WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT MAN DOCH! - Gerhard Meister | Uraufführung

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WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT MAN DOCH! - Gerhard Meister | Uraufführung
WIR REDEN
ÜBER POLKE,
DAS SIEHT
MAN DOCH!
Gerhard Meister | Uraufführung
                                 landestheater.org
WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT MAN DOCH! - Gerhard Meister | Uraufführung
WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT MAN DOCH! - Gerhard Meister | Uraufführung
WIR REDEN ÜBER POLKE,
DAS SIEHT MAN DOCH!
Gerhard Meister
Mit Vivienne Causemann, Gilbert Handler (Live-Musik), Luzian Hirzel, Johanna Köster,
Nico Raschner, Jürgen Sarkiss, Sebastian Schulze

Inszenierung Bérénice Hebenstreit
Bühne & Kostüm Mira König
Musik Gilbert Handler
Licht Arndt Rössler
Dramaturgie Ralph Blase
Regieassistenz Michael Wilhelmer
Ausstattungsassistenz Lillie Löbl
Inspizienz Eva Lorünser
Regiehospitanz Josepha Yen

Premiere Sa 6. November, 19.30 Uhr, Großes Haus
Vorstellungen Di 9.11., Mi 10.11.2021, Fr 14.1., Sa 15.1.2022, 19.30 Uhr, So 16.1.2022, 16.00 Uhr
Publikumsgespräch Sa 15.1.2022, im Anschluss an die Vorstellung

Aufführungsrechte S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main

Bild- und Tonaufnahmen während der Aufführung sind nicht gestattet.

Aufführungsdauer ca. 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

Technische Leitung Tino Machalett
Assistenz Technische Leitung Leslie Bourgeois
Bühnenmeister Werner Mathis, Jörg Dettelbach
Bühnentechnik Johannes Moosbrugger, Werner Pettinger
Beleuchtungsmeister Arndt Rössler
Beleuchtung & Video Simon Tamerl
Ton Andreas Niedzwetzki
Veranstaltungstechnik Marco Kelemen, Simon Prantner, Sandro Todeschi
Lehrlinge Veranstaltungstechnik Mohammad Chalch, Daniel Kämmerer, Julian Schedler
Requisite Ramona Bereiter
Maske Tatjana Alber (Leitung)
Schneiderei Bettina Henning (Leitung), Christine Schnell
Garderobe Maria Stabodin
Haustechnik Robert Mäser
Werkstatt Claudius Rhomberg (Leitung), Kurt Amann, Rene Fischer, Roland Sonderegger
Bühnenmalerei Valerie Fricker, Sarah Goldmann
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Zum
Einstieg
Sigmar Polke hätte im Jahr zweitau-       von Sigmar Polke ausgesetzt. So wie
sendeinundzwanzig seinen achtzigs-        Polke immer wieder mit seiner Kunst
ten Geburtstag gefeiert. Der Züricher     tiefen Eindruck hinterließ, entzog er
Autor Gerhard Meister hat aus             sich gleichzeitig immer wieder als
diesem Anlass für uns einen Theater-      Künstlerpersönlichkeit, auch dem
text über den Künstler und sein Werk      Kunstmarkt, auf dem seine Bilder
geschrieben.                              bald hoch gehandelt wurden.
Polke gilt als einer der einfluss-        Polkes Werk zeigt eine breite Palette
reichsten Künstler seiner Epoche          von Gestaltungstechniken und ein
und schuf ein facettenreiches Werk,       alchemistisches Interesse bei der Er-
auf dessen Spuren sich nun sechs          forschung von Materialität, insbeson-
Schauspieler:innen und ein Musiker        dere von Farben, ihren Effekten, ihren
begeben. Entlang des Textes über das      Herstellungs- und Verwendungsmög-
Werk Sigmar Polkes versuchen sie,         lichkeiten.
den Künstler über sein Schaffen zu        Auch mit „höheren Wesen“ ist zu
erschließen. Doch kann das bei einem      rechnen, die sich laut Künstler in die
Werk mit dieser enormen Fülle und         Gestaltungsprozesse seiner Kunst
Vielfalt überhaupt gelingen?              einmischten. Einer Kunst, mit der
Es gilt viele Anläufe zu starten, An-     Polke immer wieder auch politisch
näherungen zu unternehmen, um             Stellung bezog, in den Jahren seines
zu versuchen die Vielfalt, Plastizität,   Schaffens zwischen den neunzehn-
Flüchtigkeit, die Tiefgründigkeit, den    hundertsechziger Jahren bis zu
Ernst, die Heiterkeit und das Schalk-     seinem Tod im Jahr zweitausendund-
hafte dieses Werkes zu fassen.            zehn – in denen er eine der zentralen
Keine einfache Angelegenheit: Denn        Figuren der Kunstszene wurde.
Polke spielte so manches Spiel,           Sie kennen Polke nicht? Dann lernen
auch mit dem Kunstbetrieb. Und der        Sie ihn kennen, während über ihn ge-
Eindruck kann entstehen, der Text         redet wird.
von Gerhard Meister wie auch das
Unterfangen diesen auf die Bühne zu
bringen, sind ebenfalls diesem Spiel
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Jürgen Sarkiss
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Wir reden über Polke.
     Aber worüber reden wir, wenn wir über Polke reden?
     Reden wir über Kapitalistischen Realismus?
     Über Alchemie
     Humor
     Punkteraster
     und Rasterpunkte
     Schweinfurter Grün
     Purpurschnecken
     thermosensible Farben
     Glasmalerei
     Vorhangstoff
     Meteorstaub
     Hakenkreuze
     LSD
     Höhere Wesen
     oder Kartoffeln

     Gerhard Meister

Vivienne Causemann
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Interview mit dem Autor Gerhard Meister
Nach dem Polken

Du trittst auch als Spoken-Word-Künstler auf. Wenn jemand fragt, was das
genau ist, wie erklärst Du diese Kunstform in wenigen Worten?

Ganz kurz, bei Spoken Word gehe ich als Autor selber auf die Bühne und trage
einen Text vor, den ich zu diesem Zweck, also damit er von mir vorgetragen
wird, geschrieben habe.

Welche Verbindung siehst Du zwischen Deinem Umgang mit Text beim „Spo-
ken Word“ und Deinem Schreiben von Theatertexten, die dann von anderen
gesprochen und interpretiert werden sollen?

Es sind beides Texte für die Bühne. Der Unterschied liegt darin, dass ich als
Sprecher und Performer nur in einem bestimmten Teil des Ausdrucksspektrums
was kann, darauf nehme ich beim Schreiben Rücksicht, ich will ja auf der Bühne
nicht allzu sehr ins Abseits geraten. Schreibe ich für Schauspieler:innen, bin ich
so frei, mir zu denken, dass die mit den Texten dann schon irgendwie zurande
kommen.

Wie hast Du Dich für das Schreiben von WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT
MAN DOCH! an Sigmar Polke und sein Werk angenähert und mit ihm angefüt-
tert? Welche Quellen konntest Du nutzen? Welche Menschen sind Dir auf dem
Weg begegnet?

Ich habe gelesen, was ich auftreiben konnte, und ich habe geschaut. Was letz-
teres betrifft, ich wohne in Zürich und da lag es nahe, mich mit seinem letzten
grossen Werk, den Glasfenstern im Grossmünster näher auseinander zu setzen.
Eine Schwierigkeit bei der Recherche war, dass es über Polke erstaunlicherweise
keine einzige Monografie gibt und man sich alles aus den Ausstellungskatalogen
zusammensuchen muss. Eine grosse Hilfe war für mich Anna Polke. Wir haben
Gespräche über ihren Vater geführt und sie hat mir Material aus der von ihr ge-
gründeten Anna-Polke-Stiftung zur Verfügung gestellt, darunter auch Sachen,
die nicht öffentlich zugänglich sind, ein Film zum Beispiel, der Polke bei seiner
Arbeit im Atelier zeigt, beim Malen seiner berühmten Punkte.
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Was hat zu der Entscheidung geführt keine Art chronologischer Künstlerbio-
grafie über Sigmar Polke für die Bühne zu schreiben? Gab es im Prozess des
Recherchierens und Schreibens überhaupt mal so eine oder eine ähnliche
Überlegung?

Eine Künstlerbiografie im klassischen Sinn war eigentlich nie ein Thema für
mich. Natürlich gibt es Aufregendes im Leben von Polke, aber keine so richtig
dramatische Fallhöhe, nicht einmal ein Ohr hat er sich abgeschnitten, wie es im
Stück einmal heisst. Jemand anderes hätte das vom biografischen Ansatz nicht
abgehalten, mir schien es interessanter, anhand des Beispiels von Polke auch
allgemeine Fragen zur Kunst zu stellen, inwiefern sie sich von Theater unter-
scheidet zum Beispiel, aber auch nach ihren Ausdrucksformen zu fragen und
ihrem Ort in der Gesellschaft und im Weltall, aus dem ja jederzeit Ausserirdische
auftauchen können, die dann vielleicht Lust haben, sich im Museum Bilder an-
zuschauen.

Der Stücktitel hat uns gleich so gut gefallen, dass er, variiert um ein Wort und
ein Satzzeichen, ein Satz für die Spielzeit geworden ist: WIR REDEN ÜBER
KUNST, DAS SIEHT MAN DOCH. Hat das Nachdenken und Schreiben über Polke
einen Einfluss auf Dein Denken über Kunst, Künstler:innen und ihre Werke oder
auch Dein künstlerisches Schaffen ausgeübt, womöglich Spuren hinterlassen?

Irgendwie sicher, auch wenn ich das jetzt nicht konkret benennen könnte. Für
mich war die Auseinandersetzung mit Polke ja auch so etwas wie eine Reise in
ein fremdes Land: da ist vieles spannend und anregend, aber es gibt nichts, was
ich direkt auf meine Arbeit beziehen muss. Ich muss auch nicht alles begreifen,
kann Dinge zur Seite schieben und anderes ins Zentrum rücken, wie es mir
gefällt. Das wäre natürlich anders gewesen, hätte ich mich mit einer Person aus-
einandergesetzt, die schreibt. Das hätte ich nicht mit der Leichtigkeit angehen
können, die bei Polke möglich war.

Hat Dich eines der Werke von Sigmar Polke besonders beeindruckt oder
überrascht? Oder sind es mehr die Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk
und die Eindrücke, die aus der Beschäftigung mit der Künstlerpersönlichkeit
Sigmar Polke entstehen können, die nachwirken.

Vielleicht war es weniger ein einzelnes Kunstwerk, das mich besonders beein-
druckt hat, als vielmehr die Fülle von Ausdrucksformen und Materialien, die mir
bei Polke begegnet sind. Polke, das sind eine ganze Reihe von Künstlern und
Kunstprogrammen in einer Person.

Also, so richtig festnageln lässt sich Polke auf nichts, oder?

Nein, lässt er sich nicht, weder auf ein Kreuz noch auf irgendwelche Dogmen.
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Aber man kann das Werk eines Künstlers
                              nicht auf drei Stichworte reduzieren.
                                           Natürlich kann man das.
                                                     Kann man nicht.
                                                     Kann man doch.
                                         Hut, Filz, Fett, wer ist das?
                                                               Beuys.
                                  Perücke, Monroe, Tomatensauce.
                                                              Warhol.
                                             Kornfeld, Krähen, Ohr.
                                                           Van Gogh.
                                                Spritz, spritz, spritz.
                                                              Pollock.
                                    Quadrate, Quadrate, Quadrate.
                                                           Mondrian.
                                              Na siehste, geht doch.
                                               Aber nicht bei Polke.
                                            Warum nicht bei Polke?
                                 Was ist bei Polke denn so anders?

                                                                  Gerhard Meister

Vivienne Causemann, Sebastian Schulze, Nico Raschner, Luzian Hirzel, Johanna Köster, Jürgen Sarkiss
WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT MAN DOCH! - Gerhard Meister | Uraufführung
Ralph Blase
Mit Gerhard Meisters Text durch das
Schaffen von Sigmar Polke

Der Text WIR REDEN ÜBER POLKE,                          Als Zuschauende sind wir eingeladen
DAS SIEHT MAN DOCH! schlängelt                          uns ebenfalls mit diesem Polke-Er-
und windet sich durch seine Themen-                     fahrungsraum verbinden zu lassen.
felder und Betrachtungsgegenstände.                     So können wir an diesem Reden über
Er bietet dabei viele Einblicke und                     Sigmar Polke teilhaben, indem wir
Aussichten, paart Leichtigkeit mit                      uns zum Nachdenken anregen lassen,
präzisen Beobachtungen und Dar-                         in die Aspekte des Werkes eintauchen
stellungen.                                             und erfahren, was diese Künstler-
                                                        persönlichkeit über fünf Jahrzehnte
WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT                         ihres Schaffens alles unternommen
MAN DOCH! von Gerhard Meister                           und als Werk hinterlassen hat.
verflechtet sich mit dem Werk Sigmar
Polkes, verweilt bei vielen Aspekten,
durchleuchtet sie. Geschickt verbin-
det Gerhard Meister Beschreibungen
von Fakten mit Phantasie und auch
Phantastischem, stellt Assoziationen
her, die sich nie im Willkürlichen ver-
lieren. So wird mittels des Textes ein
Polke-Erfahrungsraum entworfen, der
auf der Bühne des Vorarlberger Lan-
destheaters in seiner Inszenierung
von Bérénice Hebenstreit und in der
Bühne von Mira König erstmalig zu
sehen ist. Dazu liefert die Live-Musik
von Gilbert Handler einen akusti-
schen Raum. Alles wird belebt und
bespielt von den Schauspielerinnen
und Schauspielern, die sich in diesen
Räumlichkeiten bewegen und über
Polke reden.

Sebastian Schulze, Johanna Köster, Vivienne Causemann
Die ständige Suche, nach einer Er-
zählweise, die ihrem Beschreibungs-
gegenstand gerecht wird, bringt Ger-
hard Meister gleich mit dem ersten
Satz, der ersten Frage seines Textes
ins Spiel: „Aber müssen wir gleich
beim Urknall anfangen?“

Der Text begegnet einer außerordent-
lichen Komplexität und Vielfältigkeit,
die dem Werk von Sigmar Polke inne-
wohnt, seiner Opulenz, die eigentlich
viel zu reichhaltig ist, um es in zwei
Theaterstunden vollständig zu erfas-
sen. Gerhard Meister begegnet die-
sem ‚Problem‘, indem er es in seinen
Text einschreibt. Auch behauptet der
Text nie, er würde eine endgültige,
zusammenfassende Rückschau auf
Sigmar Polke und sein Werk liefern.

Gegen Ende des Textes, kommt der
Aspekt der Vielfalt des Werkes aber-     über jeden einzelnen dieser Punkte
mals ins Spiel. Plötzlich tauchen die    gebeugt. Verdammt nochmal, wir
‚Punkte‘ im Text auf, die zu einer       haben über Polke geredet, aber nicht
Technik gehören, mit der Sigmar          über die Punkte, die er ein Leben lang
Polke viele Bilder gemalt hat – „Schon   gemalt hat … Und schon hält eine
ganz am Anfang seiner Karriere hat       der Figuren diese Punkte für einen
er das getan und bis zum Schluss         Schlüssel zu Polkes Werk.“ Es wird
nicht mehr damit aufgehört. Auch         befürchtet, etwas fundamentales
als weltberühmter Künstler hat er        nicht beachtet zu haben: „Einen
sich mit seinem Pinsel noch immer        Schlüssel zu Polkes Werk, das hätten

                                                                    Sebastian Schulze
wir mit diesen Punkten gehabt. Da                                Der Text zieht auch daraus eine
vor unseren Füssen, da ist dieser                                Stärke. Denn zum Schluss führt der
Schlüssel gelegen. Wir hätten ihn nur                            Text vor, wie die Beschäftigung mit
aufheben müssen.“                                                Sigmar Polke und seinem Werk ein
                                                                 Beschreibungs-Perpetuum-Mobile an-
Sigmar Polke und sein Werk entzie-                               treiben kann, das sich unerschöpflich
hen sich also einer allumfassenden                               immer wieder aus sich selbst heraus
Beschreibung, weil sich immer wieder                             fortschreiben ließe.
neue Aspekte entdecken lassen. Ein
abschließendes Fazit wird verweigert,                            Selbst wenn dann doch irgendwann
ein weiterer Verweis auf die Komple-                             der Werkkatalog erschöpft wäre, wä-
xität von Sigmar Polkes Werk.                                    ren noch nicht die Bezüge erschöpft,

Luzian Hirzel, Vivienne Causemann, Johanna Köster, Jürgen Sarkiss, Gilbert Handler
die sich aus dem Werk heraus herstel-     Der Text redet mit ernster Heiterkeit
len lassen, da es eng verknüpft ist mit   von seinen Betrachtungsgegenstän-
Kontexten – historischen, politischen,    den, berichtet von seiner Suche mit
gesellschaftlichen, kunsthistorischen     einer nicht zu überhörende Eindring-
etc.                                      lichkeit.

Der Text geht nicht den Weg der Ver-
einnahmung seines Gegenstandes,
drängt sich nicht mit einer Introspek-
tion und der Behauptung auf, Sigmar
Polke mit seinem Werk vor unseren
Augen gänzlich aufzublättern.
Gerhard Meisters Vorgehensweise
ist eher spielerisch beschreibend,
als voyeuristisch aufdeckend oder
entlarvend und wirkt daher viel
subtiler. Er enthält sich penetranten
Zuschreibungen und nimmt sich mit
diesen Eigenschaften wohltuend
anachronistisch aus, denken wir an
heutiges Infotainment und heutige
Personality-Geilheit.

                                              Sebastian Schulze, Vivienne Causemann, Nico Raschner
Nicht zu fassen I + II

(Nicht zu fassen I) In Anbetracht des überbordenden und großen Werkes von Sig-
mar Polke scheint es unmöglich, Sigmar Polke und sein Werk in einem Aufsatz
umfassend zu beschreiben. Vorworte zu Ausstellungskatalogen, Berichte oder
Beilagen in Zeitungen widerlegen diese Annahme nur scheinbar. Das Dilemma,
etwas in wenigen, übersichtlichen Worten erklärt bekommen zu wollen, was
sich allerdings nur schwer in wenigen, übersichtlichen Worten gänzlich fassen
lässt, verrät etwas über unser Bedürfnis, einen Überblick zu erhalten; leider
oft lediglich, um es in der gepflegten Konversation zu reproduzieren oder für
Prüfungszwecke zu verwenden. Es stellt sich die Frage, ob diese Eingemeindung
in den eigenen Horizont bei der Auseinandersetzung mit Kunstwerken und
Künstler:innen überhaupt wünschenswert ist, sich eigentlich sogar verbietet.
Denn die eigentliche Dimension von Kunst liegt darin, Wahrnehmungsgrenzen zu
überschreiten, neue Gedankenräume zu betreten, Denkweisen in Frage zu stellen
etc.

(Nicht zu fassen II) Bei der Beschäftigung mit Sigmar Polke und seinem Werk
fällt auf, dass immer wieder davon berichtet wird, der Künstler sei oft nicht zu
erreichen gewesen. Zutreffend scheint sogar, dass er sich zurückzog, rarmachte,
als Person flüchtig war.
Der Graphiker und Verleger Klaus Staeck, den seine über vierzig Jahre währende
enge Zusammenarbeit mit Sigmar Polke verbindet, sagt im Jahr 2011 in einem
Interview über Sigmar Polke „Wir alle hatten große Mühe, ihn zu erreichen ...
In meinem Archiv habe ich über 100 Faxe gefunden. Alles Versuche, ihn zu er-
reichen. Mein Bitten, Drängen und vorsichtiges Drohen war allerdings meist ver-
geblich.“ Von nicht wie geplant stattfindenden, aufgeschobenen Verabredungen
erzählt Klaus Staek auch in einem Interview mit Burkhard Müller-Ullrich, das
dieser aus Anlass des Todes von Sigmar Polke 2010 für Deutschlandradio führte.

Müller-Ullrich: … Sie sagten, er lebte zurückgezogen, das ist noch ein Euphemis-
mus. Er war biestig gegenüber sogar seinen Förderern. Er hat Leute draußen
vor der Tür stehen lassen, er hat Briefe nicht beantwortet. Wenn man mal an ihn
rankam, war er dann anders?
Staeck: Er war ganz einfach freundlich. Ich habe einmal erlebt, dass auch ich
vor der Tür stehen musste, dann kam aber später ein Anruf, er konnte gerade
nicht, oder es war ein Zettel ein anderes Mal an der Tür, musste nun doch
woanders hin, also das passierte, aber das wusste man. Also es hat Leute ge-
geben, die aus Amerika sich mit ihm verabredet hatten und auch einen Zettel
an der Tür fanden nach dem Motto: Tut mir leid, heute ging es nicht.

In seinem Band „Rasterfahndung“, den Klaus Staeck im Jahr nach dem Tod
von Sigmar Polke veröffentlichte, gibt er Einblicke in die oben erwähnten
Zettel und Faxe, indem er einige von ihnen ganzseitig abbildet und so für sich
sprechen lässt.

       Johanna Köster, Gilbert Handler, Jürgen Sarkiss, Luzian Hirzel, Sebastian Schulze, Vivienne Causemann, Nico Raschner
Lieber Klaus!
Ich bin gegen 3.00
wieder da
laufe nicht
weg, wenn es etwas
später ist (wird)
Salü Sigmar
[23.10.95]

oder

DIENSTAG
14.12.99
Lieber Sigmar
Neue RUNDE
Neues GLÜCK?
Geht es heute (DIENSTAG) O
morgen (MITTWOCH) O
übermorgen (DONNERSTAG) O

Nächste Woche?
Zwischen den Jahren?

Gib den Reihern Futter!

Herzlich
Klaus

Mit roter Tinte hat Polke die Passage „heute (DIENSTAG) O morgen (MITT-
WOCH) O“ durchgestrichen, vor die Zeilen „Nächste Woche?“ und „Zwischen
den Jahren?“ je einen Pfeil gemacht, unter die FUTTER-Zeile notiert: „Gib dem
Beuys die Butter!“
Am Ostermontag, 24. April 2000 beantwortet Polke ein Fax von Staeck, mit
dem dieser ihm die „FREUNDLICHE ERINNERUNG“ zukommen lässt, dass sie
für Mittwoch, den 26. April, 15 Uhr verabredet seien, indem er das Fax in Gänze
mit einem großen Kreuz durchkreuzt, den Termin zusätzlich durchstreicht und
den rechten Rand entlang ergänzt: „Lieber Klaus, bitte noch nicht kommen,
bin verhindert!!!“ Am linken Rand entlang schlägt Polke einen neuen Termin
vor: „Geht erst ab 8. Mai“. Das daneben abgedruckte Fax von Staeck mit
seiner Anfrage bezüglich der Verabredung für den von Polke in Aussicht ge-
stellten 8. Mai, nebst Uhrzeit, beantwortet Polke positiv, teilt dann aber wenige
Tage später mit einer Notiz mit:

5.5.2000
Lieber Klaus!
       Staeck
Ich muss leider
Nach Frankreich für
14 Tage so etwa.
Am 8. Mai läuft nix.
Junge kommt bald
      wieder
Freundschaft!
Sigmar

Dieses als Einblick, was gemeint sein kann, wenn von der Unerreichbarkeit von
Sigmar Polke als Person die Rede ist.

Ralph Blase
Hinweise zu Inspirationsquellen für Kostüm und Maske für
Johanna Köster, Gilbert Handler, Jürgen Sarkiss   die Höheren Wesen finden Sie am Ende dieses Programmheftes.
Novalis, 1799

… je mehr sich die Geschichte der eu-   die, vom Strom des Zufalls getrieben
ropäischen Menschheit dem Zeitraum      und auf ihm schwimmend, eine Mühle
der triumphierenden Gelehrsamkeit       an sich, ohne Baumeister und Müller,
näherte, und Wissen und Glauben in      und eigentlich ein echtes Perpetuum
eine entschiedene Opposition traten,    mobile, eine sich selbst mahlende
suchte man im Glauben den Grund         Mühle sei.
der allgemeinen Stockung, und durch     Ein Enthusiasmus ward großmütig
das durchdringende Wissen hoffte        dem armen Menschengeschlechte
man sie zu heben. Überall litt der      übriggelassen und als Prüfstein der
heilige Sinn unter den mannigfachen     höchsten Bildung jedem Aktionär
Verfolgungen seiner bisherigen Art,     derselben unentbehrlich gemacht –
seiner zeitigen Personalität. Das       der Enthusiasmus für diese herrliche,
Resultat der modernen Denkungsart       großartige Philosophie und ins-
nannte man Philosophie und rechnete     besondere für ihre Priester und ihre
alles dazu, was dem Alten entgegen      Mystagogen.
war, vorzüglich also jeden Einfall      Frankreich war so glücklich, der
gegen die Religion. Der anfängliche     Schoß und der Sitz dieses neuen
Personalhass gegen den katholischen     Glaubens zu werden, der aus lauter
Glauben ging allmählich in Hass ge-     Wissen zusammengeklebt war. So
gen die Bibel, gegen den christlichen   verschrien die Poesie in dieser neuen
Glauben und endlich gar gegen die       Kirche war, so gab es doch einige
Religion über. Noch mehr – der Reli-    Poeten darunter, die des Effekts
gionshass dehnte sich sehr natürlich    wegen noch des alten Schmucks und
und folgerecht auf alle Gegenstände     der alten Lichter sich bedienten, aber
des Enthusiasmus aus, verketzerte       dabei in Gefahr kamen, das neue
Phantasie und Gefühl, Sittlichkeit      Weltsystem mit altem Feuer zu ent-
und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit,    zünden. Klügere Mitglieder wussten
setzte den Menschen in der Reihe        jedoch die schon warmgewordenen
der Naturwesen mit Not oben an und      Zuhörer sogleich wieder mit kaltem
machte die unendliche schöpferische     Wasser zu begießen. Die Mitglieder
Musik des Weltalls zum einförmigen      waren rastlos beschäftigt, die Natur,
Klappern einer ungeheuren Mühle,        den Erdboden, die menschlichen
Seelen und die Wissenschaften von        sollte. Das gemeine Volk wurde
der Poesie zu säubern, jede Spur         recht mit Vorliebe aufgeklärt und
des Heiligen zu vertilgen, das An-       zu jenem gebildeten Enthusiasmus
denken an alle erhebenden Vorfälle       erzogen, und so entstand eine neue
und Menschen durch Sarkasmen zu          europäische Zunft: die Philanthropen
verleiden und die Welt alles bunten      und Aufklärer. Schade, dass die Natur
Schmucks zu entkleiden. Das Licht        so wunderbar und unbegreiflich, so
war wegen seines mathematischen          poetisch und unendlich blieb, allen
Gehorsams und seiner Frechheit ihr       Bemühungen, sie zu modernisieren,
Liebling geworden. Sie freuten sich,     zum Trotz. Duckte sich ja irgendwo
dass es sich eher zerbrechen ließ, als   ein alter Aberglaube an eine höhere
dass es mit Farben gespielt hätte, und   Welt und sonst auf, so wurde sogleich
so benannten sie nach ihm ihr großes     von allen Seiten Lärm geblasen, und
Geschäft „Aufklärung“. In Deutsch-       womöglich der gefährliche Funke
land betrieb man dieses Geschäft         durch Philosophie und Witz in der
gründlicher, man reformierte das Er-     Asche erstickt. Dennoch war Toleranz
ziehungswesen, man suchte der alten      das Losungswort der Gebildeten
Religion einen neueren vernünftigen,     und besonders in Frankreich gleich-
gemeinern Sinn zu geben, indem           bedeutend mit Philosophie. Höchst
man alles Wunderbare und Geheim-         merkwürdig ist diese Geschichte
nisvolle sorgfältig von ihr abwusch;     des modernen Unglaubens und der
alle Gelehrsamkeit ward aufgeboten,      Schlüssel zu allen ungeheuren Phäno-
um die Zuflucht der Geschichte abzu-     menen der neueren Zeit.
schneiden, indem man die Geschichte
zu einem häuslichen und bürgerlichen
Sitten- und Familien-Gemälde zu
veredeln sich bemühte. Gott wurde
zum müßigen Zuschauer des großen
rührenden Schauspiels, das die Ge-
lehrten aufführten, gemacht, welcher
am Ende die Dichter und Spieler
feierlich bewirten und bewundern
Vivienne Causemann, Nico Raschner, Sebatian Schulze
Alchemie Magie Kosmos Mittelalter
Ein Glossar

Schon das Anführen weniger Quellen und Bezüge verweist auf die Komplexi-
tät von Sigmar Polkes Schaffen und Werk und lassen dessen tiefgehenden
Beschäftigungen hinter dem sichtbaren Werk erahnen. Der folgende Glossar
behauptet dabei keine Vollständigkeit gegenüber dem Text WIR REDEN ÜBER
POLKE, DAS SIEHT MAN DOCH!, schon gar nicht gegenüber dem Werk und
Schaffen Sigmar Polkes.

Achat ist eine Varietät des Minerals        Isaak Abraham wird von Gott aufge-
Quarz, die ausschließlich mikrokristalli-   fordert, seinen Sohn Isaak zu Opfern.
ne Mineral-Aggregate in Form von            Ein Engel verhindert die Tötung Isaaks.
Drusen und Mandeln bildet.                  Stattdessen wird ein Widder geopfert.
                                            Sigmar Polke verarbeitet diese
Farbpigmente Farbgebende Substan-           Geschichte in einem der Fenster des
zen. Im Gegensatz zu Farbstoffen sind       Grossmünsters in Zürich.
sie im Anwendungsmedium praktisch
unlöslich und liegen dort als Feststoff-    Punkteraster und Rasterpunkte
Teilchen vor. Das Anwendungsmedium          kommen bei Drucktechniken wie
umschließt die Pigmente im Regelfall        Siebdruck und Offsetdruck zur Anwen-
an allen Seiten. Verwendet werden           dung. Das Bild setzt sich aus Punkten
meist Bindemittel wie Öle, Wachse           zusammen, die durch ihre Größen
oder Kunststoffe.                           helle und dunkle Stellen des Drucks
                                            bestimmen.
Mönch 1382 vollendete John Wyclif,          Sigmar Polke setzt dieses Prinzip
der 1415 postum als Ketzer verurteilt       während seiner gesamten Laufbahn
wurde, mit seinen Übersetzungs-             malerisch um und schafft Variationen.
kollegen seine früher begonnene
Bibelübersetzung aus der Vulgata ins
Englische. Sie wurde die erste maß-
gebliche Übersetzung in England nach
dem Frühmittelalter.
Schweinfurter Grün ist ein auffällig     Meteorstaub Extraterrestrisches
grün leuchtendes und lichtbeständiges    Material. Meteroide befinden sich auf
Arsenpigment. Es wurde 1805 erst-        festen Umlaufbahnen in unserem
mals hergestellt. Eine kleine Pigment-   Sonnensystem. Tritt einer in die Erdat-
körnung führt zu einem helleren Grün.    mosphäre ein, wird er Meteor genannt
Durch Säuren, Alkalien und Schwefel-     und es tritt eine Leuchterscheinung
wasserstoff wird das Pigment zersetzt.   auf. Liegt der Körper dann auf der
Schweinfurtergrün wirkt akut toxisch     Erdoberfläche heißt er Meteorit.
beim Einatmen und Verschlucken. Die
große Gefahr geht von einer Zerset-      Kartoffel ein auch in Deutschland
zung aus, wenn sich organische Arsen-    zentrales Nahrungsmittel. Obwohl
verbindungen oder Arsenwasserstoff       es dort erst Ende des achtzehnten
bilden. Die Vergiftungssymptome ent-     Jahrhunderts auf Betreiben des
sprechen dann denen von Arsen. Seit      Arztes und Landwirtschaftsreformers
1882 ist es in Deutschland verboten.     Albrecht Thaer eingeführt wurde,
                                         um der Unterernährung weiter Teile
Purpurschnecken Aus einem Schleim        der Bevölkerung entgegenzuwirken,
aus einer Drüse an der Atemhöhlen-       wird „deutsch“ und „Kartoffel“ häufig
wand der Schnecke wird ein gelbes        miteinander in Verbindung gebracht.
Sekret gewonnen. Um ein Gramm des        Auch während Polkes Kindheit spielt
Farbstoffs zu gewinnen bedarf es rund    die Kartoffel eine große Rolle in Er-
8000 Schnecken.                          nährungsfragen, sowohl während
                                         des Nationalsozialismus, wie auch in
Thermo- und Hydrosensible Farben         der Nachkriegszeit. Vor seinem Text
reagieren auf klimatische Bedingun-      WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT
gen mit Farbveränderung, wie ein von     MAN DOCH! bemerkt Gerhard Meister
Polke im Deuschen Pavillion auf der      u.a.: „Was die Bühne angeht, da hatte
Biennale von Venedig 1986 verwende-      ich zuweilen eine ums Mehrfache
tes Kobaldchlorid.                       vergrösserte Kopie von Polkes Kartof-
                                         felmaschine vor dem inneren Auge,
                                         die sich als Turngerät und Karussell
                                         gebrauchen lässt.“
Polke schuf 1967 sein „Kartoffelhaus“,   Hermes Trismegistos Dem wichtigsten
ein bemaltes Hausgerüst mit Kar-         Patron der Alchemisten wird eine
toffeln und 1969 die oben erwähnte       göttliche Gestalt zugeordnet, die
Kartoffelmaschine: „Apparat mit dem      Lüge, Subversivität und Tiefsinnigkeit
eine Kartoffel eine andere umkreisen     verbindet. Obwohl eine imaginäre
kann“ – Holzgestell, batteriebetriebe-   Gestalt, werden ihm Urheberschaften
ner Elektromotor, zwei Austauschbare     zentraler Schriften der Alchemie zu-
Kartoffeln.                              geordnet. Die Alchemie wurde mit der
                                         sog. Aufklärung und dem damit ver-
Wirtschaftswunder ist ein für die        bundenen Wissenschaftsverständnis
Epoche der Nachkriegszeit geprägtes      zurückgedrängt, diskreditiert, so dass
Schlagwort, das den wiedererlangten      sie sich auf den Status einer Geheim-
Wohlstand in Deutschland nach der        wissenschaft zurückzog.
Katastrophe des 1945 geendeten
Nationalsozialismus und Krieges          Risus sardonicus Sardonisches
bezeichnet; steht gleichzeitig für       Lachen – hämisch wirkendes Lachen.
das Bedürfnis, die Verbrechen des        Tritt auch als pathologisches Symptom
Nationalsozialismus zu vergessen.        auf, wenn es zu einer krankhaften
Dieser verlogene Versuch, mittels        Kontradiktion der Gesichtsmuskulatur
dieses Common sense, sich von der        kommt; kann z. B. durch Wundstarr-
Vergangenheit zu distanzieren, wurde     krampf oder Vergiftung durch Strych-
von Sigmar Polke kritisch gesehen        nin hervorgerufen werden.
und fand immer wieder Resonanzen in
seinem Werk.                             Autopoiesis bedeutet die Hervorbrin-
                                         gung von etwas als Werk seiner selbst
Aldebaran (αTauri) ist ein Stern im      (Selbstherstellung), die Produktion
Sternbild Stier.                         eines lebenden Systems aus dem
                                         Netzwerk der Elemente, aus denen es
                                         besteht.
Uluru, auch Ayers Rock genannt, ist         Malachit auch als Kupferspat sowie
ein gewaltiger Sandsteinmonolith in-        Berg- oder Kupfergrün oder schlicht
mitten des trockenen „Red Centre“ im        Grünspan bekannt, ist ein häufig vor-
australischen Bundesstaat Northern          kommendes Mineral aus der Mineral-
Territory. Den australischen Ureinwoh-      klasse der „Carbonate und Nitrate“.
nern gilt der Uluru als heilig. Schätzun-   Er ist damit chemisch gesehen ein
gen zufolge entstand der Felsriese vor      basisches Kupfercarbonat.
rund 550 Millionen Jahren. Er liegt im
Uluru-Kata-Tjuta-Nationalpark, in dem       Lapislazuli ist ein lichtechtes, sulfidhal-
sich auch die 36 roten Felskuppeln der      tiges Aluminiumsilikat. Dieses Pigment
Kata-Tjuta-Formation (genannt „The          findet seit dem Altertum Verwendung,
Olgas“) befinden.                           z. B. auf sumerischen Mosaiken aus Ur
                                            (liegt im heutigen Irak), die auf 3000
Azurit Dieses blaue Mineral entsteht        v. Chr. datiert werden. Bevor 1830
durch Verwitterung von Kupfersulfiden       Ultramarinblau künstlich hergestellt
und ist ein basisches Kupferkarbonat.       wurde, bildete Lapislazuli seine Basis.
Das aus Azurit gewonnene Pigment
ist im Vergleich zum Lapislazuli eher       Chrom ist ein chemisches Element.
grünlich. Azurit ist seit dem Mittelalter   Es zählt zu den Übergangsmetallen,
das wichtigste Blaupigment in Europa,       im Periodensystem steht es in der 6.
verändert sich unter Einfluss von           Nebengruppe oder Chromgruppe. Die
Schwefelwasserstoff ins schwärzliche        Verbindungen von Chrom haben viele
und durch Abgabe von Wasser- und            verschiedene Farben und werden oft
Kohlenstoffdioxid ins grünliche; wird       als Pigmente in Farben und Lacken
dabei zu Malachit. Seit Beginn des 18.      verwendet.
Jahrhunderts führte die Herstellung
von Preußisch Blau und später Ultra-
marinblau zu einer immer weniger
werdenden Verwendung von Azurit.
Mangan Ein Pigment, das aus dem           Auripigment Giftiges, goldgelbes
Mineral Pyrolusit gewonnen wird und       Mineral, mit dem sich ein leuchtendes
Managanschwarz genannt wird. Durch        Gelb erzeugen lässt. Auch ein synthe-
häufige Verunreinigung durch Eisen-       tisches Auripigment, dass schon im 15.
oxide entsteht ein sehr dunkler Grau-     Jahrhundert hergestellt wurde, gilt als
ton. Manganhaltige Schwarzpigmente        giftig, giftiger als das aus dem Mineral
wurden bereits in der Höhlenmalerei       gewonnene Pigment.
benutzt.
                                          Realgar, auch Rauschrot genannt, ist
Eisenoxide In die Urmeere einschla-       ein Arsensulfid von rötlicher Farbe.
gende Meteoriten reicherten diese         Sein arabischer Name „rahl el ghar“
mit Eisensalzen (Eisenchlorid) an und     lässt sich mit „Pulver der Mine“ über-
lagerten sich dann im Boden ab. Seit      setzen, bedeutet aber auch „Tod-den-
der Höhlenmalerei werden Eisenoxide       Ratten“.
als Pigmente verwendet und sind bis
heute wegen ihrer Lichtbeständigkeit      Bleiweiß, auch Bleihydroxidkarbonat
wichtige Bestandteile für Gelb- und       genannt, ist ein basisches Bleicarbo-
Rotpigmente, auch für Lebensmittel-       nat, ein bedeutendes Weißpigment
farben.                                   seit dem Altertum. Bleiweiß ist lichtbe-
                                          ständig, hat eine sehr hohe Deckkraft.
Zinnober Als Pigment bereits in Euro-     Mit ihm kann auch, je nach verwende-
pa in der Antike bekannt, seit über       tem Bindemittel, ein sehr hoher Glanz
3000 Jahren schon in China. Wich-         erzeugt werden. Es ist seit der Antike
tiges Erz für Quecksilbergewinnung.       bekannt, dass es giftig ist. Denn es ent-
War auch unter Alchemisten bekannt,       hält Blei-Ionen.
die sich intensiv mit seiner Wandlungs-
fähigkeit beschäftigten, z. B. durch
Erhitzen elementares Quecksilber
herausdestillierten.
Kunstharzlacke werden als Grundie-           Turmalin Die Edelsteine der Tur-
rungen auf Malgründe aufgetragen,            malin-Gruppe existieren in den
z. B. auf Polyestergewebe. Wird das          unterschiedlichsten Farben, mehr als
Gewebe beidseitig behandelt, wird            fünfzig verschiedenen Farbnuancen
es transparent. Das orangefarbene            – angefangen bei farblos über rosa,
Pigment Mennige wird schon seit der          rot, gelb, braun, grün, blau bis hin
Antike aus Bleimonoxid gewonnen.             zu schwarz. Turmaline gehören zur
                                             Gruppe von Mineralen der Silikate.
Konche Wortbedeutung „Muschel“,              Aufgrund des Farbenreichtums des
in der Architektur eine halbrunde            Edelsteins Turmalin gilt er als Stein
Einbuchtung oder Nische. In der Kir-         des Regenbogens, zu dem zahlreiche
chenarchitektur auch Apsis genannt.          mystische Legenden existieren. Der
Im Ausstellungsraum bei der Biennale         Turmalin hat oftmals die faszinierende
in Venedig fand Sigmar Polke eine            Eigenart in verschiedenen Farben zu
Konche vor, die er mit Farbe ausmalte,       schimmern – je nachdem wie das Licht
die auf das Raumklima reagierte, sich        auf ihn fällt. Dieses Schimmern wird
rosa und eisblau verfärbte.                  Pleochroismus genannt.

Tellurium Lateinischer Name für das          Flucht Marias aus Ägypten Nachdem
Element Tellur, von lat. tellus, die Erde.   die Sterndeuter fortgezogen waren,
Mit Tellurium werden auch Geräte be-         kam ein Engel des Herrn im Traum zu
zeichnet, mit denen die Bewegung von         Josef und befahl ihm: „Steh schnell
Erde und Mond demonstriert wird.             auf und flieh mit dem Kind und seiner
V. Causemann assoziiert als Abwand-          Mutter nach Ägypten! Bleibt so lange
lung eines Telluriums den Kartoffel-         dort, bis ich dir etwas anderes sage,
apparat Polkes.                              denn Herodes lässt das Kind suchen
                                             und will es umbringen.“ Da brach
Asteroiden(gürtel) Zwergplaneten             Josef noch in der Nacht mit Maria und
zwischen Mars und Jupiter, Brocken,          dem Kind nach Ägypten auf.
die durchaus auch kartoffelförmig sein       (Matthäus 2_13 – 16)
können.
Ausstellungen – Preise – Lebensdaten

1941 Geboren am 13. Februar in Oels / Schlesien (Ostdeutschland, heute Polen).
1945 Flucht nach Thüringen.
1953 Übersiedlung über Berlin-West nach Düsseldorf.
1959 – 1960 Glasmalerlehre in Düsseldorf-Kaiserswerth.
1961 – 1967 Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf.
1963 Erste öffentliche Ausstellung in Düsseldorf.
1966 Kunstpreis der deutschen Jugend, Baden Baden
(mit Klaus Geldmacher und Dieter Krieg).
Erste Einzelausstellung, Galerie René Block, Berlin.
1970 – 1971 Gastprofessur an der Hochschule für Bildende Künste, Hamburg.
1972 Übersiedlung in den Gaspelshof in Willich/Niederrhein.
Teilnahme an der Dokumenta V, Kassel.
1974 Reise nach Pakistan und Afghanistan.
1975 Preis der Stadt São Paulo aus Anlass der XIII. Bienale São Paulo.
1976 Große Wanderausstellung in der Kunsthalle Tübingen (danach Städtische
Kunsthalle, Düsseldorf und Stedelijk Abbemuseum, Eindhoven).
1977 Teilnahme an der Dokumenta VI, Kassel.
1978 Übersiedlung nach Köln.
1982 Will-Grohmann-Preis, Akademie der Künste, Berlin.
Teilnahme an der Dokumenta VI, Kassel.
1984 Kurt-Schwitters-Preis der Stadt Hannover.
Erste große Einzelausstellung in der Schweiz im Kunsthaus Zürich (danach
Kunsthalle Köln)
1986 Großer Preis für Malerei (Goldener Löwe) XLII. Biennale di Venezia, Venedig
1987 Lichtwark-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg.
1988 Internationaler Kunstpreis des Landes Baden-Württemberg.
1990 Monografische Wanderausstellung in San Francisco Museum of Modern
Art (danach Hirshhorn Museum und Sculpture Garden Smithsonian Institution,
Washington/D.C.; Museum of Contemporary Art Chicago; Brooklyn Museum,
New York).
Große Retrospektive der Fotografie in der Kunsthalle Baden-Baden.
1993 Lovis-Corinth-Preis, Regensburg.
1994 Premium Erasmianum, Amsterdam.
1995 Carnegie International Prize, Pittsburgh, Pennsylvania.
Große Wanderretrospektive der Fotografien, The Museum of Contemporary Art
(MOCA), Los Angeles (danach Site Santa Fe; Corcoran Gallery of Art, Washing-
ton/D.C.
1996 Kunstpreis der NORD/LB (Norddeutsche Landesbank).
1997 Große Wanderretrospektive in der Ausstellungshalle der Bundesrepublik
Deutschland, Bonn (danach Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Museum
für Gegenwart, Berlin).
1998 Art Award der 14th Anual Infinity Awards des International Center of Pho-
tography, New York für die Verwendung von Fotografie und anderen Medien.
1999 Überblicksausstellung der Arbeiten auf Papier 1963 – 1972 im Museum of
Modern Art, New York und in der Hamburger Kunsthalle.
2000 Kaiserring der Stadt Goslar
Ausstellung im Museum für neue Kunst, ZKM Karlsruhe.
2000 – 2001 Wanderausstellung der gesamten Edition im Württembergischen
Kunstverein Stuttgart (danach Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik
Deutschland, Bonn; Kunsthaus Zürich)
2001 Rhenus Kunstpreis des Mönchengladbacher Unternehmers Rhenus Lub.
2002 Praemium Imperiale der Japan Art Association.
2003 – 2004 Große Wanderausstellung mit Malerei und Zeichnungen 1998 –
2003 im Dallas Museum of Art (danach Tate Modern, London)
2007 – 2008 Sigmar Polke. Original und Fälschung, Kunsthalle Tübingen.
2009 – 2010 Sigmar Polke. Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen.
Die 1970er Jahre, Hamburg Kunsthalle
2010 Sigmar Polke stirbt am 10. Juni in Köln.
2011 Sigmar Polke – Eine Hommage. Bilanz einer Künstlerfreundschaft Polke/
Staeck, Akademie der Künster, Pariser Platz, Berlin.
2014 – 2015 Retrospektive Alibis: Sigmar Polke 1963 – 2010, Museum of Modern
Art, New York; Tate Modern, London; Museum Ludwig, Köln.

                Johanna Köster, Vivienne Causemann, Luzian Hirzel, Sebastian Schulze, Nico Raschner, Gilbert Handler
Literaturnachweis

Alchemist und Ironiker / Klaus Staeck im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich,
deutschlandradio 2010.
Curiger, Böhme, Seegers (Hg.): Sigmar Polke Werke & Tage. Köln 2005.
Klaus Staeck über seine Freundschaft mit Sigmar Polke, adk.de 2011.
Novalis: Die Christenheit oder Europa, Ein Fragment. 1799. Nach: projekt-guten-
berg.org

Für die Zusammenstellung des Glossars benutzte Quellen: kunstforum.de; rene-
sim.com; seilnacht.com; wikipedia.org und Curiger, Böhme, Seegers (Hg.): a. a. O.

Die Texte „Zum Einstieg“, „Mit Gerhard Meister durch das Schaffen von Sigmar
Polke“, das „Interview mit dem Autor Gerhard Meister / Nach dem Polken“ und
"Nicht zu fassen I + II" sind als Originalbeiträge für dieses Programmheft ent-
standen.

Für die Stückzitate
Gerhard Meister WIR REDEN ÜBER POLKE, DAS SIEHT MAN DOCH!, Auftrags-
werk für das Vorarlberger Landestheater Uraufführung 06.11.2021, S. Fischer
Verlag, Frankfurt am Main 2021.

Kostüm und Maske für Höhere Wesen sind inspiriert von (im Bild v. l.)

Remedios Varo: Creación de las Aves (Erschaffung der Vögel), 1958

Leonora Carrington: Bird Superior, Portrait of Max Ernst, 1939

Leonora Carrington: Portrait of the late Ms. Partridge, 1947
Luzian Hirzel, Nico Raschner, Vivienne Causemann
Sie haben immer noch
kein Bild von Polke?
Aber was haben Sie da
jetzt in Ihrem Kopf?

                                                                Impressum
                Vorarlberger Landestheater · Seestraße 2 · 6900 Bregenz
                          info@landestheater.org · www.landestheater.org
                                            Intendantin · Stephanie Gräve
                                         Geschäftsführer · Werner Döring
                         Redaktion · Ralph Blase · Fotografie · Anja Köhler
                                          Gestaltung · Ellen Tiefenbacher

  landestheatervorarlberg
  vorarlbergerlandestheater           landestheater.org
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