Wege Worte werden - Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit - Worte ...
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Kapitel Ulrich Marx Worte werden Wege Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit 1 Leitfaden für helfende Gespräche in der Telefonseelsorgearbeit © Ulrich Marx
Danksagung: Danken möchte ich allen, die mir bei der Erstellung des Leitfadens mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Mein besonderer Dank gilt Gottfried Neuhaus für die wertvollen Beiträge und die fortlaufende Motivationsarbeit, ohne die der Leitfaden nicht als Buch erschienen wäre. Mein Dank gilt auch Dieter Mokros, der bis zu seinem Tod im Jahr 2019 die Telefonseelsorgestelle in Krefeld geleitet hat. Er hat die Idee, diesen Leitfaden zu erstellen, maßgeblich mitentwickelt. Bei Reiner Friedsam und dessen Werbeagentur in Sinzig möchte ich mich für das Engagement und die Ideen bedanken, die diesen Leit- faden haben Wirklichkeit werden lassen. Hinweise zu Links und Webseiten Dritter: Dieses Buch enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte ich keinen Einfluss habe. Deshalb kann ich für diese fremden Inhalte auch keine Haftung überneh- men. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft, rechtwidrige Inhalte waren nicht erkennbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werde ich derartige Links umgehend ent- fernen. 1. Auflage 2021 Hinweis zum Nachdruck: Der Nachdruck und die Vervielfältigung sind nur mit Genehmigung von Ulrich Marx möglich. Titelbild: www.shutterstock.de Titelgestaltung: Friedsam. Erfolgsagentur Satz: Friedsam. Erfolgsagentur www.agentur-friedsam.de Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Vorwort Vorwort der Vorsitzenden der Telefonseelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler e. V., Frau Lena Saltzmann Der vorliegende „Leitfaden für helfende Gespräche“ gibt Ihnen, lieber Leser, den bisher fehlenden roten Faden, den Weg durch das Labyrinth der Informationen bzgl. guter Te- lefonseelsorge an die Hand. Entstanden ist er aus der Praxis, geschrieben wurde er für die Praxis! Es freut mich als Dienststellenleiterin der Telefonseelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler e. V. ganz besonders, dass ein Mitglied unseres Vereins, Herr Ulrich Marx, mit jahr- zehntelanger Erfahrung in Aus- und Fortbildung, am Seelsorgetelefon und in der Vor- stands- und Vereinsarbeit, u. a. als stellvertretender Vorsitzender, in diesem Leitfaden die Früchte seiner ehrenamtlichen und beruflichen Tätigkeit zusammengetragen hat. Damit stellt Herr Ulrich Marx allen in der Telefonseelsorge Tätigen seinen reichen Fun- dus an Wissen und Erfahrungen hervorragend strukturiert, gespickt mit Beispielen und Übungen und mit den entsprechenden Quellen aus Wissenschaft und Forschung zur Verfügung. Der Sicherung der Qualität unserer Arbeit am Seelsorgetelefon kommt in allen Dienst- stellen der Telefonseelsorge eine zentrale Bedeutung zu. Daher bin ich überzeugt, dass dieser „Leitfaden für helfende Gespräche“ in seiner Dichte einen hervorragenden Beitrag zur Ausbildung und Weiterbildung der Seelsorgenden am Telefon leisten und seine Anerkennung in der Telefonseelsorgelandschaft finden wird. Lena Saltzmann Vorsitzende der Telefonseelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler e. V. Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx 3
Vorwort Vorwort des Landrates Dr. Jürgen Pföhler Als Landrat des Kreises Ahrweiler liegt mir besonders die ehrenamtliche Tätigkeit am Herzen. Dies gilt vor allen Dingen für den Verein der Telefonseelsorge in Bad Neuen- ahr-Ahrweiler. Dieser Verein mit ca. 70 ehrenamtlichen Mitarbeitern ist im Gefüge der Telefonseelsorgen in Deutschland einzigartig. Alles in diesem Verein, auch die Leitung, ist ehrenamtlich organisiert. Die besondere seelsorgerische Tätigkeit am Telefon ist zu- gleich Sozial- und Gesundheitsarbeit und aus dem Leben des Kreises nicht mehr weg- zudenken. Aus diesem Grunde unterstütze ich als Schirmherr die Anliegen dieser Tele- fonseelsorgestelle. Ich wünsche mir, dass dieses Buch eine große Verbreitung und Beachtung finden wird. Dr. Jürgen Pföhler, Landrat des Landkreises Ahrweiler 4 Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Vorwort Vorwort des Autors Der Gesprächsleitfaden gibt Mitarbeitern der Telefonseelsorge aber auch Fachleuten aus anderen helfenden, sozialen Berufen eine Hilfestellung und Orientierung in der Praxisarbeit. Meine Erfahrung aus der Telefonseelsorgearbeit ist, dass Auszubildende der Telefon- seelsorge einen Nutzen durch direkte praktische Beispiele in der sozialen Arbeit am Telefon haben. Langjährig Tätige in der Telefonseelsorge oder anderen beraterischen Berufen erhal- ten Anregungen, da neue wissenschaftliche Literatur in dem Leitfaden verarbeitet und nutzbar gemacht wurde. Hospitationsbegleiter, insbesondere Ausbilder in der Telefonseelsorge, finden ein Nach- schlagewerk, in dem die einschlägigen psychotherapeutischen und kommunikations- wissenschaftlichen Aspekte vorgestellt werden. Abgerundet wird der Nutzen dieses Leitfadens durch ein Literaturverzeichnis. Diese Aspekte des Nutzens für verschiedene Teilnehmer stehen und standen bei mir im Vordergrund als ich dieses Werk verfasst habe. Jedes Seelsorgegespräch stellt sich in der Praxis als einzigartig dar, so dass dieser Leit- faden keine verbindlichen Vorgaben, sondern Impulse und Anregungen für gelingende Gespräche geben kann. Im nachfolgenden Text wurde mit „A“ der / die Anrufer-in / Ratsuchende und mit „TS“ der oder die Seelsorger-in benannt. Um eine einheitliche Lesbarkeit zu gewährleisten wurde die männliche Form gewählt. Ich wünsche mir, dass dieses Buch als Anregung und Lehrmaterial über den Bereich der Telefonseelsorge hinaus nutzbar wird. Für Anregungen bin ich dankbar. Ulrich Marx Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx 5
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Nr. Kapitel Seite Einleitung: Konzeptioneller Ansatz 10 Einführung - Die U-Form des Gesprächs 12 1 „Andocken“ / Kontakt aufnehmen 14 1.1 Die Gesprächshaltung am Telefon 14 1.2 Der Gesprächsbeginn: Meldeformel 15 1.3 Warum Gefühle wichtig sind 16 1.3.1 Der Umgang mit Gefühlen im Gespräch 20 1.4 Die Beziehung zum Anrufer / Ratsuchenden gestalten 21 1.4.1 Aktives Zuhören 22 1.4.2 Einfühlendes Spiegeln der Gefühle 23 1.4.3 Das Vier-Seiten- und Vier-Ohren-Modell 25 1.4.3.1 Die vier Seiten einer Nachricht 25 1.4.3.2 Der Vierohrige Empfänger 26 1.4.4 Den Sprachstil angleichen (Pacing) 27 1.4.5 Mit Wertschätzung und Zuversicht im Gespräch begegnen 29 1.4.6 Mit „Ich-Botschaften“ im Gespräch arbeiten 30 1.4.7 Das Zuhörherz / Listening Skills 31 1.4.7.1 Innere Stimmen; Das innere Team 33 1.4.7.2 Warmes Zuhören 34 1.4.7.3 Kaltes Zuhören 35 2 Den Auftrag klären 38 2.1 Die Bedeutung der Auftragsklärung 38 2.2 Aufträge / Anliegen erfragen 39 2.3 Aufträge / Anliegen „Anderer“ 39 2.4 Aufträge / Anliegen bestätigen oder ablehnen 40 3 Der „Tanz“ um das Problem 41 3.1 Interesse und Wertschätzung signalisieren 41 3.2 Zum Wesen von Problemen 41 3.3 Unterschiedliche Sichtweisen herausarbeiten - zirkulär fragen 43 3.4 Fragen zur Problemstruktur: „Das Problem auspacken“ 43 6 Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Inhaltsverzeichnis Nr. Kapitel Seite 4 Der „Dreh“ des Gesprächs 45 4.1 Veränderungswunsch klären 46 4.2 „Ja-Aber“ – Kein Veränderungsinteresse! ? 46 4.3 Der Umgang mit „Jammer- und Beschwerdeanrufern“ 48 4.4 Lösungspriming 51 4.5 Änderungswünsche herbeiführen: Eine Frage der Perspektive 52 4.6 Gesprächsmethoden 53 4.6.1 Fragen nach Hoffnungen, Zuversicht und Sinnerleben 53 4.6.2 Bewältigungsfragen und Standardintervention 56 4.6.3 Fragen nach den Ausnahmen, Unterschieden und der Skalierung 56 4.6.4 Die systemische oder zirkuläre Frage 58 4.6.5 Splitting-Fragestellungen 59 4.6.5.1 Mit dem Herzen hören 59 4.6.5.2 Die Technik des Handabwägens 62 4.6.6 Die Worst-Case-Frage 63 4.6.7 Die hypothetische Frage 64 4.6.8 Imagination, Sprachbilder, Metapher, Geschichten und Erzählungen 65 4.6.8.1 Imagination - Phantasiereisen 65 4.6.8.2 Metapher, Sprachbilder 67 4.6.8.3 Geschichten und Erzählungen 68 4.6.9 Reframing - Positive Umdeutung 69 4.6.9.1 Umsetzung im Seelsorgegespräch 71 4.6.10 Umetikettierung von Eigenschaften einer Person 72 4.6.11 Die VW-Regel 74 4.6.12 Die Wunderfrage 75 4.6.13 Die ABC-Methode (negativen Selbstwert hinterfragen) 75 4.6.13.1 Anmerkungen zum Selbstwert 78 4.6.14 Weitere Fragetypen 78 4.7 Exkurs: Kommunikation mit Menschen mit herausfordernden 80 Verhaltensweisen 4.7.1 Die SET-Kommunikation 80 4.7.1.1 Support (Unterstützung) 81 4.7.1.2 Empathie (Mit-Gefühl) 81 Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx 7
Inhaltsverzeichnis Nr. Kapitel Seite 4.7.1.3 Truth (Wahrheit) 81 4.7.2 Kommunikation mit Menschen mit Borderline-Persönlichkeit 84 4.7.2.1 Die Begegnung im Gespräch 85 4.8 Weitere Gesprächsleitfäden 87 4.8.1 Lösungsmatrix in der Beratungsarbeit 88 4.8.2 Die Problem-Lösungstreppe 89 4.8.3 Das Futur-Perfekt 89 5 Ressourcen suchen und einsetzen, Ziele und Lösungen formen 90 5.1 Ziele 90 5.2 Der Begriff der Ressourcen 91 5.2.1 Einteilung von Ressourcen 91 5.2.2 Aufgaben und Zweck von Ressourcen 92 5.2.3 Ressourcing als Aufgabe des Beraters 93 5.3 Die Positive Psychologie - PP 95 5.3.1 Modell der Charakterstärken 96 5.3.2 Die Wirkung positiver Emotionen 98 5.3.3 Die Broaden-Build-Theorie und der Undoing-Effekt 100 5.3.4 Die Umsetzung im Gespräch 101 5.4 Salutogenese 105 5.5 Resilienz 105 5.5.1 Durch Achtsamkeits- Entspannungsübungen 106 5.5.2 Durch ein gutes Arbeitsumfeld 110 5.5.3 Durch ausreichend gesunde Ernährung und Schlaf 113 5.5.4 Durch den Blick und ausreichende Bewegung in der Natur 113 5.5.5 Durch Emotionsregulation 114 5.5.6 Durch Glaube und Sinnhaftigkeit im eigenen Tun 115 5.5.7 Durch Optimismus, Hoffnung, Offenheit, Mut und Zuversicht 118 5.5.8 Durch soziale Beziehungen, Bindung, Erfahrung von Unterstützung 120 und Nähe 5.5.8.1 Exkurs: Einsamkeit 122 5.5.8.2 Die Umsetzung im Gespräch 124 5.5.9 Durch einen positiven Bewertungsstil - Selbstwirksamkeit 125 5.6 Exkurs: Menschen mit psychosomatischen Leiden 126 8 Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Inhaltsverzeichnis Nr. Kapitel Seite 5.7 Thematische Fragen nach Ressourcen und Zielen 127 6 Realität und Machbarkeit-SMART 130 7 Das Gesprächsende gestalten 131 7.1 Am Gesprächsanfang orientieren 131 7.2 Beim Gefühl des A bleiben 131 7.3 Durch Strukturieren und Zusammenfassen 131 7.4 Die Methode des „lauten Denkens“ 132 7.5 Zeitbegrenzung 132 7.6 Das Gesprächsende „beiläufig“ einleiten 133 7.7 Das Gesprächsende handlungsorientiert beschließen 133 7.8 Das Gesprächsende in besonderen Fällen 133 7.8.1 Bei Gesprächen, „die nicht enden wollen“ 133 7.8.2 Bei „Viel-Rednern“ 134 8 Auch das darf sein: Nicht alle Gespräche gelingen 135 9 Literaturliste 136 Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx 9
Einleitung: Konzeptioneller Ansatz Einleitung - Konzeptioneller Ansatz Die Methoden der systemisch-lösungsorientierte Beratung 1, der Positiven Psychologie 2 und der Klientenzentrierten Beratung nach Carl Rogers 3 sind Grundlage dieses Leitfa- dens. Sie habe gemein, dass sie dem Anrufer wertvolle Hilfestellungen geben, sich selbst zu erkunden und seine Ressourcen zu berücksichtigen. Der systemische Ansatz sieht den Menschen als beziehungsorientiertes Lebewesen in ei- nem lebenden Netzwerk (= System). Dies kann zum Beispiel die Familie, der Freundes- kreis, der Kollegenkreis, die TS-Gruppe usw. sein. Systeme wirken selbststeuernd und selbsterhaltend. Systemisch bedeutet, den Einzelnen, z. B. den Anrufer, nicht isoliert, sondern in Bezie- hung stehend zu seiner Umwelt zu betrachten. Ein „System“ funktioniert ähnlich wie ein Mobile. Bewegt man ein Element, erfahren dadurch die anderen Elemente „Impulse“, was rückbezüglich wirkt. Verhalten entsteht durch einen Wechselwirkungsprozess. Jedes Verhalten kann man sowohl unter dem Aspekt seiner Ursachen als auch unter dem seiner Auswirkungen analysieren, wobei diese Auswirkungen wiederum zu Ursachen für neues Verhalten werden (siehe Grafik unten 4 5) Ursachen Verhalten von Person A Auswirkungen Auswirkungen Verhalten von Person B Ursachen 1 Vertreter sind u. a Gregory Bateson, John Weakland, Jay Haly, Salvador Minuchin, Virginia Satir, Paul Watzlawick, Fritz B. Simon, Helm Stierlin. 2 Martin Seligmann: (*12. August 1942, New York) ist ein US-amerikanischer Psychologe. Seligman ist bekannt für seine Arbeit an der Idee der „erlernten Hilflosigkeit“ (Erklärungsansatz für Depressionen) und für seine Beiträge auf dem Gebiet der Positiven Psychologie (siehe Kapitel 5.3), wo ihm eine Pionierfunktion zukommt (Abfrage Wikipedia Juli 2020) 3 Carl Rogers (* 8. Januar 1902 † 4. Februar 1987), US-amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut, entwickelte die klientenzentrierten Gesprächstherapie. Der von Rogers entwickelte Ansatz ist heute fester Bestandteil der Gesprächsführung im Rahmen von Therapiegesprächen, als auch in der gene- rellen Gesprächsführung der alltäglichen pädagogischen Arbeit. (Abfrage Wikipedia, Juli 2020) und in der Telefonberatung (= Anmerkung des Autors) 4 Arist v. Schlippe / J. Schweitzer, Lehrbuch der systemischen Therapie & Beratung I, Basiswissen, S. 21 ff 5 Bamberger, Lösungsorientierte Beratung, Praxishandbuch, S. 35 10 Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx
Kapitel 1: Andocken / Kontakt aufnehmen 1.4.7.1 Innere Stimmen; Das innere Team Die inneren Stimmen / Teilpersönlichkeiten gehen auf das Persönlichkeitsmodell des Psychologen Friedmann Schulz von Thun zurück. Er beschreibt das menschliche seeli- sche Innenleben mit der Metapher des „Inneren Teams“, mit Teilpersönlichkeiten oder inneren Stimmen, die gegeneinander oder miteinander agieren können 42: Nein, Ja klar bloß nicht! doch! Pessimis- Optimis- tisch tisch Ängstlich Mutig Widerstrebende Anteile im Selbst Innere Stimmen mit inneren Aussagen können sein 43: • „Der innere Schweinehund“ (Sehe ich nicht ein!) mit der Äußerung: „Muss ich mir das wie- der anhören“ (z. B. bei Daueranrufern); Eigentlich habe ich keine Lust, dem A zuzuhören, aber nun bin ich mal hier. • „Das trotzige Kind“ (widerspenstig, trotzig) mit der Äußerung: „Das sehe ich nicht ein“; ich teile und unterstütze die Auffassung des A nicht. • „Die innere Kämpfernatur“ (beharrend, kraftvoll) für eigene Bedürfnisse oder die der an- deren eintretend. • „Der innere Richter“ (verurteilend) mit der Äußerung: „Das ist verboten, nicht erlaubt“. Das darf der A nicht tun, usw. • „Der Bremser“ (zögerlich, ängstlich): „Nicht so schnell“. Der A. soll es langsamer angehen lassen. • „Der Pessimist“ (hoffnungslos, resignierend): „Das wird ganz sicher schiefgehen. Der A wird damit scheitern.“ • … 42 Friedemann Schulz von Thun: Die Pluralität des menschlichen Innenlebens wird darin mit der Metapher eines Teams und seines Leiters dargestellt. Das soll die Selbstklärung in zwiespältigen Situationen unter stützen und damit die Voraussetzung für eine klare Kommunikation nach außen bieten, vgl. Wikipedia, Abfrage im Mai 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Inneres_Team 43 vgl. Schulz von Thun, Miteinander Reden von A – Z, S. 94 ff Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx 33
Kapitel 4: Der Dreh des Gesprächs 4 „Der Dreh des Gesprächs“ Man hat Sterbende danach gefragt, was sie in ihrem Leben bedauern und gerne ändern würden, hätten sie dazu noch die Zeit und die Kraft. Die fünf Dinge oder Versäumnisse, die diese benannten und am meisten bedauerten, waren 57: 1. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarten. 2. Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet. 3. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. 4. Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten. 5. Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude in meinem Leben gegönnt. Auch viele der Anrufer haben das Gefühl, dass das jetzige Leben nicht das ist, was sie möchten, sich vorgestellt oder erwartet haben. Sie sind in ihrem Leben in einer Art „Sackgasse“ angekommen und haben oftmals auch kein klares Bild davon, wie ihr Weg künftig - raus aus den Problemen - aussehen könnte. Den „Dreh“ im Gespräch herbeizuführen bedeutet, dem Gespräch eine „Wendung“ zu ge- ben. Damit ist gemeint, die Aufmerksamkeit des A von dem Problem weg auf Lösungs- möglichkeiten zu lenken. Hierbei geht es um einen Perspektivenwechsel, d. h. weg von der problemorientierten Sichtweise (Vergangenheit) hin zu einer besseren, hoffungs- volleren Zukunft. Die Kraft zur Veränderung der Sichtweise ergibt sich aus dem Ziel- bezug in Form einer „zukunftsbezogenen Vorwärtskopplung“, nicht aus dem Rückblick in das, was bisher nicht funktionierte. Steve de Shazer, einer der Gründungsväter der „Lösungsorientierten Beratung“, sagte, dass Ausnahmen und Unterschiede wie „unbewusste Lösungen oder Dietriche“ funktionieren würden. Lohnend sei es daher zu fragen nach 58: • Ausnahmen und Unterschieden (siehe Kap. 4.5) • Wünschen • Hoffnungen • Zielen Gesprächstipp: In Gesprächen sollten Sie danach fragen • Was in der Vergangenheit unternommen wurde und was schon ansatzweise funktioniert hat oder zu Erleichterungen geführt hat. • Welche Wünsche, Hoffnungen an das eigene Leben bzw. die konkrete Situation für die Zu- kunft bestehen (siehe Kapitel 4.1 - 4.6). 57 N. Henning, Glücksprinzipien, S. 85 und 140 (Untersuchung von Bronnie Ware 2015: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen, Einsichten, die ihr Leben verändern werden, Goldmann 58 Steve de Shazer: Der Dreh, S. 25 ff Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx 45
Kapitel 4: Der Dreh des Gesprächs 4.6.6 Die Worst-Case-Frage Bedeutung: Sie nimmt den schlimmsten anzunehmenden Fall an und ermöglicht die gedankliche Vorwegnahme mit dem nötigen Abstand zur Situation. Die Konsequenzen des Han- delns bzw. der Verhaltensweisen können im Ergebnis besser abgeschätzt werden und verlieren so ihre abschreckende, blockierende Wirkung. Zudem besteht die Möglichkeit, Haltungen zu mobilisieren, den „Worst-Case“ gelassener zu akzeptieren: Zum Beispiel etwas loszulassen, da die Sache nicht veränderbar ist oder erscheint. „Wer weiß, für was es gut sein wird, und, wenn es schiefgeht, geht es eben schief, ich kann es leider nicht verhin- dern“. Wer eine Sache verschlechtern kann, hat auch Einfluss auf Verbesserungen 95. • Was müssten Sie tun, um das Problem zu behalten? - Diese Fragestellung kann sich auch für Menschen, die unter Angstsituationen leiden, eignen. Beispiel: Gefangen-Sein in der Angst A berichtet über die Angst vor einer möglichen Begegnung mit dem „Ex“. Sie wohnt in derselben Stadt und hat Angst, er könne ihr auf der Straße begegnen. Die Angst hat dazu geführt, dass sie mehr und mehr Straßenzüge meidet, neuerdings auch Menschenan- sammlungen. Sie reagiert dann gegenüber ihrer Umwelt (Freunde, Familie) zunehmend barsch, unwirsch und wütend. Auf die Frage, wann die Angst häufiger auftritt, entgeg- net sie: „Wenn ich mich hilflos Situationen, wie der Begegnung mit meinem „Ex“ ausgeliefert fühle, dann fühle ich mich wie gedemütigt, verletzt.“ Weiterführende Fragen der TS könnten hier sein: • In welchen Situationen in der Vergangenheit (Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter) haben Sie sich auch schon so hilflos, ausgeliefert und gedemütigt gefühlt? Gibt es Parallelen? • Leitet Ihre Angst, d. h. die Furcht vor Demütigungen, Ihr Verhalten bzw. Ihre Entscheidungen dabei? (Die Angst als „Verhinderer“, vor welcher Entscheidung, Herausforderung?) • Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass Sie ihrem Ex begegnen? • Was könnte schiefgehen und was könnte schlimmstenfalls dann passieren? • Wie schlimm wäre das denn wirklich? • Könnten Sie damit leben? • Bräuchten Sie Hilfe, Unterstützung, z. B. Begleitung? Wenn ja, wer oder was würde Ihnen in der Begegnung mit dem Ex helfen? 95 D. Hansch, Angst selbst bewältigen, S. 77 ff Leitfaden für helfende Gespräche in der Seelsorgearbeit © Ulrich Marx 63
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