" Wichtig ist der Spaß am Lernen " - Deutsche Telekom Stiftung
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nr.1 Diesmal ausgelotet : Bildungschancen » Wichtig ist der Spaß am Lernen « Das Bildungsmagazin der Deutsche Telekom Stiftung Ehemalige Spitzensportler erzählen von ihren Bildungserfahrungen. Und wie sie heute mit ihren Stiftungen Kindern und Jugendlichen zu mehr Chancen im Leben verhelfen.
B i l d u ng s w e l t 3 Kleiner Aufsteiger Text: KLAUS RATHJE Auch wenn dieser chinesische Schuljunge etwas angestrengt in die Kamera guckt – er freut sich. Denn was aus unserer westlichen Sicht wie eine hochgefährliche Angelegenheit wirkt, ist für die Schüler im Südwesten Chinas eine eindeutige Erleich- terung auf ihrem Schulweg. Die 800 Meter Höhenunterschied mussten sie bisher nämlich auf einer wackeligen Rattanleiter bewältigen. Seit November vergangenen Jahres können sie auf einer stabilen Stahlkonstruktion von der Schule im Tal nach Hause in ihr kleines Bergdorf gelangen. Ein echter Aufstieg für den lernenden Nachwuchs. Selbst in industrialisierten Ländern wie China mit einem funktionierenden Schulsystem sind die Bildungschancen lange nicht für alle gleich und erfordern teils einiges an Mut und Strapazen.
4 Di e sm al au sg e l o t e t : B i l du n g scha n ce n » Dieser 02 Bildungsaufstieg Ein Schulweg, der viel Mut Wunderknabe erfordert 06 Das war die Chance ist einmalig. « meines Lebens Wenn engagierte Menschen und entscheidende Momente Aus »Good Will Hunting« den Bildungsweg prägen Seite 16 12 Den Anschluss ermöglichen Zwei ehemalige Spitzen- sportler und ihre Stiftungen » Meine erste 16 Filmreif! Schon so mancher Regisseur Fünf-Jahres-Stelle hat aus dem Thema Bildungs- chancen sehenswerte Kino- war die Rettung. « streifen gemacht Nobelpreisträger Stefan W. Hell und 18 Bravemaster hat andere Akteure aus Wissenschaft, Wirt- einen Traum schaft, Politik und Bildung sprechen Muhammad Al Zeen will über die Chance ihres Lebens. Englischlehrer werden – kein leichter Weg für ihn Seite 6 als Flüchtling 22 Bereit fürs Berufsleben 4.0 Die GestaltBar macht Haupt- schüler fit für die digitale Arbeitswelt »Die Mühe ist es wert. « Von schlagkräftig zu tatkräftig: Impressum Ein früherer Boxweltmeister hilft benach- sonar nr. 1 Herausgeber Deutsche Telekom Stiftung, teiligten Kindern, damit sie im Leben besser Graurheindorfer Straße 153, 53117 Bonn, Tel. 0228 181-92021, kontakt@telekom-stifung.de Verantwortlich für den Inhalt zurechtkommen. Dr. Ekkehard Winter Redaktionsleitung Daniel Schwitzer Redaktion, Grafik und Layout SeitenPlan GmbH Corporate Seite 12 Publishing, www.seitenplan.com Druck Druckerei Schmidt Der besseren Lesbarkeit wegen verwenden wir in diesem Magazin zuweilen verallgemeinernd das generische Maskulinum. In diesen Fällen sind selbstverständlich alle Geschlechter angesprochen und mitgemeint.
nr.1 5 24 Surfen und lernen Kulturwissenschaftler Philippe Wampfler über das Internet als Bildungsort 26 ingen um den R richtigen Weg Wie Eltern am besten die Lernfortschritte ihrer Kinder begleiten 28 Neue Chancen für Talente Ed i t o r i a l Besonders begabte Schüler können in vielen Initiativen ihr Potenzial voll entfalten In die Tiefe 30 Aus der Stiftung Um komplexe Themen wirklich zu Über uns und unsere Projekte durchdringen, genügt meist nicht der oberflächliche Blick. Man muss sich Zeit nehmen, das Thema von allen Seiten betrachten, vielleicht die Perspektive wechseln. Genau das haben wir uns mit unserem neuen Bildungsmagazin „sonar“ vorgenommen: Wir wollen bestimmten Dingen auf den Grund gehen. Daher lotet in Zukunft jede Ausgabe ein Thema breit aus und beleuchtet dieses auf 32 Seiten. In der ersten Ausgabe sind es die Bildungs- chancen in Deutschland, denen wir uns mit einem abwechslungsreichen Mix aus Reportagen, Interviews, Service-Geschich- ten und Porträts widmen. Die „sonar“ erscheint als Printmagazin ab sofort zwei- mal im Jahr. Online finden Sie die Aus- gaben auf www.telekom-stiftung.de/sonar. »Ich weiß nicht, Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen ob ich in ein, zwei und freue mich auf Ihre Meinung und Jahren noch Geduld Anregungen zur Erstausgabe: kontakt@telekom-stiftung.de übrig habe. « Wie sich Muhammad Al Zeen nach seiner Ihre Flucht aus Syrien im deutschen Bildungssystem Andrea Servaty, zu seinem Traum vorarbeitet. Leiterin Kommunikation Seite 18 Deutsche Telekom Stiftung
6 B i l d u ng s w e g e Das war die Chance meines Lebens Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Bildung erzählen von Menschen und Momenten, die ihren Bildungsweg maßgeblich beeinflusst haben. Protokollier t von: CHRISTOPH HENN, ALEXANDRA TRUDSLEV
7 Stefan W. Hell Nobelpreisträger Eine Hürde zu überwinden, die als unüberwindbar galt: Diese Chance motivierte mich als junger Physiker. Seit mehr als 100 Jahren war die Fachwelt überzeugt, dass Lichtmikroskope nicht schär- fer werden konnten, als es die sogenannte Beugungsgrenze erlaubte. Ich aber hatte nach ersten Forschungen so ein Gefühl, dass da doch noch mehr geht. Ich wollte dem wissenschaftlichen Mainstream zeigen, dass er sich täuschte. Die Bedeutung, die meine Forschung einmal haben würde, war damals zweitran- gig. Vor den wissenschaftlichen musste ich viele finanzielle Hürden überwinden. Weil ich nach der Promotion in Deutsch- FOTO: DEUTSCHER ZUKUNFTSPREIS/ANSGAR PUDENZ land mit meiner Idee kein Labor bekam, ging ich zunächst einige Jahre nach Finnland und hangel- te mich von einem Stipendium zum anderen. Wie eine Rettung empfand ich danach meine erste Fünf-Jahres-Stelle als Leiter einer Max-Planck-Forschungsgruppe. Hier konnte ich mich endlich voll Prof. Dr. Stefan W. Hell (54) ist Direktor am Max-Planck- der hochauflösenden Mikroskopie Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. 2006 widmen – und am Ende tatsäch- erhielt er den Deutschen Zukunftspreis, den Preis des lich alle bestehenden Hürden Bundespräsidenten für Technik und Innovation, dem zahl- überwinden. reiche hochrangige Auszeichnungen folgten. 2014 wurde er für die Entwicklung superauflösender Fluoreszenz- mikroskopie mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt.
B i l d u ng s w e g e » Bildung war für mich das Tor zu einer neuen Welt. « Edelgard Bulmahn Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Bildung war für mich das Tor zu einer neuen Welt. Ich wuchs in einem Dorf in Nordrhein-Westfalen auf. Mein Vater war Binnenschiffer, meine Mutter Friseurin. Sie war sehr bildungsbewusst und wollte, dass ihre Töchter eine gute Ausbildung erhielten. Nach der Volksschule war daher die staatliche Handelsschule vorgesehen. Ich selbst hatte andere Pläne, wollte das Aufbaugymnasium besuchen. Mit dieser Schulart sollten die Bildungsre- serven des ländlichen Raums aktiviert werden. Dies hat bei mir – und auch bei meiner Schwester – tatsächlich geklappt! Das Aufbaugymnasium legte den Grundstein für meinen weiteren Lebensweg und war die Chance meines Lebens. Nach dem Abitur habe ich zunächst ein FOTO: SASCHA KREKLAU Jahr in einem Kibbuz in Israel gearbeitet. Anschließend studierte ich Politikwissenschaft und Anglistik. Zu dieser Zeit profitierte ich vom BAföG, das unter Willy Brandt eingeführt worden war. Ohne diese Förderung wäre ein Studium für mich nur unter äußerst schwierigen Bedin- gungen möglich gewesen. Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (66) ist Bundesbildungsministerin a. D. Heute wirkt sie unter anderem als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Telekom-Stiftung.
9 Sunithan Jesubalarasa Abiturient Als ich 2012 nach Deutschland kam, war mein Leben so gut wie vorbei. Ich hatte im Bürgerkrieg meine Eltern und mein Zuhause verloren. Nun war ich allein in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrschte. Doch zum Glück gab es hier neue Wege für mich. Das verdanke ich zunächst meinen Pflegeeltern. Sie sorgten dafür, dass ich von der Haupt- auf eine Gesamtschule wechseln konnte. Inzwischen besuche ich die 12. Klasse und bereite mich aufs Abitur vor. Die zweite große Chance bot mir das START-Stipendium. Als Stipendiat darf ich regelmäßig an Seminaren teilnehmen, in denen es um spannende Themen wie Laser oder Navigationssysteme geht. Von START bekomme ich auch finanzielle Hilfe, lerne außer- Sunithan Jesubalarasa (21) kam dem unterschiedliche Menschen kennen und erfahre viel vor fünf Jahren als unbegleiteter über die Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in Deutsch- Flüchtling von Sri Lanka nach land. Das Stipendium ermöglichte mir auch ein IT-Prak- Deutschland. Heute spricht der tikum bei der Telekom. Mein Traum ist es, dort nach dem von der Telekom-Stiftung geför- Abi ein duales Studium zu beginnen. derte START-Stipendiat fließend Deutsch und strebt ein Informatik- studium an. FOTO: JULIA UNKEL
B i l d u ng s w e g e Uwe Hück Konzernbetriebsratsvorsitzender Porsche AG Jeder braucht in seinem Leben Mentoren, um seine Chancen zu ergreifen. Mein vielleicht wichtigster war mein Deutschlehrer, damals in der Sonder- schule. Ich war ein Heimkind, zehn Jahre alt, wild und aggressiv. Immer mit dem Kopf durch die Wand. Dieser Lehrer war der Einzige, der mich mit Würde behandelt hat. Er hat mir beigebracht, dass man Bücher auch mal aufschlagen kann, statt sie durch die Gegend zu werfen. Und er hat mich an manchen Wochenenden aus dem Heim zu sich nach Hause eingela- FOTO: ULRIKE MICK den. Ich erinnere mich an seinen Garten, an einen Pflaumenbaum und an gemeinsame Essen mit der Familie. Zu diesem Mann habe ich Vertrauen gehabt. Er hat mir gezeigt, dass Bildung eine scharfe Waffe ist. Ich finde übrigens, dass Jugendliche heutzutage eine Menge draufhaben, wir müs- sen nur viel öfter den Kontakt zu ihnen suchen. Deshalb habe ich auch eine Uwe Hück (55) ist auch mehrma- Lernstiftung gegründet, um benachteiligte Jugendliche zu fördern. liger Europameister im Thaiboxen, Ich möchte, dass sie ihre Chance im Leben bekommen. gelernter Autolackierer, Träger des Bundesverdienstkreuzes und stell- vertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche AG. Katja Jung Studentin Ich habe festgestellt, dass es im Leben immer wieder Chancen gibt. Man muss sie nur erkennen und zugreifen. Die wohl bedeutendste Chance auf meinem Bildungsweg war der Beitritt zu den Pfadfindern. Mit zwölf Jahren ging da für mich eine neue Welt auf, wir sind zusammen auf Fahrten und Lager gegangen und haben uns auch für andere Menschen engagiert. Meine eigene Gruppe habe ich bereits mit 15 Jahren geleitet. Damit hatte ich Verant- wortung, musste alles organisieren, mich vernetzen. Ich durfte in die Rolle hineinwachsen. Das hat mich mutig und stark gemacht. Ich habe gelernt, im Team zu arbei- FOTO: PRIVAT ten, flexibel zu sein – und dass nicht immer alles perfekt sein muss, um zu funktionieren. Bei den Pfadfindern ist jeder Einzelne für die Gemeinschaft wichtig und es gab für mich dort viele Vorbilder. Das möchte ich später als Lehrerin unbedingt für meine Schüler sein, denn gute Katja Jung (44) ist gelernte Tisch- Vorbilder sind enorm wichtig. lermeisterin, die sich mit 39 Jahren entschloss, Lehrerin zu werden. Seit 2014 ist sie Stipendiatin im Programm FundaMINT der Telekom-Stiftung.
11 FOTO: BASCHI BENDER Peter Gaymann Künstler Peter Gaymann (66) wurde mit » Du musst es alleine Cartoons über Hühner berühmt, die regelmäßig in Zeitschriften schaffen. « erscheinen. Gaymann hat mittler- weile 75 Bücher veröffentlicht und arbeitet als freier Künstler in Köln. Ich war elf Jahre alt, als ich die Chance meines Lebens half nichts. Da ergriff mein Lehrer die Initiative und lud bekam. Damals, 1961, besuchte ich eine Grundschule in meine Eltern und mich zu sich nach Hause ein. Sie ließen Freiburg. Meine Leistungen waren top, meine Schreib- sich überzeugen. Ein Wunder! Einzige Bemerkung: „Du schrift außergewöhnlich gut, meine Hefte ausgeschmückt musst es alleine schaffen. Wir können weder Englisch mit Zeichnungen, Collagen und Fotos. Nein, ein Streber noch Mathematik.“ Ich habe das Abitur geschafft und war ich nicht, es machte mir einfach nur Spaß. Dann frag- Sozialpädagogik studiert. Dass ich dann Künstler werden te mich mein Lehrer, ob ich nicht aufs Gymnasium wech- wollte, versetzte meine Eltern erneut in Panik. Mein seln wolle. Unbedingt! Doch meine Eltern schüttelten den Credo: Das schaffe ich alleine! Recht hatte ich. Was wohl Kopf. „Hauptschule reicht“, hieß es. Noch nie hatte in mein damaliger Lehrer dazu sagen würde? Ich jedenfalls meiner Familie jemand Abitur gemacht. All mein Betteln bin ihm einfach nur dankbar.
12 B i l d u ng s m a che r Den Anschluss ermöglichen Zwei ehemalige Spitzensportler unterstützen benachteiligte Kinder dabei, ihre Chancen zu nutzen. Ihr wichtigstes Hilfsmittel: Bildung. Inter view: ANGELA LINDNER Fotos: SASCHA KREKLAU
13 Herr Metzelder, Sie haben ja ein beson- ders gutes Abitur gemacht … Metzelder: Na ja. Der Fußball bildet ein breites gesellschaftliches Spek- Christoph Metzelder und Henry trum ab, in dem ein Abitur mit einer Maske – aus dem Fußballer und dem Note von 1,8 etwas Exotisches ist. Ich Boxer sind zwei engagierte Stifter habe das aber damals nie so wahr- Das ist eine tolle Lehre fürs Leben. geworden. genommen, zumal Schulbildung Wenn man ganz selbstverständlich keinerlei positiven Einfluss auf die mit Sport aufwächst, prägt das für sportliche Qualität hat. das ganze Leben. Und davon mal ab- gesehen: Jeder weiß, oder könnte es wissen, dass Sport grundsätzlich für Warum nicht? die ganzheitliche Entwicklung von Kindern außerordentlich förderlich Maske: Man ist gut, weil man seinen ist. Es ist beispielsweise nachgewie- Sport wahnsinnig gerne macht, sen, dass Sport die Konzentrationsfä- Wie war Ihre Schulzeit? Woran erinnern vor allem aber, weil man eine ganz higkeit beträchtlich verbessert. Sie sich noch? spezifische Begabung hat. Aber Schule und Allgemeinbildung sind Metzelder: Bei mir ist das ja schon ganz wichtig, um im Leben klarzu- Wie ist Ihnen der Umstieg in die Zeit ein paar Jahre her ... kommen. nach der Sportkarriere gelungen? Maske: Bist du sicher? Metzelder (muss grinsen): Ja. 17 Jahre. Ich habe drei Brüder und wir sind alle zur selben Schule gegangen, » Jeder Mensch kann morgens gemeinsam mit dem Fahr- rad hingefahren. Ich hatte den Vor- etwas besonders gut. « teil, dass ich bis zur Oberstufe eigent- lich völlig ohne Probleme durchkam, Christoph Metzelder sodass auch der sportliche Teil, der dann ja immer mehr wurde, parallel wunderbar funktionierte. Gilt denn umgekehrt, dass Sport zu Metzleder: Ich habe mich immer Maske: Ich kann mich auch nicht be- einer besseren Bildung beiträgt? schon auch mit anderen Dingen klagen. Nun bin ich in einem anderen beschäftigt. Im Herbst meiner System groß geworden, wo Talente Metzelder: Mag sein. Sportler lernen Fußballkarriere hätte ich gerne ein frühzeitig in speziellen Sportschulen Selbstorganisation, Selbstdiszip- MBA-Studium „Sportmanagement“ gefördert wurden. Der Unterricht war lin, Verzicht, Stressresistenz – alles begonnen, am Ende waren Seminare wie in einer herkömmlichen Ober- Dinge, die man ins spätere Leben mit Präsenzpflicht an Samstagen das schule, aber bei einer Klassengröße mitnehmen kann und die hilfreich Ausschlusskriterium für mich als von 15 Schülern konnte man seine sind. Profifussballer. Mittlerweile haben Möglichkeiten natürlich intensiver viele Hochschulen übrigens auf ausschöpfen. Ich war schon vorher Maske: Stimmt. Und es gibt noch ei- Leistungssportler zugeschnittene ein guter Schüler und wurde dann nen weiteren Aspekt beim Sport, der Studiengänge. Ende 2013 habe ich eher nebenbei zu einem sehr guten mit Bildung zu tun hat: Beim Sport dann eine Sportmarketingagentur Schüler. gibt es Regeln. Wenn ich erfolgreich mitgegründet und bin seitdem im sein will, aber die Regeln vernach- Berufsleben. Ehrlich gesagt, bin ich lässige, dann habe ich keine Chance. Autodidakt.
14 B i l d u ng s m a che r » Ohne Qualifizierung Metzelder: Du hast vollkommen Recht. Spaß am Lernen ist für mich ein zentraler Aspekt, den ich ja auch geht’s nicht. « mit meiner Stiftung fördern möchte. Wenn ich in die Schule komme und den Stoff nicht verstehe, hinterher- Henry Maske hänge, wenn ich meine Hausauf- gaben nicht richtig hinbekommen habe, gehe ich nicht gerne zur Schule. In unseren Projekten betreu- en wir die Kinder in kleinen Gruppen entsprechend ihrer jeweiligen Lern- geschwindigkeit, sodass sie wieder Maske: Ich bin nach dem Abitur in auf das erforderliche Niveau kom- die Nationale Volksarmee der DDR men. Und ganz wichtig: Sie können gegangen und habe Sport studiert, mit einer ganz anderen Haltung und um einmal Trainer zu werden. Dann mehr Selbstbewusstsein wieder in die kam die Wende und ich habe mich Schule gehen. für das professionelle Boxen ent- schieden. Das bedeutete natürlich Maske: Bei uns läuft es etwas anders Exmatrikulation. Ich habe meine als bei dir, Christoph, aber das Ziel Entscheidung aber nie bereut. Nach ist dasselbe: den Abgehängten den dem Ende meiner Boxkarriere habe Anschluss ermöglichen. Wir bieten Der Boxer ich mich vor 17 Jahren letztlich für Kindern und Jugendlichen, die sonst das Franchising in der Systemgastro- keinen Urlaub machen können, Henry Maske, Jahrgang 1964, prägte den nomie entschieden. eine Woche Ferienfreizeit, jedes Jahr Boxsport nachhaltig. Zunächst als Amateur sind das etwa 850 Kinder. Im Camp und nach der Wende als Profi gewann er bis zu erleben sie, dass Erwachsene und seinem ersten Rücktritt 1996 zahlreiche natio- Brauchten Sie dafür eine Ausbildung? Gleichaltrige sie respektieren, dass nale und internationale Wettkämpfe. 2007 siegte sie dazugehören. Maske in einem spektakulären Comeback- Maske: Ohne Qualifizierung geht‘s Kampf, nach dem er dann endgültig seine nicht. Ich habe an internen Fortbil- Karriere beendete. 1999 begann er seine eigene dungen teilgenommen mit BWL, Und was kann man alles in einer Stiftungsarbeit. Das Ziel: sozial benachteiligten Arbeitsrecht, Mitarbeiterführung – Woche bewirken? Jugendlichen helfen, ihre Talente zu entdecken ich bin immerhin für 350 Mitarbei- und ihre Persönlichkeit zu entfalten. Beruflich ter verantwortlich. Da habe ich eine Maske: In dieser einen Woche leitet Maske zehn McDonald‘s-Filialen. Menge gelernt. von Samstag bis Samstag passiert fantastisch viel. Es sind bis zu 150 www.henry-maske-stiftung.de Kinder pro Gruppe und am Anfang Man lernt also in Schule und stehen natürlich immer einige Sport fürs Leben? abseits. Aber spätestens ab Mitte der Woche sind alle integriert. Es gibt Maske: Ach Gott! Lernen fürs Leben. täglich viele Angebote wie Sport, Davon hat ein Kind doch gar keine Musik oder Computer kennenler- Vorstellung. Kinder sollen die Kind- nen. Davon müssen die Kinder eines heit genießen. Dafür gibt es heute mitmachen, können sich aber sonst immer weniger Zeit, das habe ich bei frei bewegen. Es gibt ein bisschen meinen eigenen Kindern gesehen. Grün, einen See und großartige Die hatten ja permanent was zu er- FOTO: PHILIPIMAGE/SHUTTERSTOCK ledigen. Und nicht jedem Kind fliegt alles zu. Wo bleibt da die Freude?
15 Was wollen Sie den Kindern mitgeben, was sollen sie gelernt haben? Maske: Dass sie für sich selbst verantwortlich sind, und dass sie ihr Leben aus eigener Kraft meistern können. Metzelder: Jeder Mensch kann etwas besonders gut. Und jeder hat eine Chance verdient. Nachdem wir über die verschiedenen Aspekte von Bildung gesprochen Betreuer. Wenn einem am Ende haben: Was ist für Sie der Kern von der Woche eine Jugendliche sagt: Bildung? „Henry, das war die schönste Woche meines Lebens“, dann berührt einen Metzelder: Bildung ist der wichtigste das sehr. Rohstoff, den wir in unserem Land haben. Das sind die Köpfe unserer Ist Ihr Stiftungszweck also nach wie Kinder, der Ingenieure, der Erfinder, vor richtig? der Unternehmensgründer. Das macht die Stärke dieses Landes aus. Der Fußballer Metzelder: Absolut. Bildung, Ausbil- Wir gehen damit häufig sehr fahr- dung, Integration, Bekämpfung von lässig um und verlieren so sehr viele Christoph Metzelder, Jahrgang 1980, erlebte als Kinderarmut – das sind zentrale Zu- junge Menschen. Das ist eine große Fußballer einen ersten sportlichen Höhepunkt, als kunftsthemen unseres Landes. Und Ungerechtigkeit, weil diese Men- er in der Saison 2001/02 mit Borussia Dortmund da kommen wir nicht wirklich voran. schen nicht an dieser Gesellschaft Deutscher Meister wurde. Ab 2001 spielte er Selbst wenn es Statistiken geben teilhaben können. Das zu verändern, auch in der Nationalmannschaft. 2006 gründete mag, die besagen, dass Kinderarmut ist zwar ein langer Prozess. Das darf Metzelder seine Stiftung. Sein Ziel: sozial benach- nicht ansteigt; neben der Tatsache, uns aber nicht davon abhalten, uns teiligten Kindern helfen, ihre Schulabschlüsse dass diese Zahl nicht signifikant zu- trotzdem zu engagieren. und den Einstieg ins Berufsleben zu bewältigen. rückgeht, sprechen wir in absoluten Er engagiert sich außerdem als Jugendtrainer und Zahlen von zu vielen jungen Men- Maske: Völlig richtig. Aus meiner Vorsitzender in seinem Heimatverein TuS Haltern. schen, die abgehängt sind. Sie sind Sicht kommt aber davor das Mensch- Beruflich ist Metzelder Mitgesellschafter und nicht mehr in unserer Gesellschaft liche, das Soziale, denn das lernt Geschäftsführer der Sportmarketingagentur Jung integriert und haben nicht densel- man als Allererstes im Leben. Die so- von Matt/sports. ben Zugang zu Bildung. Deswegen ziale Grundlage muss sein, dass man engagiere ich mich mit voller Über- auch beim anderen die Stärken sieht www.metzelder-stiftung.de zeugung und auch Leidenschaft in und ihm Erfolgserlebnisse gönnt. diesen Themenfeldern. Und dazu gehört soziale Kompetenz. Das müssen wir den Kindern auch Maske: Wenn ich das Gefühl habe, mitgeben. es wird schwierig, etwa bei der Suche nach Mitstreitern für die Finanzierung oder bei der Organisation, dann fahre ich ins Camp und dann weiß ich: Das ist die Mühe auf jeden Fall wert. Angela Lindner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Bildung, Wissenschaft und Stiftungswesen.
16 K i no ku l t u r FILMREIF! Großes Kin0: Bildungschancen auf der Leinwand. Text: STEFAN KEIM Illustrationen: SERGIO INGRAVALLE Moonlight „Moonlight“ erzählt in drei Kapiteln von einem jungen Mann, dessen Mutter drogen- süchtig ist. Im ersten Teil ist Chiron neun Jahre alt und findet im Dealer Juan, einem Krimi- nellen mit moralischen Grundsätzen, einen Ersatzvater. Sieben Jahre später geht Chiron auf die High School. Als er sich in seinen besten Freund verliebt, wird er vom Klassen-Alphatier gedemütigt, schlägt zurück und kommt ins Gefängnis. Im dritten Teil kehrt er zu seinem Freund von einst zurück. Ein enorm emotionaler Film. Der Weg in die bürgerliche Gesellschaft ist für jemanden, der von unten kommt, ein ständiger Kampf. USA 2016, Regie: Barry Jenkins, mit Ashton Sanders, Alex R. Hibbert, Trevante Rhodes Good Will Hunting Prügeln, Bier, Baseball – das ist das Leben von Will Hunting. Er putzt im Massachusetts Institute of Technology, dem berühmten MIT, und löst mühelos die Matheaufgaben, die dort an der Tafel stehen. „Good Will Hunting“ ist ein konventionell gedrehter Film. Er lebt von den großartigen Schauspielern Matt Damon und Ben Affleck, die auch das Drehbuch geschrieben haben. Grandios ist Robin Williams als Psychotherapeut. Einer, der nicht lockerlässt, seine eigenen Verletzungen zeigt und ehrlich ist. So gewinnt er Wills Vertrauen. Ein Gutfühlfilm, aber es bleibt Skepsis. Denn ohne diesen Therapeuten hätte Will niemals eine Chance bekommen. USA 1997, Regie: Gus van Sant, mit Matt Damon, Ben Affleck, Robin Williams
17 Fack ju Göhte Der Bankräuber Zeki schleicht sich als Lehrer in eine Hauptschule ein, weil unter der Turn- halle seine Beute vergraben liegt. Nun steht Zeki vor völlig undisziplinierten Chaoten – und findet genau den richtigen Ton. Die Verlorenen und Abgehängten entwickeln Solidarität, Mut und Stolz. Als Zeki zugibt, dass er gar kein Lehrer ist, sagt die Schulleiterin: „Wir Lehrer werden den ganzen Tag verarscht. Ab My Fair Lady und zu müssen wir ein bisschen zurückverar- schen.“ Im Gegensatz zu den vielen Pauker- Nicht die Herkunft macht den Menschen aus, die Sprache Komödien früherer Jahrzehnte hat „Fack ju ist es. Daran glaubt Professor Higgins. Er will aus dem Blumen- Göhte“ Bodenhaftung und einen klaren Blick mädchen Eliza eine Dame der Gesellschaft machen. In hinrei- auf Missstände im Bildungswesen. Diese ßenden Musical-Nummern wird Eliza dressiert und schließlich Komödie entwickelt sogar eine Utopie. auf einem Ball vorgeführt. Alles läuft super. Doch als Eliza feststellt, dass sie Objekt einer Wette war, rennt sie weg. Sie will Deutschland 2013, Regie: Bora Dagtekin, zurück zu ihren Freunden, aber sie spricht und sieht nicht mehr mit Elyas M‘Barek, Karoline Herfurth, Katja Riemann aus wie sie. Eliza ist in ihrer alten Heimat eine Fremde gewor- den. Für ein Musical hat „My Fair Lady“ viele kritische Unter töne. Lehrer, die ihre Schüler nur zum Lernerfolg führen und dann fallen lassen, haben ihre Aufgabe nicht erfüllt. USA 1964, Regie: George Cukor, mit Audrey Hepburn, Rex Harrison, Stanley Holloway Weitere Filme zum Thema Der Wolfsjunge Das Mädchen, das Frankreich 1970, Regie: François durch die Zeit sprang Truffaut, mit Jean-Pierre Cargol, Japan 2006, Regie: Mamoru François Truffaut, Françoise Hosoda (Animationsfilm) Segnier Der Club der toten The Breakfast Club Dichter USA 1985, Regie: John Hughes, USA 1989, Regie: Peter Weir, mit Judd Nelson, Molly Ringwald, mit Robin Williams, Robert Sean Ally Sheedy Leonard, Ethan Hawke Die Klasse Frankreich 2008, Regie: Laurent Stefan Keim ist Autor, Moderator, Kabarettist Cantet, mit François Bégaudeau, und Kinoenthusiast. Als Kulturjournalist arbeitet er Nassim Amrabt, Laura Baquela unter anderem für den WDR-Hörfunk.
18 B i l d u ng s ka r r i e r e
19 Bravemaster hat einen Traum Muhammad Al Zeens Traum liegt nur eine halbe Stunde mit der U-Bahn entfernt. Drei mal die Woche fährt der 27-Jährige von seiner Wohnung in Berlin-Friedenau nach Zehlendorf, steigt an der Rudolf-Steiner-Schule aus und tut dann endlich das, wovon er seit vielen Jahren träumt: Als Muhammad Al Zeen aus Syrien Englisch unterrichten. Al Zeens Schüler besuchen eine Willkommensklasse für Geflüchtete. Der Unterricht hier fliehen musste, stand er kurz ist für sie nur die Vorbereitung auf eine reguläre Schul- vor seinem Berufseinstieg als klasse. Und auch Al Zeen läuft sich mit diesem Nebenjob nur für die Zukunft warm. Er will ein richtiger Englisch- Englischlehrer. Um dasselbe in lehrer werden, an einem deutschen Gymnasium. Doch bis dahin wird es noch Jahre dauern. Al Zeens echter Traum Deutschland zu erreichen, wird er ist viel weiter als nur eine Fahrt mit der U-Bahn entfernt. noch Jahre brauchen. Muhammad Al Zeen ist ein zierlicher junger Mann. Er hat rabenschwarze Haare und dunkelbraune Augen. In den Text: SIRI WARRLICH Fotos: SASCHA KREKLAU vielen Gruppen-Selfies mit Freunden, die Al Zeen auf Fa- cebook gepostet hat, steht er oft in der zweiten Reihe. Bald ist es fünf Jahre her, dass der Syrer aus seiner Heimatstadt Damaskus geflohen ist. Im Herbst 2012 hatte er sein Stu- dium der englischen Literatur fast beendet. Al Zeen hatte gegen das Regime demonstriert und wäre beinahe festge- nommen worden. Zusammen mit seinem Bruder flüchtet er. Rund zwei Jahre später, Heiligabend 2014, kommen die zwei nach Al Zeens Angaben in Deutschland an. Flüchtlinge sollen den Fachkräftemangel in Deutschland abfedern. Falls sie, wie Al Zeen, schon ein Studium be- gonnen haben, sollen sie es in Deutschland am liebsten in kurzer Zeit beenden. Diese Forderung hat sich in weiten Teilen von Gesellschaft und Wirtschaft längst etabliert. Aber wie realistisch ist das?
» Philosophie wäre selbst in meiner Muttersprache schwierig. Jetzt muss ich es auf Deutsch lernen. « Im April 2015, vier Monate nach seiner Ankunft in In der Praxis aber verlieren Asylbewerber, die studieren Deutschland, postet Muhammad Al Zeen einen Emoji mit wollen, während ihres Verfahrens oftmals Zeit – zum herabhängenden Mundwinkeln auf Facebook. „There is Beispiel, wenn sie wegen einer möglichen Wohnsitzaufla- no place like home“, schreibt er. Al Zeen hat Heimweh. ge nicht in die Nähe einer Universität umziehen können. Zehn Monate hat es laut Al Zeen gedauert, bis über seinen Wichtig ist zudem das BAföG: Bis auf wenige Ausnahme- Asylantrag entschieden wurde. Keine einfache Zeit für fälle können Geflüchtete einen BAföG-Antrag erst dann den jungen Syrer. Für Geflüchtete, die studieren wollen, stellen, wenn ihr Asylverfahren entschieden ist. Ohne bringen lange Asylverfahren handfeste Probleme mit BAföG aber ist es für die meisten unmöglich, während sich. Theoretisch ist die Aufnahme eines Studiums zwar des Studiums ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. schon während des Verfahrens möglich, da der Zugang zu Hochschulen in Deutschland an keinen speziellen Aufent- „Die Finanzierung ist derzeit eines der größten Hinder- haltsstatus gebunden ist. nisse“, sagt Christin Younso. Mit als erste Wissenschaftler haben sie und ihr Kollege Hannes Schammann von der Universität Hildesheim erforscht, wie gut die Integration von Geflüchteten in das Hochschulsystem derzeit klappt. Neustart als Lehrer Unter anderem ist Younso auf die „BAföG-Falle“ gesto- ßen, in die mancher Geflüchteter tappt: Wer studiert, Wer wie Muhammad Al Zeen als Geflüchteter in Deutschland Lehrer werden bekommt meist keine Sozialhilfe, weil mit dem BAföG möchte, kann sich zum Beispiel an die Universität Potsdam wenden. Sie eigentlich ein anderer staatlicher Fördertopf greift. Wenn bietet mit dem „Refugee Teachers Program“ Bildungschancen. Eineinhalb Flüchtlinge dann aber keine Ausbildungsförderung erhal- Jahre lang werden die Teilnehmer intensiv mit dem deutschen Bildungs- ten – zum Beispiel, weil sie auf der Flucht Zeit verloren und system vertraut gemacht. Parallel belegen sie einen Sprachkurs, besuchen deshalb die BAföG-Altersgrenze von 30 Jahren bei Beginn Schulen und tauschen sich mit deutschen Studierenden und Lehrkräften aus. eines Bachelorstudiums überschritten haben –, kann es passieren, dass sie ganz ohne finanzielle Hilfe dastehen. Die Voraussetzung: Die Geflüchteten müssen in ihrer Heimat einen Hoch- schulabschluss erworben und bereits als Lehrer unterrichtet haben. Außer- Im Herbst 2015 hat Muhammad Al Zeen eine Idee, wie dem muss eine Aufenthaltserlaubnis vorliegen. Am Ende erhalten die Teil er trotz des Asylverfahrens und seiner noch mangelnden nehmer ein Zertifikat. Das gilt zwar nicht als Berufsabschluss, ist aber die Deutschkenntnisse schon mit dem Studium in Deutsch- formale Anerkennung der im Ausland absolvierten Lehrerausbildung. land starten könnte: Er belegt über das Projekt Kiron Online-Kurse auf Englisch. Die lassen sich an 41 Part- www.uni-potsdam.de nerhochschulen auf spätere Studieninhalte anrechnen.
21 Doch das erste Semester bringt auch Herausforderungen mit sich: „Philosophie wäre selbst in meiner Mutterspra- che schwierig. Jetzt muss ich es auf Deutsch lernen.“ Par- allel dazu büffelt Al Zeen weiter Deutsch. Denn bislang ist er nur für ein Semester an der FU eingeschrieben. Für die endgültige Immatrikulation muss er noch eine schwieri- Vier Jahre noch bis gere Deutschprüfung – die sogenannte DSH-Prüfung oder zur Erfüllung seines eine Prüfung auf dem Level C1 – bestehen. Traums: Muhammad Al Zeen will Englischlehrer Mindestens noch vier Jahre wird es dauern, schätzt Al werden. Zeen, bis er den Abschluss geschafft hat und sein Refe- rendariat als Lehrer beginnen kann. Wäre der Krieg nicht dazwischengekommen, würde Al Zeen heute in Syrien schon längst als Englischlehrer unterrichten. „Bravemas- ter“, auf deutsch etwa „Mutiger Meister“, steht auf einem T-Shirt, das Al Zeen sich vor vielen Jahren einmal in Syrien gekauft hat. Er hat dieses Wort zu seinem Spitznamen auf Al Zeen lobt die Initiative – am Ende war sie für ihn aber Facebook gemacht. Seine Geschichte ist eine Erfolgsge- nicht das Richtige. Denn bislang bietet Kiron kein Stu- schichte. Viele andere Geflüchtete brauchen länger bis dium für Lehramtsstudenten an. Zeitgleich dazu lernt Al zum Uni-Einstieg in Deutschland. Oder es gelingt ihnen Zeen Deutsch. Im November 2015 kann er einen Platz in gar nicht. einem Intensivkurs für Geflüchtete an der Freien Univer- sität in Berlin ergattern. Der Kurs ist speziell auf Bewer- Trotzdem erscheint Al Zeen der Weg, der jetzt noch vor ber zugeschnitten, die an die Uni wollen. Vier Tage die ihm liegt, manchmal zu lang. „Ich weiß nicht, ob ich in Woche lernen sie von 9 bis 15 Uhr Deutsch mit dem Ziel, ein oder zwei Jahren noch Geduld übrig habe“, sagt er. Sprachkenntnisse auf Hochschul-Niveau zu erreichen. Als Doch seinen großen Traum wird Bravemaster nur errei- Muhammad sich bewirbt, gibt es mehr als doppelt so viele chen, wenn der Mut ihn auch in den kommenden Jahren Bewerber wie Plätze. Der Intensivkurs, sagt Muhammad, nicht verlässt. „war wirklich super“ und habe ihn ein großes Stück wei- tergebracht. Wäre Muhammad Al Zeen ein Unternehmer, im Jahr 2016 hätte er den Wechsel der Geschäftssprache zu Protokoll gegeben: Von nun an spielt sich sein Alltag auf Deutsch ab. Er spricht jetzt fließend, auch am Telefon, und macht kaum noch Fehler. Im Herbstsemester 2016 – knapp zwei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland – kann Al Zeen sich für Englisch und Ethik auf Lehramt an der FU einschreiben. Sein erstes Semester an einer deutschen Uni beginnt. Montags und mittwochs hat Al Zeen die meisten Vorlesungen. Er belegt vor allem Veranstaltungen in Pädagogik und Ethik, denn in Englisch wird ihm ein Großteil seines Studiums aus Syrien angerechnet. Siri Warrlich arbeitet als Redakteurin bei der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. 2014 erhielt sie für ihre geplante sechsteilige Reportagereihe „Ein MOOC für Mohammed“ den Medienpreis Bildungsjournalismus der Telekom-Stiftung in der Kategorie Nachwuchs.
4.0 22 B i l d u ng s p r a x i s Bereit fürs Berufsleben Hauptschüler haben bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oft Nachteile. Projekte wie die GestaltBar sollen sie fit machen für eine digitale Arbeitswelt. Text: THILO KÖTTERS Fotos: JULIA UNKEL Zukunft ist gestaltbar: Zwischen Ein bisschen ist es wie puzzeln am Heften arbeiten die Jugendlichen mit Computern, 3-D-Druckern und Computerbildschirm. Die Achtkläss- Maus und Tastatur. Willkommen selbst gebauten Robotern ver- lerinnen Sirin und Shekinah klicken in der GestaltBar – der digitalen bessern Schüler wie Shekinah und ziehen Textbausteine von rechts Werkstatt für Hauptschüler. Die (Foto oben) oder Wiktor (oben nach links, von oben nach unten und Bonner Karl-Simrock-Hauptschule rechts) ihre Berufschancen. wieder zurück. Heraus kommt ein beteiligt sich seit einigen Monaten Programmiercode, und der soll spä- an dem Projekt, das die Deutsche ter, überspielt auf einen Chip, einem Telekom Stiftung ins Leben gerufen Roboter das Fahren beibringen. hat. Hauptschüler als Nachwuchs- Programmierer? Das ist hier selbst- Es ist ein besonderes Schulprojekt, verständlich. Schließlich sollen an dem die beiden Mädchen und die Mädchen und Jungen lernen, zehn ihrer Mitschüler Woche für kompetent und kreativ mit digitalen Woche teilnehmen. Statt im Klassen- Werkzeugen zu arbeiten. Und das zimmer sitzen sie in einem Jugend- haus, statt mit Schulbüchern und
23 sind hier eben Computer, Tablet, Die Schüler müssen sich pünktlich an Smartphone und 3-D-Drucker. „Das der Haltestelle einfinden und für die macht mir viel Spaß. Und wir lernen Fahrt sogar ihre Mittagspause opfern. eine Menge“, sagt Shekinah, die zwar Teamfähigkeit und Disziplin – zwei wie ihre Mitschüler souverän mit den Eigenschaften, die künftige Chefs zu Apps auf ihrem Handy umgeht, aber schätzen wissen. Anstelle des Lehrers erst in der GestaltBar etwas über die hat in der GestaltBar ein Medienpäda- technischen Zusammenhänge lernt. goge das Sagen. Alexander Hunden- Neben dem Tüfteln an den Robotern born von der Kölner Fachstelle für programmieren die Schüler einfache Jugendmedienkultur (fjmk) leitet Computerspiele oder bauen Modell- den Kurs. Komplexere technische autos mit verschiedenen Antrieben. Zusammenhänge macht er anschau- Das ist mehr als ein netter Zeitver- lich: „Wenn wir beispielsweise von Sensoren reden, dann vergleiche ich » Die Schüler müssen treib. Die GestaltBar soll die Ju- gendlichen besser auf ihr späteres das ganz gerne mit Sinnesorganen wie Augen, Haut und Mund.“ sich im Kurs neu Berufsleben vorbereiten. Wenn die zusammenfinden. « Welt immer digitaler wird, steigen Die GestaltBar gibt es außer am die Anforderungen für Berufsanfän- Standort Bonn auch in Köln und ger. „Eine Wirtschaft 4.0 braucht Berlin, Hamburg soll bald hinzu- weiterführenden Schulen Pflicht. Die auch eine Bildung 4.0.“, sagt kommen. Ähnliche Angebote rund Schülerinnen und Schüler absolvie- Friedrich Hubert Esser, Präsident des um Computer und Technik sind in ren schriftliche Tests und praktische Bundesinstituts für Berufsbildung. der deutschen Bildungslandschaft bis- Übungen in Teamarbeit und kommen Das Lehren und Lernen mit digitalen lang rar. Und wenn es sie gibt, dann so ihren Begabungen und Interes- Medien müsse an den Schulen noch richten sie sich eher an Gymnasiasten. sen auf die Spur. Die Schulen sollen fester verankert sein. Das gilt zum Beispiel für FabLabs, diese dann fördern – in Bereichen offene Technik-Werkstätten, die wie Informatik und Technik kommen Digitalkompetenz ist aber nicht das häufig an Universitäten angegliedert Angebote im Stil der GestaltBar wie Einzige, was die Teilnehmer in der sind. Hauptschüler haben zu diesem gerufen. GestaltBar erwerben. Auch ihre Soft- Umfeld nur selten einen Bezug. Skills verbessern sich. Zum Beispiel Das sieht man vielen Schülern an. Die die Teamfähigkeit: „Die Schüler Und ihren Schulen fehlen oft schlicht Arbeit mit Computern und Robotern sind aus verschiedenen Klassen der die Mittel, um interessante und ist genau ihr Ding. Siebtklässler Wik- Jahrgänge 7 und 8 zusammengewür- nachhaltige Kurse anzubieten. Viele tor gibt in Bonn seinen Roboter Wo- felt und müssen sich im Kurs neu Hauptschulen haben kaum Eigen- che für Woche nur ungern an seinen zusammenfinden“, sagt Lehrer Erik finanzen, um sich für diese Art von Projektleiter zurück. „Später möchte Lindener-Schmitz. Außerdem geht es Angeboten externe Partner an die ich so was auch als Beruf machen“, mit dem Bus zum Veranstaltungsort. Seite zu holen. Der Lehrerschaft sagt er und lächelt. wiederum fehlen Zeit oder Wissen, um die Lücken zu füllen. Dabei verlangt die Bildungspolitik immer nachdrücklicher, Schüler mit der digitalen Welt vertraut zu machen. Mit dem Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ in Nordrhein-Westfalen ist die Be- rufsorientierung beispielsweise ab dem kommenden Schuljahr für alle Mehr Informationen zur GestaltBar: www.telekom-stiftung.de/gestaltbar
24 Es s a y
25 Surfen und lernen Das Internet ist ein Bildungsort – dem aber noch die nötige Aufmerksamkeit fehlt. Zeit umzudenken! Ein Gastbeitrag des Schweizer Lehrers und Kulturwissenschaftlers Philippe Wampfler. lllustration: ANNE VAGT „Wasting Time on the Internet“: Unter diesem Titel hielt aus einer Mischung aus Plattformen, Werkzeugen und der amerikanische Dichter Kenneth Goldsmith ein Se- sozialen Beziehungen. Geben physische Unterrichtsräume minar an der Universität von Pennsylvania. Wie können häufig bestimmte Lernformen vor – die Wandtafel im Klas- Studierende lernen, wenn sie lediglich surfen? Gold- senzimmer etwa lädt zum Frontalunterricht ein –, so passt smiths Antwort: Erstens seien sie in einem kreativen sich der digitale Bildungsort der Lernaktivität an. Diesem Raum ständig sozial verbunden. Historisch gesehen, sei Vorteil steht soziale Unverbindlichkeit als Nachteil gegen- das für die Produktion von Kunst und Wissenschaft ein über: Schulklassen schaffen Gemeinschaften, in denen das ideales Setting. Zweitens läsen sie ständig verschiedene Lernen der Individuen verankert ist. Bei Lernaktivitäten im Texte, sie interagierten mit kulturellen Artefakten. Wenn Netz verändern sich Beziehungen ständig, es sind „weak behauptet werde, im Netz vereinsamten und verdummten ties“, also lose Beziehungen, die sich schnell auflösen. Menschen, dann erstaune ihn das: Nach seiner Erfahrung sei das Gegenteil der Fall. Das freie digitale Lernen ist noch ein Ideal. Viele soziale Netzwerke basieren auf bereits aufgebauten Beziehungen, Diese Einsicht lohnt eine vertiefende Betrachtung. Sie die nicht themen- und lernfokussiert sind. So entstehen muss von dem ausgehen, was informelles Lernen im die anstrengenden Diskussionen und Auseinandersetzun- 21. Jahrhundert bedeutet. So lässt sich zeigen, dass das gen, die Menschen die Lust am digitalen Austausch und interaktive Netz mit seinen Suchmaschinen und sozialen Lernen verderben. Kurz: Das Netz ist zwar Bildungsort, Netzwerken einen Lernort darstellt, einen Bildungsort. muss als solcher aber gepflegt werden. Nur viele aktive Informelles Lernen geht von eigenen Impulsen aus: Lernende können eine Kultur schaffen, die sozialen Rück- Menschen lernen nicht, weil sie dazu halt mit individuellen Lernwegen verbindet. aufgefordert werden oder Anreizen eines Bildungssystems begegnen, sondern weil Viele Schulen und Lernende verpassen die sie sich von den Ergebnissen ihres Lernens Chance, die individuelle Passung des Netz- etwas versprechen: Können sie sich im Ur- lernens zu nutzen. Sie ist mit drei konkreten laub auf Spanisch mit jemandem unterhal- Vorteilen verbunden: Erstens entwickeln ten? Ist der Kuchen lecker geworden? sich beim Netzlernen automatisch soziale FOTO: PRIVAT Lernnetzwerke, indem ein Austausch mit Der mobile Zugang zu Informationen anderen Lernenden und Fachleuten stattfin- und Wissensnetzwerken in den sozialen det. Zweitens sind so differenziertere und Medien hat zu mobilen Lernorten geführt. aktuellere Informationen zugänglich, als Lernumgebungen passen sich den Bedürf- Philippe Wampfler das in schulischen Lernumgebungen mög- nissen von Lernenden an, deren Rollen sich lehrt an der Universität lich ist. Und drittens werden relevante digi- ständig ändern. Wer lehrt oder lernt, wer Zürich, unterrichtet tale Kompetenzen nicht vermittelt, sondern fragt oder antwortet – das kann sich von an der Kantonsschule direkt und konkret erworben. Deshalb ist es Situation zu Situation ändern. Wenn nun Wettingen und berät wichtig, dass Schulen für den Bildungsort das Netz zum Lernort wird, besteht dieser landesweit Lehrper- Netz den Raum schaffen. sonal zum Lernen mit Neuen Medien.
26 Er z i e hu ng Ringen um den richtigen Weg Text: FENJA MENS Beim Thema Schule sind viele Eltern verunsichert über ihre Noch fruchtet die Erziehung der Eltern, die Zehnjährige eigene Rolle. Sollen sie streng zeigt sich aus Angst einsichtig. Aber Strenge ist kein Garant für gute Leistungen. Im Gegenteil: Sie kann sogar über die Lernfortschritte des zu Schulversagen führen. Das haben Wissenschaftler der Universität Pittsburgh in einer kürzlich veröffentlichten Nachwuchses wachen oder es Langzeitstudie herausgefunden, für die sie mehr als 1.000 einfach laufen lassen? Und wie Schüler über Jahre begleiteten. Die Entwicklungspsycho- logen stellten fest, dass Kinder, die in der siebten Klasse viel Hilfe darf sein? streng erzogen worden waren, zwei Jahre später stärker die Bestätigung von Gleichaltrigen suchten. Darüber wurden die Jungen eher kriminell und die Mädchen früher sexuell aktiv – und beide vernachlässigten die Schule. Beim Eltern-Stammtisch gibt sich das Ehepaar relaxt: Der Für Petra Buchwald, Professorin für Bildungsforschung Vater trägt kurze Hosen, die Mutter prostet fröhlich in die an der Universität Wuppertal, liegen die Gründe auf der Runde. Und wenn die beiden einen ihrer trockenen Sprü- Hand: „Grundsätzlich suchen Menschen nach positiven che machen, dann lacht der ganze Tisch. Ihre Tochter Pia Interaktionen mit anderen und ziehen daraus Konsequen- kennt die beiden aber auch ganz anders, wie sie Schul- zen für ihr weiteres Verhalten“, erläutert sie. „Wenn ich freundinnen einige Tage später unter Tränen erzählt. Sie als Junge am meisten Bestärkung durch meine männli- hat eine Fünf geschrieben, nun werden die Eltern wütend chen Freunde bekomme, werde ich mich zu ihnen mehr sein, das sei sicher. Und eine Strafe wird es geben, ganz hingezogen fühlen als zu meinen Eltern. Bei Mädchen ist bestimmt. Für die nächste Arbeit, beteuert die Gymnasi- es ähnlich, aber eher in Bezug auf Aussehen, Selbstprä- astin, werde sie mehr lernen. sentation und Sexualverhalten.“
» Eine schlechte Note bedeutet nicht das Ende der Welt. « Elke Wild forscht seit mehr als 20 Jahren zum Thema gaben? Was ist mit den Vokabeln?“ Das führte zu Streit. „Elternhaus und Motivation“. In der Beratungsstelle der Mittlerweile hat die Familie einen anderen Weg gefunden: Universität Bielefeld trifft die Professorin für pädagogische „Jetzt bieten wir ihr an, dass sie sich melden kann, wenn Psychologie regelmäßig auf Eltern, die wissen wollen, wie sie Hausaufgaben macht.“ Und weil es manchmal schwer- sie ihre Kinder am besten unterstützen. „Da gibt es Eltern, fällt, bei den vielen Fächern und Aufgaben den Überblick die starke Kontrolle ausüben, indem sie ständig Hausauf- zu behalten, gibt es nun einen festen Abendtermin in der gaben überwachen“, erzählt sie. „Die meinen es gut, aber Woche. „Da gucken wir gemeinsam, was in der Schule es kann sein, dass ihre Kinder die Lust am Lernen verlie- ansteht“, erzählt Wolfermann und fügt hinzu: „Wir zeigen ren.“ Andere Eltern griffen dem Nachwuchs zu sehr unter unserer Tochter, dass wir da sind und sie bei Bedarf unter- die Arme. Denn wenn Papa die Rechenaufgaben erledigt stützen. Aber wir machen keinen Stress.“ und Mama die PowerPoint-Präsentation gestaltet, dann „schadet das dem Kompetenzerwerb des Kindes“. Sich gar Nicht kontrollieren, sondern begleiten, das hält auch Psy- nicht zu kümmern, sei indes auch keine Option. chologin Wild für die richtige Lösung. Und falls es in der Schule mal nicht gut laufe, seien Optimismus und Motiva- Aber wie soll man sich als Eltern verhalten? Das fragte tion angebracht: „Die Eltern sollten dem Kind klarmachen, sich auch Iris Wolfermann. Die Kinderbuchillustratorin dass eine schlechte Note nicht das Ende der Welt bedeutet, lebt mit ihrer Familie in Berlin. Ihre Älteste absolvierte die und es an seine früheren Erfolge erinnern.“ Außerdem Grundschule ohne Mühen, übersprang sogar eine Klasse. empfiehlt sie, nachzufragen: „Die Zensur ist nicht so Inzwischen ist die Elfjährige auf dem Gymnasium. Das ausgefallen, wie du dir das erhofft hast. Was sagt dir das?“ FOTO: WESTEND61/GETTYIMAGES Niveau ist hoch, wer mithalten will, muss sich anstrengen. Dann, so Wild, „fangen viele Kinder von ganz alleine an, zu „Nervös waren aber nur mein Mann und ich“, erinnert sich überlegen, was sie künftig besser machen können“. Wolfermann. „Kaum war unsere Tochter zu Hause, haben wir sie befragt: Wie war es in der Schule? Gibt es Hausauf-
28 B e g a b t e nf ö r d e r u ng Neue Chancen für Talente NEUES ENTDECKEN Text: CHRISTOPH HENN in Rheinland-Pfalz Nicht nur schwächere oder SCHNELLER Bereits im Elementar- und Primar- benachteiligte Schüler brauchen LERNEN bereich setzt ein Modellprojekt des gezielte Förderung – auch besonders Landes Rheinland-Pfalz an. Um begabte. Bund und Länder wollen in Berlin hochbegabte Kinder ab fünf Jahren diese Gruppe künftig besser zu fördern, wurden an 16 Orten unterstützen. Verschiedene Begabten Schülern geht es im re- Entdeckertagsgrundschulen einge- Initiativen stärken heute schon gulären Unterricht oft zu langsam richtet. Dort treffen sich die Kinder leistungsfähige Kinder und Jugend- voran. Aus diesem Grund bieten einmal pro Woche einen ganzen liche, damit sie ihr Potenzial sieben Berliner Gymnasien seit dem Tag lang: Sie befassen sich dann mit voll entfalten. Schuljahr 2011/2012 Schnelllerner- anspruchsvollen Aufgabenstellungen klassen für beschleunigtes, aber auch und Themen, die über das Angebot vertiefendes und erweiterndes Lernen an ihren jeweiligen Stammschulen an. Teilnehmen können Schüler ab hinausgehen. Der Unterricht findet in der fünften Jahrgangsstufe, die zum der Regel nach Altersgruppen – Fünf- einen sehr gute Grundschulnoten und bis Siebenjährige und Sieben- bis eine herausragende Förderprognose Zehnjährige – getrennt statt. Oftmals vorweisen. Zum anderen müssen sie liegt an den Entdeckertagen der Fokus in einem schulpsychologischen Test auf dem forschenden Lernen mit ein Ergebnis erzielen, das mindestens Blick auf die Phänomene der beleb- einem IQ von etwa 120 entspricht. ten und unbelebten Natur. An allen Die zusätzlichen Angebote für die Entdeckertagsgrundschulen unter- Schnelllerner orientieren sich an den stützen außerschulische Experten die Lernbereichen Sprache/Literatur/ Hochbegabtenförderung. Sie führen Kunst/Musik, Gesellschaftswissen- die Kinder in unterschiedliche neue FOTO: HERTIE STIFTUNG schaften sowie Mathe/Naturwissen- Themenwelten ein und motivieren sie schaften/Technik. Die Kurse finden zu problemlösendem, selbstständi- während der Unterrichtszeit statt, gem und kreativem Lernen. werden benotet und sind versetzungs- Carleen Kluger relevant. Im Gegensatz zum regulären Unterricht zeichnen sie sich unter an- 2005 gehörte sie als hochbegabte derem dadurch aus, dass die Schüler Gymnasiastin zu den ersten Schülern, die ein mit mehr Selbstverantwortung an den bit.ly/neues-entdecken von der Telekom-Stiftung gefördertes Frühstudium jeweiligen Projekten arbeiten. absolvieren konnten. Heute ist Carleen Kluger Postdoc am Lehrstuhl für Angewandte Physik und Center for NanoScience der Ludwig-Maximilians- Universität in München. bit.ly/schneller-lern
29 GEZIELT BETREUEN in Bayern SELBSTSTÄNDIG Seit Beginn des aktuellen Schul- VERTIEFEN jahres läuft in der Oberpfalz ein FRÜHER Mentorenprogramm für besonders in Sachsen begabte Gymnasiasten. An jedem STUDIEREN Einen dezentralen Ansatz verfol- Gymnasium des ostbayerischen Regierungsbezirkes unterstützen in ganz Deutschland gen die Korrespondenzzirkel, die ausgewählte Lehrer die betreffenden das Sächsische Landeskomitee zur Schüler als Mentoren. Sie helfen den Durch das reguläre Unterrichtsan- Förderung mathematisch-naturwis- Jugendlichen dabei, ihr Leistungspo- gebot fühlen sich besonders begabte senschaftlich begabter und interes- tenzial auszuschöpfen, selbststän- und leistungsbereite Schüler oftmals sierter Schüler (SLK) koordiniert. dige Lernwege zu entwickeln und nicht ausgelastet. Dem wirkt das von Teilnehmen können Schüler von der außerschulische Förderangebote zu der Deutsche Telekom Stiftung un- Grundschule bis zum Gymnasium. nutzen. Die Beratung der Mentoren terstützte Frühstudium entgegen: Es Sie bekommen herausfordernde zielt sowohl auf Schüler, die außer- bietet den Teilnehmern – meist Ober- Fragestellungen zur selbstständi- gewöhnliche Leistungen erbringen, stufenschüler – intellektuelle Heraus- gen Bearbeitung zugeschickt. Das als auch auf jene Begabten, die ihr forderungen und Hilfe bei der Studien- Anforderungsniveau geht dabei Leistungspotenzial nicht abrufen. und Berufsorientierung. An mehr deutlich über die Vorgaben des Lehr- Letzteren bieten die Mentoren etwa als 50 Hochschulen können Begabte plans hinaus. Nach der Bearbeitung eine Stärken-Schwächen-Analyse und zusätzlich zur Schule Vorlesungen korrigieren die Leiter der Zirkel die bringen ihnen adäquate Lern- und besuchen, Prüfungen ablegen und Lösungen, versehen sie mit Hinwei- Arbeitsstrategien nahe. Den beson- Scheine erwerben, die auf ihr spä- sen und Anmerkungen und senden ders Leistungsstarken hingegen teres Studium angerechnet werden. sie zurück. Korrespondenzzirkel gibt vermitteln die Mentoren Angebote Dank der finanziellen Unterstützung es unter anderem in Mathematik, für beschleunigtes sowie vertiefendes der Stiftung können die Hochschulen Biologie, Chemie und Physik. Zu- Lernen und informieren sie über spe- beispielsweise Tutoren beschäftigen, sätzlich zu diesen Zirkeln bietet das zielle Wettbewerbe oder schnellere die den Jugendlichen im Uni-Alltag vom Sächsischen Kultusministerium Wege an die Hochschule. zur Seite stehen. Rund 1.700 Schüler berufene SLK begabten und inter- absolvieren derzeit bundesweit ein essierten Schülern unter anderem Frühstudium. Am beliebtesten sind Trainingslager, Mathecamps, Ferien- dabei die MINT-Fächer Mathematik, kurse, Workshops, Wettbewerbe und Informatik, Chemie und Physik. Praktika. bit.ly/gezielt ILLUSTRATIONEN: DIANA KÖHNE bit.ly/früh-studieren bit.ly/selbständig
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