Zuckerwatte und Zahnbürste - Swiss Dental Journal
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ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1369 Die SSO-Solothurn beging am 23. Oktober Zuckerwatte und den Höhepunkt des Jubiläumsjahrs, eine Zahnbürste Galavorstellung des Zirkus Monti. Das Publikum erlebte spannende Artistik- und Talk-Einlagen. Dabei zeigte sich: Solothurner Politiker haben bei der Mund hygiene noch Steigerungspotenzial. Text: Felix Adank, Presse- und Informationsdienst SSO 100 Jahre SSO-Solothurn Fotos: Felix Adank/Zirkus Monti Ein Fest auf Augenhöhe mit all jenen Per- sonen zu feiern, die sich im Kanton Solo- thurn mit Zahnmedizin im engeren und im weiteren Sinne beschäftigen – dies war das Anliegen der SSO-Solothurn, wie Präsident Hans Peter Hirt vor 430 gelade- nen Gästen in Solothurn erläuterte: «Wir möchten mit dieser Gala zeigen, dass der Zahnarzt nicht ein Einzelkämpfer ist in seiner Praxis. Zu einer guten zahnmedi zinischen Versorgung gehört ein ganzes Team!» Dies unterstrichen die zahlreichen Pra xisinhaber der SSO-Solothurn, die mehr- heitlich mit ihrem Praxisteam gekom- men waren. Hirt freute sich, dass 85 Pro- zent der aktiven Mitglieder persönlich Von links: Philipp Hadorn, Pirmin Bischof, Kurt Fluri, Roland Heim, Michael Fluri von Curaden AG und anwesend waren – ein «Zeichen freund- Moderatorin Sandra Boner schaftlicher Kollegialität». Und er dankte den anwesenden Sponsoren für ihre grosszügige Unterstützung. Nebst SSO- Ständerat Pirmin Bischof und Nationalrat Politiker für die Pflege ihrer Zähne nur Präsident Beat Wäckerle, Vorstandsmit- Philipp Hadorn. durchschnittliche Noten gaben. Sandra glied Jean-Philippe Haesler und SSO-Se- In verschiedenen Talkeinlagen gelang es Boner verabschiedete sie augenzwin- kretär Simon Gassmann waren auch die der Moderatorin, Meteo-Fachfrau Sandra kernd mit Zuckerwatte und einer grossen Präsidentinnen und Präsidenten der be- Boner, den prominenten Gästen Be- Zahnbürste aus der Manege. nachbarten SSO-Sektionen gekommen, kenntnisse zur Zahnmedizin, zum Ver- Ein Galadiner und artistische Einlagen um mit der SSO-Solothurn zu feiern. Ihre hältnis zu «ihrem» Zahnarzt und zum der jungen Akrobatinnen und Akrobaten Aufwartung machten weiter Regierungs- persönlichen Umgang mit der Mund des Zirkus Monti rundeten einen gelun- rat und Landammann Roland Heim, der hygiene zu entlocken. Dabei zeigte sich, genen Jubiläumsanlass ab, der noch lange Solothurner Stadtpräsident Kurt Fluri, dass sich die anwesenden Solothurner in Erinnerung bleiben wird. Die artistischen Einlagen der jungen Akrobaten des Zirkus Monti rundeten den Jubiläumsanlass der SSO-Solothurn ab. SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
1370 ZAHNMEDIZIN AKTUELL FMH-Präsident Jürg Schlup: «In der Medizin gibt es keinen Mangel an Bewerbern, sondern zu wenig Ausbildungsplätze.» Ein Anliegen der FMH ist die Sicherung einer «Wir bieten zu wenig qualitativ hochstehenden medizinischen Ver- M edizinstudienplätze sorgung. FMH-Präsident Jürg Schlup bezieht an!» Stellung zu Ärztemangel, Masseneinwande- rungsinitiative und Numerus clausus. Interview: Marco Tackenberg, Presse- und Informationsdienst SSO; Foto: Iris Krebs, Fotografin Dieses Interview erschien erstmals in Politik+Patient, Ausgabe 3/2015. Herr Schlup, der Ärztemangel ist Realität. Der Bundesrat will Jürg Schlup: Wir bieten in der Schweiz schlicht zu wenige Me- 100 Millionen in zusätzliche Medizinstudienplätze investieren. dizinstudienplätze an! Ende der 1970er-Jahre wurden pro Jahr CVP‑Nationalrätin Ruth Humbel hingegen will den Numerus clau- bis zu 1000 Ärztinnen und Ärzte diplomiert. Ab 1985 bis 2010 sus abschaffen und durch ein Praktikum ersetzen. Welche Mass‑ waren es noch 700. Seit den 1980er-Jahren ist die Bevölkerung nahmen bringen den gewünschten Erfolg? aber von 6 auf 8 Millionen angewachsen. Der Numerus clausus SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1371 hat mit diesem Mangel an Studienplätzen nichts zu tun – er Der Zulassungsstopp gilt in der Schweiz mittlerweile seit 13 Jah- wurde ja erst 1997 eingeführt und regelt seither die Zuteilung ren. Es existieren keine Studien, die zeigen, dass dieser Stopp der verfügbaren Plätze. 2014 haben sich 4500 junge Menschen einen Einfluss auf die Kosten hat. Er hat aber junge, in der um einen der 1600 Studienplätze beworben. In der Medizin Schweiz ausgebildete Ärztinnen und Ärzte in den Spitälern fest- gibt es keinen Mangel an Bewerbern, sondern zu wenig Ausbil- gehalten. Gesteuert wird bislang sektoriell, das heisst, nur im dungsplätze. Dieses Problem lösen weder eine Abschaffung des praxisambulanten Sektor, nicht aber im stationären und im spi- Numerus clausus noch die Einführung von Praktika, wie sie talambulanten Bereich. Das führt zu Ausweichbewegungen der Nationalrätin Humbel fordert. Ärzte zwischen den Sektoren – ein klassisches Beispiel für eine Fehlsteuerung. Ruth Humbel begründet ihren Vorstoss auch damit, dass der heutige Zulassungstest zunehmend kritisiert werde. Teilen Sie diese Kritik? Die FMH spricht sich gegen jede Zulassungssteuerung aus – ist Die Fragen im Auswahlverfahren werden kritisiert, seit es die- dies im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung nicht sen Test gibt. Verbesserungen sind notwendig, zum Beispiel die eine extreme Position? Berücksichtigung von Sozialkompetenz, Empathie und prakti- Wir würden eine Weiterführung der seit 2013 geltenden Zu schen Fähigkeiten. Das ist aber schwierig zu messen. Immerhin lassungssteuerung mit qualitativen Kriterien akzeptieren: Zu wird der Test jährlich verbessert, die Universität Fribourg hat gelassen werden Ärzte, die drei Jahre Tätigkeit an einem aner- ein entsprechendes Mandat. Grundsätzlich sind wir gegen ei- kannten Weiterbildungsspital der Schweiz nachweisen können nen Numerus clausus, aber wir benötigen ein Selektionssystem, und über die notwendige Sprachkompetenz in einer Landes- solange wir zu wenig Studienplätze anbieten. Und zwar ein Sys- sprache verfügen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) prüft tem, das trotzdem möglichst viele Studienabschlüsse erlaubt. zurzeit, wie die Weiterbildung bzw. die Facharztausbildung gesteuert werden könnte. Aus meiner Sicht kann die Facharzt Wie bewerten Sie die Personenfreizügigkeit der EU in Bezug auf ausbildung nur mit Anreizen und guten Rahmenbedingungen die «blauen Berufe»? beeinflusst werden, eine behördliche Steuerung birgt die Gefahr Das hohe Versorgungsniveau im Gesundheitswesen können einer Fehlversorgung. wir heute nur dank Fachkräften mit ausländischem Diplom aufrechterhalten. Dies gilt sowohl für die Ärzte als auch für die Die FMH spricht sich nach wie vor gegen eine Lockerung des Ver‑ Pflegenden. Daher ist die FMH besorgt über die Umsetzung tragszwangs aus. Was nützt die freie Arztwahl dem Patienten? der Masseneinwanderungsinitiative mittels einer Kontingents- Was der Ärzteschaft? lösung. Die FMH ist der Meinung, dass die Patienten die Qualität ihrer Ärzte besser beurteilen können als die Versicherer. Die FMH Mitte 2016 läuft die Übergangsfrist für die Zulassungsbeschränkung will die Wahl des Arztes, der Ärztin den Patienten und nicht den für Spezialärzte ab. Der Bundesrat will die Kantone ermächtigen, die Krankenversicherungen überlassen. Momentan ist ein Vorstoss Zulassung von Ärzten selber zu steuern. Warum wehrt sich die FMH der SVP im Parlament hängig, der die Vertragsfreiheit einführen gegen diesen Vorschlag? möchte. Das Thema ist also hochaktuell. SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
1372 ZAHNMEDIZIN AKTUELL In einigen Pflegeeinrichtungen der Stadt Mundpflege bei Senioren Zürich werden die Patienten regelmässig für mehr Lebensqualität zahnmedizinisch versorgt. Das Pilotprojekt der Universität Zürich verlief so positiv, dass das Konzept auf alle Pflegeheime ausgeweitet wird. Text: Andrea Renggli; Foto: ZZM der Universität Zürich, Klinik PPK Die Prophylaxe von Zahnerkrankungen Zeitmangel ist kein Argument Fluoridzahnpasta. Ansonsten behält der bei Kindern wird in der Schweiz schon Das zahnmedizinische Betreuungspro- Bewohner seine Mundhygienegewohn seit Jahren gefördert – unter anderem gramm für Pflegeeinrichtungen ist in drei heiten bei. Das ist in jedem Heim ohne durch die flächendeckende Schulzahn- Phasen gegliedert: 1. vom Pflegepersonal Zusatzkosten möglich. Zeitmangel ist pflege. Die Mundgesundheit von älteren regelmässig durchgeführte, wirksame somit kein Argument mehr, die Mund Menschen hingegen wird erst seit Kur- Mundhygiene; 2. standardisierte zahn- hygiene zu vernachlässigen.» zem breit diskutiert. Dr. Giorgio Menghi- medizinische Eintrittsuntersuchung; Diese erste Phase läuft zurzeit in den ni, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der 3. professionelle Mundhygiene. Stadtzürcher Pflegeeinrichtungen. «Wir Klinik für Präventivzahnmedizin, Paro- Die meisten Bewohner einer Pflegeein- machen gute Erfahrungen», erzählt dontologie und Kariologie (PPK) der Uni- richtung können ihre Zähne oder Prothe- Menghini. «Die Bewohner gewöhnen versität Zürich, erzählt: «Als sich die se nicht mehr wirksam selber reinigen. sich an die regelmässige Unterstützung Schulzahnprophylaxe etabliert hatte, Ziel der ersten Phase ist es daher, eine durch das Pflegepersonal. Man erreicht wurde deutlich, dass auch für die zahn- regelmässige Mundhygiene durch das somit ziemlich schnell bessere Hygiene- medizinische Betreuung der Senioren Pflegepersonal zu etablieren. Zunächst verhältnisse (weniger Entzündungen, besondere Anstrengungen nötig sind.» werden die Pflegerinnen und Pfleger über weniger Mundgeruch). Das wiederum Untersuchungen in Zürcher Pflege die häufigsten Mundkrankheiten infor- erleichtert den Pflegern die Arbeit.» heimen aus den Jahren 1995/96 sowie miert. Dann üben sie die Handgriffe di- In der zweiten Phase des zahnmedizini- 2011/12 zeigten nämlich: In den letzten rekt am Patienten, unter Anleitung einer schen Betreuungsprogramms wird in jedem Heim eine standardisierte zahn- medizinische Eintrittsuntersuchung ein- geführt. Sie wird idealerweise einmal im «Die meisten Bewohner einer Pflege- Monat vom Heimzahnarzt durchgeführt werden. Er beurteilt die Mundgesundheit einrichtung können ihre Zähne oder der neu ins Heim eingetretenen Senioren und führt einfache Behandlungen durch, zum Beispiel kariöse Läsionen inaktivie- Prothese nicht mehr selber reinigen.» ren oder eine Prothese anpassen. Die Heimzahnärzte – vorgesehen sind erfah- rene SSO-Zahnärzte mit einer Praxis in der Nähe der Pflegeeinrichtung – sind 25 Jahren hat die Zahl der noch vorhan- dafür ausgebildeten Prophylaxe-Assis- auch für die zahnmedizinische Versor- denen Zähne bei den Bewohnern zuge- tentin. Zur weiteren Unterstützung der gung von Langzeitbewohnern und für nommen, und es gibt weniger Prothe- Pfleger hat Giorgio Menghini zusammen Notfälle zuständig. senträger. Aber die Mundhygiene ist mit den Pflegezentren der Stadt Zürich In der dritten Phase kommen Prophylaxe- grösstenteils weiterhin als sehr schlecht Handlungsabläufe definiert. Diese zei- Assistentinnen zum Einsatz, die unter einzustufen. gen das systematische Vorgehen bei der Anweisung des Heimzahnarztes arbeiten. Giorgio Menghini und das Team des Mundinspektion, beim Zähnebürsten Sie bieten den Bewohnern eine professio- Fachbereichs Präventivzahnmedizin ent- und bei der Prothesenreinigung sowie nelle Zahnreinigung an. Diese umfasst warfen deshalb ein Konzept für ein zahn- das nötige Material. eine gründliche Entfernung von Plaque medizinisches Betreuungsprogramm in Menghini erklärt: «Die Mitarbeiter in und supragingivalem Zahnstein sowie die Pflegeeinrichtungen. Ab 2009 wurde es Pflegeeinrichtungen stehen unter Zeit- Applikation von Fluoridlack. Menghini versuchsweise im grössten Pflegezentrum druck, das ist uns bewusst. Um ihren hat sich für den Einsatz von Prophylaxe- der Stadt Zürich umgesetzt. Die Erfah- Aufwand möglichst gering zu halten, Assistentinnen entschieden, weil eine rungen waren positiv, sodass die Stadt haben wir eine einfache, aber wirksame Dentalhygienikerin für diese Massnah- behörden beschlossen, das Programm auf Anweisung formuliert: Die Pfleger sollen men überqualifiziert ist. Zudem werden alle städtischen Pflegezentren auszuwei- den Heimbewohnern mindestens einmal in der Schweiz jährlich nur rund 70 Den- ten. Das entspricht rund 1500 Pflegeper- pro Woche die verbliebenen Zähne bürs- talhygienikerinnen ausgebildet: zu we- sonen und 1600 Betten. ten, und zwar mit einer hoch dosierten nig, um eine wesentliche Rolle in der SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1373 In der Stadt Zürich hat ein Team der Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie und Kariologie der Uni Zürich einfache und wirksame Standards für die zahnmedizinische Betreuung in Pflegeheimen eingeführt. etreuung der Pflegeheime spielen zu B tentinnen werden zurzeit in Zusammen- dienst, Pflegeexperten, Bildungsverant- können. arbeit mit den Pflegeheimen und der wortliche, Pflegeleitung usw.) zu koor- Taskforce Alterszahnmedizin der SSO dinieren, wurde anfänglich unterschätzt. Lebensqualität erhalten erarbeitet. Und um die Abläufe in den Heimen zu Das Wohlergehen der Heimbewohner optimieren, sei noch viel Kleinarbeit steht bei allen Massnahmen im Vorder- Auf einem guten Weg nötig. «Aber alle Beteiligten sind daran grund. «In der Stadt Zürich beträgt die Mit seinem zum Teil unkonventionellen interessiert, und wir sind auf einem guten durchschnittliche Lebenserwartung nach Ansatz hat Giorgio Menghini bisher gute Weg.» dem Heimeintritt eineinhalb Jahre», be- Erfahrungen gemacht – trotz anfänglichen Giorgio Menghini stellt sein zahnmedi tont Menghini. «Unser Ziel ist deshalb, Schwierigkeiten. Das Pflegepersonal in zinisches Betreuungsprogramm allen die Lebensqualität der Senioren zu erhal- den Heimen sei oft überlastet, erklärt er. interessierten Pflegeeinrichtungen zur ten. Sie sollen keine Schmerzen haben «Zudem haben viele Pfleger einen Migra- Verfügung, auf der Internetplattform von und ihre Mahlzeiten selber kauen kön- tionshintergrund und kommen aus Ge- Curaviva, dem Verband der Heime und nen. Aufwendige und schmerzhafte Be- genden, wo die Mundhygiene einen ande- Institutionen Schweiz. «Ich freue mich, handlungen vermeiden wir wenn mög- ren Stellenwert hat als bei uns. Es brauchte dass jetzt endlich ein einfaches, aber um- lich.» Ausserdem gilt: Der Bewohner ist Zeit, sie vom Nutzen einer regelmässigen fassendes Modell für die zahnmedizinische König. Ihm wird keine zahnmedizinische Mundhygiene zu überzeugen.» Betreuung in Pflegeeinrichtungen vor- Massnahme aufgezwungen, wenn er sie Auch der Aufwand, um die administra liegt», sagt er. «Es liegt nun an den Hei- nicht wünscht. tiven Arbeiten zwischen den verschie men und an den möglichen interessierten Für die Eintrittsuntersuchungen, die Be- denen Dienststellen (zum Beispiel Sozial- Akteuren, das Beste daraus zu machen.» handlungen und die Prophylaxe-Sitzun- gen in den Heimen werden bestehende Strukturen wie Coiffeur- oder Podologie- stühle benutzt. Zudem bietet die Klinik Information für Pflegeeinrichtungen PPK mobile zahnärztliche Behandlungs- einheiten an. Für die neun Pflegeheime, Weitere Informationen: www.curaviva.ch – Fachinformationen – Themendossiers – in denen das Programm zurzeit läuft, sind Medizinische und therapeutische Versorgung in Alters- und Pflegeinstitutionen. sieben Einheiten im Einsatz. Die finan- Für die Instruktion des Pflegepersonals wird auch die Broschüre «Zahnschäden sind ziellen Bedingungen für den Einsatz von vermeidbar» empfohlen (erhältlich im SSO-Shop: www.sso-shop.ch). Heimzahnärzten und Prophylaxe-Assis- SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
1374 ZAHNMEDIZIN AKTUELL I N T E R N AT I O N A L E S Der 103. Jahreskongress der FDI fand vom FDI-Welt 22. bis zum 25. September in Bangkok statt. kongress 2015 Die asiatische Metropole zog eine beacht liche Zahl von Teilnehmern an, obwohl sie zu Beginn des Monats von einer Serie von Attentaten erschüttert worden war. Text und Fotos: Dr. Philippe Rusca, SSO-Abgeordneter bei der FDI Das Weltparlament der Zahnärzte ver- sichtlich in die Zukunft blicken. Der sammelte sich vom 22. bis 25. Septem- Franzose Patrick Hescot, ehemaliger REPORT ON FDI PROJECTS ber im International Trade & Exhibition Generalsekretär der ADF (Association –– Vision 2020 Center (BITEC) im Südosten von Bang- Dentaire Française) und Organisator des –– Oral Health Atlas & Data Hub kok. Es ist mit dem «Skytrain» nur etwa ADF-Kongresses in Paris, wurde zum –– Collaborative Practice 35 Minuten vom Stadtzentrum entfernt. neuen Präsidenten der FDI ernannt, und –– World Dental Development Fund An dem Ort, an dem auch der Kongress die Amerikanerin Kathryn Kell (Schatz- –– World Oral Health Day selbst stattfand, wurden im gleichen meisterin der FDI) wurde President- –– Development Projects Zeitraum zahlreiche Sitzungen (von re Elect. Hervorzuheben ist, dass mit dieser –– Observatory gionalen Organisationen, wissenschaftli- Ernennung erneut ein Europäer an der –– Brush Day and Night chen Ausschüssen, den NLO, d.h. natio- Spitze der Weltorganisation der Zahnärzte –– Caries Initiative Partnership nalen Verbindungsbeauftragten, usw.) steht. –– Smile around the world –– Ageing population organisiert. An den Sitzungen des Weltparlaments –– International Dental Journal (IDJ) Die FDI erholt sich allmählich von wurden zahlreiche Projekte und Berichte –– Global Continuing Education Programme schweren Krisen und kann nun zuver- vorgestellt: Junge Zahnmediziner zeigten grosses Interesse für die präsentierten Neuheiten. SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1375 Weitere Informationen sowie die neu gefassten Beschlüsse finden sich unter: www.fdiworldental.org Ein enormer Andrang Der Annual World Dental Congress, AWDC, begann mit der traditionellen und farbenfrohen Eröffnungszeremonie, welche die lokale Folklore in Szene setzte und die immer ein Publikumsmagnet ist. Der wissenschaftliche Kongress erreichte mit seinen 8000 Teilnehmern (rechnet man alle Formen der Teilnahme zusam- men, kommt man sogar auf 15 860), da- von 54 aus der Schweiz, durchschnitt liche Besucherzahlen. Bei den internationalen Referenten war die Schweiz mit drei Personen vertreten: Urs Brodbeck, Sigrun Eick und Ivo Krejci. Einmal mehr ist festzuhalten, dass ein enormer Andrang bestand und die Hör säle bei jeder Präsentation gut gefüllt waren. Die jungen Kliniker – Männern wie Frauen – zeigten grosses Interesse an den international renommierten Referenten. Der nächste Kongress der FDI wird wesentlich näher an der Schweiz statt finden, nämlich im polnischen Posen. Auf der offiziellen Website sind bereits zahlreiche Informationen zu finden: www.fdi2016poznan.org Der neue FDI-Präsident Dr. Patrick Hescot und Vize-Präsidentin Dr. Kathryn Kell Die Schweizer Delegation von rechts: Beat Wäckerle, Oli Zeyer, Monika Lang und Philippe Rusca SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1377 MEDIZIN Die Erkenntnisse der drei diesjährigen Preis- Nobelpreis träger haben die Behandlung von Menschen Medizin 2015 mit Parasitenkrankheiten grundlegend geändert: Flussblindheit und lymphatische Filariose könnten bald ausgerottet sein, und viele Menschen mit Malaria können heute geheilt werden. Text: Felicitas Witte, Ärztin und Journalistin Grafiken: Emanuele Fucecchi Ihr Tagesablauf in Afrika habe sie so be- Landes, forscht über Tuberkulose und «Eine richtige und mutige Entscheidung» schäftigt, erzählt Amrei von Braun, dass HIV und bildet junge ugandische Ärzte, Drei Wissenschafter wurden dieses Jahr sie überhaupt nicht darüber nachgedacht Laboranten und Medizinstudierende geehrt: Der US-Amerikaner William habe, dass jetzt im Herbst wieder der fort. «Ich finde super, dass dieses Jahr C. Campbell und der Japaner Satoshi Nobelpreis für Medizin verliehen werde. Wissenschafter ausgezeichnet wurden, Ōmura für ihre Entdeckung des Anti- «Ich habe mich dann total gefreut, dass die sich mit Krankheiten armer Men- wurmmedikaments Avermectin (Abb. 1) eine Forschung honoriert wurde, die Tau- schen beschäftigten», sagt von Braun. und die Weiterentwicklung zum wirk senden von Menschen pro Jahr das Leben «Die Betroffenen haben keine gute sameren Arzneimittel Ivermectin teilen rettet», sagt die Ärztin. «Die drei For- Lobby – die Forschung interessiert sich sich den Preis mit der Chinesin Youyou scher haben den Preis mehr als verdient.» für sie kaum.» Insbesondere Wurminfek- Tu (Abb. 2), die nach jahrelangen Bemü- Amrei von Braun ist Assistenzärztin in der tionen, die zu den «vernachlässigten hungen das pflanzliche Malariamittel Klinik für Infektiologie am Unispital Zü- tropischen Krankheiten» gehören, fän- Artemisinin isolieren konnte. Ivermectin rich und arbeitet seit anderthalb Jahren in den nicht genügend Beachtung durch wird seitdem erfolgreich gegen die tro- Uganda im Rahmen eines Kooperations- Regierungen, Industrie, Wissenschaft pischen Wurmkrankheiten Flussblind- projektes zwischen der Uni Zürich und und Medien. «Viele Menschen in den heit und Elephantiasis eingesetzt, sodass der Makerere Uni in Kampala. Im Mulago Industrieländern haben vermutlich durch die Krankheiten bald ausgerottet sein National Hospital betreut sie Patienten in die Preisverleihung erstmals von diesen könnten. Artemisinin gehört heute einer der grössten HIV-Ambulanzen des Krankheiten erfahren.» zu den Standardmedikamenten gegen Abb. 1: Der US-Amerikaner William C. Campbell (links) und der Japaner Satoshi Ōmura (rechts) entdeck- Abb. 2: Die Chinesin Youyou Tu isolierte das pflanz- ten des Antiwurmmedikament Avermectin und entwickelten es zum wirksameren Ivermectin um. Dies liche Malariamittel Artemisinin. Es gehört heute wird seitdem erfolgreich gegen die tropischen Wurmkrankheiten Flussblindheit und Elephantiasis ein- zur Standardtherapie gegen die häufigste tödliche gesetzt. Tropenkrankheit. SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
1378 ZAHNMEDIZIN AKTUELL alaria, die häufigste tödliche Tropen- M cin als wirksames Medikament gegen die Menschen nicht mehr arbeiten kön- krankheit. Tuberkulosebakterien. nen. «Das beeindruckende an den drei Preis- Doch gegen parasitäre Erkrankungen gab Onchozerkose, die Flussblindheit, kommt trägern ist, dass sie früh und klar erkannt es lange Zeit keine wirksamen Behand- vor allem im tropischen Afrika vor, da haben, was für ein Potenzial in ihren Ent- lungen, oder sie hatten zu viele Neben- neben auch im Jemen und in Mittel- und deckungen steckt», sagt Christoph Hatz, wirkungen. Infektionen mit Parasiten ge- Südamerika. 25 Millionen Menschen Chefarzt des Schweizerischen Tropenins- hören immer noch zu den Krankheiten, sollen weltweit infiziert sein, mehr als tituts. «Ich wagte nicht, davon zu träu- welche die Lebensqualität extrem beein- 300 000 sind deshalb erblindet. Der men, dass eine Forschung über Parasiten- flussen. Malariapatienten werden immer Mensch infiziert sich durch den Stich krankheiten und dann auch solche, die wieder von hohem Fieber geschüttelt von Kriebelmücken (Abb. 4), mit dem vor allem die ärmsten Länder betreffen, oder haben ein hohes Risiko, an der In- Blut der Mücke gelangen die Wurmlarven geehrt würde.» Als Hatz von dem Preis fektion zu sterben. Wurmkrankheiten (Mikrofilarien) in den Menschen. erfuhr, habe er gedacht: «Wow, da hat wie die Onchozerkose lassen Menschen Die Mücken brüten in rasch fliessenden das Nobelkomitee eine richtige und mu erblinden, und bei der Elephantiasis Flüssen auf Wasserpflanzen, deshalb er- tige Entscheidung getroffen.» schwellen Beine oder Arme wie bei dem kranken vor allem Bewohner von Fluss- Mikrobazillen haben Menschen jahrhun- grauen Dickhäuter entstellend an. Tau- gebieten. Die meisten Symptome entste- dertelang viel zu früh sterben lassen. Erst sende von Menschen litten unter diesen hen durch die Mikrofilarien, die in die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Parasitenkrankheiten, was in Dutzen- Haut und das Gewebe am Auge wandern. gelang es Forschern, wirksame Medika- den verlorener Lebensjahre resultierte Es juckt an der Haut, später kann es zu mente gegen Bakterien zu entwickeln: (Abb. 3). Das änderte sich deutlich durch Hyper- oder Hypopigmentierung kom- Gerhard Domagk entdeckte die Sulfona- die Entdeckungen der drei diesjährigen men und zu einer chronischen, papu mide und bekam dafür 1939 den Nobel- Nobelpreisträger. lösen, schuppenden Dermatitis. In den preis, Alexander Fleming fand kurze Zeit Mehr als eine Milliarde Menschen auf der Augen lösen die Mikrofilarien eine akute später Penicillin. Ernst Chain und Howard Welt sind mit Faden- oder Rundwürmern oder chronische Konjunktivitis aus, Kera- Flory isolierten den aktiven Wirkstoff und (Nematoden) infiziert wie Ascaris, Ancy- titis oder Chorioretinitis. Wird die On- bewiesen, dass man damit bakterielle In- lostoma, Trichuris, Filaria, Onchocerca, chozerkose dann nicht behandelt, kön- fektionen bekämpfen kann. Dafür wur- Strongyloides oder Loa Loa. Die Wurm nen die Augen so geschädigt werden, dass den sie 1945 mit dem Nobelpreis geehrt. infektionen betreffen viel mehr arme die Betroffenen erblinden. Die infektiösen Den bekam 1952 auch Selman Waksman. als reiche Menschen, sie schränken die Larven reifen während ihrer monatelan- Er isolierte Streptomyces-Bakterien aus Lebensqualität ein und beeinflussen das gen Wanderung durch den Menschen. Die dem Boden und entdeckte so Streptomy- ökonomische Wachstum der Länder, weil erwachsenen Würmer siedeln sich gerne Abb. 3: Der diesjährige Nobelpreis in Medizin ehrt Forschung über Krankheiten, die zu entstellendem Aussehen oder Blindheit führen oder viele Menschen sterben lassen: Lymphatische Filariose (Elephantiasis), Onchozerkose (Flussblindheit) und Malaria. Die Krankheiten kommen in ähnlichen Regionen auf der Welt vor (rot). SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1379 sich über Jahre oder Jahrzehnte. Die erwachsenen Würmer leben in Lymph- knoten oder Lymphgängen und können dort schwere Schäden verursachen. Die Würmer liegen paarweise verknäuelt in Lymphknoten und -gefässen, gerne im Bauch und in Beinen. Bei den Betroffenen entzünden sich immer wieder Lymph- knoten und Gefässe, verbunden mit Fie- ber. Durch die chronischen Schäden staut sich die Lymphe, und Bein oder Hoden schwellen massiv an – daher der Name «Elephantiasis». «Das ist ziemlich ent- stellend», erzählt von Braun. «Die Pa tienten leiden verständlicherweise sehr darunter.» Manche Patienten bekommen zusätzlich ein tropisches pulmonales Eosinophilie-Syndrom mit nächtlichen Asthmaanfällen, einer chronischen in- terstitiellen Lungenerkrankung und Fieberschüben. Auch die Filariose wird durch Nachweis der Mikrofilarien im Blut diagnostiziert. Das RKI empfiehlt als The- rapie Diethylcarbamazin, das gegen er- wachsene Würmer und Mikrofilarien wirkt. Allerdings sprechen einige Patien- Abb. 4: Entwicklungszyklus der Onchozerkose-Erreger. Mit dem Stich der Kriebelmücke (1) gelangen ten auf die Therapie nicht an. Alternativ Wurmlarven in den Körper des Menschen (2). Dort entwickeln sie sich zu erwachsenen Würmern, die rät das RKI zur Kombi-Therapie aus Mikrofilarien produzieren (3). Mit einem nächsten Mückenstich gelangen die Larven in die Mücke (4). Aus dem Blut der Mücke bohren sich die Larven in den Darm (5) und von dort in den Kopf der Mücke. Doxycyclin und Ivermectin. Mit der nächsten Blutmahlzeit werden die Larven wieder übertragen. Bakterienstamm am Golfplatz Die Entdeckung von Ivermectin geht im subkutanen Gewebe an. Dort knäueln den durch verschiedene Mückenarten zurück auf den damaligen Chef-Mikro- sich die Würmer zusammen, kapseln sich übertragen. Die Mikrofilarien verursa- biologen der Pharmafirma Merck Sharp ab, und es entstehen gut verschiebbare chen vor allem in der Haut entzündliche & Dohme. 1972 reiste H. Boyd Woodruff und harte sogenannte Onchozerkome. Reaktionen, die Symptome entwickeln zum Kitasato Institut nach Japan, um Diese entwickeln sich bei Patienten in Afrika meist im Becken, bei denen in Amerika eher im Kopf- und Thoraxbe- reich. Die erwachsenen Würmer (Makro- filarien) leben etwa zehn Jahre. Bedeu- tend für die Gesundheit des Patienten sind weniger die Onchozerkome, sondern die Schäden der Mikrofilarien in seinen Augen und in der Haut. Die Mikrofilarien werden durch eine Hautbiopsie nachge- wiesen. Als Standardtherapie empfiehlt das Robert-Koch-Institut in Berlin Iver- mectin in Kombination mit dem Antibio- tikum Doxycyclin. Ivermectin tötet die Mikrofilarien, aber nicht die erwachsenen Würmer – deshalb das zusätzliche Anti- biotikum. Die Onchozerkome müssen manchmal operativ entfernt werden. Paarweise verknäuelt im Lymphknoten Die lymphatische Filariose ist eine Infek- tion des Lymphsystems mit Fadenwür- mern der Familie Filariodidea, also Wu- Abb. 5: Der japanische Mikrobiologe Satoshi Ōmura isolierte neue Streptomyces-Stämme und kultivierte sie erfolgreich im Labor. Von Tausenden von Streptomyces-Kulturen suchte er die 50 aus, von denen chereria bancrofti, Brugia malayi oder Brugia er sich erhoffte, dass sie antimikrobielle Substanzen herstellen könnten. Schliesslich fand er 1979 den timori. Mehr als 120 Millionen Menschen Stamm Streptomyces avermitilis im Boden in der Nähe eines Golfplatzes im japanischen Ito, der gut sind weltweit infiziert. Die Parasiten wer- gegen Keime wirkte. SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015P
1380 ZAHNMEDIZIN AKTUELL neue antimikrobielle Wirkstoffe zu fin- s uchte er die 50 aus, von denen er sich ser wirkte. 1982 führte der Arzt Moham- den. Woodruff hatte gehört, dass der Mi- erhoffte, dass sie antimikrobielle Subs- med Aziz, der ebenfalls bei der Firma ar- krobiologe Satoshi Ōmura ein Spezialist tanzen herstellen könnten. Schliesslich beitete, erste Studien bei Patienten mit auf diesem Gebiet war. Ōmura forschte fand er 1979 den Stamm Streptomyces Flussblindheit durch. Die Ergebnisse wa- vor allem über Streptomyces-Bakterien, avermitilis im Boden in der Nähe eines ren beeindruckend: Nach nur einer Dose die in der Erde gefunden werden. Diese Golfplatzes im japanischen Ito, der gut verschwanden die Mikrofilarien komplett haben eine grosse antibakterielle Aktivi- gegen Keime wirkte (Abb. 5). oder nahezu vollständig. Auch bei Parasi- tät, wie schon der Nobelpreisträger Sel- William Campbell arbeitete ebenfalls in teninfektionen mit dem Wurm Wucheria man Waksman festgestellt hatte. Es war dem Forschungsinstitut und identifizierte bancroftii wurden die Mikrofilarien ähn- aber ziemlich schwierig, die Bakterien im gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas lich gut beseitigt. Bis 2012 hatten mehr als Labor zu züchten – die Forschung ging Miller den aktiven Wirkstoff, nämlich 200 Millionen Patienten Ivermectin er- nur schleppend voran. So bat Woodruff Avermectin. Campbell bewies zunächst in halten, für Zeiträume zwischen einem um eine Kooperation zwischen Ōmura Mäusen mit Fadenwurminfektion, später und 25 Jahren. Nach dem Plan der Welt- und dem Forschungsinstitut der Pharma- in grösseren Tieren, dass der Streptomyces gesundheitsorganisation sollen die beiden firma. Ōmura war einverstanden, isolierte avermitilis-Stamm erfolgreich Parasiten Krankheiten bis spätestens 2025 ausge- neue Streptomyces-Stämme und kulti- tötete. Der Wissenschafter änderte Aver- rottet sein – das könnte jetzt realisierbar vierte sie erfolgreich im Labor. Von mectin durch chemische Umwandlung in sein. «Früher haben wir Flussblindheit Tausenden von Streptomyces-Kulturen den Stoff Ivermectin, welcher noch bes- und Elephantiasis mit mehreren Medika- SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1381 menten über Wochen behandeln müs- ber, Kopf- und Gliederschmerzen und die Ein Malariamedikament auf der Basis eines sen», erzählt Hatz. «Abgesehen von den Betroffenen fühlen sich müde und abge- chinesischen Krautes Nebenwirkungen war es für die Patienten schlagen. Oft hält man die Beschwerden Weil Malaria so viele Menschen dahinrafft, schwierig bis unmöglich, die Medika- für einen grippalen Infekt oder eine Ma- haben Wissenschafter schon seit länge- mente regelmässig und so lange zu neh- gen-Darm-Infektion. Je nach Art der rem intensiv darüber geforscht. Das hat men.» Plasmodien kann Malaria zu regelmässi- zu verschiedenen Nobelpreisen geführt, Malaria wird durch Parasiten der Gattung gen Fieberschüben alle drei oder vier Tage etwa 1902 für Ronald Ross, der nachge- Plasmodien übertragen, die Keime gelan- führen, oder zu unregelmässigen Fieber- wiesen hat, dass Malaria durch Mücken gen mit dem Stich einer Anopheles-Mü- Attacken. Malaria tertiana und quartana übertragen wird. Oder für Charles Laver- cke in den Menschen (Abb. 6). tertiana – hervorgerufen durch P. vivax, an, der 1907 Parasiten in den Blutzellen Es ist eine der gefährlichsten Tropen- P. ovale beziehungsweise P. malaria – ver- von Malariakranken identifizierte. Der krankheiten. Weltweit sterben pro Jahr laufen milder, und nur selten tödlich. Bei Schweizer Chemiker Paul Hermann Müller rund 600 000 Menschen an Malaria, etwa Malaria tropicana, ausgelöst durch. P. fal- bekam den Preis 1948, weil er entdeckte, drei Viertel von ihnen sind Kinder unter ciparum, kommt es zu einem schweren dass das Pflanzenschutzmittel DDT Mü- fünf Jahren. Malaria bekommen vor allem Krankheitsbild mit Vergrösserung von cken tötete. Gemeinsam mit dem gerade Leute in Afrika, Asien und Südamerika, Milz und Leber, Nierenversagen, Kreis- entwickelten Chloroquin wollte man end- wobei am häufigsten Menschen in Afrika laufkollaps oder Krämpfen. Unbehandelt lich Herr über die Malaria-Epidemie wer- betroffen sind. Malaria beginnt mit Fie- stirbt jeder fünfte. den. Nach einigen Jahren merkten die Forscher aber, dass die Mücken resistent gegen DDT wurden, und auch die Plas- modien sprachen nicht mehr gut auf Chloroquin an. Die Chinesin Youyou Tu suchte im Bereich der traditionellen chi- nesischen Medizin (TCM) nach Alternati- ven – dort musste es etwas geben, denn die TCM behandelt schon seit Jahrtausen- den Menschen mit Fieber. Tus Team fiel auf, dass die Pflanze Artemesia annua in Hunderten von Rezepten der TCM ver- wendet wurde. Die Forscher testeten einen Extrakt dieser Pflanze und sahen: Damit liessen sich Plasmodien in ihrem Wachstum hemmen. Tu sah aber, dass die Wirksamkeit ziemlich schwankte. So stu- dierte sie noch einmal die alten Rezepte. In einem aus dem Jahre 340 nach Christus las sie, dass die Heiler damals kaltes Was- ser für den Extrakt verwendet hatten und nicht wie zu Tus Zeiten üblich mit ko- chendem. So verwendete Tu einen kalten Alkoholextrakt, und in Versuchen mit Mäusen und Affen starben damit hundert Prozent der Plasmodien. Ermutigt testete Tu die Pflanze bei Malariapatienten und sah, dass das Fieber zurückging und die Zahl von Parasiten im Blut abnahm. Das Forscherteam isolierte schliesslich die aktive Substanz, Artemisinin, und einige Abb. 6: Der Lebenszyklus des Malaria-Parasiten. Eine weibliche Anopheles-Mücke nimmt aus dem Blut des Menschen Gametozyten auf (1). In der Mücke befruchten sich die Gametozyten (2) und bekommen Nachfahren (Oozysten, 3). Diese set- zen Sporozoiten frei (4), die mit einem Mücken- stich in das Blut gelangen (5). Die Sporozoiten dringen in Leberzellen ein und vermehren sich dort ungeschlechtlich (6). Deren Nachkommen (Merozoiten) befallen die roten Blutkörperchen (7), vermehren sich weiter, und aus einigen Mero zoiten entstehen männliche und weibliche Game- tozyten (8). Werden diese von einer Mücke auf genommen, können sie sich wieder vermehren – der Zyklus ist geschlossen. SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
1382 ZAHNMEDIZIN AKTUELL Abb. 7: Mit Artemisinin ging die Mortalität der Malaria um mehr als die Hälfte zurück. Die klassische Extraktion ist teuer und aufwendig. Seit einigen Jahren kann man Artemisinin synthetisch in Hefezellen herstellen. Jahre später kam eine neue Klasse von «Die Entdeckung von Artemisinin war zehn Jahre eine Resistenz, und man för- Malariamedikamenten auf den Markt. Die ein Durchbruch, weil es rascher und auf dert das noch, wenn so viele Menschen Herstellung von Artemisinin ist teuer und alle Stadien des Parasiten wirkt», sagt der Malariamedikamente in geringer Dosie- dauert lange. 2013 gelang es, das Medika- Tropenmediziner Hatz. rung einnehmen», sagt Hatz. «Resis- ment semisynthetisch in Hefezellen her- Die Erkenntnisse der drei Forscher haben tenzentwicklungen können wir aber zustellen (Abb. 7). In Kombination mit die Behandlung von Menschen mit Para- verhindern mit mindestens zwei Kom Mückenbekämpfungsmassnahmen und sitenkrankheiten grundlegend geändert: binationen von Malariamitteln – eine anderen Malaria-Medikamenten redu- Flussblindheit und lymphatische Filariose Monotherapie mit Artemisinin darf nie zierte Artemisinin die Mortalität der Ma- könnten bald ausgerottet sein, und viele erlaubt werden.» Die zunehmende Resis- laria weltweit um fast die Hälfte zwischen Menschen mit Malaria können heute ge- tenz habe damals kurz vor Entdeckung 2000 und 2013. Während 2000 noch heilt werden. «Wir dürfen uns aber nicht von Artemisinin die Welt in die grauen- 173 Millionen Menschen erkrankten, auf den Erfolgen ausruhen», sagt Hatz. volle Lage versetzt, eine Krankheit, wel- waren es 2013 128 Millionen. «Plasmodien entwickeln über fünf bis che ganze Kontinente bedroht, nicht mehr vernünftig behandeln zu können, sagt die Ärztin Amrei von Braun. «Ich fürchte, wir sind noch weit weg von der Ausrottung der Malaria. Politische Un ruhen und andere Katastrophen, die zu Armut und Unsicherheit führen, bieten einen ständigen Nährboden für Malaria. Vielleicht werden wir erst mit einem Impfstoff die Seuche wirklich bekämpfen können.» Literatur –– Informationen vom offiziellen Internetauftritt des Nobelpreises: www.nobelprize.org –– Robert-Koch-Institut in Berlin mit vielen Infos zu Infektionskrankheiten: www.rki.de –– Schweizerisches Tropeninstitut: www.swisstph.ch/de –– Nord-Süd-Kooperationsprojekt zwischen Unispital Zürich und Makerere Universität in Uganda: www.uzh.ch/news/articles/2014/ symposium-uganda.html SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1383 M E D I Z I N - U P DAT E Ein Drittel der Demenzen lässt sich mit Dem geistigen einer Änderung des Lebensstils vermeiden. Verfall vorbeugen Den grössten Einfluss hat körperliche Bewegung. Text: Felicitas Witte, Ärztin und Journalistin Grafik: Emanuele Fucecchi Mehr als 100 000 Menschen in der Schweiz haben eine Demenz, 2060 sollen es drei- mal so viele sein. «Viele Demenzformen kann man leider nicht verhindern», sagt Hans Jung, leitender Arzt für Neurologie am Unispital Zürich. «Aber mit einem gesunden Lebensstil kann man sein Risiko senken.» Je älter man wird, desto grösser das Risi- ko: Während von den 65- bis 69-Jährigen jeder Fünfzigste erkrankt ist, ist es bei den 80- bis 84-Jährigen jeder Achte. Eine Handvoll von Genmutationen wird bei Demenzkranken häufiger gefunden. «Aber auch wenn man die Mutation hat, heisst das noch lange nicht, dass die De- menz ausbricht», sagt Jung. «Einen Gen- test empfehle ich, wenn Familienmitglie- der früh an Demenz erkrankt sind.» Ein Drittel der Demenzfälle lässt sich auf Faktoren zurückführen, die jeder selbst ändern kann. Dies fanden im vergangenen Jahr Forscher aus Grossbritannien und den USA heraus.1 Sieben Risikofaktoren iden- «Wir haben hierzu noch zu wenig Daten. «Mangelnde Bildung ist ein Faktor, der tifizierten die Wissenschafter, die das Risi- Wichtig ist, dass man sich überhaupt be- alle anderen verstärkt.» ko um bis zum 1,8-Fachen erhöhten: zu wegt», sagt Jung. Gleichzeitig sei natür- Dass eine Änderung des Lebensstils wenig körperliche Bewegung, Bluthoch- lich wichtig, die anderen Risikofaktoren das Demenzrisiko senken kann, zeigten druck, Übergewicht, Depressionen, Rau- zu reduzieren. «Diabetes, Bluthoch- kürzlich Forscher aus Skandinavien.2 chen, Diabetes und zu wenig Zugang zu druck, Rauchen und Übergewicht führen 1260 Menschen zwischen 60 und 77 mit Bildung. Würden weltweit 20 Prozent we- zu Arteriosklerose, auch im Hirn», sagt erhöhtem Risiko für eine Demenz sollten niger Menschen diese Risikofaktoren auf- Jung. «Das stört die Durchblutung, und für zwei Jahre entweder einem Programm weisen, würden bis 2050 15 Prozent weni- die Nervenzellen degenerieren früher.» mit Diät, körperlicher Bewegung, Kon- ger an einer Demenz erkranken – das Warum Depressionen und mangelnde Bil- trolle kardiovaskulärer Risikofaktoren wären 16,2 Millionen. Den grössten Ein- dung das Risiko erhöhen, ist noch nicht und kognitivem Training folgen oder wie fluss hatte in den Studien körperliche geklärt. «Menschen, die eine Veranlagung bisher leben. Die Leute mit der Lebens Bewegung. «Sport wirkt wie eine Verjün- zur Demenz haben, könnten auch eine stiländerung schnitten danach in neuro gungskur auf Nervenzellen und Blutgefäs- Veranlagung zu Depressionen haben», psychologischen Tests besser ab – ihre se», erklärt Jung. «Die Nerven altern nicht vermutet Jung. Es könne aber auch sein, kognitive Leistung hatte sich gebessert. so schnell, und die Blutgefässe bleiben dass die Demenz eine Depression auslöse, «Es ist nie zu spät, sein Leben zu ändern», länger glatt und elastisch, sodass das Hirn denn beide Krankheiten träten oft gleich- sagt Jung. «Ausserdem senkt man damit gut durchblutet werden kann.» zeitig auf. Menschen mit einem geringen nicht nur das Risiko für eine Demenz, Wie viel man sich bewegen muss, ist in Bildungsgrad, erzählt Jung, seien öfter sondern auch für Herzinfarkt und Schlag- den Studien nicht definiert. In manchen übergewichtig und rauchten, hätten häu- anfall.» ist von 30 Minuten Gehen oder Treppen- figer einen unbehandelten Diabetes oder steigen pro Tag die Rede, in anderen von Bluthochdruck und legten weniger Wert 1 Lancet Neurol 2014; 13: 788–794 dreimal pro Woche intensiv Sport treiben. auf gesunde Ernährung oder Sport. 2 Lancet 2015; 385: 2255–2263 SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
1384 ZAHNMEDIZIN AKTUELL ONLINE Seit 2015 gibt es eine neue App zum Thema iPhone-, iPod- und iPad- Brustkrebs, die auf jedes Smartphone Apps für Zahnärztinnen weiblicher Benutzer gehört. und Zahnärzte Text und Bilder: Andreas Filippi Die Apple Watch ist seit einem halben stelle und die am Anfang noch erforder heit auch jüngere Frauen: 20 Prozent Jahr in der Schweiz erhältlich und mit lichen Adapter gewöhnt man sich sehr aller Patientinnen sind zum Zeitpunkt ihr bereits das zweite Betriebssystem schnell, der Monitor ist exzellent, der der Diagnose jünger als 50 Jahre. Grund watchOS 2. Dieses verfügt über zahlrei- Akku hält ewig, und er wiegt praktisch genug, solche Apps auf seinem iPhone che integrierte und externe Apps, und es nichts mehr. oder iPad zu haben. Vor allem wenn ist sehr eindrücklich, zu beobachten, wie Bereits in Teil 12 dieser Kolumne (erschie-sie gut gemacht sind. In Teil 12 dieser Apple dies umgesetzt hat und wie gut das nen im Januar 2015) wurde über Apps Kolumne wurde diesbezüglich die App alles funktioniert. Auch der Uhrendeal berichtet, die sich mit medizinischer «YMR» vorgestellt, die sehr gut und vor mit einem Hersteller von Luxusproduk- Vorsorge beschäftigen (Brustkrebs, Haut- allem sehr ansprechend ist. Allerdings ten ist sicher clever. Daneben gibt es seit krebs). In der aktuellen Ausgabe soll die- ist sie auf Englisch, was vielleicht nicht September die iPhones 6S und 6S Plus ses Thema erneut aufgegriffen werden. jeder Benutzerin zusagt. Seit 2015 gibt mit dem sehr gut funktionierenden 3-D- es eine neue Brustkrebs-App aus der Touch-Display und der wirklich hervor- Teil 21 – Brustkrebsvorsorge Schweiz, die ebenfalls sehr gut und ragenden Kamera sowie das iPad Pro, für Das Mammakarzinom ist der häufigste ansprechend gemacht ist, «Brust- das abzuwarten bleibt, wie gut es bei den maligne Tumor bei Frauen. In der Schweiz Selbstcheck» (Abb. 1). Das Menü der Kunden ankommt, da es praktisch die erkranken nach Angaben der Homepage App (Abb. 2) enthält Videos über die gleiche Monitorgrösse hat wie das eben- der Krebsliga Schweiz (krebsliga.ch) lokale Anatomie, Tipps für den Selbst- falls erst 2015 auf dem Markt gebrachte pro Jahr etwa 5500 Frauen. Obwohl das check sowie Informationen über die MacBook. Für den Autor das beste Apple- Brustkrebsrisiko nach dem 50. Lebens- Mammografie (Abb. 3, die Idee mit Laptop ever: An die USB-3.1-Schnitt jahr deutlich ansteigt, betrifft die Krank- der Lupe ist sehr gut umgesetzt) und 1 2 3 SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1385 Und zum Jahresende noch etwas zum Thema Spiele: Wer zu Hause 6- bis 14-jährige Kinder hat und beim Früh- stück, Mittagessen und/oder Nachtessen Begriffe hört wie Heilerin oder Heiltrank: Das hat nichts mit Medizin zu tun (ALLE betroffenen Eltern wissen, wovon ich hier spreche, denn die Väter spielen es auch). Wenn Sie also Golem, Lavahund, Walkü- re, Infernoturm oder Mauernbrecher nicht mehr hören können, sollten Sie Ihren Kindern die App The Room Two auf deren iPods, iPads oder iPhones installie- ren – für den Autor das mit Abstand beste Spiel des Jahres 2015 (Abb. 6–8). Grafisch sehr gut gemacht, endlich mal kein Ego- Shooter-Spiel, Clan-Fight-Game oder Sims-Klon, sondern eine Art Schatzsuche mit vielen kleinen Aufgaben, die von Raum zu Raum immer schwieriger wer- den. Solche Spiele können nicht kosten- frei sein: Der Programmieraufwand ist enorm hoch, und das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen. Die Sprache lässt 4 5 sich einstellen. In diesem Sinne: frohe Festtage und ein gesundes Jahr 2016! die Ultraschalluntersuchung (Abb. 4). Gruppe «Brust-Selbstcheck» erstellt. Literatur Über einen Timer kann man sich an den enau so muss eine App sein, um von G Filippi A: iPhone- und iPad-Apps für Zahnärzte, Quintessenz-Verlag (2013). Selbstcheck erinnern lassen (Abb. 5). Die den Frauen akzeptiert und genutzt zu Krebsliga Schweiz: www.krebsliga.ch/de/ kostenfreie App wurde von der Zürcher werden. uber_krebs/krebsarten/brustkrebs 6 7 Abb. 1: Brust-Selbstcheck: Startbildschirm Abb. 2: Brust-Selbstcheck: das Menü der App Abb. 3: Brust-Selbstcheck: Darstellung einer Mammografie (mit Lupenfunktion) Abb. 4: Brust-Selbstcheck: Darstellung einer Ultraschalluntersuchung Abb. 5: Brust-Selbstcheck: der Timer Abb. 6: The Room Two: Startbildschirm Abb. 7: The Room Two: Impression 1 Abb. 8: The Room Two: Impression 2 8 SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015P
1386 ZAHNMEDIZIN AKTUELL KO N G R E S S E / FAC H TAG U N G E N Kaum eine andere Disziplin ist von der tech- Neue Materialien in nischen Weiterentwicklung so stark betrof- der rekonstruktiven fen wie die rekonstruktive Zahnmedizin. Auf Zahnmedizin einige Aspekte sollte an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für rekon‑ struktive Zahnmedizin (SSRD) näher einge- gangen werden. Text und Fotos: Daniel Nitschke, Bonstetten Im Fokus der diesjährigen SSRD-Tagung standen vor allem Neuerungen im Be- reich der CAD/CAM-unterstützten Zahnmedizin. Der Fortschritt dieser Technik hält die rekonstruktive Zahnme- dizin bereits seit Jahrzehnten in Atem. Mittlerweile ist sie aus den meisten Pra- xen nicht mehr wegzudenken. Zu ver- heissungsvoll sind auch die Versprechen an die Zahnärzte: einfaches, sauberes Scanning statt mühsamer, zeitaufwendi- ger Abformungen mit plastischen Mate- rialien. Vor allem der Patient dürfte letzt- lich von der Weiterentwicklung dieser Technik profitieren: Die Behandlung wird angenehmer und im besten Fall auch günstiger. Während die Behand- lungsmethode für Einzelzahnrekonst- PD Dr. Ronald Jung (l.) mit Prof. Dr. Daniel Wismeijer (m) und Dr. Tim Joda ruktionen längst verbreitet ist, machen aufwendigere Konstruktionen noch den Knackpunkt aus. Doch einige der Vorträ- wenn es um die Forschung und Umset- Wismeijer äusserte die Vermutung, dass ge zeigten, dass beispielweise im Bereich zung in der digitalen Zahnmedizin geht. vor allem die Zahnärzte seiner Generation der Totalprothetik der Fortschritt kaum Somit kann er die Frage aus dem Zwi- über begrenztes Wissen bezüglich des noch aufzuhalten ist. schentitel für sich klar beantworten: digitalen «workflow» verfügen. Sie Der Präsident der SSRD, PD Dr. Ronald Jung, Ganz weit vorne! wüssten schlicht nicht, was eigentlich begrüsste die Anwesenden an diesem Wismeijer sprach zu Beginn seines Vortrags mit dem eingesendeten Abdruck passiert. Samstagmorgen. Er zeigte sich erfreut über Game-Changer in anderen Indus- Laut dem Referenten könne CAD/CAM über den Zuspruch: So waren alle Work- trien. Beispiele dafür seien Uber oder durchaus auch einen sozialen Aspekt ha- shops am Vortag ausgebucht, und auch Tesla. Diese Firmen hätten ihre Industrie ben. Vor allem der zahntechnische Teil die Teilnehmerzahl von 350 am Tag der gehörig «aufgemischt» und einen neuen sollte deutlich günstiger werden. Werde Vorträge war beachtlich. Für Ronald Jung Denkansatz bewirkt. Diese Art von Neue- dieser finanzielle Vorteil an den Patienten war es darüber hinaus die erste Jahresta- rungen gebe es jedoch in jeder Industrie – weitergegeben, können weniger finanz- gung als Präsident der SSRD. Er nutzte die auch in der Zahnmedizin. Der Referent kräftige Bevölkerungsschichten zukünftig Gelegenheit, sich für die positive Arbeits- sprach von einer kontrollierten Entwick- ebenfalls von rekonstruktiver Zahnmedi- atmosphäre im Vorstand zu bedanken. lung im Bereich CAD/CAM. Zahnärzte zin profitieren. und Zahntechniker sollen sich jedoch Es wurden jedoch auch einige Probleme «The game is changing! – Where are you?» bewusst sein, auf welchem Stand die angesprochen. So sei eines der grössten Sozusagen als «Headliner» bot die SSRD Entwicklung sei. Dieses Wissen stelle Probleme monolithischer Keramik nach Prof. Dr. Daniel Wismeijer von der ACTA- die Grundvoraussetzung dar. Sonst sei wie vor die Farbe. Sie könne mit aufwen- Universität in Amsterdam auf. Der Dok es kaum möglich, sowohl mental als auch digen, durch Zahntechniker gestaltete torvater von Präsident Jung ist europaweit technisch einigermassen auf dem neues- Farbkompositionen noch nicht mithal- einer der wichtigsten Ansprechpartner, ten Stand zu bleiben. ten. Doch auch hier sei man auf dem SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
ZAHNMEDIZIN AKTUELL 1387 richtigen Weg. Auch müsse die Nachhal- terialien immer noch essenziell, um ein damit setzte sich Prof. Dr. Jérôme Chevalier tigkeit der jetzigen Methode kritisch hin- ideales Ergebnis zu erzielen. Auch dürfen von der INSA in Lyon in seinem sehr inte- terfragt werden. Die aus einem Block ge- weder der Zeitaufwand noch die finan- ressanten Referat auseinander. schliffenen Rekonstruktionen würden so ziellen Investitionen eines digitalen Bisherige verblendete Keramikkonstruk- viel keramischen Abfall hinterlassen, dass Workflows unterschätzt werden. Ebenso tionen weisen sehr gute ästhetische Ei- hier dringend an Lösungen gearbeitet bedürfe es für einen digitalen Workflow genschaften auf. Nachteile sind jedoch im werden sollte. Ein Ansatz könnte der ohne Modelle speziell ausgebildeter aufwendigen Herstellungsprozess und in 3-D-Druck darstellen – übrigens auch Zahntechniker mit entsprechendem der Gefahr des Chippings zu finden. Hier in der Implantatproduktion. Zahnärzte 3-D-Vorstellungsvermögen. gab es Verbesserungspotenzial. Ein Lö- müssten darüber hinaus weiterhin ihre Pietrobon erklärte, dass der Zahnarzt si- sungsansatz wurde in der Verwendung Präparationen an die Schleifmaschine cher nicht alle zwei Jahre einen sechsstel- von monolithischen Zirkoniumdioxid- anpassen – genauer gesagt an die Schleif ligen Betrag für einen neuen digitalen Verbindungen gefunden. Versprochen hat instrumente. Auch hier gebe es Verbesse- Scanner ausgeben werde. Dies werde er man sich eine Zeit- und Kostenersparnis rungspotenzial. Es könne unter Umstän- höchstens von seinem Techniker verlan- sowie eine bessere Bruchresistenz. Damit den im laserbasierten Schleifprozess gen, weil Industrievertreter ihm einge das Material jedoch in der Medizin einge- liegen. Dieser erlaube deutlich filigranere redet haben, dass auf diese Weise die bes- setzt werden konnte, bedurfte es eines Arbeiten. Zum Schluss seines Referates ten Ergebnisse erzielt würden. Wichtig Eingriffs in der Phasentransformation. informierte Wismeijer die Hörer noch über sei also auch eine verantwortungsvolle Die Phasentransformation beim Herstel- ein neues Schleifzentrum an der deutsch- niederländischen Grenze. Dieses solle in der Zukunft Kronen für 80 € pro Stück anbieten. Das zeige: Die Industrie ist sich der Konkurrenz durch Chair-side-Schleif maschinen bewusst und hat den Kampf aufgenommen. Sind VMK-Rekonstruktionen verzichtbar? Mit dieser Frage beschäftigten sich Dr. Konrad Meyenberg und Nicola Pietrobon, Zahntechniker aus Zürich und speziali- siert auf ästhetische und implantatgetra- gene Rekonstruktionen. Dabei sollte der ursprüngliche Titel des Referates lauten: «Wann brauchen wir CAD/CAM- und wann VMK-Rekonstruktionen?» Die Re- ferenten waren jedoch unglücklich mit der Formulierung, da VMK-Kronen prin- zipiell immer verwendet werden können. Dr. Konrad Meyenberg (r.) und Nicola Pietrobon Konrad Meyenberg erklärte zu Beginn, dass 90 Prozent der täglichen Praxisarbeit nach wie vor analog bewältigt würden. Im Industrie. Sie müsse sicherstellen, dass lungsprozess geschieht sehr schnell und Prinzip komme es letztlich darauf an, der Zahntechniker mit einer grossen ge- führt zu einer grossen Volumenzunahme ob die Zahnmedizin der jeweiligen Praxis tätigten Investition über einen längeren (5%). Daher konnte das Material nicht resultat- oder prozessorientiert ist. Die Zeitraum arbeiten könne. gesintert werden, da die Konstruktion konventionelle Abformung sei für den wegen der im Abkühlprozess phasen- Zahnarzt schneller (obwohl diese Aussage Stärken und Schwächen von monolithischen transformationsbedingten Volumenzu- sicher nicht von jedem Zahnarzt bestätigt Zirkoniumdioxid-Verbindungen nahme regelrecht explodiert. Werde das werden würde). Für den Techniker sei der Zirkoniumdioxid ist ein junges Material. Zirkoniumdioxid aber mit bestimmten CAD/CAM-Prozess mit Zeitersparnis ver- Gerade einmal seit 40 Jahren wird es in- Ionen versetzt (Magnesium oder vor al- bunden. Bezüglich der Passgenauigkeit dustriell eingesetzt. In der Zahnmedizin lem Yttrium), könne die tetragonale Pha- seien beide Vorgehensweisen vergleich- ist seine Geschichte noch kürzer. Trotz- se stabilisiert werden. Dies geschieht bar. dem ist es aus dem praktischen zahn durch das Auftreten von Sauerstoff- Nicola Pietrobon erklärte daraufhin, dass medizinischen Alltag nicht mehr weg «Leerstellen» in der tetragonalen Phase. besonders bezüglich der ästhetischen zudenken. 15 000 bis 20 000 dentale Laut dem Referenten handele es sich da- Perfektion eine «individuelle Schichtung Zirkoniumdioxid-Konstruktionen wer- bei jedoch nur um eine «metastabile» aus der Tiefe» unabdingbar sei. Es gebe den jedes Jahr erstellt. Dentale Implantate Situation, welche in bestimmten Stress dabei sehr wohl einen Unterschied zwi- bestehen erst zu wenigen Prozent aus situationen wieder destabilisiert werden schen einer CAD/CAM-Konstruktion, diesem Material, es ist jedoch ein Anteil könne. Etwa wenn Sauerstoff an der Ober welche nach dem Schleifprozess noch von zehn Prozent im Jahr 2020 zu erwar- fläche erneut aufgenommen und die schnell bemalt werde, und einer profes- ten. Geschätzt wird Zirkoniumdioxid vor «Leerstelle» dadurch gefüllt wird. sionell geschichteten Keramikverblen- allem aufgrund seiner hohen Bruchfestig- Die Forschung bemühte sich nun, diesen dung. Generell sei das Handling der Ma- keit. Warum es diese Eigenschaft besitzt – als «Aging» bezeichneten Vorgang der SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 12 2015 P
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