"Willige Vollstrecker" - Memoshoah Luxembourg asbl

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8   COVERSTORY

    „Willige Vollstrecker“
    Über den luxemburgischen Beitrag an der Verfolgung und Vernichtung
der Juden im Zweiten Weltkrieg lag lange Zeit ein Mantel des Schweigens.
    Bis eine neue Generation von Historikern und Publizisten den Mythos
                     vom Volk der Opfer und Widerständler entzauberte.

                                                 A              uf einem Foto* sind sieben
                                                                Männer zu sehen, sechs in
                                                 Uniform und einer nicht uniformiert. Es
                                                 sind Mitglieder des Reserve-Polizeiba-
                                                 taillons 101 (RPB 101). Sie stehen vor
                                                 einer Holzscheune, auf dessen Strohdach
                                                 Schnee liegt. Die Uniformierten im typi-
                                                 schen Waffenrock des Polizeibataillons
                                                 tragen in den Gürteln Granaten, auf den
                                                 Schultern Gewehre. Einer von ihnen hält
                                                 eine Maschinenpistole. Hinter einem der
                                                 Männer liegt links vor der Scheune eine
                                                 Person leblos auf dem Boden.
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                                                                                                      Besatzungsmacht verabschiedet.

   Wann das Foto, das die Historiker         Die beiden Historiker Jérôme Courtoy        in dem Bataillon der Hamburger Polizei-
des Musée national de la Résistance          und Elisabeth Hoffmann vom Escher           reserve. Die paramilitärische Einheit der
bei Recherchen in einer Privatsamm-          Resistenzmuseum haben die Fotos ana-        Ordnungspolizei RPB 101 war während
lung gefunden haben, entstanden ist, ist     lysiert und damit einen Nachweis für die    des Zweiten Weltkrieges an der Ermor-
unbekannt. Auf der Rückseite sind die        Beteiligung mindestens eines Luxembur-      dung von mindestens 38.000 Juden
folgenden mit Handschrift geschriebe-        gers an einem Stoßtrupp des RPB 101         direkt beteiligt, ebenso an der Depor-
nen Worte zu lesen: „Diese Scheune war       erbracht. Sie veröffentlichten einen Teil   tation von mindestens 45.000 Juden in
voll Juden u. Banditen, der Stoßtrupp        ihrer Forschungsergebnisse in einem         die Vernichtungslager. Der Öffentlichkeit
nach dem Kampf.“ Durch den Vergleich         Artikel für die Wochenzeitung „woxx“        bekannt wurde das Bataillon, als der US-
mit anderen Fotos lässt sich folgern, dass   am 19. Dezember 2019.                       Historiker Christopher Browning 1992
das Foto von dem Mann mit der Maschi-                                                    seine Studie „Ordinary Men: Reserve
nenpistole stammt. Aus seiner Hinter-           Insgesamt waren 14 Soldaten der          Police Bataillon 101 and the Final Solu-
lassenschaft ist auch die Sammlung.          luxemburgischen Freiwilligenkompanie        tion in Poland“ publizierte. Darin stellte
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Luxemburg. – Offizier der Waffen-SS im Gespräch mit Heinrich Himmler.                    Aufmarsch deutscher Truppen in der Grand Rue
Häuserfront mit Hotel Brasseur (links, Hintereingang).                                   in Luxemburg. 10.05.1940.

                  der Geschichtswissenschaftler anhand von 125 in den         in Polen“ fest: „Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des
                  60er Jahren verfassten Vernehmungsprotokollen aus           Zweiten Weltkrieges ist nun klar, dass auch Luxem-
                  zwei Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Mitglieder        burger in den Massenmord an den Juden verstrickt
                  des Bataillons die These auf, dass selbst „ganz normale     waren.“ Allerdings hatten die (Mit-)Täter „mehr als 50
                  Männer“, so auch der deutsche Titel seines Buches, unter    Jahre geschwiegen und damit verschwiegen, was sie
                  bestimmten Bedingungen in der Lage waren, zu Massen-        gesehen hatten und woran sie beteiligt waren.“ Hatte
                  mördern zu werden. Vier Jahre später veröffentlichte sein   „der Verdrängungsprozess die Vermischung mit den
                  amerikanischer Historikerkollege Daniel Goldhagen sein      Kämpfen gegen Partisanen“ beschleunigt? Der Einsatz
                  Buch „Hitler´s Willing Executioners“. Im Gegensatz zu       des Bataillons und schließlich die Kriegsgefangenschaft
                  Browning ging er von einem bei Deutschen tief verwur-       in Russland hätten die Erinnerung an die Judenmorde
                  zelten „eliminatorischen Antisemitismus“ aus. Browning      überlagert, meint Dostert. Von der luxemburgischen
                  wiederum versuchte Goldhagen zu widerlegen, indem er        Nachkriegsgesellschaft wäre ein Eingeständnis auch
                  das Beispiel der 14 Luxemburger nannte.                     kaum gewollt gewesen. Schließlich hatte sich das Land
                                                                              in seiner Opferrolle, kombiniert mit dem Widerstands-
                      Bis dahin lag über eine mögliche Beteiligung von        mythos, bequem eingerichtet.
                  Luxemburgern am Holocaust der Mantel des Schwei-
                  gens. Nur wenige, wie zum Beispiel der Journalist Paul         Die Diskussion um die luxemburgische Beteiligung
                  Cerf, widmeten sich im Tageblatt und in der revue dem       an der Judenverfolgung erhielt eine erneute Dynamik,
                  Thema. Erst der Streit zwischen den beiden amerikani-       als der Historiker Denis Scuto 2013 eine Liste von 280
                  schen Forschern fand hierzulande zumindest für kurze        jüdischen Schulkindern vorlegte, die die luxemburgi-
                  Zeit eine heftige Resonanz. Als Erster schrieb der His-     schen Behörden mithilfe der jeweiligen Schulleiter im
                  toriker Lucien Blau am 8./9. Juni 1996 im Tageblatt         Jahre 1940 nach der Besatzung durch die Deutschen
                  einen Artikel unter dem Titel „Ein Beispiel unbewältig-     der deutschen „Geheimen Staatspolizei“ (Gestapo)
                  ter Geschichte“. Er analysierte darin die Aussagen von      übermittelte. Scuto gehört der neuen Generation von
                  ehemaligen RPB-101-Angehörigen. Einer dieser Männer,        Geschichtswissenschaftlern an, die eine Enttabuisie-
                  der auch in dem Artikel von Courtoy und Hoffmann            rung der Rolle Luxemburgs bei der Judenverfolgung
                  genannte Jean Heinen, nahm daraufhin in einem vier-         vorantrieben. 2015 legte er eine weitere Liste vor, die-
                  teiligen Beitrag für das Luxemburger Wort Stellung und      ses Mal von polnischen Juden, die am 21. November
                  wies die Beteiligung der Luxemburger an den Erschie-        1940 der Verwaltungskommission unter Gauleiter Gus-
                  ßungen weit von sich. Das Justizministerium beauftragte     tav Simon übergeben worden waren. Zur Enttabuisie-
                  daraufhin den Historiker Paul Dostert mit Recherchen.       rung trug nicht zuletzt der Historiker Vincent Artuso
                  Dieser erhielt Einsicht in die Untersuchungsunterlagen      bei (siehe Interview), den der damalige Premierminister
                  gegen Mitglieder des RPB 101 und kam zu der Schluss-        Jean-Claude Juncker 2013 beauftragt hatte, die Rolle der
                  folgerung, dass „zweifellos auch Luxemburger an den         Luxemburger Verwaltungskommission zu erforschen,
                  Morden (in)direkt beteiligt (gewesen) waren“.               die seit dem Einmarsch der Deutschen am 10. Mai
                                                                              1940 bis zu ihrer Auflösung im Dezember desselben
                     Dostert stellte in seinem im Jahr 2000 in der Zeit-      Jahres bei der Judenverfolgung spielte. Der 264 Seiten
                  schrift „Hémecht“ publizierten Beitrag „Die Luxembur-       lange sogenannte Artuso-Bericht kam zum Schluss, dass
                  ger im Reserve-Polizei-Bataillon 101 und der Judenmord      die Verwaltungskommission durch die systematische
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                                                          oder dahin abgeschoben worden – nicht wenige wurden
                                                          später von den Nazi-Besatzern gefasst und deportiert.
                                                          Im hinteren Teil seines Buches geht Lorang der Frage
                                                          nach, „wie Luxemburger Soldaten in Osteuropa zu Teil-
                                                          nehmern am Judenmord wurden“. Wie sie dazu kamen,
                                                          an der „Aktion Reinhard“, der Vernichtung von 3 Millio-
                                                          nen Juden in Polen, teilzunehmen, insbesondere an der
                                                          größten Massenerschießungs-Einzelaktion des Zweiten
                                                          Weltkriegs, bei der die Deutschen an zwei Tagen min-
                                                          destens 40.000 Menschen massakrierten und die sie
                                                          zynisch „Erntefest“ nannten.

                                                              Bereits 2017 hatte sich Lorang in einem Artikel für
                                                          das Tageblatt mit den Luxemburger Angehörigen des
                                                          RPB 101 befasst und Auszüge aus einem zuvor nie pub-
                                                          lizierten achtstündigen Interview von Jean Heinen mit
                                                          dem Publizisten Victor Weitzel veröffentlicht. In seinem
                                                          aktuellen Buch, in dem unter anderem die bereits im
                                                          Tageblatt erschienen Artikel gesammelt sind, ist Lorang
                                                          noch weiter gegangen und zitiert aus den bisher unveröf-
                                                          fentlichten Memoiren eines einstigen RPB-101-Mitglieds.
                                                          Lorang rollt das Thema der luxemburgischen Beteiligung
                                                          an der „Shoah“ auf (das hebräische Wort für Katastro-
Identifizierung und Auflistung der jüdischen Einwoh-      phe oder Unheil und im allgemeinen Sprachgebrauch ein
ner Luxemburgs in der Tat eine Mitschuld trug.            Synonym des aus dem Griechischen abgeleiteten Wor-
                                                          tes „Holocaust“). Der Autor beschreibt den rassistischen
   In seinem kürzlich erschienenen Buch „Luxembrug        Antisemitismus der Nationalsozialisten, der sich seit der
im Schatten der Shoah“ beschreibt Mil Lorang das tra-     Machtübernahme der Nazis um Adolf Hitler in Deutsch-
gische Schicksal der deportierten Juden Luxemburgs,       land im Jahr 1933 über die Nürnberger Rassengesetze
die in sieben Deportationswellen aus Luxemburg in die     1935, den Beginn des Zweiten Weltkriegs mit dem Über-
Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht wurden.    fall der Deutschen auf Polen im September 1939 ausbrei-
Einmal mehr wird dadurch die grenzenlose Unmensch-        tete und schließlich in der „Ausrottung“ von fast sechs
lichkeit deutlich, mit denen die Nazis ans Werk gingen.   Millionen europäischen Juden endete.
Der Autor berichtet von antisemitischen Handlungen
vor und während des Krieges, „von Judenverfolgung,
von Judenvertreibung, vom Ausschluss jüdischer Schü-             Das Reserve-Polizeibataillon
ler und Schülerinnen aus den Luxemburger Schulen,
von Erniedrigung, Entwürdigung, Stigmatisierung und               101 war an der Ermordung
Entmenschlichung der jüdischen Bürger Luxemburgs
im öffentlichen Raum, von Beschlagnahmung jüdischer             von mindestens 38.000 Juden
Wohnungen und Geschäfte, von Konzentrierung älterer
und kranker jüdischer Menschen im Kloster Fünfbrun-                          direkt beteiligt.
nen im hohen Norden des Landes“ – und schließlich von
den Deportationen.
                                                             Besonders gefürchtet neben den Einheiten der SS
   Von den fast viertausend jüdischen Einwohnern in       waren die Polizeibataillone der Ordnungspolizei, darun-
Luxemburg zum Kriegsbeginn lebten am Kriegsende           ter das genannte Reserve-Polizeibataillon. Die ursprüng-
nur noch etwa 60 im Großherzogtum, in sogenannten         lich 15 Luxemburger im Bataillon, einer von ihnen blieb
Mischehen oder versteckt. „Die Auslöschung jüdischen      krankheitshalber in Hamburg, stammten aus der 1881
Lebens“, wie sie Mil Lorang in seinem Buch schildert,     gegründeten Freiwilligenkompanie, die im August 1940
das gründlich recherchiert ist und das die Geschehnisse   in die deutsche Schutzpolizei eingegliedert worden war.
und Zusammenhänge übersichtlich analysiert, ist auch      Der Reichsführer SS und der deutschen Polizei, Heinrich
die Geschichte eines menschlichen Versagens. Lorang       Himmler, zeigte sich bei seinem Besuch in Luxemburg
bringt es mit dem Begriff „Reise ans Ende der Mensch-     am 8. September 1940 sichtlich beeindruckt von der gut
lichkeit“ in seinen Kapiteln über die sieben Deportati-   ausgebildeten Truppe. „Das sind die Meinigen“, soll er
onen auf den richtigen Nenner. „Insgesamt geht man        gesagt haben. Dabei sei erwähnt, dass am 1. November
von ca. 1.300 Juden aus, die beim deutschen Einmarsch     1940 zusätzlich 50 Männer rekrutiert wurden, 60 sich
noch in Luxemburg lebten und durch das Nazi-Regime        meldeten und schließlich 51 einberufen wurden, um in
ermordet wurden“, schreibt Lorang. 658 wurden direkt      der deutschen Polizei zu dienen.
nach Osten deportiert, 44 von ihnen überlebten. Andere
jüdische Bewohner Luxemburgs waren nach dem deut-           Die insgesamt 465 Soldaten starke Kompanie wurde
schen Einmarsch nach Frankreich oder Belgien geflohen     im Dezember 1940 zu einer fünfmonatigen Ausbildung
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           nach Weimar gebracht. Ihnen wurde zwar versprochen,         Einsätze gegen polnische Partisanen. Einige der Luxem-
           dass sie nach der Umschulung wieder in ihrer Heimat         burger gehörten dem Vorkommando an und hatten den
           eingesetzt würden. Doch das Versprechen wurde nur           Befehl, die Quartiere vorzubereiten. Allein am 13. Juli
           teilweise gehalten, denn nur hundert Soldaten wurden        1942 kam es in Jozefow zu einem Massaker an 1.500
           nach Luxemburg zurückbeordert. Außer 23 Männern,            Juden. Laut der Nachforschungen von Paul Dostert
           die noch in Weimar entlassen wurden, kamen die ver-         waren daran keine Luxemburger beteiligt, womöglich
           bliebenen 340 in verschiedenen Einheiten und an ver-        weil „sie noch als potenziell unsicherer Fremdkörper im
           schiedenen Standorten zum Einsatz, 27 davon in der          Bataillon galten, auf den man sich in Extremsituationen
           Waffen-SS, 211 kamen nach Köln zur Polizeieinsatzab-        nicht glaubte verlassen zu können“. Die RPB-101-Mit-
           teilung und zur Polizeikompanie in Bottrop-Reckling-        glieder Jean Heinen, Nicolas Schumacher und Roger
           hausen, bis sie in der 4. und 5. Kompanie des RPB 181       Wietor berichteten 1986 zwar über die Partisanenein-
           im Partisanenkampf in Jugoslawien eingesetzt wurden.        sätze, aber nicht über die Erschießungen und Deporta-
           Aufgrund anhaltender Befehlsverweigerung wurde die 5.       tionen von Juden. Dabei konnten die anfänglichen Ein-
           Kompanie wegen Unzuverlässigkeit wieder aus Jugosla-        sätze kaum etwas mit Partisaneneinsätzen zu tun haben,
           wien abgezogen und kam nach Innsbruck, wo sie einen         wie Dostert feststellt, denn „diese fanden erst zwischen
           Eid auf Hitler ablegen sollten. Doch zahlreiche Luxem-      Januar 1943 und Juni 1944 statt“. Zudem „Partisanen-
           burger verweigerten dies und kamen deshalb in Gefan-        einsätze“ bis dahin nichts anderes waren, als ein Tarn-
           genschaft. Nach der Auflösung ihrer Kompanie wurden         begriff für einen Vernichtungseinsatz gegen Juden oder
           die verbliebenen Luxemburger nach Essen, Kiel, Köln         gegen die nichtjüdische Bevölkerung.
           und Hamburg versetzt.
                                                                           Im Interview mit Weitzel gab Heinen zu, dass die
              Das RPB 101 wurde im Juni 1942 nach Polen zur            Luxemburger an einigen „Judenaktionen“ beteiligt
           „Aktion Reinhard“ zur Vernichtung der Juden entsandt.       gewesen seien, wie zum Beispiel an der „Aktion Ernte-
           Die 14 Luxemburger waren mit einem Durchschnittsal-         fest“ (darüber schrieb er auch in seinem Leserbrief im
           ter von 22 Jahren deutlich jünger als die anderen Mit-      Luxemburger Wort). Allerdings stritt er ab, dass Luxem-
           glieder des Bataillons, die Ende 30 bis Anfang 40 waren.    burger Juden getötet hätten. Ob und wie die Luxembur-
           Die Aufgaben des RPB 101 bestanden in Massenerschie-        ger nun an den Holocaust-Verbrechen beteiligt waren,
           ßungen von Juden, in Umsiedlungen und Räumungen             ist seit der Debatte zwischen Browning und Goldhagen
           von Ghettos sowie in Deportationen von Juden in die         umstritten. Die Polizisten des Reservebataillons hatten
           Vernichtungslager, ebenso sogenannte Judenjagden und        jedenfalls den Auftrag, „alle Juden zusammenzutreiben,

      Buch zum Thema
      Mil Lorang war beruflich in den         lichen Themen. Seit 2016 recherchiert     Mittwoch, 29. Januar 2020 um 19.30 Uhr
      Bereichen Kongressorganisation und      und publiziert er im Rahmen von           in Zusammenarbeit mit dem Nationalen
      Kommunikation tätig. Unter anderem      MemoShoah Luxembourg zum Thema            Resistenzmuseum und MemoShoah
      leitete er die Presse- und Kommuni-     Judenverfolgung in Luxemburg unter der    Luxembourg. Buchvorstel-lung von Mil
      kationsabteilung des OGBL. Außerdem     Nazibesatzung. Dazu findet im Rahmen      Lorang, Lesung von Auszügen durch Jay
      veröffentlichte er verschiedene         des 75. Jahrestages der Befreiung von     Schiltz, Schlussbemerkungen von Frank
      Gastbeiträge in der luxemburgischen     Auschwitz durch die Rote Armee eine vom   Schroeder, Direktor des Musée national
      Presse zu verschiedenen gesellschaft-   OGBL organisierte Veranstaltung statt.    de la Résistance.

                                                                                            Mil Lorang:
                                                                                            Luxemburg im Schatten der Shoah.
                                                                                            Hrsg. MemoShoah Luxembourg,
                                                                                            Éditions Phi, Esch/Alzette 2019.
                                                                                            201 Seiten.
"Willige Vollstrecker" - Memoshoah Luxembourg asbl
COVERSTORY   13

                                                                                               Von den fast vier-
                                                                                               tausend jüdischen
                                                                                               Einwohnern in
                                                                                               Luxemburg zum
                                                                                               Kriegsbeginn lebten
                                                                                               am Kriegsende
Die 14 Luxemburger des Reserve-Polizeibataillons 101
                                                                                               nur noch etwa 60,
                                                                                               in sogenannten
die arbeitsfähigen Männer abzusondern, um sie dann in
ein Arbeitslager zu bringen“. Frauen, Kinder und ältere                                        Mischehen oder
Männer wurden hingegen erschossen. Der zuständige
Kommandeur Major Wilhelm Trapp ließ es seinen Män-                                             versteckt.
nern offen, an der Erschießung teilzunehmen oder nicht.
Zwar gab Jean Heinen später zu, dass er am Transport
von Juden und an Ghettoräumungen teilgenommen
hatte, jedoch nicht aktiv bei Erschießungen und nur bei       mit revue. Außergewöhnlich war aber auch, dass die
Absperrungsdiensten. Vor allem versuchte er, seinen Ein-      Luxemburger Mitglieder des Reserve-Polizeibataillons
satz zu relativieren. Ein weiterer Luxemburger aus dem        gerade nicht besonders auffallen wollten. Sie machten
RPB 101 berichtete: „Wir gingen zu Fuß in den Ort und         alles mit. In Fitness und Ausbildung ihren Bataillonska-
auf dem Weg zum Marktplatz lagen überall Leichen. Sie         meraden überlegen, waren sie vorbildlich. Dass jene
lagen auf der Straße, vor den Häusern, in den Häusern.        von ihnen, die später behaupteten, nur „Absperrdienste“
Es handelte sich um Angehörige der jüdischen Bevölke-         geleistet zu haben, erscheint daher umso weniger glaub-
rung: Männer, Frauen, Kinder, Jugendliche und Alte.“          haft. „Sie stiegen sogar im Dienstgrad, einige wurden
                                                              bis zum Oberwachtmeister befördert“, weiß Mil Lorang.
   Die Schlussfolgerung, dass die Luxemburger gehor-          Eine besondere Note lieferte dabei Jean Heinen, nach
same Gefolgsleute waren, aber ebenso „willige Vollstre-       dem Krieg Hauptkommissar bei der „Sûreté“. Wie zwei
cker“, wie es Goldhagen auf die Deutschen bezog, lassen       andere Luxemburger erhielt er von den Deutschen das
die positiven Gutachten seitens ihrer Vorgesetzten zu, wie    Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse mit zwei Schwertern.
es zum Beispiel Hauptmann Julius Wohlauf am 10. Sep-          „Das bekam man nicht, wenn man nur ‚abgesperrt‘ hatte“,
tember 1942 ausstellte. Bis dahin hatte es schon mehrere      betont Lorang. „Der Chef der 1. Kompanie und stellver-
Erschießungen gegeben. Die Luxemburger waren dabei            tretende Bataillonskommandeur, der später zu acht Jah-
nicht „negativ“ im Sinne mangelnder Bereitschaft auf-         ren Gefängnis verurteilt wurde, hatte 1944 die gleiche
gefallen. Beweise für Befehlsverweigerungen sind nicht        Auszeichnung bekommen.“
bekannt. Auch nicht im folgenden Fall vom Januar 1943,
als die Truppe einen „Judenversteck“ entdeckt hatten:         Text: Stefan Kunzmann
„Leutnant Boysen gab nun einem Soldaten den Befehl,           Fotos: Tony Krier/Photothèque de la Ville de Luxembourg (2),
die Bäuerin zu erschießen. Dieser lehnte dies ab, da die      Bundesarchiv, Private Sammlung, Philippe Reuter
Frau hochschwanger sei. Daraufhin befahl Boysen dem
Luxemburger Q.S., die Bäuerin zu erschießen. Q.S. führte      * Das Foto liegt dem Musée national de la Résistance vor.
den Befehl aus.“                                              Nach einer bisherigen Publikation soll erst vorerst aus Rücksicht
                                                              auf die Familie der Nachkommen nicht veröffentlicht werden.
   Oberstes Gebot war für die Polizisten bzw. Soldaten,
nicht aufzufallen. Sie mussten eine Geheimhaltungserklä-
rung über ihre Einsätze unterzeichnen. Zwei Luxembur-                               Weitere Infos :
ger aus dem Bataillon wurden gar zur Gestapo abkom-
mandiert, einer fügte sich selbst eine Schusswunde zu,                              Am kommenden Montag findet um 19.00 Uhr
drei weitere kamen in Kriegsgefangenschaft. Und vier                                in Esch auf der „Place de la Synagogue“
desertierten schließlich, allerdings erst, nachdem sie an                           eine Gedenkfeier im Rahmen der Gedenken
die Front geschickt worden waren. Die im Krieg gefallen                             an 75 Jahre Befreiung von Auschwitz statt.
waren erhielten später posthum die Auszeichnung „mort                               Um 20.00 Uhr ist dann im Escher Theater
pour la patrie“. Festzuhalten ist aber auch, „dass über die                         das Concert „Tehorah“.
Hälfte der Luxemburger der Freiwilligenkompanie in
Konflikt mit der Hierarchie geraten war, was ein außer-                             Ticketreservierung unter der Telefonnummer:
gewöhnlich hoher Anteil war“, sagt Lorang im Interview                              2754-5010 oder via Internet www.theatre.esch.lu
"Willige Vollstrecker" - Memoshoah Luxembourg asbl
14      COVERSTORY

„Wahl der Fügung“
Der Historiker Vincent Artuso erklärt unter anderem, warum es so lange gedauert hat,
dass über die luxemburgische Beteiligung am Holocaust so lange geschwiegen wurde.

Was sind die neuen Erkenntnisse,                  Weil sie als besonders „fremdartige“         zurückgegangen, das Thema wurde
was die Luxemburger Beteiligung an                und „gefährliche“ Ausländer betrachtet       regelmäßig in der Presse in Bezug
der Shoah betrifft?                               wurden. Diese Einstellung entsprang          besprochen und mit den Einwande-
                                                  dem luxemburgischen Nationalismus,           rungszahlen verglichen, was wiederum
     Neu ist zum einen die Bereitschaft,          der sich besonders in den Zwischen-          das Bild eines schrumpfenden, bedroh-
     auch diese Aspekte des Zweiten Welt-         kriegsjahren stark entwickelt hatte. Es      ten Volkes ergab. Schlussendlich soll
     krieges zu betrachten. Wir sind ein          war ein ethnischer, völkischer Nati-         man auch nicht vergessen, dass die
     Stück von dem nationalen Mythos              onalismus. Die Grundidee war, dass           zwei zahlenmäßig wichtigsten auslän-
     weggekommen, der in den 50er Jah-            die Luxemburger einer gemeinsamen            dischen Gemeinschaften, die deutsche
     ren entstanden war, dass die Luxem-          Rasse angehörten, dem Luxemburger-           und die italienische, auch als potenti-
     burger sich einig im Widerstand              tum. Neben dem Luxemburger Blut              elle 5. Kolonne ihrer damals totalitären
     gegen die deutschen Besatzer waren.          wurde aber auch der Katholizismus            Herkunftsländer angesehen wurden.
     Dieser Mythos dominiert heute nicht          als ein wesentlicher Bestandteil der
     mehr, was Historikern und Publizis-          Luxemburger Identität angesehen. Ein       Was hat die Verwaltungskommission
     ten ermöglicht, die Frage der Kollabo-       echter Luxemburger hatte Luxembur-         dazu bewogen, zum Beispiel Listen
     ration zu studieren, unter anderem an        ger Blutes und katholischen Glaubens       von jüdischen Schülern zu erstellen?
     der antisemitischen Politik des Dritten      zu sein. Daher die Ablehnung der
     Reiches. Das sind jetzt keine Gerüchte       Juden aber auch der Italiener oder der       Bei dem Zeitgeist, der damals vor-
     mehr. In den letzten Jahren haben wir        evangelischen Deutschen. Der Grund,          herrschte, waren die meisten Staats-
     eindeutige Beweise gefunden. Zum             wieso die Juden dann aber trotzdem           diener der Überzeugung, dass es keine
     Beispiel dafür, dass sofort nach dem         in den Vorkriegsjahren eine beson-           Alternative gab. In den ersten Phasen
     Abgang der Regierung ins Exil hier-          dere Aufmerksamkeit auf sich zogen,          der Besatzung, also vom 10. Mai 1940
     zulande eine Verwaltungskommis-              war, dass sie immer zahlreicher im           bis zum Anfang der deutschen Inva-
     sion ins Leben gerufen wurde, die            Land wurden. In den 30er Jahren war          sion in der Sowjetunion, am 22. Juni
     nicht nur ein Verwaltungsgremium,            die Zahl der Ausländer aufgrund der          1941, herrschte die Idee vor, natürlich
     sondern de facto eine Regierung war          Wirtschaftskrise stark zurückgegan-          nicht nur in Luxemburg, dass Deutsch-
     und sich auch als solche betrach-            gen. Die jüdischen Flüchtlinge aus           land den Krieg gewonnen hatte. Frank-
     tet hat. Ihre Politik war es, mit dem        Deutschland und Österreich bilde-            reich war innerhalb von zwei Monaten
     Dritten Reich zu kollaborieren – im          ten die einzige Gruppe, die zunahm.          besiegt worden, Großbritannien war
     Gegenzug für die Anerkennung der             Die damaligen Regierungen, sei es die        isoliert und fast waffenlos, die Sowje-
     Luxemburger Unabhängigkeit. Und              schwarz-blaue bis 1937 oder danach           tunion hatte mit dem Deutschen Reich
     im Rahmen dieser Kollaboration hat           die schwarz-rote, praktizierten ihnen        einen Nichtangriffspakt geschlossen
     sie auch an der Verfolgung der Juden         gegenüber im Grunde eine ähnliche            und die USA waren noch neutral. So
     durch die deutsche Zivilverwaltung in        Politik: Sie wollten humanistisch han-       lautete die Devise, sich zu fügen. Für
     Luxemburg teilgenommen.                      deln, andererseits wollten sie wegen         die Kollaboration wollte man aber
                                                  der Angst vor „Überfremdung“ auch            Garantien für den Fortbestand der
Gab es auch eine antisemitische                   nicht allzu viele Juden reinlassen.          Luxemburger Unabhängigkeit.
Motivation?
                                               Also reagierten sie auf eine fremden-         Die hat man aber nicht bekommen.
     Der Antisemitismus war schon vorher       feindliche Stimmung.
     unterschwellig stark verbreitet. Aller-                                                   Die Vorgehensweise ergab absolut
     dings gab es in Luxemburg keine poli-        Es gab eine xenophobe Atmosphäre,            keine Garantien. Und ab September/
     tische Bewegung oder Partei, die ein         im wahrsten Sinne des Wortes: eine           Oktober 1940 war die vorherrschende
     Programm der Ausrottung verteidigt           Angst gegenüber Ausländern. Diese            Meinung unter den Eliten und im
     hätte. Ein bestimmter Bevölkerungs-          Angst, dass die Luxemburger Nation           Staatsapparat, dass es nun galt, alles zu
     anteil wollte jedoch die Ausgren-            durch „Überfremdung“ – heute würde           tun, um seinen Platz zu behalten. Es
     zung der Juden und die Begrenzung            man in manchen Kreisen von „Gro-             war eine Wahl der Fügung. Die Befehle
     der jüdischen Einwanderung. Diese            ßem Umtausch“ sprechen – war viel-           vom Gauleiter Gustav Simon, auch
     Forderungen tauchen sogar noch               leicht im katholisch-konservativen           seine antisemitische Politik, wurden
     im August 1941, im Programm der              Lager stärker ausgeprägt. Wenn man           Ende 1940/Anfangs 1941 als legitim
     Resistenzorganisation „Letzebuerger          jedoch die Presse aus dieser Zeit liest,     angesehen. Das sieht man zum Bei-
     Volleks Legioun“ (LVL) auf.                  erkennt man aber, dass selbst unter          spiel, als Simon anordnete, die Juden
                                                  Liberalen und Sozialisten diese Angst        aus dem Schuldienst zu entlassen.
Weshalb wollte man die jüdischen                  allgegenwärtig war. Die Geburtenrate         Wer war konkret dafür zuständig, die
Einwanderer nicht?                                war in der Zwischenkriegszeit stark          Juden zu identifizieren und sie aus den
"Willige Vollstrecker" - Memoshoah Luxembourg asbl
COVERSTORY                15

                                                                               Vincent Artuso
                                                                               Der Historiker beschäftigt sich vor allem mit der
                                                                               Geschichte Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg. 2013
                                                                               wurde seine Dissertation über die Kollaboration im
                                                                               Großherzogtum während der deutschen Besatzung
                                                                               publiziert. Von der Regierung beauftragt, über die
                                                                               Kollaboration der Luxemburger Behörden an den
                                                                               Judenverfolgungen der deutschen Zivilverwaltung
                                                                               zu forschen, überreichter er 2015 den sogenannten
                                                                               Artuso-Bericht, was die Abgeordnetenkammer
                                                                               dazu bewegte, sich offiziell bei der jüdischen
                                                                               Gemeinschaft zu entschuldigen.

  Wir sind ein Stück von dem nationalen Mythos
weggekommen, der in den 50er Jahren entstanden war,
dass die Luxemburger sich einig im Widerstand gegen
die deutschen Besatzer waren?

  Schulen zu entfernen? Die Schuldirek-        leisten. Sie kamen ins Gefängnis oder       einer Scheune. Im Hintergrund ist
  toren. Ich denke da an einer Antwort         ins KZ. 50 von ihnen sind gestorben.        eine Leiche zu sehen. Der Stoßtrupp
  vom Direktor des Mädchenlyzeums in                                                       besteht aus sieben Männern, einer
  Esch, in der man ungefähr lesen kann:     Und die 14 Soldaten, die ins Polizei-          in Zivilkleidung und die anderen in
  Wir haben zwar keine Juden im Haus,       reservebataillon 101 kamen?                    Uniform. Der dritte von rechts trägt
  aber ich habe bei jemandem meine                                                         eine Maschinenpistole. Er war ein
  Zweifel, der möglicherweise Halbjude,        Von Christopher Browning und Daniel         Luxemburger. Das Foto stammte von
  aber im Moment in Frankreich ist. Der        Goldhagen, aber auch von luxembur-          ihm. Auf der Rückseite des Fotos ist
  Direktor hätte ja also schweigen kön-        gischen Historikern wie Lucien Blau         zu lesen: „Diese Scheune war voller
  nen. Er hätte ja auch davon ausgehen         und Paul Dostert, sowie zuletzt von         Juden und Banditen. Der Stoßtrupp
  können, dass Luxemburg de facto, also        Mil Lorang, Elisabeth Hoffmann und          nach dem Kampf“. Die Luxemburger
  illegal, von Deutschland annektiert          Jérôme Courtoy, wissen wir, dass diese      waren also nicht einfach nur passive,
  worden war und dass die Verordnun-           14 im RPB 101 nicht etwa abgekap-           ausgesonderte Mitglieder des RPB 101,
  gen des Gauleiters deshalb nicht recht-      selt waren, sondern dass sie sich gut       sondern volle und sehr aktive Mit-
  mäßig waren. Er entschied sich aber          integriert hatten. Der Kommandant           glieder. Sie waren auch die jüngsten,
  die möglichst gründlichste Antwort zu        des RPB 101, Major Wilhelm Trapp,           bestausgebildeten und fittesten. Die
  geben. Wieso? Weil er, wie die große         hatte es seinen Männern erlaubt,            Deutschen im Bataillon waren „ganz
  Mehrheit der Luxemburger Beamten             nicht an Massenerschießungen von            normale Männer“, wie Brownings
  die Übermacht der Deutschen akzep-           Juden teilzunehmen. Nur wenige              Buch heißt. Es waren weder Polizisten
  tiert hatte.                                 haben diese Gelegenheit genutzt. Es         noch Soldaten, sondern Reservisten,
                                               gibt keinen Hinweis darauf, dass ein        die meisten Ende 30, Anfang 40. Die
Waren auch die Mitglieder der Frei-            Luxemburger sich dazu entschlossen          Luxemburger hatten ein anderes Pro-
willigenkompanie „gründlicher als              hat, sich zu weigern. Nun wissen wir        fil. Sie waren eher Anfang 20, hatten
nötig“?                                        auch, dass sie aktiv an der sogenann-       sich freiwillig in der Luxemburger
                                               ten Partisanenbekämpfung teilge-            Armee gemeldet, hatten also eine mili-
  Diese Frage ist schwieriger zu beant-        nommen haben. Dies bedeutete, im            tärische Ausbildung erhalten.
  worten. Die Geschichte der Freiwil-          damaligen Distrikt Lublin, also im
  ligenkompanie ist viel ambivalenter          besetzten Polen, wo das Bataillon sta-   Browning beschreibt die Taten des
  – und auch tragisch. Von den 461             tioniert war, nach versteckten Juden     RPB 101, das als gefürchtet galt.
  Soldaten der Kompanie, die auf die           und Widerstandskämpfern zu fahn-
  deutschen Streitkräfte verteilt wur-         den und sie auf der Stelle zu erschie-      Sie haben etwa 38.000 Juden erschos-
  den, haben bis zum Ende des Krieges          ßen. Eines der Fotos, welche Elisabeth      sen und 45.000 in die Vernichtungs-
  260 sich entschlossen, nicht mehr zu         Hoffmann und Jérôme Courtoy gefun-          lager deportiert. Und sie erschos-
  gehorchen, den Eid auf Hitler nicht zu       den haben, zeigt einen Stoßtrupp vor        sen eine nicht bekannte Zahl von
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16      COVERSTORY

            Jahrzehntelang war es unmöglich, irgendein Komma
                    in dieser Erzählung anzufassen.
     Widerstandskämpfern, die sich in                … der es später zum Chef bei der                   verstecken und auch zu vergessen,
     den Wäldern vom Distrikt Lublin ver-            Sureté brachte, bei der Kriminalpolizei.           wie tief die Luxemburger Gesellschaft
     steckt hielten. Wie gesagt, überließ            Von den 14 Luxemburgern im PRB 101                 gespalten war. Damit sollte Schluss
     der Bataillonskommandant Trapp vor              fielen fünf im Krieg. Sie bekamen den              sein. Daher wurden alle zu Wider-
     dem ersten Massaker seinen Männern              Titel „mort pour la patrie“. Man kann              standskämpfern erklärt, gestorben fürs
     die Wahl. Wer nicht schießen wollte,            dies mit den elsässischen und loth-                Vaterland. Danach kam der Druck der
     konnte nach vorne treten. Dies taten            ringischen Soldaten vergleichen, die               Erinnerungslobby, die ein Interesse
     vielleicht zehn ältere Soldaten.                im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Sie             daran hatte, dass dieser Mythos wei-
                                                     hatten auf deutscher Seite gekämpft.               terlebte. Es ging um die Anerkennung
Mussten diese keine Konsequenzen                     Der französische Staat entschied sich              der Widerstandskämpfer und später
fürchten?                                            trotzdem sie anzuerkennen, um poli-                auch der Zwangsrekrutierten. Wenn
                                                     tischen Konsens und Ordnung zu                     man den Zweiten Weltkrieg als einen
     Es ist ihnen nichts passiert. Sie wurden        wahren. Nach dem Krieg stand auch                  Wendepunkt in der Luxemburger
     zum Beispiel nicht eingesperrt. Wir             bei ihnen „mort pour la patrie“ auf                Geschichte gefunden hatte, in dem die
     können die 14 des PRB 101 nicht mit             den Gräbern. Aber es wurde ja nicht                Luxemburger Nation endlich zu sich
     uns vergleichen, wohl aber mit ihren            spezifiziert, für welches Vaterland… In            gefunden hatte, war es ihnen zu ver-
     Kameraden der Freiwilligenkompa-                Luxemburg nach dem Zweiten Welt-                   danken. Das alles hatte dazu geführt,
     nie, die in andere deutsche Einheiten           krieg kann man das so erklären, dass               dass es jahrzehntelang unmöglich war,
     integriert wurden. Trotz der bewussten          die luxemburgische Gesellschaft sehr               irgendein Komma in dieser Erzählung
     wahren Gefahr hat sich mehr als die             gespalten aus dem Krieg kam und die                anzufassen. Heute sind die Erinne-
     Hälfte von ihnen geweigert den Deut-            Säuberungen die Gesellschaft bis in die            rungslobbys nicht mehr so einfluss-
     schen zu gehorchen.                             50er Jahre tief zerrissen haben.                   reich, weil ihre Gründungsmitglieder
                                                                                                        entweder alt oder nicht mehr am Leben
Was wurde nach dem Krieg aus ihnen?              Nun dauerte es ein halbes Jahrhundert,                 sind. Und die Angst vor der Überfrem-
                                                 bis das Thema von der luxemburgi-                      dung besteht nicht mehr in diesem
     Wenn sie diesen überlebt hatten,            schen Beteiligung am Reserve-Polizei-                  Maße wie vor dem Krieg. Die alten
     machten sie Karriere. So schrecklich        bataillon 101 aufgegriffen wurde.                      Hemmungen sind nicht mehr da.
     das klingt: Diese Dienstjahre wurden        Warum wurde so lange geschwiegen?
     ihnen angerechnet und vom Luxem-                                                               Interview: Stefan Kunzmann
     burger Staat anerkannt.                         Wie gesagt wegen des Drucks, der von           Fotos: Philippe Reuter, United States Holocaust
                                                     dem Mythos ausging. Dieser entstand            Memorial Museum, courtesy of Staatsanwalt
Zum Beispiel Jean Heinen…                            in den 50ern, weil es darum ging zu            beim Landgericht Hamburg

                           Bei der besonders brutalen Massenerschießung in Lomazy war nur die 2. Kompanie eingesetzt, also nicht die Kompanie,
                                        in der sich die 14 Luxemburger befanden. Dazu kamen noch 40 bis 50 Hiwis (Abkürzung für „Hilfswillige“).
                                                                             Es handelte sich um Männer aus Litauen, Lettland oder der Ukraine.
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COVERSTORY            17

Mendes’ Liste
Als portugiesischer Generalkonsul in Bordeaux rettete er
Tausende Flüchtlinge, darunter auch Luxemburger, indem er ihnen Visa
ausstellte. Das Nationalarchiv hat Aristides de Sousa Mendes eine
Ausstellung gewidmet.

Ist die Zeit stehen geblieben? Wer durch
Coimbra spaziert, trifft womöglich das
eine oder andere Mal auf Studenten, die
in ihrer traditionellen schwarzen Tracht
an eine Harry-Potter-Verfilmung erin-
nern. In der Stadt befindet sich nicht nur
die älteste Universität Portugals, sondern
auch eine der ältesten Europas. Im Jahr
1290 gegründet, absolvierten dort einige
berühmte Portugiesen ihre Studien: von
dem großen Dichter Luis de Camões über
António de Oliveira Salazar bis zu Aris-
tides de Sousa Mendes. Salazar war fast
40 Jahre lang Staatschef des Landes und
errichtete den „Estado Novo“, eine autori-
täre Diktatur, de Sousa Mendes war Dip-
lomat und diente diesem Staat über viele
Jahre. Salazar wurde erst vor ein paar Jah-
ren in einer Umfrage zum bedeutendsten                           Aristide de Sousa Mendes
Portugiesen aller Zeiten gewählt, Platz drei                     (1885-1954)
nahm de Sousa Mendes ein.

   Die beiden Männer waren ungefähr
gleich alt – Salazar wurde 1889 in Vimieiro               Salazar und de Sousa Mendes
geboren, de Sousa Mendes 1885 in Caba-
nas de Viritão bei Viseu – und kamen aus            kamen aus derselben Gegend – und
derselben Gegend der Provinz Beira Alta.
Beide studierten Jura und traten in den            konnten unterschiedlicher nicht sein.
Staatsdienst. Während Salazar aus einer
Bauernfamilie stammte, kam de Sousa Men-
des aus einer alten Adelsfamilie, sein Vater   setzte er seine Diplomatenkarriere im Kon-   Portuguesa“ und einer Geheimpolizei,
war Richter in Coimbra. Der junge Aristi-      sulat von San Francisco fort.                der „Policia Internaciional e de Defesa do
des wollte nicht in dessen Fußstapfen tre-                                                  Estado“ (PIDE), die Regimegegner ermor-
ten, sondern Diplomat werden. So bewarb           Als Salazar 1932 Premierminister          dete. Die Brüder de Sousa Mendes gingen
er sich wie sein Zwillingsbruder César im      wurde, ernannte er César de Sousa Men-       auf Distanz zum Regime, César eher still,
Außenministerium in Lissabon. Er bestand       des zum Außenminister, entließ ihn aber      Aristides drastischer, indem er Salazar
die Aufnahmeprüfung und wurde zuerst           wieder nach knapp einem Jahr, weil die-      unter anderem als „portugiesischen Sta-
Konsul zweiter Klasse in British Guyana,       ser ihm widersprochen hatte. Der „Estado     lin“ bezeichnete. Im Gegensatz zu dem
danach Vertreter Portugals beim Sultan         Novo“ wird heute von Historikern zwar        strengen, disziplinierten Diktator war
von Sansibar. Schließlich folgten Missionen    nicht als Faschismus, aber als konserva-     des Sousa Mendes ein Genussmensch.
in den beiden südbrasilianischen Städten       tiv-autoritäre Diktatur bezeichnet: ein      Der Vater von 14 Kindern – zwei starben
Curitiba und Porto Alegre. Nachdem er          Ein-Parteien-Staat mit einer Jugendor-       früh – feierte gern und gab sich großzü-
aufgrund des Vorwurfs, Monarchist und          ganisation, die die Hitlerjugend als Vor-    gig. Seinen Posten als Konsul in Antwer-
Feind der Republik zu sein in den einst-       bild hatte, einem Unterdrückungsapparat      pen hatte er 1929 angetreten, bis Salazar,
weiligen Ruhestand versetzt worden war,        mit einer paramilitärischen Miliz „Legião    der selbst das Amt des Außenministers
18       COVERSTORY

                                                                                               dessen Familie in seiner Privatwohnung
                                                                                               im ersten Stock des Konsulatsgebäudes
                                                                                               auf. Unter den Leuten, die von ihm ein
                                                                                               Visum erhielten, befand sich Salvador
                                                                                               Dalí – ebenso wie Hélène de Beauvoir, die
                                                                                               Schwester von Simone de Beauvoir.

                                                                                                  Während Salazar anordnete, dass kei-
                                                                                               nes der von de Sousa Mendes ausgestell-
                                                                                               ten Dokumente gültig sei, und nur noch
                                                                                               „gente limpa“ (reine Leute) nach Portugal
                                                                                               lassen wollte, gemeint waren vor allem
                                                                                               „nichtjüdische“ Menschen, schloss sich de
                                                                                               Sousa Mendes drei Tage und drei Nächte
     Henri und Elisabeth Ermann (links), Renée Ermann (2. von rechts)                          in seinem Schlafzimmer ein und rang mit
                                                                                               sich und seinem Gewissen, zwischen sei-
                                                                                               nem Pflichtbewusstsein für seine Familie
                                                                                               und der Nächstenliebe für all die Men-
Familie Ermann erlebte eine                                                                    schen, die Schutz suchten. Am Morgen
                                                                                               des vierten Tages, am 16. Juni 1940, öff-
jahrelange Odyssee – und                                                                       nete er seine Zimmertür, trat heraus und
                                                                                               verkündete: „Von nun an werde ich allen
kehrte nach Luxemburg zurück.                                                                  ein Visum ausstellen. Es gibt keine Nati-
                                                                                               onalitäten, keine Rassen und Religionen
                                                                                               mehr.“ Ein Wettlauf mit der Zeit hatte
                                                                                               begonnen. Im Generalkonsulat stempel-
angenommen hatte, ihn 1938 ablöste                 auf das Buch „Der Gerechte von Bordeaux“    ten de Sousa Mendes, sein Sohn Pedro
und als Generalkonsul nach Bordeaux                über de Sousa Mendes, das der Franzose      Nunes und Konsulatssekretär José Seabra
versetzte. Zu dieser Zeit erkannte de              José-Alain Fralon geschrieben hatte.        unablässig Visa ab. Der Sekretär sammelte
Sousa Mendes die Gefahr des Krieges und                                                        sogar Pässe der Wartenden auf der Straße
brachte die meisten seiner Kinder nach                Spätestens seit dem Rundbrief vom        ein und legte sie seinem Vorgesetzten zur
Portugal. Sein Bruder César, Botschaf-             November 1939 empfand de Sousa Men-         Unterzeichnung vor. Nachdem die von
ter in Warschau, konnte Polen erst nach            des für Salazar Verachtung. Ohne Angabe     US-Präsident Franklin D. Roosevelt im
Kriegsbeginn verlassen, als die deutsche           von Gründen beantragte er seine Rück-       März 1938 einberufene Konferenz von
Wehrmacht das Land besetzt hatte.                  berufung nach Lissabon, erhielt jedoch      Evian zur Flüchtlingsproblematik, an der
                                                   keine Antwort. Der Generalkonsul von        32 Staaten teilgenommen hatten, geschei-
   Salazar blieb in Portugal nicht zuletzt         Bordeaux scherte sich wenig um die          tert war und die Deutschen 1940 Frank-
deshalb lange Zeit noch populär, weil er           Anweisung seines Staatschefs. Stattdessen   reich und die Benelux-Länder besetzt
sein Land aus dem Zweiten Weltkrieg                stellte er zum Beispiel dem österreichi-    hatten, war Portugal praktisch die einzige
heraushalten konnte. Er setzte auf die             schen Geschichtsprofessor und Theologen     Fluchtmöglichkeit aus Europa.
Strategie der „Nebelschwaden“ und der              Arnold Wiznitzer (1896-1975), der später
„kooperativen Neutralität“, wie es Brigitte        ein Buch über die Juden in Brasilien ver-      Bis zum 26. Juni, als Frankreich den
Kramer in einem Artikel für die deutsche           fasste, und dessen Familie ein Visum aus,   Waffenstillstand mit dem Deutschen
Zeitschrift „Mare“ vom Dezember 2013               ebenso dem spanischen Mediziner und         Reich unterschrieb und die Wehrmacht
ausdrückte. Beispielhaft dafür war ein             Franco-Gegner Eduardo Neira Laporte,        in Bordeaux einrückte, hatte de Sousa
Rundschreiben, das „Circular 14“, vom              damit beide nach Südamerika weiter-         Mendes ungefähr 30.000 Menschen vor
November 1939 an alle portugiesischen              reisen konnten. Das Außenministerium        den Nazis gerettet, 10.000 davon waren
Auslandsvertreter. Darin stand das Verbot,         schickte de Sousa Mendes dafür am 24.       Juden. De Sousa Mendes wurde nach Lis-
ein Visum an alle „Ausländer mit undefi-           April 1940 eine schriftliche Rüge: „Jede    sabon zurückbefohlen und wegen vorsätz-
nierter oder angezweifelter Nationalität,          weitere Verletzung dieser Regel werde als   lichen Ungehorsams und Amtsverletzung
mit Einbürgerungsanträgen in Bearbei-              flagranter Ungehorsam betrachtet und        angeklagt. Er bekam den Diplomatentitel
tung sowie Staatenlose und Juden, die aus          ein Disziplinarverfahren zur Folge haben,   aberkannt und wurde in den vorzeitigen
ihrem Herkunftsland oder dem Land, in              wobei nicht zu übersehen sein wird, dass    Ruhestand geschickt. Seine Berufung
dem sie Bürger waren, vertrieben wurden“           Sie schon mehrfach gewarnt und gerügt       wurde abgewiesen, ebenso ein Bittbrief
zu erstellen. Doch einer seiner Diploma-           werden mussten.“                            seines Bruders. Während einige seiner
ten ignorierte die Anweisung: Aristides                                                        Kinder auswanderten, mussten de Sousa
de Sousa Mendes, den Brigitte Kramer als              Doch de Sousa Mendes ließ sich nicht     Mendes und seine Frau in der Suppenkü-
„spontan, impulsiv, großzügig“ beschreibt          beirren. Während mehr und mehr Men-         che der jüdischen Gemeinschaft in Lissa-
und dessen Handeln von Gerechtigkeits-             schen auf der Flucht Bordeaux erreichten,   bon essen. Beide zogen später, weil sie die
sinn, christlichem Glauben und Mensch-             wuchs sein Widerwille, die Befehle seiner   Miete in der Hauptstadt nicht mehr bezah-
lichkeit geprägt seien. Die Journalistin           Regierung zu befolgen. So nahm er zum       len konnten, in sein Heimatdorf, wo die
stützt sich in ihren Recherchen vor allem          Beispiel den Rabbiner Chaim Krüger und      beiden zurückgezogen lebten. Seine Frau
COVERSTORY                19

Angelina starb 1948, sechs Jahre später de     würdigen. In den 80er Jahren überreichte      Zum Beispiel auch jener luxemburgischer
Sousa Mendes an den Folgen eines Schlag-       der damalige Präsident Mario Soares der       Familien, die unter den großflächig auf-
anfalls in einem Krankenhaus in Lissabon,      Familie den „Ordem de Liberdade“, 1988        gelisteten Namen markiert sind. Zum Bei-
nachdem er 1949 wieder geheiratet hatte        wurde er vom portugiesischen Parlament        spiel das der jüdischen Familie Ermann.
und nochmals Vater geworden war. Sein          rehabilitiert, 1994 wurde in Israel ein       Das Ehepaar, ein Ingenieur und eine Hut-
Tod wurde von der Öffentlichkeit weit-         Wald nach ihm benannt, vier Jahre später      macherin, wohnte mit seiner zehnjähri-
gehend ignoriert, auch wenn Salazar ein        ehrte das Europäische Parlament ihn. Mitt-    gen Tochter Renée in der Avenue Gaston
Beileidstelegramm schickte. Nach dem           lerweile sind zwei Stiftungen nach ihm        Diderich in Belair. Sie verließen am 10.
Kriegsende, als er sich den alliierten Sie-    benannt, sein Leben wurde zweimal ver-        Mai 1940 Luxemburg, fuhren mit ihrem
germächten annäherte, sagte der Diktator       filmt. „Er war vielleicht kein guter Beam-    Peugeot bis nach Bordeaux, wo sie von de
in einer Rede: Was die Flüchtlinge betrifft,   ter“, sagt Corinne Schroeder, die Kuratorin   Sousa Mendes am 10. Juni 1940 ein Visa
so haben wir alles getan, was unsere           der Ausstellung im Luxemburger Natio-         erhielten. Sie erreichten Portugal, wo sie
Pflicht war, auch wenn es bedauerlich ist,     nalarchiv, die das Leben und Schaffen von     bis 1942 in Caldas da Rainha, hundert
dass wir nicht mehr tun konnten.“              Aristides de Sousa Mendes zum Thema           Kilometer nördlich von Lissabon, im ers-
                                               hat. „Aber er hat vielen Menschen unter-      ten Stock eines Hauses über einem Stoff-
    De Sousa Mendes hat getan, was er          schiedlicher Nationen das Leben gerettet.“    geschäft wohnten, wie sich Renée Ermann
konnte. Doch bis zu seiner Rehabilitierung                                                   später erinnert. Ihre Geschichte gibt sie
dauerte es lange. Im Jahr 1966 erhielt er          Und dies obwohl er selbst keine Vor-      in einem Videofilm preis, der in der Aus-
posthum in Israel den Ehrentitel „Gerech-      teile davon hatte. Vielmehr das Gegenteil,    stellung zu sehen ist, neben zahlreichen
ter unter den Völkern“ verliehen. 1967         betont sie. Seine Motivation sei sicherlich   weiteren filmischen Zeugnissen. „Ich ging
überreichte der israelische Konsul seiner      in sein Gewissen und seinem katholischen      auf eine portugiesische Schule und schloss
Tochter Joana die „Goldene Medaille der        Glauben zu finden, erklärt Schroeder.         Freundschaften“, erzählt sie. Es war eine
Gerechten“ in Andenken an ihren Vater          Nicht zuletzt sei es seine humanistische      glückliche Zeit. Die Familie reiste später
als einzigem Portugiesen. In Yad Vashem        Erziehung gewesen, die er als Spross einer    per Schiff nach Jamaika weiter, wo sie
wurde ihm zu Ehren ein Baum in der             Gelehrtenfamilie genossen hatte. Der          weitere zwei Jahre verbrachte. Von dort
„Allee der Gerechten“ gepflanzt. In seinem     Anlass zur Ausstellung, die bis zum 22.       kamen die Ermanns nach Kuba, wo sie
Heimatland selbst wurde er spät rehabili-      Februar im Nationalarchiv zu sehen ist,       ein Jahr blieben, und schließlich 1946
tiert, also nach der „Nelken-Revolution“       hat Portugals bevorstehender Beitritt zur     über Miami nach New York. Dort arbeitete
von 1974 und dem damit verbunde-               „International Holocaust Remembrance          die Mutter in einer Krawattenfabrik, der
nen Ende der Diktatur und lange nach           Alliance“ (IHRA) gegeben, deren Vorsitz       Vater in einer Malerfirma. Noch im selben
dem Tod Salazars 1970. Portugal tat sich       Luxemburg zurzeit innehat. Zu sehen sind      Jahr, also ein Jahr nach Kriegsende, kehrte
damit schwer, seinen berühmten Sohn zu         Fotos, schriftliche Dokumente – Briefe,       die Familie nach Luxemburg zurück. Ein
                                               Zeugnisse, Telegramme – sowie Plakate         Happy End in einer Zeit der Wirren, des
                                               und Postkarten, Fotos und Filmmaterial        Schreckens und der Verfolgung, die für
                                               (unter anderem der Film „Désobéir“ von        viele Menschen tödlich endete.
Spätestens seit                                2009) – und großflächig die lange Liste
                                               jener, die auf „Mendes´ Liste“ (siehe Foto       Im Zuge eines Portugal-Aufenthalts
dem Rundbrief                                  unten) von Visa gelandet sind. Unter          sei häufiger die Rede von de Sousa Men-
                                               ihnen sind auch einige Luxemburger:           des gewesen, erinnert sich Josée Kirps,
empfand der                                    Großherzogin Charlotte und ihre Familie,      die Direktorin des Nationalarchivs. Sie
                                               aber auch Mitglieder der Exilregierung.       hofft, dass viele vor allem jüngere Men-
Generalkonsul                                                                                schen durch die Ausstellung auf de Sousa
                                                  „Verfolgt man die Lebensgeschichte von     Mendes aufmerksam werden. In Portu-
Verachtung für                                 de Sousa Mendes“, erklärt Corinne Schro-      gal wisse die jüngere Generation nicht
                                               eder, „dann beinhaltet diese auch die vie-    viel über den „portugiesischen Oskar
den Staatschef.                                len Schicksale derer, die er gerettet hat.“   Schindler“, hierzulande noch weniger.
                                                                                             Durch die Ausstellung und eine weitere
                                                                                             ab 14. Februar in der Abtei Neumünster
                                                                                             zu sehende, die sich mit den Beziehun-
                                                                                             gen von Luxemburg und Portugal befasst,
                                                                                             bringt die Menschlichkeit von Aristides
                                                                                             de Sousa Mendes näher, auf dessen Grab-
                                                                                             stein steht: „Wer ein Leben rettet, rettet
                                                                                             die Welt“. Worte aus dem Talmud. Sie
                                                                                             fassen in wenigen Worten das zusammen,
                                                                                             was der „portugiesische Oskar Schindler“
                                                                                             oder „der Engel von Bordaux“, wie er auch
                                                                                             genannt wurde, geleistet hat.

                                                                                             Text: Stefan Kunzmann    Fotos: Collection
                                                                                             des descendants d’Aristides de Sousa Mendes,
                                                                                             Collection Famille Karas-Ermann, Philippe Reuter
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