TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
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SITION TRANSITION Publication Series for Participative Innovation and Transfer ISBN 978-3-00-067980-3 1 | 2021 Coworking statt Pendeln Handlungsempfehlungen und Praxisberichte 021
TRANSITION 1|2021 Coworking statt Pendeln Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Projekthomepage: Impressum https://co-win.de TRANSITION – Publication Series for Participative Band 1| 2021 der TRANSITION basiert auf den Ergebnissen des Projektes CoWin. Innovation and Transfer Das Modellprojekt „CoWin – Entwicklung und Erprobung eines mit ‚virtual reality- Band 1 | 2021: Coworking statt Pendeln Technologie’ gestützten Coworking-Modells für Berufspendler“ wird seit 2018 im Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Rahmen des Förderprogramms „Umbau 21 – Smart Region, Initiative zur Digitali- ISBN 978-3-00-067980-3 sierung der Emscher-Lippe-Region“ vom Land NRW gefördert Erscheinungsort: Gelsenkirchen Koordination und Kontakt: Modellpartner: Herausgeber: Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) e.V. Verlag: FIAP e.V. f iap V.i.S.d.P.: Dr. Rüdiger Klatt, Silke Steinberg Forschungsinstitut für innovative Arbeits- NewWorkLab im Bezugsadresse: FIAP e.V., Munscheidstraße 14, gestaltung und Prävention (FIAP) e.V. Wissenschaftspark Gelsenkirchen 45886 Gelsenkirchen Munscheidstraße 14, 45886 Gelsenkirchen Munscheidstraße 14, 45886 Gelsenkirchen Lektorat: Elisabeth Meyer Rüdiger Klatt Wolfgang Jung Layout: Q3 design GbR, Druck: print24.de, r.klatt@fiap-ev.de jung@wipage.de Abbildungen: FIAP e.V. (S. 2, S. 4, S. 5, S. 7, S. 8, S. 13, + 49 (0)209 - 319 981 74 +49 (0)209 - 167 1005 S. 14, S. 16, S. 18 zwei); Wissenschaftspark Gelsen- kirchen (S. 3, S. 25, S. 28, S. 35, S. 36); Adobe-Stock: Abdul Qaiyoom (S. 1, S. 11, S. 12), Sfio Cracho (S. 1, S. 24), MicroOne (S. 1, S. 6), Bro Vector (S. 17, S. 33); railwayfx (S. 20), Irina Strelnikova (S. 21, S. 36), Ilyes Designhaus Marl Das Projekt CoWin wird gefördert vom Laszlo (S. 21), Jürgen Priewe (S. 22), DmiT (S. 27), Friedrichstraße 30, 45772 Marl SurfupVector (S. 35); S.18 o.r., S. 19 aus Privatbesitz Nadja Kothe n.kothe@designhaus-marl.de + 49 (0)2365 - 85 66 505 2
Inhalt 2 Impressum 5 Editorial: Silke Steinberg, Rüdiger Klatt Arbeiten „auf Distanz“ 6 Rüdiger Klatt (Mitarbeit: Carla Lohre, Benjamin Wenderlich) „Coworking statt Pendeln“ Praxiserfahrungen aus dem Feldexperiment CoWin, FIAP e.V. 9 Interview mit Thorsten Urbanski (ESET, Head of Communication & PR DACH) über flexible Arbeit, virtuelle Unternehmen und Coworking „Wir brauchen einen Ort, wo wir uns physikalisch treffen!“ 13 Bernd Binzenbach Coworking – gut fürs Lernen 16 Elisabeth Meyer im Gespräch mit Petra Lukaschewski Coworking muss man sichtbar machen – Tipps einer Fachfrau für Social Media 18 Pro & Contra Coworking Statements Erfahrungen und Eindrücke im NewWorkLab 20 Stamatia Aidonidou, Romina Große, Silke Steinberg, FIAP e.V. Coworking – kulturelle Gestaltungsfacetten eines Denk- und Arbeitsstils in Europa 24 Rüdiger Klatt, Wolfgang Jung Dienstleistungen und Qualifizierungen für virtuelle Arbeit ko-kreativ entwickeln Plädoyer für ein transdisziplinäres Forschungslabor für Virtual Reality-Innovationen in der Arbeitswelt 28 Ilona Dierschke, Lisa Venhues (Effizienz-Agentur NRW) Arbeiten auf Distanz im Coworking-Space Erfahrungen aus der Teilnahme am Modellprojekt CoWin 30 Rüdiger Klatt Coworking statt Pendeln Die Handlungsempfehlungen des Modellprojektes für die Betreiber von Coworking-Spaces 34 Autorenhinweise Transition 1 | 2021 3
Arbeiten „auf Distanz“ 1 In dieser Ausgabe der Schriftenreihe Transition bilanzieren wir die Facetten, Ergebnisse und Spin- off-Projekte unseres Feldexperimentes CoWin, das sich seit über zwei Jahren im Auftrag des Wirt- schafts- und Digitalministeriums NRW mit der Weiterentwicklung des Arbeitsmodells Coworking (insbesondere) für Berufspendler/-innen beschäftigt. Es geht in diesem Projekt darum, Handlungsempfehlungen Mit bislang 49 Probanden aus 22 beteiligten Unternehmen, zu entwickeln, um das Geschäftsmodell Coworking so zu die an zwei Standorten des Modellprojektes (in Gelsenkir- gestalten, dass Berufspendler eine wohnortnahe Alternative chen und Marl) das digital unterstützte Coworking austes- zu ihrem Arbeitsplatz im Home-Office oder im Unterneh- teten, ob diese Thesen sich bestätigen, konnten wir ein dif- men haben. Unsere generelle These dabei: Digitalisierung ferenziertes, aber im Großen und Ganzen erfolgreiches und moderne Arbeitsprozesse machen es unnötig, die Ar- Experiment im Feld durchführen. Unsere Thesen wurden beit an einem „festen“ Arbeitsplatz auszuüben. Der Arbeits- weitgehend bestätigt – auch wenn sich im Einzelfall in ge- ort kann sich zunehmend den Bedürfnissen des Mitarbeiters nauerer Betrachtung spezifische unternehmensstrukturelle anpassen – und nicht umgekehrt – und so dem Unterneh- und -kulturelle sowie individuelle förderliche und hem- men und den Beschäftigten stressige Pendlerstrecken und mende Faktoren herauskristallisierten. Wir können mit Co- Ressourcen (vor allem teure und oft wenig genutzte Büro- Win nunmehr beschreiben, über welche Dienstleistungen flächen) ersparen. Gegenüber dem konkurrierenden Ar- die Coworking-Spaces verfügen müssen, um den Zielmarkt, beitsmodell Home-Office leistet Coworking – so unsere pendelnde Beschäftigte und ihre Unternehmen, wirklich These – dabei unter anderem einen Beitrag zur Förderung zu erreichen. sozialer Kontakte, zur Trennung von Arbeit und Privatem und es steigert die Arbeitsmotivation und Kreativität. Neben Eine zusätzliche Forschungsdimension des Projektes ist der klassischen Klientel, den Freelancern, Kreativen und die Analyse der Funktion des Konzeptes Coworking in Arbeitsnomaden wird Coworking für eine weitere Ziel- Deutschland und im europäischen Ausland und darauf auf- gruppe, die abhängig beschäftigten Angestellten und ihren bauend die Gestaltung neuer Coworkingkonzepte für he- Unternehmen, interessant. terogene Zielgruppen. Diese Forschungsdimension wird durch das internationale Netzwerk des FIAPs und seiner europäischen Projekte getragen. 1 Diese Ausgabe der FIAP-Schriftenreihe TRANSITION beruht auf Er- gebnissen des Modellprojektes CoWin: Entwicklung und Erprobung Im März 2020 traf die Corona-Krise auch unser Modellpro- eines ‚virtual reality’ gestützten Coworking-Modells für Berufspend- jekt unvorbereitet. Durch strenge Hygienekonzepte konnte lerInnen. Das Projekt CoWin wird seit Januar 2018 im Rahmen des Förderprogramms „Umbau 21 – Smart Region“: Initiative zur Digi- die Experimentierphase aber nach einer kurzen Unterbre- talisierung in der Emscher-Lippe- Region vom Land NRW gefördert. chung fortgesetzt werden. Neue Fragestellungen kamen 4
Editorial CoWin – Modellprojekt zur Entwicklung und Erprobung eines ‚virtual reality‘ gestützten Coworking-Modells hinzu, z. B. die Frage, wie wir die Coworking-Spaces auch Gemeinsam mit dem Wissenschaftspark Gelsenkirchen zie- gegenüber den Herausforderungen einer Pandemie krisen- len wir – nach einer hoffentlich erfolgreichen Implemen- fester machen können, wie Corona die Arbeitswelt insge- tierung der Idee: „Coworking statt Pendeln“ – auf die Ein- samt verändert, welche Bedeutung der Arbeitsort „Home- richtung eines Experimentierlabors für verteiltes Arbeiten Office“ gewinnt und welches Potenzial Coworking in der mit Hilfe von Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) Krise hat. und Mixed Reality (MR), in dem Unternehmen, Beschäftigte und innovative Dienstleister wirklich praktische Konzepte In unserem Feldexperiment ging es darum, zu untersuchen, für digitale und virtuelle Tools gemeinsam entwickeln. Wir wie durch Coworking neue individuelle und betriebliche begleiten zudem ein innovatives Start-Up bei der Entwick- Potenziale durch „Grenzüberschreitungen“ entfaltet werden lung einer Internet-Dienstleistung für flexible Nutzung von können. Coworking bedeutet: Kooperation, Kokreation, Zu- Büro- und Besprechungsräumen an jedem Ort. Und in un- sammenarbeit – nicht nur, aber vor allem „face-to-face“ seren internationalen Projekten nutzen wir VR/AR/MR, um mit neuen, heterogenen Partnern aus ganz anderen Zu- neue Train-the-Trainer-Konzepte und neue Formen der Be- sammenhängen. Betriebliche Beschäftigte sollen durch rufswahlorientierung zu entwickeln. Coworking neue Netzwerke bilden und neue Horizonte entdecken – für sich und für ihre Unternehmen. Die Unter- Die vorliegende Publikation versammelt die wesentlichen suchung dieser ersten Säule von CoWin wurde im Zusam- Erkenntnisse des Projektes und einige Spin-off-Aktivitäten menhang mit Corona nicht leichter. Es brauchte Strategien, in einer praxisorientierten Form und gibt praktische Hand- um im Open Office eine Balance von sozialer Distanz und lungsempfehlungen. Wissenschaftliche Veröffentlichungen kooperationsförderlicher Nähe aufzubauen, ohne die Ge- werden folgen. sundheit zu gefährden. Daran arbeiten wir auch aktuell noch weiter. Zu Wort kommen an dieser Stelle – neben unserem wis- senschaftlichen Projektteam – die beteiligten Coworker, Andererseits sollte CoWin aufzeigen – das war die zweite die Unternehmen und natürlich die Betreiber der beteilig- Säule im Projekt –, wie durch innovative digitale Dienst- ten Coworkingspaces. leistungen und Konzepte das Arbeiten „auf Distanz“ gestärkt und verbessert werden kann. Die Digitalisierung und Vir- Die Ergebnisse einer Corona-Sonderbefragung, die wir zu- tualisierung schaffen (z. B. mit Online-Konferenzen) neue sätzlich eingeschoben haben, geben erste Fingerzeige auf Möglichkeiten, die Arbeit zu den Menschen zu bringen – eine veränderte Normalität – auch in den Coworkingspaces und nicht die Menschen zur Arbeit. weltweit – die auf uns zukommt. Wo immer man arbeitet – ob im Home-Office, im Cowor- Als Wissenschaftler haben wir das Privileg, über das aktuelle kings-Space oder unterwegs: Der kompetente, sichere und Tagesgeschäft hinauszublicken und die längerfristigen routinierte Umgang mit digitalen Tools für das Arbeiten auf Trends in den Blick zu nehmen. Aus dieser Perspektive kön- Distanz muss in die DNA jedes Unternehmens, jedes Be- nen wir die These formulieren: Das Arbeitsmodell Cowor- schäftigten und jedes Freelancers verankert werden. Dabei king wird uns – auch nach Corona – angesichts sollte in unserem Modellprojekt auch die technische Dy- • zunehmender Pendlerströme, namik und das Innovationsgeschehen in diesem Bereich • knapper werdender Ressourcen für gewerbliche Immo- (Stichwort: Virtual Reality-/Mixed Reality-Tools) Berücksich- bilien und natürlich: tigung finden. Von einer Verankerung digitaler Arbeit in die • einer dynamischen Steigerung der Entwicklungen im Be- Tiefenstrukturen unserer Arbeitswelt waren und sind wir, reich der digitalen und virtuellen „Arbeit auf Distanz“ so zeigt CoWin, aber auch die Corona-Pandemie, noch ein weiter begleiten. Die Corona-Krise ist bald „Geschichte“. ganzes Stück entfernt. Es bleibt viel zu tun. Das Arbeitsmodell Coworking wird sich der daraus erwach- senden neuen Normalität flexibel anpassen. Auch diese zweite Säule von CoWin hat zu erfolgreichen Konzepten und Unterstützungsmaßnahmen im Projekt ge- Silke Steinberg, Rüdiger Klatt führt – z. B. zu Kompetenzentwicklungsstrategien und krea- Januar 2021 tiven Workshops-Angeboten für das dezentrale und verteilte Arbeiten. Diese Säule unserer Arbeit wurde mit Corona nachhaltig gestärkt und entwickelt derzeit eine neue Dy- namik. Die Offenheit und Bereitschaft für neue virtuelle Kollaborationstools ist deutlich gestiegen und unterstützt diesen Teil der Projektarbeit. Transition 1 | 2021 5
Rüdiger Klatt (Mitarbeit: Carla Lohre, Benjamin Wenderlich) „Coworking statt Pendeln“ Praxiserfahrungen aus dem Feldexperiment CoWin, FIAP e.V. Seit Anfang 2018 fördert das Wirtschafts- und Digitalministerium des Landes NRW im Aufruf: Umbau 21 – Smart Region das Realexperiment CoWin1, das erprobt, ob Berufspendlerinnen und -pendler das Arbeitsmodell „Coworking“ nutzen können, um lange Pendlerstrecken zu vermeiden. Dazu wurden durch das FIAP in zwei Coworking-Spaces in Gelsenkirchen (das NewWorkLab im Wissenschaftspark) und in Marl (im Designhaus Marl) jeweils 10 Coworking-Plätze mit modernster Ausstattung angemietet. Die Arbeitsplätze stellt das Modellprojekt Insgesamt haben sich bislang 46 Beschäftigte aus 19 Un- und weiterentwickeln. Dazu haben wir in den Spaces jeweils ternehmen (u. a. GLS-Bank, Sutter AG, Haniel, Evonik) am ein Labor für die Arbeit mit virtuellen und smarten Tools Modellprojekt beteiligt. Sie wohnen in der Regel in der Nähe ausgestattet, z. B. ein innovatives Smartboard, das Desk- der Coworking-Spaces, arbeiten aber z. B. in Düsseldorf, sharing und Videokonferenzen ermöglicht. Essen, Duisburg oder Bochum. Die Unternehmen sparen damit Büroarbeitsplätze, die Beschäftigten lange und an- Unternehmen und Beschäftigte sollen im Rahmen des Pro- strengende Anfahrtszeiten, die oft im Stau noch zusätzlich jektes auch die Möglichkeiten des virtuellen Arbeitens ken- verlängert werden. Coworking bietet darüber hinaus eine nen lernen und testen. Ergänzend wurden deshalb Virtual neue soziale Qualität, indem es den Blick über den „Teller- Reality-Dienstleister, die im Feld „remote work“ tätig sind, rand“ des eigenen Unternehmens ermöglicht. eingebunden und mehrere VR-Stationen mit entsprechen- der Software, die die Arbeit in einem simulierten virtuellen Im Rahmen des Modellprojektes konnten die Modellunter- Konferenzraum ermöglichten und die allen Coworkern zur nehmen und Probanden verschiedene Formen des dezen- Verfügung standen, vom Projekt bereitgestellt. Auf zahlrei- tralen, verteilten Arbeitens besser kennenlernen, einüben chen Veranstaltungen und Demonstrationen wurden die hochinnovativen Tools zur Arbeit in einer virtuellen Realität 1 CoWin – Erforschung, Entwicklung und Erprobung eines „virtual rea- erprobt. lity“ gestützten Coworking-Modells für Berufspendler*innnen; (AZ 34.02.01.05-014; Erste Ergebnisse: Stärken und Schwächen FIAP: Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prä- des Coworking vention e.V. Designhaus Marl Alle Testpersonen wurden nach einer kurzen Kennlern- NewWorkLab im Wissenschaftspark Gelsenkirchen phase zur Einschätzung zu den generellen Stärken und 6
Coworking statt Pendeln Schwächen von Coworking im Rahmen von Bezogen auf das Geschäftsmodell der Betrei- aus betrieblichen, sei es aus persönlichen Feedback-Interviews und auch schriftlich be- ber erweist sich aus unserer Sicht ein aktives Gründen, den Coworking-Space im Durch- fragt. Tenor hier: Besonders positiv wird die Community-Management mit einer hohen schnitt an einem Tag in der Woche. Dazu muss Förderung sozialer Kontakte bewertet. Co- Betreuungsdichte, ergänzt durch eine exzel- man wissen: Bei den von uns eingebundenen working erleichtere auch die Trennung von lente Ausstattung – vor allem im Bereich der Probanden handelt es sich um eine sehr spe- Arbeit und Privatem, fördere die Arbeitsmoti- IT-Technik – als notwendig, wenn man die zifische Zielgruppe. Die überwiegende Mehr- vation und Kreativität. Negativ bewertet wur- Zielgruppe der Berufspendler in abhängiger heit ist es gewohnt, von „überall“ zu arbeiten. den die Lautstärke während der Arbeit sowie Beschäftigung adressieren will. Aus Betreiber- Fast jeder unserer Probanden kann auch im der Datenschutz und die Datensicherheit im sicht stellt sich dabei die Kostenfrage, denn Home-Office arbeiten. Ein Arbeitsplatz im Be- Coworking-Space. Aus der Sicht der befragten ein intensiv betreutes Coworking mit einem trieb wird in der Regel auch vorgehalten. Zu Test-Coworker haben sie durch ihr Arbeiten Community-Manager erhöht den Personal- den Alternativen Home-Office und Arbeits- im Coworking-Space neue Netzwerke gewon- aufwand und damit die Kosten und den Auf- platz im Betrieb steht der Coworking-Arbeits- nen und ihre Fahrtwege reduziert und damit wand für den Betreiber. platz in einem Konkurrenzverhältnis. Er muss einen Beitrag zur Förderung ihrer Work-Life- sich gegen den Arbeitsort Betrieb und gegen Balance geleistet. Befragt wurden unsere Probanden auch in den Arbeitsort zu Hause als attraktive Alter- Bezug auf die Usability der Coworking-Spaces native erweisen. Bezogen auf die Ausstattung kann von einem in Gelsenkirchen und Marl. Bezüglich der Ar- hohen Erwartungsniveau der „pendelnden“ beitswegeersparnisse konnten wir im Rahmen Die Coworking-Spaces sind also gehalten, sich Beschäftigten ausgegangen werden. Ein pro- unseres Feldexperiments die ökologische Re- als die bessere Alternative zu profilieren. Dazu fessionelles Ambiente mit ansprechender Bü- levanz des (wohnortnahen) Coworkings nach- gehören, wie bereits erwähnt, ein aufmerk- roausstattung und viel Platz war für die Pro- weisen. Während fast jeder Zweite unserer sames Community-Management, eine umfas- banden sehr wichtig. Fast alle (>90 %) unserer Probanden einen Arbeitsweg zur Betriebstätte sende, professionelle Ausstattung, zahlreiche Probanden erwarten außerdem Schließfä- von mindestens 30 km zu bewältigen hat, ist Service- und Vernetzungsangebote. Und das cher, Räume für vertrauliche Gespräche, eine der Weg zum Coworking-Space bei 90 % der soziale Miteinander, die soziale Qualität des Lounge und einen Konferenzraum. Mehr als Probanden unter 30 km. In Gelsenkirchen spa- Coworking-Spaces sollte ebenfalls stimmen. jeder Zweite findet auch die Möglichkeit zum ren ¾ der Probanden Arbeitswege und Fahrt- Ein ebenfalls wichtiger „Treiber“ für die pen- Powernapping (Ruhezone), ein Smartboard zeiten ein, wenn sie den Coworking-Space delnden Beschäftigten ist nach unserer Ana- und einen Freizeitraum sehr wichtig. Interes- nutzen, in Marl 9 der 10 Befragten. Die durch- lyse auch eine lange, staugefährdete Fahrt zur sant ist, dass von unseren Befragten bereits schnittliche Zeitersparnis im Vergleich zum Arbeit. Dabei gilt: Je länger die Strecke, je vol- heute jeder Vierte (28 %) sagt, dass ein Vir- Arbeitsweg beträgt beispielsweise bei den ca. ler die Straßen und Autobahnen, desto eher tual-Reality-Arbeitsraum die Ausstattung der 70 % der Gelsenkirchener Probanden bis zu wird auf den alternativen Arbeitsplatz im Co- Coworking-Spaces bereichern sollte. einer Stunde (Marl: 30 %), in Marl sparen 6 der working-Space zurückgegriffen. Einige Cowor- 10 Befragten sogar bis zu zwei Stunden pro ker empfinden die Arbeit im eigenen Zuhause Bezogen auf die Dienstleistungen sind für un- Tag (in Gelsenkirchen einer von 13 Befragten). aus verschiedenen Gründen als Zumutung, sere Probanden Büroservices und Vernet- sei es, weil dort Störungen im Arbeitsablauf zungs- und Kooperationsangebote unbedingt Ein zentrales Handlungsfeld für die Betreiber wahrscheinlicher sind, sei es, weil man die ei- notwendig. Auch eine Kantine, Angebote zur liegt aus unserer Sicht in der geringen durch- gene Work-Life-Balance nicht gefährden will Gesundheitsförderung, (Fach-) Fortbildungen schnittlichen monatlichen Nutzung des Co- und eine klare Grenzziehung von Arbeit und und Kinderbetreuungsangebote sollten für je- working-Angebotes. Unsere Probanden, d. h. Freizeit/Familie wünscht. Auch dies spricht den Zweiten vorhanden sein. die pendelnden Beschäftigten, nutzen, sei es für die Nutzung des Coworking-Arbeitsplatzes. Transition 1 | 2021 7
Klatt | „Coworking statt Pendeln“ Unsere teilnehmenden Beobachtungen, zahl- ein erstes Zwischenresümee lässt sich viel- echter Mehrwert durch weniger Wegezeiten reiche Feedbackrunden und individuellen Be- leicht schon an dieser Stelle ziehen: entsteht. Daraus erwächst die Anforderung, fragungen zeigen: Konkurrenzfähiger ist der will man die Zielgruppe effektiv erreichen, Arbeitsplatz Coworking in unserem Feldexpe- 1.Für Beschäftigte, die in Wohnortnähe co- dass man eine Art Doppel-Marketing be- riment vor allem gegenüber dem Arbeitsplatz worken können, dürfen und wollen, steigt treiben muss, um gleichermaßen den Kun- zu Hause. 60 % der Gelsenkirchener Proban- die Arbeitszufriedenheit und die Work-Life- den „Unternehmen“, als auch den Kunden den finden den Coworking-Arbeitsplatzes bes- Balance verbessert sich. Für die Beschäftig- „Pendler“ zu überzeugen. Das Feldexperi- ser oder viel besser als das eigene Home-Of- ten wird die An- und Einbindung in den Be- ment CoWin vermittelt jedenfalls einen fice. Nur einer von 3 Probanden findet den trieb zu einem Problem. Deshalb „verteilen“ guten Einblick in die Ansprüche der Ziel- Coworking-Platz besser als das betriebliche die meisten ihre Arbeitszeit auf alle drei Ar- gruppe. Es ist eine besondere Herausforde- Büro. Im Marler Coworking-Space sieht es beitsorte, auf den Arbeitsplatz im Betrieb, rung für die Betreiber, diesen Erwartungen ähnlich aus. den Arbeitsplatz zu Hause und den im Co- gerecht zu werden. working-Büro. Für verteiltes oder gar virtu- In beiden Coworking-Spaces werden nach un- elles Arbeiten fehlen den Beschäftigten häu- 4.Nicht unerwähnt wollen wir lassen, dass un- serem Eindruck Mängel in der Qualität der fig die Kompetenzen. Auch die Bereitschaft, sere qualitativen Analysen bei den (Kunden-) Ausstattung genau beobachtet und fließen in neben Telefon und Email weitere synchrone Unternehmen auch zu einigen interessan- nicht unerheblichem Umfang in die Wahl des Medien (Videokonferenzen, virtuelle Arbeits- ten Erkenntnissen geführt haben. Es ist Arbeitsortes ein: Ist der Schreibtisch größer, räume) zu nutzen, ist wenig ausgeprägt, hat offenbar so, dass den meisten Unterneh- komfortabler und schöner als der eigene im aber zuletzt durch die Corona-Krise einen men eine differenzierte Strategie fehlt, die Home-Office oder der im betrieblichen Büro? erheblichen Schub erfahren. Chancen verteilten Arbeitens umfassend zu Funktionieren die angebotene Technik und nutzen. Zwar steigt die Bereitschaft, Be- die Dienstleistungen möglichst smart und stö- 2.Für die Betreiber von Coworking-Spaces schäftigten mehr Möglichkeiten bei der rungsfrei (z. B. das WLAN, das Einlasssystem, stellt sich die Frage, ob es gelingt, die Ziel- Wahl des Arbeitsortes zu geben – gerade die Mitgliederverwaltung, die Konferenztech- gruppe zu erreichen und ihr spezielles, ho- auch vor dem Hintergrund der Corona- nik usw.)? Gibt es eine gute Infrastruktur im hes Anspruchsniveau zu bedienen (und da- Krise. Es fehlt aber ein Anreizsystem, das Umfeld, z. B. eine Kantine in der Nähe oder bei auch noch Geld zu verdienen). Denn verteiltes Arbeiten motiviert, das Ressour- Einkaufsmöglichkeiten? die pendelnden Beschäftigten sind häufig ceneinsparung forciert und eine Remote- hochqualifizierte Wissensarbeiter mit langer Zusammenarbeitskultur fördert. Mit ande- Ein wichtiges Bewertungskriterium für die Berufserfahrung (das Durchschnittsalter un- ren Worten: Wer seinen Mitarbeiterinnen Qualität des Arbeitsmodells Coworking ist aus serer Probanden lag bei 42 Jahren), die eine und Mitarbeitern die Wahl bietet, im Home- der Sicht der Zielgruppe, wie bereits ange- hohe Dienstleistungsqualität erwarten. Ge- Office, im Coworking-Büro oder im Betrieb deutet, das Community-Management. Jeder rade hier liegt eine der Problemzonen der zu arbeiten, der sollte Coworking-Space braucht einen „Kümmerer“, Betreiber: Die Umsetzung einer anspruchs- • eine umfassende technische Infrastruktur idealerweise jemanden, der nicht nur die gerechten Qualität und die Orientierung auf für Remote Work vorhalten, technische und organisatorische Unterstüt- diese Kundengruppe ist nicht nur schwierig, • ein Personal- und Kompetenzentwicklungs- zung bietet, sondern der auch Angebote zum sondern auch kostspielig. konzept für seine Mitarbeiter haben und Kennenlernen der Coworker veranstaltet, der • ein ressourceneffizientes Arbeitsplatzmana- gemeinsame Pausen oder der auch schon mal 3.Im Projekt kristallisierte sich auch heraus, gement an den betrieblichen Standorten or- einen Workshop oder eine After Work-Veran- dass der pendelnde Beschäftigte als Kunde ganisieren. staltung organisiert. schwer, z. B. durch Marketing-Maßnahmen, erreicht werden kann. Denn der „eigentliche“ Resümee Kunde ist ja das Unternehmen mit Firmen- Zwar ist es noch zu früh für eine abschlie- sitz und Betriebsstätten außerhalb des Um- ßende Bewertung des CoWin-Feldexperi- feldes. Die Zielgruppe ist aber der pen- ments, das wir unter das Motto „Coworking delnde Beschäftigte des Unternehmens mit statt Pendeln“ gestellt haben, zu ziehen, aber Wohnsitz in Coworking-Nähe, für den ein 8
Interview Interview „Wir brauchen einen Ort, wo wir uns physikalisch treffen!“ Interview mit Thorsten Urbanski (ESET, Head of Communication & PR DACH) über flexible Arbeit, virtuelle Unternehmen und Coworking Zur Person: Thorsten Urbanski, 51 Jahre alt, Kommunikationswissenschaftler, Medienjournalist, Computerexperte, leitet seit 2016 den Bereich Unternehmenskommunikation und Public Relation bei ESET Deutschland GmbH, einem Unternehmen der IT-Sicherheitsbranche. Klatt: Die ESET GmbH ist ein globales Unter- die Schweiz, einmal in Jena, da ist die Haupt- rem Team war Home-Office eigentlich immer nehmen. Was bedeutet das für eure Arbeits- niederlassung, also das Headquarter, und möglich. Es hätte auch keinen Vorteil für das orte? dann haben wir noch ein Marketingbüro in Unternehmen gehabt, wenn wir physikalisch Urbanski: Richtig, wir sind ein global ausge- München, wo die Kollegen aus dem Marketing vor Ort sind. Zusätzlich habe ich privat für richtetes Unternehmen mit, Stand aktuell, sitzen. mich die Entscheidung getroffen, dass ich für knapp 1.800 Mitarbeitern. Davon arbeiten In meinem Team sitzen zwei Mitarbeiter in einen Job nicht wegziehen werde – aus fami- über 100 Mitarbeiter verteilt in ganz Deutsch- Jena, während die anderen Mitarbeiter verteilt liären Gründen. Und das ist bei vielen Men- land. Unser Hauptsitz ist in der Slowakei, in in Nürnberg, Herten, Paderborn und Essen ar- schen so, da hat sich was an der Einstellung Bratislava. Das IT-Unternehmen ESET gibt es beiten. So ähnlich ist es bei anderen Teams geändert in den letzten zehn Jahren. seit über 30 Jahren. Wir gehören zum „Urge- auch. Bei allen Kollegen im Vertrieb ist es Warum treffen wir uns hier (im NewWorkLab) stein“ der Anti-Viren-Industrie. Der Schwer- Gang und Gebe, dass sie überwiegend von physikalisch? Das ist ganz einfach: Weil Gel- punkt von ESET liegt im B2B-Bereich, wir ent- Zuhause aus arbeiten. Man trifft sich regel- senkirchen für uns zentral gelegen ist. Ein Kol- wickeln also Lösungen für Unternehmen. Wir mäßig im Quartal, beziehungsweise alle vier lege kommt aus Paderborn und der andere sind selber Hersteller mit eigenen Entwick- bis sechs Wochen auch physikalisch, aber es aus Herten, und ich komme aus Essen. Wir lungen und weltweit 22 Büros. Die Deutsch- fehlen doch die regelmäßigen Treffen für ei- brauchten einen Ort, wo wir uns physikalisch land-Zentrale liegt in Jena, weltweit sind wir nen kreativen Austausch – bedingt durch die treffen. Das machen wir auch in Jena. Alle vier in 220 Ländern vertreten. Es gibt kein Land, große Distanz. Man kann natürlich Videokon- bis sechs Wochen treffe ich mich dort mit mei- in dem ESET-Produkte nicht erhältlich sind. ferenzen durchführen, aber es fehlt, dass man nem Team. Man kann sehr viele Dinge per Vi- Zu unseren Kunden zählen namhafte Indus- sich live sieht, alle ein bis zwei Wochen. Tref- deokonferenz machen, aber nur bis zu einem trieunternehmen in der ganzen Welt. fen, an denen man also Dinge gemeinsam er- bestimmten Grad. Für eine leistungsfähige Or- Wir arbeiten auch weltweit mit Ermittlungs- arbeitet oder auch den Teamgedanken weiter ganisation ist es unerlässlich, dass ich die behörden zusammen, so sind wir beispiels- voranbringt. Die Büroarbeit von zu Hause Leute auch live sehe. Wir bewegen uns in ei- weise im Board von Europol. Das heißt, wenn birgt die Gefahr der sozialen Vereinsamung. nem kreativen Umfeld. Das heißt, wir entwi- wir Angriff-Szenarien mit speziellen schädli- Corona verstärkt diesen Effekt noch. Momen- ckeln Kommunikationsstrategien fürs Unter- chen Computerviren auf Industrieanlagen tan gibt es keine Präsenztermine mehr, das nehmen. Das kannst du besser machen, wenn entdecken, dann teilen wir diese Information heißt, man kann niemanden besuchen. Selbst du dich auch mal live siehst, das geht nicht mit Europol. wenn man vorher häufig im Home-Office ge- nur per Video. Videokonferenzen vier Stunden Insgesamt schützen wir weltweit über 2 Milli- arbeitet hat, kriegt man jetzt einen „Buden- an einem Tag zu machen, das ist sehr anstren- arden Internetnutzer, bewusst oder unbe- koller“. gend. Live ist es was anderes. Vor allem kann wusst. Ein Beispiel: jeder, der Chrome nutzt, man eine stärkere Interaktion einbringen, das nutzt auch Technologie von ESET, weltweit Klatt: Stichwort „Home-Office“: Wie ist das fehlt bei Videokonferenzen. Deswegen haben schützt unsere Software 110 Millionen End- bei euch geregelt? Ihr bekommt vom Unter- wir gesagt, das ist eine super Idee, so ein Co- verbraucher. Wir zählen damit im Bereich der nehmen einen Laptop gestellt? working-Space. Vor allem wenn er auch diese End-Point-Sicherheit zu den vier größten Un- Urbanski: Wir erhalten vom Unternehmen Ausstattung hat wie hier im NewWorkLab. Es ternehmen. Laptop, Monitore, Drucker und so weiter. Das gibt ja solche und solche Coworking-Spaces. gilt aber nicht für alle Mitarbeiter. Home-Office Mich in einem Café zu treffen und das als Co- Klatt: Also ihr seid ein globales und erfolgrei- war auch bei uns nicht selbstverständlich – working-Space zu deklarieren, ist zwar okay, ches Unternehmen, das von der Arbeitsorga- vor Corona. Da gab es schon eine Differenzie- aber wenn ich eine Strategie entwickeln muss, nisation her virtuell aufgestellt ist? rung. Das war auch zum Beispiel im Innen- dann brauche ich einen Raum, wo ich die ent- Urbanski: Genau. Wir arbeiten überwiegend vertrieb so, der Innenvertrieb ist physikalisch sprechende technische Ausstattung und die im Home-Office. Mein Team arbeitet an zwei vor Ort, der ist nicht im Home-Office. Das hat Ruhe habe. Wenn ich sage, ich erarbeite zum Standorten für Deutschland, Österreich und sich natürlich mit Corona geändert. In unse- Beispiel acht Stunden mit jemanden gemein- Transition 1 | 2021 9
Urbanski | Interview sam etwas, das geht in einem Café nicht. Man können, z. B. bei Geschäftsabschlüssen. Im Arbeitszeiten nicht einhalten. Da kann man redet ja auch über Dinge, die vertraulich sind. Coworking-Café funktioniert das nicht. natürlich als Führungskraft sagen, das ist na- Und wie soll ich in einem Café die ganze Zeit türlich toll, jemand arbeitet ja mehr. Das ist über Videokonferenzen durchführen? Klatt: Du bist ja Führungskraft im Unterneh- faktisch so, dass jemand im Home-Office men. Du kannst quasi beide Brillen aufset- deutlich mehr und länger arbeitet als im nor- Klatt: Nochmal konkret zur Nutzung der Co- zen. Also du kannst sagen, was ist der Benefit malen Büro, wo er die Tür schließt und geht. working-Plätze hier. Ihr trefft euch einmal die für die Mitarbeiter, was ist der Benefit fürs Das ist die Erfahrung der letzten fünfzehn Woche, oder? Unternehmen, den Coworking-Space zu Jahre bei mir als Führungskraft. Aber das be- Urbanski: Richtig. Gerade wegen der Corona- nutzen? deutet auch, dass ich riskiere, dass mein Mit- Einschränkungen treffe ich mich mit allen Mit- Urbanski: Der Benefit für die Mitarbeiter ist arbeiter ausbrennt. Als Führungskraft muss arbeitern einmal die Woche und mit den einmal, psychologisch betrachtet, ein Tape- ich dafür sorgen, dass das nicht passiert. Wird anderen alle vier Wochen, wenn es sich ein- tenwechsel, was immens wichtig ist. Und man im Home-Office gearbeitet, muss ich noch viel richten lässt. Wenn man nicht direkt den gan- trifft auch mal Jemanden, der nicht zur eige- mehr darauf achten, als ich es im Büro ma- zen Tag an einem Projekt gemeinsam arbeitet, nen Organisation gehört, und kann sich mit- chen würde. So ein Coworking-Space funk- geht es vor allem auch darum, dass man den einander austauschen. Im Home-Office geht tioniert ähnlich wie ein Büro, man kommt hier Austausch hat zwischen den Kolleginnen der zwischenmenschliche Austausch zu sehr hin und danach ist die Arbeitszeit dann auch und Kollegen. Der ist einfach Gold wert, da verloren. Das Zweite ist: im Home-Office be- vorbei. Das hat den positiven Effekt: Wenn ich kommen ganz andere Ideen zustande. Man steht die Gefahr, dass es keine Trennung zwi- nach Hause gehe, dann ist dieser Arbeitstag braucht auch die Möglichkeit, vertrauliche Ge- schen Privatem und Beruflichem gibt. Und tatsächlich beendet. Wenn ich im Home-Of- spräche in Besprechungsräumen führen zu das ist für Mitarbeiter fatal, weil sie dann ihre fice bin, ist der Arbeitstag nicht beendet. 10
Interview Klatt: Ihr habt drei Arbeitsorte als globales Unternehmen. haben wir zwar bisher noch nicht geschafft, Corona bedingt, Ihr könnt sagen, wir treffen uns in Jena, München oder so- aber das ist der Plan. Der Abteilungsaustausch wird dadurch gar in Bratislava. Ihr könnt sagen, wir treffen uns per Video, eigentlich erst möglich. Sonst müssten wir uns einen an- also virtuell in einer Konferenz, und sitzt dabei im Home- deren Raum anmieten und uns treffen, was aufwändiger Office. Und ihr könnt sagen, wir treffen uns jetzt persönlich ist und wir auch nicht wissen, wie die Ausstattung ist. Der im Coworking-Space. Wie siehst du das, ist das ideal? Wel- Vertrieb hat z. B. auch schon gefragt, ob sie mal mit einem che Vor- und Nachteile hat das Coworken für euch? Kunden hierhin dürfen. Urbanski: Bei mir war das so, ich hatte unterschiedliche Jobangebote vor ein paar Jahren, da war Berlin dabei, da Klatt: Ja, jetzt möchte ich aber gerne nochmal eine Stel- gab es Hamburg. Für mich war ganz klar, ja mache ich, aber lungnahme zum Thema Datenschutz und Datensicherheit ich werde niemals fünf Tage die Woche in Berlin sein. Ich von dir. Also wie beurteilst du die Datensicherheit hier? Co- habe gesagt, zwei Tage die Woche kann ich mir vorstellen, working hat ein Problem mit dem Datenschutz, da geht’s oder auch eine Woche im Monat. Ich glaube nicht, dass um Telefonate, um vertrauliche Gespräche. Da geht’s auch ein Modell für mich tragbar wäre, bei dem ich fünf Tage in darum, dass man auf den Bildschirm des Nachbarn gucken der Woche in einem Büro sitze. Denn das ist für meine könnte. Wie beurteilst du das? Kann man das managen? Arbeit nicht erforderlich, das brauche ich nicht. Siehst du ein großes Problem darin? Ich glaube, eine gesunde Mischung ist richtig. Der Vorteil Urbanski: Es gibt einige grundlegende Dinge, die sollte von so einem Coworking-Space wie hier im Wissenschafts- man natürlich beachten. Das heißt, es ist definitiv ein Pro- park Gelsenkirchen ist, dass eine starke Vernetzung statt- blem. Wenn ich hier arbeiten würde und ich hätte vertrau- findet. Das heißt, es erfolgt eine Vernetzung zwischen Un- liche Konstruktionsunterlagen, dann wäre es ein Problem. ternehmen, die normalerweise gar keine Berührungspunkte Coworking bedeutet, man arbeitet in einem offenen Be- haben. Geschäfte kommen oft über Netzwerke und Bezie- reich. Das heißt, egal wie sicher etwas ist, es könnte theo- hungsflächen zustande. Und da finde ich hier im NewWork- retisch immer auch Hardware verschwinden. Aus Datensi- Lab Start-Ups, Mittelständler und Großunternehmen, davon cherheitsaspekten ist einiges zu beachten. Nutze ich zum kann man eigentlich nur profitieren. Die Besonderheit im Beispiel die Internetverbindung des Anbieters, ja oder nein? Wissenschaftspark Gelsenkirchen ist, dass hier im Gebäude Wenn ich sie nutze, dann sollte ich das entsprechend mit auch sehr viele IT-Firmen vertreten sind, von denen ich ei- einer VPN-Verbindung machen. Nutze ich im Coworking nige kenne. Space ein Device, das heißt mein Notebook mit den darauf Ich bekomme auch Sichtweisen von anderen Leuten mit, gespeicherten Daten, dann muss das aus Datensicherheits- das finde ich ganz interessant. Sichtweisen von Bildungs- gründen abgesichert sein. Das ist genauso wie bei jedem unternehmen, oder, wie in der vergangenen Woche, Sicht- anderen mobilen Arbeitsplatz, den muss ich absichern. weisen eines Unternehmens, das diese CAD- und 3D-Drucke Dann kann man Coworking auch sehr gut nutzen. im medizinischen Bereich herstellt. Das fand ich spannend, Was Gespräche angeht, das ist ein Lernprozess. Man weiß, mich mit dem Kollegen zu unterhalten und auszutauschen, ich bin hier im öffentlichen Raum, aber ich kann ja hier, was für ihn die Corona-Krise bedeutet, eine Bewertung aus wenn ich mag, die Telefonboxen nutzen oder ich gehe raus. seiner Sicht, aus einer für mich komplett anderen Branche. Die Frage ist, ob das ideal für vertrauliche Gespräche ist. Fand ich äußerst spannend, denn das ist natürlich auch Ich würde sagen: nein. Es würde auch die anderen stören, eine Erweiterung des eigenen Horizonts. Zu sehen, okay, wenn ich hier mit jemandem rede. Das muss ich dann der arbeitet auch im Vertrieb und hat diese Herausforde- schon separat machen. Den Bildschirm hingegen kann man rung und nutzt das NewWorkLab hier, und wie wird sich sehr leicht absichern. Ich kann eine Folie darüberlegen, das bei ihm im nächsten halben Jahr entwickeln? Äußerst dann kann der Nachbar nicht darauf gucken. Das heißt, interessant, denn Viele bewegen sich nur im eigenen Kreis Datenschutz ist grundsätzlich machbar. Es sollten nur die und denken, das wäre das Wichtigste der Welt. Ich glaube, Standards der IT-Sicherheit beachtet werden. gerade für Leute, die normalerweise gar nicht viel raus- kommen, ist Coworking immens befruchtend. Klatt: Würdest du den Betreibern hier empfehlen, eine Ver- Noch ein wichtiger Vorteil gegenüber dem Home-Office: traulichkeitsvereinbarung (NDA) speziell für den Coworking die Kantine. Das hört sich jetzt banal an, aber ich habe Space mit in die Geschäftsbedingungen aufzunehmen, schon seit drei Jahren keine Kantine mehr gesehen und wenn man hier Mieter wird? Oder wie würdest du das genieße das ab und zu. sehen? Urbanski: Also solche Forderungen sind absolut jenseits Klatt: Und durch die Nutzung des Coworking-Spaces hier: der Realität. Das würde ja bedeuten, wenn du als Nutzer spart ihr da auch Wegezeiten? des Coworking Spaces jemanden als Besucher hast, einen Urbanski: Die Kollegen aus dem Vertrieb, mit denen ich Kunden z. B., dann müsste der Kunde das auch unterschrei- zusammenarbeite, kommen aus Bochum, Iserlohn, aus ben. Das ist ja genauso, als würde ich jetzt irgendwo ein Gelsenkirchen-Buer, Duisburg und Dortmund, alles Vertrieb. Unternehmen besuchen und dann soll jeder Besucher, je- Wenn wir, also die NRW-Fraktion, uns alle in Jena treffen der Geschäftspartner vorher eine NDA unterschreiben. Das würden, bedeutet das für uns eine Fahrtzeit zwischen 4,5 ist unpraktikabel und widerspricht auch der Idee des Co- und 6,5 Stunden für eine Strecke. Da macht es ja viel mehr workings. Also, wenn ich ein vertrauliches oder persönliches Sinn, dass wir uns hier im Coworking-Space treffen. Das Gespräch habe, dann kann ich kurz rausgehen oder den Transition 1 | 2021 11
Urbanski | Interview Unternehmens. Geschäfts- und Arbeitsabläufe Tag pro Woche von zu Hause aus arbeitet. stehen auf dem Prüfstand, das hat mannig- Das ist Vertrauenssache. Wenn jemand acht faltige Auswirkungen auf andere Industriebe- Stunden im Büro ist, heißt es ja auch nicht, reiche. Was jetzt passiert, ist, dass Leute nicht dass jemand acht Stunden arbeitet. mehr im Büro sind. So kommen wir zur Ver- Im Moment sprechen aber zwei Punkte gegen lagerung der Strukturen. Das setzt allerdings das Home-Office. Einmal müssen die räumli- voraus, dass die Digitalisierung „mitspringt“. chen Möglichkeiten eines Heimarbeitsplatzes Und das ist in Deutschland nicht der Fall. zuhause gegeben sein. Viele haben diese Mög- Deutschland ist ein Dritte-Welt-Land, was die lichkeiten zuhause einfach nicht. Das ist auch Digitalisierung, Kabelanbindung und Infra- eine Chance für Coworking-Spaces. Zum an- struktur angeht. Wenn das jetzt nicht in kür- deren müssen sich die Unternehmen auch an zester Zeit auf allen Ebenen geändert wird, der Finanzierung der Infrastruktur beteiligen. im Bildungsbereich, in der Infrastruktur, dann Es kann ja nicht sein, dass der Steuerzahler bekommen wir ein Problem. Nicht erst in oder der Beschäftigte das Unternehmens- drei Jahren, wir bekommen ein Problem in Equipment bezahlt. Dafür bieten sich auch 12 Monaten. Denn wenn diese Pandemie Coworking-Arbeitsplätze an, weil hier von vor- nicht einfach aufhört, das weiß aktuell ja nie- neherein klar ist, dass die durch das Unter- mand, dann wird die Produktivität in Deutsch- nehmen finanziert werden müssen. land abnehmen. Unternehmen werden noch Ich finde, auch aus ökologischer Sicht macht separaten Besprechungsraum nutzen. Letzter stärkere Verluste machen. Warum wird das so es mehr Sinn, zu Hause oder im Coworking- Punkt zum Thema Datenschutz: Aus meiner sein? Selbst in Großstädten, zum Beispiel in Space zu arbeiten. Corona hat das ja gezeigt, Sicht müsste der Betreiber eines Coworking- Nordrhein-Westfalen, reden wir über eine die A 40 war frei, die habe ich noch nie so leer Spaces auch nachweisen, wie er seine IT-In- Netz-Bandbreite, die selbst in Dänemark auf gesehen. frastruktur, die er hier anbietet, absichert. einem Campingplatz besser ist. Das ist Fakt. Wenn ich VPN nutze, erhalte ich eine ver- Wir reden über 30 Mbit, die den Menschen Klatt: Ich habe nur noch eine allerletzte ganz schlüsselte Verbindung. Da kann niemand von den Providern zur Verfügung gestellt wer- kurze Frage. Also das Modellprojekt läuft hier mitlesen. Aber wenn ich das nicht nutze, dann den, das ist absurd. Damit können zwei Per- bis November. Wie geht es für euch nach dem kann jeder den Datenverkehr, der über den sonen im Home-Office nicht beruflich ar- Modellprojekt weiter? Server des Coworking-Space läuft, im Prinzip beiten, das funktioniert nicht. Das muss Urbanski: Wir planen Coworking mindestens mitschreiben. Wenn der Server „gehackt“ wird, schnellstmöglich gelöst werden. Ansonsten zwei Mal im Monat weiter zu nutzen. Den Ta- kann der „Hacker“ auf diese Daten zugreifen. wird diese Krise zu massiven Arbeitsplatzver- gessatz hier im NewWorkLab finden wir ab- Hier sollten sich die Anbieter überlegen, ob lusten führen. Es gibt Leute, die treffen sich solut fair. die bereitgestellte IT-Infrastruktur wirklich si- im Auto und fahren zum Nachbarort, weil es Klatt: Vielen Dank für das Gespräch. cher ist. da einen kostenlosen Hotspot gibt und weil ihre Bandbreite im Home-Office nicht aus- Das Gespräch führte Dr. Rüdiger Klatt. Dr. Klatt Klatt: Letzte Frage – zum Thema Corona. Än- reicht zum Arbeiten. So etwas darf eigentlich ist Arbeitswissenschaftler und Gründungsmit- dert sich was in der Arbeitswelt? Wie schätzt in einem Industrieland wie Deutschland nicht glied des FIAP e. V., Forschungsinstitut für in- du das ein? Wird es einen Drive in Richtung passieren. novative Arbeitsgestaltung und Prävention. Ak- Digitalisierung, in Richtung Home-Office, in Das nächste sind die Auswirkungen auf die tuell ist er Vorstand und Geschäftsführer des Richtung dezentrales Arbeiten geben? Was Immobilienwirtschaft. Denn der Bedarf an Im- FIAP e.V. Seine Forschungsschwerpunkte liegen bedeutet die Krise für das Geschäftsmodell mobilienflächen, an Büroflächen wird zurück- in den Bereichen Arbeitsgestaltung, Dienstleis- Coworking? gehen. Es gibt Hightech-Unternehmen in tungsentwicklung, Mobilität und Internationa- Urbanski: Durch die Coronakrise wurde der Deutschland, die haben weder genügend lisierung der beruflichen Bildung. Digitalisierungsprozess enorm beschleunigt, Parkplätze noch genügend Schreibtische für das ist tatsächlich so. In vielen Unternehmen alle Mitarbeiter. Es war auch gar nicht vorge- wird jetzt über die Möglichkeit von Home-Of- sehen, dass alle ins Büro kommen. Diese Krise fice, Coworking, über dezentrale Strukturen ist dabei wirklich ein Katalysator. Der Bedarf allgemein gesprochen. Diese Möglichkeiten an Büroflächen wird zurückgehen. Und dann hat man bislang gar nicht genutzt. Es war bis- brauche ich mobiles Arbeiten, dann brauche lang vielleicht ein Vertrauensproblem: Arbei- ich die Möglichkeiten eines voll ausgestatte- tet der Mitarbeiter auch wirklich produktiv ten Coworking Spaces, den ich entsprechend oder macht er im Home-Office die Gartenar- nutzen kann und der auch vom Preis her noch beit? Jetzt hat sich gezeigt, dass die Produk- akzeptabel ist. tivität nicht abgenommen hat, sondern in vie- Die Krise wird dazu führen, dass das einge- len Bereichen sogar gestiegen ist. fordert wird. Das ist auch eine politische Dis- Zu den Veränderungen der Arbeitswelt: Es kussion, dass ein Teil der Beschäftigten ei- wird den Zustand, den wir vor März 2020 hat- nen Rechtsanspruch auf Home-Office haben ten, so nicht mehr geben in Deutschland. Das möchte. Normalerweise spricht für 2/3 aller ist meine feste Meinung und auch die unseres Bürojobs nichts dagegen, dass man an einem 12
Coworking und Lernen Bernd Binzenbach Coworking – gut fürs Lernen „Gemeinsam Coworken statt einsam Homeworken.“ Mit diesem Slogan wirbt ein Coworking Space in Wien aktuell für seine Dienste und trifft damit den Kern des Arbeits- und Geschäftsmodells Coworking, das im Rahmen des Projekts „CoWin“ intensiv untersucht wird. Durch die aktuelle Corona-Krise erlangt dieses Motto eine noch gewichtigere Bedeutung, da ja ein großer Teil der Arbeitnehmerschaft im Home-Office arbeitet, teils auf Anordnung der Vorgesetzten, teils aus eigenem Entschluss. Um die Vorteile des Arbeits- modells Coworking gegenüber dem Home-Office und dem „traditionellen“ Arbeitsplatz im Unternehmen soll es in diesem Artikel gehen, speziell um ein Thema, das bisher in entsprechenden Diskussionen wenig Beachtung gefunden hat, das Thema des lebenslangen Lernens. Von welchem Potenzial des Coworkings wird kann durchaus bewusst geschehen, indem ich z. B. jeman- in diesem Artikel die Rede sein? dem eine problem- bzw. situationsbezogene Frage stelle. Im Zuge der Dynamik unserer Arbeitswelt wird einem As- Oft geschieht es aber „en passant“, also nebenbei, zufällig, pekt längst eine mehr als hohe Bedeutung zugeschrieben, unbewusst, z. B. wenn ich unvermittelt an einer Diskussion der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens. Basierend teilnehme, die für mich neue Perspektiven liefert. auf meinen persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen werde ich anhand von Beispielen der Frage nachgehen, Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge finden mindestens welche Potenziale Coworking gerade für das lebenslange 80 bis 90 % unserer Lernprozesse informell statt und nicht Lernen aufweist. Wir werden sehen, dass insbesondere das etwa in (virtuellen) Seminar- und Schulräumen. Die wich- informelle Lernen eine wesentliche Rolle spielt. tigste Erkenntnis lautet: Lebenslanges Lernen ohne Ein- beziehung des Informellen ist „ernsthaft nicht vertretbar“ Was bedeutet eigentlich (Zürcher 2007, S. 10), die Reichweite informeller Bildungs- „informelles Lernen“ genau? prozesse ist ungleich höher als die der formalisierten Bil- Insbesondere von Schule, Universität und Berufsausbildung dung und Weiterbildung. kennen wir den Gegenpol des informellen Lernens, das for- male Lernen. Formales Lernen lässt sich als planmäßig, Welchen Nährboden liefert Coworking strukturiert und organisiert beschreiben. Anhand eines Cur- für das Lernen? riculums bringt es überprüfbare Lernergebnisse hervor, es Coworking weist eine einzigartige Kombination von Rah- wird also vor allem zielgerichtet und bewusst gesteuert. menbedingungen auf, die es so weder im Home-Office noch am traditionellen Arbeitsplatz im Unternehmen gibt, näm- Das informelle Lernen hingegen entwickelt sich in den un- lich kooperationsfreundliche Nähe kombiniert mit vielfäl- mittelbaren Aktivitäten, Erlebnissen und Erfahrungen des tigen, heterogenen Partnern aus ganz unterschiedlichen Alltags, gerade auch am Arbeitsplatz und oft spontan. Es Arbeitszusammenhängen. Im Coworking Space des Wis- Bernd Binzenbach Transition 1 | 2021 13
senschaftsparks Gelsenkirchen treffen sich 1. Lernen durch Horizonterweiterung neuen Einblicke sind in dieser Vielfalt und der Student, der sich auf sein Jura-Examen „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Was Menge in einem Unternehmens-Kosmos nie- vorbereitet, die Angestellte des Wissenschafts- der berühmte österreichische Kommunikati- mals möglich – das kann ich aus meinen vie- ministeriums, Mitarbeiter*innen einer Bank ons-Wissenschaftler Paul Watzlawick so wun- len Jahren der Zugehörigkeit zu einem Kon- und eines Verlages, der Freiberufler, der sich derbar ausdrückte, trifft erst recht auf das Co- zern nur bestätigen. um Online-Marketing kümmert, die Führungs- working zu. Die Möglichkeiten, im Coworking kraft einer IT-Firma, Mitglieder eines neu ge- Space etwas (unbewusst) zu erfahren, etwas Nichts ist für die Erweiterung des eigenen Ho- gründeten Start-ups, die Belegschaft eines „aufzuschnappen“, selbst ein Gespräch zu ini- rizonts mächtiger, als selbst Fragen zu stellen, Forschungsinstitutes und die Marketing-Spe- tiieren oder zu einem Dialog eingeladen zu zum Beispiel: zialistin. Man arbeitet nicht nur an Tischgrup- werden, sind prinzipiell jederzeit gegeben. • „Woran arbeitest Du eigentlich?“ pen unmittelbar nebeneinander, man begeg- Das führt zunächst einmal dazu, dass man • „Was sind Deine Herausforderungen?“ net sich auch in der Lounge, beim Kaffee, auf viel Neues erfahren kann, z. B. über Märkte, • „Wie geht Ihr mit dem Thema XY um?“ der Raucher-Terrasse, in der Küche oder geht Zielgruppen, Herausforderungen, Lösungen, „Wie siehst Du das?“ gemeinsam in die Kantine. Coworking ist spon- Produkte, Anbieter, Prozesse – die Liste der • „Welche Erfahrungen hast Du mit …?“ tan, Coworking ist informell. Möglichkeiten ist schier unendlich. Diese Viel- „Welchen Tipp kannst Du mir geben?“ falt ist faszinierend. Und sie ist ein Rohstoff • „Kennst Du jemanden, der …?“ Und Coworking steht für Vielfalt, insbeson- von hohem Wert, insbesondere wenn es ge- dere im Vergleich zu einem traditionellen Un- lingt, die Brücke zur eigenen (beruflichen) Genauso wichtig ist es, den Mit-Coworkern ei- ternehmenskosmos, angefangen beim beruf- Welt zu schlagen (siehe dazu auch unter genes Wissen, Antworten oder Tipps anzubie- lichen Status (studierend, selbstständig, ein Punkt 2.). ten. Im Coworking-Umfeld arbeitende Men- Unternehmen führend, freiberuflich tätig, an- schen sind fast zwangsläufig keine reinen gestellt usw.) bis hin zum bunten übergrei- Hier einige meiner persönlichen Erfahrungen Konsumenten, sie sind in der Regel Prosu- fenden Mix an Unternehmensformen, Bran- beim Coworken in den letzten Monaten. Viel menten. chen, Zielgruppen etc. All die entsprechend gelernt habe ich zum Online- bzw. Social-Me- unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrun- dia-Marketing, mit Studierenden über Vor- 2. Lernen durch Reflexion und Feedback gen lassen Coworker lernen, was es jenseits und Nachteile des Lernens auf Distanz ge- Im Lernprozess ist nicht nur die Erweiterung des eigenen Tellerrandes noch zu entdecken sprochen, mich in ein Forschungsprojekt zur des eigenen Horizonts wichtig, Lernen wird gibt. Nicht zu vergessen: Coworking bedeutet Kollaboration auf Distanz eingebracht, viele immer dann besonders wertvoll und nach- Präsenz, ohne digitale Schranke in Form tech- Einblicke zum Thema Führung in großen und haltig, wenn Reflexion und Feedback mit ins nischer Medien, dafür mit allen Kommunika- kleineren Unternehmen erhalten, über aktu- Spiel kommen, wenn es gelingt, Neues in die tionskanälen und allen Sinnen, die Sichtbar- elle Herausforderungen aus Unternehmer- eigene Wirklichkeit zu integrieren, Aufgaben keit inklusive. und Arbeitnehmersicht diskutiert, Tücken und Probleme neu zu denken und andere, al- spezieller Branchen beim Thema Weiterbil- ternative Lösungen zu finden. Bei den Cowor- Was bedeutet diese Vielfalt für den Lernpro- dung kennengelernt (z. B. in der Pflege) und king-Partnern hat man die Möglichkeit, ein zess? Was macht das mit dem Lernen? Drei über mir unbekannte Produkte im Bereich Vir- Feedback einzuholen, ohne Betriebsblindheit, Faktoren sollen hier beispielhaft herausge- tual Reality gestaunt. Diese für mich gänzlich oder man wird selbst um ein Feedback gebe- stellt werden. 14
Coworking und Lernen Binzenbach | Coworking – gut fürs Lernen ten. Selbst gefragt zu werden, zum Beispiel zum Thema „Persönlichkeits-Diagnostik auf lassen Coworker*innen auch von außerhalb nach dem eigenen Geschäftsmodell und sei- Distanz mittels Virtual Reality“ zu entwickeln. des Coworking Spaces an Kommunikation, nen Herausforderungen, und dieses auf den Vernetzungs- und Lernprozessen teilhaben Punkt erklären zu müssen, das zwingt zum Wie kann das (informelle) Lernen beim (z. B. digitale Pinnwand, Forum, Organisati- Reflektieren. Reflexion, das ist ein besonders Coworking zusätzlich gefördert werden? onshilfen wie Besprechungsraum-Planer)? nachhaltiges Lernen – reflektieren, das eigene Zunächst sind Offenheit für Neues, auch für • Welche Veranstaltungsformate können die Anliegen und Vorgehen erklären und Sach- digitale Kollaborations-Tools, und eine kom- Vernetzung erleichtern, z. B. Formate, an de- verhalte auf den Punkt bringen. „Docendo munikative Persönlichkeit, die bereit ist, Fra- nen sowohl die anwesenden Coworker*in- disco“ – durch Lehren lerne ich“, sagte schon gen zu stellen, unabdingbare persönliche nen teilnehmen können, aber sich auch Per- der römische Dichter Seneca. Merkmale, um von der Vielfalt des Coworkens sonen von außerhalb zuschalten können, maximal zu profitieren. Zusätzlich ist meiner aus dem Home-Office oder vom regulären Ich erinnere mich zum Beispiel an zahlreiche Auffassung nach eine weitere Fähigkeit ele- Arbeitsplatz, z. B. (virtuelle) Workshops, We- Gespräche über die Behauptung „Der Ler- mentar, die Fähigkeit, langfristig denken zu binare, „Working out Loud“? nende kennt seinen Lernbedarf zu jedem Zeit- können. Informelle Gespräche, informeller punkt am besten“. All diese Gespräche liefer- Austausch führen in der Regel nicht direkt und Aus meiner Sicht sind an keinem anderen Ar- ten mir wunderbare Beispiele, diese These in kurzfristig zu Veränderungen in der eigenen beitsplatz die Chancen für (informelles) Ler- ihrer Grundsätzlichkeit zu widerlegen. Diskus- Arbeit, sie zahlen sich im oben genannten nen im beruflichen Kontext höher als beim sionen über mein Geschäftsmodell brachten Sinne aber langfristig aus. Natürlich ist dafür Coworking – nicht zuletzt aufgrund der gro- mich immer wieder dazu, nachzuschärfen ein gewisser Grad an Selbstmanagement- ßen Vielfalt der Kontexte. Die eigene Bereit- und meine Website entsprechend anzupas- Kompetenz hilfreich, um die richtige Balance schaft, diese Vielfalt aktiv zu nutzen sowie ein sen. Ein von mir durchgeführter Workshop zu wahren zwischen direkt und unmittelbar entsprechend förderliches Angebot des Co- über den zielgerichteten Einsatz digitaler zu erledigender Arbeit und Perspektiventwick- working Spaces erhöhen dieses Potenzial Lernformate lieferte mir ein wertvolles Feed- lung. noch einmal beträchtlich. Allein unter dem back für die Ausrichtung eines geplanten Wei- Gesichtspunkt des lebenslangen Lernens ge- terbildungsprogramms. Diese Liste mit Bei- Eine besondere Bedeutung für das informelle hört Coworking für mich zu den unbedingt spielen des Lernens durch Reflexion und Lernen nimmt sicherlich auch die Infrastruktur zukunftsfähigen Arbeitsformen, nicht nur für Feedback ließe sich von mir noch weiter fort- eines Coworking Spaces ein. Dazu gehören Start ups und Selbstständige, sondern auch führen. z. B. räumliche Voraussetzungen, die infor- für etablierte Unternehmen. melle Kommunikation fördern. Bei der Kon- 3. Kreativität zeption eines Coworking Spaces sollten daher Zum Autor: „Kreativ zu sein bedeutet nicht, etwas voll- folgende Aspekte bedacht werden: Bernd Binzenbach ist selbstständiger Experte kommen Neues zu erfinden. Was im Gehirn • Wie können Arbeitsplätze und Mobiliar so für High Impact Learning und überzeugter Co- nicht schon in irgendeiner Form da ist, kann angeordnet werden, dass sowohl konzen- worker. Er ist Master of Arts (M.A.) in eEducation auch nicht von ihm konstruiert werden.“ (Täu- triertes, störungsfreies Arbeiten, aber auch und verfügt über 20 Jahre Erfahrung in leiten- ber 2019, S. 42). Und genau dafür, für kreatives Kommunikation jederzeit ohne Hürden den Positionen in den Bereichen Personalent- Denken und Arbeiten, liefert Coworking beste möglich ist? wicklung und Learning & Development. Die Voraussetzungen, indem es, wie geschildert, • Wie können „Inseln“ für die gemeinsame Frage, wie gutes Lernen gelingt, beschäftigt wertvollen Input aus anderen Perspektiven Nutzung geschaffen werden, die abwechs- ihn seit seinem Studium. und Kontexten liefert, der dann mit Bestehen- lungsreiches Arbeiten und vor allem infor- dem verknüpft werden kann. Denn Kreativität melle Kommunikation fördern (z. B. Lounge, heißt unter anderem, bereits Vorhandenes Coffee Point, Bar, Pausen-Raum, Küche, Be- auf neue Art zu formen oder Verschiedenes sprechungsräume etc.)? neu miteinander zu kombinieren, also Ideen und Gedanken aus anderen Kontexten in den Obwohl ein Coworking Space von der Präsenz eigenen Kontext zu integrieren. der Coworker*innen lebt, ist eine gute digitale Infrastruktur, die Kollaboration, Austausch Die bisher angeführten Beispiele lassen sich und Koordination fördert, auch dann, wenn ohne Frage auch unter dem Gesichtspunkt Coworker*innen den Coworking Space nicht der Kreativität betrachten. Hier ein weiteres täglich oder regelmäßig nutzen, unabdingbar. Beispiel: Ohne den umfangreichen Input zum Dabei sollten folgende Überlegungen ange- Thema „Virtual Reality“ aus zahlreichen Kon- stellt werden: takten und Gesprächen im Coworking Space • Welche digitalen Formate/Ergänzungen er- wäre niemals die Idee entstanden, ein Projekt leichtern die Vernetzung im o. g. Sinne und Transition 1 | 2021 15
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