Welche Rolle spielt der Glaube? - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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5–2019 FÜR MITARBEITENDE Welche Rolle spielt der Glaube? Foto: Adobe Stock ARBEITGEBER KIRCHE Wer darf bei Kirche oder Diakonie arbeiten? MEHR ALS EIN JOB Einen sinnvollen Beruf wünschen sich viele
INHALT | EDITORIAL Inhalt Liebe Leserinnen, THEMA liebe Leser, f ür mich persönlich ist es schwer vor- Foto: medio.tv/Schauderna 4 Interview mit Anne-Ruth Wellert: Darf der Glaube keine Rolle mehr spielen? stellbar, für die Kirche zu arbeiten, aber nicht Mitglied zu sein. Schon 6 Interview mit Martin Müller: aus ganz handfesten Gründen fände Das diakonische Selbstverständnis ich das seltsam: Ich würde dann mei- nen Lebensunterhalt aus einem System 7 Was glauben Diakonie-Mitarbeiterinnen? bestreiten, das ich selbst nicht finanziell 8 Kirche wirbt um Mitarbeitende: unterstützen will. Aber natürlich geht Mehr als ein Job das Dazugehören weit über das Finan- zielle hinaus, es ist auch das klare Be- 10 Pfarrerin Kathrin Jahns: kenntnis für die Werte und das Wirken dieser Kirche. Und wer Es muss nicht immer noch besser sein würde bestreiten, dass ein Wert wie die Nächstenliebe in diesen Zeiten unschätzbar wertvoll ist. 11 Diakonissen: Dennoch, und das wird in diesem Heft deutlich, ist in Kirche Ein Leben für den Dienst am Nächsten und Diakonie viel in Bewegung geraten. In manchen Bereichen, 12 Altenhilfe-Vorstand Jochen Gerlach: etwa in der Pflege, ist es schlicht nicht mehr möglich, genügend Warum der Glauben einladend sein muss Mitarbeitende zu finden, die Mitglied der Kirche sind. Es wäre niemandem geholfen, die Augen zu verschließen und so zu tun, 13 Der Glaube lässt die Sänger anders strahlen als gäbe es diese Entwicklung nicht. Es gibt zweifellos Berufe, bei denen die Mitgliedschaft nicht unabdingbar für die Arbeitsstelle 13 Ein Ausbildungsplatz mit Werten ist. Das haben Gerichte festgestellt, dieser Realität dürfen sich 24 Ausblick auf den Ökumenischen Kirchentag Kirche und Diakonie nicht verschließen. 2021 Die Entwicklung sorgt, das haben unsere Recherchen ergeben, keinesfalls für Verzweiflung. Vielmehr sehen viele die Chance, das eigene Profil zu schärfen und sich dessen zu vergewissern, was für LANDESKIRCHE einen selbst und die Institution bedeutsam ist. Und wenn man sich einig ist über diese prägenden Werte, dann kann und darf 14 Das Frühstück kommt mitten in der Nacht man erwarten, dass jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin dazu steht – ob als Kirchenmitglied oder nicht. 15 Bischofswechsel am 29. September Olaf Dellit 15 „O! Orgel” – Ein Tag für die Königin Redakteur blick in die kirche 16 Mehr Geld für Diakonie-Mitarbeitende 17 Großer Andrang bei Kirche auf dem Hessentag www.gerade-jetzt.de 18 Hilfe bei sexualisierter Gewalt 18 Ermordung Walter Lübckes bewegt die Region 19 Von Personen SERVICE 20 Termine / Kirchenmusik 22 Kirche im Radio 23 Neue Bücher Infos zur Kirchenvorstandswahl 2019 mit Tipps, Materia- lien und Hintergründen finden Sie unter: www.gerade-jetzt.de 2 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019
UMFRAGE | IMPRESSUM Bei der Kirche arbeiten? Foto: privat Foto: privat ZUM BEILIEGENDEN FALTBLATT Verbindungen knüpfen, Bindungen stärken Die Konfessionslosigkeit nimmt zu, die Kir- chenaustrittszahlen steigen: „Warum soll ich denn Mitglied sein/bleiben/werden?“, fragen sich besonders junge Erwachsene und Menschen Meine Arbeit in Hephata un- Ich freue mich, Teil des Teams in den 40ern. Haben Sie schon einmal eine Ant- terscheidet sich in zwei Punk- zu sein. Die Kirche habe ich wort versucht? ten nicht von meinen vorheri- als ein großes weltoffenes gen Jobs bei Tageszeitungen. Unternehmen kennengelernt Die Bildungskammer der EKKW hat sich Menschlich: Die Freude an der mit vielfältigen Aufgaben intensiv mit diesen Fragen beschäftigt, mit Arbeit steht und fällt mit dem und Herausforderungen. Hier Fachleuten diskutiert, Bücher gelesen, Recher- Teamspirit. Fachlich: Man muss immer wieder aufs Neue chen angestellt. Das Ergebnis: Unser kirchliches muss Themen erkennen, sie nach Lösungen und Chancen Handeln sollte stärker die Menschen am Rand gut und schnell recherchieren gesucht werden, um Hemm- in den Blick nehmen. Kirchliche Bildungsarbeit und aufarbeiten. Der eigent- nisse abzubauen und neue muss sich deutlich verändern. liche Unterschied: Ich arbeite Wege zu gehen. Ich sehe die nicht als unabhängige Journa- Kirche in einem spannenden Unsere Bitte: Lesen Sie die Thesen, geben Sie listin, sondern ich vertrete die Umstrukturierungsprozess als Rückmeldung. Denn damit nehmen Sie teil an Hephata Diakonie schreibend großen Tanker, der auf neuen einem wichtigen Prozess, den unsere Kirche drin- und damit auch deren Leitli- Kurs gebracht wird – im wirt- gend braucht. nien. Dafür braucht es keine schaftlichen Kontext und im blinde Begeisterung, manch- Spannungsfeld bestehender Bitte beachten Sie auch die Tagung zum mal eher kritische Distanz, vor Strukturen. Die Kirche bietet Thema Konfessionslosigkeit am 1./2. allem aber eine grundlegende mir die Möglichkeit, Eigenver- November in Hofgeismar (s. Seite 20). Übereinstimmung in Werten antwortung zu übernehmen, und Zielen. Dafür ist auch der Prozesse zu gestalten – in Gern können Sie weitere Flyer bestellen oder evangelische Glaube eine gu- einem ausgewogenen „Work- auch ein ausführlicheres Arbeitspapier. te Voraussetzung. Life-Balance"-Verhältnis. Melanie Schmitt (45), früher Rüdiger Hungerland (55), OLKR Prof. Dr. Gudrun Neebe HNA-Redakteurin, heute stv. früher Leiter eines Verkehrsun- bildungsdezernat@ekkw.de Leiterin der Öffentlichkeitsar- ternehmens, heute Geschäfts- beit der Hephata Diakonie führer für die Freizeitheime der EKKW IMPRESSUM blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und Redaktion: Anschrift: wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen Lothar Simmank (Leitung) Ev. Medienhaus, Heinrich-Wimmer-Straße 4 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt. Telefon 0561 9307-127 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe Olaf Dellit redaktion@blickindiekirche.de Direkt-Abonnement: Telefon 0561 9307-132 www.blickindiekirche.de 12,50 Euro pro Jahr inklusive Zustellkosten Redaktionsbüro / Anzeigen: Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit Herausgeber: Andrea Langensiepen Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main Landeskirchenamt der Evangelischen Telefon 0561 9307-152 Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück Kirche von Kurhessen-Waldeck Daniela Denzin Auflage: 17.700 Exemplare Pfarrerin Petra Schwermann Telefon 0561 9307-128 Wilhelmshöher Allee 330 Fax 0561 9307-155 Mehr Informationen über die Evangelische Kirche 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019 3
THEMA Darf der Glaube keine Rolle mehr spielen? Interview mit Dr. Anne-Ruth Wellert über die Einstellungskriterien des Arbeitgebers Kirche ? Bisher war klar: Wenn ich bei der Kirche oder der Diakonie arbeite, muss ich auch Mitglied sein. Nun hat eine solche Anforderung für berechtigt? Wellert: Das Gericht hat auch gesagt, das müsse nach dem Selbstverständnis der Wir möchten das so definieren, dass klar ist, wer gemeint ist. Noch mal: es ge- nügt nicht, dass wir das schlicht entschei- der Europäische Gerichtshof (EuGH) Kirche bestimmt werden. Also ist die Frage den, sondern wir müssen es begründen. entschieden, dass das nicht Vorausset- der Berechtigung der Anforderung grund- zung sein muss. Ärgert Sie das Urteil? Dr. Anne-Ruth Wellert: Nein, es hat mich nicht geärgert, weil es im Grundsatz sätzlich keine Frage, die ein staatlicher Richter definiert, sondern dies muss die Kirche definieren. Aber der staatliche Rich- ? Das heißt, ein Gericht könnte das dann hinterfragen? Wellert: Ja. Wir können nicht nur ins zu erwarten war. Im Ergebnis halte ich das, ter muss diese Definition nachvollziehen Gesetz schreiben, die erste Leitungsebene was das Urteil nun den Kirchen aufträgt, können und sich darüber selber ein Urteil muss evangelisch sein, die zweite jeden- auch nicht für grundsätzlich falsch. Im bilden können, ob diese angemessen ist. falls christlich. Dann fragen potenziel- Detail ärgern mich einige Ausführungen Insofern sind wir als Kirchen nun auf- le Stellenbewerber und im Streitfall die des Gerichts und insbesondere das, was gerufen, genau zu prüfen, für welche Tä- Gerichte: Ja, und warum? Anknüpfungs- das BAG (Bundesarbeitsgericht) daraus tigkeiten unseres Erachtens die Anforde- merkmal sind für mich neben den verkün- gemacht hat mit seiner Begründung, die rung „Kirchenmitgliedschaft“ berechtigt digungsgeprägten Tätigkeiten die „Um- sehr weitreichend in die Rechte der Kir- ist. Nach unserem Ethos, nach unserem stände der Ausübung der Tätigkeit“. Das chen eingreift. Selbstverständnis muss aus theologischen ist ein Begriff der EU-Richtlinie, auf den Gründen für diese Tätigkeit eine Mitglied- sich auch EuGH und BAG bezogen haben. ? In einem anderen Fall wurde einem Arzt von einer katholischen Klinik gekündigt, weil er sich scheiden ließ. schaft in einer christlichen Kirche oder der evangelischen Kirche erforderlich sein. Man muss zum Beispiel erkennen kön- nen, dass es eine evangelische Familien- bildungsstätte ist und keine der AWO. Da Wellert: Das waren zwei komplett unterschiedliche Fälle, die parallel beim EuGH anhängig waren. Aber der EuGH ? Das muss alles festgelegt werden? Wellert: Das ist die Definitions- aufgabe, die jetzt auf uns zukommt. Es ist ganz entscheidend die jeweilige Einstel- lung der Leitung und vielleicht auch noch die der Bereichsleitung erforderlich. Die hat zuerst unseren evangelischen Fall, ist derzeit noch nichts festgelegt und ent- müssen die Arbeit so prägen, dass auch den Egenberger-Fall, entschieden, in dem schieden. Entscheidend wird sein, welche die Mitarbeiterin, die vorher bei der AWO es darum geht, wie der Zugang zu einem Tätigkeit und auch welche Rolle im Gefüge war, verstehen kann, warum sie jetzt bei Beruf geregelt ist. Beim Chefarzt-Fall geht einer Einrichtung eine Person hat. Was er- der Kirche vielleicht etwas anders arbei- es um Loyalität während des Dienstver- wartet der Träger von dieser Person in der ten muss. Und das muss maßgeblich von hältnisses. Der EuGH hat aber in der Be- konkreten Tätigkeit? Wie soll er oder sie der Leitung ausgehen, sozusagen prägend gründung zum Chefarzt-Fall weitgehend das Christliche in diesem Arbeitsbereich sein. In der Verwaltung wird die Begrün- die Begründung aus dem Egenberger-Fall profilieren? Und bis zu welcher Hierarchie- dung schwieriger. übernommen. ebene brauchen wir das? In den Diskussio- ? Wobei doch in der evangelischen Kirche die Lebensgestaltung der nen, die ich dazu bislang erlebt habe, gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Das ist wie immer evangelisch bunt, aber ? In der Konsequenz könnte es dann heißen, dass wenn jemand bei der Kirche anfängt und in der Hierarchie Mitarbeiter keine Rolle spielt, oder? entscheidend wird sein, dass wir unsere aufsteigen will, irgendwo Schluss ist? Wellert: Nein, das ist bei uns kein gro- Entscheidung gut begründen. Wellert: Ja. Das ist eine Folge der An- ßes Thema. forderungen, aber es ist auch von vornhe- ? Da würden Ihnen auch keine paral- lelen Fälle einfallen? ? Das ist ja eine Mordsarbeit, das für alle Bereiche durchzudeklinieren? Wellert: Genau. Da muss natürlich rein klar. Die Kirchenmitgliedschaft ist kein Formalismus, das muss man sich klarma- chen. Für mein Verständnis ist die Kirchen- Wellert: Nein. Das ist ein eher katho- ein handhabbarer Weg gefunden werden. mitgliedschaft Ausdruck des Bekenntnisses lisches Problem. Meine Vorstellung ist, dass der gesetzliche zu diesem Glauben und zu dieser Kirche. Rahmen für die Landeskirche bestimm- Wenn jemand, vielleicht auch als Nicht- ? Das Gericht hat gesagt, Bewerber könnten wegen ihrer Nicht-Mitglied- schaft nur dann abgelehnt werden, te Pflöcke einschlägt und eine gewisse Gleichförmigkeit in Stellenausschreibun- gen garantiert. Ich kann mir z.B. nicht Mitglied, hier anfängt, weiß er oder sie: Wenn ich da auch Leitungsverantwortung übernehmen will, muss ich auch Mitglied wenn die Mitgliedschaft „eine berech- vorstellen, dass in Kassel die Kita-Leitung sein. Dann ist es unsere Aufgabe, diesen tigte Anforderung“ sei. Wo halten Sie evangelisch sein muss und in Fulda nicht. Menschen da hinzuführen, und zwar nicht 4 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019
THEMA DIE GESETZESLAGE In der Evangelischen Kirche von Kurhessen- Waldeck gilt derzeit die EKD-Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen fordert wird. Aber niemand muss sich dazu Mitarbeit aus dem Jahr 2005. Danach setzt die äußern oder gar Einblick in seinen persön- berufliche Mitarbeit in der Kirche grundsätzlich Foto: medio.tv/Schauderna lichen Glauben geben. voraus, dass Mitarbeitende evangelisch sind. Nur dann, wenn geeignete evangelische Bewerber/ ? Es darf dann auch kein Kriterium innen nicht zu gewinnen sind, kann hiervon abgewi- sein, ihn abzulehnen? chen werden. Dieses Regel-Ausnahme-Prinzip ist mit Wellert: Nein, wenn es in der Aus- der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeits- gerichts nicht vereinbar. Das Dezernat für Arbeits- schreibung nicht als entscheidendes Krite- recht hat bereits im vergangenen Jahr vorläufige Landeskirchenrätin Dr. Anne-Ruth rium genannt ist, kann es nicht das Krite- Handlungsempfehlungen für rechtskonforme Wellert (43) ist seit 2017 Dezernentin rium sein, ihn abzulehnen. Aber wenn ein Ausschreibungen herausgegeben. Die beschriebene für Arbeits- und Schulrecht der Evangeli- Bewerber sagt: Kirche ist für mich ein inte- Regelung soll bis auf Weiteres durch eine tätigkeits- schen Kirche von Kurhessen-Waldeck ressanter Arbeitgeber, weil ich hier selbst bezogene Bewertung der konfessionellen Anforde- engagiert bin und ihren Auftrag fördern rung ersetzt werden. Zurzeit wird die Anpassung der möchte, kann so eine positive Einstellung gesetzlichen Vorschrift für die Landeskirche vorbe- nur zur formalen Kirchenmitgliedschaft, – unabhängig von der Mitgliedschaft – in reitet. Hierfür muss begründet definiert werden, für sondern im besten Fall zu einem beken- der Gesamtbewertung der Bewerber den welche Tätigkeiten und Berufsfelder künftig eine nenden Christen. Aus meiner Sicht liegt Ausschlag geben für eine Einstellung. bestimmte konfessionelle Bindung der Bewerberin- auch hierin eine Chance, noch mal mehr nen und Bewerber vorausgesetzt werden soll. Dabei ? wird mit maßgeblicher Hilfe der Theologinnen zu verdeutlichen, was eigentlich der Wert Wie bei anderen Arbeitgebern ... und Theologen das „Selbstverständnis der Kirche“ einer Kirchenmitgliedschaft ist. Wellert: Genau! Wenn sich eine bezüglich dieser Anforderungen zu formulieren sein. Ingenieurin bei VW bewirbt und sagt, ich Auch die aktuell gültige Richtlinie der EKD aus ? Im Pflegebereich ringt man um jede Kraft, die dann vielleicht auch nicht in der Kirche ist oder einer anderen Re- fahre schon mein Lebtag lang Mercedes, und einen VW zu fahren, käme für mich nicht infrage, dann wird sich VW eventuell dem Jahr 2016 muss überarbeitet werden. Beide Prozesse verlaufen in enger Abstimmung. Dr. Anne-Ruth Wellert ligion angehört. Man behilft sich mit auch überlegen, ob sie diese Bewerberin einer Zusatzvereinbarung zum Arbeits- einstellen. vertrag, der den diakonischen Auftrag Die konfessionellen Anforderungen an die dieser Pflegeeinrichtung beschreibt. Wird es das weiter geben können? Wellert: Das wird sicher ein Weg einer ? Noch eine persönliche Frage. Ihren Beruf als Juristin kann man sich auch ohne Kirchenmitgliedschaft vor- Mitarbeitenden der „Diakonie Hessen – Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e. V.“ und ihrer Mitgliedseinrich- arbeitsrechtlichen Loyaltiätsverpflichtung stellen. Warum ist es Ihnen wichtig, Teil tungen sind in der Verbandssatzung festgelegt. In sein. Nach meiner Vorstellung sollte so ei- der Kirche zu sein? der Regel wird die Mitgliedschaft in einer evangeli- ne Erklärung nicht nur bei denjenigen Teil Wellert: Meines Erachtens könnte ich schen Kirche oder in einer Kirche, die der „Arbeits- des Arbeitsvertrages werden, die nicht Mit- nicht als Juristin in der Kirche arbeiten, oh- gemeinschaft Christlicher Kirchen e.V.“ (ACK) ange- glied sind, sondern bei allen. Jeder Christ ne Kirchenmitglied zu sein. Das halte ich schlossen ist, vorausgesetzt. Ausnahmen sind unter und jede Christin müsste das ja ohne Wei- bei den Aufgaben und den Kontexten, in klar definierten Voraussetzungen zugelassen. Vor teres unterschreiben können. denen ich arbeite, für undenkbar. Für mich dem Hintergrund der Egenberger-Entscheidung des Aber klar ist, dass es einen großen Be- ist die Kirchenmitgliedschaft Ausweis da- Bundesarbeitsgerichts und der noch ausstehenden reich geben wird, neben der Pflege auch für, dass ich Teil der christlichen Gemein- Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht in der Verwaltung und in technischen und schaft bin. Mit diesem rechtlichen Kon- hat die Diakonie Hessen ihren Mitgliedern eine unterstützenden Bereichen, in denen wir strukt habe ich einen verbindlichen Rah- Handlungsempfehlung gegeben. Konfessionelle An- künftig Mitglieder und Nicht-Mitglieder men, der dies bestätigt, auch nach außen. forderungen sollen nur dann in Stellenausschreibun- einstellen werden. Wir werden da unab- Und ganz nebenbei hängt an der Mit- gen aufgenommen werden, wenn die Kirchenzuge- hängig von Loyalitätspflichten eine neue gliedschaft die Kirchensteuer. Auch das hörigkeit für die konkrete Tätigkeit nach sorgfältiger Diversität haben. finde ich weiterhin ein sinnvolles System: Prüfung erforderlich ist. Dies betrifft wegen ihrer Natürlich ist es jedem Anstellungsträ- einen Mitgliedschaftsbeitrag zu leisten, für die konfessionelle Ausrichtung der Einrichtung ger unbenommen, in einem Einstellungs- den man sich leisten kann, weil man Geld prägenden Tätigkeit insbesondere Leitungskräfte. gespräch zu fragen: Wie sehen Sie die verdient und dieses Einkommen versteuert. Diese Empfehlung soll die kirchen- und diakonie- Kirche? Warum haben Sie sich gerade bei Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, internen Beratungen zur Vorbereitung neuer Rege- einem kirchlichen Arbeitgeber beworben? auch Teil dieses Solidarsystems der Kir- lungen und eine eventuelle Entscheidung durch das Das kann man natürlich weiterhin fragen, chensteuer zu sein. l Bundesverfassungsgericht nicht vorwegnehmen. Sie auch wenn eine Mitgliedschaft nicht ge- Fragen: Lothar Simmank, Olaf Dellit hat daher vorläufigen Charakter. Dr. Stefanie Jatho blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019 5
THEMA Martin Müller, Geschäftsführer der Diakoniestationen Kassel, im blick-Interview »Mitarbeitende müssen erklären, dass sie unsere christliche Werthaltung mittragen.« Foto: medio.tv/Dellit „Für uns bleibt das diakonische Selbst- verständnis Voraussetzung für Mitarbeit” ? Die Diakoniestationen Kassel muss- ten kürzlich den Bereich Häusliche Kinderkrankenpflege schließen, weil auf andere ohne Kirchenmitgliedschaft oder mit anderer Religionszugehörigkeit zugreifen. Angesichts der zunehmenden haltensrichtlinien, die sehr praktisch aus- führen, wo die christliche Werthaltung ih- ren Niederschlag findet: Wie gehe ich mit kein qualifiziertes Personal mehr auf Säkularisierung ist absehbar, dass es in meinen Kollegen um, wie mit den Kunden? dem Markt verfügbar ist. Wie sieht es Zukunft umgekehrt sein könnte: Die ACK- Wie verhalte ich mich in der Öffentlichkeit, in den anderen Bereichen aus? Mitgliedschaft wird die Ausnahme. wie in Konfliktsituationen? Und dann na- Martin Müller: Im Pflegebereich ist der türlich allgemeine Regeln, dass bei uns Personalmangel dramatisch. Noch gelingt es uns, das Angebot aufrechtzuerhalten. Aber manchmal können wir keine neuen ? Wie gehen Sie konkret damit um? Müller: Für uns bleibt das diakoni- sche Selbstverständnis Voraussetzung für rassistische oder ausgrenzende verbale Entgleisungen keinen Platz haben. Neue Führungsgrundsätze wurden entwickelt. Kunden aufnehmen, wobei die Nachfrage eine Mitarbeit. Das erfordert eine komplett Diese Richtlinien haben nichts spezifisch steigt, weil die Leistungsansprüche verbes- neue Herangehensweise bei der Einstel- Christliches – das ist zu 90 Prozent etwas, sert wurden durch die Pflegegesetzgebung lung: Das Gespräch über Werthaltungen das jemand, der ein humanistisches Men- der letzten Jahre. Also: Steigende Nachfra- und Glaubensfragen gewinnt an Bedeu- schenbild hat, sofort unterschreiben kann. ge trifft auf ein verknapptes Angebot. tung. Das hat dazu geführt, dass wir uns ? Kann das Kriterium „Kirchenmit- gliedschaft“ in dieser Situation im Leitungsteam zunächst mal selbst ver- gewissern mussten: Was verstehen wir un- ter Diakonie? Was unter einem christlichen ? Wie vermitteln die Diakoniestatio- nen dies den Neuanfängern? Müller: Neue Mitarbeitende durchlau- überhaupt noch eine Rolle spielen? Menschenbild? Denn dazu gibt es ja auch fen bei uns zwei Orientierungstage, an de- Müsste man nicht jede geeignete Fach- unter Kirchenmitgliedern unterschiedliche nen die Einrichtung vorgestellt wird und kraft nehmen, die man kriegt? Einstellungen. Wir haben das auf Klausur- auch intensiv über das Thema „Diakonie“ Müller: Ja, in der Tat: Wir sind froh tagungen kommuniziert – aber auch mit gesprochen wird. Hier nehmen wir auf die über jeden, der kommt. Wenn wir bei der den Mitarbeitenden. biblischen Grundlagen unserer Arbeit Be- Krankenschwester oder Altenpflegerin auf zug. Außerdem achten wir darauf, dass in Kirchenmitgliedschaft bestehen würden, fiele etwa 50 Prozent des Bewerberpoten- zials weg. Ganz viele erfüllen die formalen ? Was hat sich geändert? Müller: Neue Mitarbeitende müs- sen eine Loyalitätserklärung unterschrei- unserer Einrichtung Rituale gepflegt wer- den: Ereignisse im Kirchenjahr finden ihren Niederschlag. Zu bestimmten Gelegenhei- ACK-Voraussetzungen nicht. Aber wir kön- ben. Das ist kein Glaubensbekenntnis, ten gibt es einen geistlichen Impuls. Oder nen auf diese Mitarbeiter nicht verzichten. sondern beinhaltet nur, dass sie sich loyal in den Tagespflegeeinrichtungen wird ein Die ACK-Klausel war in der Diakonie immer gegenüber unserer christlichen Werthal- Tischgebet gesprochen. Wenn eine Mit- ein Regel-Ausnahme-Prinzip. Die Regel war tung erklären und das auch mittragen. arbeiterin oder ein Mitarbeiter dies nicht ACK-Mitgliedschaft, aber wenn wir keinen Damit das konkret wird, haben wir ver- zumindest akzeptieren kann, ist das nicht geeigneten Bewerber mit dieser Vorausset- sucht, unser recht abstraktes Leitbild in der richtige Arbeitsplatz, sind wir nicht der zung finden konnten, ließ sich eben auch kleine Münze zu übersetzen. Es gibt Ver- richtige Arbeitgeber für sie oder ihn. 6 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019
THEMA ZAHLEN + FAKTEN „Die Diakonie ist meine Firma” V or fast fünf Jahren kam Oltja- na Hysa (29) aus Albanien nach Deutschland. Hier fanden sie und Mit rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einer langjährigen, auf ihr Mann mit der kleinen Tochter Asyl. der Gemeindekrankenpflege basierenden Seit einigen Monaten ist die junge Frau, Tradition sind die Diakoniestationen der die mittlerweile gut verständlich Deutsch Evangelischen Kirche in Kassel gGmbH die spricht, Mitarbeiterin bei den Diakoniesta- Oltjana Hysa gehört zu den „Helfenden Händen” größte ambulante Pflegeeinrichtung in der tionen Kassel. Als Muslimin hat sie einen der Diakoniestationen Kassel Region Kassel. Träger der gemeinnützigen Job bei der evangelischen Kirche gefun- GmbH sind der Evangelische Stadtkirchen- den. „Für mich spielt bei der Arbeit die Religion keine Rolle”, sagt Oltjana Hysa. „Ich Foto: medio.tv/Simmank kreis Kassel und die Stiftung Kurhessisches sehe die Menschen.” Täglich hilft sie stundenweise älteren, allein lebenden Menschen im Diakonissenhaus Kassel. Haushalt. Einkaufen, putzen oder kochen: Das Team der „Helfenden Hände” unterstützt Die Diakoniestationen bieten mit ihren re- im Alltag genau dort, wo Entlastung benötigt wird, und macht den Diakonie-Kunden gionalen Untergliederungen das gesamte das Leben ein wenig leichter. Die Arbeit macht ihr Spaß, sagt die junge Albanerin, die Leistungsspektrum häuslicher Kranken- als Flüchtling selbst Unterstützung in der Kirchengemeinde Wilhelmshöhe gefunden hat. und Altenpflege, teilstationärer Pflege, Alltagshilfen, unterstütztes Wohnen Den Kunden gefällt der Umgang mit der freundlichen Haushaltshilfe auch. Mit für Menschen mit Demenz und Pflege- einem pensionierten Pfarrer, den sie betreut, unterhält sie sich des Öfteren über Un- beratung an. Leitziel der Arbeit ist es, terschiede und Gemeinsamkeiten von Bibel und Koran. Das Kopftuch ist zum Beispiel Unterstützungsangebote für alte, kranke Thema – auch wenn sie selbst keines trägt. „Die Diakonie ist meine Firma”, sagt Oltjana und hilfebedürftige Menschen gemeinwe- Hysa lächelnd und identifiziert sich als Muslimin ganz selbstverständlich mit den Zielen sen- und teilhabeorientiert zu entwickeln des evangelischen Arbeitgebers. Wenn ihre zweite Tochter etwas größer ist, will sie bei und zu gestalten. der Diakonie eine Ausbildung zur Altenpflegerin beginnen. l Lothar Simmank www.diakoniestationen-kassel.de ? Sind Mitarbeiter, die anderen Religi- onen angehören, eher eine Bereiche- rung oder eher ein Problem? „Was ich glaube, Müller: Wir erleben das grundsätzlich bestimmt, was ich tue” als Bereicherung. Aber wir müssen darauf D achten, dass hier offen kommuniziert wird ie älter werdende Gesellschaft bringt – etwa, wenn jemand sich in eine funda- ganz neue Herausforderungen, denen mentalistische Richtung entwickelt. Bisher die Diakoniestationen Kassel begeg- Foto: medio.tv/Dellit hatten wir mit den muslimischen Mitarbei- nen wollen. Marion Lamm-Dietrich ist Quar- tenden, die ein Praktikum oder eine Ausbil- tiermanagerin in der Goethestraße und berät dung bei uns absolviert haben, keine Kon- unter anderem Menschen, die eine barriere- flikte. Wir versuchen, bei den Kolleginnen arme Wohnung suchen. Dafür arbeitet die Verständnis und Interesse füreinander zu Marion Lamm-Dietrich ist Quartiermanage- Sozialpädagogin mit der Wohnungsgenos- wecken. Für die Kunden spielt das keine rin der Diakoniestationen Kassel senschaft GWH zusammen, die in diesem große Rolle. Nennenswerte Schwierigkei- Bereich 200 Wohnungen hat. Doch es geht ten haben wir bisher nicht erlebt. l um mehr: Wichtige Themen für alte Menschen sind Pflege, Sicherheit, Gemeinschaft und Fragen: Lothar Simmank, Olaf Dellit Unterstützung. Gerade gegen die Einsamkeit will Lamm-Dietrich mit ihren Angeboten etwas tun, dazu gehören ein Nachbarschaftstreff, Computerkurse, aber auch Andach- ten in Zusammenarbeit mit benachbarten Kirchengemeinden, immer mit der Hilfe von Was bedeutet „ACK-Klausel”? einigen der 25 Ehrenamtlichen. Für Lamm-Dietrich ist die Basis ihrer Arbeit ein christliches Bild vom Menschen: Derzeit gilt in Kirche und Diakonie „Jeder Mensch hat als Geschöpf Gottes einen Wert, auch wenn er nichts mehr leistet.“ grundsätzlich die „ACK-Klausel“, wo- Sie glaube an einen liebenden Gott, der mit liebevollen Gedanken auf die Menschen nach Beschäftigte einer Mitgliedskir- blicke, sagt die 51-Jährige. Der Glaube habe etwas mit dem Wort, aber eben auch mit che der Arbeitsgemeinschaft christ- der Tat zu tun, ist sie überzeugt. In der Arbeit der Diakoniestationen werde der christliche licher Kirchen (ACK) angehören Glaube konkret. Und für Marion Lamm-Dietrich gilt ein Grundsatz: „Das, was ich glaube, müssen. www.oekumene-ack.de bestimmt das, was ich tue.“ l Olaf Dellit blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019 7
THEMA INTERVIEW ? Die Kampagne „Macht Sinn“ wirbt für verschiedene Berufe in der Evangelischen Kirche von Kurhessen- MACHT-SINN.INFO Waldeck. Warum ist das eine Notwen- ENTDECKE SINNVOLLE BERUFE IN DER KIRCHE digkeit? Dr. Regina Sommer: Verschiedene Fak- Mehr als ein Job toren führen dazu, dass sich weniger jun- ge Menschen für Berufe in unserer Kirche interessieren. Neben der demografischen Entwicklung ist dies der Sachverhalt, dass viele Kinder und Jugendliche nicht mehr kirchennah aufwachsen und somit Kirche als Arbeitsfeld nicht in den Blick gerät. Im Pfarrberuf gehen ab 2022 viele Pfarrer und Pfarrerinnen der geburtenstar- ken Jahrgänge in den Ruhestand, sodass wir hier dringend Nachwuchs brauchen, um die dann entstehenden Vakanzen zu besetzen. Im Bereich der Jugendarbeit mer- ken wir jetzt schon, dass manche Stellen nur schwer besetzt werden können. Ähn- lich ist es mit der Besetzung von Ausbil- dungsplätzen in der kirchlichen Verwal- tung. ? Wie erfolgreich war die Kampagne bisher? Sommer: In Bezug auf die theologi- ERZIEHER*IN KIRCHENMUSIKER*IN DIAKON*IN sche Nachwuchsgewinnung können wir insofern von Erfolg sprechen, dass wir seit RELIGIONSLEHRER*IN KIRCHENBEAMT(ER*IN) 2016 steigende Zahlen auf der Liste der Theologiestudierenden, also derer, die sich für den späteren Pfarrberuf in unserer Kir- PFARRER*IN VERWALTUNGSFACHANGESTELLTE*R che interessieren, verzeichnen. Dazu trägt die Werbung und Information über „Macht Sinn“ bei, aber auch die Tatsache, dass wir seit 2015 Pfarrer Johannes Meier mit der Aufgabe der theologischen Nachwuchsge- winnung betraut haben. Mit diesem Plakatmotiv wirbt die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck um Anwärter Ute Kaisinger-Carli: Bezogen auf die für verschiedene kirchliche Berufe Ausbildung zum Diakon bzw. zur Diakonin lässt sich der Erfolg der Kampagne nicht so eindeutig beschreiben, denn die Ab- solventen können in der Kirche arbeiten, Sinnvolle Tätigkeiten gesucht müssen aber nicht. Es zeigt sich jedoch zu- nehmend, dass junge Menschen ihren Weg Ob Pfarrer, Erzieherin oder Kirchenbeamter – bei den meis- auf unsere Homepage finden und sich da ten kirchlichen Berufen steht der Kontakt zu Menschen auch über dieses Berufsbild schon infor- im Vordergrund, der als sinnstiftend erlebt wird. In Zeiten, mieren und uns über die vorgegebenen Kommunikationskanäle kontaktieren, um in denen die Personalsuche auf dem Arbeitsmarkt zuneh- mehr darüber zu erfahren. Die Homepage mend schwieriger wird, können Kirche und Diakonie mit scheint ein erster Landeplatz zu sein, der dem Faktor „Sinn” punkten. vertiefende Kontakte ermöglicht. 8 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019
THEMA ? Inwiefern ist „Sinn“ ein Faktor für Auszubildende? Sommer: Die Überschrift „Macht Sinn“ Helfens oft konstitutiv für ihren Berufs- wunsch. In ihrer Begründung verbinden sie den Modus des Helfens mit Jesus von sammenzuarbeiten. Sie wollen Beruf und Privatleben bzw. Familienleben gut mitei- nander verbinden. Sie bringen internatio- ist bewusst doppeldeutig gewählt. Einer- Nazareth als einem Vorbild, der sich Men- nale Erfahrungen mit und können sich nur seits bezeichnet sie umgangsprachlich die schen zugewandt hat, die in ganz vielfäl- schwer vorstellen, ihr ganzes Berufsleben individuelle Bestätigung einer Berufswahl: tiger Weise von Ausschluss bedroht oder an einem Ort und mit derselben Tätigkeit „Dieser Beruf macht für mich Sinn!“ Ande- betroffen waren. zu verbringen. Insgesamt eine anspruchs- rerseits verweist sie darauf, dass eine Be- Im Vergleich zum Pfarramt benennen volle, innovationsfreudige und einsatzbe- rufstätigkeit in der Kirche eine sinnvolle die Absolventinnen und Absolventen die reite Generation. und sinnerfüllte Tätigkeit ist, die einem Vielfalt der möglichen sozialen Arbeits- größeren Ganzen (der Kommunikation des Evangeliums) dient und somit über sich hinausweist. Außerdem steht bei den felder in der Kirche, in der Diakonie aber auch außerhalb von Kirche und Diakonie, in denen sie im Auftrag der Kirche tätig ? Was muss sich in der theologischen Ausbildung ändern? Sommer: Im Theologiestudium muss meisten kirchlichen Berufen der Kontakt zu sein können, als eine große Bereicherung. der Gegenwartsbezug gestärkt werden. Es Menschen im Vordergrund, der als sinnstif- ist immer noch sehr stark historisch aus- gerichtet. Man sollte von gegenwärtigen Fragen und Antworten zur landes- Herausforderungen her auf die Tradition schauen und fragen, was man aus ihr für kirchlichen Kampagne „Macht Sinn” heute lernen kann. Die Ausbildung im Vikariat sollte ei- nen guten Start in den Beruf ermöglichen. Im nächsten Jahr startet ein neues Modell, in dem sehr viel exemplarischer gearbeitet wird als derzeit noch. Angehende Pfarrerin- nen und Pfarrer müssen dazu befähigt wer- den, sich auf Herausforderungen kreativ und konzeptionell einzustellen und Dinge, die sie in anderen Bereichen erkannt und gelernt haben, auf Neues zu übertragen. ? Fotos: medio.tv/Schauderna 2060 haben die Kirchen halb so viel Geld und halb so viele Mitglie- der wie heute, prognostiziert eine Stu- die. Wird es für eine schrumpfende und ärmere Kirche immer schwieriger, Perso- nal zu finden? Sommer: Es kommt darauf an, welche Prof. Dr. Regina Sommer ist Leiterin des Diakonin Ute Kaisinger-Carli ist Fachrefe- Geschichte wir über uns erzählen bzw. wel- Referats für Theologische Aus-, Fort- und rentin für gemeindebezogene Dienste im ches Bild in der Öffentlichkeit verbreitet Weiterbildung in der Evangelischen Kirche Kasseler Landeskirchenamt wird. Reden wir immer nur davon, dass wir von Kurhessen-Waldeck kleiner und ärmer werden, dann entsteht das Bild, dass wir es mit einem sinkenden tend erlebt wird. Beide Bedeutungen von „Macht Sinn“ werden in den Testimonials auf der Internetseite aufgegriffen und be- ? Wie ist die Motivationslage bei An- wärtern für den Pfarrberuf? Was ist bei ihnen im Gegensatz zu früher an- Schiff zu tun haben. Dies ermutigt nicht dazu, sich für einen Beruf in der Kirche zu interessieren. Verbreiten wir aber Nach- leuchtet. ders geworden? richten von innovativen Projekten und Wir gehen davon aus, dass für Jugend- Sommer: Sie wollen unsere Kirche mit- dem Stellenwert, den unsere kirchliche Ar- liche „Sinn“ im oben beschriebenen Sinn gestalten. Das wollten frühere Generati- beit nach wie vor in der Gesellschaft und durchaus ein Faktor ist: Sie suchen eine onen auch. Allerdings tritt die derzeitige bei den Menschen hat, dann zeichnen wir sinnerfüllte Tätigkeit, die zu ihnen passt. Nachwuchsgeneration selbstbewusster auf, ein anderes, zukunftsorientiertes Bild, das in dem Wissen, für die Zukunft gebraucht motivieren kann, sich beruflich an dieser ? Welche Rolle spielt der christliche Glaube für Berufsanfänger, die nicht Pfarrer werden wollen? zu werden. Sie wollen mit ihren Anliegen und Ideen ernst genommen werden. Sehr stark formulieren sie den Wunsch, im Pfarr- Zukunft zu beteiligen. l Fragen: Lothar Simmank Kaisinger-Carli: Für angehende Dia- beruf keine Einzelkämpfer*innen sein zu Mehr Infos unter kone und Diakoninnen ist das Motiv des müssen, sondern mit anderen im Team zu- www.macht-sinn.info blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019 9
THEMA Es muss nicht immer noch besser sein Kathrin Jahns Weg vom Burn-out zur Erkenntnis, dass man für sich selbst sorgen muss P farrerin, das ist kein Beruf mit Stech- uhr, mit geregelten Zeiten und genau eingegrenzten Aufgaben. „Es gibt im- mer jemanden, der wartet, immer ein Pa- pier, das gelesen werden will, immer eine E-Mail, die beantwortet werden will“, sagt Pfarrerin Kathrin Jahns. Sie hat erlebt, wie es ist, wenn alles zu viel wird und der Kör- per nicht mehr mitspielt. Der Begriff Burn-out war Ende der Foto: Communität Casteller Ring 1990er noch nicht so stark im Gespräch, aber das Phänomen gab es natürlich schon. Zwei halbe Pfarrstellen – eine in der Klinik, eine in der Gemeinde – mit hohen Anforderungen und nach der Scheidung auch privat keine leichte Zeit; es kam viel zusammen bei Kathrin Jahns. Aufatmen auf dem Schwanberg: Die Kirche der Communität Casteller Ring hat es Kathrin „Wenn ich krankgeschrieben war, ging Jahns besonders angetan es mir gut“, erzählt sie. Doch sobald sie trag eintauschen konnte – heute ist sie als Diese Erkenntnis führte die Theologin wieder arbeiten wollte, wurde es schwie- Seelsorgerin für die DRK-Kliniken Nordhes- in das Haus Respiratio („Aufatmen“), auf rig. „Ich bin morgens überhaupt nicht in sen (Rotes Kreuz) und für das Elisabeth- den Schwanberg bei Würzburg. Die Ein- Gang gekommen“, erinnert sie sich. Sie Krankenhaus zuständig. richtung ist auf hauptamtliche Kirchenmit- habe stundenlang im Bademantel dage- arbeiter spezialisiert, die dort neuen Atem sessen, vielleicht auch mal ein Telefonat »Ich muss mich gut um mich schöpfen sollen. Verbunden ist das Haus geführt, aber den Arbeitstag eigentlich mit der Communität Casteller Ring, einem kümmern, damit ich mich um nicht gestartet. Das funktionierte, auch evangelischen Frauenkloster. weil sie – besonders am Vormittag – kaum andere kümmern kann.« In dem fünfwöchigen Kurs in einer klei- feste Termine hatte. So fiel die Erkrankung nen Gruppe gab es Einzel- und Gruppenge- nicht so schnell auf, auch ihr selbst nicht. Unter anderem ist Jahns viel auf der spräche, Andachten und Körpertherapie, Irgendwann aber war klar, dass es so Palliativstation tätig und musste lernen, aber vor allem viel Zeit für Spaziergänge, nicht mehr ging. Nach Gesprächen mit sich auch von den Schicksalen dort abzu- Ruhe und Nachdenken. „Ich hatte plötzlich Hausarzt und Psychiater wurde sie für grenzen. Das gelingt nicht immer: „Wenn das Gefühl: Die Tage sind unendlich lang“, sechs Wochen in eine psychosomatische man sich ständig mit dem Sterben be- sagt Jahns. Besonders beeindruckt haben Klinik geschickt, wo ihr eine Therapie drin- schäftigt, frisst das an einem.“ Da sei das, sie die persönlichen Segnungen. Sie, die gend angeraten wurde. Das, so erzählt die was man Selbstfürsorge nennt, so essenzi- selbst ungezählte Menschen gesegnet hat, Pfarrerin, sei ihr schwergefallen, weil ihr ell wichtig: „Ich muss mich gut um mich war angerührt, als ihr der Segen ganz di- in ihrer Erziehung immer vermittelt wor- kümmern, damit ich mich um andere küm- rekt zugesprochen wurde: „Ich bin heulend den sei: Du schaffst das schon! Und nun mern kann.“ zu meinem Platz zurückgegangen.“ schaffte sie es eben nicht ohne Hilfe. So Kathrin Jahns hat gelernt, wie wichtig dauerte es auch ein Jahr, bis sie wirklich es ist, nicht nur für andere, sondern auch eine Therapie begann. für sich selbst zu sorgen. Ihr Glauben ha- Die wichtigste Lehre der Therapeu- be ihr auch in schweren Zeiten geholfen: tin war diese: „Warum wollen Sie immer „Egal, was ist, ich bin bei Gott gut aufge- besser werden? Gut ist doch gut genug.“ hoben.“ l Olaf Dellit Das Höher-Schneller-Weiter sei fatal. Un- Foto: medio.tv/Dellit ter Pfarrern, hat Jahns beobachtet, gebe INFOKASTEN es manchmal die Tendenz, die eigene Ar- Die Communität Casteller Ring ist eine beitsbelastung sehr zu betonen. evangelische Frauengemeinschaft, die Für die heute 59-Jährige war es ein nach den Regeln des Heiligen Benedikt guter Schritt, als sie die halbe Gemein- auf dem Schwanberg in Mainfranken lebt. destelle gegen einen weiteren Klinikauf- www.ccr-schwanberg.de 10
THEMA Ein Leben für den Dienst am Nächsten Die Diakonissen Anni und Ursula blicken auf ein langes Arbeitsleben zurück I hren Glauben tragen sie als prägnanten Kreuz-Anhänger mit stilisierten Fischen auf der Schwesterntracht. Doch die äu- ßerliche Einförmigkeit täuscht: Jede Dia- konisse hat ihren ganz eigenen Weg und ihren ganz eigenen Glauben. Das wird im Gespräch mit Anni Traube und Ursula Graack schnell deutlich. Bei Schwester Anni, 88 Jahre alt, war es der Pfarrer in Großalmerode, der sie prägte. Er habe die Jugend um sich gesam- melt, und sie war dabei. Eine der Freizeiten führte ins Diakonissenhaus nach Kassel, Foto: medio.tv/Dellit der erste Kontakt zur späteren Heimat. Irgendwann war sie im Gottesdienst, als dort Diakonissen eingesegnet wurden. Der Pfarrer habe gefragt, wer es noch wa- ge, diesen Weg zu gehen. Für Anni war das mehr als eine Frage, es war eine Berufung, Vor der Mutterhauskirche des Kurhessischen Diakonissenhauses in Kassel: Schwester Anni der sie schließlich folgte. Ehelosigkeit, nur Traube (links) und Schwester Ursula Graack ein Taschengeld – das mag einengend klin- gen, Anni Traube aber sagt: „Ich habe viel Lehrerin werden. Doch dann brachte sie Beide sind sich einig, dass man in den Freiheit gehabt.“ Die unterschiedlichen Be- ein Satz zum Nachdenken; keiner aus der Glauben hineinwachsen müsse und er in rufe, die sie erlernte und ausübte, die Rei- Bibel, sondern einer von Goethe: „Edel sei der Gemeinschaft gestärkt werde. Dann sen – all das empfand sie als freies Leben. der Mensch, hilfreich und gut.“ Ihre Eltern rezitiert die 89-jährige Ursula, ohne auch Zweifel habe es gegeben, natürlich, aber: waren skeptisch, doch die junge Frau setz- nur einmal zu stocken, das sechsstrophige „Meine Sorgen sind klein im Vergleich zu te sich durch und besuchte die Kranken- Gedicht „Ancilla Domini“ („Magd Gottes“) dem, was in der Welt los ist.“ pflegeschule der Diakonissen in Kassel. von Eva von Tiele-Winckler, das den Auf- Schwester Ursula, 89, hingegen hat trag der Diakonissen in Worte fasst. Ganz Zeiten erlebt, in denen sie sich einge- wichtig ist ihnen das tägliche Gebet aller sperrt fühlte. Sie hatte Krankenpflege ge- »Meine Sorgen sind klein Schwestern für ihr Diakonissenhaus, für lernt und wollte in diesem Beruf arbeiten, die Region, die Regierenden, für die Welt. im Vergleich zu dem, was wurde aber in die Altenpflege nach Hof- Vor einigen Jahrzehnten prägten die geismar – damals sprach man noch vom in der Welt los ist.« Schwestern das Bild in den Städten und „Siechenhaus“ – geschickt. Ursula Graack Dörfern noch deutlich, 1939 gehörten 519 aber wollte frei von den Zwängen und Ein- Schwestern zum Kurhessischen Diakonis- schränkungen sein. Doch ihr Bruder redete Die Erlebnisse in der Ausbildung präg- senhaus, heute sind es noch 22. Doch der ihr gut zu. Ob sie nicht denke, dass Gott ten Krankenschwester: „Ich habe Krank- Grundsatz der Arbeit und damit ihres Le- ihr innere Freiheit gebe, fragte er. Für die heiten und Sterbefälle auf den Stationen bens ist geblieben: „Die Diakonie ist die Schwester, so erzählt sie, war das eine Bot- erlebt und gedacht: Irgendjemand muss Ausübung der Nächstenliebe in der Nach- schaft Gottes. Sie blieb. unser Leben doch in der Hand haben.“ folge Jesu Christi.“ Ursula blickt ihre Mit- Dabei war ihr Weg in die Gemein- Teil der Ausbildung waren die Andachten. schwester an und fragt: „Nicht, Schwester schaft familiär nicht vorgezeichnet. Eigent- Das Wort Gottes, so beschreibt es Schwes- Anni?" Und die stimmt ihr sofort zu. l lich, so erzählt Schwester Ursula, wollte sie ter Ursula, begann in ihr zu wirken. Olaf Dellit blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019 11
THEMA Foto: medio.tv/Dellit Pfarrer Dr. Jochen Gerlach Warum der Glaube einladend sein muss Altenhilfe-Vorstand Dr. Jochen Gerlach über Fachkräftemangel und Kirchenzugehörigkeit E in neuer Pflegedienstleiter wird einge- davon aus, dass die Ausnahme bald die den Arbeitsverträgen geben, in denen die führt. An Gott glaube er nicht, hatte Regel sein wird und findet das auch nicht Grundlagen der Arbeit festgelegt sind und er gesagt, war aber mit einer Begrü- schlimm. Es gebe ja auch unter Kirchenmit- zu denen sich Mitarbeiter bekennen müs- ßungsfeier einverstanden, in der er geseg- gliedern ein breites Spektrum an Glaubens- sen. net wird und die neuen Kollegen ihm gu- vorstellungen, daran ändere sich nichts. Natürlich freue er sich über jeden Mit- te Wünsche mit auf den Weg geben. Den Die Öffnung könne die Einrichtungen so- arbeiter, der Kirchenmitglied ist, sagt Ger- Mann, sagt Dr. Jochen Gerlach, habe diese gar stärken, denn sie fordere heraus, sich lach. Der Glaube müsse sich einladend Art der Begrüßung sehr berührt. zeigen durch Fortbildungen, Rituale, An- Gerlach ist seit März Theologischer »Der christliche Glaube muss dachten: „Der christliche Glaube in solch Vorstand der Evangelischen Altenhilfe einer Einrichtung muss etwas mit dem Le- Gesundbrunnen mit Sitz in Hofgeismar. etwas mit dem Leben der ben der Menschen zu tun haben.“ 2.300 Mitarbeiter an 21 Standorten ge- Menschen zu tun haben.« Daneben seien attraktive Rahmenbe- hören dazu. Fragen des Glaubens und der dingungen wichtig, etwa vergleichsweise Kirchenmitgliedschaft spielen dabei zu- mit dem eigenen Profil auseinanderzuset- hohe Löhne plus Zusatz-Altersversorgung, nehmend eine Rolle. Auch, aber nicht nur, zen und sich zu fragen: Wofür stehen wir? um Mitarbeiter zu finden und zu halten. wegen des Fachkräftemangels, vor allem So haben bereits jetzt die Einrichtungen Die Mitarbeiter-Bindung zur Altenhilfe sei in den Pflegeberufen. Neue Kunden müss- der Altenhilfe Gesundbrunnen Spielregeln hoch, viele blieben ihr lange treu. Das sei ten von den ambulanten Pflegediensten für sich festgelegt, die für die Mitarbeiter besonders wichtig, wenn die Pflegekrise der Altenhilfe manchmal abgelehnt wer- gelten (siehe Beispiel aus Marburg unten). sich zuspitze. Und damit rechnet Gerlach den, es komme sogar vor, dass ein Bett in Es werde in Zukunft wohl einen Zusatz zu fest. l Olaf Dellit einer stationären Einrichtung leer bleibe, weil Personal fehle. Das sei, so Gerlach, ei- ne Ausnahme, aber auch Anzeichen einer Goldene Regeln aus Marburg • Wir sprechen Konflikte direkt an und sich verschärfenden Krise. beseitigen diese miteinander. Über eine einfache Zeitungsannonce • Wir gehen respektvoll, freundlich und • Wir pflegen innerhalb der Berufsgrup- eine Pflegekraft zu finden, sei kaum noch würdevoll mit Bewohnern, Kollegen und pen einen respektvollen und freundli- möglich. Stattdessen setze die Altenhilfe Angehörigen um. chen Umgangston. auf Ausbildung, aber auch darauf, Men- • Wir reagieren sensibel und adäquat • Wir gehen konstruktiv bei Stress, Ärger schen anzusprechen. Gerlach erzählt von auf Körpersprache, Mimik und Gestik und Angst miteinander um. einer Pflegerin, die über eine Leiharbeits- anderer. • Wir nehmen regelmäßig an Schulungen firma kam. Er sprach sie an, um ihr eine • Wir gehen wertschätzend und sorgsam mit teil, um fundiertes Fachwissen zu ergän- feste Stelle anzubieten, doch die Frau habe dem Bewohner- und Hauseigentum um. zen. gedacht, das gehe ohne Kirchenmitglied- • Wir kommunizieren regelmäßig mit- • Wir wahren die Individualität aller schaft nicht. Dabei seien Ausnahmen einander, um den Informationsfluss Menschen im Haus. eigentlich immer möglich. Gerlach geht sicherzustellen. • Wir werden nur GEMEINSAM besser. 12 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019
THEMA Der Glaube lässt die Sänger anders strahlen E in Gottesdienst ganz ohne Musik? Gottesdienst. Nach dem Musikstudium in Natürlich könne man Chorwerke wie die „Das kann man bestimmt machen, Oxford und einem Jahr auf einer Stelle in von ihr geliebte Matthäuspassion auch aber ich würde mich langweilen“, einer englischen Kirchengemeinde wollte singen, ohne den Text zu verstehen und sagt Dorothea Harris. Dass ihr die Musik sie ihre deutschen Wurzeln näher kennen- die Glaubensinhalte zu fühlen. Aber wenn wichtig ist, überrascht nicht, die 30-Jäh- lernen und ging in das Land ihrer Mutter. man sich mit dem Text befasse, sei es eben rige ist Bezirkskantorin im Kirchenkreis Das hatte allerdings zugleich auch doch etwas anderes. Dann, sagt Dorothea Schlüchtern. ganz pragmatische Gründe, wie sie er- Harris, strahlten die Sänger ganz anders. Harris ist mit Kirchenmusik aufge- zählt. Sie wollte nämlich ihr Musikstudi- Deswegen ist es ihr wichtig, sich in den wachsen, ihr englischer Vater und ihre um noch erweitern, was in England 9.000 Proben auch intensiv mit dem Inhalt zu deutsche Mutter lernten sich bei einem Pfund jährlich gekostet hätte. In Detmold beschäftigen. Und das ihren Sängern und Orgelkurs in Frankreich kennen und arbei- nicht, also studierte die junge Frau Or- Sängerinnen zu vermitteln, das erleichtere teten später als Kantoren im schottischen gel, was ihr aber dann nicht ausreichte. ihr der eigene Glaube. Foto: medio.tv/Dellit Edinburgh. Mit zwölf Jahren begann Toch- So setzte sie noch Kirchenmusik als Fach Als Musikerin schätzt sie es übrigens, ter Dorothea ebenfalls Orgel zu spielen; oben drauf und schaffte das Studium wenn mal nichts klingt und tönt: „Die Stil- zwei Jahre später in der Hälfte der üblichen Zeit, weil sie le hat etwas Meditatives.“ Deswegen sage schon wö- schon viel Erfahrung und Wissen hatte. sie ihren Schülern auch immer, dass die chent- Nach dem Abschluss sah sie ein Stel- Pausen auf dem Notenblatt dort nicht zu- lich im lenangebot, bewarb sich und kam nach fällig stünden, sondern wichtig seien. Niedervellmar. Die Anglikanerin war Doch ohne Musik ist für Dorothea Kurhessin geworden. Ein Problem sei die Harris das Leben wohl nicht vorstellbar. Konfession nicht gewesen. Nach gut zwei Nicht nur, dass der Gottesdienst seine Jahren wechselte sie im April dieses Jah- besondere Atmosphäre erst durch sie res nach Schlüchtern, wo sie Kantorin, bekomme, sie denke auch, dass Musik aber auch stellvertretende Leiterin der den Menschen stärke und ihm seinem Kirchenmusikalischen Fortbildungsstätte Glauben und seinem Gott näher bringen Bezirkskantorin ist. Sie leitet Chöre für Erwachsene und könne. Sie selbst erfahre das vor allem im Dorothea Harris Kinder, spielt Orgel, hat Orgelschüler und gemeinsamem Musizieren, im Chor: „Man betreut die vielen neben- und ehrenamt- ist in Gemeinschaft und hört das auch.“ l lichen Kirchenmusiker im Kirchenkreis. Olaf Dellit Ein Ausbildungsplatz mit Werten W enn Kim-Sarah Petruševski er- rufswahl anstand. Sie hat die christliche zählt, wo sie ihre Ausbildung Wichern-Schule in Kassel besucht, wo durchläuft, erntet sie manchmal unter anderem jeden Morgen eine An- kuriose Reaktionen: „Du arbeitest bei der dacht gehalten wurde. Ihre Mutter ar- Kirche? Betet ihr da den ganzen Tag?“ Na- beitete lange bei der Diakonie. Auszubildende türlich nicht, denn die 18-Jährige hat es „Mein Glaube hat die Wahl sicher Kim-Sarah Petruševski vor allem zu tun mit Akten, Vorgängen, mit beeinflusst“, sagt sie über ihren Aus- Foto: medio.tv/Dellit Sachbearbeitung, EDV, Rechnungswesen bildungsplatz. Man müsse sich schon und allem, was sie eben für den Beruf der mit den Werten der Kirche identifizieren, Verwaltungsfachangestellten braucht. um hier zu arbeiten, findet sie. Zumindest Dennoch, glaubt sie, gibt es Unter- solle man offen dafür sein, antwortet sie schiede zwischen einer kirchlichen und auf die Frage, ob sie eine solche Ausbil- einer anderen Behörde. Der Umgang im dung im Landeskirchenamt auch ohne Landeskirchenamt, wo Petruševski seit Kirchenmitgliedschaft für denkbar halte. Bachelor of Arts Allgemeine Verwaltung zwei Jahren ihre Ausbildung absolviert, Kim-Sarah Petruševski hat noch ei- aufsatteln und nach drei Jahren Studi- sei freundlicher, gemeinschaftlicher als niges vor, wenn sie sich in gut einem Jahr um Kircheninspektoranwärterin sein. Gut anderswo. Und natürlich präge es ein Verwaltungsfachangestellte nennen darf. möglich, dass sie dann wieder irgendwo Haus auch, wenn dort viele Theologen Sie möchte auf die Ausbildung gerne ein gefragt wird, ob sie in diesem Beruf eigent- arbeiteten. Ein Zufall war es nicht, dass duales Studium – also eine Kombination lich den ganzen Tag lang betet. l die junge Frau zur Kirche ging, als die Be- aus Theorie und praktischer Arbeit – zum Olaf Dellit blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019 13
LANDESKIRCHE Fotos: medio.tv/Dellit Das Frühstück kommt mitten in der Nacht Kirchenjurist Andreas Schmeitz hat einen Nebenjob: Quartiermeister beim Kirchentag I rgendwann mitten in der Nachte klin- könnten kein Quartier bekommen, da die ist. Das ist eine Sicherheitsanforderung gelt das Mobiltelefon, oft so gegen 3.30 Entfernung ja nicht sehr groß sei. Andreas des Kirchentages, zum Beispiel für einen Uhr. Dann dauert es noch fünf Minuten, Schmeitz bot an, das Quartier selbst zu Feueralarm. Eigentlich, erzählt Schmeitz, bis das „Kommando Verpflegung“ mit Bröt- organisieren, wenn sie nur die Räume be- sollte eine Strichliste geführt werden. Das chen, Butter, Aufschnitt und Marmelade kämen. Gesagt, getan! fanden die Aachener viel zu aufwendig anrückt. Wenn die Kirchentagsbesucher und entwickelten die Computervariante – zwischen 6.30 und 8.30 Uhr müde in den »Der Kirchentag hat gut möglich, dass das System irgendwann Frühstücksraum der Dortmunder Marie- für alle Quartiere genutzt wird. nichts mit Schlafen zu tun.« Reinders-Realschule stolpern, ist alles fer- Für die Ehrenamtlichen gibt es viel tig für das Frühstück. Arbeit, angefangen von der Beschriftung Das Handy, das nachts klingelt, ge- Das Aachener Quartier wurde zur und Aufteilung der Räume über das hört Quartiermeister Andreas Schmeitz, Dauereinrichtung auf Kirchentagen. „Es Frühstück bis zur Nachtwache und zum der im echten Leben Referatsleiter im Lan- macht Spaß, sich so zu engagieren“, sagt Gute-Nacht-Café. Dafür gelten strenge deskirchenamt in Kassel ist und sich dort der 43-Jährige. 155 Menschen sind dies- Hygieneregeln, so darf die Kühlkette bei- um Dienst- und Arbeitsrecht kümmert. Im mal in der Schule, auch zwei Kasseler spielsweise nicht unterbrochen werden, Ehrenamt aber organisiert er seit zwölf Gruppen. 15 Ehrenamtliche bilden das im Kühlschrank liegt ein Thermometer. Jahren in Eigenregie ein Gemeinschafts- Team. Zwar muss Andreas Schmeitz nicht quartier für den Kirchenkreis Aachen, in Am Eingang der Schule steht ein Com- in jeder Nacht selbst ans Handy gehen, dem er bis vor zwei Jahren zu Hause war. puter mit Scangerät. Jeder Teilnehmer, wenn das Verpflegungskommando anruft. In der Regel werden die Quartiere di- der in der Schule untergebracht ist, hat Aber dennoch gilt: „Der Kirchentag hat rekt vom Kirchentag betrieben, hier nicht. einen Strichcode. Der wird erfasst, wenn nichts mit Schlafen zu tun.“ Für die ersten Hintergrund ist der Kirchentag in Köln, jemand kommt oder geht. So wissen die Tage nach Dortmund hat er Urlaub einge- als den Aachenern mitgeteilt wurde, sie Verantwortlichen immer, wer im Gebäude reicht. l Olaf Dellit Hinter den Kulissen des Quartiers: Für das Frühstück muss alles vorrätig sein, was nicht tagesaktuell angeliefert wird. Die Kühlkette muss streng eingehalten werden, ein Thermometer ist Pflicht. Andreas Schmeitz sorgt auch im Frühstücksraum dafür, dass alles läuft 14 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 5–2019
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