dendienst. Trotzdem werden wir den sein, dass seine Waschmaschine die Mensch mehr etwas von smarten Weg in die Zukunft nicht finden, wenn Anzahl der Schleudergänge speichert Produkten hören will? wir uns ausschließlich auf Daten aus der und der Hersteller das nachvollziehen Zunächst einmal hat Corona uns Vergangenheit verlassen. Aber kombi- kann. noch einmal vor Augen geführt, wie ampere 3 . 202 1
CHEFSACHE 15 „Für eine intelligente Produktlösung muss beides stimmen: Software und Hardware.“ komplex die Situation im Homeoffice ist. Für viele lassen sich Beruf und Pri- vates nur noch schwer trennen, was leicht zu Überbelastung führt. Hier hilft das Digitale dabei, Arbeit abzu- nehmen, von der Online-Bestellung über die Automatisierung von Gar- prozessen und der Kamera im Back- ofen bis zum Signal, dass die Wäsche trocken ist. Man spart Zeit, indem man sich Aufwand vom Hals schaff t. So hat Corona auf die Digitalisierung unseres Alltags wie ein Booster ge- wirkt, und vieles, was sich aus der Not heraus bewährt hat, wird bleiben. Diese Uhr wird sich nicht wieder voll- ständig zurückdrehen. Die spannen- de Frage ist, wie sich dies unter den Bedingungen des vielzitierten „New Normal“ einpendeln wird. Sicher wird es aber auch nach der Pandemie im- mer Menschen geben, die analoge Technologien den smarten Geräten vorziehen. Lassen Sie ab und an auch wieder etwas weg? Ja, natürlich. Wenn wir wahrnehmen, dass bestimmte Funktionen von den Kundinnen und Kunden nicht oder nicht mehr nachgefragt werden, dann würden wir diese in weiteren Updates auch nicht mehr verfolgen. Es geht schließlich nicht um das technisch Machbare, sondern um den prakti- schen Kundennutzen. Am Ende zählt das Ergebnis, also das, was etwa auf den Teller oder aus der Waschmaschine kommt. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Zinkann. ampere 3 . 202 1
16 FA K T E N S TAT T V O R U R T E I L E Denken statt Bedenken Zu elitär? Klimaschädlich? VO R U R T E I L : VO R U R T E I L : Smart-Home-Anwendungen werden Die Digitalisierung steigert in der Breite nicht akzeptiert, sie sind eine den Stromverbrauch und damit Spielerei für Elite-Zielgruppen. auch den CO 2 -Ausstoß. FA K T E N : FA K T E N : Im Jahr 2025 sind, Alle Rechenzentren zusammen sind für so der Digital Market Outlook von Statista, 18,5 MILLIONEN 1 P R OZE N T des globalen Energieverbrauchs verantwortlich. D E U T S C H E H AU S H A LT E mit Smart-Home-Technologien ausgestattet. * Die globale Rechenleistung stieg zwischen 2010 und 2018 um 500 P R OZE N T, der Energiemehrbedarf dagegen nur um sechs Prozent. Cloud-Lösungen verbrauchen weniger Strom als lokal arbeitende Computer. Außerdem arbeiten die Rechenzentren immer energieeffi zienter. * Der Verkehrsclub Deutschland und das Borderstep Institut fanden heraus, dass in Deutschland bis zu * Laut Smart Home Monitor 2021 von Splendid Research nutzen schon heute 3 M I L L I O N E N TO N N E N Treibhausgas pro Jahr eingespart werden können, 40 P R OZE N T D E R D E U T S C H E N mindestens eine Smart-Home-fähige wenn auch nach Corona statt auf Dienstreisen mehr auf Videokonferenzen gesetzt würde. Anwendung, weitere 38 Prozent interessieren sich für eine Nutzung. * Der Preis ist keine allzu große Hürde mehr: Nur 23 P R OZE N T D E R N O C H - N I C H T - N U T ZE R warten derselben Studie zufolge einen günstigeren Einstiegspreis ab. ampere 3 . 202 1
FA K T E N S TAT T V O R U R T E I L E 17 Ob eine Digitalkamera genauso gut Bilder macht wie ein analoger Fotoapparat, diskutieren heute selbst Profis nicht mehr. Trotzdem haben neue digitale Technologien immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen. Zu unsicher? Zu kompliziert? VO R U R T E I L : VO R U R T E I L : Das Gesundheitswesen wird digitaler. Ältere Menschen kommen mit dem Die damit verbundenen Risiken sind aber Smart Home nicht zurecht, weil die Bedienung größer als der Nutzen. zu kompliziert ist. FA K T E N : FA K T E N : Die Älteren sind schon längst smart, zumindest bei ihren Kommunikationsmitteln: 82 P R OZE N T der 60- bis 69-Jährigen und immerhin noch 52 Prozent der Über-70-Jährigen nutzen laut Statista ein Smartphone. Eine Studie von McKinsey zeigt, dass digitale Tech- nologien im deutschen Gesundheitswesen bis zu * 34 MILLIARDEN EURO jährlich einsparen helfen könnten. Das entspricht Rund 45 P R OZE N T der Deutschen, so fand es die Digitalstudie 2020 – vor der Pandemie – rund 12 Prozent der gesamten der Postbank heraus, nutzen im Jahr 2019 digitale jährlichen Gesundheitskosten. Sprachassistenten. Besonders überraschte die Studienmacher dabei, dass es die höchsten * Durch die Pandemie sind die Hackerangriffe im Ge- Zuwächse bei den älteren Menschen gab. sundheitssektor deutlich gestiegen. Sie machen nun * 17 P R OZE N T aller vom IT-Sicherheitsunternehmen NTT weltweit gezählten Angriffe aus. Zum Vergleich: Auf die Industrie entfielen 22 Prozent aller beobachteten Angriffe. * Die große Mehrheit der Deutschen findet, Illustrationen DesignCuts / bloomua dass ihre Daten bei Gesundheitseinrichtungen Eine Studie der FH Dortmund wiederum gut aufgehoben sind. In einer Postbank-Studie erklärt, dass sich kam heraus, dass 87 P R OZE N T 89 P R OZE N T der befragten Senioren vorstellen können, am ehesten Ärzten und Kliniken vertrauen, wenn für die Pflege altersgerechte Techniken zur es um den Schutz ihrer persönlichen Daten geht. Unterstützung zu erhalten. ampere 3 . 202 1
18 BLICK INS LABOR Nicht sexy, aber klug Wie viele Ladepunkte braucht das Land, wenn ehn Millionen Elektroautos, sich Elektromobilität flächendeckend durch- setzt? Sind die Verteilnetze in den Städten dem zu erwartenden Elektronensturm gewachsen? Z eine Million öffentlicher La- depunkte – und das alles bis 2030. Der Ende 2019 von der Bundesregierung verabschiedete „Masterplan Ladesäuleninfrastruk- Die Antwort auf diese Fragen hängt vor allem tur“ sieht ehrgeizige Ziele vor und dürfte trotzdem mittlerweile von der davon ab, wie flexibel und wie schnell Elektro- Realität überholt sein. Höhere CO2- autos künftig Strom tanken. Einsparziele und vor allem die Ab- kehr der Automobilindustrie von fossilen Energieträgern kann dazu T E X T J O H A N N E S W I N T E R H AG E N führen, dass die Anzahl der Elektro- autos auf deutschen Straßen schneller steigt als gedacht. Gleichzeitig war die Ladepunkte-Million „eine politische Kennzahl“, wie Johannes Pallasch be- tont. Der Wirtschaftsgeograf koordi- niert im Auftrag der Bundesregierung die „Nationale Leitstelle Ladeinfra- struktur“. Die wiederum orientiert 30.000 GWh elektrische Energie benötigen die rund 15 Millionen E-Autos im Jahr 2030. Quelle: Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur sich nicht mehr an einem bestimmen festen Verhältnis zwischen Elektro- autos und Ladepunkten. Entscheidend ist nämlich die Frage, wo die Fahrzeuge gela- den werden und wie schnell wie viel elektrische Ener- gie sie dabei aufnehmen. Pallasch hat detaillierte Studien dazu anfertigen lassen und kommt auf ganz andere Werte: 2030 könnten fast 15 Millionen E-Autos – Plug-in-Hybride eingerechnet – in Betrieb sein. Die benötigen dann rund 30.000 Gigawattstun- den Energie, von denen aller- dings maximal 32 Prozent an öffentlichen Stationen geladen werden, der Rest entfällt auf das eigene Heim und den Parkplatz des Arbeitgebers. Fahren die Elektro- mobilisten verstärkt Lade-Hubs an, in denen mit hohen Leistungen von bis zu 350 oder gar 400 Kilowatt geladen werden kann, reichen sogar 440.000 öffentliche Ladepunkte. ampere 3 . 202 1
BLICK INS LABOR 19 Solche Lade-Hubs unterschei- den sich kaum von Tankstellen wie wir sie kennen. Mit bis zu 12 Lade- punkten pro Station pumpen sie in zehn Minuten ausreichend Strom für 300 Kilometer in den Akku – rech- nerisch zumindest. In der Praxis exis- tieren zwar noch technische Hürden, unter anderem weil die Akkus beim schnellen Laden durch die thermi- sche Belastung schneller altern. Trotz- dem setzen immer mehr Akteure auf Wenn das Schnellladen. Autohersteller ent- wickeln 800-Volt-Bordnetze – üblich sind 400 Volt –, damit die Kabel an Bord nicht allzu dick werden. An den Autobahnen ist, unter anderem durch das von den Autoherstellern finanzier- te Gemeinschaftsunternehmen Ionity, bereits ein halbwegs funktionierendes 92,5 % der E-Auto-Besitzer flexibel laden, wird ein Netzausbau überflüssig, selbst wenn 100 Prozent aller Autos elektrisch fahren. Netz an Ultraschnellladern entstan- Quelle: Technische Universität München / Oliver Wyman den. Nun steigen auch die Mineral- Stromtanken zeitlich nach Angebots- ölkonzerne in das Geschäft mit den lage zu strecken, ist bereits heute für Stromtankstellen ein: Sie können sich die meisten Elektroautos möglich. den vertriebenen Strom mehrfach auf Die Stromstärke muss ohnehin lau- ihre CO2-Bilanz anrechnen lassen. fend nachgeregelt werden – und auch Jede Kilowattstunde, die über einen eine Anbindung der Wallbox zuhause großen, an die Mittelspannungsebe- an ein intelligentes, lokales Energie- „Regelbare Ortsnetz- ne angeschlossenen Lade-Hub in den management ist bereits möglich. Die Akku eines Elektroautos fließt, hat entsprechenden Standards sind ver- trafos sind für die einen zweiten Effekt: Sie entlastet die fügbar oder zumindest in Arbeit. Strom-Verteilnetze in den Kommu- „Die eigentliche Hürde liegt in Elektromobilität ge- nen. Denn ohne Ausbau wären die mit einer 95-prozentigen Wahrschein- nicht fernsteuerbaren Ortsnetztrafos“, erläutert Zeyen. „Die werden über- nauso entscheidend lichkeit überlastet, sobald die Elektro- wiegend im Blindflug betrieben.“ wie Ladesäulen.“ mobilitätsquote 30 Prozent übersteigt, Die Verteilnetzbetreiber können also so eine Studie der Technischen Univer- eine drohende Überlastung eines be- MICHAEL ZEYEN, sität München im Auftrag von Oliver stimmten Netzabschnitts gar nicht G E S C H Ä F T S F Ü H R E R VA N C O M Wyman. Deswegen allein auf Schnell- erkennen. Zeyen fordert ein rasches laden zu setzen, sei aber kein Weg, Umdenken: „Die Trafos können mit so ZVEI-Vorstandsmitglied Michael Mess- und Kommunikationstechnik Illustration iStockphoto.com / petovarga Zeyen. Der Geschäftsführer des Ingeni- nachgerüstet werden.“ Das sei nicht eurdienstleisters Vancom spricht klar nur klüger, sondern auch entschei- aus: „Mit dem schnellen Gleichstrom- dend billiger als überall die Kupfer- Laden ist kaum ein sinnvolles Lasten- drähte zu verstärken. „Regelbare management möglich. Genau das aber Ortsnetztrafos sind vielleicht nicht so brauchen wir in einem Energiesystem, sexy wie Ladesäulen“, so Zeyen. „Aber das auf fluktuierend erzeugten Strom definitiv genauso entscheidend für die aus Sonne und Wind basiert.“ Das Elektromobilität.“ ampere 3 . 202 1
Wir sagen DANKE… … an unsere 25 Sprecher fürs Mitmachen! … an unsere 1.200 Teilnehmer fürs Zuschauen! … an unsere 18 Partner fürs Unterstützen! Der ZVEI-Jahreskongress digital 2021 war eine gelungene Veranstaltung – jetzt freuen wir uns auf 2022 in Berlin! www.zvei-jahreskongress.de E-THE-DATE: AV ZVEI-Ja S kongre hres- ado .com ss 202 stock.adobe 2 lia – stock 17. - 18 ,pololia rworks ,polo . in Ber Mai metamorworks anko, metamo olovianko, lin t golovi Quelle: neonshot,
Superior-Partner Premium Partner Business Partner
22 BESTE PRAXIS Geopolitik mit Nanostrukturen ampere 3 . 202 1
BESTE PRAXIS 23 Der Markt für Mikroelektronik Dann kam das Pandemiejahr, die Weltwirtschaft stand unter Schock und schrumpfte um 3,3 Pro- boomt. Die Europäische Union zent. Die weltweite Autoproduktion sackte gar von hat nun das politische Ziel 79 auf 66 Millionen Fahrzeuge ab, dem niedrigsten Wert seit 2009. Ganz anders die Mikroelektronik: Im gesetzt, ihren Anteil an der Um Gesamtjahr 2020 zeigte sie ein starkes Wachstum 6,8 weltweiten Chipproduktion zu von 6,8 Prozent. Die Chiphersteller bedienten die Märkte, die auch während der Pandemie wuchsen, verdoppeln. Ein neues pan-euro- beispielsweise die Unterhaltungselektronik. Wäh- päisches Projekt, unterstützt vom Prozent rend die aktuellen Mangelerscheinungen durch stieg der Kapazitätsanpassungen mittelfristig zu beheben ZVEI, soll den Startschuss geben. Markt für sind, stellen sich viele Experten eine ganz ande- Mikro- elektronik re Frage: Ist der aktuelle Nachfrageschub in der T E X T J O H A N N E S W I N T E R H AG E N im Jahr 2020. Mikroelektronik von Dauer? ZVEI-Experte Dr. Sven Baumann sieht Anzeichen dafür: „Das Internet der Dinge ebenso wie die grüne und digitale Transfor- mation stehen noch ganz am Anfang. Wenn künftig wirklich jedes Gerät von der Kaffee- bis zur Werk- n kleiner Runde scherzt Andreas Wolf bisweilen: zeugmaschine vernetzt ist, werden wir noch viel I „Ich freue mich über jeden Halbleiter, der bei uns ankommt, und begrüße ihn persönlich.“ Eigent- lich ist dem Vorstandschef des Autozulieferers Vitesco jedoch nicht zum Lachen zumute. Kaum einen Wirtschaftszweig hat der Halbleitermangel mehr Chips und Bauelemente benötigen als heute.“ Wer davon aktuell profitiert, zeigt der Trend- report ebenfalls. Allerdings gilt es genau hinzuse- hen. Auf den ersten Blick ist die weltweite Halbleiter- produktion fest in asiatischer Hand: Allein in China im ersten Halbjahr 2021 so ausgebremst wie die wurden 2020 rund 23 Prozent aller Halbleiter ge- Autobranche. Die Ursachen zeigt der Trendreport fertigt. Nimmt man Taiwan, Japan und Südkorea Mikroelektronik auf, den der ZVEI Ende Juni ver- hinzu, kamen 73 Prozent aller Chips aus asiatischen öffentlichte. Über Jahre wuchs nämlich der Markt für Fabriken. Auch große Medien wie die Tagesschau Mikroelektronik mit durchschnittlich fünf Prozent berichteten in den letzten Monaten daher über die pro Jahr, wobei die Nachfrageschwankungen dem vermeintliche Dominanz asiatischer Chipherstel- Auf und Ab der Weltwirtschaft stets etwas vorauseil- ler. Übersehen wird dabei, dass US-amerikanischen ten. Entsprechend hatten die Halbleiterproduzenten sowie europäischen Unternehmen ein hoher Anteil ihre Kapazitätsplanung ausgerichtet: Es wurden zwar an den Fabriken in China gehört. Jeder zweite Chip laufend neue Werke eröffnet oder erweitert, doch Bau weltweit wird in einem Werk produziert, das einem und Inbetriebnahme dauern mindestens anderthalb US-amerikanischen Unternehmen gehört. Das Land, Jahre, sodass die Investitionsentscheidungen sich in dem der spätere Nobelpreisträger Jack Kilby den am langfristigen Trend orientierten. ersten integrierten Schaltkreis entwickelt, ist mit ▷ M I K R O E L E K T R O N I K U N D W E LT W I R T S C H A F T 10 % R E A L E S B I P W E LT M I K R O E L E K T R O N I K M A R K T W E LT 25 % Seit 2012 wuchs die Mikroelektronik mit durch- schnittlich 5,4 Prozent pro Jahr in etwa im Gleich- 8% 20 % schritt mit der Weltwirtschaft. 2020 entkoppelte sich der Markt von der Gesamtwirtschaft. 6% 15 % 4% 10 % 2% 5% 0% 0% Foto Baldauf&Baldauf Fotografie –2 % –5 % –4 % –10 % –6 % 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 –15 % –8 % –20 % Quelle: WSTS, Omdia ampere 3 . 202 1
24 BESTE PRAXIS weitem Abstand die Weltmacht der digitalen Hard- ware. Chinesische Unternehmen sind mit fünf „Wenn künftig wirklich Prozent hingegen deutlich weniger bedeutend als europäische Anbieter, die auf neun Prozent kommen. jedes Gerät von der Kaffee- Dass EU-Kommissar Thierry Breton gleichwohl bis zur Werkzeugmaschine den Ausbau der europäischen Chipproduktion för- dern will, hat sowohl industrie- als auch sicherheits- vernetzt ist, werden wir politische Gründe. Europa sollte, so Breton, „externe Abhängigkeiten vor dem Hintergrund eines neuen noch viel mehr Chips und geopolitischen Kontextes vermeiden.“ Tief sitzen bei vielen Europapolitikern die Erfahrungen mit Bauelemente benötigen der Trump-Administration sowie dem chinesischen als heute.“ Hegemonialstreben der letzten Jahre. Der Haken: Eine europäische Chipproduktion nur für die relativ D R . S V E N B AU M A N N , kleinen Stückzahlen auszubauen, die in sicherheits- ZVEI kritischen Anwendungen wie Regierungsservern benötigt werden, ist nicht wirtschaftlich. Die hohen Investitionen in das Ökosystem Chipfertigung sind Die Bundesregierung plant für das neue IPCEI mit privatwirtschaftlich nur zu stemmen, wenn zusätz- einem Fördervolumen von 4,5 Milliarden Euro, wobei liche Märkte erschlossen werden können. Dies gilt 1,5 Milliarden aus dem EU-Aufbaufonds stammen. insbesondere für Chips mit sehr kleinen Strukturen Insgesamt sollen damit Investitionen in Höhe von bis hinunter in den Zwei-Nanometer-Bereich. Sie er- 15 Milliarden Euro angestoßen werden. Die Her- Jeder lauben es, 50 Milliarden Transistoren auf der Fläche ausforderung: Das Megaprojekt ist grundsätzlich eines Fingernagels unterzubringen. Ende 2020 gab die EU-Kommission daher den Startschuss für ein zweites „Important Project of Common European Interest“ (IPCEI) für Mikro- elektronik und Kommunikationstechnologien. 2. Chip weltweit offen für alle Unternehmen in allen Mitgliedsstaa- ten. Diese Vielfalt unter einen Hut zu bekommen, beschäftigt Martin Pioch, der den ZVEI in Han- dels- und Digitalthemen in Brüssel vertritt, derzeit rund um die Uhr. Denn der ZVEI hat auf Bitte des trägt das Mit diesem Instrument, das einzelstaatliche För- Logo eines Bundeswirtschaftsministeriums die Koordination derungen in einem Gesamtpaket zusammenfasst, US-Unter- des sogenannten „Chapeau“-Texts übernommen. waren bereits in der Vergangenheit signifikante nehmens. „Das Dokument dient quasi als Schirm, unter dem Investitionen angestoßen worden (siehe ampere sich alles versammelt“, erläutert Pioch. „Damit kann 2.2020). Es erlaubt über die Forschung hinaus später das Gesamtprojekt von der EU geprüft wer- trotz der Beihilferegeln der EU eine Förderung den.“ Schon Anfang 2022 könnten den Worten die von Produktentwicklung und Produktionsanlauf. ersten Taten folgen. HALBLEITERPRODUKTION 2020 L Ä N D E R V E R T E I L U N G N AC H S TA N D O R T D E R FA B L Ä N D E R V E R T E I L U N G N AC H F I R M E N S I T Z China 22,7 USA 51 Taiwan 18,6 Südkorea 19 Japan 17,3 Japan 9 Südkorea 14,5 Europäische 9 Union USA 10,4 Taiwan 7 Europäische 7,9 China 5 Union Singapur 5,3 0% 5% 10 % 15 % 20 % 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % Foto ZVEI Quelle: SEMI, Omdia, IC Insights ampere 3 . 202 1
ASi-5 AUTOMATISIERUNG NEU GEDACHT. IHR WEG IN DIE DIGITALE ZUKUNFT. Arena-Tour 2021 Volksparkstadion, Hamburg: 08.09.2021: Workshop 'Praxisnahe Sicherheitstechnik' 09.09.2021: Workshop 'ASi-5 und IO-Link' BORUSSIA-PARK, Mönchengladbach: 22.09.2021: Workshop 'ASi-5 und IO-Link' Allianz Arena, München: 12.10.2021: Workshop 'Praxisnahe Sicherheitstechnik' 13.10.2021: Workshop 'ASi-5 und IO-Link' www.bi www.bihl-wiedemann.de
26 ZWIEGESPRÄCH „Gezielte Regulierung kann Vertrauen stärken“ Durch eine menschen- zentrierte Künstliche Intelligenz will sich die Europäische Union von anderen Regionen unterscheiden. Doch was bedeutet das für das konkrete Handeln in Politik und Wirtschaft? Im ampere-Zwiegespräch diskutieren Dr. Tanja Rückert, Chief Digital Officer der Bosch-Gruppe, und der Europaparlamen- tarier Axel Voss. T E X T J O H A N N E S W I N T E R H AG E N F O T O G R A F I E K AT R I N B I N N E R ampere 3 . 202 1
ZWIEGESPRÄCH 27 ampere 3 . 202 1
28 ZWIEGESPRÄCH A X E L VO S S ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments und seit 2014 rechtspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Zur Digitalpolitik kam der Jurist aufgrund seiner Mitarbeit an der europäischen Datenschutz-Grundverordnung, die er selbst kritisch sieht. Ist Künstliche Intelligenz eher eine Chancen- oder eine Risikotechnologie? V O S S : Im Europaparlament wird von bestimmten Parteien und Personen immer wieder das Risiko betont. Ich versuche zu vermitteln: KI ist auch eine Chance, wenn wir den Rahmen gut gestalten. Das Thema ist strategisch für Europa so relevant, dass wir von vielen Märkten verschwinden werden, wenn wir es nicht schaffen, KI-basierte Wertschöpfungs- modelle zu erarbeiten. R Ü C K E R T : Aus meiner Sicht überwiegen klar die Chancen. Nur mit KI ist es möglich, große Daten- mengen in Sekundenbruchteilen auszuwerten und diese Ergebnisse für komplexe Lösungen zu nutzen. Bei Bosch haben wir uns daher vorgenommen, dass Seit April liegt ein Vorschlag der EU-Kommission im Jahr 2025 alle Produkte entweder über diese auf dem Tisch, der KI stärker regulieren soll – Schlüsseltechnologie verfügen oder zumindest mit- eine gute Idee? hilfe von KI hergestellt werden. Es gibt aber natür- V O S S : Zunächst einmal soll ein Rechtsrahmen für lich auch Risiken, und diese müssen wir vernünftig den KI-Einsatz geschaffen werden. Der enthält eine adressieren. Wunschliste, die jeder Algorithmus erfüllen soll. Sie reicht von Anforderungen an die Cybersicherheit bis Welche Risiken sind denn überhaupt real, so hin zur Diskriminierungsfreiheit. Zentral ist die For- lange es sich um schwache, also auf bestimmte derung nach einer menschenzentrierten KI, die dem Aufgaben spezialisierte KI handelt? Menschen dienen soll und ihn nicht nur zum Objekt R Ü C K E R T : Eine Sache vorweg: KI ist für uns kein macht. Vom Ansatz her ist das richtig. Letztlich ist Selbstzweck. Wir setzen sie nur ein, wenn wir durch aber die Frage wichtiger, wie wir dieses Ziel erreichen den Einsatz von KI den Nutzen für die Gesellschaft wollen. Ohne personenbezogene Daten zu nutzen, erhöhen können. Wenn sie bei den Menschen aber wird das sehr schwierig. Ein Beispiel: Man kann ei- keine Akzeptanz findet, wird sie sich nicht durchset- nen Menschen eventuell auch anhand der Stellung zen. Zielführende Regulierung kann eine wichtige der Rippen zueinander identifizieren. Gleichzeitig ist Rolle spielen, um mehr Vertrauen in die Schlüssel- die Bilddatenauswertung mittels KI eine der großen technologie zu schaffen. Zudem müssen wir darauf Chancen für medizinischen Fortschritt. achten, dass für den Menschen die Interaktion mit R Ü C K E R T : Für uns hat der verantwortungsvolle Um- KI nachvollziehbar bleibt. Ein weiteres Risiko be- gang mit personenbezogenen Daten höchste Prio- steht darin, dass wir die KI schlicht überschätzen. rität. Dazu gehört Transparenz darüber, welche Das könnte dazu führen, dass wir zu viel diskutieren Daten zu welchem Zweck gespeichert und verarbei- und zu wenig tun. tet werden. Vertrauen ist eine entscheidende Wäh- V O S S : Wir diskutieren tatsächlich mehr als wir han- rung in einer vernetzten Welt und für uns wesentli- deln. Das betriff t auch die ganzen Voraussetzungen, ches Qualitätsmerkmal. Deshalb haben wir uns mit um KI überhaupt betreiben zu können, also bei- dem Bosch KI-Kodex frühzeitig ethische Leitlinien spielsweise Investitionen in die Infrastruktur. für den Umgang mit KI gegeben und folgen dem ampere 3 . 202 1
ZWIEGESPRÄCH 29 Anspruch, vertrauenswürdige KI-Produkte herzustel- Parlament Mehrheiten für ein vernünftiges Vorge- len. Eine solche Selbstverpflichtung macht es zwar hen finden. Wir sollten uns auf bestimmte Hoch- nicht leichter, KI-Anwendungen zu entwickeln, zumal risiko-Technologien konzentrieren. Dazu zähle ich wir im Wettbewerb mit Unternehmen aus anderen autonome Systeme im Verkehr. Nicht nachvollzie- Weltregionen stehen. Wir sehen aber den daraus re- hen kann ich hingegen, dass die Kommission in sultierenden „Digital Trust“ als Vorteil für unsere Kun- biometrischen Systemen per se eine Hochrisiko- den und Anwender. Letztlich ergibt sich so auch ein Technologie sieht. Klar muss man mit der Gesichts- Wettbewerbsvorteil für Unternehmen wie Bosch, die erkennung im öffentlichen Raum vorsichtig um- das Thema „Digital Trust“ in den Fokus nehmen. Das gehen, aber das in eine generelle KI-Richtlinie zu kann analog für die in Europa geplante Regulierung packen, ist völlig daneben. gelten – solange hier nicht überreguliert wird. R Ü C K E R T : Gezielte und angemessene Regulierung V O S S : Theoretisch stimme ich Ihnen zu. In der Pra- kann das Vertrauen in KI stärken. Man sollte aber xis sehe ich schon noch Hürden. Es müsste gelin- gesetzliche Vorgaben schon so gestalten, dass wir gen, Datenschutzbehörden von Anfang an in neue sie als Unternehmen auch erfüllen können. Wider- Entwicklungen einzubinden, damit wir nicht lang- sprüchliche Vorgaben für unterschiedliche Anwen- samer werden als Akteure aus anderen Weltregio- dungsbereiche hemmen Innovation. Wir unterstüt- nen. In der digitalen Welt – so mein Eindruck – hat zen aber auf jeden Fall die Idee, je nach Risikoklasse derjenige, der mit einer guten Idee zuerst kommt, auf Selbst- oder Drittzertifizierung zu setzen, und große Chancen auf eine Monopolstellung. Wenn wir erarbeiten dafür auch einen firmenübergreifenden Unternehmen erst einmal entwickeln lassen und Prozess zur freiwilligen Selbstzertifizierung von dann hoheitlich prüfen, werden wir zu langsam sein. KI-Produkten. Das ist wichtig, damit wir in einem digitalen Ökosystem auch Kunden und Lieferanten In der geplanten Richtlinie werden detaillierte in die Zertifizierung einbeziehen können und nicht Risikoklassen für KI-Anwendungen genannt. am digitalen Werkstor Halt machen müssen. Bremst das die europäische Industrie nicht aus? V O S S : In der Tat könnte ein solches Vorgehen zur Ist es realistisch, außereuropäische Partner auf Bremse werden. Ich hoffe noch darauf, dass wir im unsere Werte zu verpflichten? V O S S : Das genau ist das Ziel europäischer Digitalpoli- tik. Wir wollen trotz der Sandwich-Position zwischen China und den USA nach vorne kommen. Wenn es Unternehmen schaffen, wertebasiert zu arbeiten und trotzdem schnell genug agieren, wäre das ideal. R Ü C K E R T : Unsere Werte gelten überall auf der Welt. Was mich in diesem Zusammenhang aber viel mehr bewegt: Wie können wir die Position Europas stärken? Es wäre wegweisend, wenn wir KI nicht nur regulie- ren, sondern auch in den technischen Fortschritt und die notwendige Infrastruktur investieren. ▷ INFO INDUSTRIELLE KI IST ANDERS Über den Einsatz Künstlicher Intelligenz wird in der Öffentlichkeit meist anhand von Onlineshops oder Konsumentenanwendungen diskutiert. Was indus- trielle Künstliche Intelligenz wirklich ist und welche Chancen sie für eine nachhaltige Entwicklung bietet, zeigt komprimiert ein neues Fact Sheet des ZVEI. DOWNLOAD UNTER: D R . TA N J A R Ü C K E R T www.tiny.cc/KI-Factsheet_ZVEI ist seit dem 1. Juli 2021 Chief Digital Officer der Bosch- Gruppe, wo sie ab 2018 das Geschäft mit Gebäude- und Sicherheitstechnik verantwortete. Einen großen Teil ihres Berufswegs verbrachte die Chemikerin beim Soft- ware-Konzern SAP. ampere 3 . 202 1
30 ZWIEGESPRÄCH Falls es im Heimatmarkt Europa nicht klappt, können dann global tätige Unternehmen die Entwicklung digitaler Produkte nicht an andere Standorte verlagern? R Ü C K E R T : Unser strategischer Vorteil gegenüber gro- ßen Software-Konzernen ist das Domänenwissen, also die genaue Kenntnis von den „Dingen“ und vor allem deren Nutzung. Es ist wichtig, dieses Domä- nenwissen und das Digital-Know-how zusammen- zubringen. Dafür müssen nicht alle an einem Stand- ort sitzen, aber es wäre keinesfalls klug, das Wissen, das wir hier in Deutschland und in Europa haben, nicht für die Entwicklung digitaler Lösungen zu nutzen. VOSS: Aus politischer Sicht wäre zu ergänzen, dass wir in Europa erhebliches KI-Know-how benötigen, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Zum Abschluss eine persönliche Frage: Würden Sie sich einen Androiden mit starker KI als Haus- haltshilfe bestellen, wenn es den schon gäbe? V O S S : Ja, ich würde das ausprobieren wollen, weil ich einfach ein neugieriger Mensch bin. Noch hilf- reicher fände ich es aber, wenn wir das autonome Fahren bekommen. R Ü C K E R T : Natürlich würde ich einen solchen Andro- iden auch testen wollen. Ich würde aber ganz genau darauf achten, wer die starke KI programmiert hat und ob das wirklich zum Wohl des Menschen Was wären denn die wichtigsten politischen geschehen ist. Schritte, um die digitale Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken? V O S S : Wir sollten uns fragen, was wir tun müssen, um in der digitalen Welt überhaupt überleben zu können. Aus meiner Sicht hinken wir überall hin- terher, und daher hat auch alles Priorität: Wir brau- chen Infrastrukturen, wir brauchen Bildung und Ausbildung, wir brauchen mehr Cybersicherheit. Das bedeutet: Wir brauchen massiv mehr Geld. Und wir sollten unseren Umgang mit personenbezo- genen Daten überprüfen. Das alles wäre möglich, wenn wir nur wollen. R Ü C K E R T : Grundsätzlich sollte Regulierung inno- vations- und investitionsfördernd gestaltet werden. Darüber hinaus brauchen wir Investitionen in die digitale Infrastruktur. Zentrale Voraussetzung für unsere Wettbewerbsfähigkeit ist eine souveräne und offene Dateninfrastruktur. Gaia-X ist das Tool, um diese Souveränität zu erreichen. Natürlich ist es in einer Organisationsstruktur mit vielen Part- nern anfangs nicht immer ganz leicht, sich zu eini- gen. Und natürlich wäre es uns manchmal lieber, es ginge etwas schneller. Aber mittlerweile ist das Pro- jekt weit vorangeschritten. Ich erwarte, dass wir spätestens Anfang kommenden Jahres die ersten Früchte sehen. V O S S : Mir dauert das eigentlich zu lange. Wir müssen die Kräfte in Europa bündeln, dürfen aber den Zeit- faktor nicht außer Acht lassen. Trotzdem brauchen wir Projekte wie Gaia-X auf verschiedenen Ebenen. ampere 3 . 202 1
Sie können auch lesen