TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV

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TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
SITION
TRANSITION
                  Publication Series for Participative Innovation and Transfer
                                                 ISBN 978-3-00-067980-3 1 | 2021

Coworking statt Pendeln
Handlungsempfehlungen
und Praxisberichte

                                                        021
TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
TRANSITION
                                                                                                                                         1|2021
                                                                                                                    Coworking statt Pendeln
                                                                                                                    Handlungsempfehlungen
                                                                                                                    und Praxisberichte

                                                                                                Projekthomepage:
Impressum                                                                                       https://co-win.de

TRANSITION – Publication Series for Participative              Band 1| 2021 der TRANSITION basiert auf den Ergebnissen des Projektes CoWin.
Innovation and Transfer                                        Das Modellprojekt „CoWin – Entwicklung und Erprobung eines mit ‚virtual reality-
Band 1 | 2021: Coworking statt Pendeln                         Technologie’ gestützten Coworking-Modells für Berufspendler“ wird seit 2018 im
Handlungsempfehlungen und Praxisberichte                       Rahmen des Förderprogramms „Umbau 21 – Smart Region, Initiative zur Digitali-
ISBN 978-3-00-067980-3                                         sierung der Emscher-Lippe-Region“ vom Land NRW gefördert
Erscheinungsort: Gelsenkirchen
                                                               Koordination und Kontakt:                            Modellpartner:
Herausgeber: Forschungsinstitut für innovative
Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) e.V.
Verlag: FIAP e.V.
                                                                 f iap
V.i.S.d.P.: Dr. Rüdiger Klatt, Silke Steinberg                 Forschungsinstitut für innovative Arbeits-           NewWorkLab im
Bezugsadresse: FIAP e.V., Munscheidstraße 14,                  gestaltung und Prävention (FIAP) e.V.                Wissenschaftspark Gelsenkirchen
45886 Gelsenkirchen                                            Munscheidstraße 14, 45886 Gelsenkirchen              Munscheidstraße 14, 45886 Gelsenkirchen
Lektorat: Elisabeth Meyer                                      Rüdiger Klatt                                        Wolfgang Jung
Layout: Q3 design GbR, Druck: print24.de,                      r.klatt@fiap-ev.de                                   jung@wipage.de
Abbildungen: FIAP e.V. (S. 2, S. 4, S. 5, S. 7, S. 8, S. 13,   + 49 (0)209 - 319 981 74                             +49 (0)209 - 167 1005
S. 14, S. 16, S. 18 zwei); Wissenschaftspark Gelsen-
kirchen (S. 3, S. 25, S. 28, S. 35, S. 36); Adobe-Stock:
Abdul Qaiyoom (S. 1, S. 11, S. 12), Sfio Cracho (S. 1,
S. 24), MicroOne (S. 1, S. 6), Bro Vector (S. 17, S. 33);
railwayfx (S. 20), Irina Strelnikova (S. 21, S. 36), Ilyes                                                          Designhaus Marl
                                                               Das Projekt CoWin wird gefördert vom
Laszlo (S. 21), Jürgen Priewe (S. 22), DmiT (S. 27),                                                               Friedrichstraße 30, 45772 Marl
SurfupVector (S. 35); S.18 o.r., S. 19 aus Privatbesitz                                                             Nadja Kothe
                                                                                                                    n.kothe@designhaus-marl.de
                                                                                                                    + 49 (0)2365 - 85 66 505

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TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
Inhalt

                      2    Impressum

                      5    Editorial: Silke Steinberg, Rüdiger Klatt
                           Arbeiten „auf Distanz“

                      6    Rüdiger Klatt (Mitarbeit: Carla Lohre, Benjamin Wenderlich)
                           „Coworking statt Pendeln“
                           Praxiserfahrungen aus dem Feldexperiment CoWin, FIAP e.V.

                      9    Interview mit Thorsten Urbanski (ESET, Head of Communication
                           & PR DACH) über flexible Arbeit, virtuelle Unternehmen und Coworking
                           „Wir brauchen einen Ort, wo wir uns physikalisch treffen!“

                      13   Bernd Binzenbach Coworking – gut fürs Lernen

                      16   Elisabeth Meyer im Gespräch mit Petra Lukaschewski
                           Coworking muss man sichtbar machen – Tipps einer Fachfrau für Social Media

                      18   Pro & Contra Coworking
                           Statements Erfahrungen und Eindrücke im NewWorkLab

                      20   Stamatia Aidonidou, Romina Große, Silke Steinberg, FIAP e.V.
                           Coworking – kulturelle Gestaltungsfacetten eines Denk- und Arbeitsstils in Europa

                      24   Rüdiger Klatt, Wolfgang Jung
                           Dienstleistungen und Qualifizierungen für virtuelle Arbeit ko-kreativ entwickeln
                           Plädoyer für ein transdisziplinäres Forschungslabor für Virtual Reality-Innovationen
                           in der Arbeitswelt

                      28   Ilona Dierschke, Lisa Venhues (Effizienz-Agentur NRW)
                           Arbeiten auf Distanz im Coworking-Space
                           Erfahrungen aus der Teilnahme am Modellprojekt CoWin

                      30   Rüdiger Klatt
                           Coworking statt Pendeln
                           Die Handlungsempfehlungen des Modellprojektes für die Betreiber von Coworking-Spaces

                      34   Autorenhinweise

Transition 1 | 2021                                                                                               3
TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
Arbeiten „auf Distanz“                                                               1

In dieser Ausgabe der Schriftenreihe Transition bilanzieren wir die Facetten, Ergebnisse und Spin-
off-Projekte unseres Feldexperimentes CoWin, das sich seit über zwei Jahren im Auftrag des Wirt-
schafts- und Digitalministeriums NRW mit der Weiterentwicklung des Arbeitsmodells Coworking
(insbesondere) für Berufspendler/-innen beschäftigt.

Es geht in diesem Projekt darum, Handlungsempfehlungen                     Mit bislang 49 Probanden aus 22 beteiligten Unternehmen,
zu entwickeln, um das Geschäftsmodell Coworking so zu                      die an zwei Standorten des Modellprojektes (in Gelsenkir-
gestalten, dass Berufspendler eine wohnortnahe Alternative                 chen und Marl) das digital unterstützte Coworking austes-
zu ihrem Arbeitsplatz im Home-Office oder im Unterneh-                     teten, ob diese Thesen sich bestätigen, konnten wir ein dif-
men haben. Unsere generelle These dabei: Digitalisierung                   ferenziertes, aber im Großen und Ganzen erfolgreiches
und moderne Arbeitsprozesse machen es unnötig, die Ar-                     Experiment im Feld durchführen. Unsere Thesen wurden
beit an einem „festen“ Arbeitsplatz auszuüben. Der Arbeits-                weitgehend bestätigt – auch wenn sich im Einzelfall in ge-
ort kann sich zunehmend den Bedürfnissen des Mitarbeiters                  nauerer Betrachtung spezifische unternehmensstrukturelle
anpassen – und nicht umgekehrt – und so dem Unterneh-                      und -kulturelle sowie individuelle förderliche und hem-
men und den Beschäftigten stressige Pendlerstrecken und                    mende Faktoren herauskristallisierten. Wir können mit Co-
Ressourcen (vor allem teure und oft wenig genutzte Büro-                   Win nunmehr beschreiben, über welche Dienstleistungen
flächen) ersparen. Gegenüber dem konkurrierenden Ar-                       die Coworking-Spaces verfügen müssen, um den Zielmarkt,
beitsmodell Home-Office leistet Coworking – so unsere                      pendelnde Beschäftigte und ihre Unternehmen, wirklich
These – dabei unter anderem einen Beitrag zur Förderung                    zu erreichen.
sozialer Kontakte, zur Trennung von Arbeit und Privatem
und es steigert die Arbeitsmotivation und Kreativität. Neben               Eine zusätzliche Forschungsdimension des Projektes ist
der klassischen Klientel, den Freelancern, Kreativen und                   die Analyse der Funktion des Konzeptes Coworking in
Arbeitsnomaden wird Coworking für eine weitere Ziel-                       Deutschland und im europäischen Ausland und darauf auf-
gruppe, die abhängig beschäftigten Angestellten und ihren                  bauend die Gestaltung neuer Coworkingkonzepte für he-
Unternehmen, interessant.                                                  terogene Zielgruppen. Diese Forschungsdimension wird
                                                                           durch das internationale Netzwerk des FIAPs und seiner
                                                                           europäischen Projekte getragen.
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    Diese Ausgabe der FIAP-Schriftenreihe TRANSITION beruht auf Er-
    gebnissen des Modellprojektes CoWin: Entwicklung und Erprobung         Im März 2020 traf die Corona-Krise auch unser Modellpro-
    eines ‚virtual reality’ gestützten Coworking-Modells für Berufspend-
                                                                           jekt unvorbereitet. Durch strenge Hygienekonzepte konnte
    lerInnen. Das Projekt CoWin wird seit Januar 2018 im Rahmen des
    Förderprogramms „Umbau 21 – Smart Region“: Initiative zur Digi-        die Experimentierphase aber nach einer kurzen Unterbre-
    talisierung in der Emscher-Lippe- Region vom Land NRW gefördert.       chung fortgesetzt werden. Neue Fragestellungen kamen

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TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
Editorial
                                                    CoWin – Modellprojekt zur Entwicklung und
                                                    Erprobung eines ‚virtual reality‘ gestützten
                                                    Coworking-Modells

                      hinzu, z. B. die Frage, wie wir die Coworking-Spaces auch       Gemeinsam mit dem Wissenschaftspark Gelsenkirchen zie-
                      gegenüber den Herausforderungen einer Pandemie krisen-          len wir – nach einer hoffentlich erfolgreichen Implemen-
                      fester machen können, wie Corona die Arbeitswelt insge-         tierung der Idee: „Coworking statt Pendeln“ – auf die Ein-
                      samt verändert, welche Bedeutung der Arbeitsort „Home-          richtung eines Experimentierlabors für verteiltes Arbeiten
                      Office“ gewinnt und welches Potenzial Coworking in der          mit Hilfe von Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR)
                      Krise hat.                                                      und Mixed Reality (MR), in dem Unternehmen, Beschäftigte
                                                                                      und innovative Dienstleister wirklich praktische Konzepte
                      In unserem Feldexperiment ging es darum, zu untersuchen,        für digitale und virtuelle Tools gemeinsam entwickeln. Wir
                      wie durch Coworking neue individuelle und betriebliche          begleiten zudem ein innovatives Start-Up bei der Entwick-
                      Potenziale durch „Grenzüberschreitungen“ entfaltet werden       lung einer Internet-Dienstleistung für flexible Nutzung von
                      können. Coworking bedeutet: Kooperation, Kokreation, Zu-        Büro- und Besprechungsräumen an jedem Ort. Und in un-
                      sammenarbeit – nicht nur, aber vor allem „face-to-face“         seren internationalen Projekten nutzen wir VR/AR/MR, um
                      mit neuen, heterogenen Partnern aus ganz anderen Zu-            neue Train-the-Trainer-Konzepte und neue Formen der Be-
                      sammenhängen. Betriebliche Beschäftigte sollen durch            rufswahlorientierung zu entwickeln.
                      Coworking neue Netzwerke bilden und neue Horizonte
                      entdecken – für sich und für ihre Unternehmen. Die Unter-       Die vorliegende Publikation versammelt die wesentlichen
                      suchung dieser ersten Säule von CoWin wurde im Zusam-           Erkenntnisse des Projektes und einige Spin-off-Aktivitäten
                      menhang mit Corona nicht leichter. Es brauchte Strategien,      in einer praxisorientierten Form und gibt praktische Hand-
                      um im Open Office eine Balance von sozialer Distanz und         lungsempfehlungen. Wissenschaftliche Veröffentlichungen
                      kooperationsförderlicher Nähe aufzubauen, ohne die Ge-          werden folgen.
                      sundheit zu gefährden. Daran arbeiten wir auch aktuell
                      noch weiter.                                                    Zu Wort kommen an dieser Stelle – neben unserem wis-
                                                                                      senschaftlichen Projektteam – die beteiligten Coworker,
                      Andererseits sollte CoWin aufzeigen – das war die zweite        die Unternehmen und natürlich die Betreiber der beteilig-
                      Säule im Projekt –, wie durch innovative digitale Dienst-       ten Coworkingspaces.
                      leistungen und Konzepte das Arbeiten „auf Distanz“ gestärkt
                      und verbessert werden kann. Die Digitalisierung und Vir-        Die Ergebnisse einer Corona-Sonderbefragung, die wir zu-
                      tualisierung schaffen (z. B. mit Online-Konferenzen) neue       sätzlich eingeschoben haben, geben erste Fingerzeige auf
                      Möglichkeiten, die Arbeit zu den Menschen zu bringen –          eine veränderte Normalität – auch in den Coworkingspaces
                      und nicht die Menschen zur Arbeit.                              weltweit – die auf uns zukommt.

                      Wo immer man arbeitet – ob im Home-Office, im Cowor-            Als Wissenschaftler haben wir das Privileg, über das aktuelle
                      kings-Space oder unterwegs: Der kompetente, sichere und         Tagesgeschäft hinauszublicken und die längerfristigen
                      routinierte Umgang mit digitalen Tools für das Arbeiten auf     Trends in den Blick zu nehmen. Aus dieser Perspektive kön-
                      Distanz muss in die DNA jedes Unternehmens, jedes Be-           nen wir die These formulieren: Das Arbeitsmodell Cowor-
                      schäftigten und jedes Freelancers verankert werden. Dabei       king wird uns – auch nach Corona – angesichts
                      sollte in unserem Modellprojekt auch die technische Dy-         • zunehmender Pendlerströme,
                      namik und das Innovationsgeschehen in diesem Bereich            • knapper werdender Ressourcen für gewerbliche Immo-
                      (Stichwort: Virtual Reality-/Mixed Reality-Tools) Berücksich-     bilien und natürlich:
                      tigung finden. Von einer Verankerung digitaler Arbeit in die    • einer dynamischen Steigerung der Entwicklungen im Be-
                      Tiefenstrukturen unserer Arbeitswelt waren und sind wir,          reich der digitalen und virtuellen „Arbeit auf Distanz“
                      so zeigt CoWin, aber auch die Corona-Pandemie, noch ein         weiter begleiten. Die Corona-Krise ist bald „Geschichte“.
                      ganzes Stück entfernt. Es bleibt viel zu tun.                   Das Arbeitsmodell Coworking wird sich der daraus erwach-
                                                                                      senden neuen Normalität flexibel anpassen.
                      Auch diese zweite Säule von CoWin hat zu erfolgreichen
                      Konzepten und Unterstützungsmaßnahmen im Projekt ge-            Silke Steinberg, Rüdiger Klatt
                      führt – z. B. zu Kompetenzentwicklungsstrategien und krea-      Januar 2021
                      tiven Workshops-Angeboten für das dezentrale und verteilte
                      Arbeiten. Diese Säule unserer Arbeit wurde mit Corona
                      nachhaltig gestärkt und entwickelt derzeit eine neue Dy-
                      namik. Die Offenheit und Bereitschaft für neue virtuelle
                      Kollaborationstools ist deutlich gestiegen und unterstützt
                      diesen Teil der Projektarbeit.

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TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
Rüdiger Klatt (Mitarbeit: Carla Lohre, Benjamin Wenderlich)

„Coworking statt Pendeln“
 Praxiserfahrungen aus dem Feldexperiment CoWin, FIAP e.V.

 Seit Anfang 2018 fördert das Wirtschafts- und Digitalministerium des Landes NRW im Aufruf: Umbau 21 – Smart
 Region das Realexperiment CoWin1, das erprobt, ob Berufspendlerinnen und -pendler das Arbeitsmodell
 „Coworking“ nutzen können, um lange Pendlerstrecken zu vermeiden. Dazu wurden durch das FIAP in zwei
 Coworking-Spaces in Gelsenkirchen (das NewWorkLab im Wissenschaftspark) und in Marl (im Designhaus Marl)
 jeweils 10 Coworking-Plätze mit modernster Ausstattung angemietet. Die Arbeitsplätze stellt das Modellprojekt

 Insgesamt haben sich bislang 46 Beschäftigte aus 19 Un-                  und weiterentwickeln. Dazu haben wir in den Spaces jeweils
 ternehmen (u. a. GLS-Bank, Sutter AG, Haniel, Evonik) am                 ein Labor für die Arbeit mit virtuellen und smarten Tools
 Modellprojekt beteiligt. Sie wohnen in der Regel in der Nähe             ausgestattet, z. B. ein innovatives Smartboard, das Desk-
 der Coworking-Spaces, arbeiten aber z. B. in Düsseldorf,                 sharing und Videokonferenzen ermöglicht.
 Essen, Duisburg oder Bochum. Die Unternehmen sparen
 damit Büroarbeitsplätze, die Beschäftigten lange und an-                 Unternehmen und Beschäftigte sollen im Rahmen des Pro-
 strengende Anfahrtszeiten, die oft im Stau noch zusätzlich               jektes auch die Möglichkeiten des virtuellen Arbeitens ken-
 verlängert werden. Coworking bietet darüber hinaus eine                  nen lernen und testen. Ergänzend wurden deshalb Virtual
 neue soziale Qualität, indem es den Blick über den „Teller-              Reality-Dienstleister, die im Feld „remote work“ tätig sind,
 rand“ des eigenen Unternehmens ermöglicht.                               eingebunden und mehrere VR-Stationen mit entsprechen-
                                                                          der Software, die die Arbeit in einem simulierten virtuellen
 Im Rahmen des Modellprojektes konnten die Modellunter-                   Konferenzraum ermöglichten und die allen Coworkern zur
 nehmen und Probanden verschiedene Formen des dezen-                      Verfügung standen, vom Projekt bereitgestellt. Auf zahlrei-
 tralen, verteilten Arbeitens besser kennenlernen, einüben                chen Veranstaltungen und Demonstrationen wurden die
                                                                          hochinnovativen Tools zur Arbeit in einer virtuellen Realität
 1
     CoWin – Erforschung, Entwicklung und Erprobung eines „virtual rea-   erprobt.
     lity“ gestützten Coworking-Modells für Berufspendler*innnen; (AZ
     34.02.01.05-014;                                                     Erste Ergebnisse: Stärken und Schwächen
     FIAP: Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prä-
                                                                          des Coworking
     vention e.V.
     Designhaus Marl                                                      Alle Testpersonen wurden nach einer kurzen Kennlern-
     NewWorkLab im Wissenschaftspark Gelsenkirchen                        phase zur Einschätzung zu den generellen Stärken und

 6
TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
Coworking statt Pendeln
Schwächen von Coworking im Rahmen von            Bezogen auf das Geschäftsmodell der Betrei-       aus betrieblichen, sei es aus persönlichen
Feedback-Interviews und auch schriftlich be-     ber erweist sich aus unserer Sicht ein aktives    Gründen, den Coworking-Space im Durch-
fragt. Tenor hier: Besonders positiv wird die    Community-Management mit einer hohen              schnitt an einem Tag in der Woche. Dazu muss
Förderung sozialer Kontakte bewertet. Co-        Betreuungsdichte, ergänzt durch eine exzel-       man wissen: Bei den von uns eingebundenen
working erleichtere auch die Trennung von        lente Ausstattung – vor allem im Bereich der      Probanden handelt es sich um eine sehr spe-
Arbeit und Privatem, fördere die Arbeitsmoti-    IT-Technik – als notwendig, wenn man die          zifische Zielgruppe. Die überwiegende Mehr-
vation und Kreativität. Negativ bewertet wur-    Zielgruppe der Berufspendler in abhängiger        heit ist es gewohnt, von „überall“ zu arbeiten.
den die Lautstärke während der Arbeit sowie      Beschäftigung adressieren will. Aus Betreiber-    Fast jeder unserer Probanden kann auch im
der Datenschutz und die Datensicherheit im       sicht stellt sich dabei die Kostenfrage, denn     Home-Office arbeiten. Ein Arbeitsplatz im Be-
Coworking-Space. Aus der Sicht der befragten     ein intensiv betreutes Coworking mit einem        trieb wird in der Regel auch vorgehalten. Zu
Test-Coworker haben sie durch ihr Arbeiten       Community-Manager erhöht den Personal-            den Alternativen Home-Office und Arbeits-
im Coworking-Space neue Netzwerke gewon-         aufwand und damit die Kosten und den Auf-         platz im Betrieb steht der Coworking-Arbeits-
nen und ihre Fahrtwege reduziert und damit       wand für den Betreiber.                           platz in einem Konkurrenzverhältnis. Er muss
einen Beitrag zur Förderung ihrer Work-Life-                                                       sich gegen den Arbeitsort Betrieb und gegen
Balance geleistet.                               Befragt wurden unsere Probanden auch in           den Arbeitsort zu Hause als attraktive Alter-
                                                 Bezug auf die Usability der Coworking-Spaces      native erweisen.
Bezogen auf die Ausstattung kann von einem       in Gelsenkirchen und Marl. Bezüglich der Ar-
hohen Erwartungsniveau der „pendelnden“          beitswegeersparnisse konnten wir im Rahmen        Die Coworking-Spaces sind also gehalten, sich
Beschäftigten ausgegangen werden. Ein pro-       unseres Feldexperiments die ökologische Re-       als die bessere Alternative zu profilieren. Dazu
fessionelles Ambiente mit ansprechender Bü-      levanz des (wohnortnahen) Coworkings nach-        gehören, wie bereits erwähnt, ein aufmerk-
roausstattung und viel Platz war für die Pro-    weisen. Während fast jeder Zweite unserer         sames Community-Management, eine umfas-
banden sehr wichtig. Fast alle (>90 %) unserer   Probanden einen Arbeitsweg zur Betriebstätte      sende, professionelle Ausstattung, zahlreiche
Probanden erwarten außerdem Schließfä-           von mindestens 30 km zu bewältigen hat, ist       Service- und Vernetzungsangebote. Und das
cher, Räume für vertrauliche Gespräche, eine     der Weg zum Coworking-Space bei 90 % der          soziale Miteinander, die soziale Qualität des
Lounge und einen Konferenzraum. Mehr als         Probanden unter 30 km. In Gelsenkirchen spa-      Coworking-Spaces sollte ebenfalls stimmen.
jeder Zweite findet auch die Möglichkeit zum     ren ¾ der Probanden Arbeitswege und Fahrt-        Ein ebenfalls wichtiger „Treiber“ für die pen-
Powernapping (Ruhezone), ein Smartboard          zeiten ein, wenn sie den Coworking-Space          delnden Beschäftigten ist nach unserer Ana-
und einen Freizeitraum sehr wichtig. Interes-    nutzen, in Marl 9 der 10 Befragten. Die durch-    lyse auch eine lange, staugefährdete Fahrt zur
sant ist, dass von unseren Befragten bereits     schnittliche Zeitersparnis im Vergleich zum       Arbeit. Dabei gilt: Je länger die Strecke, je vol-
heute jeder Vierte (28 %) sagt, dass ein Vir-    Arbeitsweg beträgt beispielsweise bei den ca.     ler die Straßen und Autobahnen, desto eher
tual-Reality-Arbeitsraum die Ausstattung der     70 % der Gelsenkirchener Probanden bis zu         wird auf den alternativen Arbeitsplatz im Co-
Coworking-Spaces bereichern sollte.              einer Stunde (Marl: 30 %), in Marl sparen 6 der   working-Space zurückgegriffen. Einige Cowor-
                                                 10 Befragten sogar bis zu zwei Stunden pro        ker empfinden die Arbeit im eigenen Zuhause
Bezogen auf die Dienstleistungen sind für un-    Tag (in Gelsenkirchen einer von 13 Befragten).    aus verschiedenen Gründen als Zumutung,
sere Probanden Büroservices und Vernet-                                                            sei es, weil dort Störungen im Arbeitsablauf
zungs- und Kooperationsangebote unbedingt        Ein zentrales Handlungsfeld für die Betreiber     wahrscheinlicher sind, sei es, weil man die ei-
notwendig. Auch eine Kantine, Angebote zur       liegt aus unserer Sicht in der geringen durch-    gene Work-Life-Balance nicht gefährden will
Gesundheitsförderung, (Fach-) Fortbildungen      schnittlichen monatlichen Nutzung des Co-         und eine klare Grenzziehung von Arbeit und
und Kinderbetreuungsangebote sollten für je-     working-Angebotes. Unsere Probanden, d. h.        Freizeit/Familie wünscht. Auch dies spricht
den Zweiten vorhanden sein.                      die pendelnden Beschäftigten, nutzen, sei es      für die Nutzung des Coworking-Arbeitsplatzes.

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TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
Klatt | „Coworking statt Pendeln“

Unsere teilnehmenden Beobachtungen, zahl-        ein erstes Zwischenresümee lässt sich viel-          echter Mehrwert durch weniger Wegezeiten
reiche Feedbackrunden und individuellen Be-      leicht schon an dieser Stelle ziehen:                entsteht. Daraus erwächst die Anforderung,
fragungen zeigen: Konkurrenzfähiger ist der                                                           will man die Zielgruppe effektiv erreichen,
Arbeitsplatz Coworking in unserem Feldexpe-      1.Für Beschäftigte, die in Wohnortnähe co-           dass man eine Art Doppel-Marketing be-
riment vor allem gegenüber dem Arbeitsplatz        worken können, dürfen und wollen, steigt           treiben muss, um gleichermaßen den Kun-
zu Hause. 60 % der Gelsenkirchener Proban-         die Arbeitszufriedenheit und die Work-Life-        den „Unternehmen“, als auch den Kunden
den finden den Coworking-Arbeitsplatzes bes-       Balance verbessert sich. Für die Beschäftig-       „Pendler“ zu überzeugen. Das Feldexperi-
ser oder viel besser als das eigene Home-Of-       ten wird die An- und Einbindung in den Be-         ment CoWin vermittelt jedenfalls einen
fice. Nur einer von 3 Probanden findet den         trieb zu einem Problem. Deshalb „verteilen“        guten Einblick in die Ansprüche der Ziel-
Coworking-Platz besser als das betriebliche        die meisten ihre Arbeitszeit auf alle drei Ar-     gruppe. Es ist eine besondere Herausforde-
Büro. Im Marler Coworking-Space sieht es           beitsorte, auf den Arbeitsplatz im Betrieb,        rung für die Betreiber, diesen Erwartungen
ähnlich aus.                                       den Arbeitsplatz zu Hause und den im Co-           gerecht zu werden.
                                                   working-Büro. Für verteiltes oder gar virtu-
In beiden Coworking-Spaces werden nach un-         elles Arbeiten fehlen den Beschäftigten häu-      4.Nicht unerwähnt wollen wir lassen, dass un-
serem Eindruck Mängel in der Qualität der          fig die Kompetenzen. Auch die Bereitschaft,          sere qualitativen Analysen bei den (Kunden-)
Ausstattung genau beobachtet und fließen in        neben Telefon und Email weitere synchrone            Unternehmen auch zu einigen interessan-
nicht unerheblichem Umfang in die Wahl des         Medien (Videokonferenzen, virtuelle Arbeits-         ten Erkenntnissen geführt haben. Es ist
Arbeitsortes ein: Ist der Schreibtisch größer,     räume) zu nutzen, ist wenig ausgeprägt, hat          offenbar so, dass den meisten Unterneh-
komfortabler und schöner als der eigene im         aber zuletzt durch die Corona-Krise einen            men eine differenzierte Strategie fehlt, die
Home-Office oder der im betrieblichen Büro?        erheblichen Schub erfahren.                          Chancen verteilten Arbeitens umfassend zu
Funktionieren die angebotene Technik und                                                                nutzen. Zwar steigt die Bereitschaft, Be-
die Dienstleistungen möglichst smart und stö-    2.Für die Betreiber von Coworking-Spaces               schäftigten mehr Möglichkeiten bei der
rungsfrei (z. B. das WLAN, das Einlasssystem,      stellt sich die Frage, ob es gelingt, die Ziel-      Wahl des Arbeitsortes zu geben – gerade
die Mitgliederverwaltung, die Konferenztech-       gruppe zu erreichen und ihr spezielles, ho-          auch vor dem Hintergrund der Corona-
nik usw.)? Gibt es eine gute Infrastruktur im      hes Anspruchsniveau zu bedienen (und da-             Krise. Es fehlt aber ein Anreizsystem, das
Umfeld, z. B. eine Kantine in der Nähe oder        bei auch noch Geld zu verdienen). Denn               verteiltes Arbeiten motiviert, das Ressour-
Einkaufsmöglichkeiten?                             die pendelnden Beschäftigten sind häufig             ceneinsparung forciert und eine Remote-
                                                   hochqualifizierte Wissensarbeiter mit langer         Zusammenarbeitskultur fördert. Mit ande-
Ein wichtiges Bewertungskriterium für die          Berufserfahrung (das Durchschnittsalter un-          ren Worten: Wer seinen Mitarbeiterinnen
Qualität des Arbeitsmodells Coworking ist aus      serer Probanden lag bei 42 Jahren), die eine         und Mitarbeitern die Wahl bietet, im Home-
der Sicht der Zielgruppe, wie bereits ange-        hohe Dienstleistungsqualität erwarten. Ge-           Office, im Coworking-Büro oder im Betrieb
deutet, das Community-Management. Jeder            rade hier liegt eine der Problemzonen der            zu arbeiten, der sollte
Coworking-Space braucht einen „Kümmerer“,          Betreiber: Die Umsetzung einer anspruchs-         • eine umfassende technische Infrastruktur
idealerweise jemanden, der nicht nur die           gerechten Qualität und die Orientierung auf         für Remote Work vorhalten,
technische und organisatorische Unterstüt-         diese Kundengruppe ist nicht nur schwierig,       • ein Personal- und Kompetenzentwicklungs-
zung bietet, sondern der auch Angebote zum         sondern auch kostspielig.                           konzept für seine Mitarbeiter haben und
Kennenlernen der Coworker veranstaltet, der                                                          • ein ressourceneffizientes Arbeitsplatzmana-
gemeinsame Pausen oder der auch schon mal        3.Im Projekt kristallisierte sich auch heraus,        gement an den betrieblichen Standorten or-
einen Workshop oder eine After Work-Veran-         dass der pendelnde Beschäftigte als Kunde           ganisieren.
staltung organisiert.                              schwer, z. B. durch Marketing-Maßnahmen,
                                                   erreicht werden kann. Denn der „eigentliche“
Resümee                                            Kunde ist ja das Unternehmen mit Firmen-
Zwar ist es noch zu früh für eine abschlie-        sitz und Betriebsstätten außerhalb des Um-
ßende Bewertung des CoWin-Feldexperi-              feldes. Die Zielgruppe ist aber der pen-
ments, das wir unter das Motto „Coworking          delnde Beschäftigte des Unternehmens mit
statt Pendeln“ gestellt haben, zu ziehen, aber     Wohnsitz in Coworking-Nähe, für den ein

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TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
Interview
 Interview

„Wir brauchen einen Ort, wo wir
 uns physikalisch treffen!“
 Interview mit Thorsten Urbanski (ESET, Head of
 Communication & PR DACH) über flexible Arbeit,
 virtuelle Unternehmen und Coworking
 Zur Person: Thorsten Urbanski, 51 Jahre alt, Kommunikationswissenschaftler, Medienjournalist,
 Computerexperte, leitet seit 2016 den Bereich Unternehmenskommunikation und Public Relation
 bei ESET Deutschland GmbH, einem Unternehmen der IT-Sicherheitsbranche.

 Klatt: Die ESET GmbH ist ein globales Unter-       die Schweiz, einmal in Jena, da ist die Haupt-      rem Team war Home-Office eigentlich immer
 nehmen. Was bedeutet das für eure Arbeits-         niederlassung, also das Headquarter, und            möglich. Es hätte auch keinen Vorteil für das
 orte?                                              dann haben wir noch ein Marketingbüro in            Unternehmen gehabt, wenn wir physikalisch
 Urbanski: Richtig, wir sind ein global ausge-      München, wo die Kollegen aus dem Marketing          vor Ort sind. Zusätzlich habe ich privat für
 richtetes Unternehmen mit, Stand aktuell,          sitzen.                                             mich die Entscheidung getroffen, dass ich für
 knapp 1.800 Mitarbeitern. Davon arbeiten           In meinem Team sitzen zwei Mitarbeiter in           einen Job nicht wegziehen werde – aus fami-
 über 100 Mitarbeiter verteilt in ganz Deutsch-     Jena, während die anderen Mitarbeiter verteilt      liären Gründen. Und das ist bei vielen Men-
 land. Unser Hauptsitz ist in der Slowakei, in      in Nürnberg, Herten, Paderborn und Essen ar-        schen so, da hat sich was an der Einstellung
 Bratislava. Das IT-Unternehmen ESET gibt es        beiten. So ähnlich ist es bei anderen Teams         geändert in den letzten zehn Jahren.
 seit über 30 Jahren. Wir gehören zum „Urge-        auch. Bei allen Kollegen im Vertrieb ist es         Warum treffen wir uns hier (im NewWorkLab)
 stein“ der Anti-Viren-Industrie. Der Schwer-       Gang und Gebe, dass sie überwiegend von             physikalisch? Das ist ganz einfach: Weil Gel-
 punkt von ESET liegt im B2B-Bereich, wir ent-      Zuhause aus arbeiten. Man trifft sich regel-        senkirchen für uns zentral gelegen ist. Ein Kol-
 wickeln also Lösungen für Unternehmen. Wir         mäßig im Quartal, beziehungsweise alle vier         lege kommt aus Paderborn und der andere
 sind selber Hersteller mit eigenen Entwick-        bis sechs Wochen auch physikalisch, aber es         aus Herten, und ich komme aus Essen. Wir
 lungen und weltweit 22 Büros. Die Deutsch-         fehlen doch die regelmäßigen Treffen für ei-        brauchten einen Ort, wo wir uns physikalisch
 land-Zentrale liegt in Jena, weltweit sind wir     nen kreativen Austausch – bedingt durch die         treffen. Das machen wir auch in Jena. Alle vier
 in 220 Ländern vertreten. Es gibt kein Land,       große Distanz. Man kann natürlich Videokon-         bis sechs Wochen treffe ich mich dort mit mei-
 in dem ESET-Produkte nicht erhältlich sind.        ferenzen durchführen, aber es fehlt, dass man       nem Team. Man kann sehr viele Dinge per Vi-
 Zu unseren Kunden zählen namhafte Indus-           sich live sieht, alle ein bis zwei Wochen. Tref-    deokonferenz machen, aber nur bis zu einem
 trieunternehmen in der ganzen Welt.                fen, an denen man also Dinge gemeinsam er-          bestimmten Grad. Für eine leistungsfähige Or-
 Wir arbeiten auch weltweit mit Ermittlungs-        arbeitet oder auch den Teamgedanken weiter          ganisation ist es unerlässlich, dass ich die
 behörden zusammen, so sind wir beispiels-          voranbringt. Die Büroarbeit von zu Hause            Leute auch live sehe. Wir bewegen uns in ei-
 weise im Board von Europol. Das heißt, wenn        birgt die Gefahr der sozialen Vereinsamung.         nem kreativen Umfeld. Das heißt, wir entwi-
 wir Angriff-Szenarien mit speziellen schädli-      Corona verstärkt diesen Effekt noch. Momen-         ckeln Kommunikationsstrategien fürs Unter-
 chen Computerviren auf Industrieanlagen            tan gibt es keine Präsenztermine mehr, das          nehmen. Das kannst du besser machen, wenn
 entdecken, dann teilen wir diese Information       heißt, man kann niemanden besuchen. Selbst          du dich auch mal live siehst, das geht nicht
 mit Europol.                                       wenn man vorher häufig im Home-Office ge-           nur per Video. Videokonferenzen vier Stunden
 Insgesamt schützen wir weltweit über 2 Milli-      arbeitet hat, kriegt man jetzt einen „Buden-        an einem Tag zu machen, das ist sehr anstren-
 arden Internetnutzer, bewusst oder unbe-           koller“.                                            gend. Live ist es was anderes. Vor allem kann
 wusst. Ein Beispiel: jeder, der Chrome nutzt,                                                          man eine stärkere Interaktion einbringen, das
 nutzt auch Technologie von ESET, weltweit          Klatt: Stichwort „Home-Office“: Wie ist das         fehlt bei Videokonferenzen. Deswegen haben
 schützt unsere Software 110 Millionen End-         bei euch geregelt? Ihr bekommt vom Unter-           wir gesagt, das ist eine super Idee, so ein Co-
 verbraucher. Wir zählen damit im Bereich der       nehmen einen Laptop gestellt?                       working-Space. Vor allem wenn er auch diese
 End-Point-Sicherheit zu den vier größten Un-       Urbanski: Wir erhalten vom Unternehmen              Ausstattung hat wie hier im NewWorkLab. Es
 ternehmen.                                         Laptop, Monitore, Drucker und so weiter. Das        gibt ja solche und solche Coworking-Spaces.
                                                    gilt aber nicht für alle Mitarbeiter. Home-Office   Mich in einem Café zu treffen und das als Co-
 Klatt: Also ihr seid ein globales und erfolgrei-   war auch bei uns nicht selbstverständlich –         working-Space zu deklarieren, ist zwar okay,
 ches Unternehmen, das von der Arbeitsorga-         vor Corona. Da gab es schon eine Differenzie-       aber wenn ich eine Strategie entwickeln muss,
 nisation her virtuell aufgestellt ist?             rung. Das war auch zum Beispiel im Innen-           dann brauche ich einen Raum, wo ich die ent-
 Urbanski: Genau. Wir arbeiten überwiegend          vertrieb so, der Innenvertrieb ist physikalisch     sprechende technische Ausstattung und die
 im Home-Office. Mein Team arbeitet an zwei         vor Ort, der ist nicht im Home-Office. Das hat      Ruhe habe. Wenn ich sage, ich erarbeite zum
 Standorten für Deutschland, Österreich und         sich natürlich mit Corona geändert. In unse-        Beispiel acht Stunden mit jemanden gemein-

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TRANSITION TRANSITION - Handlungsempfehlungen und Praxisberichte Coworking statt Pendeln - FIAP eV
Urbanski | Interview

sam etwas, das geht in einem Café nicht. Man      können, z. B. bei Geschäftsabschlüssen. Im          Arbeitszeiten nicht einhalten. Da kann man
redet ja auch über Dinge, die vertraulich sind.   Coworking-Café funktioniert das nicht.              natürlich als Führungskraft sagen, das ist na-
Und wie soll ich in einem Café die ganze Zeit                                                         türlich toll, jemand arbeitet ja mehr. Das ist
über Videokonferenzen durchführen?                Klatt: Du bist ja Führungskraft im Unterneh-        faktisch so, dass jemand im Home-Office
                                                  men. Du kannst quasi beide Brillen aufset-          deutlich mehr und länger arbeitet als im nor-
Klatt: Nochmal konkret zur Nutzung der Co-        zen. Also du kannst sagen, was ist der Benefit      malen Büro, wo er die Tür schließt und geht.
working-Plätze hier. Ihr trefft euch einmal die   für die Mitarbeiter, was ist der Benefit fürs       Das ist die Erfahrung der letzten fünfzehn
Woche, oder?                                      Unternehmen, den Coworking-Space zu                 Jahre bei mir als Führungskraft. Aber das be-
Urbanski: Richtig. Gerade wegen der Corona-       nutzen?                                             deutet auch, dass ich riskiere, dass mein Mit-
Einschränkungen treffe ich mich mit allen Mit-    Urbanski: Der Benefit für die Mitarbeiter ist       arbeiter ausbrennt. Als Führungskraft muss
arbeitern einmal die Woche und mit den            einmal, psychologisch betrachtet, ein Tape-         ich dafür sorgen, dass das nicht passiert. Wird
anderen alle vier Wochen, wenn es sich ein-       tenwechsel, was immens wichtig ist. Und man         im Home-Office gearbeitet, muss ich noch viel
richten lässt. Wenn man nicht direkt den gan-     trifft auch mal Jemanden, der nicht zur eige-       mehr darauf achten, als ich es im Büro ma-
zen Tag an einem Projekt gemeinsam arbeitet,      nen Organisation gehört, und kann sich mit-         chen würde. So ein Coworking-Space funk-
geht es vor allem auch darum, dass man den        einander austauschen. Im Home-Office geht           tioniert ähnlich wie ein Büro, man kommt hier
Austausch hat zwischen den Kolleginnen            der zwischenmenschliche Austausch zu sehr           hin und danach ist die Arbeitszeit dann auch
und Kollegen. Der ist einfach Gold wert, da       verloren. Das Zweite ist: im Home-Office be-        vorbei. Das hat den positiven Effekt: Wenn ich
kommen ganz andere Ideen zustande. Man            steht die Gefahr, dass es keine Trennung zwi-       nach Hause gehe, dann ist dieser Arbeitstag
braucht auch die Möglichkeit, vertrauliche Ge-    schen Privatem und Beruflichem gibt. Und            tatsächlich beendet. Wenn ich im Home-Of-
spräche in Besprechungsräumen führen zu           das ist für Mitarbeiter fatal, weil sie dann ihre   fice bin, ist der Arbeitstag nicht beendet.

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Interview
                      Klatt: Ihr habt drei Arbeitsorte als globales Unternehmen.       haben wir zwar bisher noch nicht geschafft, Corona bedingt,
                      Ihr könnt sagen, wir treffen uns in Jena, München oder so-       aber das ist der Plan. Der Abteilungsaustausch wird dadurch
                      gar in Bratislava. Ihr könnt sagen, wir treffen uns per Video,   eigentlich erst möglich. Sonst müssten wir uns einen an-
                      also virtuell in einer Konferenz, und sitzt dabei im Home-       deren Raum anmieten und uns treffen, was aufwändiger
                      Office. Und ihr könnt sagen, wir treffen uns jetzt persönlich    ist und wir auch nicht wissen, wie die Ausstattung ist. Der
                      im Coworking-Space. Wie siehst du das, ist das ideal? Wel-       Vertrieb hat z. B. auch schon gefragt, ob sie mal mit einem
                      che Vor- und Nachteile hat das Coworken für euch?                Kunden hierhin dürfen.
                      Urbanski: Bei mir war das so, ich hatte unterschiedliche
                      Jobangebote vor ein paar Jahren, da war Berlin dabei, da         Klatt: Ja, jetzt möchte ich aber gerne nochmal eine Stel-
                      gab es Hamburg. Für mich war ganz klar, ja mache ich, aber       lungnahme zum Thema Datenschutz und Datensicherheit
                      ich werde niemals fünf Tage die Woche in Berlin sein. Ich        von dir. Also wie beurteilst du die Datensicherheit hier? Co-
                      habe gesagt, zwei Tage die Woche kann ich mir vorstellen,        working hat ein Problem mit dem Datenschutz, da geht’s
                      oder auch eine Woche im Monat. Ich glaube nicht, dass            um Telefonate, um vertrauliche Gespräche. Da geht’s auch
                      ein Modell für mich tragbar wäre, bei dem ich fünf Tage in       darum, dass man auf den Bildschirm des Nachbarn gucken
                      der Woche in einem Büro sitze. Denn das ist für meine            könnte. Wie beurteilst du das? Kann man das managen?
                      Arbeit nicht erforderlich, das brauche ich nicht.                Siehst du ein großes Problem darin?
                      Ich glaube, eine gesunde Mischung ist richtig. Der Vorteil       Urbanski: Es gibt einige grundlegende Dinge, die sollte
                      von so einem Coworking-Space wie hier im Wissenschafts-          man natürlich beachten. Das heißt, es ist definitiv ein Pro-
                      park Gelsenkirchen ist, dass eine starke Vernetzung statt-       blem. Wenn ich hier arbeiten würde und ich hätte vertrau-
                      findet. Das heißt, es erfolgt eine Vernetzung zwischen Un-       liche Konstruktionsunterlagen, dann wäre es ein Problem.
                      ternehmen, die normalerweise gar keine Berührungspunkte          Coworking bedeutet, man arbeitet in einem offenen Be-
                      haben. Geschäfte kommen oft über Netzwerke und Bezie-            reich. Das heißt, egal wie sicher etwas ist, es könnte theo-
                      hungsflächen zustande. Und da finde ich hier im NewWork-         retisch immer auch Hardware verschwinden. Aus Datensi-
                      Lab Start-Ups, Mittelständler und Großunternehmen, davon         cherheitsaspekten ist einiges zu beachten. Nutze ich zum
                      kann man eigentlich nur profitieren. Die Besonderheit im         Beispiel die Internetverbindung des Anbieters, ja oder nein?
                      Wissenschaftspark Gelsenkirchen ist, dass hier im Gebäude        Wenn ich sie nutze, dann sollte ich das entsprechend mit
                      auch sehr viele IT-Firmen vertreten sind, von denen ich ei-      einer VPN-Verbindung machen. Nutze ich im Coworking
                      nige kenne.                                                      Space ein Device, das heißt mein Notebook mit den darauf
                      Ich bekomme auch Sichtweisen von anderen Leuten mit,             gespeicherten Daten, dann muss das aus Datensicherheits-
                      das finde ich ganz interessant. Sichtweisen von Bildungs-        gründen abgesichert sein. Das ist genauso wie bei jedem
                      unternehmen, oder, wie in der vergangenen Woche, Sicht-          anderen mobilen Arbeitsplatz, den muss ich absichern.
                      weisen eines Unternehmens, das diese CAD- und 3D-Drucke          Dann kann man Coworking auch sehr gut nutzen.
                      im medizinischen Bereich herstellt. Das fand ich spannend,       Was Gespräche angeht, das ist ein Lernprozess. Man weiß,
                      mich mit dem Kollegen zu unterhalten und auszutauschen,          ich bin hier im öffentlichen Raum, aber ich kann ja hier,
                      was für ihn die Corona-Krise bedeutet, eine Bewertung aus        wenn ich mag, die Telefonboxen nutzen oder ich gehe raus.
                      seiner Sicht, aus einer für mich komplett anderen Branche.       Die Frage ist, ob das ideal für vertrauliche Gespräche ist.
                      Fand ich äußerst spannend, denn das ist natürlich auch           Ich würde sagen: nein. Es würde auch die anderen stören,
                      eine Erweiterung des eigenen Horizonts. Zu sehen, okay,          wenn ich hier mit jemandem rede. Das muss ich dann
                      der arbeitet auch im Vertrieb und hat diese Herausforde-         schon separat machen. Den Bildschirm hingegen kann man
                      rung und nutzt das NewWorkLab hier, und wie wird sich            sehr leicht absichern. Ich kann eine Folie darüberlegen,
                      das bei ihm im nächsten halben Jahr entwickeln? Äußerst          dann kann der Nachbar nicht darauf gucken. Das heißt,
                      interessant, denn Viele bewegen sich nur im eigenen Kreis        Datenschutz ist grundsätzlich machbar. Es sollten nur die
                      und denken, das wäre das Wichtigste der Welt. Ich glaube,        Standards der IT-Sicherheit beachtet werden.
                      gerade für Leute, die normalerweise gar nicht viel raus-
                      kommen, ist Coworking immens befruchtend.                        Klatt: Würdest du den Betreibern hier empfehlen, eine Ver-
                      Noch ein wichtiger Vorteil gegenüber dem Home-Office:            traulichkeitsvereinbarung (NDA) speziell für den Coworking
                      die Kantine. Das hört sich jetzt banal an, aber ich habe         Space mit in die Geschäftsbedingungen aufzunehmen,
                      schon seit drei Jahren keine Kantine mehr gesehen und            wenn man hier Mieter wird? Oder wie würdest du das
                      genieße das ab und zu.                                           sehen?
                                                                                       Urbanski: Also solche Forderungen sind absolut jenseits
                      Klatt: Und durch die Nutzung des Coworking-Spaces hier:          der Realität. Das würde ja bedeuten, wenn du als Nutzer
                      spart ihr da auch Wegezeiten?                                    des Coworking Spaces jemanden als Besucher hast, einen
                      Urbanski: Die Kollegen aus dem Vertrieb, mit denen ich           Kunden z. B., dann müsste der Kunde das auch unterschrei-
                      zusammenarbeite, kommen aus Bochum, Iserlohn, aus                ben. Das ist ja genauso, als würde ich jetzt irgendwo ein
                      Gelsenkirchen-Buer, Duisburg und Dortmund, alles Vertrieb.       Unternehmen besuchen und dann soll jeder Besucher, je-
                      Wenn wir, also die NRW-Fraktion, uns alle in Jena treffen        der Geschäftspartner vorher eine NDA unterschreiben. Das
                      würden, bedeutet das für uns eine Fahrtzeit zwischen 4,5         ist unpraktikabel und widerspricht auch der Idee des Co-
                      und 6,5 Stunden für eine Strecke. Da macht es ja viel mehr       workings. Also, wenn ich ein vertrauliches oder persönliches
                      Sinn, dass wir uns hier im Coworking-Space treffen. Das          Gespräch habe, dann kann ich kurz rausgehen oder den

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Urbanski | Interview

                                                    Unternehmens. Geschäfts- und Arbeitsabläufe         Tag pro Woche von zu Hause aus arbeitet.
                                                    stehen auf dem Prüfstand, das hat mannig-           Das ist Vertrauenssache. Wenn jemand acht
                                                    faltige Auswirkungen auf andere Industriebe-        Stunden im Büro ist, heißt es ja auch nicht,
                                                    reiche. Was jetzt passiert, ist, dass Leute nicht   dass jemand acht Stunden arbeitet.
                                                    mehr im Büro sind. So kommen wir zur Ver-           Im Moment sprechen aber zwei Punkte gegen
                                                    lagerung der Strukturen. Das setzt allerdings       das Home-Office. Einmal müssen die räumli-
                                                    voraus, dass die Digitalisierung „mitspringt“.      chen Möglichkeiten eines Heimarbeitsplatzes
                                                    Und das ist in Deutschland nicht der Fall.          zuhause gegeben sein. Viele haben diese Mög-
                                                    Deutschland ist ein Dritte-Welt-Land, was die       lichkeiten zuhause einfach nicht. Das ist auch
                                                    Digitalisierung, Kabelanbindung und Infra-          eine Chance für Coworking-Spaces. Zum an-
                                                    struktur angeht. Wenn das jetzt nicht in kür-       deren müssen sich die Unternehmen auch an
                                                    zester Zeit auf allen Ebenen geändert wird,         der Finanzierung der Infrastruktur beteiligen.
                                                    im Bildungsbereich, in der Infrastruktur, dann      Es kann ja nicht sein, dass der Steuerzahler
                                                    bekommen wir ein Problem. Nicht erst in             oder der Beschäftigte das Unternehmens-
                                                    drei Jahren, wir bekommen ein Problem in            Equipment bezahlt. Dafür bieten sich auch
                                                    12 Monaten. Denn wenn diese Pandemie                Coworking-Arbeitsplätze an, weil hier von vor-
                                                    nicht einfach aufhört, das weiß aktuell ja nie-     neherein klar ist, dass die durch das Unter-
                                                    mand, dann wird die Produktivität in Deutsch-       nehmen finanziert werden müssen.
                                                    land abnehmen. Unternehmen werden noch              Ich finde, auch aus ökologischer Sicht macht
separaten Besprechungsraum nutzen. Letzter          stärkere Verluste machen. Warum wird das so         es mehr Sinn, zu Hause oder im Coworking-
Punkt zum Thema Datenschutz: Aus meiner             sein? Selbst in Großstädten, zum Beispiel in        Space zu arbeiten. Corona hat das ja gezeigt,
Sicht müsste der Betreiber eines Coworking-         Nordrhein-Westfalen, reden wir über eine            die A 40 war frei, die habe ich noch nie so leer
Spaces auch nachweisen, wie er seine IT-In-         Netz-Bandbreite, die selbst in Dänemark auf         gesehen.
frastruktur, die er hier anbietet, absichert.       einem Campingplatz besser ist. Das ist Fakt.
Wenn ich VPN nutze, erhalte ich eine ver-           Wir reden über 30 Mbit, die den Menschen            Klatt: Ich habe nur noch eine allerletzte ganz
schlüsselte Verbindung. Da kann niemand             von den Providern zur Verfügung gestellt wer-       kurze Frage. Also das Modellprojekt läuft hier
mitlesen. Aber wenn ich das nicht nutze, dann       den, das ist absurd. Damit können zwei Per-         bis November. Wie geht es für euch nach dem
kann jeder den Datenverkehr, der über den           sonen im Home-Office nicht beruflich ar-            Modellprojekt weiter?
Server des Coworking-Space läuft, im Prinzip        beiten, das funktioniert nicht. Das muss            Urbanski: Wir planen Coworking mindestens
mitschreiben. Wenn der Server „gehackt“ wird,       schnellstmöglich gelöst werden. Ansonsten           zwei Mal im Monat weiter zu nutzen. Den Ta-
kann der „Hacker“ auf diese Daten zugreifen.        wird diese Krise zu massiven Arbeitsplatzver-       gessatz hier im NewWorkLab finden wir ab-
Hier sollten sich die Anbieter überlegen, ob        lusten führen. Es gibt Leute, die treffen sich      solut fair.
die bereitgestellte IT-Infrastruktur wirklich si-   im Auto und fahren zum Nachbarort, weil es          Klatt: Vielen Dank für das Gespräch.
cher ist.                                           da einen kostenlosen Hotspot gibt und weil
                                                    ihre Bandbreite im Home-Office nicht aus-           Das Gespräch führte Dr. Rüdiger Klatt. Dr. Klatt
Klatt: Letzte Frage – zum Thema Corona. Än-         reicht zum Arbeiten. So etwas darf eigentlich       ist Arbeitswissenschaftler und Gründungsmit-
dert sich was in der Arbeitswelt? Wie schätzt       in einem Industrieland wie Deutschland nicht        glied des FIAP e. V., Forschungsinstitut für in-
du das ein? Wird es einen Drive in Richtung         passieren.                                          novative Arbeitsgestaltung und Prävention. Ak-
Digitalisierung, in Richtung Home-Office, in        Das nächste sind die Auswirkungen auf die           tuell ist er Vorstand und Geschäftsführer des
Richtung dezentrales Arbeiten geben? Was            Immobilienwirtschaft. Denn der Bedarf an Im-        FIAP e.V. Seine Forschungsschwerpunkte liegen
bedeutet die Krise für das Geschäftsmodell          mobilienflächen, an Büroflächen wird zurück-        in den Bereichen Arbeitsgestaltung, Dienstleis-
Coworking?                                          gehen. Es gibt Hightech-Unternehmen in              tungsentwicklung, Mobilität und Internationa-
Urbanski: Durch die Coronakrise wurde der           Deutschland, die haben weder genügend               lisierung der beruflichen Bildung.
Digitalisierungsprozess enorm beschleunigt,         Parkplätze noch genügend Schreibtische für
das ist tatsächlich so. In vielen Unternehmen       alle Mitarbeiter. Es war auch gar nicht vorge-
wird jetzt über die Möglichkeit von Home-Of-        sehen, dass alle ins Büro kommen. Diese Krise
fice, Coworking, über dezentrale Strukturen         ist dabei wirklich ein Katalysator. Der Bedarf
allgemein gesprochen. Diese Möglichkeiten           an Büroflächen wird zurückgehen. Und dann
hat man bislang gar nicht genutzt. Es war bis-      brauche ich mobiles Arbeiten, dann brauche
lang vielleicht ein Vertrauensproblem: Arbei-       ich die Möglichkeiten eines voll ausgestatte-
tet der Mitarbeiter auch wirklich produktiv         ten Coworking Spaces, den ich entsprechend
oder macht er im Home-Office die Gartenar-          nutzen kann und der auch vom Preis her noch
beit? Jetzt hat sich gezeigt, dass die Produk-      akzeptabel ist.
tivität nicht abgenommen hat, sondern in vie-       Die Krise wird dazu führen, dass das einge-
len Bereichen sogar gestiegen ist.                  fordert wird. Das ist auch eine politische Dis-
Zu den Veränderungen der Arbeitswelt: Es            kussion, dass ein Teil der Beschäftigten ei-
wird den Zustand, den wir vor März 2020 hat-        nen Rechtsanspruch auf Home-Office haben
ten, so nicht mehr geben in Deutschland. Das        möchte. Normalerweise spricht für 2/3 aller
ist meine feste Meinung und auch die unseres        Bürojobs nichts dagegen, dass man an einem

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Coworking und Lernen
Bernd Binzenbach

Coworking – gut fürs Lernen
„Gemeinsam Coworken statt einsam Homeworken.“ Mit diesem Slogan wirbt ein Coworking Space in Wien
aktuell für seine Dienste und trifft damit den Kern des Arbeits- und Geschäftsmodells Coworking, das im
Rahmen des Projekts „CoWin“ intensiv untersucht wird. Durch die aktuelle Corona-Krise erlangt dieses
Motto eine noch gewichtigere Bedeutung, da ja ein großer Teil der Arbeitnehmerschaft im Home-Office
arbeitet, teils auf Anordnung der Vorgesetzten, teils aus eigenem Entschluss. Um die Vorteile des Arbeits-
modells Coworking gegenüber dem Home-Office und dem „traditionellen“ Arbeitsplatz im Unternehmen
soll es in diesem Artikel gehen, speziell um ein Thema, das bisher in entsprechenden Diskussionen wenig
Beachtung gefunden hat, das Thema des lebenslangen Lernens.

                      Von welchem Potenzial des Coworkings wird                     kann durchaus bewusst geschehen, indem ich z. B. jeman-
                      in diesem Artikel die Rede sein?                              dem eine problem- bzw. situationsbezogene Frage stelle.
                      Im Zuge der Dynamik unserer Arbeitswelt wird einem As-        Oft geschieht es aber „en passant“, also nebenbei, zufällig,
                      pekt längst eine mehr als hohe Bedeutung zugeschrieben,       unbewusst, z. B. wenn ich unvermittelt an einer Diskussion
                      der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens. Basierend         teilnehme, die für mich neue Perspektiven liefert.
                      auf meinen persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen
                      werde ich anhand von Beispielen der Frage nachgehen,          Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge finden mindestens
                      welche Potenziale Coworking gerade für das lebenslange        80 bis 90 % unserer Lernprozesse informell statt und nicht
                      Lernen aufweist. Wir werden sehen, dass insbesondere das      etwa in (virtuellen) Seminar- und Schulräumen. Die wich-
                      informelle Lernen eine wesentliche Rolle spielt.              tigste Erkenntnis lautet: Lebenslanges Lernen ohne Ein-
                                                                                    beziehung des Informellen ist „ernsthaft nicht vertretbar“
                      Was bedeutet eigentlich                                       (Zürcher 2007, S. 10), die Reichweite informeller Bildungs-
                      „informelles Lernen“ genau?                                   prozesse ist ungleich höher als die der formalisierten Bil-
                      Insbesondere von Schule, Universität und Berufsausbildung     dung und Weiterbildung.
                      kennen wir den Gegenpol des informellen Lernens, das for-
                      male Lernen. Formales Lernen lässt sich als planmäßig,        Welchen Nährboden liefert Coworking
                      strukturiert und organisiert beschreiben. Anhand eines Cur-   für das Lernen?
                      riculums bringt es überprüfbare Lernergebnisse hervor, es     Coworking weist eine einzigartige Kombination von Rah-
                      wird also vor allem zielgerichtet und bewusst gesteuert.      menbedingungen auf, die es so weder im Home-Office noch
                                                                                    am traditionellen Arbeitsplatz im Unternehmen gibt, näm-
                      Das informelle Lernen hingegen entwickelt sich in den un-     lich kooperationsfreundliche Nähe kombiniert mit vielfäl-
                      mittelbaren Aktivitäten, Erlebnissen und Erfahrungen des      tigen, heterogenen Partnern aus ganz unterschiedlichen
                      Alltags, gerade auch am Arbeitsplatz und oft spontan. Es      Arbeitszusammenhängen. Im Coworking Space des Wis-

                                                                                               Bernd Binzenbach
Transition 1 | 2021                                                                                                                          13
senschaftsparks Gelsenkirchen treffen sich        1. Lernen durch Horizonterweiterung                neuen Einblicke sind in dieser Vielfalt und
der Student, der sich auf sein Jura-Examen        „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Was          Menge in einem Unternehmens-Kosmos nie-
vorbereitet, die Angestellte des Wissenschafts-   der berühmte österreichische Kommunikati-          mals möglich – das kann ich aus meinen vie-
ministeriums, Mitarbeiter*innen einer Bank        ons-Wissenschaftler Paul Watzlawick so wun-        len Jahren der Zugehörigkeit zu einem Kon-
und eines Verlages, der Freiberufler, der sich    derbar ausdrückte, trifft erst recht auf das Co-   zern nur bestätigen.
um Online-Marketing kümmert, die Führungs-        working zu. Die Möglichkeiten, im Coworking
kraft einer IT-Firma, Mitglieder eines neu ge-    Space etwas (unbewusst) zu erfahren, etwas         Nichts ist für die Erweiterung des eigenen Ho-
gründeten Start-ups, die Belegschaft eines        „aufzuschnappen“, selbst ein Gespräch zu ini-      rizonts mächtiger, als selbst Fragen zu stellen,
Forschungsinstitutes und die Marketing-Spe-       tiieren oder zu einem Dialog eingeladen zu         zum Beispiel:
zialistin. Man arbeitet nicht nur an Tischgrup-   werden, sind prinzipiell jederzeit gegeben.        • „Woran arbeitest Du eigentlich?“
pen unmittelbar nebeneinander, man begeg-         Das führt zunächst einmal dazu, dass man           • „Was sind Deine Herausforderungen?“
net sich auch in der Lounge, beim Kaffee, auf     viel Neues erfahren kann, z. B. über Märkte,       • „Wie geht Ihr mit dem Thema XY um?“
der Raucher-Terrasse, in der Küche oder geht      Zielgruppen, Herausforderungen, Lösungen,            „Wie siehst Du das?“
gemeinsam in die Kantine. Coworking ist spon-     Produkte, Anbieter, Prozesse – die Liste der       • „Welche Erfahrungen hast Du mit …?“
tan, Coworking ist informell.                     Möglichkeiten ist schier unendlich. Diese Viel-      „Welchen Tipp kannst Du mir geben?“
                                                  falt ist faszinierend. Und sie ist ein Rohstoff    • „Kennst Du jemanden, der …?“
Und Coworking steht für Vielfalt, insbeson-       von hohem Wert, insbesondere wenn es ge-
dere im Vergleich zu einem traditionellen Un-     lingt, die Brücke zur eigenen (beruflichen)        Genauso wichtig ist es, den Mit-Coworkern ei-
ternehmenskosmos, angefangen beim beruf-          Welt zu schlagen (siehe dazu auch unter            genes Wissen, Antworten oder Tipps anzubie-
lichen Status (studierend, selbstständig, ein     Punkt 2.).                                         ten. Im Coworking-Umfeld arbeitende Men-
Unternehmen führend, freiberuflich tätig, an-                                                        schen sind fast zwangsläufig keine reinen
gestellt usw.) bis hin zum bunten übergrei-       Hier einige meiner persönlichen Erfahrungen        Konsumenten, sie sind in der Regel Prosu-
fenden Mix an Unternehmensformen, Bran-           beim Coworken in den letzten Monaten. Viel         menten.
chen, Zielgruppen etc. All die entsprechend       gelernt habe ich zum Online- bzw. Social-Me-
unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrun-       dia-Marketing, mit Studierenden über Vor-          2. Lernen durch Reflexion und Feedback
gen lassen Coworker lernen, was es jenseits       und Nachteile des Lernens auf Distanz ge-          Im Lernprozess ist nicht nur die Erweiterung
des eigenen Tellerrandes noch zu entdecken        sprochen, mich in ein Forschungsprojekt zur        des eigenen Horizonts wichtig, Lernen wird
gibt. Nicht zu vergessen: Coworking bedeutet      Kollaboration auf Distanz eingebracht, viele       immer dann besonders wertvoll und nach-
Präsenz, ohne digitale Schranke in Form tech-     Einblicke zum Thema Führung in großen und          haltig, wenn Reflexion und Feedback mit ins
nischer Medien, dafür mit allen Kommunika-        kleineren Unternehmen erhalten, über aktu-         Spiel kommen, wenn es gelingt, Neues in die
tionskanälen und allen Sinnen, die Sichtbar-      elle Herausforderungen aus Unternehmer-            eigene Wirklichkeit zu integrieren, Aufgaben
keit inklusive.                                   und Arbeitnehmersicht diskutiert, Tücken           und Probleme neu zu denken und andere, al-
                                                  spezieller Branchen beim Thema Weiterbil-          ternative Lösungen zu finden. Bei den Cowor-
Was bedeutet diese Vielfalt für den Lernpro-      dung kennengelernt (z. B. in der Pflege) und       king-Partnern hat man die Möglichkeit, ein
zess? Was macht das mit dem Lernen? Drei          über mir unbekannte Produkte im Bereich Vir-       Feedback einzuholen, ohne Betriebsblindheit,
Faktoren sollen hier beispielhaft herausge-       tual Reality gestaunt. Diese für mich gänzlich     oder man wird selbst um ein Feedback gebe-
stellt werden.

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Coworking und Lernen
Binzenbach | Coworking – gut fürs Lernen

ten. Selbst gefragt zu werden, zum Beispiel        zum Thema „Persönlichkeits-Diagnostik auf           lassen Coworker*innen auch von außerhalb
nach dem eigenen Geschäftsmodell und sei-          Distanz mittels Virtual Reality“ zu entwickeln.     des Coworking Spaces an Kommunikation,
nen Herausforderungen, und dieses auf den                                                              Vernetzungs- und Lernprozessen teilhaben
Punkt erklären zu müssen, das zwingt zum           Wie kann das (informelle) Lernen beim               (z. B. digitale Pinnwand, Forum, Organisati-
Reflektieren. Reflexion, das ist ein besonders     Coworking zusätzlich gefördert werden?              onshilfen wie Besprechungsraum-Planer)?
nachhaltiges Lernen – reflektieren, das eigene     Zunächst sind Offenheit für Neues, auch für       • Welche Veranstaltungsformate können die
Anliegen und Vorgehen erklären und Sach-           digitale Kollaborations-Tools, und eine kom-        Vernetzung erleichtern, z. B. Formate, an de-
verhalte auf den Punkt bringen. „Docendo           munikative Persönlichkeit, die bereit ist, Fra-     nen sowohl die anwesenden Coworker*in-
disco“ – durch Lehren lerne ich“, sagte schon      gen zu stellen, unabdingbare persönliche            nen teilnehmen können, aber sich auch Per-
der römische Dichter Seneca.                       Merkmale, um von der Vielfalt des Coworkens         sonen von außerhalb zuschalten können,
                                                   maximal zu profitieren. Zusätzlich ist meiner       aus dem Home-Office oder vom regulären
Ich erinnere mich zum Beispiel an zahlreiche       Auffassung nach eine weitere Fähigkeit ele-         Arbeitsplatz, z. B. (virtuelle) Workshops, We-
Gespräche über die Behauptung „Der Ler-            mentar, die Fähigkeit, langfristig denken zu        binare, „Working out Loud“?
nende kennt seinen Lernbedarf zu jedem Zeit-       können. Informelle Gespräche, informeller
punkt am besten“. All diese Gespräche liefer-      Austausch führen in der Regel nicht direkt und    Aus meiner Sicht sind an keinem anderen Ar-
ten mir wunderbare Beispiele, diese These in       kurzfristig zu Veränderungen in der eigenen       beitsplatz die Chancen für (informelles) Ler-
ihrer Grundsätzlichkeit zu widerlegen. Diskus-     Arbeit, sie zahlen sich im oben genannten         nen im beruflichen Kontext höher als beim
sionen über mein Geschäftsmodell brachten          Sinne aber langfristig aus. Natürlich ist dafür   Coworking – nicht zuletzt aufgrund der gro-
mich immer wieder dazu, nachzuschärfen             ein gewisser Grad an Selbstmanagement-            ßen Vielfalt der Kontexte. Die eigene Bereit-
und meine Website entsprechend anzupas-            Kompetenz hilfreich, um die richtige Balance      schaft, diese Vielfalt aktiv zu nutzen sowie ein
sen. Ein von mir durchgeführter Workshop           zu wahren zwischen direkt und unmittelbar         entsprechend förderliches Angebot des Co-
über den zielgerichteten Einsatz digitaler         zu erledigender Arbeit und Perspektiventwick-     working Spaces erhöhen dieses Potenzial
Lernformate lieferte mir ein wertvolles Feed-      lung.                                             noch einmal beträchtlich. Allein unter dem
back für die Ausrichtung eines geplanten Wei-                                                        Gesichtspunkt des lebenslangen Lernens ge-
terbildungsprogramms. Diese Liste mit Bei-         Eine besondere Bedeutung für das informelle       hört Coworking für mich zu den unbedingt
spielen des Lernens durch Reflexion und            Lernen nimmt sicherlich auch die Infrastruktur    zukunftsfähigen Arbeitsformen, nicht nur für
Feedback ließe sich von mir noch weiter fort-      eines Coworking Spaces ein. Dazu gehören          Start ups und Selbstständige, sondern auch
führen.                                            z. B. räumliche Voraussetzungen, die infor-       für etablierte Unternehmen.
                                                   melle Kommunikation fördern. Bei der Kon-
3. Kreativität                                     zeption eines Coworking Spaces sollten daher      Zum Autor:
„Kreativ zu sein bedeutet nicht, etwas voll-       folgende Aspekte bedacht werden:                  Bernd Binzenbach ist selbstständiger Experte
kommen Neues zu erfinden. Was im Gehirn            • Wie können Arbeitsplätze und Mobiliar so        für High Impact Learning und überzeugter Co-
nicht schon in irgendeiner Form da ist, kann         angeordnet werden, dass sowohl konzen-          worker. Er ist Master of Arts (M.A.) in eEducation
auch nicht von ihm konstruiert werden.“ (Täu-        triertes, störungsfreies Arbeiten, aber auch    und verfügt über 20 Jahre Erfahrung in leiten-
ber 2019, S. 42). Und genau dafür, für kreatives     Kommunikation jederzeit ohne Hürden             den Positionen in den Bereichen Personalent-
Denken und Arbeiten, liefert Coworking beste         möglich ist?                                    wicklung und Learning & Development. Die
Voraussetzungen, indem es, wie geschildert,        • Wie können „Inseln“ für die gemeinsame          Frage, wie gutes Lernen gelingt, beschäftigt
wertvollen Input aus anderen Perspektiven            Nutzung geschaffen werden, die abwechs-         ihn seit seinem Studium.
und Kontexten liefert, der dann mit Bestehen-        lungsreiches Arbeiten und vor allem infor-
dem verknüpft werden kann. Denn Kreativität          melle Kommunikation fördern (z. B. Lounge,
heißt unter anderem, bereits Vorhandenes             Coffee Point, Bar, Pausen-Raum, Küche, Be-
auf neue Art zu formen oder Verschiedenes            sprechungsräume etc.)?
neu miteinander zu kombinieren, also Ideen
und Gedanken aus anderen Kontexten in den          Obwohl ein Coworking Space von der Präsenz
eigenen Kontext zu integrieren.                    der Coworker*innen lebt, ist eine gute digitale
                                                   Infrastruktur, die Kollaboration, Austausch
Die bisher angeführten Beispiele lassen sich       und Koordination fördert, auch dann, wenn
ohne Frage auch unter dem Gesichtspunkt            Coworker*innen den Coworking Space nicht
der Kreativität betrachten. Hier ein weiteres      täglich oder regelmäßig nutzen, unabdingbar.
Beispiel: Ohne den umfangreichen Input zum         Dabei sollten folgende Überlegungen ange-
Thema „Virtual Reality“ aus zahlreichen Kon-       stellt werden:
takten und Gesprächen im Coworking Space           • Welche digitalen Formate/Ergänzungen er-
wäre niemals die Idee entstanden, ein Projekt        leichtern die Vernetzung im o. g. Sinne und

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