100 Stipendien für echte expert*innen

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100 Stipendien für echte expert*innen
Jänner/Februar
       2021                  Rundbrief                                                   Ausgabe
                                                                                           1/21

                                  Neuigkeiten aus der oö. Sozialszene,
                              Informationen zu sozialpolitischen Themen

            100 Stipendien für echte expert*innen
„Hört uns zu! Redet mit uns. Interessiert euch für unse-
re prekäre Lebensrealität. Lernt uns kennen.“ Das ist eine
von 11 Forderungen an politische Parteien, die Langzeitar-
beitslose im Rahmen der Studie „Unerhört - Langzeitar-
beitslose Nichtwähler melden sich zu Wort“ formulieren.
Denn Armut ist in unserer Leistungsgesellschaft mehr
denn je stigmatisiert und Armutsbetroffene werden zur
Zielscheibe politischer Ressentiments und von der Gesell-
schaft ausgegrenzt. Leistung und Leistungsträger*innen
sind die Schlagworte in der gegenwärtigen Debatte. Dass
nicht jede*r diese uneingeschränkte Leistungsfähigkeit
zur Verfügung hat, wird gern als persönlicher Makel defi-
niert. Das ist ja auch leicht, dann muss man nur genügend
Druck auf bauen und keine echten politischen Lösungen
präsentieren. Richard Stang hat festgestellt, dass es „im      SOZIALPLATTFORM
öffentlichen Diskurs mehr Trend zur Stigmatisierung als            OBERÖSTERREICH
zum Empowerment“ gibt. Um dem entgegenzuwirken,
bietet die Sozialplattform im Jahr 2021 Stipendien für ar-
                                                                                                  Österreichische Post AG
mutsbetroffene Menschen an, die in Hinblick auf die kom-
                                                                                                         MZ02Z030265M
mende Landtagswahl ihre Expertise zur Verfügung stellen
                                                                           Sozialplattform OÖ, Schillerstraße 9, 4020 Linz
und ihre Ideen für ein besseres Leben formulieren.
100 Stipendien für echte expert*innen
:: Inhalt
4
Umsetzung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes: Triste Stimmung
und Lücken, Norbert Krammer - VertretungsNetz
                                                                 :: Impressum
                                                                 Sozialplattform Oberösterreich,
                                                                 Schillerstr. 9, 4020 Linz

6
6 Tipps für psychische Gesundheit in der Corona-Krise            0732-66 75 94
                                                                 office@sozialplattform.at
Krisenhilfe OÖ
                                                                 www.sozialplattform.at

7
                                                                 ZVR: 888363821
Bei Demenz ist Zeit kostbar                                      Redaktion und Layout:
Volkshilfe OÖ                                                    Sozialplattform OÖ

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In der Kompetenz-Entwicklungsküche
Magdalena Hutter, Rosemarie Schröck, VFQ
                                                                 Namentlich ge­kenn­zeichnete Texte
                                                                 geben nicht unbedingt die Meinung
                                                                 der Redaktion wieder.

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Kaum positive Erfahrungen mit Demokratie und Beteiligung
Martina Zandonella, SORA Institut                                Berichte und Ankündigungen aus
                                                                 den Projekten sind willkommen, die

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                                                                 Veröffentlichung ist gratis, ein Recht
100 Stipendien: Was es für ein gutes Leben braucht               auf Abdruck besteht jedoch nicht.
Sozialplattform OÖ                                               Bei platzbedingten Engpässen haben

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                                                                 Beiträge von Mitgliedern der Sozial-
DEM21 - die oö. Initiative für mehr Demokratie                   plattform den Vorrang.
migrare
                                                                 :: Abo
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Steigende Jugendarbeitslosigkeit darf sich nicht verfestigen
Sozialwirtschaft Österreich, arbeit plus, dabei austria
                                                                 6 Ausgaben pro Jahr
                                                                 zusätzlich Sozialratgeber OÖ

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wir-gemeinsam.at
Armutskonferenz
                                                                 20 EURO normal
                                                                 10 EURO für Student*innen
                                                                 GRATIS mit dem Kulturpass

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Medizinische Behandlung setzt Einwilligung voraus!
Norbert Krammer, VertretungsNetz                                 Nutzen Sie die Möglichkeit des kos-
                                                                 tenlosen Probeabonnements für

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                                                                 2 aktuelle Ausgaben!
Wohnungslosenhilfe Mosaik: 30 Jahre Notschlafstelle
Stefan Hindinger
                                                                 :: redaktionsschluss

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                                                                 Nächste Ausgabe erscheint am:
Jobbörse: Neuerung ab 2021                                       1. März 2021
Sozialplattform OÖ                                               (März/April 2021)

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Applaus alleine ist zu wenig
Heidemarie Staflinger, Arbeiterkammer OÖ
                                                                 Redaktionsschluss:
                                                                 1. Februar 2021

22
Die Zivilgesellschaft wirkt!
dieziwi
                                                                 :: Förder-
                                                                    partner*innen

23
VSG und ULF: Soziale Innovation und gesellschaftliche Wirksam-
keit - Susanne Rothmayer, VSG

24
SOMA - Wichtige Sozialeinrichtung im Bezirk
Verein Saum

25
Connect - Karrieremesse Sozialwirtschaft
Sozialplattform OÖ

26		 28
Publikationen          Veranstaltungen/Termine
100 Stipendien für echte expert*innen
Rundbrief 1/2021                                                                                                      3

Liebe Leserin, lieber Leser!

Ich schließe an beim Editorial des letzten Rundbrief, in
dem ich unser Schwerpunktthema „Demokratie und so-
ziale Sicherung“ beschrieben habe. Diesem Themenfeld
wollen wir uns bis zur Landtagswahl im September 2021
widmen. Die Beteiligung an politischen Entscheidungs-
prozessen und der sozioökonomische Status hängen un-
mittelbar zusammen und bedingen sich gegenseitig.

Engagement muss man sich leisten
können
Politisches Engagement muss man sich leisten können.
Wer die ganze Zeit mit Existenzsicherung beschäftigt
ist und Existenzsorgen hat, wird für politische Projekte
kaum den Kopf und auch nicht die Zeit haben.
Um es ganz plakativ zu formulieren: Der/die Eine aus
dem wohlhabendsten Viertel ist in der Lage, seine/
ihre Einflussnahme auf politische Entscheidungspro-
zesse erfolgreich entweder in der Freizeit oder über
berufliche Netzwerke zu organisieren, während bzw.
weil der/die Andere aus dem einkommensschwächsten
Viertel sein/ihr Haus putzt und seine/ihre Angehörigen      übernehmen dürfen.
pflegt. Das stärkt immer mehr die Position der politisch    Wir werden im Zuge der Wahlauseinandersetzung im
Einflussreichen und schwächt jene der politisch Ein-        Sommer 2021 die Programme der wahlwerbenden Par-
flussschwachen. Laut Martina Zandonella (sehr lesens-       teien daran messen, inwieweit sie die Ideen der Ex-
wertes Interview auf Seiten 10 und 11 des Rundbriefs) ist   pert*innen für ein gutes Leben beinhalten.
beispielsweise für Deutschland nachgewiesen, dass in
den letzten 30 Jahren die politischen Entscheidungen        Ich darf zum Abschluss noch auf einige lesenswerte Stu-
des Deutschen Bundestages praktisch ausschließlich          dien und Beiträge hinweisen, die sich mit dem Thema
zu Gunsten der Interessen der Einkommensstärksten           beschäftigen:
                                                            :: Schadet Ungleichheit der Demokratie?
ausgefallen sind. Für die Herstellung von größerer Ge-
                                                               https://bit.ly/38mei8q
rechtigkeit braucht es daher eine Stärkung der politisch
Einflussschwachen. Das gefällt uns.
                                                            :: Wie soziale Ungleichheit und die Prekarisierung von
                                                               Arbeit das Vertrauen der ArbeitnehmerInnen in die
mehr Bürger*innennähe?                                         Demokratie zerstören
Wir bauen gerade ein Projekt, das hier unterstützen soll       https://www.sora.at/fileadmin/downloads/pro-
und das wir im Rahmen unseres Jahresschwerpunktes              jekte/Zandonella_et_al_Arbeit_und_Demokratie.
umsetzen wollen. Es ist auf der Titelseite bereits kurz        pdf
angerissen. Wir werden unsere Mitglieder einladen,
dieses Projekt mit den Nutzer*innen ihrer Angebote          :: Studie „Unerhört - Langzeitarbeitslose Nichtwähler
umzusetzen. Wir wollen in diesem Zusammenhang eine             melden sich zu Wort“
einigermaßen repräsentative Gruppe von Menschen mit            https://bit.ly/2XjXwAQ
Armutserfahrung finden und deren Expertise in Bezug
auf die erforderliche Ausgestaltung der sozialen Siche-     :: Podcast „Erklär mir die Welt“ von Andreas Sator: zu
rungssysteme gewinnen. Für ihre Expertise, die sie zur         Gast Tamara Ehs zum Thema Erklär mir die Demo-
Verfügung stellen, sollen sie eine finanzielle Aufwand-        kratie 7: Mitmachen?
sentschädigung erhalten. Wir werden auch die poli-             https://erklaermir.simplecast.com/episodes/76
tischen Parteien in Oberösterreich um eine finanzielle
Unterstützung dieser „Stipendien“ ersuchen. Die im          :: Gefährdet Corona die Demokratie?
Nationalrat vertretenen Parteien erhalten öffentliche          https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/po-
Gelder aus Bundesmitteln (im Jahr 2020 in Höhe von             litik/europa/2083771-Gefaehrdet-das-Coronavi-
insgesamt 10,5 Millionen Euro), die ihre Parteiakademien       rus-die-Demokratie.html
für staatsbürgerliche Bildungsarbeit zu verwenden ha-
ben. Ein Promill davon für unsere Stipendien wäre gut       Josef Pürmayr,
investiert. Denn die Parteien erhalten im Gegenzug          Sozialplattform OÖ
Ideen für eine gerechtere Gesellschaft, die sie gerne in
ihre Wahlprogramme, z.B. für die OÖ Landtagswahl 2021,
100 Stipendien für echte expert*innen
4                                                                                              Rundbrief 1/2021

                                                                                                              © Norbert Krammer
    Umsetzung des Sozialhilfe-Grundsatz-
    gesetzes: triste Stimmung und Lücken
    Es bleibt ein Dauerbrenner: Die neuen Aus-             len zu den zentralen Elementen der unbedingt erforder-
                                                           lichen Lebenshaltungskosten. Sonst bleibt nur ein Leben
    führungsgesetze des Sozialhilfe-Grundsatz-             in Notunterkünften, ungesicherte Schlafmöglichkeiten
    gesetzes (SH-GG) des Bundes verschlechtern             bei „Freunden“ oder gar das Übernachten in Abbruch-
    trotz aller gegenteiliger Beteuerungen                 häusern.
                                                           Mit der „alten“ bedarfsorientierten Mindestsicherung
    faktisch die Lage von Menschen in materiellen
                                                           (BMS), die noch immer in sieben von neun Bundeslän-
    Notlagen. Neben den beiden 2020 um-                    dern in Grundzügen zumindest bis Jahresende 2020
    gesetzten Landesgesetzen in Niederöster-               Wirkung entfalten konnte, war durch Mindeststan-
    reich und Oberösterreich folgen nun zu                 dards die Unterstützung besser geregelt. Höhere Mieten
                                                           konnten am Verordnungsweg oder durch individuelle
    Jahresbeginn 2021 jedenfalls die bereits be-           Gewährung ohne Rechtsanspruch deutlich besser abge-
    schlossenen Gesetze in Salzburg, Vorarlberg,           deckt werden, auch wenn es schon bisher immer wieder
    Kärnten und eventuell Steiermark. Norbert              viel Ärger und unsoziale Festlegungen gab.
                                                           Die Landesregierung Niederösterreichs ist stolz auf die
    Krammer, VertretungsNetz                               rasche Umsetzung der Vorgaben der ehemaligen tür-
                                                           kis-blauen Regierungskoalition. Und sie setzte sie sehr
    Gab es bei den Rückmeldungen zum Begutachtungs-
                                                           streng um. So verzichtete Niederösterreich auch auf die
    entwurf SH-GG vor allem noch grundsätzliche und
                                                           im SH-GG des Bundes angebotene Möglichkeit einer
    verfassungsrechtliche Bedenken, so wird nun mit den
                                                           zusätzlichen bis zu 30 Prozent erhöhten Wohnkosten-
    Ausführungsgesetzen der Schaden für armutsbetroffene
                                                           pauschale. Auch sonst gibt es keine Möglichkeit, höhere
    Menschen auch im Einzelfall deutlich.
                                                           Wohnkosten abzudecken. Vielmehr werden durch die
                                                           zuspitzende Aufteilung zwischen Lebensunterhalt und
    Neue Fallen für Wohnkosten bei                         Wohnkosten (früher 75% Lebensunterhalt, nun nur mehr
    Sozialhilfe-Bezug                                      60%) nur auf den ersten Blick Verbesserungen erzielt.
    Aufwendungen für ein menschenwürdiges Wohnen zäh-      Denn vom nun etwas höheren Wohnkostenanteil wird
100 Stipendien für echte expert*innen
Rundbrief 1/2021                                                                                                        5

eine gewährte Leistung aus der                                                 mit dem bisher kleine persönliche
Wohnbauförderung abgezogen. Un-                                                Ausgaben abgedeckt werden konn-
term Strich bleibt weniger.              Wohnkosten bleiben ebenfalls          ten, sinkt natürlich auch die Motiva-
                                         der Brennpunkt für nun nur            tion sich an den wichtigen Angebo-
Von der Theorie zu                      noch verwaltete statt beseitigte
                                                                               ten der Betreuungseinrichtungen zu
                                                                               beteiligen. Schaden auf allen Ebenen.
einem praktischen                         Notlagen. Die Wohnbeihilfe
Beispiel für                              wird auch in Oberösterreich          Pflegeleistungen
Niederösterreich                        auf die Leistung der Sozialhilfe
Für Maximilien Plocher (Name geän-                                             reduzieren die
                                         angerechnet. Politisch unver-
dert), 37 Jahre, wurde im September                                            Sozialhilfe
                                                   ständlich.                   Während durch Medienberichte der
2020 bei der Berechnung für den
eingebrachten Antrag der Sozialhilfe-Höchstsatz für         Eindruck implizit vermittelt wird, dass Seniorenheime
eine alleinstehende Person von € 917,35 angenommen.         fast ausschließlich für Pflege und Betreuung zustän-
Davon entfallen € 550,41 auf den Lebensunterhalt und        dig sind, weist die Pflegestatistik die Unterstützung
€ 366,94 für das Wohnen. Die Wohnkosten werden im           zu Dreiviertel bei den Angehörigen und bei mobilen
SH-GG sehr weit definiert – auch hier wären „Überzah-       Hilfsangeboten aus. Diese wichtige Rolle der pflegenden
lungen“ vorstellbar, die in NÖ nicht genutzt werden –       Angehörigen wird leider beim Sozialhilfe-System nicht
und umfassen neben Miete, den gesamten Hausrat, die         entsprechend gewürdigt. Das Pflegegeld, das ein Ange-
Heizkosten sowie Strom, Betriebskosten und Abgaben.         höriger für die erbrachten Pflegeleistungen erhält, wird
Herr Plocher muss Wohnkosten von insgesamt € 480            von der Sozialhilfe als Einkommen angerechnet und
bestreiten und erhält eine Wohnbauförderung von             damit abgezogen. Das SH-GG schreibt diese restriktive
€ 220, die bei der Sozialhilfeberechnung in Abzug ge-       Vorgangsweise den Ländern für die vorgesehenen Aus-
bracht wird. Damit verbleiben nur maximal € 166,94 als      führungsgesetze nicht verpflichtend vor.
anrechenbare Wohnkosten. Der Rest muss vom Lebens-          Niederösterreich nutzte den Spielraum und verzichtet
unterhalt finanziert werden. Damit verbleiben Herrn         darauf, dass das Pflegegeld bei den pflegenden Angehö-
Plocher monatlich € 417,35 zum Bestreiten der gesam-        rigen angerechnet wird. Anders Oberösterreich: Hier
ten Lebenshaltungskosten. Soweit der Berechnungsbo-         wird das Pflegegeld zur Gänze als Einkommen der pfle-
gen. Real erhält Herr Plocher aufgrund seiner durch die     genden Angehörigen angerechnet.
Covid-19-Krise ausgelösten Arbeitslosigkeit monatlich
€ 770 und damit nur den Differenzbetrag als Sozialhil-      Ein Beispiel
feunterstützung. Er will rasch wieder eine Beschäftigung    Frau Mayr (Name geändert) lebt mit ihrem 26-jährigen
finden und hofft, dass dies bald Wirklichkeit wird. Denn    Sohn Manuel in der gemeinsamen Wohnung. Manuel
auf die Sozialhilfe kann er nicht mehr vertrauen.           Mayr ist seit der Geburt schwer körperlich behindert. Er
                                                            bezieht Pflegegeld der Stufe 4, monatlich € 677,60 und
Anrechnungen reduzieren                                     für seine Arbeit in der fähigkeitsorientierten Tageswerk-
                                                            statt monatlich bis zu € 140,-. Seine Mutter ist halbtags
Leistung
                                                            in einem Handelsgeschäft beschäftigt und verdient hier
In Oberösterreich ist die Situation für Antragstel-
                                                            monatlich rund € 850. Ohne die genaue Sozialhilfebe-
ler*innen auf Leistungen aus der neuen Sozialhilfe in
                                                            rechnung nachzuzeichnen: Sozialhilfe für zwei erwach-
den Grundzügen vergleichbar. Wohnkosten bleiben
                                                            sene Personen (€ 1.284,30) stehen dem Einkommen
ebenfalls der Brennpunkt für nun nur noch verwaltete
                                                            (Gehalt der Mutter und Entschädigung Tageswerkstatt
statt beseitigte Notlagen. Die Wohnbeihilfe wird auch
                                                            Sohn plus Pflegegeld ergibt € 1.670) gegenüber. Das
in Oberösterreich auf die Leistung der Sozialhilfe ange-
                                                            ergibt ohne Mietkosten keinen Sozialhilfeanspruch. In
rechnet. Politisch unverständlich, da damit die oft ge-
                                                            Niederösterreich würde die Familie deutlich mehr Geld
priesenen Wohnbauförderungsmaßnahmen konterka-
                                                            monatlich zur Verfügung haben, um die Lebenshal-
riert werden, wenn zuerst eine Bedarfsprüfung bei der
                                                            tungskosten abzudecken, da hier das Pflegegeld nicht
Zuerkennung der Wohnbeihilfe aufwendig durchgeführt
                                                            als Einkommen der pflegenden Angehörigen subsumiert
wird, und dann geht dies in der ebenfalls bedarfsgeprüf-
                                                            wird. Unverständlich und eine neue Qualität regional
ten Sozialhilfe wieder auf. Außer Verwaltungskosten
                                                            durch Landesgesetze geschaffener Notlagen.
bleibt da nur der Frust für die leidgeprüften Antragstel-
ler*innen von Sozialhilfe-Leistungen über.
Noch dicker kommt es für Personen, die bisher den           Unterhaltsanspruch ist
Freibetrag der Zuverdienstgrenze nutzen konnten. So         einzuklagen
wurde in der alten BMS der kleine Zuverdienst im Rah-       Seit Jahren gab es bereits im Mindestsicherungssystem
men der Tagesstruktur fähigkeitsorientierter Aktivitäten    eine kritische Diskussion über die Praxis, dass erwach-
nicht als Einkommen angerechnet. Das neue Sozialhilfe-      sene Menschen mit Beeinträchtigungen und Bezug er-
gesetz sorgt nun dafür, dass die kleine Entschädigung für   höhter Familienbeihilfe gegenüber ihren Eltern einen
die Tätigkeit im Wasch- und Bügelservice von der Sozi-      Unterhaltsanspruch geltend machen mussten. Diese
alhilfe abgezogen wird. Neben dem finanziellen Verlust,     Praxis verschwand in allen Bundesländern, denn diese
100 Stipendien für echte expert*innen
6                                                                                      Rundbrief 1/2021

    lebenslange Unterhaltsverpflichtung für Eltern gegen-
    über ihren Kindern mit Behinderung und fehlender Er-
    werbsarbeit wird vielfach als sozial und ethisch unver-
    ständlich beurteilt.
                                                                      6 Tipps
    Gegenüber regelhaften Klagen wurden weitreichende
    rechtliche Bedenken über den ungewissen Ausgang der
                                                               für psychische
    Klagen als Gegenargument geäußert und das hohe Kos-
    tenrisiko ins Treffen geführt. Mit dem SH-GG wird auch
                                                              Gesundheit in der
    hier ein Schritt in die Vergangenheit gemacht: Wie die
    bestehenden Ausführungsgesetze in Oberösterreich und
                                                               Corona-Krise
    Niederösterreich zeigen, muss nun damit gerechnet             ERSTE HILFE FÜR DIE SEELE
    werden, dass dieser Druck auf Menschen mit Beein-
    trächtigungen wieder deutlich erhöht wird. Gleichzeitig
    steigt dadurch auch die Quote der Nicht-Inanspruch-
    nahme, da von Menschen mit Beeinträchtigungen eine
                                                                      1
                                                                           Schaffen Sie so gut
    Beantragung von Sozialhilfe vermieden wird, um eine                    wie möglich
    Klage gegen die eigenen Eltern zu abzuwenden.
    Die beschämende Praxis zieht immer weitere Kreise und
                                                                           Normalität und
    wird auch langjährige Bezieher*innen von Mindestsi-                    Routine in Ihrem
    cherung neu unter Druck setzen. Die Probleme treten                    Alltag
    aktuell erst etwas zeitversetzt zutage, da eine Neube-
    rechnung und ein neuer Bescheid die Umsetzung der
    restriktiven Regelung erfordern wird.                             2    Dosieren Sie die
                                                                           Informationsflut
    Gute und noch bessere
    Mindestsicherung muss Ziel sein
    Neben den hier angesprochen Nachteilen für hilfesu-               3
                                                                           Akzeptieren Sie, was
    chende Personen, die durch die neuen Landesgesetze                     Sie nicht ändern
    auf Basis des SH-GG erzeugt werden, sind noch eine                     können
    Reihe weiterer Probleme aufgetreten, die das sogenann-
    te zweite soziale Netz – die Sozialhilfe – zunehmend
    löchrig werden lässt und Menschen in materiellen Not-             4
                                                                           Nehmen Sie sich
    lagen ungenügend auffängt. Österreich ist aktuell mit-                 bewusst Auszeit und
    ten im Umsetzungsprozess des SH-GG und 2021 wird
    uns noch einer Reihe weiterer Ausführungsgesetze mit                   schaffen Sie Rück-
    voneinander abweichenden Interpretationen und Rege-                    zugsmöglichkeiten
    lungen bescheren.

      Die Rückkehr zum Modell der Mindestsiche-                            Seien Sie großzügig
       rung – also wieder Mindeststandards statt                      5
                                                                           und helfen Sie
       der jetzt vorgesehen mangelhaften Höchst-                           anderen
      beträge, Ende der Ausgrenzung von politisch
       unliebsamen Bezugsgruppen, neues Richt-
      satzmodel u.a. – darf nicht mehr verschoben                          Pflegen Sie weiterhin
                                                                      6
       werden und ist angesichts der drängenden                            Ihre Kontakte via
        Probleme sozialpolitisch auch nicht mehr                           Telefon, Chat oder
        aufzuhalten. Jedenfalls dann nicht, wenn                           Videotelefonie
       Armutsbekämpfung und Hilfe in Notlagen
      auf menschenwürdigem Niveau tatsächlich
              wieder Realität werden sollen.

                                                                 rund um die Uhr für Sie da
                                                                        0732-2177
                                                              https://www.krisenhilfeooe.at
100 Stipendien für echte expert*innen
Rundbrief 1/2021                                                                                                       7

                                                                                        Im Sommer drehte der ORF
                                                                                         OÖ einen Beitrag über das
                                                                                       Tageszentrum in Linz, Volks-
                                                                                       hilfeMitarbeiterin Waltraud
                                                                                       Schwarz gab dafür ein Inter-
                                                                                                   view.
                                                                                            Foto: Volkshilfe OÖ

Bei Demenz ist Zeit kostbar
Die Mitarbeiter*innen der Volkshilfe                         „In diesen Gruppen trainieren die Betroffenen mit in-
                                                             dividuell angepassten Übungen Körper und Geist, um
Gesundheits- und Soziale Dienste GmbH                        ihre Fähigkeiten und Ressourcen möglichst lange zu er-
bieten in ihren drei Demenz-Servicestellen                   halten“, erklärt Volkshilfe-Mitarbeiterin Sabine Wöger-
in Linz-Süd, Steyr und Schwertberg                           bauer. Dabei wird nicht nur Vorhandenes gestärkt und
                                                             erhalten, mitunter können auch neue Möglichkeiten
Beratung, Testung und Trainingsgruppen
                                                             entdeckt werden. „Auf alle Fälle hilft dieses Training,
für Betroffene sowie offene Ohren und                        sich der Erkrankung aktiv zu stellen und ihren Verlauf
Unterstützung für Angehörige.                                dadurch positiv zu beeinflussen“, sagt Wögerbauer.
                                                             Während Beratung und Testung kostenlos sind, kostet
„Zeit ist kostbar. Wenn Demenz frühzeitig erkannt wird       eine zweistündige Trainingseinheit derzeit 15 Euro. Un-
und die Betroffenen strukturierte Hilfe und Betreuung        terstützung bekommen in den Demenz-Servicestellen
bekommen, kann der Verlauf der Krankheit positiv be-         der Volkshilfe OÖ neben den Betroffenen auch deren
einflusst werden“, erklärt Waltraud Schwarz von der Ge-      Angehörige. Auch sie finden für ihre Fragen, Sorgen und
sundheits- und Soziale Dienste GmbH (GSD) der Volks-         Ängste stets ein offenes Ohr, darüber hinaus werden
hilfe Oberösterreich. Die drei Servicestellen der GSD        Vorträge, Angehörigentreffen und Schulungen angebo-
in Linz-Süd, Schwertberg und Steyr sind die erste An-        ten. „Denn Demenz ist ein äußerst komplexes Krank-
laufstelle für alle, die bei sich selbst oder anderen Ver-   heitsbild und das Leben mit Betroffenen kann heraus-
änderungen bemerken, die auf eine Demenz hinweisen           fordernd sein“, wissen Schwarz und Wögerbauer.
könnten“, sagt Schwarz und verweist in diesem Zusam-
menhang auch auf die gute Kooperation mit Ärzt*innen.        Volkshilfe ist Partner des
                                                             „Netzwerk Demenz OÖ“
Kostenlose Testung                                           Das Netzwerk Demenz OÖ ist eine Aktion von Land
Neben der Beratung von Betroffenen und deren Angehö-         Oberösterreich und den österreichischen Sozialversi-
rigen wird in den Servicestellen der Volkshilfe auch eine    cherungsträgern in Zusammenarbeit mit den OÖ Ge-
kostenlose psychologische Testung angeboten. „Diese          sundheits- und Sozialleistungsanbietern Volkshilfe, MAS
wird von einer klinischen Psychologin durchgeführt und       Alzheimerhilfe und der Seniorenbetreuung der Stadt
bietet Aufschluss über die Situation der betroffenen Per-    Wels. Die Volkshilfe ist mit ihren drei Demenz-Service-
son“, so Schwarz. Das Testergebnis ist dann Grundlage        stellen vertreten:
für die weitere – natürlich gemeinsam besprochene –          :: Linz-Süd (für Linz-Stadt und Linz-Land)
Vorgangsweise wie beispielsweise die Teilnahme an den           0676-8734 1463, dss.linz-sued@volkshilfe-ooe.at
stadiengerechten Trainingsgruppen.                           :: Schwertberg (für Perg und Freistadt Süd)
                                                                0676-8734 1463, dss.schwertberg@volkshilfe-ooe.at
Geistiges und körperliches                                   :: Steyr (für Steyr-Stadt und Steyr Land)
Training                                                        0676-8734 2617, dss.steyr@volkshilfe-ooe.at
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8                                                                                                     Rundbrief 1/2021

    In der Kompetenz-Entwicklungsküche

    Die klare Trennung zwischen Beratungs-                      tigte, die ihre Fähigkeiten den Bedarfen durch Bildungs-
                                                                aktivitäten (ganz kleine Einheiten bis zu großen Lehr-
    Qualifizierungs-    und     Beschäftigungs-                 gängen) anpassen. Betriebe starten mit der Entwicklung
    angeboten innerhalb der Angebote des AMS                    von „digitalen Lernmanagement-Systemen“ mit dem
    verändert sich. Lebenslanges Lernen von                     Ziel die bestehende Mitarbeiter*innenschaft für die ge-
                                                                meinsame Zukunft zu rüsten. „Lebenslanges Lernen“ ist
    kleinen Einheiten bis zu großen Lehrgängen
                                                                auch für bildungsfernere Gruppen eine notwendige Fä-
    mit Fokus auf digitiale Vermittlung wird                    higkeit, um nachhaltig einer Beschäftigung nachgehen
    immer wichtiger. Das betrifft auch die                      zu können. Durch diese Erkenntnis haben wir uns im-
    Angebote des AMS. Madgalena Hutter und                      mer stärker mit dem Thema „Kompetenzen und Kompe-
                                                                tenzerwerb“ auseinandergesetzt.
    Rosemarie Schröck, VFQ Gesellschaft für
    Frauen und Qualifikation GmbH, erläutern                    Auf welche Fragen müssen in euren arbeitsmarktpoli-
    im Interview ihren Zugang.                                  tischen Angeboten Antworten gefunden werden?
                                                                Wir haben es größtenteils mit Kundinnen zu tun, de-
    Bildung oder Qualifizierung in arbeitsmarktpolitischen      ren Lernerfahrungen, im klassischen Sinne, meist schon
    Angeboten – seit wann ist das ein Thema für Euch?           länger zurückliegen und fallweise auch negativ konno-
    Magdalena Hutter, Rosemarie Schröck: Vor vielen Jah-        tiert sind. Wir sind der Ansicht, dass es Erfolgserlebnisse
    ren hat es in der Förderlandschaft eine klare Differen-     beim Lernen braucht, um Selbstbewusstsein und in wei-
    zierung zwischen Beratungs-, Qualifizierungs- und           terer Folge auch „Lust am Lernen“ entwickeln zu kön-
    Beschäftigungsangeboten für die Kund*innen des AMS          nen. Darum entwickeln wir Angebote, mit deren Hilfe
    (und anderer Fördergeber*innen) gegeben. Es war bei-        unsere Kund*innen positive Lernerfahrungen machen,
    spielsweise in den Beschäftigungsangeboten schon klar,      und begleiten sie bei ihrem individuellen Lernprozess.
    dass Arbeitsschritte eingeübt und auch notwendige In-       Dabei geht es uns weniger um Faktenwissen und Prü-
    halte für die Arbeitserfüllung vermittelt wurden, aber es   fungen, wie früher in der Schule, vielmehr geht es uns
    wurde kein expliziter Fokus darauf gerichtet.               um den Ausbau von Kompetenzen, die es unseren Kun-
    Das hat sich in den letzten Jahren sehr verändert! Die      dinnen erleichtern, in der Arbeitswelt Aufgaben lösen zu
    Arbeitswelt von heute und morgen benötigt Beschäf-          können, sich nachhaltig zu integrieren und für das Wei-
100 Stipendien für echte expert*innen
Rundbrief 1/2021                                                                                                        9

terlernen im künftigen Betrieb sensi-                                          chend der drei Kompetenzniveaus
bilisiert zu sein. Dort, wo es möglich                                         zu formulieren. Mit Hilfe des Online
und sinnvoll ist, ist es in der Folge na-                                      -Tools „Komet“ der Plattform „edu-
türlich ideal, seine neu erworbenen         „Lebenslanges Lernen“ ist auch     standards.org“ erstellten wir unsere
bzw. aufgefrischten Kompetenzen              für bildungsfernere Gruppen       themenbezogenen Lernzielkataloge
auch durch eine abgelegte Prüfung                                              und können diese mit Workshopun-
                                            eine notwendige Fähigkeit, um
zertifizieren zu lassen.                                                       terlagen befüllen.
                                            nachhaltig einer Beschäftigung
Für welche Zielgruppen und Angebote             nachgehen zu können.           Sind diese Sammlungen öffentlich
sollen die Qualifikationsangebote geeignet sein?            zugänglich für andere arbeitsmarktpolitische Organisa-
Die Qualifikationsangebote sollen für die Zielgruppen       tionen?
all unserer Projekte geeignet sein. Wir möchten einen       Ja, diese Sammlungen sind öffentlich zugänglich. Die
Ansatz verfolgen, der uns dabei unterstützt, die Teil-      Plattform „edustandards.org“ wie auch das Komet-Tool
nehmenden der überbetrieblichen Ausbildung ebenso           unterliegen dem Creativ Commens-Prinzip und verfol-
gut wie die Teilnehmenden der Beratungseinrichtung          gen somit den Sinn und Zweck, Inhalte und Materialien
wie auch die Transitarbeitskräfte des Sozialökono-          zu teilen um einen überregionalen Wissenstransfer ver-
mischen Betriebes zu erreichen. Wir glauben, dass un-       schiedener Bildungseinrichtungen zu ermöglichen.
sere Kund*innen in den genannten Angeboten in Bezug
auf den Kompetenzerwerb sehr ähnlich sind und daher         Wie arbeitet ihr mit den Inhalten weiter?
eine grundsätzlich ähnliche Begleitung und Unterstüt-       Sobald die Workshopunterlagen den Lernzielen zuge-
zung benötigen.                                             ordnet sind, kann es mit dem kompetenzorientierten
                                                            Training losgehen. Das alleine ist uns jedoch nicht ge-
Was sind nun die Grundlagen eurer Herangehensweise?         nug. Wir möchten das Training auch digital unterfüt-
Uns war wichtig, das Ganze auf ein gut durchdachtes         tern. Das ermöglicht uns, die digitalen Fähigkeiten un-
Fundament zu stellen und uns war von Anfang an klar,        serer Kundinnen indirekt mit zu trainieren und darüber
dass wir bereichsübergreifend denken möchten. Der           hinaus verschafft es uns eine hohe Flexibilität bezüglich
Kompetenzraster von prospect, der sich mit den Kom-         des Workshop-Settings – Stichwort „Distance Learning“.
petenzansprüchen der Industrie 4.0 beschäftigt, war         Im Moment wird zur digitalen Unterstützung häufig das
uns ein ideales Vorbild. Wir leiteten davon - unserer       Tool Padlet eingesetzt.
Zielgruppe und Vermittlungsaufgabe entsprechend -           Parallel integrieren wir unsere Kataloge inkl. Unterlagen
unseren eigenen VFQ-Kompetenzraster ab:                     in unsere Moodle-Lernplattform, um sie bereichsüber-
Anhand der unterschiedlichen Farbschattierungen in          greifend zugänglich zu machen.
der Grafik (s. Seite links) wird die Anwendung unseres
kompetenzorientierten Ansatzes sichtbar. Wir haben          Welche Perspektive habt ihr für 2021?
uns für diesen Trainingsansatz entschieden, da dieser       Uns schwebt eine „Kompetenz-Entwicklungsküche“ vor.
ermöglicht, innerhalb einer Workshop-Situation Per-         Wir möchten im Austausch mit anderen unsere Ansätze
sonen mit unterschiedlichen Kompetenzstufen bzw.            weiterentwickeln:
Wissensständen gleichzeitig zu trainieren. Von diesem       :: Unterstützung der Kolleg*innen beim Rollenwechsel
Zugang erhoffen wir uns, unseren Kundinnen eine indi-          von dem/der Fachanleiter*in hin zum/zur Lernbe-
viduellere und positive Lernerfahrung zu ermöglichen.          gleiter*in inkl. Kompetenzvertiefung hinsichtlich di-
                                                               gitaler Trainingsinstrumente.
Die Farbschattierungen deuten drei unterschiedliche         :: Weiterentwicklung unserer Trainingsmodule von klei-
Kompetenzniveaus an:                                           nen Einheiten bis zu größeren Lernstrecken mit Teil-
:: Basic Light:                                                nahmebestätigungen und gegebenenfalls Prüfungen.
   die Kundin lernt neue Inhalte und Themen kennen          :: Weiterentwicklung unserer Ansätze, mit denen wir
:: Basic:                                                      unsere KundInnen in eine Arbeitswelt begleiten kön-
   die Kundin kann Wissen begleitet und oder selbst-           nen, die von laufendem Wissenserwerb geprägt ist.
   ständig anwenden
:: Advanced:                                                Ein arbeitsreiches aber auch sehr spannendes Jahr steht
   die Kundin kann ihr Wissen selbstständig anwenden        uns bevor!
   und es auch zur Bewerbung bzw. Analyse einsetzen.
                                                            :: Links
In welchem Rahmen bewegt ihr euch bei der Definition        :: Kompetenzraster prospect
der Qualifikationsinhalte?                                  https://www.prospectgmbh.at/wp/wp-content/
Die fachlichen Schwerpunkte für die Organisation wur-       uploads/2017/02/Studie_Qualifizierungsma%c3%9f-
den im oben angeführten VFQKompetenzraster gesetzt.         nahmen_Industrie_4.0_Langfassung.pdf
Im nächsten Schritt wurden Themenblöcke ausgewählt
um den nächsten Grundstein der Kompetenzorientie-           :: Edustandards Plattform und Komet-Tool:
rung zu legen, nämlich die Erstellung von Lernzielka-       https://edustandards.org/
talogen. Dabei war es essentiell, die Lernziele entspre-
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      kaum positive erfahrungen mit
      demokratie und beteiligung
      Martina Zandonella vom SORA Institut                       denken das jedoch nur wenige Menschen. Dies liegt da-
                                                                 ran, dass viele von ihnen bislang kaum positive Erfah-
      forscht zu Demokratie und Partizipation                    rungen mit Demokratie und Beteiligung gemacht haben
      sowie Ungleichheit. Dass die Wahlbeteiligung               – zum Beispiel konnten sie schon in der Schule seltener
      abnimmt, wenn man weniger Einkommen                        mitbestimmen. Dabei spielt gerade die Schule eine
                                                                 wichtige Rolle, wenn es darum geht, Demokratie zu er-
      zur Verfügung hat, hat gute Gründe. Zentrale
                                                                 leben und die Wirksamkeit von Beteiligung zu erfahren.
      Versprechen der Demokratie erfüllen sich                   Auch bei der Arbeit haben die Menschen im ökonomisch
      für das ökonomisch schwächste Drittel                      schwächsten Drittel kaum Mitsprachemöglichkeiten
      nicht, erzählt sie im Interview.                           und sie haben auch seltener einen Betriebsrat. Außer-
                                                                 dem arbeiten gerade die Menschen im ökonomisch
      Der Demokratie-Monitor 2019 erkennt, dass im               schwächsten Drittel häufig in Betrieben, wo das Arbeits-
      ökonomisch stärksten Drittel der Bevölkerung nur 17        recht nicht eingehalten wird – sie erleben also immer
      Prozent auf ihr Wahlrecht verzichten, im ökonomisch        wieder, dass auf demokratischem Weg festgelegte Re-
      schwächsten Drittel aber 41 Prozent. Zuletzt haben Sie bei geln und Rechte für sie nicht gelten. Auch im Kontakt
      der Wien-Wahl analysiert, dass Menschen mit geringen       mit staatlichen Institutionen und der Politik erleben sie
      sozioökonomischen         Ressourcen                                           häufig fehlende Anerkennung bis hin
      seltener zur Wahl gehen. Würde                                                 zu Abwertungen. Zentrale Verspre-
      man nicht annehmen, dass man eher                                              chen der Demokratie – dass wir alle
      wählen geht, wenń s einem nicht so        Für Deutschland ist bereits         gleich viel Wert sind und unsere Le-
      gut geht, um etwas zu verändern?           nachgewiesen, dass die Ent-         bensumstände politisch mitgestalten
      Martina Zandonella: Das ist nur                                                können – erfüllen sich für das ökono-
                                                scheidungen des Bundestages
      dann der Fall, wenn ich auch davon                                             misch schwächste Drittel nicht.
                                              in den letzten 30 Jahren prak-
      überzeugt bin, dass ich mit meiner
                                               tisch ausschließlich den poli-        Worin besteht eigentlich die Ge-
      Stimme etwas verändern kann. Im
      ökonomisch schwächsten Drittel           tischen Interessen der oberen         fahr, wenn die Zahl der Nicht-Wäh-
                                               Einkommensgruppen folgten.            ler*innen – besonders unter Men-
Rundbrief 1/2021                                                                                                          11

schen mit wenig Einkommen – steigt?                                            tatives Abbild der Bevölkerung über
Dann finden ihre politischen An-                                               politische Themen diskutieren und
liegen und Bedürfnisse kein Gehör         Nehmen politische Entschei-          entscheiden zu lassen. Außerdem ist
mehr und die reicheren Bevölke-          dungsträger*innen Demokra- es wichtig, Demokratie als Alltagser-
rungsgruppen machen unter sich            tie ernst, führt nichts daran        fahrung allen Bevölkerungsgruppen
aus, in welche Richtung sich unser          vorbei, die Menschen im            zu ermöglichen: In den Schulen, Be-
Land – einschließlich seiner Solidar-    ärmsten Drittel wieder in den trieben, in der Nachbarschaft und in
systeme – entwickeln soll. Das pas-                                            staatlichen Institutionen. Auch den
siert übrigens schon: Für Deutsch-
                                          politischen Prozess einzulas-        Wert von Arbeit müssen wir neu ver-
land ist bereits nachgewiesen, dass                     sen.                   handeln: Welche Arbeit gewährlei-
die Entscheidungen des Bundestages in den letzten 30       stet das Funktionieren unserer Gesellschaft und wurde
Jahren praktisch ausschließlich den politischen Interes-   bislang gerne übersehen? Zu Beginn der Corona-Pande-
sen der oberen Einkommensgruppen folgten – dies gilt       mie war dies zwar Thema, die kurzfristig aufgeflammte
im Besonderen für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, also    symbolische Wertschätzung für die Beschäftigen in den
für jene Politikfelder, die gerade die ärmeren Bevölke-    „systemrelevanten“ Berufen – viele von ihnen Frauen,
rungsgruppen besonders betreffen. Der Eindruck vieler      Migrant*innen und aus dem ökonomisch schwächsten
Menschen im ökonomisch schwächsten Drittel, dass ihr       Drittel der Gesellschaft – hat sich bislang jedoch nicht in
Leben vielfach von anderen bestimmt wird und dass ihre     einer tatsächlichen (auch finanziellen) Aufwertung nie-
Stimme nichts zählt, kommt also nicht von ungefähr.        dergeschlagen.

Warum funktionieren “klassische” Bürgerbeteiligungs-         Corona drückt uns allen aufs Gemüt, in einer Studie* in
formen nicht bei Menschen mit wenig Einkommen. Wa-           Wien haben Sie allerdings herausgefunden, dass Men-
rum wären breite Beteiligungsmöglichkeiten so wichtig?       schen mit geringem Einkommen besonders gefährdet
Diese Beteiligungsformen sind aufwendig. Sind wir z.B. in    sind, dass sich ihre psychische Situation verschlechtert.
einer Bürgerinitiative aktiv, brauchen wir nicht nur Zeit,   Warum ist diese Zielgruppe speziell betroffen?
auch Geld ist nötig, wir müssen uns spezifisches Wissen      Dies ist keine neue Erkenntnis – aus zahlreichen Studi-
aneignen, sollten rechtlich informiert sein und am be-       en wissen wir, dass Ausnahmesituationen wie die Coro-
sten auch noch Kontakte in die Politik haben. Menschen       na-Pandemie bestehende Ungleichheiten verschärfen
mit wenig Einkommen haben jedoch schon genug damit           und dass gerade die Menschen mit geringem Einkom-
zu tun, über die Runden zu kommen – wobei sie häufig         men besonders betroffen sind: Sie haben ein höheres
nicht nur ihren eigenen Alltag meistern, sondern auch        Risiko zu erkranken, die Erkrankung nimmt bei ihnen
noch jenen der reicheren Menschen, die sich besonders        häufiger einen schweren Verlauf, sie haben seltener Zu-
häufig politisch oder zivilgesellschaftlich betätigen: Sie   gang zu Gesundheitseinrichtungen. Sie sind auch die er-
putzen deren Häuser, betreuen deren Kinder, liefern Pa-      sten, die ihre Arbeit verlieren und wenn sie Arbeit haben,
kete und Essen oder pflegen deren Angehörige. Indem          verrichten sie diese weiterhin am Dienstort und sind
die Menschen des ökonomisch schwächsten Drittels             damit einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt. In
diese Arbeiten übernehmen, ermöglichen sie es den rei-       Wien haben wir gesehen, dass ökonomische Sicherheit
cheren Gruppen vielfach erst, Zeit für politische und zi-    gerade in Zeiten wie diesen besonders relevant für die
vilgesellschaftliche Beteiligung zu haben. Niederschwel-     psychische Gesundheit der Menschen ist: Sowohl bei je-
lige Beteiligungsmöglichkeiten, wo sich die Menschen         nen Menschen, deren finanzielle Lage sich erst im Zuge
auf Augenhöhe begegnen, konkrete Themen bearbeiten           der Pandemie verschlechtert hat, als auch bei jenen, die
und wo sie die Erfahrung machen, dass etwas verändert        bereits vor der Pandemie arbeitslos, armutsgefährdet
werden kann, sind das Um und Auf wenn es darum geht,         oder ohne finanzielle Rücklagen waren, hat sich die psy-
politische Beteiligung wieder zu verbreitern.                chische Gesundheit deutlich verschlechtert.
                                                             * https://www.psd-wien.at/fileadmin/docu-
Als wie wichtig erachten Sie es, dass sich politische Ent-   ments/200930_Presseunterlage_SORA_Studie.pdf
scheidungsträger*innen darum bemühen, Menschen aus
dem ärmsten Drittel wieder in den demokratischen Pro-        :: Demokratie-Monitor 2020
zess zu bringen? Was müssten deren Maßnahmen bein-           Wie bereits in den vergangenen Jahren unterscheidet
halten?                                                      sich auch 2020 das Vertrauen in die Demokratie allen
Nehmen politische Entscheidungsträger*innen Demo-            voran entlang der Verfügbarkeit von ökonomischen Res-
kratie ernst, führt nichts daran vorbei, die Menschen im     sourcen: So fühlen sich nur mehr 44% im ökonomisch
ärmsten Drittel wieder in den politischen Prozess ein-       schwächsten Drittel als Teil der Demokratie in Öster-
zulassen. Dies beinhaltet Interesse für ihre Lebenslagen     reich. Und gerade sie sind von der Corona-Krise beson-
und die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse bei poli-         ders stark betroffen. In der derzeitigen Situation fühl-
tischen Entscheidungen. Es geht aber ebenso um Reprä-        ten sich 73% des ökonomisch schwächsten Drittels sehr
sentation: Wo in unseren Parlamenten sind die Men-           oder ziemlich als Menschen zweiter Klasse behandelt.
schen aus dem ökonomisch schwächsten Drittel? Auch           Im oberen Drittel sind es nur 28%.
Bürgerräte sind ein gutes Instrument, um ein repräsen-       https://www.demokratiemonitor.at/
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                                                                                                                     ©rawpixel.com
     100 Stipendien: Was es für ein gutes
     Leben braucht
     Im Herbst 2021 wird in Oberösterreich                       Politiker*innen haben nicht immer die richtigen Ant-
                                                                 worten und stellen die Frage, wie man Armut verhindern
     der Landtag gewählt, dabei entscheiden                      kann, viel zu selten.
     wir über unsere Zukunft, wir stimmen für                    100 einkommensschwache Menschen in OÖ beschäf-
     politische Ideen oder auch dagegen. Parteien                tigen sich für 4 Stunden damit, was sie für ein gutes
                                                                 oder besseres Leben brauchen und was sie dabei von
     adaptieren ihre Programme, schmieden
                                                                 der Politik erwarten. Dafür gibt es eine Entschädigung
     Konzepte und bestimmen Themen. Kommen                       von EUR 100 pro Person. Die Begleitung passiert in den
     die Anliegen von einkommensschwachen                        Mitgliedseinrichtungen der Sozialplattform OÖ und in
     Menschen darin vor? Kaum und sehr                           Workshops. Eine parteipolitische Einflussnahme lehnen
                                                                 wir ab.
     abstrakt. Das will die Sozialplattform OÖ                   Die Erarbeitung wird professionell begleitet, herzlichen
     ändern und vergibt 100 Stipendien an                        Dank an Christian Lehner von querdenker Agora, der die
     Personen, die erleben oder erlebt haben, wie                Sozialplattform OÖ bei der Vorbereitung unterstützt.
                                                                 Die Stipendien werden über soziale Organisationen aus-
     sich Armut anfühlt.                                         gelobt – wichtig sind dabei auch Unterschiede nach Ge-
                                                                 schlecht, Herkunft, Lebenssituationen, Alter, Erwerbs-
     Wie muss leistbares Wohnen in der Realität aussehen,        status, Familiensituation, -stand.
     was brauchen arbeitslose Menschen wirklich, von wel-        Herauskommen soll ein interessanter und konkreter In-
     chen Jobs kann man leben, welche Hürden haben Fami-         put für die Politik und Institutionen. Ein Themenpapier
     lien zu bewältigen, was benötigt man für die Ausbildung     mit konkreten Forderungen. Denn politische Entschei-
     oder den Einstieg ins Berufsleben, können sich gute         dungen beeinflussen unser Leben. Die Stipendiat*innen
     Gesundheitsversorgung noch alle leisten, was müsste         können anonym bleiben oder mit ihren Forderungen in
     sich auf Ämtern und Behörden ändern? Diese und ande-        Erscheinung treten.
     re Fragen aus den Themenbereichen Altersversorgung,
     Arbeit, Bildung, Gerechtigkeit, Gesellschaft, Gesundheit,   :: Weitere Infos
     Familie, Wohnen sowie soziale Unterstützung sollen die      zinganell@sozialplattform.at, www.sozialplattform.at
     Stipendiat*innen als Expert*innen beantworten. Denn
Rundbrief 1/2021                                                                                                           13

                                                                                                                   ©rawpixel.com
DEM21 – Die oö. Initiative für
mehr Demokratie
In unserer Verfassung steht: Österreich ist                 Wir erleben hier den rechtlichen Wahlausschluss von ei-
                                                            ner beträchtlichen Anzahl von Personen. 2019 hatten in
eine demokratische Republik. Ihr Recht geht                 Oberösterreich 11,9% der hier lebenden Bevölkerung im
vom Volk aus. Doch wer ist dieses Volk, von                 wahlberechtigten Alter kein Recht auf politische Mitbe-
dem das Recht ausgeht? Wen schließt es                      stimmung und Mitgestaltung, auch nicht wenn sie hier
                                                            geboren sind oder schon seit Jahrzehnten hier leben. Im
mit ein, und wen schließt es eventuell sogar
                                                            Herbst 2021 finden in Oberösterreich Landtags- und Ge-
aus? migrare                                                meinderatswahlen statt – von der viele Menschen aus-
                                                            geschlossen sein werden.
„Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Liebe Bür-       Die vor kurzem gegründete Initiative DEM21 unterstützt
ger und Bürgerinnen!“ – Anreden, die wir oft von Politi-    die Forderung, dass echte politische Mitbestimmung ein
ker*innen zu hören bekommen, bei Reden, Pressekonfe-        modernes, demokratieförderndes und ausgeweitetes
renzen und in Form von Video- und Onlinebotschaften         Wahlrecht braucht, damit auch Menschen, die nicht im
– besonders auch in Zeiten von Wahlkämpfen. Auch hier       Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sind –
stellt sich die Frage, wer denn nun genau damit gemeint     aber schon lange hier leben – ihre Lebensumwelt mit-
ist? An welches Volk richtet sich die Ansprache der Poli-   gestalten können.
tiker*innen? Unsere Verfassung bestimmt, dass das Zu-
standekommen aller allgemein gültigen Gesetze auf das
                                                            Kick-Off
Volk zurückzuführen sein muss. Wähler*innen entschei-
                                                            Am 19.01.2021 findet eine Kick-Off Veranstaltung statt,
den über die Zusammensetzung des Nationalrates, der
                                                            die den Grundstein für weitere Aktivitäten und Kampa-
Landtage und Gemeinderäte – und genau hier entsteht,
                                                            gnen der Initiative DEM21 bis zu den Wahlen im Herbst
zumindest auf National- und Landesebene, eine Diskre-
                                                            2021 legen soll – um eben auf dieses demokratiepoli-
panz in der Definition des Volkes, des kollektiven Wir.
                                                            tische Defizit hinzuweisen und ein Überdenken des ak-
Die Ausübung des Wahlrechts ist an bestimmte Voraus-
                                                            tuell geltenden Wahlrechts zu fordern. Gerd Valchars,
setzungen geknüpft, wie z.B. das Alter und die österrei-
                                                            Politologe an der Universität Wien, wird dazu im Rah-
chische Staatsbürgerschaft. Das bedeutet wiederum,
                                                            men eines Vortrages am 19.01.2021 u.a. der Frage nach-
dass hier lebende Migrant*innen, die nicht die österrei-
                                                            gehen, wie viele Menschen in Österreich tatsächlich
chische Staatsbürgerschaft besitzen, auf Bundes- und
                                                            nicht wählen dürfen. Die Kick-Off Veranstaltung wird
Landesebene von der Wahl und somit auch von der
                                                            online stattfinden.
demokratischen Mitbestimmung ihrer Lebensumwelt
ausgeschlossen sind – selbst wenn sie schon sehr lange
                                                            Mitbegründer*innen der Initiative sind:
ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben oder sogar
                                                            migrare – Zentrum für MigrantInnen OÖ, Volkshilfe
hier geboren sind. Im Bereich des kollektiven Wir und
                                                            Flüchtlings- und MigrantInnen-Betreuung GmbH, Cari-
in der Definition, wer denn nun das sogenannte Volk ist,
                                                            tas – Integration, Arcobaleno, Land der Menschen, SOS
von dem Recht ausgeht, kommt es zu einer Segregation:
                                                            Menschenrechte, ZusammenHelfen in OÖ, Jaapo, mehr
die einen, die wählen dürfen und die anderen, die dies
                                                            demokratie!, Sozialplattform, Migrations- und Integrati-
nicht dürfen.
                                                            onsbeirat Linz, maiz, Black Community, IIP VHS OÖ
14                                                                                                        Rundbrief 1/2021

     Steigende Jugendarbeitslosigkeit darf
     sich nicht verfestigen
     Ende Oktober 2020 waren in Österreich                         hohe Belastung der AMS-Akteur*innen. Sie können ihre
                                                                   Rolle als Erstberatungsinstanz und Erstanlaufstelle im
     61.161 Jugendliche unter 25 Jahren beim                       Moment nicht immer adäquat erfüllen. Es braucht daher
     AMS als arbeitslos gemeldet oder als                          jetzt eine kooperative und pragmatische Zusammenar-
     Schulungsteilnehmer*innen         vermerkt.                   beit bei den Zuweisungen.“
                                                                   Mit der Corona-Stiftung und der - zumindest temporä-
     Während      die  Zahl    der    Schulungs-
                                                                   ren - Ausweitung des AMS-Budgets wurde eine geeig-
     teilnehmer*innen im Vergleich zum Vorjahr                     nete finanzielle Basis geschaffen -allerdings gilt es jetzt,
     mit ca. 26.000 Personen konstant geblieben                    diese auch effizient zu nützen. Die drei Dachverbände
     ist, gab es um 5.600 Personen oder fast                       und Netzwerke sind sich einig, dass ein Schwerpunkt
                                                                   beim Ausbau der vielen, erfolgreich erprobten Instru-
     20% mehr Arbeits-lose in dieser Zielgruppe                    mente liegen sollte. Hier braucht es „Mehr vom Gu-
     gegenüber dem Vorjahr. Walerich Berger                        ten“. Gleichzeitig erscheint es sinnvoll, die nicht zuletzt
     (Sozialwirtschaft   Österreich),    Schifteh                  durch Corona offengelegten Bedarfe am Arbeitsmarkt
                                                                   vorausschauend in Form von zusätzlichen Maßnahmen
     Hashemi (arbeit plus) und Christina                           zu planen. Diese betreffen speziell den Zugang und die
     Schneyder (dabei austria)                                     Qualifizierung von jungen Menschen für Zukunftsbran-
                                                                   chen: Vorranging sind dabei insbesondere der Bereich
     Jugendarbeitslosigkeit ist deswegen so problematisch,         der Digitalisierung sowie dauerhaftere Ausbildungspro-
     weil sie spätere Erwerbschancen und Lebenseinkom-             gramme zum Erwerb von Green und White Skills (um die
     men deutlich mindert und damit eine wesentliche Ursa-         nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit von jungen Men-
     che vieler sozialer Folgeprobleme darstellen kann. Eine       schen sicherzustellen) zu nennen.
     Verfestigung der Jugendarbeitslosigkeit führt zwangs-
     läufig zu „Lost Generations“. Das gilt es mit allen Mitteln   Vorschläge
     zu verhindern.                                                Zentral geht es dabei um Begleitmaßnahmen und ge-
                                                                   zielte Schwerpunktsetzungen. Vorschläge der Dachver-
     Wirksame MaSSnahmen müssen                                    bände dazu sind:
     nicht neu erfunden werden                                     :: Forcierung der Qualifikationen für Zukunftsbranchen
     Die im Bereich der Arbeitsmarktpolitik tätigen Träger            (z.B. Green Skills, White Skills: Ausbildungen im Be-
     haben in den letzten Jahrzehnten -in guter Zusammen-             reich der Gesundheits- und Sozialberufe)
     arbeit mit Auftraggebern wie dem AMS oder dem So-             :: Stärkere Berücksichtigung regionaler Arbeitsmarkt-
     zialministeriumservice- eine Reihe von Instrumenten              chancen (differenzierte Betrachtung von Zukunftsbe-
     entwickelt, die bedarfsbezogene Unterstützung für Ju-            rufen je nach Region)
     gendliche bieten. Beispiele dafür sind: AusbildungsFit,       :: Stärkere Vernetzung und Abstimmung der beteiligten
     Jugendcoaching, Jugenarbeitsassistenz, Berufausbil-              Akteur*innen bei Entwicklungsarbeit und Schwer-
     dungsassistenz, Jobcoaching, Überbetriebliche Lehraus-           punktsetzungen
                                                                   :: Stärkere Einbindung der Träger und anderer Institu-
     bildungen und Qualifizierungsprojekte.
                                                                      tionen zur Unterstützung des AMS bei der Beratungs-
                                                                      und Matchingarbeit
     Probleme beim Matching:                                       :: Wiederbelebung der Taskforce „Jugendbeschäfti-
     MaSSnahmen werden zum Teil nicht                                 gung“ unter Einbindung der arbeitsmarktpolitisch tä-
     ausgeschöpft                                                     tigen Trägerorganisationen
     Das derzeitige Problem besteht vor allem darin, dass          :: Ausbau der Programme zur nachhaltigen Begleitung
     die vorhandenen Maßnahmen nicht voll ausgeschöpft                von Berufseinsteiger*innen
     werden können, weil das vorgelagerte Matching (z.B.           :: Unterstützungsangebote im Bereich der Digitali-
     aufgrund der Verlagerung der AMS-Beratung in den                 sierung – vielfach finden die Jugendlichen keine ge-
     virtuellen Raum) nicht ausreichend funktioniert. Vielen          eigneten Rahmenbedingungen vor, um digital par-
     Jugendlichen, die derzeit in Beratung und Betreuung              tizipieren zu können. Es mangelt an Endgeräten wie
     oder in Schulausbildungen sind, fehlt eine geeignete An-         Notebooks mit entsprechenden Programmen bzw. an
     schlussperspektive.                                              Internet-Zugängen
     Die in den Dachverbänden vertretenen Organisationen
     bieten angesichts dieser schwierigen Lage ihre aktive         Die arbeitsmarkpolitischen Träger*innen bieten diesbe-
     Unterstützung beim Matching an. „Wir wissen um die            züglich ihre Zusammenarbeit an.
Rundbrief 1/2021                                                 15

            SCHLECHT
         BEZAHLTE
         TEILZEITJOBS
         LASSEN NICHTS
             ZUM TEILEN.
         Machen wir uns stark für einen Sozialstaat, der dafür
          sorgt, dass wir von unserer Arbeit leben können.

                   wir-gemeinsam.at
                   Eine Initiative der ARMUTSKONFERENZ.
16                                                                                                               Rundbrief 1/2021
© Norbert Krammer

                    Medizinische Behandlung setzt
                    Einwilligung voraus!
                    In Zeiten der Corona-Pandemie wird nicht                entwickeln wollen.
                                                                            „Schutzberechtigte“ Menschen im Sinn des ABGB, also
                    nur über Schutzmaßnahmen, Lockdown                      Minderjährige und Personen, die nicht alle ihre Ange-
                    und medizinische Aspekte diskutiert,                    legenheiten selbst besorgen können, stehen unter dem
                    sondern auch über Tests und Impfungen                   besonderen Schutz der Gesetze und daher sind auch die
                                                                            Schutzbestimmungen vollumfänglich anzuwenden.
                    in mehr oder weniger freiwilligem Setting.
                    Oft vermischt sich dabei ein fürsorglicher,             Beispiel Grippeimpfung
                    ja manchmal auch ängstlicher Standpunkt                 Der Winter 2020/21 beschert Österreich die gewohnte
                    mit medizinisch oder epidemiologisch                    jährliche Grippewelle. Und die nachvollziehbare gesund-
                                                                            heitspolitische Empfehlung für vulnerable Personen-
                    fundierten Positionen. Norbert Krammer,
                                                                            gruppen, sich vorsorglich zu einer Grippeimpfung anzu-
                    VertretungsNetz                                         melden. In der kalten Jahreszeit steigt das Grippe-Risiko
                                                                            und mit vermehrten Grippefällen ist in Österreich ab
                    Die einen fordern, am besten die ganze Bevölkerung      Jänner zu rechnen.
                    wöchentlich zu testen. Die anderen sehen Schutzimp-     Der Impfschutz benötigt 10 bis 14 Tage, bis er vollstän-
                    fungen und Screenings nur dann als notwendig, wenn      dig aufgebaut ist. Vor der medizinischen Behandlung
                    es tatsächlich einen Ansteckungsverdacht mit Covid-19   einer Schutzimpfung ist eine ärztliche Aufklärung –
                    gibt.                                                   auch über allgemeine und insbesondere individuelle Ri-
                                                                            siken – unabhängig von der Entscheidungsfähigkeit in
                    AuSSergewöhnliche Zeiten                                jedem Fall erforderlich. Die Ärztin/der Arzt muss sich
                    benötigen bewährte                                      davon überzeugen, dass die/der Patient*in entschei-
                    Vorgangsweisen                                          dungsfähig ist, damit der medizinischen Behandlung
                    Obwohl die Pandemie unsere Gesellschaft mit außer-      zugestimmt werden kann. Sollte die Entscheidungsfä-
                    gewöhnlichen Herausforderungen konfrontiert, können     higkeit in Zweifel gezogen werden, ist durch einfache
                    wir auf bewährte rechtliche Regelungen bei den vorge-   Erklärungen nachweislich ein weiterer Versuch – also
                    sehenen Diagnoseverfahren und Vorsorgeimpfungen         durch Dokumentation – einzuleiten, wie dies auch in der
                    zurückgreifen – wenn wir gleichzeitig die rechtstaat-   UNBehindertenrechtskonvention vorgesehen ist. Bleibt
                    lichen Errungenschaften weiter umsetzen und weiter-     die Einschätzung fehlender Entscheidungsfähigkeit bei
Rundbrief 1/2021                                                                                                  17

der konkreten medizinischen Behandlung, muss ver-        :: Rechtsberatung
pflichtend ein sogenannter Unterstützer*innen-Kreis
durch die Ärztin/den Arzt einberufen werden. Ziel und    ausgebaut
Aufgabe der Unterstützungsgruppe ist es, sich um ent-
sprechende Unterstützung und Erklärung für die Pati-     Das präventive Beratungsangebot zur
entin / den Patienten zu bemühen, damit die Entschei-    Einkommenssicherung für Frauen wird
dungsfähigkeit in der konkreten Behandlungssituation
erreicht werden kann. Als Unterstützer*innen kommen      weiter ausgebaut. Der Stadtsenat Linz
Angehörige und andere nahestehende Personen ebenso       hat einstimmig eine Erhöhung der
in Frage wie Menschen, die im Umgang mit Menschen in     Beratungsstunden um 25 Prozent für
solchen schwierigen Lebenslagen besonders geübt sind.
Genaue Erklärungen, Geduld und leicht verständliche
                                                         2021 beschlossen.
Sprache, möglicherweise auch Schautafeln oder Zeich-
                                                         Das 2012 eingeführte Angebot wird durch die Ex-
nungen, sollten die selbstbestimmte Zustimmung auch
                                                         pertinnen des autonomen Frauenzentrums durch-
für Menschen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit
                                                         geführt und soll auch dazu beitragen, die Armutsge-
ermöglichen.
                                                         fährdung von Frauen in Linz langfristig zu mindern.
                                                         Linzerinnen können sich vor wichtigen Lebensent-
Menschen mit geminderter                                 scheidungen wie Familiengründung von den erfah-
Entscheidungsfähigkeit                                   renen Juristinnen des autonomen Frauenzentrums
Die Bestimmungen über ärztliche Aufklärung und er-       über Rechte und Ansprüche in der Partnerschaft be-
forderlicher Zustimmung zu jeder medizinischen Be-       ziehungsweise nach einer etwaigen Trennung sowie
handlung sind allgemein gültig. Dadurch sollen auch      zu allgemeinen Fragen der finanziellen Absicherung,
Menschen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit vor      kostenlos beraten lassen.
Behandlungen ohne gültiger Einwilligung geschützt
werden. Ersatzweise Zustimmungen für eine nicht          Autonomes Frauenzentrum Linz
entscheidungsfähige Person sind nur in ganz engen        Starhembergstraße 10, Ecke Mozartstraße, 2. Stock
Grenzen und nur durch Vorsorgebevollmächtigte oder       4020 Linz
Erwachsenenvertreter*innen denkbar, wenn dies im         0732-60 22 00, hallo@frauenzentrum.at
Wirkungsbereich mit umfasst ist und es nicht gegen den   https://www.frauenzentrum.at/
Willen erfolgen sollte. Die Aufklärung der behandelten
Person ist abgestimmt nach Umfang und Intensität der
Behandlung durchzuführen, zumindest der Grund und
die Bedeutung der medizinischen Behandlung ist in ver-   :: migrare unter neuem
ständlicher Weise zu erläutern. Natürlich ist auch die   vorsitz
Vertreterin/der Vertreter über die geplante konkrete
Behandlung aufzuklären.
Eine Impfung ist eine Schutzmaßnahme und im Regelfall    Ein Gründungsmitglied des Vereins
nicht zwingend notwendig. Da Anwendung von Zwang         wurde     zum    neuen   Vorsitzenden
hier nicht möglich ist, kann eine Grippeimpfung ohne
                                                         gewählt: Drago Velebit ist Jurist und
Einwilligung der Patientin/des Patienten nicht umge-
setzt werden. Eine Behandlung gegen den körperlichen     Arbeitsrechtsexperte der AK OÖ und
Widerstand ist jedenfalls unzulässig und kann nur im     hat die Anfänge von migrare selbst
Rahmen des Unterbringungsgesetzes in der Psychiatrie     mitgestaltet.
bei Einhaltung der hohen Prüfungskriterien erfolgen.
                                                         „Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass wir
Aufklärung und Unterstützung                             eine Gesellschaft verwirklichen, in der alle gleichbe-
stehen im Mittelpunkt                                    rechtigt leben“ – so Velebit über seine neue Aufgabe.
Die Bemühungen müssen daher mehr in Richtung Auf-        Die Geschäftsführung freut sich darüber, dass ein
klärung und Unterstützung zum Erreichen der Ent-         Kreis geschlossen wird und heißt den neuen Vorsit-
scheidungsfähigkeit kanalisiert werden. Dieser Ablauf    zenden herzlich willkommen!
– Klärung Notwendigkeit der Behandlung (beispiels-       Während ein neues Mitglied im Vorstand begrüßt
weise Impfung), Aufklärung durch Behandler*in, Fest-     wird, heißt es auch gleichzeitig sich beim langjäh-
stellen der Entscheidungsfähigkeit oder Maßnahmen        rigen Mitgestalter und Weggefährten Walter Haberl
zur Unterstützung, rechtsgültige Einwilligung in medi-   zu verabschieden. Er hat migrare jahrzehntelang
zinische Behandlung – ist auch auf andere Maßnahmen      geprägt. Ein weiteres Dankeschön ergeht an Bet-
in Grundzügen übertragbar. Also auch auf die Zustim-     tina Bayr-Gschiel. In all ihren unterschiedlichen
mungserfordernisse bei einer möglichen Schutzimpfung     beruflichen Stationen hatte sie immer ihr Herz bei
gegen das Sars-CoV-19-Virus.                             migrare. Sie war seit Mitte der 80er Jahre Teil des
                                                         Vorstandes und für einige Zeit auch Vorsitzende.
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