Wege Worte werden - Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit - Worte ...

 
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Wege Worte werden - Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit - Worte ...
Kapitel

                                Ulrich Marx

    Worte werden
      Wege

    Leitfaden für helfende Gespräche
          in der Seelsorgearbeit
1   Leitfaden für helfende Gespräche in der Telefonseelsorgearbeit © Ulrich Marx
Danksagung:

Danken möchte ich allen, die mir bei der Erstellung des Leitfadens mit Rat und Tat zur
Seite gestanden haben. Mein besonderer Dank gilt Gottfried Neuhaus für die wertvollen
Beiträge und die fortlaufende Motivationsarbeit, ohne die der Leitfaden nicht als Buch
erschienen wäre. Mein Dank gilt auch Dieter Mokros, der bis zu seinem Tod im Jahr
2019 die Telefonseelsorgestelle in Krefeld geleitet hat. Er hat die Idee, diesen Leitfaden
zu erstellen, maßgeblich mitentwickelt. Bei Reiner Friedsam und dessen Werbeagentur
in Sinzig möchte ich mich für das Engagement und die Ideen bedanken, die diesen Leit-
faden haben Wirklichkeit werden lassen.

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1. Auflage 2021

Hinweis zum Nachdruck:
Der Nachdruck und die Vervielfältigung sind nur mit Genehmigung von Ulrich Marx
möglich.

Titelbild:
www.shutterstock.de

Titelgestaltung:
Friedsam. Erfolgsagentur

Satz:
Friedsam. Erfolgsagentur
www.agentur-friedsam.de

              Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Vorwort

Vorwort der Vorsitzenden der Telefonseelsorge
Bad Neuenahr-Ahrweiler e. V.,
Frau Lena Saltzmann

Der vorliegende „Leitfaden für helfende Gespräche“ gibt Ihnen, lieber Leser, den bisher
fehlenden roten Faden, den Weg durch das Labyrinth der Informationen bzgl. guter Te-
lefonseelsorge an die Hand. Entstanden ist er aus der Praxis, geschrieben wurde er für
die Praxis!

Es freut mich als Dienststellenleiterin der Telefonseelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler
e. V. ganz besonders, dass ein Mitglied unseres Vereins, Herr Ulrich Marx, mit jahr-
zehntelanger Erfahrung in Aus- und Fortbildung, am Seelsorgetelefon und in der Vor-
stands- und Vereinsarbeit, u. a. als stellvertretender Vorsitzender, in diesem Leitfaden
die Früchte seiner ehrenamtlichen und beruflichen Tätigkeit zusammengetragen hat.
Damit stellt Herr Ulrich Marx allen in der Telefonseelsorge Tätigen seinen reichen Fun-
dus an Wissen und Erfahrungen hervorragend strukturiert, gespickt mit Beispielen und
Übungen und mit den entsprechenden Quellen aus Wissenschaft und Forschung zur
Verfügung.

Der Sicherung der Qualität unserer Arbeit am Seelsorgetelefon kommt in allen Dienst-
stellen der Telefonseelsorge eine zentrale Bedeutung zu.

Daher bin ich überzeugt, dass dieser „Leitfaden für helfende Gespräche“ in seiner Dichte
einen hervorragenden Beitrag zur Ausbildung und Weiterbildung der Seelsorgenden am
Telefon leisten und seine Anerkennung in der Telefonseelsorgelandschaft finden wird.

Lena Saltzmann
Vorsitzende der Telefonseelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler e. V.

               Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx       3
Vorwort

    Vorwort des Landrates Dr. Jürgen Pföhler

    Als Landrat des Kreises Ahrweiler liegt mir besonders die ehrenamtliche Tätigkeit am
    Herzen. Dies gilt vor allen Dingen für den Verein der Telefonseelsorge in Bad Neuen-
    ahr-Ahrweiler. Dieser Verein mit ca. 70 ehrenamtlichen Mitarbeitern ist im Gefüge der
    Telefonseelsorgen in Deutschland einzigartig. Alles in diesem Verein, auch die Leitung,
    ist ehrenamtlich organisiert. Die besondere seelsorgerische Tätigkeit am Telefon ist zu-
    gleich Sozial- und Gesundheitsarbeit und aus dem Leben des Kreises nicht mehr weg-
    zudenken. Aus diesem Grunde unterstütze ich als Schirmherr die Anliegen dieser Tele-
    fonseelsorgestelle.

    Ich wünsche mir, dass dieses Buch eine große Verbreitung und Beachtung finden wird.

    Dr. Jürgen Pföhler,
    Landrat des Landkreises Ahrweiler

4                 Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Vorwort

Vorwort des Autors

Der Gesprächsleitfaden gibt Mitarbeitern der Telefonseelsorge aber auch Fachleuten
aus anderen helfenden, sozialen Berufen eine Hilfestellung und Orientierung in der
Praxisarbeit.

Meine Erfahrung aus der Telefonseelsorgearbeit ist, dass Auszubildende der Telefon-
seelsorge einen Nutzen durch direkte praktische Beispiele in der sozialen Arbeit am
Telefon haben.

Langjährig Tätige in der Telefonseelsorge oder anderen beraterischen Berufen erhal-
ten Anregungen, da neue wissenschaftliche Literatur in dem Leitfaden verarbeitet und
nutzbar gemacht wurde.

Hospitationsbegleiter, insbesondere Ausbilder in der Telefonseelsorge, finden ein Nach-
schlagewerk, in dem die einschlägigen psychotherapeutischen und kommunikations-
wissenschaftlichen Aspekte vorgestellt werden. Abgerundet wird der Nutzen dieses
Leitfadens durch ein Literaturverzeichnis.

Diese Aspekte des Nutzens für verschiedene Teilnehmer stehen und standen bei mir im
Vordergrund als ich dieses Werk verfasst habe.

Jedes Seelsorgegespräch stellt sich in der Praxis als einzigartig dar, so dass dieser Leit-
faden keine verbindlichen Vorgaben, sondern Impulse und Anregungen für gelingende
Gespräche geben kann.

Im nachfolgenden Text wurde mit „A“ der / die Anrufer-in / Ratsuchende und mit „TS“
der oder die Seelsorger-in benannt. Um eine einheitliche Lesbarkeit zu gewährleisten
wurde die männliche Form gewählt.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch als Anregung und Lehrmaterial über den Bereich der
Telefonseelsorge hinaus nutzbar wird. Für Anregungen bin ich dankbar.

Ulrich Marx

              Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx           5
Inhaltsverzeichnis

    Inhaltsverzeichnis

      Nr.      Kapitel                                                                    Seite
               Einleitung: Konzeptioneller Ansatz                                           10
               Einführung - Die U-Form des Gesprächs                                        12
       1       „Andocken“ / Kontakt aufnehmen                                               14
       1.1     Die Gesprächshaltung am Telefon                                              14
      1.2      Der Gesprächsbeginn: Meldeformel                                              15
       1.3     Warum Gefühle wichtig sind                                                   16
      1.3.1    Der Umgang mit Gefühlen im Gespräch                                          20
      1.4      Die Beziehung zum Anrufer / Ratsuchenden gestalten                           21
      1.4.1    Aktives Zuhören                                                              22
     1.4.2     Einfühlendes Spiegeln der Gefühle                                            23
      1.4.3    Das Vier-Seiten- und Vier-Ohren-Modell                                       25
     1.4.3.1   Die vier Seiten einer Nachricht                                              25
     1.4.3.2   Der Vierohrige Empfänger                                                     26
     1.4.4     Den Sprachstil angleichen (Pacing)                                           27
     1.4.5     Mit Wertschätzung und Zuversicht im Gespräch begegnen                        29
     1.4.6     Mit „Ich-Botschaften“ im Gespräch arbeiten                                   30
     1.4.7     Das Zuhörherz / Listening Skills                                             31
     1.4.7.1   Innere Stimmen; Das innere Team                                              33
     1.4.7.2   Warmes Zuhören                                                               34
     1.4.7.3   Kaltes Zuhören                                                               35
       2       Den Auftrag klären                                                           38
      2.1      Die Bedeutung der Auftragsklärung                                            38
      2.2      Aufträge / Anliegen erfragen                                                 39
      2.3      Aufträge / Anliegen „Anderer“                                                39
      2.4      Aufträge / Anliegen bestätigen oder ablehnen                                 40
       3       Der „Tanz“ um das Problem                                                    41
       3.1     Interesse und Wertschätzung signalisieren                                    41
      3.2      Zum Wesen von Problemen                                                      41
      3.3      Unterschiedliche Sichtweisen herausarbeiten - zirkulär fragen                43
      3.4      Fragen zur Problemstruktur: „Das Problem auspacken“                          43

6                 Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Inhaltsverzeichnis

  Nr.      Kapitel                                                                    Seite
   4       Der „Dreh“ des Gesprächs                                                     45
  4.1      Veränderungswunsch klären                                                    46
  4.2      „Ja-Aber“ – Kein Veränderungsinteresse! ?                                    46
  4.3      Der Umgang mit „Jammer- und Beschwerdeanrufern“                              48
  4.4      Lösungspriming                                                               51
  4.5      Änderungswünsche herbeiführen: Eine Frage der Perspektive                    52
  4.6      Gesprächsmethoden                                                            53
 4.6.1     Fragen nach Hoffnungen, Zuversicht und Sinnerleben                           53
 4.6.2     Bewältigungsfragen und Standardintervention                                  56
 4.6.3     Fragen nach den Ausnahmen, Unterschieden und der Skalierung                  56
 4.6.4     Die systemische oder zirkuläre Frage                                         58
 4.6.5     Splitting-Fragestellungen                                                    59
4.6.5.1    Mit dem Herzen hören                                                         59
4.6.5.2    Die Technik des Handabwägens                                                 62
 4.6.6     Die Worst-Case-Frage                                                         63
 4.6.7     Die hypothetische Frage                                                      64
 4.6.8     Imagination, Sprachbilder, Metapher, Geschichten und Erzählungen             65
4.6.8.1    Imagination - Phantasiereisen                                                65
4.6.8.2    Metapher, Sprachbilder                                                       67
4.6.8.3    Geschichten und Erzählungen                                                  68
 4.6.9     Reframing - Positive Umdeutung                                               69
4.6.9.1    Umsetzung im Seelsorgegespräch                                               71
4.6.10     Umetikettierung von Eigenschaften einer Person                               72
4.6.11     Die VW-Regel                                                                 74
4.6.12     Die Wunderfrage                                                              75
4.6.13     Die ABC-Methode (negativen Selbstwert hinterfragen)                          75
4.6.13.1   Anmerkungen zum Selbstwert                                                   78
4.6.14     Weitere Fragetypen                                                           78
  4.7      Exkurs: Kommunikation mit Menschen mit herausfordernden
                                                                                        80
           Verhaltensweisen
 4.7.1     Die SET-Kommunikation                                                        80
4.7.1.1    Support (Unterstützung)                                                      81
4.7.1.2    Empathie (Mit-Gefühl)                                                        81

              Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx           7
Inhaltsverzeichnis

     Nr.      Kapitel                                                                    Seite
    4.7.1.3   Truth (Wahrheit)                                                             81
     4.7.2    Kommunikation mit Menschen mit Borderline-Persönlichkeit                     84
    4.7.2.1   Die Begegnung im Gespräch                                                    85
     4.8      Weitere Gesprächsleitfäden                                                   87
     4.8.1    Lösungsmatrix in der Beratungsarbeit                                         88
    4.8.2     Die Problem-Lösungstreppe                                                    89
    4.8.3     Das Futur-Perfekt                                                            89
      5       Ressourcen suchen und einsetzen, Ziele und Lösungen formen                   90
      5.1     Ziele                                                                        90
     5.2      Der Begriff der Ressourcen                                                   91
     5.2.1    Einteilung von Ressourcen                                                    91
    5.2.2     Aufgaben und Zweck von Ressourcen                                            92
     5.2.3    Ressourcing als Aufgabe des Beraters                                         93
      5.3     Die Positive Psychologie - PP                                                95
     5.3.1    Modell der Charakterstärken                                                  96
     5.3.2    Die Wirkung positiver Emotionen                                              98
     5.3.3    Die Broaden-Build-Theorie und der Undoing-Effekt                            100
    5.3.4     Die Umsetzung im Gespräch                                                   101
     5.4      Salutogenese                                                                105
     5.5      Resilienz                                                                   105
     5.5.1    Durch Achtsamkeits- Entspannungsübungen                                     106
    5.5.2     Durch ein gutes Arbeitsumfeld                                               110
     5.5.3    Durch ausreichend gesunde Ernährung und Schlaf                               113
    5.5.4     Durch den Blick und ausreichende Bewegung in der Natur                       113
     5.5.5    Durch Emotionsregulation                                                    114
    5.5.6     Durch Glaube und Sinnhaftigkeit im eigenen Tun                               115
     5.5.7    Durch Optimismus, Hoffnung, Offenheit, Mut und Zuversicht                   118
    5.5.8     Durch soziale Beziehungen, Bindung, Erfahrung von Unterstützung             120
              und Nähe
    5.5.8.1   Exkurs: Einsamkeit                                                          122
    5.5.8.2   Die Umsetzung im Gespräch                                                   124
    5.5.9     Durch einen positiven Bewertungsstil - Selbstwirksamkeit                    125
     5.6      Exkurs: Menschen mit psychosomatischen Leiden                               126

8                Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Inhaltsverzeichnis

Nr.     Kapitel                                                                    Seite
5.7     Thematische Fragen nach Ressourcen und Zielen                               127
 6      Realität und Machbarkeit-SMART                                              130
 7      Das Gesprächsende gestalten                                                 131
 7.1    Am Gesprächsanfang orientieren                                               131
7.2     Beim Gefühl des A bleiben                                                    131
 7.3    Durch Strukturieren und Zusammenfassen                                       131
7.4     Die Methode des „lauten Denkens“                                            132
 7.5    Zeitbegrenzung                                                              132
7.6     Das Gesprächsende „beiläufig“ einleiten                                     133
 7.7    Das Gesprächsende handlungsorientiert beschließen                           133
7.8     Das Gesprächsende in besonderen Fällen                                      133
7.8.1   Bei Gesprächen, „die nicht enden wollen“                                    133
7.8.2   Bei „Viel-Rednern“                                                          134
 8      Auch das darf sein: Nicht alle Gespräche gelingen                           135
 9      Literaturliste                                                              136

           Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx           9
Einleitung: Konzeptioneller Ansatz

     Einleitung - Konzeptioneller Ansatz

     Die Methoden der systemisch-lösungsorientierte Beratung 1, der Positiven Psychologie 2
     und der Klientenzentrierten Beratung nach Carl Rogers 3 sind Grundlage dieses Leitfa-
     dens. Sie habe gemein, dass sie dem Anrufer wertvolle Hilfestellungen geben, sich selbst
     zu erkunden und seine Ressourcen zu berücksichtigen.

     Der systemische Ansatz sieht den Menschen als beziehungsorientiertes Lebewesen in ei-
     nem lebenden Netzwerk (= System). Dies kann zum Beispiel die Familie, der Freundes-
     kreis, der Kollegenkreis, die TS-Gruppe usw. sein. Systeme wirken selbststeuernd und
     selbsterhaltend.

     Systemisch bedeutet, den Einzelnen, z. B. den Anrufer, nicht isoliert, sondern in Bezie-
     hung stehend zu seiner Umwelt zu betrachten. Ein „System“ funktioniert ähnlich wie ein
     Mobile. Bewegt man ein Element, erfahren dadurch die anderen Elemente „Impulse“,
     was rückbezüglich wirkt. Verhalten entsteht durch einen Wechselwirkungsprozess. Jedes
     Verhalten kann man sowohl unter dem Aspekt seiner Ursachen als auch unter dem seiner
     Auswirkungen analysieren, wobei diese Auswirkungen wiederum zu Ursachen für neues
     Verhalten werden (siehe Grafik unten 4 5)

                   Ursachen                     Verhalten von Person A                Auswirkungen

                  Auswirkungen                  Verhalten von Person B                 Ursachen

     1
         Vertreter sind u. a Gregory Bateson, John Weakland, Jay Haly, Salvador Minuchin, Virginia Satir, Paul
         Watzlawick, Fritz B. Simon, Helm Stierlin.
     2
         Martin Seligmann: (*12. August 1942, New York) ist ein US-amerikanischer Psychologe. Seligman ist
         bekannt für seine Arbeit an der Idee der „erlernten Hilflosigkeit“ (Erklärungsansatz für Depressionen)
         und für seine Beiträge auf dem Gebiet der Positiven Psychologie (siehe Kapitel 5.3), wo ihm eine
         Pionierfunktion zukommt (Abfrage Wikipedia Juli 2020)
     3
         Carl Rogers (* 8. Januar 1902 † 4. Februar 1987), US-amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut,
         entwickelte die klientenzentrierten Gesprächstherapie. Der von Rogers entwickelte Ansatz ist heute
         fester Bestandteil der Gesprächsführung im Rahmen von Therapiegesprächen, als auch in der gene-
         rellen Gesprächsführung der alltäglichen pädagogischen Arbeit. (Abfrage Wikipedia, Juli 2020) und in
         der Telefonberatung (= Anmerkung des Autors)
     4
         Arist v. Schlippe / J. Schweitzer, Lehrbuch der systemischen Therapie & Beratung I, Basiswissen, S. 21 ff
     5
         Bamberger, Lösungsorientierte Beratung, Praxishandbuch, S. 35

10                      Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Kapitel 1: Andocken / Kontakt aufnehmen

1.4.7.1 Innere Stimmen; Das innere Team

Die inneren Stimmen / Teilpersönlichkeiten gehen auf das Persönlichkeitsmodell des
Psychologen Friedmann Schulz von Thun zurück. Er beschreibt das menschliche seeli-
sche Innenleben mit der Metapher des „Inneren Teams“, mit Teilpersönlichkeiten oder
inneren Stimmen, die gegeneinander oder miteinander agieren können 42:

                              Nein,                                          Ja klar
                            bloß nicht!                                       doch!

                                             Pessimis-      Optimis-
                                               tisch          tisch

                                             Ängstlich        Mutig

                                   Widerstrebende Anteile im Selbst

Innere Stimmen mit inneren Aussagen können sein 43:

• „Der innere Schweinehund“ (Sehe ich nicht ein!) mit der Äußerung: „Muss ich mir das wie-
  der anhören“ (z. B. bei Daueranrufern); Eigentlich habe ich keine Lust, dem A zuzuhören,
  aber nun bin ich mal hier.
• „Das trotzige Kind“ (widerspenstig, trotzig) mit der Äußerung: „Das sehe ich nicht ein“; ich
  teile und unterstütze die Auffassung des A nicht.
• „Die innere Kämpfernatur“ (beharrend, kraftvoll) für eigene Bedürfnisse oder die der an-
  deren eintretend.
• „Der innere Richter“ (verurteilend) mit der Äußerung: „Das ist verboten, nicht erlaubt“.
  Das darf der A nicht tun, usw.
• „Der Bremser“ (zögerlich, ängstlich): „Nicht so schnell“. Der A. soll es langsamer angehen
  lassen.
• „Der Pessimist“ (hoffnungslos, resignierend): „Das wird ganz sicher schiefgehen. Der A wird
  damit scheitern.“
• …

42
     Friedemann Schulz von Thun: Die Pluralität des menschlichen Innenlebens wird darin mit der Metapher
     eines Teams und seines Leiters dargestellt. Das soll die Selbstklärung in zwiespältigen Situationen unter
     stützen und damit die Voraussetzung für eine klare Kommunikation nach außen bieten, vgl. Wikipedia,
     Abfrage im Mai 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Inneres_Team
43
     vgl. Schulz von Thun, Miteinander Reden von A – Z, S. 94 ff

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Kapitel 4: Der Dreh des Gesprächs

4 „Der Dreh des Gesprächs“

Man hat Sterbende danach gefragt, was sie in ihrem Leben bedauern und gerne ändern
würden, hätten sie dazu noch die Zeit und die Kraft. Die fünf Dinge oder Versäumnisse,
die diese benannten und am meisten bedauerten, waren 57:

1. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie
   andere es von mir erwarten.
2. Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.
3. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
4. Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten.
5. Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude in meinem Leben gegönnt.

Auch viele der Anrufer haben das Gefühl, dass das jetzige Leben nicht das ist, was sie
möchten, sich vorgestellt oder erwartet haben. Sie sind in ihrem Leben in einer Art
„Sackgasse“ angekommen und haben oftmals auch kein klares Bild davon, wie ihr Weg
künftig - raus aus den Problemen - aussehen könnte.

Den „Dreh“ im Gespräch herbeizuführen bedeutet, dem Gespräch eine „Wendung“ zu ge-
ben. Damit ist gemeint, die Aufmerksamkeit des A von dem Problem weg auf Lösungs-
möglichkeiten zu lenken. Hierbei geht es um einen Perspektivenwechsel, d. h. weg von
der problemorientierten Sichtweise (Vergangenheit) hin zu einer besseren, hoffungs-
volleren Zukunft. Die Kraft zur Veränderung der Sichtweise ergibt sich aus dem Ziel-
bezug in Form einer „zukunftsbezogenen Vorwärtskopplung“, nicht aus dem Rückblick in
das, was bisher nicht funktionierte.

Steve de Shazer, einer der Gründungsväter der „Lösungsorientierten Beratung“, sagte, dass
Ausnahmen und Unterschiede wie „unbewusste Lösungen oder Dietriche“ funktionieren
würden. Lohnend sei es daher zu fragen nach 58:

•    Ausnahmen und Unterschieden (siehe Kap. 4.5)
•    Wünschen
•    Hoffnungen
•    Zielen

Gesprächstipp: In Gesprächen sollten Sie danach fragen

• Was in der Vergangenheit unternommen wurde und was schon ansatzweise funktioniert hat
  oder zu Erleichterungen geführt hat.
• Welche Wünsche, Hoffnungen an das eigene Leben bzw. die konkrete Situation für die Zu-
  kunft bestehen (siehe Kapitel 4.1 - 4.6).

57
     N. Henning, Glücksprinzipien, S. 85 und 140 (Untersuchung von Bronnie Ware 2015: 5 Dinge,
     die Sterbende am meisten bereuen, Einsichten, die ihr Leben verändern werden, Goldmann
58
     Steve de Shazer: Der Dreh, S. 25 ff

                   Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx         45
Kapitel 4: Der Dreh des Gesprächs

4.6.6 Die Worst-Case-Frage

Bedeutung:

Sie nimmt den schlimmsten anzunehmenden Fall an und ermöglicht die gedankliche
Vorwegnahme mit dem nötigen Abstand zur Situation. Die Konsequenzen des Han-
delns bzw. der Verhaltensweisen können im Ergebnis besser abgeschätzt werden und
verlieren so ihre abschreckende, blockierende Wirkung. Zudem besteht die Möglichkeit,
Haltungen zu mobilisieren, den „Worst-Case“ gelassener zu akzeptieren: Zum Beispiel
etwas loszulassen, da die Sache nicht veränderbar ist oder erscheint. „Wer weiß, für was
es gut sein wird, und, wenn es schiefgeht, geht es eben schief, ich kann es leider nicht verhin-
dern“. Wer eine Sache verschlechtern kann, hat auch Einfluss auf Verbesserungen 95.

• Was müssten Sie tun, um das Problem zu behalten? - Diese Fragestellung kann sich auch für
  Menschen, die unter Angstsituationen leiden, eignen.

Beispiel: Gefangen-Sein in der Angst

A berichtet über die Angst vor einer möglichen Begegnung mit dem „Ex“. Sie wohnt in
derselben Stadt und hat Angst, er könne ihr auf der Straße begegnen. Die Angst hat dazu
geführt, dass sie mehr und mehr Straßenzüge meidet, neuerdings auch Menschenan-
sammlungen. Sie reagiert dann gegenüber ihrer Umwelt (Freunde, Familie) zunehmend
barsch, unwirsch und wütend. Auf die Frage, wann die Angst häufiger auftritt, entgeg-
net sie: „Wenn ich mich hilflos Situationen, wie der Begegnung mit meinem „Ex“ ausgeliefert
fühle, dann fühle ich mich wie gedemütigt, verletzt.“

Weiterführende Fragen der TS könnten hier sein:

• In welchen Situationen in der Vergangenheit (Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter) haben
  Sie sich auch schon so hilflos, ausgeliefert und gedemütigt gefühlt? Gibt es Parallelen?
• Leitet Ihre Angst, d. h. die Furcht vor Demütigungen, Ihr Verhalten bzw. Ihre Entscheidungen
  dabei? (Die Angst als „Verhinderer“, vor welcher Entscheidung, Herausforderung?)
• Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass Sie ihrem Ex begegnen?
• Was könnte schiefgehen und was könnte schlimmstenfalls dann passieren?
• Wie schlimm wäre das denn wirklich?
• Könnten Sie damit leben?
• Bräuchten Sie Hilfe, Unterstützung, z. B. Begleitung? Wenn ja, wer oder was würde Ihnen in
  der Begegnung mit dem Ex helfen?

95
     D. Hansch, Angst selbst bewältigen, S. 77 ff

                    Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx          63
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