Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief

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Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief
Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur.
          Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde

       M Ä R Z                        2 0 2 2
Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief
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  23.4.-9.7.
www.musica-bayreuth.de
Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief
PRÄLUDIUM
    Wieder mal geschafft!
                      von
                  Frank Piontek

N   un haben sie‘s doch wieder geschafft, angenehm
    aufzufallen. Tatsächlich: die eindeutige Mehr-
heit des Bayreuther Stadtrats hat sich in dessen
letzten Haushaltsverabschiedung dafür entschie-
den, die sinn(e)öffnende, beglückende und herr-
lich klingende und ausschauende Kultur mit einem
Riesenbatzen zu fördern. Die Majorität hat einfach
begriffen, dass Bayreuth Baroque neben den Fest-
spielen das Gütesiegel der überörtlich wahrgenom-
menen und geschätzten wie touristisch relevanten
Bayreuther Hochkultur und die beste Werbung
für das nichtmuseale markgräfliche Bayreuth ist.
Gut also, dass es die Stadtväter und -mütter mehr-
heitlich gut finden, dass eine gute Summe dort
einen guten Platz findet, wo ansonsten gähnende
Theaterleere herrschen würde. Sie hat eben kein ge-
spanntes Verhältnis zu dem, was man sinnvoller-
weise als Hochkultur zu bezeichnen pflegt. Sie hat
sich für einen lebendigen Bayreuther Kulturraum
namens Bayreuth Baroque entschieden, der, über
die internationalen Rundfunk- und Fernsehkanä-
le, weit über Bayreuth hinaus das Bild der Stadt zu
verbreiten vermag und Menschen aus der Ferne an-
zieht, für die die Stadt ansonsten vielleicht kaum
interessant wäre. Nein, ein Festival wie Bayreuth
Baroque ist nicht elitär. Es wird für Bayreuth ge-
macht, und es ist relevant für die Bayreuther Stadt-
kultur, die noch viele hundert Kilometer jenseits
des Bayreuther Tellerrands wahrgenommen werden
kann – auch jenseits der anderen Festspiele, die das
zweite historisch einzigartige Theatergebäude be-
spielen. Das erste aber bleibt das Markgräfliche
Opernhaus. Wie schön also, dass sich die meisten
Stadträte nicht gegen, sondern für diesen sehr be-
sonderen, sehr schönen Raum und seine einzige
vernünftige Nutzung entschieden haben.

                         3
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„Ein starker Gedanke
teilt auch dem,
der anderer Meinung ist,
von seiner Kraft
etwas mit.“

         Marcel Proust
Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief
Inhalt
                                    Ausgabe
                                     N°15

               PRÄLUDIUM3
               BAYREUTH LEUCHTET         6
               NAIS VOM HEINER           7
               IM BILDE                  8
               HAIKU8
               AUS BAYREUTHS KÜCHEN      9
               DAS NEUE BUCH            10
               WAR HIER                 12
               VOM GRÜNEN HÜGEL         13
               DAS GUTE BUCH            15
               ABSCHWEIFUNGEN18
               HEIMATLICHES19
               BLICK IN DIE BLÄTTER     21
               KULTURVEREIN24
               DAS NEUE ALBUM           28
               HINTER DEN KULISSEN      29
               AUSSTELLUNGEN31
               AUS DEM MUSEUM           33
               BOTANIK35
               GESCHICHTEN AUS DEM WALD 36
               DENKAUFGABE37
               KULTURTERMINE 38

                             VIELEN DANK!
        Wir danken unseren Mäzenen für ihr Engagement.
          Durch Sie wird der Kulturbrief erst möglich.

                               UNTERNEHMEN

Alexander von Humboldt Kulturforum Schloss Goldkronach e.V., Kanzlei Treibert,
 Kunstmuseum Bayreuth, Musica Bayreuth Orgelwoche Bayreuth e. V., Stiftung
    Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland, Zahnärzte am Opernhaus

                             PRIVATPERSONEN

     Angelika Beck, Wolfgang Hammon, Gudrun Hartmann, Klaus Höreth,
Irmintraut Jasorka, Dr. Rainer-Maria Kiel, Dr. Dieter Schweingel, Ulrike Volland

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Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief
BAYREUTH LEUCHTET
    In naher Zukunft                                  Markgrafenkultur

                                                  D   er Reichtum der Markgrafenkultur
                                                      Bayreuth-Kulmbachs, die unser Land
                                                  zwei Jahrhunderte lang geprägt hat, wird

W     arum nicht mal ins Kino gehen,
      wenn man Ballett sehen will? Am
1. Mai wird es im Bayreuther Cineplex
                                                  auf einer einzigartigen und laufend er-
                                                  weiterten Seite genau aufbereitet und
                                                  anschaulich präsentiert. Nicht weniger
einen Leckerbissen geben, der auf west-           als zwölf Oberthemen (vom Opernhaus
lichen Bühnen kaum geschaut werden                über all die scheinbar „nebensächlichen“
kann: Die Tochter des Pharaos, eine Arbeit        Brücken, Mühlen und Taubenhäuser etc.
nach der Choreographie des großen Ma-             zu den repräsentativen Prachtbauten)
rius Petipa, ein orientalisches Fantasybal-       bilden die vielen noch bestehenden und
lett aus dem 19. Jahrhundert, eine Pro-           rekonstruierbaren, in dieser Fülle an-
duktion des (echten!) Bolschoi Balletts           sonsten kaum präsenten Schönheiten in
mit der Musik Cesare Pugnis – und hin-            Stadt und Region augenöffnend ab. In-
reißenden Tänzern. Genau eine Woche               formationen über die einstige Markgraf-
später, am 8. Mai, wird dann Donizet-             schaft und ihre Herrscher ergänzen per-
tis Oper Der Liebestrank im Nürnberger            fekt die Schau in eine reiche Kultur. Zu
Staatstheater ihre Premiere erleben – ein         verdanken ist diese Seite Karla Fohrbeck,
Klassiker der heiteren wie tiefsinnigen           die gerade – nicht zuletzt aufgrund der
Oper über den Krieg der Geschlechter,             erstklassigen Seite – mit dem Kulturpreis
der an keinem 8. Mai zum Stillstand               der Stadt Bayreuth geehrt wurde.
kommt.

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Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief
NAIS VOM HEINER
                      Eds geht’s nauswärts
                                         von
                                  Reinhold Hartmann

Immer zwischa März und Mai
 machn alla Leit a Gschrei
alla schreia in der Stubn
                                              Am Haamwech dann, ach is des sche
                                              trinktma wo bloß an Kaffee
                                              und danooch, des sooch iech Dir
wann is denn die Kält ball rum.               manchmol nuch a Seidla Bier.
Frieh um sechsa oder später                   Dahaam do hocksti dann in Gartn
schaua sa aufs Thermometer                    wo Deina Leit scho alla wartn
wall do waaßma ebrament                       der Hund, die Kinner und die Fraa
wosma heit wohl ozieng kennt.                 so schee konn Feierohmd fei saa.
Im Fernseh hamsa Sunna gmeld                  Der Wecker schellt am andern Frieh,
ober naa, bei dera Kält                       schaust ons Thermometer hie
do hilft ja ka großes Frong                   und des zeicht fei net vill oo
mußma a worms Golla trong.                    ja do ieberlechtma scho.
Handschich nuch und festa Schuh               Handschich brauchtma und an Schol
isa fertig dann, der Bu                       an Mantl aa, des is normool
frierts di net, ach is des sche,              und dazu nuch festa Schuh
so komma auf die Ärbert geh.                  isa fertich dann der Bu.
Bei dera Kält, des soochi fei                 Bloß der Mantl is net do
hocktma si ins Auto nei                       wall der hängt ja im Büro
des Bleeda ober, ein Verdruß,                 also schnell den zweitn gnumma
daßma vorher kratzn muß.                      sunst wärma ball zu spät nuch kumma.
Also läßt des Auto steh                       Zum Feierohmd, des is ka Wunner
laafn is ja aa recht sche                     scheint scho widder fort die Sunna
wall die frischa Luft, die hot                der Mantl also bleibt im Schronk
werkli wohr nuch kann wos gschod.             wennst zuvill schwitzt, do werst ja kronk.
Im Büro dann, so ein Graus                    Mit der Manier, wie des oft wär
schautma ausn Fenster naus                    dahaam machst Du Dein Schronk ball
bloß die Sunna komma sehng                    leer und im Büro, des is ja dumm
ka Wolkn und ka bißla Reng.                   hänga Deina Mäntl rum.
Der Feierohmd kummt aa ganz schnell           Drum is des ja bloß zu lobn
und drum gehtma auf der Stell                 ma konn nie zuvill Mäntl hobn,
bloß im Hemm dann fei davo                    iech glaab, iech wird jetz aa glei laafn
den Mantl läßtma im Büro.                     und mir nuch an Mantl kaafn.

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IM BILDE

       Wo ist das zu finden?

         HAIKU

   Beim Acker seh ich
Am niedren Erdwall Zedern
   Im Frühlingsregen
      Shiki (1867 - 1912)

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Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief
AUS BAYREUTHS KÜCHEN
                       Lachssuppe
                                von
                           Ulrike Volland

Für 4 Personen

500 g Lachsfilet, 2 Möhren, 4 Kartoffeln, 1 Stange Lauch, 2 Esslöffel
Butter, 2 Lorbeerblätter, 2 Zitronenscheiben, 1 l Fischfond oder Ge-
müsebrühe, 1 Bund Dill, 300 ml Sahne Salz, frisch gemahlener weißer
Pfeffer, 1 Prise Zucker

Möhren und Kartoffeln schälen, waschen und in ½ cm große Würfel
schneiden. Den Lauch putzen, längs aufschneiden, waschen und in
feine Ringe schneiden.
Die Butter in einem Topf erhitzen und das Gemüse und die Kar-
toffeln darin 2-3 Minuten anschwitzen. Die Lorbeerblätter und die
Zitronenscheiben zugeben und alles mit dem Fischfond oder der Ge-
müsebrühe auffüllen. Bei mittlerer Hitze 10 Minuten kochen lassen.
Inzwischen den Lachs trockentupfen und in 1 cm große Würfel
schneiden. Den Dill waschen und trockentupfen. 4 kleine Stiele zur
Dekoration beiseite legen. Den restlichen Dill fein hacken.
Sobald die Kartoffeln gar sind, die Lorbeerblätter und die Zitronen-
scheiben herausnehmen und die Sahne zugeben. Dann den Lachs
und die Hälfte vom Dill in die heiße Suppe geben und darin 2-3
Minuten gar ziehen lassen. Danach die Suppe 6-8 Minuten nochmals
erhitzen.
Die Suppe mit Salz, Pfeffer, Zucker und restlichem Dill abschme-
cken. Dazu passt frisches Baguette.

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Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt - der hat Kultur. Für solche besteht noch Hoffnung. Oscar Wilde - Kulturbrief
DD AA SS N
                  G EUUT EE BB U
                               U CC H
                                    H
                    Nähertreten
                             von
                       Benjamin Breuer

„Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“
Allein der Titel ist ein Buch wert. Jetzt wurde dieses Buch
bereits hundertmal besprochen und ist inzwischen auf Platz 1
der Bestsellerlisten. Vielleicht werden Sie sich jetzt fragen, ob
man dieses Buch noch einmal besprechen muss. Die Antwort
ist simpel: Man muss. Warum, will ich gerne erklären. Aber
fangen wir von vorne an. Mein Interesse an Literatur über Re-
ligionen begann bereits während des Studiums und seitdem
habe ich umfangreiche Lektüre gelesen, die sich Religions-
vermittlung zur Aufgabe macht. Es handelt sich dabei nicht
um die sogenannte Erbauungsliteratur, die relativ häufig in
die Esoterik abdriftet, sondern teils um Einführungen, teils
um Primärtexte und nicht zuletzt um Abhandlungen kluger
Geister aus allen Jahrhunderten. Die Einführungen in den
katholischen Glauben, das Judentum, den Buddhismus, den
Islam oder den Taoismus sind entweder reine Sachbücher mit
Fakten, Dogmen und Daten oder sehr anspruchsvolle theolo-
gische Abhandlungen. Vor allem sind sie eines nicht: zugäng-
lich. Selbst der Kinderkatechismus mit dem coolen Namen
Youcat ist trotz der vielen Zeichnungen und Illustrationen
nur ein missglückter Versuch, Religion sinnvoll zu vermitteln.

                               10
Und dann gibt es da noch ein Buch, das wir vermutlich alle
           kennen. Gespräche mit Gott von N.D. Walsch. Dieses Buch
           ist zugänglich, ja beinahe unterhaltend. Vielleicht das einzi-
           ge Buch, das das Prädikat „zugänglich“ unter den Büchern
           zur Religion verdient. Und das seit 1996. Nun, 28 Jahr spä-
           ter, erscheint Kermanis Buch und hier ist alles ganz anders.
           Statt Gespräche mit Gott zu führen, geht es den Fragen nach
           Gott nach. Diese Fragen stellt sich Kermani gemeinsam mit
           seiner Tochter, beide Muslime, und sie betreffen das Gottes-
           bild des Islam. Die Beantwortung der Fragen, die teils profan
           wirken, teils theologisch hochanspruchsvoll sind, kreist um
           eine Mitte: Die Suren aus dem Koran. Allein mit der Aus-
           wahl der Suren gelingt Kermani Wunderbares. Die Klarheit
           und Reinheit, vor allem aber die Melodie dieser Dichtung,
           verblüffen den Lesenden. Und diese Verblüffung führt zu den
           Fragen, die Kermani mit viel Geduld und Reflexion beant-
           wortet. Und es würde sich nicht um ein hervorragendes Werk
           handeln, würde der Autor nicht über den Tellerrand schau-
           en. Er bezieht andere Religionen, vorrangig das Christentum,
           mit ein und erschafft eine grundlegende Begegnung zwischen
           den Theologien. Im Laufe der Lektüre entwickelt sich eine
           gemeinsame Basis, nämlich der Glaube an Gott, ohne die
           Unterschiede der Religionen auflösen zu wollen. Genau das
           macht dieses Buch so stark. Ein starkes Buch eines mutigen
           Autors. Und es stimmt einen doch zuversichtlich, dass dieses
           Buch, diese sehr ernstzunehmende Einführung in den islami-
           schen Glauben, gerade jetzt einen solchen Erfolg verbucht.
           Die Menschen sind auf der Suche nach dem Guten. Schön,
           dass sie sich dabei dem derzeit besten Buch zuwenden.

              T I TD EALSI LGLUUTSET R
                                     BAU TCIHO N
Natürlich ließ es sich Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen
nicht nehmen, seinen waghalsigen Ritt auf der Kanonenkugel auch mitten durch
das Bayreuther Wahrzeichen hindurch zu steuern. Über etwaige Schäden am
Bauwerk wurde nichts überliefert.

                                         11
WAR HIER
                                                 Hans Neuenfels
                                                        von
                                                    Frank Piontek
                   Foto: Bayreuther Festspiele

M    anchmal waren sie wirr, manchmal
     etwas langweilig, manchmal bril-
lant und bewegend, mit einem Wort: oft
                                                              der Regisseure, die ebenso gute Dichter
                                                              sind, denn man merkte nicht allein dem
                                                              Regisseur, sondern auch dem Autor Neu-
einfach gut und unterhaltsam. Egal, ob                        enfels an, dass er beim Surrealisten Max
sie immer durchgehend „gelungen“ wa-                          Ernst in die Schule gegangen war, dem
ren (sie waren oft gelungen) - vergessen                      er assistiert hatte. Seine Inszenierungen
konnte man keinen dieser Abende. Wir                          zu verstehen hieß: sich auf die Fanta-
verdankten diese Theatererlebnisse dem                        sie, das Überreale, auch den Humor zu
Regisseur Hans Neuenfels, der zu den                          verlassen, der auch ein Teil von Wagner
Erfindern des „Regietheaters“ zählte. In                      ist. Wie Neuenfels es den Meister selbst,
Bayreuth hat er spät, doch nicht zu spät                      dem er im Büro der Festspiele persönlich
inszeniert: mit einem Lohengrin, in dem                       begegnete, sagen ließ: „Das dramatische
sich die zwischen Ratten und Menschen                         Kunstwerk braucht die ständige Verän-
changierenden Wesen tummelten, hat er                         derung durch den lebendigen Menschen,
eine der bemerkenswertesten Wagner-                           den wechselnden Raum und die wech-
Inszenierungen der letzten Jahre auf die                      selnde Zeit.“ Nun ist er, kurz nach sei-
Bühne gestellt. Wagners Musik sei voller                      nem 80. Geburtstag, gestorben. Ihn zu
„Witz, Zärtlichkeit, umwerfendem Mut                          ehren und sich an ihn zu erinnern, heißt
zur Trivialität und Haltung, Skepsis“,                        auch, sich ein paar Gläser Weißwein zu
schrieb er 2007 Besuch in Bayreuth. Der                       gönnen – Prosit, Hans.
Regisseur gehörte zur seltenen Spezies

                                                         12
VOM GRÜNEN HÜGEL
                           Erinnerungen an Bayreuth 1984
                                                                                    von
                                                                                Raymond Tholl
            Foto: Programmzettel Holländer 1984

                                                  Foto: Bayreuther Festspiele

N    ie werde ich den Augenblick ver-
     gessen, als ich das Festspielhaus am
4.August 1984 ein erstes Mal betrat. Und
                                                                                          den David, Marga Schiml die Magdalena.
                                                                                          Der unvergessene Hermann Prey sollte
                                                                                          den Beckmesser singen, Siegfried Jerusa-
als ich den Klang des unsichtbaren Or-                                                    lem den Walther von Stolzing, aber die
chesters hörte, hatte ich den Eindruck,                                                   Enttäuschung für mich und meine Frau
jemand würde die perfektionierteste und                                                   war groß, wegen plötzlicher Erkrankung
teuerste Stereoanlage der Welt vorführen                                                  wurden ihre Rollen von Hans Günter Nö-
mit einer CD-Aufnahme des Fliegenden                                                      cker und Jean Cox gesungen. Trotzdem
Holländers. Die Protagonisten waren Si-                                                   wurde die Vorstellung auch mit diesen
mon Estes und Lisbeth Balslev, Harry                                                      Sängern ein Highlight.
Kupfer inszenierte und Woldemar Nels-                                                     Die Festwiese z.B. zeigte ein traumhaftes
son stand am Pult.                                                                        Bühnenbild mit der Tanzlinde im Mit-
Die Aufführung der Oper Die Meistersin-                                                   telpunkt. Bei dieser Inszenierung stimm-
ger von Nürnberg in der Inszenierung und                                                  te alles und später konnte mich nie eine
mit Bühnenbild von Wolfgang Wagner                                                        Aufführung in egal welchem Opernhaus
einen Tag später wurde mein zweitesBay-                                                   vollständig befriedigen.
reutherlebnis.                                                                            Mein drittes Erlebnis kam ein Jahr später
Die Besetzung war hochkarätig mit dem                                                     beim Besuch des Friedhofes in Bayreuth.
wunderbaren Bernd Weikl in der Rol-                                                       Da stand ich nun vor der letzten Ruhe-
le des Schusterpoeten Hans Sachs, Mari                                                    stätte des ungarischen Komponisten,
Anne Häggander sang die Eva, Manfred                                                      Dirigenten und Pianisten Franz Liszt.
Schenk den Veit Pogner, Graham Clark                                                      Zwölf Tage vor seinem Tod hatte Liszt im

                                                                                     13
Bürgerkasino der Stadt Luxemburg nach                                           dem Namen Tannhäuser erklang sehr oft
einem Wohltätigkeitskonzert, das ihm zu                                         der Name Maria Müller und nun stand
Ehren gespielt wurde, drei Klavierstücke                                        ich vor dem verlassenen Grab dieser ein-
interpretiert.
Ich sah das Grab des großen Bayreuther
Dichters Johann Paul Friedrich Richter,

                                              Foto : mit Wolfgang Wagner 1985
genannt Jean Paul, besuchte das Grab
der Familie Wagner, in Stein gemeisselt
die Namen von Siegfried und Winifred
Wagner neben dem zu früh verstorbenen
Wieland Wagner. Ich erblickte das Grab
von Dr. Hans Richter, der im Jahre 1876
zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele
die Uraufführung des Ring des Nibelungen                                        maligen Stimme. Ich wollte näheres über
dirigierte.                                                                     die Geschichte dieser Sängerin erfahren
Plötzlich stand ich vor einem kleinen ver-                                      und so gelang es mir, im darauffolgenden
lassenen Grab, mit Moos und Unkraut                                             Jahr ein erstes Mal vor dem Mikrofon
bedeckt. Schlecht leserlich erblickte ich                                       Wolfgang Wagner, Komponistenenkel,
einen Namen, der mich faszinierte und                                           zu begegnen. Nach einer ersten beeindru-
gleichzeitig erschütterte. Vor mir lag das                                      ckenden Begegnung meinerseits, erklärte
verlassene Grab einer großen Bayreuth-                                          sich Wolfgang Wagner einverstanden, in
Sängerin, deren historische Aufnahmen                                           den darauffolgenden Jahren regelmäßig
bei mir den grössten Eindruck hinterlas-                                        in Bayreuth Gespräche mit mir aufzu-
sen hatten, deren Namen ich immer wie-                                          zeichnen. Diese Tonbandgespräche über
der gehört hatte, zuhause im Kreis meiner                                       Künstler, die in Bayreuth Geschichte
Eltern, denn mein Vater war ein begeister-                                      schrieben, sollten über zwei Jahrzehnte
ter Zuhörer des französichen Klassiksen-                                        lang zu einer fast freundschaftlichen Ge-
ders France Musique. Aus unserem UKW-                                           wohnheit werden.
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                                             14
DD AA SS GG U
                         U TT EE BB U
                                    U CC H
                                         H
Petronius: Das Gastmahl des Trimalchio
                               von
                           Frank Piontek

    Toll trieben es die alten Römer – natürlich fällt einem der
    Spruch ein, wenn man des Petronius‘ Gastmahl des Trimalchio
    liest. Denn was der Autor hier an Deftigkeiten, buchstäbli-
    chen Schweinereien, Zoten und Obszönitäten festgehalten
    hat, ist kaum zu beschreiben, oder anders: Es bedurfte eines
    Federico Fellini, der das Satyricon des römischen Dichters
    Ende der 60er Jahre in einer opulenten Verfilmung populari-
    siert hat: als wär‘s ein Stück der Pop- und Hippiekultur, der
    Exzesse der „freien Liebe“ und der allmählich legalisierten
    Pornographie. Obwohl: In Vergleich zu den Freizügigkeiten
    der jüngeren Vergangenheit wirken die Szenen, die Petronius
    uns literarisch überliefert hat, wie feinsinnig gezügelte und
    sprachmächtige Deliziositäten, wie altrömisches Hochbarock
    eben. Petronius Arbiter schuf mit dem Gastmahl des Trimal-
    chio den berühmtesten Teil seines Romans, der zu etwa zwei
    Dritteln verloren ist; der Rest ist eine Ansammlung mal mehr,
    mal weniger umfangreicher Fragmente, die sich um die Aben-
    teuer der Hallodri von „Studenten“ Giton und Eumolpus dre-
    hen, woran man sieht, dass früher, zu Zeiten Neros, alles so
    schlimm und so gut war wie heute. So treffen sich am Hof des
    Trimalchio – keinem Parvenü, sondern einem zu ungeheuren

                                 15
Reichtümern gekommenen Freigelassenen, also einem ehe-
maligen Sklaven, der sein Glück durch Raffinesse und Zu-
fall machen konnte – die Freunde, Tagediebe, Schlemmer,
Prasser, décadents, Ehefrauen und Geliebten des heiteren
Großsprechers, der es wahrlich krachen lässt: verbal und ku-
linarisch. „Du Säugling“, lässt Petronius einen seiner Maul-
helden schimpfen, „sagst nicht mu noch ma, du schundiger
Henkeltopf, vielmehr du Schlappschwanz, schlapper als ein
Riemen im Wasser, aber nicht besser!“ Und so geht‘s weiter:
„Ich treffe dich nachher auf der Straße, du Maus, vielmehr du
Morschel! Ich werde dafür sorgen, dass Dir deine acht Zoll
langen Locken nichts helfen, und dein Herr auch nicht, der
Zweibatzenheld...“ Wer zuletzt lacht, lacht auch beim Gast-
mahl zuletzt, dieser Feier auf das Leben und auf das Sterben,
das weise zu erwarten ist. Dem Erdichter dieser wohl nur um
ein Geringes übersteigerten Wirklichkeit der Epoche Kaiser

                             16
Neros aber war ein früher Tod beschieden; er gehörte zu den
     Opfern des Imperators, dem er als „Schiedsrichter des feinen
     Geschmacks“ arbiter elegantiae diente: bevor er, verleumdet,
     die Pisonische Verschwörung gegen den Kaiser unterstützt zu
     haben, verurteilt wurde, nahm er sich selbst das Leben. Er
     starb, heißt es, seelenruhig, Witze machend und freundlich.
     Durch das Gastmahl des Trimalchio schillert jene Freundlich-
     keit dem guten Leben vor dem gewissen Tod gegenüber, die,
     bei aller „Dekadenz“, die Götter Götter und die Menschen
     Menschen sein lässt. In der Satire, auf die sich gerade die Rö-
     mer und gerade der Petronius so brillant verstanden, steckt
     mehr als die lustvolle und grelle Malerei eines sybaritischen
     Gastmahls - wer lesend an ihm teilhat, spürt die Kunstfertig-
     keit, mit der der unsterbliche Autor die köstlichen Schweine-
     reien adelte, ohne ihnen den Saft abzulassen.

                                                                       Anzeige

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                                   17
AB
       DSAC
          S HGWUETIEF UB NU GC EHN
                   Trinkkultur
                            von
                  Salvatore Solinas Pinna

Die sardischen Weine haben eine ganz besondere Note und
diese Note lassen sie sich eine Menge kosten. Wir wollen aber
nicht über den schnöden Mammon reden, das Leben ist zu
kurz, um schlechten Wein zu trinken, sagte schon Konfuzius.
Ja, natürlich hat Goethe diesen Satz wiederholt. Das wissen wir
doch alle. Der Wein, den ich heute verkoste, hört auf den schö-
nen Namen Tanca Farra und kommt aus dem Hause Sella &
Mosca. Kann man sich gut merken: Tanca Mosca, Sella Farra.
Zwei schöne nichtliterarische Geminationen. Aber genug der
Wortspiele. Der Wein ist ernst zu nehmen. Und zwar bei Zim-
mertemperatur. Aber bitte nicht zu warm. Die 14% sind zwar
inzwischen nicht mehr am Rande des Spektrums, aber sie wer-
den mit steigender Temperatur zu dominant. Meine Empfeh-
lung: Aus dem Keller geholt erst mal gemeinsam mit dem Wein
tief Luft holen, eine gute halbe Stunde. Dann in ein voluminö-
ses Glas füllen, den wundervoll rubinroten Tropfen ein wenig
schwenken und in einem Zug runterkippen. Kleiner Scherz.
Genießen Sie jeden Schluck, der Wein hat es verdient. Es ist
eine Mischung aus der sardischen Canonau- und der Cabernet-
Sauvignon-Traube. Und die ist gelungen. Ein zarter Duft von
reifen roten Früchten wird ergänzt von leichten Ledernoten.
Geschmacklich ist er erstaunlich frisch, ja fast schmeckt man
frische Kräuter heraus. Dann ist‘s aber auch gut. Bevorzugt
nach drei bis vier Jahren Lagerung genießbar.

                              18
HEIMATLICHES
           Goethische Wollsackverwitterung
                                                                                   von
                                                                              Adrian Roßner
            Foto: GertGer Quelle Wikimedia

                                             Foto: Bayreuther Festspiele

W      er als Wanderer durch das Fichtel-
       gebirge reist, sieht an manchen Or-
ten einen allzu bekannten Namen auffla-
                                                                                        diums aller möglichen Wissenschaften
                                                                                        noch immer keinen blassen Dunst von
                                                                                        der Antwort auf jene alles umfassende
ckern. Oftmals sind die Buchstaben, die                                                 Frage hatte, zeichnet er damit auch das
man vor über 200 Jahren in den Felsen                                                   Menschengeschlecht an sich. Wir alle
ritzte, bereits stark verwittert oder von                                               haben etwas Faustisches in uns, das in
der üppigen Vegetation überwuchert,                                                     manchen Situationen über die Vernunft
doch bilden sie dennoch unverkennbar                                                    obsiegt und uns dazu antreibt, immer
das Wort GOETHE. Tatsächlich weil-                                                      wieder Neues entdecken zu wollen. Es
te das Universalgenie insgesamt dreimal                                                 darf vermutet werden, dass Goethe sich
in der Fichtelgebirgsregion, was die Be-                                                auch selbst in seinem Faust erkannte, da
wohner dazu trieb, seine Wirkungs- und                                                  er, der große Literat, ebenfalls auf unzäh-
Wohnstätten in den nachfolgenden Jahr-                                                  ligen akademischen Gebieten bewandert
zehnten durch Inschriften und Hinweis-                                                  war und sich neben der Arbeit an seinen
tafeln zu markieren. Was aber führte ihn,                                               Monumentalwerken auch mit der Geo-
den Schöpfer des deutschen National-                                                    logie und Botanik beschäftigte.
epos Faust, in das granitene Hufeisen?                                                  Forschungen auf eben diesen Gebieten
Nun, es war das Urmenschliche: Wenn                                                     brachten ihn, den Fragenden, 1785 nach
Goethe „seinen“ Doktor als von der                                                      Nordostoberfranken. Eigentlich war
Neugierde und dem Wissensdurst Ge-                                                      er auf dem Weg vom heimischen Wei-
triebenen darstellt, der trotz des Stu-                                                 mar ins böhmische Karlsbad, bog zum

                                                                                   19
30. Juni jedoch in Hof nach Süden ab              te - spannende Verbindung! Immerhin
und reiste über Marktleuthen nach Wun-            symbolisiert der Irrgang mit seinen un-
siedel, wo er für einige Tage verweilte.          überschaubaren Wegen und den sponta-
Seine Zeit im Fichtelgebirge nutzte er al-        nen Richtungswechseln, die den Suchen-
lerdings nicht zur Entspannung, sondern           den vom eigentlich anvisierten Zentrum
für ausgiebige Forschungen auf dem Ge-            fern halten, auch par excellence eben
biet der Geologie, wobei ihn vor allem            jenes niemals endende Streben, das Goe-
die seltsam anmutenden Granittürme                the als das „Urmenschliche“ anerkannte.
faszinierten. Die sogenannte „Woll-               Allzu erfreut zeigte er sich demnach, dass
sackverwitterung“ findet sich an vielen           das wirre Naturgebilde, das er bei seinem
Stellen des Gebirges und ist, wie man             Besuch „mühsam durchkrochen“ hatte
zwischenzeitlich herausgefunden hat,              nun „durch architektonische Garten-
vulkanischen Ursprungs. Zu Goethes                kunst spazierbar“ gemacht worden war.
Zeiten stellten die scheinbar aufeinan-           Vor 200 Jahren, am 13. August 1822,
der gestapelten Matratzen aber noch ein           kam Goethe ein letztes Mal ins Fichtel-
großes Mysterium dar, dessen sich der             gebirge. Gut eine Woche lang blieb er
Meister nur allzu gerne annahm. Nach              damals, um sich die neuartige Chemische
Abstechern zum „Zechenhaus“, dem                  Fabrik des Wolfgang Kaspar Fikentscher
heutigen Seehaus, und zur Luxburg, die            zu besehen und die Quecksilberherstel-
mittlerweile den Namen der Preußenkö-             lung zu bewundern. Auch die Glasfabrik
nigin Luise führt, entschwand er am 4.            bei Brand, wo für die damalige Zeit mit
Juli nach Karlsbad.                               modernster Technik gigantische Fenster-
71jährig kehrte er 1820 am 25. April              platten produziert wurden, faszinierten
zum zweiten Mal in das granitene Huf-             den Gelehrten, der letztendlich auch
eisen zurück, blieb jedoch nur gut zwei           selbst aktiv wurde und einige Versuche
Tage in Bad Alexandersbad, ehe er am              durchführte. Goethe, jener Große, hat
26. erneut nach Karlsbad weiterreiste.            demnach unsere Heimat als eben das
Den kurzen Zwischenstopp nutzte er                Mysterium erkannt, das sie in manchen
für eine erneute Besichtigung der Lui-            Teilen bis heute darstellt, andererseits
senburg, deren schroffe Felsen und weit           aber auch verstanden, dass bei allem Stre-
ausladenden Granitmeere die Wunsied-              ben, bei aller Jagd nach Erkenntnis, der
ler Bürger zwischenzeitlich touristisch           Genuss der ganz einfachen, alltäglichen
erschlossen hatten. Insofern hat Goethe           Dinge nicht zu kurz kommen darf. So
beides, die ursprüngliche Form und das            „ergötzte“ er sich auch oftmals „auf die-
daraus entstandene „Felsenlabyrinth“ be-          sen herrlichen Granitmassen“ und besah
sucht; eine - wenngleich nur konstruier-          sich das „abendlich[e] Bischofsgrün“.

                                             20
B L I CD K
         A SI NG UD TI EE BB LUÄCTHT E R
    MUH - Vom Weltbayerntum
                            von
                        Frank Piontek

C    annabis – Antisemitismus in Bayern – die Zeile unter dem
     Titel fällt schon durch die fetten Kursive auf. „Bayerische
Aspekte“, so lautet der Untertitel der Zeitschrift, die unter
„Kultur“ nicht die Folklore, sondern eine liberale Politik ver-
steht, die Kunst und Kritik, Tradition und Erneuerung ineins
setzt. MUH heißt das Blatt; Rinder sind aufmerksame Zeitge-
nossen, und Bayern wird als Weltbayerntum verstanden. Von
einem solchen Weltbayern, Sixtus Lampl, wird auch berichtet.
Der alte Herr hat Dutzende von historischen Orgeln gerettet
und sich als vergleichsloser Orgel-Artenschützer bewährt. In
Valley tümelts nicht, es wird gearbeitet. Geschichten wie die
vom Lampl machen selbst dann Mut, wenn man weiß, dass der
Kampf gegen die Bayerische Kulturvernichtung nicht immer
erfolgreich ist. Der Versuch des Sammlerehepaares Grill um
eine „Bayerische Pinakothek“ in der Landeshauptstadt endete
mit dem Verkauf der Kollektion nach Österreich. Chance ver-
tan, denkt sich der Leser, der sich nicht darüber wundert, dass
ökonomisch-soziale Interessen oft niedriger gehandelt werden
als wirtschafts- und kommunalpolitische Egoismen. Bayern
ist ein Kulturstaat (O-Ton der Bayerischen Verfassung)? Jein.
MUH macht klar, wo es hakelt – und dass die „Gemütlich-
keit“ der großen Volksschauspieler ein Irrtum ist, der im Auge

                               21
des tümelnden Betrachters liegt. Gustl Bayrhammer wird im
Heft eine ausführliche-bilderreiche und problembewusste Stu-
die gewidmet, die das Biographische, Künstlerische und Politi-
sche parallelisieren kann, weil eben alles parallel lief bei diesem
Schauspieler: die Arbeitswut wie die Wut gegen die Republika-
ner und die neuen Nazis. Sein Text von 1993 ist, sagt Christian
Selbherr, „von einer großen Wucht, der leider nur wenig von
seiner Aktualität eingebüßt hat.“ „Wir haben“, schrieb Bayr-
hammer, „an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts, ja, eines
neuen Jahrtausends, im Zeichen der Satelliten und TV-Ka-
näle, die große Chance, geistig zusammenzurücken, die Kul-
turen und Völker dieser Erde kennenzulernen, neugierig über
frühere und jetzige Grenzen hinauszuschauen. Nicht ein Land
sei uns heilig oder über alles, unsere Erde sei uns heilig, denn
ohne sie gäbe es kein Land und auch nicht uns und auch nicht
die anderen.“ Die höchste Kulturstufe wird sicher nicht dort
erklimmt, wo eine Chiemgauer Felsenkellerdiskothek seiner
Existenz beraubt wird, weil ein staatlich gebauter und gefei-
erter Tunnelbau dem Musik- und Tanzclub nicht das Wasser
abgräbt, sondern dasselbe geradezu in ihn hineinpumpt – wer
die Macht hat, haftet im „Kulturstaat“ Bayern nicht einmal für
solche Katastrophen. Von selben Qualitäten zeugen einige Le-
serbriefe, in denen unnötige Flächenversiegelungen aufs Korn
genommen werden – auch die „Post an die MUH“ ist Kultur,
denn auch Lebensflächen müssen, wie alte Orgeln, geschützt
werden: so wie das Licht. „Lichtverschmutzung“, was für ein
Wort! Die Chiemgauer Initiative Paten der Nacht verschrieb
sich dem Kampf gegen den antiökologischen Unsinn, übri-
gens auch einem Bayern-Rekord, woran wir sehen, dass Bayern
schon sehr besonders ist. Schade also, aber auch konsequent,
dass Walter Sedlmayer (die Reihe Charakterköpfe entwirft ein
feinfühliges Porträt) zunächst in eine falsche Ecke gestellt wur-
de: „Weil dicke Mimen“, schreibt Michael Zametzer, „in der
Nachkriegszeit zunächst noch dünn gesät sind, wird der junge,
damals schon korpulente Schauspieler mit Halbglatze konse-
quent fehlbesetzt, in oft lächerlichen Nebenrollen.“ Der Leser
ist dankbar für solche Tiefenschnitte.
MUH bietet aber auch das Ineinander von „Bierkultur und
Kleinkunst“, von Kinderseite und einem „Wohlstandsleuch-
ten“, das so anheimelnd anmutet, bis wir mit dem Hinweis

                                22
auf Fotodokus und Filme in die Gegenwart des russisch-uk-
rainischen Kriegs gestoßen werden. Auch das ist echt bayerisch,
weil es sich die bayerischen Fotografen, Autoren und Filme-
macher nie nehmen ließen, den Finger auf die wunden Welt-
punkte zu weisen. Es ist vieles schiach, aber hübsch schiach
sind die dunklen Bilder eines Benjamin König, denen die Bay-
erwaldmenschengesichterfotos des Analogfotografen Martin
Waldbauer und Barbara Niggl Radloffs Fotoreportage aus dem
Bauernleben anno 1976 an die Seite gestellt werden können.
„Gmiatlich“ ist hier nichts, eindrücklich alles. MUH gelingt
es, in einem Heft auf die ökosoziale Transformation und auf
die zeitlos scheinenden Innen- und Außenwelten des tiefsten
Bayern hinzuweisen. Waldbauer druckt seine Fotos auf Papier,
das bis zu 80 Jahre alt ist, während Sebastian Gift von der
Münchner Suchthilfeorgansisation Condrobs e.V. gut begrün-
det für die Entkriminalisierung der in Bayern strafverfolgten
Drogenkonsumenten argumentiert. Bayern ist auch Franken,
doch für fränkische Leser hat MUH in seinem Winterheft nur
wenig übrig: die Diskussion um das in die Jahre gekommene
Nürnberger Opernhaus und die Ersatzspielstätte NS-Gelände
wird wirsch und nicht besonders kundig kommentiert, denn
was sollte man, wenn man einen Neubau eröffnen sollte, mit
dem Theateraltbau anfangen? Die Frage wird nicht gestellt,
stattdessen ausgeteilt: „Mit dieser erwartbar mutlosen, aber
teuren Schwerpunktsetzung [der Sanierung des Altbaus] wird
Nürnberg auf Jahrzehnte ein kultureller Elefantenfriedhof blei-
ben.“ Man wundert sich nicht, wenn man den Herkunftsort
des wurdelnden Peter Kunz liest: er lebt im verfeindeten Fürth,
daher weht also der Wind. Was MUH jedoch an optischer und
inhaltlicher Qualität und Fülle, an Bayerischen Aspekten jen-
seits einer bloßen Goaßgschau bietet, die den Sinn fürs Ganze
und für die schönen und unschönen Dinge schärfen, ist viel.
Wie „Gustl der Große“ sagte: „Dass das Bairische nicht nur
fürs volkstümliche Kasperltheater taugt, sondern echte Drama-
tik und tiefe Abgründe beschreiben kann“. Insofern gehören
ein Gespräch mit den Münchner Gründerinnen des jüdischen
Onlinemagazins Hagalil und Thomas Heilige Nacht durchaus
zusammen.

MUH 43 (Winter 2021/22). 96 Seiten. 8 Euro.

                              23
KULTURVEREIN
Der Historische Verein für Oberfranken e.V.
                                           von
                                       Frank Piontek

E   r ist – darauf ist man stolz - der ältes-
    te bayerische Geschichtsverein. Was
ist „Geschichte“? Geschichte war und ist
                                                     von den denkmalzerstörenden Exzessen
                                                     der Säkularisation von 1803 (die Auf-
                                                     hebung der Klöster und die Verschleu-
immer noch ein bisschen das, was in pa-              derung des kirchlichen Kulturguts) er-
triotischem Sinn erforscht werden kann;              holt hatten, tief in der Findung einer
schon das Feld, das in Oberfranken be-               deutschen Nation wurzelten. Plötzlich
ackert werden kann, ist riesig: von den              besannen sich nicht allein die Brüder
ersten Spuren menschlicher Besiedlung                Grimm auf historische Überreste dessen,
bis zu den letzten Verwerfungen des spä-             was man als „Heimat“ zu bezeichnen
ten 20. Jahrhunderts. „Ältere kirchliche             pflegte. Man gründete Museen, Archive
Geschichte von Kulmbach“, so lautet der              – und Vereine, die die noch existieren-
Titel des ersten Aufsatzes in der ersten             den Dokumente der Vergangenheit be-
Nummer der vereinseigenen Zeitschrift.               wahren und wissenschaftlich bearbeiten
„Demarkationslinie – Grenze – Todes-                 wollten. 1827 ging also eine Einladung
streifen. Zwei ehemalige Bundesgrenz-                an die Freunde der vaterländischen Ge-
schutzbeamte berichten“, unter dieser                schichte heraus. So kamen 260 Unter-
Über- und Unterschrift berichteten im                stützer zusammen, die unter der Stab-
Januar 2022 zwei ehemalige Grenzschüt-               führung des Bayreuther Bürgermeisters
zer über das, was sie an der deutsch-deut-           Christian Erhard von Hagen und einiger
schen Grenze erlebt hatten. Begonnen                 anderer honoriger Vertreter der Gesell-
hat die Vereinsgeschichte nicht mit bru-             schaft den Verein für Baireuthische Ge-
talen, sondern eher mit romantischen                 schichte und Altertumskunde gründeten:
Vorstellungen, die, kurz nachdem sich                für eine umfassende Geschichtsschrei-
die deutschen Länder von Napoleon und                bung für „den großen Wechsel der man-
seinen kriegerischen Folgen, aber auch               nigfaltigen Formen des Landeigentums

                                                24
und der Gewohnheiten des Landbaus,                nen“ höchst rege gestalte – woran man
die Geschichte der Kirche, die Gerichts-          sieht, dass die Bayreuther Geschichtswis-
verfassung, die Rechte und Ordnungen              senschaftler weit über den Tellerrand des
der Städte und Märkte, die Geschichte             Obermainkreises hinausblickten.
der Kunst, des Handels und der Gewerbe            Die stärksten Einschnitte musste man im
und dergleichen“. Mit diesem „Aufruf“             20. Jahrhundert registrieren, als die Pro-
beginnt auch die Geschichte der Samm-             tagonisten des ersten Weltkrieg die inter-
lungen des Vereins, die auch den Grund-           nationalen Beziehungen kappten und in
stock für das Bayreuther Stadtmuseum              der NS-Zeit der Verein mit dem Auftrag
bildeten. Schon 1828 kam das erste Heft           betraut wurde, die germanischen Ge-
des Archivs für Bayreuthische Geschichte          schichte zu erforschen, was an sich nur
und Altertumskunde zustande. Beschirmt            heißen konnte, historische Tatsachen zu
vom kulturliebenden, -bewahrenden und             verfälschen. Die Titel der zwischen 1933
-schaffenden König Ludwig I., konnte              und 1944 erschienenen Jahrbücher las-
1830 ein Verein für die Heimatpflege              sen allerdings keinen vertiefteren Hang
des gesamten Obermainkreises ins Leben            zur Nazifizierung erkennen. 1947 wurde
gerufen werden, worauf sich zunächst              der Verein dann quasi wiedergegründet,
ein (noch bestehender) Bamberger Ge-              um bis heute mit einem äußerst breiten
schichtsverein gründete, der Bayreuther           Spektrum, zwischen der Landes,- Stadt,-
Verein offiziell zum Historischen Verein          Politik-, Kirchen-, Mühlen-, Musik-,
des Obermainkreises bzw. zum Verein für           Bergwerks-, Brunnen-, Bau-, Fest- und
Geschichte und Altertumskunde, Geogra-            Theatergeschichte etc. etc., mit den auch
phie und Statistik des Obermainkreises er-        außerhalb des Jahrbuchs publizierten
nannt wurde und aus dem wissenschaft-             Buchveröffentlichungen die Geschichts-
lichen Blatt das Archiv für Geschichte            freunde zu erfreuen. Damit nicht ge-
und Altertumskunde des Obermainkreises            nug: der Verein betreibt ein archäologi-
wurde, dessen Nachfolge, das Archiv für           sches Museum, das im Italienischen Bau
die Geschichte von Oberfranken, als statt-        des Bayreuther Neuen Schloss residiert
liches Werk jährlich mit Aufsätzen zur            (kleiner Tipp: der Kulturfreund sollte
Regionalgeschichte erscheint. Seit 1837           es schon aufgrund der herausragenden
trägt der Verein den heutigen Namen               Raumausstattungen des Obergeschosses
– seinerzeit waren schon zwei Jahre ins           besuchen) und – neben der Außenstelle
Land gegangen, in denen die Bayerische            der Archäologischen Staatssammlung in
Akademie der Wissenschaften und die               Forchheim – das einzige in Oberfranken
Historischen Vereine des Bayerischen              befindliche Spezialmuseum für vor- und
Vaterlandes auf den Wunsch Ludwigs I.             frühgeschichtliche Funde ist; Schwer-
eng zusammenarbeiteten. 1842 konnte               punkte: Fränkische Schweiz und Bay-
man vermelden, dass sich der Austausch            reuther Umland. Während die Vereins-
mit „sämtlichen inländischen Vereinen“            Bibliothek in der Universitätsbibliothek
und „sechs ausländischen Organisatio-             verwahrt wird, kann man im Bayreuther

                                             25
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J Ü R G E N BRO DW O LF

PARAPHRASEN

20. MÄRZ – 19. JUNI 2022

       Kunstmuseum Bayreuth
       Altes Barockrathaus
       Maximilianstraße 33
       95444 Bayreuth
       Geöffnet: Di – So 10 – 17 Uhr

       www.kunstmuseum-bayreuth.de
Foto: Frank Piontek

                      Stadtarchiv die ungedruckten Doku-                Familienführungen im Neuen Schloss auf
                      mente und Archivalien des Historischen            den Spuren der Markgräfin Wilhelmine,
                      Vereins einsehen – damit noch immer               oder in den unterirdischen Kasematten
                      nicht genug: Der Verein verfügt auch              der Plassenburg. Nein, der Historische
                      über eine graphische Sammlung, eine               Verein für Oberfranken ist kein Privatclub
                      Landkarten- und eine Münzsammlung.                für Nostalgiker, sondern ein im Sinne
                      „Seit seiner Gründung“, heißt es auf der          der Aufklärung agierender, lebens- und
                      Homepage, „ist es der Zweck des Ver-              menschennaher Kulturverein, in dem so-
                      eins, die Geschichte Oberfrankens wis-            wohl der einstige Todesstreifen als auch
                      senschaftlich zu erforschen, das Interesse        „Teufelsapfel und Gottesgeschenk“ be-
                      breiter Kreise der Bevölkerung dafür zu           leuchtet werden. So jedenfalls heißt der
                      wecken, das Geschichtsbewusstsein zu              Vortrag, den Adrian Roßner, Autor des
                      pflegen, die kulturelle Überlieferung zu          Kulturbriefs, am 28. April im Vortrags-
                      bewahren und den Heimatgedanken zu                raum der VHS Pegnitz halten wird, wo
                      vertiefen. Wir wollen Menschen zusam-             er uns mitteilen wird, dass es nicht der
                      menführen, die sich für die oberfränki-           Preußenkönig Friedrich II., sondern der
                      sche Geschichte interessieren.“ Schüler-          Pilgramsreuther Bauer Hans Rogler war,
                      aktionen im Archäologische Museum                 der den Kartoffelanbau in den deutschen
                      bieten „Archäologie zum Anfassen“.                Landen einführte.
                      Das Veranstaltungsprogramm ermög-                 Sage keiner, dass sog. alte Geschichten
                      licht auch den „niederschwelligen Ein-            nicht immer wieder neu wären!
                      stieg in die Regionalgeschichte“, z.B. mit

                                                                   27
DAS NEUE ALBUM
The Rolling Chocolate Band: - sunny side up -
                                         von
                                     Frank Piontek

Boom boom boom boom… In der Tat:                  ein Garagenrock vor, der so unaufgeregt
Es beginnt auf der Black Street mit boom          daherkommt wie Everybody‘s gotta live –
boom boom, aber die Bayreuther Jungs              mit wenigen Akkorden und einem Tem-
können auch anders. Nicht, dass Va-               po und Rhythmus lässt sich gute Musik
lentin Weintritt, Dominik Adler, Jonas            machen, die uns am Ende (Egg sunny
Kuhn, das Trio der rollenden Schokola-            side up) zu einer Fahrt in einen ewigen
den-Band, Spezialisten für softe Balla-           Sonnenuntergang begleitet, diesmal und
den wären, gewiss nicht, aber wer sich            endlich ausgedimmt, denn es kann nicht
so schön, immerhin 30 Sekunden kurz,              anders sein in der Welt des gezähmten
mit einem Blues in Escape begibt, mit             Protests, der inzwischen aus Spaß an der
einer Coolness sondergleichen Jump this           Freud aus dem Studio tönt. Integral da-
train tonight beginnt und einem Mund-             zugehörend im auch äußerlich perfekten
harmonika-Solo (Toots Thielemans lässt            (kein Wunder: audiotransit) Produkt: die
grüßen) Split through the cracks eröffnet,        Silberscheibe, Egg sunny side up, in Pappe
hat ein bisschen mehr zu bieten als den           gehüllt, versehen mit entzückenden Pop-
Folk- und Punkrock, der den schöns-               zeichnungen und dem Logo der Scho-
ten Soundtrack zu einem US-amerika-               kofabrik, in dem sich die drei Musiker
nischen Spielfilm der späten Siebziger            2014 beim Skaten begegneten, um nie
abgeben könnte. Wer bei Cherry love               wieder auseinander zu gehen: Move on,
genauer in den Hallraum hineinhört,               selbst, wenn‘s auf einer schwarzen Straße
vernimmt gelegentlich einen schönen               ist.
Dauergrundsound, ansonsten herrscht               Label: audiotransit.

                                             28
HINTER DEN KULISSEN
                 Giacomo Casanova
         „Geschichte meines Lebens“ 2. Teil
                                                 Textauswahl von
                                                  Stephan Jöris
                   Foto: Bayreuther Festspiele

Auszüge aus dessen Vorrede - 2. Teil                        Mein sanguinisches Temperament mach-

I ch habe nach und nach alle Tempera-                       te mich sehr empfänglich für die Lo-
  mente gehabt: in meiner Kindheit war                      ckungen der Sinnlichkeit; ich war stets
ich phlegmatisch, in meiner Jugend san-                     fröhlich und immer geneigt, von einem
guinisch; später wurde ich cholerisch                       Genusse zu einem neuen überzugehen;
und endlich melancholisch, und das                          dabei war ich zugleich sehr erfinderisch
werde ich wahrscheinlich bleiben. Indem                     im Ersinnen neuer Genüsse. Daher
ich meine Nahrung meiner Leibesbe-                          stammt ohne Zweifel meine Neigung,
schaffenheit anpaßte, habe ich mich stets                   neue Bekanntschaften anzuknüpfen,
einer guten Gesundheit erfreut. Schon                       und meine große Geschicklichkeit, sol-
frühzeitig lernte ich, daß jede Schädi-                     che wieder abzubrechen; doch geschah
gung der Gesundheit stets von einem                         dieses stets mit voller Überlegung und
Übermaß in der Ernährung oder in der                        niemals aus bloßer Leichtfertigkeit. Tem-
Enthaltsamkeit herrührt. Darum habe                         peramentsfehler sind unverbesserlich,
ich niemals einen anderen Arzt gehabt                       weil das Temperament nicht von unse-
als mich selber.                                            ren Kräften abhängt. Etwas anderes ist es

                                                       29
mit dem Charakter. Diesen bilden Geist          Neufundländer Stockfisch, Wildpret im
und Herz; das Temperament hat fast gar          höchsten Stadium des Duftes und von
nichts damit zu tun. Darum hängt der            Käse gerade diejenigen Sorten, deren
Charakter von der Erziehung ab und läßt         Vollendung sich dadurch zeigt, daß die
sich folglich bessern und gestalten.            Tierchen, die sich in ihnen bilden, sicht-
Ich habe eingesehen, daß ich mein Leben         bar werden. Stets fand ich süß den Ge-
lang mehr nach der Eingebung meines             ruch der Frauen, die ich geliebt habe.
Gefühls als aus Überlegung gehandelt            Was für ein verderbter Geschmack! wird
habe; ich glaube daraus folgern zu dür-         man sagen; welche Schamlosigkeit, ihn
fen, daß mein Verhalten mehr von mei-           ohne Erröten einzugestehen! Diese Kri-
nem Charakter als von meinem Verstan-           tik macht mich lachen; denn ich glaube,
de abhängig gewesen ist. Mein Verstand          dank meinem derben Geschmack glück-
und mein Charakter liegen beständig im          licher zu sein als andere Menschen; ich
Kriege miteinander, und bei ihren fort-         bin überzeugt, daß er mich genußfähiger
währenden Zusammenstößen habe ich               macht. Glücklich, wer sich Genüsse zu
stets gefunden, daß ich nicht Verstand          verschaffen weiß, ohne anderen zu scha-
genug für meinen Charakter und nicht            den!
Charakter genug für meinen Verstand             Ich aber erkenne gerne stets in mir selber
besaß.                                          die Hauptursache des Guten oder Bösen,
Der Kultus der Sinneslust war mir immer         das mir zustößt. Daher sah ich mich stets
die Hauptsache: niemals hat es für mich         mit Behagen imstande, mein eigener
etwas Wichtigeres gegeben. Ich fühlte           Schüler zu sein, und machte es mir zur
mich immer für das andere Geschlecht            Pflicht, meinen Lehrer zu lieben.
geboren; daher habe ich es immer geliebt
und mich von ihm lieben lassen, soviel          Giacomo Casanova wurde 1725 in Venedig
ich nur konnte. Auch die Freuden der            geboren. Er nannte sich Chevalier de Seingalt
Tafel habe ich leidenschaftlich geliebt,        und studierte Theologie und Jura. 1755 wur-
und ich habe mich für alles begeistert,         de er in Venedig wegen Gottlosigkeit einge-
                                                kerkert. 1756 gelang ihm die Flucht aus den
was meine Neugier erregte.                      Bleikammern des Dogenpalastes. 1757 Lotte-
Wenn man mich sinnlich nennt, so tut            riedirektor in Paris. Hielt sich an den Höfen
man mir unrecht; denn meiner Sinne              Friedrichs des Großen, Josephs II. und Katha-
wegen habe ich niemals Pflichten ver-           rinas der Großen auf. Ab 1785 Bibliothekar
nachlässigt, so oft ich deren hatte. Aus        des Grafen Waldstein in Dux (Böhmen). Dort
demselben Grunde hätte man niemals              starb Casanova. Seine umfangreichen Memoi-
                                                ren sind von hohem kulturhistorischem Wert.
Homer einen Trinker nennen dürfen: -
                                                Berühmt wurde er durch die Beschreibung
Laudibus arguitur vini vinosus Home-            seiner Flucht aus den Bleikammern. Aufsehen
rus.- * Ich liebte alle scharfgewürzten         erregten jedoch in erster Linie seine beschriebe-
Speisen: Makkaronipastete von einem             nen erotischen Abenteuer. * Weil er den Wein
guten neapolitanischen Koch, die Ol-            gelobt, gilt Homer als weinselig (Horaz).
lapotrida der Spanier, recht klebrigen

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AUSSTELLUNGEN
              Deutsche Kinemathek:
        Frame by Frame – Film restaurieren
                                             von Frank Piontek
              Foto: Deutsche Kinemathek

D   er Film stinkt. Der Geruch der säu-
    rehaltigen Nitrokopie sticht derart
scharf in die Nase, dass man unwillkür-
                                                         gelegentlichen Glücksmomente der wis-
                                                         senschaftlich orientierten Filmrestaurie-
                                                         rung demonstriert.
lich zurückschreckt. Der Film stinkt na-                 Filmrestaurierung ist auch immer Film-
türlich nicht, nur die alten Filmrollen                  rekonstruktion. Der Riss im fragilen,
sind‘s, die den Filmfreunden – und den                   stets feuergefährdeten und durch ver-
Filmrestauratoren Sorgen bereiten. Dass                  schiedenste Einwirkungen beschädigten
es absolut nicht selbstverständlich ist,                 oder bis zur Unkenntlichkeit zersetzten
auch die berühmten Filmmeisterwerke                      Filmmaterial betrifft nicht allein physi-
der Vergangenheit in jenen Fassungen                     sche, mehr noch manuelle Eingriffe. Die
zu Gesicht zu bekommen, in denen sie                     präzise Szenenfolge von Das alte Gesetz,
einst das Licht der Leinwand erblick-                    einem bewegenden Stummfilm über das
ten, hat sich beim größeren Publikum                     Problem der jüdischen Assimilation im
spätestens herumgesprochen, seit 2010                    19. Jahrhundert, konnte also nur des-
Metro­polis nach dem spektakulären Fund                  halb wiederhergestellt werden, weil die
einer unbekannten argentinischen Kopie                   Zensurkarte, auf der seinerzeit die Texte
einer zeitgenössischen Verleihfassung in                 des Films fixiert wurden, aus den Tiefen
einer fast kompletten Langfassung wie-                   der Archive wiederauftauchte. Für Me-
deraufgeführt werden konnte. Die Re-                     tropolis lagen nicht allein verschiedene
konstruktion war das Werk der Leute                      Kopien, auch die Orchesterpartitur und
der Deutschen Kinemathek, die in einer                   der Klavierauszug der Filmmusik vor,
beeindruckenden Ausstellung – anhand                     die uns wichtige Daten mitteilen – in
von wenigen, aber aussagekräftigen Fil-                  anderen Fällen muss „nur“ eine vorlie-
men – nun die Prinzipien, Probleme und                   gende Kopie vom Analogen ins Digitale

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gebracht, geklebt, gesäubert und retou-           derherstellung, die noch kurz vor dem
chiert werden; das Ergebnis kann ästhe-           Tod der Regisseurin ins Werk gesetzt
tisch so überwältigend sein wie die Neu-          wurde, in seiner 2,5 Stunden langen Ur-
fassung von Der Katzensteg von 1927.              fassung besichtigt werden, die bei den
Die Ausstellung lädt dringend dazu ein,           Kritikern von 1980 so schlecht ankam,
sich tief in die verschiedensten, auch            dass der Verleih das Werk damals um
ethischen Überlegungen und Techniken              eine satte halbe Stunde kürzte. Wer es
hineinzubegeben, die aus einem trauri-            heute anschaut, sieht auch das Produkt
gen Nitrorest ein neues Juwel machen –            einer Rekonstruktion der ursprünglichen
dass es nicht nur Vorkriegsfilme sind, die        Farbfassung – wie gesagt: analog aufge-
des Schutzes (durch Umkopieren) und               nommene Filme in ihrer Originalfassung
der Sichtbarmachung (durch restaurato-            zu erleben, ist alles andere als selbstver-
rische Maßnahmen) bedürfen, sondern               ständlich. Die Berliner Schau aber macht
auch viele jüngere: auch dies ist eine            klar, wieso es beglückend sein kann, sich
der Erkenntnisse der Ausstellung, in der          bis zu zwei Jahre mit einem Film zu be-
man problemlos drei Stunden zubringen             schäftigen.
kann, bevor man sich im Heimkino ei-
nige der ausgewählten Streifen anschaut.          Deutsche Kinemathek / Museum für Film
Helma Sanders-Brahms‘ Deutschland,                und Fernsehen. Potsdamer Str. 2, Berlin.
bleiche Mutter kann heute dank der Wie-           Bis 2.5. 2022.
                                                                                     Anzeige

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AUS DEM MUSEUM
           Das verschollene Buntglasfenster
                   des Stenohauses
                    von Dr. Rainer-Maria Kiel, Bibliotheksdirektor i. R.

„C     urrant verba licet, manus est veloci-
       or illis“ [= Mögen die Worte auch
eilen, die Hand ist schneller als sie] – die-
                                                     schen Kurzschrift konkurrierten im 19.
                                                     und 20. Jahrhundert noch andere Kurz-
                                                     schriftsysteme. Jahrzehntelang rangen die
se lateinischen Worte sind auf dem Grab-             jeweiligen Vereinigungen um eine einheit-
stein Franz Xaver Gabelsbergers (1789-               liche Stenographie. Selbst die deutschen
1849) eingemeißelt. Der Erfinder der                 Länder- und Reichsregierungen waren
modernen Stenographie liegt im Alten                 an diesem Ringen beteiligt. 1924 einigte
Südlichen Friedhof von München begra-                man sich schließlich auf die sog. Deutsche
ben, und da ich unweit dieses Friedhofs              Einheitskurzschrift (DEK). Nach 1933
aufwuchs, sind mir Grab und Inschrift                glaubten die unterlegenen Richtungen,
von Jugend an vertraut. Freilich dachte              den Kampf nochmals aufnehmen zu kön-
ich damals nicht im Traum daran, dass                nen, sahen sich aber schon bald um ihre
ich später einmal im Stenohaus zu Bay-               Hoffnungen betrogen. Das Dritte Reich
reuth, dem einstigen Domizil der Deut-               hielt trotz einiger Modifizierungen an der
schen Stenografenschaft, meinen Amtseid              Deutschen Einheitskurzschrift fest. Auch
leisten würde.                                       in diesem, nur scheinbar unpolitischen
Das Stenohaus, unterhalb des Alten                   Bereich wollte man keine Pluralität, son-
Schlosses gelegen und von der Kanalstra-             dern setzte auf Gleichschaltung.
ße begrenzt, ist älteren Bayreuthern sicher          Stenohaus und Haus der Deutschen Er-
noch gut in Erinnerung. Errichtet wurde              ziehung wurden bei den alliierten Bom-
der Sandsteinbau in den Anfangsjahren                benangriffen im April 1945 gleicherma-
des Dritten Reiches. 1936 fertiggestellt er-         ßen beschädigt, aber nach dem Kriege
hielt er den Namen „Haus der deutschen               wieder aufgerichtet. Aus dem Haus der
Kurzschrift“ und wurde der Deutschen                 Deutschen Erziehung wurde der Sitz der
Stenografenschaft als Domizil zugewie-               BELG bzw. ihrer Nachfolgeunterneh-
sen. Der Volksmund verkürzte den sper-               men EVO und EON. Die Stenografen-
rigen Namen zum griffigen „Stenohaus“.               schaft – nach dem Krieg umbenannt in
Auf der gegenüberliegenden Seite der                 Deutscher Stenografenbund – erhielt ihr
Kanalstraße entstand etwa zeitgleich das             Haus wieder zurück und nutzte es bis
„Haus der Deutschen Erziehung“ mit sei-              zum Bezug eines neuen Quartiers im Jah-
ner Weihehalle, in der bis Kriegsende re-            re 1974. Damals galt das Gebäude bereits
gelmäßig Gedenkakte für Gauleiter Hans               als baufällig. Das hinderte aber nicht, dass
Schemm (1891-1935) stattfanden, der                  eben dort die Verwaltung der neu ge-
bei einem Flugzeugunglück ums Leben                  gründeten Universität Bayreuth und Teile
gekommen war. Mit der Gabelsberger-                  der Universitätsbibliothek (Rechts- und

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Wirtschaftswissenschaften) einquartiert           Zerschlagung zu bewahren und für das
wurden, bis sie auf dem Campus eigene             Museum zu sichern. Leider scheint man
Neubauten (Teilbibliothek Rechts- und
Wirtschaftswissenschaften 1980, Univer-
sitätsverwaltung 1994) erhielten. In der
zweiten Hälfte der 1990er Jahre riss man
das Stenohaus schließlich ab und gestalte-
te auch das umliegende Areal völlig neu.
Als frischgebackener Bibliotheksrat in
Bayreuth hatte ich 1979 meinen Amts-
eid noch im Stenohaus zu leisten. Vor
dem Gebäude befand sich damals eine
Eisdiele, davor ein rechteckiges Wasser-
becken, aus dem munter kleine Fontä-              meine Anregung nicht aufgegriffen zu
nen plätscherten. Mit dem alten Baum-             haben, denn weder in den Schauräumen
bestand ringsherum bot das Ganze einen            noch im Depot des Museums findet sich
idyllischen Anblick. Von Sparsamkeit und          heute ein Glasfenster aus dem ehemaligen
unbefangenem Umgang mit der jüngeren              Stenohaus oder ein Hinweis auf seinen
Vergangenheit legte das Innere des Ste-           Verbleib. Es hätte auf jeden Fall erhalten
nohauses Zeugnis ab. Im Treppenhaus               werden sollen – nicht als NS-Devotiona-
befanden sich Buntglasfenster, die den            lie, jedoch als letzter Überrest eines abge-
Bombenhagel überstanden hatten und                gangenen historischen Gebäudes und als
auf die früheren Nutzer des Gebäudes              markantes Symbol für die Gleichschal-
hinwiesen. Mindestens eines davon zeigte          tungspolitik des Dritten Reiches. Aber
einen geflügelten Bleistift, dessen Spitze        wer weiß, vielleicht taucht das Fenster ja
nach unten wies. Um das obere Stiften-            doch noch einmal auf? Hat doch erst un-
de schlang sich das Hakenkreuz. Letzteres         längst das Historische Museum aus Privat-
hatte man zwar mit schwarzer Farbe über-          besitz ein Buntglasbild (1,20 m x 1,20 m)
strichen, doch konnte es selbst ein unge-         geschenkt bekommen, das einem wenig
übtes Auge kaum übersehen. In seinem              bekannten, ehemals zwölfteiligen Bilder-
Internet-Artikel Bayreuth – ein virtueller        zyklus entstammt, der im Haus der Deut-
Rundgang hat Markus Barnick zwar nicht            schen Erziehung seinen Platz hatte. Hof-
das ganze Fenster, aber doch das entschei-        fentlich erhält das Historische Museum
dende Motiv abgebildet, leider nur in             in nächster Zeit auch weiteren, dringend
Schwarz-Weiß. So blieb es bis zum Abriss          notwendigen Ausstellungsraum, um seine
des Stenohauses. Als ich vom unmittelbar          Sammlungen großzügig ausstellen und
bevorstehenden Abbruch erfuhr, rief ich           auch bemerkenswerte Neuzugänge zeigen
beim Stadtmuseum (heute: Historisches             zu können, statt sie aus Platzgründen ins
Museum der Stadt Bayreuth) an und                 Depot verbannen oder gar ihre Annahme
bat, die Buntglasfenster doch ja vor der          ablehnen zu müssen.

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