Wissenschaftlerinnen-Rundbrief - Schwerpunkt: Gender und Diversity produktiv verbinden - Freie Universität Berlin
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Wissenschaftlerinnen- Rundbrief Nr. 1/2018 Schwerpunkt: Gender Queer und Diversity produktiv verbinden
Herausgeberin: Dr. Mechthild Koreuber, Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität Berlin Redaktion: Dr. Mechthild Koreuber, Dr. Corinna Tomberger, Michaela Volkmann Layout: Freie Universität Berlin, Universitätsbibliothek, Center für Digitale Systeme (CeDiS) Titelbild: Gösta Röver Auflage: 1.500 Druck: P & P Printmanagement Freie Universität Berlin Goßlerstr. 2–4 14195 Berlin Tel: 030 838-54259 frauenbeauftragte@fu-berlin.de www.fu-berlin.de/frauenbeauftragte Juli 2018 ISBN 978-3-929968-61-3
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, liebe Lesende, seit im Dezember 2017 bekannt wurde, dass Peter-André Alt für das Amt des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz kandidiert und nicht für eine zweite Amtszeit an der Freien Universität zur Verfügung steht, haben viele von Ihnen mit Spannung den Wechsel des Präsidiums verfolgt. Die ers- ten Entscheidungen sind inzwischen gefallen. Der erweiterte Akademische Senat wählte Anfang Mai Günter M. Ziegler, Mathematikprofessor an der Freien Universität, zum neuen Präsidenten; jüngst hat er sein Amt angetre- ten. Klaus Hoffmann-Holland, Professor für Rechtswissenschaft, bis dato in der Hochschulleitung für Studium und Lehre zuständig, wurde zum neuen Ersten Vizepräsidenten und damit zum Ständigen Vertreter des Präsidenten gewählt. Für die Ämter der drei weiteren Vizepräsident*innen kandidieren Verena Blechinger-Talcott, Professorin in der Japanologie, Beate Koksch, Biochemieprofessorin, und Klaus Mühlhahn, Professor in der Sinologie. Mit Klaus Hoffmann-Holland und der Kanzlerin Andrea Bör gewährleis- ten mindestens zwei Mitglieder der neuen Hochschulleitung eine personelle Kontinuität im Übergang vom alten zum neuen Präsidium. Zugleich dürfen Dr. Mechthild Koreuber wir neugierig auf Veränderungen sein. Günter M. Ziegler verwies in einem Foto: Michael Fahrig Presseinterview anlässlich seiner Wahl auf die „Vielfalt der Perspektiven“, von der die Freie Universität aufgrund ihres breiten Fächerspektrums profitiere. Er selbst komme „mit dem Blick eines Mathematikers und auch Naturwis- senschaftlers“ in das Amt. „Wir müssen uns international noch breiter auf- stellen“, so beschreibt der neue Präsident eine seiner vordringlichen Aufga- ben neben der erfolgreichen Bewerbung für die Exzellenzstrategie. Wie die Hochschule einer Vielfalt der Perspektiven – u. a. vor dem Hin- tergrund der zunehmenden Internationalisierung – gerecht werden kann, das ist eine zentrale Fragestellung unseres Schwerpunktthemas in diesem Rundbrief. Gender und Diversity produktiv verbinden – so lautet die Antwort aus Sicht der hochschulischen Gleichstellungspolitik. Wir berichten über das Vorhaben, ein Diversity-Konzept zu entwickeln, das die Freie Universität seit Ende 2016 verfolgt. Mit dem Ansatz der Goethe-Universität Frankfurt am Main stellen wir ein Good-Practice-Beispiel vor, das Gender Equality und Diversity Policies konsequent und erfolgreich verknüpft. Weitere Facetten des Schwerpunktthemas bilden etwa diversitätssensible Sprache und eine vertiefte Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen von Gen- der und Diversity (Management) an Hochschulen. Informationen über die neu gewählten Vertreterinnen im Gleichstellungs- bereich, die Mitglieder des Frauenrats sowie die dezentralen Frauenbeauftrag- ten, finden Sie in der Rubrik Gleichstellung. Rubrikenübergreifend beleuchtet der vorliegende Rundbrief Internationalisierung: ein internationales For- schungsprojekt der Freien Universität zu sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen ebenso wie ein gleichstellungs- und diversitätspoli- tisches Kooperationsprojekt mit dem Indian Institute of Technology Bombay. Ausführlich dokumentieren wir auch Stellungnahmen zum Tarifkampf der studentischen Beschäftigten, der mittlerweile zu einer Einigung geführt hat. Wir laden Sie ein, auch die weiteren Rubriken zu erkunden; wir finden, es lohnt sich. Wir wünschen eine interessante und inspirierende Lektüre, Mechthild Koreuber und das Rundbriefteam
Inhaltsverzeichnis Impressum Editorial Schwerpunkt 6 Auf dem Weg zu einer chancengerechten Hochschule. Gender und Diversity produktiv verbinden Dr. Mechthild Koreuber, Prof. Dr. Brigitta Schütt 9 Implementierung von Gender Equality und Diversity Policies an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Vortrag im Rahmen der Festveranstaltung der Zentralen Frauenbeauftragten der Freien Universität Berlin zum Internationalen Frauentag 2018 Dr. Anja Wolde 14 Gender und Diversity: Alptraum oder Traumpaar reloaded Plädoyer für die strategische Verbindung von Gender und Diversity an Hochschulen Heike Pantelmann 16 Zwischen Wortklauberei und Sprachwandel Ein Plädoyer für diversitätsbewusste Sprache Laurel Braddock 19 (Un)Mögliche Verbindungen? Gender und Diversity (Management) an Hochschulen Dr. Anette Dietrich, Dr. Karin Zimmermann Gleichstellung 26 Stimmen für Gleichstellung. Wahl des Frauenrats und der Stellvertreterinnen der Zentralen Frauenbeauftragten der Freien Universität Berlin Dr. Corinna Tomberger 27 Stellungnahme des Frauenrates der Freien Universität Berlin zum Tarifkampf der studentischen Beschäftigten der Berliner Hochschulen 28 Zentrale und dezentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität Berlin – Aktuelle Amtsperiode 31 Das Berliner Chancengleichheitsprogramm (BCP) Zentraler und facettenreicher Baustein der Berliner Hochschulgleichstellungspolitik seit 2001 Anja Hein, Fabiola Rodríguez Garzón 34 Feminist Politics and the Fight against Violence in the Era of Digitalization Ein politikwissenschaftliches Forschungsprojekt zu der Aneignung neuer digitaler Technologien und Praktiken gegen digitale Gewalt Dr. Margarita Marcela Suárez Estrada 35 Gegen sexualisierte Diskriminierung und sexuelle Belästigung an Hochschulen. Empfehlung der 24. Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) am 24. April 2018 in Mannheim
Inhaltsverzeichnis Gender 2020. Auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Hochschul- 37 und Wissenschaftskultur. Positionierungen zur Zukunft hochschulischer Gleichstellungspolitik Anna Helfer, Dr. Corinna Tomberger Neue Bewerbungschance für Wissenschaftlerinnen auf dem Weg zur 39 Professur. 14. Ausschreibung des ProFiL-Programms – Bewerbungsschluss ist der 24. August 2018 Geschlechterforschung Diskurse und Praktiken sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an 40 Hochschulen. Ein internationales Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin mit Universitäten in Lateinamerika und Asien Nina Lawrenz Statements by Activists from the Campaigns “TV Stud” and “Against § 218 44 and § 219a” During the Conference on Perspectives and Discourses on Sexual Harassment in International Higher Education Contexts Politisch positionieren: Geschlechterforschung in Zeiten des 46 Rechtspopulismus. Vortrag anlässlich des Workshops „#4genderstudies … und jetzt weiter: Positionierung und Forschungsentwicklung (in) der Geschlechterforschung“ am 13. April 2018 an der Freien Universität Prof. Dr. Sabine Hark Ausgezeichnet Ausgezeichnet Diversität lehren. Zentraler Lehrpreis der Freien Universität 48 Berlin für Projekte in der Chemie und der Romanistik Dr. Corinna Tomberger „Spitzenforschung und herausragende Lehre sind ohne studentische 50 Beschäftigte unmöglich“. Rede zum Streik bei der Lehrpreisverleihung „Das war richtige Detektivarbeit“. Die Kulturwissenschaftlerin Shelley Harten 51 ist für ihre Dissertation mit dem Hedwig-Hintze-Frauenförderpreis des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften ausgezeichnet worden Leonie Schlick Erschienen Iris Bohnet: 52 What works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann Heike Pantelmann Berichte Hochschulbildung für Frauen in Indien – Hindernisse und Chancen 53 Austausch des Arbeitsbereichs Zentrale Frauenbeauftragte mit dem Indian Institute of Technology Bombay, 22. bis 25. Januar 2018 Dr. Corinna Tomberger Die Töchter des Motherboards. Beim diesjährigen Girls’Day besuchten 56 knapp 700 Mädchen die Freie Universität – dabei lernten sie auch den Ursprung der IT-Welt kennen: das Motherboard Carla Spangenberg Tipps, Treffen, Termine 58
Gender und Diversity produktiv verbinden Auf dem Weg zu einer chancengerechten Hochschule Gender und Diversity produktiv verbinden Dr. Mechthild Koreuber, Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität Berlin Prof. Dr. Brigitta Schütt, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin mit Zuständigkeit für Gleichstellung und Diversity „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat för- nungsverhältnis zueinander, wie die Debatte im Kontext dert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik in von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung be- den letzten 15 Jahren immer wieder gezeigt hat. Dieses stehender Nachteile hin. Spannungsverhältnis produktiv zu gestalten ist ein wich- Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstam- tiger und konstruktiver Schritt, um bestehende Ungleich- mung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Her- heiten aufzulösen. Dessen theoretische Reflexion und die kunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Überführung der erlangten Ergebnisse in die gleichstel- Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Nie- lungspolitische Praxis war bereits Intention der Konferenz mand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ „Gender und Diversity – Albtraum oder Traumpaar? Inter- (Grundgesetz Art. 3, 2 u. 3) disziplinärer Dialog zur ‚Modernisierung‘ von Geschlech- Der deutsche Staat verpflichtet sich in seinem Grund- ter- und Gleichstellungspolitik“, die 2006 an der Freien gesetz dazu, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen und Universität Berlin durchgeführt wurde.1 Die Beiträge der zugleich Chancengleichheit in Bezug auf verschiedene Konferenz zeichneten sich durch ihre vielfältigen fachdis- Diversitätskategorien zu gewährleisten. Diese beiden ziplinären und praxisorientierten Perspektiven aus. Ge- gesetzlichen Aufträge, die insbesondere auch öffentliche meinsam war ihnen eine Positionierung zu dem Verhältnis Einrichtungen betreffen, stehen durchaus in einem Span- von Gender und Diversity; einige entwickeln Überlegun- gen zu Organisationsformen einer Mission Statement Diversity politischen Praxis an Hochschulen. Diversity-Verständnis der Freien Universität Berlin Die Konferenz war Teil einer Reihe von Seit ihrer Gründung im Jahre 1948 versteht sich die Freie Universität Berlin Veranstaltungen, die in Verbindung – getreu ihren Leitbegriffen Veritas, Iustitia, Libertas – als eine international mit dem weiterbildenden Masterstu- ausgerichtete Universität, die an diesen Grundwerten und der Wertschätzung unterschiedlicher Perspektiven, Lebenslagen und Erfahrungshintergründe diengang „Gender- und Diversity- orientiert ist. Kompetenz“ (2010 – 2017) 2 organisiert Die Freie Universität ist eine moderne, weltoffene Universität am Standort wurden – ein Studiengang, der sich Berlin und eine Drehscheibe unterschiedlicher Kulturen. Daher gehört die gleichberechtigte Teilhabe aller Universitätsmitglieder ungeachtet des Alters, insbesondere an Akteur*innen aus einer Behinderung oder gesundheitlichen Beeinträchtigung, des Geschlechts der Geschlechtergleichstellungspolitik und der sexuellen Orientierung, der sozialen Herkunft und sozial-familiären richtete und deren Tätigkeitsfeld aus- Lage, der Nationalität und ethnischen Zugehörigkeit sowie der Religion und Weltanschauung zu ihrem Wertekanon. gehend von einer intersektionalen Per- Im Zeichen persönlicher Verpflichtung, gesellschaftlicher Verantwortung und spektive mit Diversity verband. Vorbildfunktion als öffentliche Institution in der Gesellschaft ist das Ziel einer Die Suche nach Positionen und barriere- und diskriminierungsfreien Lehr-, Lern- und Arbeitsumgebung so- organisationalen Strukturen an der wie einer wertschätzenden Zusammenarbeit aller Statusgruppen handlungs- leitend, um selbstkritisch Ausgrenzungsmechanismen zu erkennen, abzu- Freien Universität fand 2010 mit bauen und Integrationsmöglichkeiten zu schaffen. der Einsetzung des GenderNet-Lei- Als Raum für intellektuelle Gemeinschaft und offenen Diskurs integriert die tungsteams 3 durch das Präsidium der Freie Universität plurale Forschungsansätze und Lehrkonzepte sowie unter- schiedlichste Erfahrungshintergründe, um exzellente Wissenschaft sicherzu- Freien Universität Berlin und dem ihm stellen. zugeordneten Projektteam Diversity Die Mitglieder der Freien Universität in Forschung, Lehre und Verwaltung füh- seinen ersten formalen Niederschlag. len sich einer Kultur der Wertschätzung, Anerkennung, Offenheit und des Re- spekts verpflichtet und verstehen die erfolgreiche und nachhaltige Erfüllung Vom Präsidium der Freien Universität struktureller Chancengleichheit als ein immanentes Ziel ihrer Tätigkeiten. mit der Aufgabe betraut, Grundlinien für ein Diversity-Verständnis zu ent- 6 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Gender und Diversity produktiv verbinden wickeln, geht das 2011 beschlossene „Mission Statement zu werden. Das gestiegene Interesse dokumentieren die Diversity“ auf die Arbeit dieses Projektteams zurück. Gründung des bundesweiten Netzwerks „Diversity an Mit diesem Statement positioniert sich die Freie Uni- Hochschulen“ von Diversity-Akteur*innen an Hochschu- versität als weltoffene, international ausgerichtete Hoch- len, die Einführung des Audits „Vielfalt gestalten“ durch schule, die Verantwortung im Sinne eines intersektionalen, den Stifterverband sowie die Studierendenbefragung antidiskriminierenden, antiessentialistischen und selbstre- „QUEST – Vielfalt als Chance“, ein Analyse-Instrument für flexiven Verständnisses von Diversity übernimmt.4 Ziel ist hochschulisches Diversity Management vom CHE Cent- eine barriere- und diskriminierungsfreie Lehr-, Lern- und rum für Hochschulentwicklung, alle im Jahr 2012 erfolgt. Arbeitsumgebung für alle Mitglieder und Gäste der Freien Auch das TOTAL E-QUALITY-Prädikat, ein gleichstel- Universität Berlin; als notwendige Voraussetzung hierfür lungsbezogenes Selbstbewertungsinstrument u. a. für sind Ausgrenzungsmechanismen zu erkennen, abzubauen Hochschulen, ist seit 2016 um ein optionales Zusatzprä- und Integrationsmöglichkeiten zu schaffen. dikat erweitert, das die „Verankerung und Umsetzung Mit dem Mission Statement Diversity wurde eine von Diversity-Strategien“ bewertet. Die Freie Universi- Grundlage dafür geschaffen, die Umsetzung von Di- tät Berlin hat sich 2017 erfolgreich um dieses Prädikat versity-Politik an der Freien Universität zu konkretisie- beworben und das Angebot genutzt, um die zahlreichen ren. Einen weiteren Baustein steuerte 2011 die Zentrale zentralen und dezentralen Initiativen, Aktivitäten und Frauenbeauftragte mit einem extern vergebenen, durch Maßnahmen in den Bereichen Gender und Diversity sys- das Berliner Chancengleichheitsprogramm finanzierten tematisch zu erfassen. Eine dort aufgeführte Maßnahme Werkauftrag bei. Die Studie unter dem Titel „Institutio- ist die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre (siehe nalisierung und Umsetzung von Diversity an deutschen eingelegte Postkarte), auf die an dieser Stelle hingewie- Hochschulen – Anregungen und Beispiel für die Freie sen werden soll. Es handelt sich dabei um ein Koope- Universität Berlin“ entwickelte auf der Basis einer Be- rationsprojekt des Margherita-von-Brentano-Zentrums standsaufnahme Empfehlungen für die Freie Universität. und des Arbeitsbereichs Zentrale Frauenbeauftragte, das Die Untersuchung der Politikwissenschaftlerin Mara Kuhl Dozierende in einer gendersensiblen und Diversity-ori- diskutiert exemplarisch die Diversity-Konzepte von fünf entierten Lehre unterstützt. Universitäten; sie analysiert die unterschiedlichen Diver- Zudem haben Aktivitäten einzelner Bundesländer in sity-Verständnisse der Vergleichshochschulen, die unter- den vergangenen Jahren dazu beigetragen, die Ausein- schiedlichen Wege zur Implementierung von Diversity als andersetzung um Diversity zu intensivieren – etwa durch hochschulpolitische Strategie sowie die jeweils spezifi- die Novellierung von Hochschulgesetzen oder durch die schen Formen der strukturellen Verankerung. Mit dieser Integration neuer Aspekte im Feld Chancengleichheit/ Expertise war eine fachliche Grundlage für Diversity-Po- Gleichstellung/Diversity in die Zielvereinbarungen mit litik an der Freien Universität gewonnen. Der Arbeitsbe- den Hochschulen. Auch die im März 2017 unterzeichne- reich Zentrale Frauenbeauftragte griff die Erkenntnisse ten Berliner Hochschulverträge enthalten eine entspre- dieser Studie für einen eigenen Projektantrag auf. „Good chende Passage. Diversity – Strategien und Umsetzungsoptionen für neue Aus dem aktuellen Hochschulvertrag leitet sich für die Anforderungen an die Gleichstellungspolitik an deut- Freie Universität die Aufgabe ab, Diversity Policies in Ver- schen Hochschulen“ hieß das Forschungsprojekt, das in schränkung mit bestehenden Gleichstellungsstrukturen der Programmlinie „Frauen an die Spitze“ des BMBF von zu entwickeln. Die für Angelegenheiten der Gleichstel- 2015 bis 2017 gefördert wurde (FKZ 01FP1452).5 Motiva- lung zuständige Vizepräsidentin hatte bereits im Win- tion für den Projektantrag war auch diesmal die Frage ter 2016/17 die Zuständigkeit auch für das Feld Diversity nach einer konstruktiven Verbindung von Geschlechter- vom Präsidium erhalten, ebenso den Arbeitsauftrag, ein gleichstellungspolitik mit einer Diversity-Strategie. Diversity-Konzept zu entwickeln. Mit der Einrichtung der Seit der Konferenz 2006, der Bestandsaufnahme von Arbeitsgruppe Diversity im Jahr 2017 wurde die Grundlage 2012 und dem Einreichen des Projektantrags 2013 hat die dafür geschaffen. In einem intensiven Arbeitsprozess Diskussion um Diversity als hochschulpolitische Strategie skizzierten Unterarbeitsgruppen unter Beteiligung aller bundesweit ebenso wie an der Freien Universität Berlin Fachrichtungen und Statusgruppen zu relevanten Hand- erheblich zugenommen. Dazu zählt die Frage, inwiefern lungsfeldern erste konzeptionelle Grundlinien. Insbeson- möglicherweise neue Strukturen und Kommunikations- dere empfahl die Arbeitsgruppe Diversity dem Präsidium formate zu entwickeln sind, um den Anforderungen einer die Einrichtung des DiversityNetzwerks und die Etablie- geschlechter- und diversitygerechten Hochschule gerecht rung von Projektteams – vergleichbar zu den Strukturen 7 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Gender und Diversity produktiv verbinden rung sowie PT Kommunikation – er- Auszug aus dem Hochschulvertrag 2018 – 2022 zwischen stellen Bestandsaufnahmen für die der Freien Universität Berlin und dem Land Berlin jeweiligen Handlungsfelder (sofern VIII. Chancengleichheit nicht bereits vorhanden) und entwi- Das Land und die Hochschulen werden weiterhin den grundgesetzlich veran- ckeln Handlungsmöglichkeiten. In kerten Gleichstellungsauftrag realisieren und jede Form von Diskriminierung abbauen. Dafür soll an den Berliner Hochschulen die Umsetzung von Gender der Regel leiten Mitglieder des Lei- Mainstreaming entlang der Allgemeinen Gleichstellungsstandards betrieben tungsteams die Projektteams, der werden. Zudem sollen ausgehend von einer Perspektive, die die Überschnei- Arbeitsbereich Zentrale Frauenbeauf- dung verschiedener Diskriminierungsformen in einer Person erfasst, als Quer- schnittsaufgabe der Hochschulen Diversity Policies entwickelt und ausgebaut tragte ist in allen vier PTs vertreten werden, welche die Kerndimension Geschlecht einbeziehen und die bestehen- und gewährleistet so die Verzahnung den Gleichstellungsstrukturen berücksichtigen. Mit dem Ziel einer umfas- mit bestehenden Gleichstellungs- senden Aktivierung des Potenzials aller Studienberechtigten sollen die soziale strukturen. Dem DiversityNetzwerk- Durchlässigkeit gefördert und Ausschlussmechanismen reduziert werden. 1 Geschlechtergerechtigkeit Leitungsteam kommt dabei die Funk- […] tion einer Expert*innenrunde zu, die 2 Diversity diesen Arbeitsprozess begleitet; bis 2.1 Die Hochschulen werden einen wertschätzenden Umgang mit Diversity weiter pflegen und zugleich Diskriminierungen in jeglicher Form entgegen- zum Frühjahr 2020 soll die Entwick- wirken. Diversity beschreibt dabei die Verschiedenheit von Menschen hin- lung des Diversity-Konzepts für die sichtlich der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannten Freie Universität abgeschlossen sein. Dimensionen (ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschau- Auch eine wissenschaftliche Beglei- ung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität) ergänzt um die soziale Herkunft. Durch Diversity Policies, die unter anderem unter Beteiligung der Frauenbe- tung ist vorgesehen: Eine PostDoc- auftragten zu entwickeln sind, sollen Potentiale aller Hochschulmitglieder zur Stelle, angesiedelt im Arbeitsbereich Geltung gebracht und Kreativität und Problemlösungskompetenzen gestärkt Gender und Diversity von Gülay werden. Diversity Policies sind Teil der Qualitätsentwicklung. Ein diversitäts- sensibles Studier- und Arbeitsumfeld zu bieten, hat positive Effekte auf die Çağlar, Professorin für Politikwissen- Zufriedenheit aller Mitglieder und ihre Bindung an die Hochschule und stärkt schaft, unterstützt die Konzeptent- die Hochschule im internationalen Wettbewerb. wicklung mit wissenschaftlicher Ex- In einer zukünftigen Diversity-Strategie werden Maßnahmen zur Umsetzung von Diversity mit Maßnahmen zur Herstellung von Geschlechtergerechtig- pertise. Geplant ist eine international keit und Gender Mainstreaming im Sinne der Interdependenz von sozialen vergleichende Studie zu Diversity Po- Kategorien verzahnt. licies an Universitäten. Mit der Implementierung von Di- des 2010 eingesetzten GenderNet-Leitungsteams, das mit versity Policies an der Freien Universität wird sich zu- Gründung des Margaretha-von-Brentano-Zentrums im künftig die Frage nach einer Veränderung von Aufga- Jahr 2015 in dessen Vorstand aufging. Damit wurde auf benfeldern stellen. Ein erster sichtbarer Schritt ist die die bewährte Arbeitsstruktur des GenderNet zurückge- bereits erfolgte Erweiterung des bestehenden Gender- griffen und der Gedanke einer kooperativen Arbeit zwi- Controllings zu einem Gender- und Diversity-Control- schen Akteur*innen aus Verwaltung, Gleichstellungspo- ling; weitere werden folgen müssen. Hier könnte die litik und Wissenschaft aufgenommen. Freie Universität – wie in der Gleichstellungspolitik – er- Im April 2018 nahm das DiversityNetzwerk-Lei- neut Maßstäbe setzen und ein Modell der produktiven tungsteam unter Vorsitz der für Gleichstellung und Di- Verschränkung von Geschlechtergleichstellungspolitik versity zuständigen Vizepräsidentin seine Arbeit auf. und Diversity Policies entwickeln, das die bestehenden Vier Projektteams (PT) – PT Forschung, PT Studium und Gleichstellungsstrukturen auf zentraler und dezentraler Lehre, PT Personalentwicklung und Nachwuchsförde- Ebene integriert und weiterentwickelt. 1 Auf das gleichnamige Buch von 2009 ist im Diskurs zum Verhältnis von Gender und Diversity an Hochschulen vielfach zurückgegriffen worden. Siehe auch den Artikel von Pantelmann in diesem Heft, S. 14f. 2 Diesem inzwischen eingestellten Studiengang wird voraussichtlich ab dem Wintersemester 2019/20 der konsekutive Masterstudiengang „Gender, Intersektionalität und Politik“ nachfolgen. 3 Das GenderNet wurde 2010 durch das Präsidium eingerichtet und bestand bis 2015. Die Intention seiner Gründung, ein Gesprächsforum für die Verbindung von Gleichstellungspolitik und Geschlechterforschung zu schaffen, spiegelt sich in der Zusammensetzung des 2016 konstituierten Vorstandes des Margherita-von-Brentano-Zentrums wider. 4 Zu diesen Begrifflichkeiten siehe den Artikel von Dietrich und Zimmermann in diesem Heft, S. 19–25. 5 Zu den Projektergebnissen siehe den Artikel von Dietrich und Zimmermann sowie die Rückseite dieses Heftes. 8 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Gender und Diversity produktiv verbinden Implementierung von Gender Equality und Diversity Policies an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Vortrag im Rahmen der Festveranstaltung der Zentralen Frauenbeauftragten der Freien Universität Berlin zum Internationalen Frauentag 2018 Dr. Anja Wolde, Gleichstellungsbeauftragte und Leiterin des Gleichstellungsbüros der Goethe-Universität Frankfurt am Main Herzlichen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr, der Stellen unbefristet sind, haben wir dennoch mit un- einige unserer langjährigen Erfahrungen im Bereich Di- serem Team eine gewisse Schlagkraft, mit der wir in die versity Policies weitergeben zu können und an dieser Universität hineinwirken. Stelle unser Engagement zu reflektieren. Ich möchte Angefangen hat der Prozess der Diversity Policies damit beginnen darzustellen, wie Gleichstellung und 2010 mit einem Präsidiumsbeschluss, der das Thema Diversität an der Goethe-Universität verankert sind. Als strategisch im Gleichstellungsbüro verankert hat. Dort zentrale Gleichstellungsbeauftragte leite ich das Gleich- wurde eine Koordinationsstelle für Diversity Policies ein- stellungsbüro. Im Gegensatz zu vielen anderen Hoch- gerichtet, die das Diversity-Konzept in Zusammenarbeit schulen haben wir eine Strategie gewählt, die verschie- mit der Gleichstellungsbeauftragten und der Hoch- dene Kräfte bündelt und bereichsübergreifend ansiedelt. schule gemeinsam erarbeitet hat. Etwas zeitgleich haben Zum Gleichstellungsbüro gehören daher auch der Fa- wir auch eine Stelle für das Gender- und Diversity-Con- milienservice, der Dual-Career-Service, die Betreuung trolling verankert. In der Folge haben wir verschiedene karrierefördernder Programme, das Gender Controlling Projektstellen zum Thema Diversity-Sensibilisierung und Gender Consulting sowie die verschiedenen Aufga- eingerichtet. Wie sich hier bereits abzeichnet, war es ben im Bereich Diversity Policies. Verwaltungstechnisch unsere Bestrebung, geballt mit Sensibilisierungskonzep- Institutionelle Verankerung angesiedelt sind bei uns zudem verschiedene Projekte, ten in die gesamte Universität hineinzuwirken. Vor dem Gleichstellung und Diversity Policies wie „Mentoring Hessen“ oder „ArbeiterKind.de“. Im Hintergrund der 48.000 Studierenden, der rund 5.500 Büro sind wir derzeit rund 20 Mitarbeiter*innen und Beschäftigten und 16 Fachbereiche, die alle auf ihre Au- sechs studentische Beschäftigte. Auch wenn nur einige tonomie pochen, ist das nicht einfach. Zeitgleich mit der Institutionelle Verankerung von Gleichstellung und Diversity Policies an der Goethe-Universität Frankfurt am Main 9 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018 4. Juli 2018 Dr. Anja Wolde 1
Gender und Diversity produktiv verbinden Einrichtung der Koordinationsstelle für Diversity Policies oder in Inklusionspolitiken aufgeht, sondern dies Politik- haben wir das Konzept des „Gender Equality & Diversity felder mit einer jeweils eigenen Geschichte sind. Daher Action Plan“ für die Fachbereiche entwickelt, auf den ich ist es entscheidend, die politischen Strategien und recht- später im Detail eingehen werde. 2011 haben wir unser lichen Verbindlichkeiten, die sich aus den Konzepten Di- erstes Diversity-Konzept verabschiedet, das insbeson- versity Policies und Gender Equality ergeben, als etwas dere die Statusgruppen der Studierenden und Lehren- Eigenständiges zu begreifen und zugleich konstruktiv den fokussiert. Hilfreich waren hier die Ressourcen aus zu verbinden. Illustrieren lässt sich dies am Beispiel von dem Bund-Länder-Programm für Lehre, denn wir konn- Gender, das gleichzeitig auch eine Diversitätskategorie ten damit auch Stellen einrichten, die den Bereich Diver- darstellt. Um unsere Haltung zu verdeutlichen: Es macht sity mit den Gruppen der Studierenden und Lehrenden für uns einen großen Unterschied, ob ich die Kategorie verbinden. Mit dem Bereich der Beschäftigten fangen Gender als eine Diversitätsdimension begreife oder die wir jetzt erst an. unterschiedlichen Diversitätspolitiken betrachte, die his- Im Jahr 2016 verabschiedet die Goethe-Universität die torisch und rechtlich ganz unterschiedlich situiert sind. „Offensive Chancengleich“ sowie ein hierzu gehörendes Daraus ergibt sich die Verantwortung, eigenständige Eckpunktepapier „Potenziale für eine bessere Wissen- Politiken entlang verschiedener Diversitätsdimensionen schaft“. In diesem und auch bereits in dem vorgängigen zu betreiben, um vorhandene Differenzen nicht einzu- Diversity-Konzept wird erklärt, dass unsere Prämissen ebnen. Unser Augenmerk richtet sich insbesondere auf auf einem partizipativen Ansatz beruhen. Darunter ver- die Organisation und deren Strukturen, die wir im Sinne stehe ich, dass wir immer wieder versuchen, verschie- von Diversity Policies verändern wollen – im Unterschied dene Gruppen der Universität in die Arbeit einzubezie- zu einem Ansatz, der auf vermeintliche Defizite einzelner hen, sowohl in die konzeptuelle Arbeit als auch in die Individuen abzielt. Umsetzung. Das ist natürlich ein hehrer Ansatz und er Welche Vorteile sehen wir also in der systematischen gelingt bei 48.000 Studierenden immer nur in kleineren Verknüpfung von Gender und Diversity? Das eine ist, Gruppen. Beispielsweise waren an dem ersten im Jahr dass wir im Gleichstellungsbüro viele Bereiche bündeln 2011 ausgehandelten Diversity-Konzept ungefähr 250 und damit als große Gruppe an sehr vielen Prozessen Personen beteiligt, mit denen die Maßnahmen diskutiert an der Universität beteiligt sind – mit einer schnellen wurden, um zu sehen, ob diese überhaupt in irgendeiner Rückkoppelung zu den inhaltlichen Expert*innen un- Weise auf die Bedarfe antworten. seres Teams. Das ist wesentlich einfacher, als wenn wir Teil des partizipativen Ansatzes und eine weitere für über die Abteilungen hinweg Informationen der anderen uns wichtige Strategie war die Abgrenzung von dem Ter- Akteur*innen zusammentragen müssten. Auch auf der minus Diversity-Management. Stattdessen haben wir für operativen Ebene der Produktion von Handlungsanlei- unseren Ansatz und unser Selbstverständnis den Begriff tungen, Empfehlungen und unterstützenden Materialien Diversity Policies gewählt. Es hat für uns schlichtweg kei- wäre es sehr erschwerend, wenn immer Expertise von nen Sinn gemacht, für die Hochschulorganisation eine einzelnen Personen anderer Fachabteilungen eingeholt klassische Top-down-Struktur zu übernehmen und nur werden müsste. So können wir das Ganze in einem Guss von Management zu sprechen. Nach unserer Vorstel- anfertigen und gleichsinnige Strategien der Umsetzung lung organisiert sich die Hochschule im Idealfall nach entwickeln. Gerade für den großen Bereich Sensibili- dem Prinzip des „Top-down – Bottom-up“ und möchte sierung hat sich eine zielorientierte und themenüber- nicht nur managen, sondern auch einen Change-Prozess greifende Umsetzung, die aus der Zusammenarbeit der der Organisation in Gang bringen. Der Policy-Begriff verschiedenen Bereiche resultiert, bewährt. Wir machen greift hier viel besser und wie ich beobachten kann, setzt also keine einzelnen Broschüren für die Themen Gleich- er sich auch an Hochschulen vermehrt durch. stellung, Familie und Diversity beispielsweise für Füh- Wichtig ist uns auch die Bezugnahme auf das Konzept rungskräfte, sondern führen diese Themen zusammen der Intersektionalität. Konkret bedeutet dies, die Ver- und arbeiten in eine Richtung. Dieses Vorgehen kann knüpfung von verschiedenen Ungleichheitsdimensionen auf vielen Felder durchgespielt werden und vermeidet zu beachten. Das war auch ein tragendes Element da- Parallelaktionen. Außerdem beugt das Zusammenfüh- für, Gender Equality und Diversity Policies zu verbinden. ren der verschiedenen Bereiche unnötigen Konkurren- Diese begriffliche und konzeptuelle Verbindung berück- zen vor; in Hochschulen bewegen wir uns immer auch sichtigt eine Differenz der Politiken. Das bedeutet, dass intern in einem Spannungsverhältnis von Konkurrenz Gleichstellungspolitik nicht einfach in Diversitätspolitik und Kooperation. In Fragen der Ressourcenzuweisung 10 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Gender und Diversity produktiv verbinden werden Konzepte zu Diversity und Gleichstellung, die in reitzustellen. So bieten wir ungefähr 20 bis 30 Trainings vielen Programmen vorausgesetzt werden, nicht gegen- dazu im Jahr aus dem Gleichstellungbüro heraus an und einander ausgespielt. arbeiten zusätzlich mit externen Trainer*innen. Dies hat Vor diesem Hintergrund muss auch unser Arbeits- sich sehr bewährt, da man viel genauer auf Fragen und schwerpunkt verstanden werden, Gender und Diversity auf die Struktur der Universität eingehen kann. gleichwertig in die Hochschulentwicklungsprozesse Antidiskriminierung bildet einen weiteren wichtigen zu integrieren. Während Gleichstellung bereits in den Bereich, den wir gleichzeitig aufgebaut haben. Sobald meisten Konzepten und Anträgen enthalten war, war Di- man das Thema Diversity entsprechend öffnet, zeigen versity noch nicht präsent. Das betrifft insbesondere das sich sehr deutlich diesbezügliche Bedarfe, insbesondere Leitbild der Universität, den Hochschulentwicklungs- von Seiten der Studierenden, aber auch bei den Beschäf- plan, die Zielvereinbarungen mit dem Land und die Stra- tigten. Es braucht daher eine Anlaufstelle. Wir haben tegiegespräche in den Fachbereichen. In all diesen Fel- eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet und arbei- der muss man erst einmal tätig werden, um den Gedan- ten aktuell an einer Antidiskriminierungsrichtlinie, die ken von Diversität, Diversity Policies in die Universität insbesondere die Studierenden fokussiert, weil für diese zu implementieren und eine Rahmung zu schaffen, die Gruppe das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht dazu führt, dass sich alle verbindlich verpflichtet fühlen, in dem Maße greift wie für die Gruppe der Beschäftig- in dieser Weise mitzuarbeiten. Beispielsweise wurden im ten. Auch im Widerhall der Hochschule auf öffentliche Qualitätsmanagement Diversitätsaspekte in die System- Debatten wie die „MeToo“-Debatte zeigen sich große akkreditierung und vor allem in die Evaluation eingear- Bedarfe und wir haben aktuell wieder sehr intensive beitet. Im Bereich Monitoring liegen uns bislang kaum Diskussionen zu sexualisierter Diskriminierung an der Daten zu Diversität vor. Zwar haben wir selber einen Hochschule. Wenn man sich entscheidet, Antidiskrimi- regelmäßigen Gender-Equality-Monitor aufgebaut, der nierungspolitik zu betreiben, muss man darauf gefasst aber noch zu wenige Daten zu Diversität beinhaltet. Wir sein, dass die Studierenden und die Beschäftigten darauf haben zwei Studierendenbefragungen durchgeführt, in antworten. In dem Augenblick, in dem man die Tür zu die wir Fragen zu Diskriminierung und Diversität ein- diesem Feld aufmacht, zeigen sich auch die Bedarfe, die gearbeitet haben. Das gleiche gilt für die Promovieren- bislang keinen wirklichen Raum hatten. Man darf sich denbefragung, die Lehrveranstaltungsevaluation und die nicht wundern, dass dann auch Anforderungen von den Evaluation studienbegleitender Angebote gemacht. So Mitgliedern der Institution (und das umfasst alle Status- konnten und können sukzessive Daten gewonnen wer- gruppen) kommen, wie gehandelt werden sollte, und den, um die Bedarfe an der Universität und in den un- dass bestimmte Erwartungshaltungen vorhanden sind – terschiedlichen Statusgruppen zu ermitteln. Beispiels- etwa, dass Diskriminierung auch wirklich verfolgt wird, weise wissen wir sehr wenig über die Kategorie Migra- man dem nachgeht und tatsächlich Abhilfe schafft. tionshintergrund. Uns ist nur bekannt, dass die starken Ähnlich wie an der Freien Universität Berlin gibt es an Einbrüche in der schulischen Bildung stattfinden, wir der Goethe-Universität sehr viele Projekte, die bereits vor wissen allerdings nicht, welche Selektionsprozesse an der Einführung einer Diversity-Strategie aufgesetzt wur- der Universität vor sich gehen. Laut Datenlage haben wir den und unterschiedliche Diversitätsdimensionen fokus- 25 % Studierende und 24 % Promovierende mit Migra- sieren. Dazu zählen z.B. ArbeiterKind.de und das Schreib- tionshintergrund. Doch hier muss genau hingeschaut zentrum, das sich insbesondere auch an Studierende mit werden, da die Daten jeweils anders aggregiert wurden anderen Herkunftssprachen richtet, also mit Deutsch als und womöglich Verluste zu verbuchen sind. Aktuell füh- Zweit- oder Drittsprache. Insgesamt haben wir ca. 150 ren wir eine qualitative Studie zu Bedarfen von Studie- Projekte und Initiativen, die in irgendeiner Weise Diversi- renden unter Diversity-Aspekten durch, zudem ist eine tät fokussieren oder diversitätssensibel arbeiten. Post-Doc-Befragung geplant. Außerdem gibt es den Gender Equality & Diversity Ac- Ebenfalls wichtig ist die Beratung der Fachbereiche tion Plan (GEDAP) der Fachbereiche, ein Instrument, das und der zentralen Einrichtungen, denen wir anbieten, die früheren Frauenförderpläne abgelöst hat. Uns war gemeinsam Ideen zu entwickeln, um auf die verschie- wichtig, ein Instrument durchgängig zu implementie- denen Bedarfe einzugehen. Einen Schwerpunkt bildet, ren und dadurch mehr Vergleichbarkeit zu ermöglichen wie bereits erwähnt, das Thema Sensibilisierung, für das sowie klarere Zuständigkeits- und Verantwortungs- wir Informations- und Trainingsmodule entwickeln. Wir strukturen zu etablieren. Vorher waren fast immer nur haben uns entschieden, sehr viele Angebote selbst be- die Gleichstellungsbeauftragten aktiv; die Fachbereiche 11 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Prozessablauf der GEDAP (Fachbereiche) Gender und Diversity produktiv verbinden selbst haben sich wenig in der Zuständigkeit gesehen. 4. Juli 2018 Positiv ist festzuhalten, dass die Dekanate seit Einfüh- Dr. Anja Wolde Wichtig ist außerdem ein systematisches Monitoring, in rung der GEDAP viel klarer eingebunden sind. Es gibt unserem Fall zweijährlich, um schnell reagieren zu kön- feste Ansprechpartner*innen, ein regelmäßiges Monito- nen, weil es ein Bereich mit sehr dynamischen Entwick- ring und eine Verknüpfung mit den Zielvereinbarungen lungen ist. Wir machen lieber kleinere Maßnahmen als der Fachbereiche. Es hat sich als sehr sinnvoll erwiesen, groß angelegte Pläne, die dann in der Schublade landen dass die Umsetzung in konkrete Maßnahmen auf der und nicht realisiert werden. Ebene der GEDAP stattfindet, sodass wir in den Zielver- Der Prozess beginnt mit einem Datenblatt des betref- einbarungen eher strukturelle Themen behandeln kön- fenden Fachbereichs, das alle verfügbaren Daten auf- nen. Kritisch ist anzumerken, dass nach wie vor zu we- führt. Vorgefertigte Berichtsformulare und Leitfäden für nige Daten zu Heterogenität auf Fachbereichsebene vor- die Fachbereiche vereinfachen den Ablauf so weit, dass liegen; in der Folge sind Diversity-Ansätze dort immer der Fachbereich für den Plan nur eine Maske auszufül- noch relativ marginal. Als sehr aufwändig haben sich len braucht und nicht jedes Mal alles wieder neu denken schriftliche Rückmeldungen an die einzelnen Fachberei- muss. Wir vom Gleichstellungsbüro stellen einen Instru- che erwiesen, die wir anfangs erstellt hatten. Hier versu- mentenkasten mit zahlreichen Gleichstellungs- und Di- chen wir zu reduzieren. Außerdem mangelt es weiterhin versitätsmaßnahmen zur Verfügung und führen darüber an nachhaltigen Maßnahmen in den Fachbereichen. Es hinaus Beratungsgespräche mit den Fachbereichen und hat sich gezeigt, dass die meisten Fachbereiche mit Res- den Fachbereichsgleichstellungsbeauftragten. Darauf sourceneinsatz ausgesprochen vorsichtig sind. Deshalb folgt eine interne Diskussion im Fachbereich – wie in- ist es erforderlich, dass die Leitungsebene der Universi- tensiv sie verläuft, ist nach wie vor sehr unterschiedlich tät Diversity immer wieder als eine zentrale Aufgabe mit –, an deren Ende die Fachbereiche ihre neuen Pläne er- auf den Weg gibt. Dabei handelt es sich letztlich um das stellen. Die Senatskommission Frauenförderung, Gleich- klassische Problem der Hochschule, wie man Zielsetzun- stellung, Diversität bewertet die Pläne und vergleicht die gen auf zentraler Ebene wirksam in den Fachbereichen Fachbereiche auf der Gesamtebene mit Blick auf Syner- realisiert. Dennoch ist es wichtig, dass die Fachbereiche giemöglichkeiten und Nachbesserungsnotwendigkeiten. Diversity selber ernst nehmen. 12 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Gender und Diversity produktiv verbinden Aktuell arbeiten wir an dem Zentralen Aktionsplan Chancengleichheit. Im Prinzip ist es eine Konsequenz der systematischen Verknüpfung von Gender Equality und Diversity Policies, dass wir keinen separaten Frauenförderplan oder Gleichstellungsplan mehr machen, kein Diversity-Konzept, kein Au- dit Familie. Stattdessen wollen wir einen eigenen Qualitätssicherungs- und Benchmarkingprozess mit anderen Universitäten entwickeln. Die Zusam- menführung in einem Zentralen Aktionsplan Chancengleichheit haben wir mit unserem Ministerium abgesprochen. Schließlich geht es uns darum, mehr zu machen, nicht weniger. Wir haben viel Zeit dafür aufgewendet, ei- nen umfangreichen übergreifenden Aktionsplan mit rund 150 Maßnahmen zu erarbeiten, die nach inhaltlichen Fragestellungen systematisiert sind. Workshops mit verschiedenen Statusgruppen und zu verschiedenen The- men waren ein wichtiges Element in der Erstellung des Zentralen Aktions- plans Chancengleichheit. Selbstverständlich waren auch die Fachbereichs- gleichstellungsbeauftragten einbezogen. Das Vorhaben wurde in sehr vielen Gremien diskutiert. Hilfreich war zudem, vorab mit allen politischen Grup- pierungen und Vertreter*innen der Statusgruppen ins Gespräch zu gehen. Die Abstimmung im Senat war dann eine richtige Sternstunde, weil alle das Papier lobten und einstimmig dafür votierten. Das zeigt, dass man diesen Prozess gut vorbereiten muss. Bereits zuvor bei der Diskussion des Eck- punktepapiers gab es im Senat interessanterweise keine geäußerten Ressen- timents, eher Verbesserungsvorschläge, z.B. warum machen wir nicht mehr für LSBTIQ? Daran war zu merken, dass das Thema gegriffen hat. So mel- dete sich etwa einer unserer Mathematiker, der mit Geschlechterforschung gar nichts zu tun hat, und sagte, irgendwie sei doch da ein logischer Fehler drin: „Sie sagen immer, Sie wollen die Kategorie nicht reifizieren. Aber wenn Sie jetzt ebensolche Pläne machen, dann beziehen Sie sich doch genau auf die einzelnen Kategorien. Wie gehen Sie denn damit um?“ Ich war so ge- rührt, dass Kolleg*innen aus verschiedenen Disziplinen wirklich konsequent mitdenken, und es ist ja auch kein Zufall, dass dem Mathematiker das Logik- problem auffällt. Es war deutlich anders als vor zehn Jahren, als im Senat die erste Hälfte anfing zu telefonieren, die zweite Hälfte etwas mürrisch guckte und zwei Leute sich meldeten und sagten, das Thema sei ganz wichtig. Diese kleine Anekdote zeigt den großen Unterschied: Wirksam verän- dernd zu arbeiten ist – bei allen Problemen, die es in großen Organisatio- nen gibt – möglich und Sensibilisierung entfaltet tatsächlich Wirkung. Mit langem Atem und der prinzipiellen Unterstützung der Leitung gelingt es, die Universität mitzunehmen, wenn auch sicherlich nicht alle Mitglieder. Auch wenn es unterschiedliche Einschätzungen zu einzelnen Fragen gibt, ist grundsätzlich klar, dass die Hochschulleitung diesen Prozess will und un- terstützt – dies ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, eine Diversity- Strategie erfolgreich zu implementieren und klug mit bestehenden Gleich- stellungsstrukturen zu vernetzen. 13 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Gender und Diversity produktiv verbinden Gender und Diversity: Albtraum oder Traumpaar reloaded Plädoyer für die strategische Verbindung von Gender und Diversity an Hochschulen Heike Pantelmann, Der Titel ist eigentlich irreführend. Er könnte vielleicht „Gender und Diver- Wissenschaftliche Koordinatorin sity: Albtraum oder Traumpaar 4.0“ heißen, denn Gertraude Krell selbst hat Gender und Diversity in der Lehre den Reload bereits 2013 vorgelegt. im Margherita-von-Brentano-Zentrum Aber der Reihe nach: „Gender und Diversity: Albtraum oder Traumpaar“ 1 der Freien Universität Berlin war der Titel einer Tagung, die 2006 an der Freien Universität Berlin statt- fand. Es ging darum zu diskutieren, ob und wie Diversity-Konzepte in Ver- bindung gebracht werden können mit bestehenden Gleichstellungspolitiken und damit auch mit Konzepten zur Förderung von Frauen. Gertraude Krell, eine der ersten – und immer auch kritischen – Vertreterinnen von Diversity und Diversity Management2 plädierte in ihrem Konferenzbeitrag für eine „Vernunftehe“. Zu diesem Plädoyer kommt sie, nachdem sie die Varianten „Diversity unter dem Dach von Gender“, „Gender unter dem Dach von Di- versity“ und „Gender & Diversity“ für Lehre, Forschung und Praxis unter- sucht hat (vgl. Krell 2009). Der Vorschlag, „vielfältige Verbindungen“ zu wäh- len ist nicht nur pragmatisch, sondern kann auch strategisch sein. Ganz ex- plizit nämlich konstatiert Krell, dass es keinen ‚one best way‘ gebe, sondern dass allein das Ziel der Chancengerechtigkeit den Weg – wie auch immer er aussehe – vorgebe (vgl. ebd.: 149). Einige Jahre und zahlreiche „Diversity- Erkundungen“ später plädiert Gertraude Krell (2013: 63) für eine Politisierung von Diversity und für einen Mittelweg zwischen dem „Absturz und Versin- ken im ‚neoliberalen Sumpf‘“ und der „Gefahr, in das ‚Ödland der Totalkritik‘ abzustürzen“. Im Sumpf steht Diversity Management nämlich im Verdacht, als Managementkonzept per se schlecht zu sein und seine Vertreter_innen damit verdächtig. Im Ödland aber bleiben wenig Handlungsspielräume, um Veränderungen zu erzielen (vgl. ebd.). Die Frage zum Verhältnis von Gender und Diversity stellt sich immer wieder – wie stellt sie sich heute? Stellt sie sich heute anders? Wie in Be- zug auf den Hochschulkontext? Diversity ist hier inzwischen eine gesetzte Anforderung. Aber eine, die diffus bleibt, und wie sie ausgefüllt wird, das steht weiter zur Verhandlung; denn systematisch implementiert – und da- mit als Managementkonzept oder Strategie angewendet – wird Diversity (Management) bislang nur selten. Mancherorts wird Diversity vermutlich nur eine neue Fassade für ein Sammelsurium bereits bestehender, irgend- wie mit Chancengerechtigkeit verbundener Aktivitäten bleiben. Andernorts wird es eine reine Fassade bleiben. Noch woanders wird es genutzt werden, um Gender und Diversity tatsächlich sinnvoll zu verbinden, also bestehende Gleichstellungsstrategien unter einem Dachkonzept systematisch mit neuen zu verbinden. Vermutlich gibt es heute noch mehr gute Gründe, Gender und Diver- sity an Hochschulen strategisch zu verbinden. Gleichstellungspolitiken in Bezug auf die Gleichstellung von Frauen und Männern sind vergleichs- 14 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Gender und Diversity produktiv verbinden weise etabliert und (hochschul)gesetzlich abgesichert. Aber „Gender“ ist Gertraude Krell (1952 – 2016), inzwischen auch ein Kampfbegriff geworden – zumindest in der medialen studierte Volks- und Betriebswirt- schaftslehre und war von 1991 bis Öffentlichkeit. Es wird oft so getan, als sei schon alles erreicht, als sei das 2007 Professorin für Personalpolitik Beharren auf dem Abbau struktureller Ungleichbehandlung eine überholte am Fachbereich Wirtschaftswissen- Forderung von ewig gestrigen genderbewegten Frauen. Diversity kann da schaft der Freien Universität Berlin. Für ihren Forschungsschwerpunkt als ‚Türöffner‘ (Krell 2009) dienen. In Zeiten der Internationalisierung von „Chancengleichheit durch Per- Hochschulen kommt Diversity unverkrampft und vielversprechend daher. sonalpolitik“ erhielt sie 2003 den Und es verspricht, Nutzenerwartungen von der Ökonomisierung unterwor- Margherita-von-Brentano-Preis. fenen Hochschulen zu erfüllen. Die Charta der Vielfalt konstatiert in ihrem Soeben erschienen ist die Mono- grafie „Gender und Diversity in Bericht zum zehnjährigen Bestehen: „Die Widerstände gegen Diversity Ma- Organisationen. Grundlegendes zur nagement sind überschaubar. Wer engagierter für Diversity Management Chancengleichheit durch Perso- eintritt, erlebt allerdings mehr Widerstände.“ (Ernst & Young 2016: 11). nalpolitik“ von Gertraude Krell, Renate Ortlieb und Barbara Sieben. Damit bleibt weiterhin die Frage offen, ob sich die Verbindung von Gen- Wiesbaden: Springer Gabler, 2018. der und Diversity als „Albtraum oder Traumpaar“ erweist. Ist Diversity nur Diese Monografie steht in der das Label, das etwas bezeichnet, was viel verspricht und wenig hält? Oder ist Nachfolge von „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ (6. Auflage Diversity ein Weg, die vielfältigen Herausforderungen anzugehen, vor denen von 2011). Bis kurz vor ihrem Tod Hochschulen heute stehen, um – als öffentliche Einrichtungen – Chancenge- hat Gertraude Krell zusammen mit rechtigkeit tatsächlich zu verwirklichen? Was Diversity letztlich ist oder sein Barbara Sieben und Renate Ortlieb soll, kann und muss gefüllt werden (vgl. Omanović 2011). Ich schließe mich an dem Buchprojekt gearbeitet, beide haben das Buch nach Krells Gertraude Krell (2013) an und plädiere für die Politisierung des Konzepts Di- Tod fertiggestellt. versity in seiner Anwendung an Hochschulen. Damit kann unter dem Label Diversity die Antidiskriminierungspolitik gemacht werden, die erforderlich ist, um die Ausschließungen zu adressieren, die noch heute an deutschen Hochschulen wirksam sind – ohne dabei zu übersehen, dass es sich dabei immer um Aushandlungsprozesse handelt. 1 Die Idee für den Tagungstitel stammt von Barbara Sieben. Die Beiträge der Tagung finden sich in Andresen/Koreuber/Lüdke (2009). 2 Diversity Management ist ein Managementkonzept, das seine Wurzeln in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung hat (vgl. Vedder 2006). Andresen, Sünne/Koreuber, Mechthild/Lüdke, Dorothea (Hg.) (2009): Gender und Diversity: Albtraum oder Traumpaar? Interdisziplinärer Dialog zur „Modernisierung“ von Geschlechter- und Gleichstellungspolitik. Wiesbaden: VS. Ernst & Young (2016): Diversity in Deutschland. Studie anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Charta der Vielfalt. Stuttgart. Krell, Gertraude (2009): Gender und Diversity: Eine ‚Vernunftehe‘ – Plädoyer für vielfältige Verbindungen. In: Andresen, Sünne/Koreuber, Mechthild/Lüdke, Dorothea (Hg.): Gender und Diversity: Albtraum oder Traumpaar? Interdisziplinärer Dialog zur „Modernisierung“ von Geschlechter- und Gleichstellungspolitik. Wiesbaden: VS: 133- 153. Krell, Gertraude (2013): Vielfältige Perspektiven auf Diversity: erkunden, enthüllen, erzeugen. In: Bender, Fee-Saskia/Schmidbauer, Marianne/Wolde, Anja (Hg.): Diversity ent-decken. Reichweiten und Grenzen von Diversity Policies an Hochschulen. Weinheim/Basel: Juventa: 61-78. Omanović, Vedran (2011): Diversity in Organizations: A Critical Examination of Assumptions about Diversity and Organizations in Twenty-First Century Management Literature. In: Jeanes, Emma L./Knights, David/Martin, Patricia Yancee (Hg.): Handbook of Gender Work & Organization. Chichester: Wiley: 315-332. Vedder, Günther (2006): Die historische Entwicklung von Managing Diversity in den USA und in Deutschland. In: Krell, Gertraude/Wächter, Hartmut (Hg.): Diversity Management. München/Mering: Hampp: 101-121. 15 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
Gender und Diversity produktiv verbinden Zwischen Wortklauberei und Sprachwandel Ein Plädoyer für diversitätsbewusste Sprache Laurel Braddock, Die deutsche Sprache, die heute gelesen, gesprochen oder geschrieben studentische Mitarbeiterin im Projekt wird, hat Jahrhunderte von Sprachwandel hinter sich. Auf der lexikalischen Toolbox Gender und Diversity in der Lehre Ebene finden wir zahlreiche Gallizismen, d.h. Wörter mit einer französischen des Margherita-von-Brentano-Zentrums Herkunft, die in das Deutsche aufgenommen wurden: Etikette kommt aus und der Zentralen Frauenbeauftragten dem höfischen Französisch des 17. und 18. Jahrhunderts, Bulette kann bis der Freien Universität Berlin zur französischen Revolution zurückverfolgt werden, und sogar etepetete soll aus dem Französischen „être, peut-être“ stammen. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind Gallizismen weniger en vogue. Stattdessen sind Anglizismen in. Sprachwandel findet nicht nur auf einer lexikalischen Ebene statt. Auch syntaktisch ändert sich die Sprache: Sätze wie „ich schreibe diesen Artikel, weil ich mag Sprachen“ sind im mündlichen Sprachgebrauch weit verbreitet. Als Nicht-Muttersprachlerin war das Ablegen der mit Mühe gelernten Re- gel „Genitiv nach wegen“ notwendig für meine Integration. Wir ehemaligen Schüler*innen des Fachs Deutsch als Fremdsprache sind wohl die einzigen, die: „Wegen des Wetters habe ich meinen Regenschirm mitgebracht“, sagen. Sprachregeln sind historisch bedingt. Wird Sprache aus den gegenwärtigen Normen und Werten gestaltet oder gestaltet die Sprache die gegenwärtigen Normen und Werte? Etablierte sprachliche Normen, die bestimmte gesell- schaftliche Werte spiegeln, werden irgendwann durch neues Vokabular, neue Sprachgebräuche, neue Strukturen ins Schwanken gebracht und wandeln sich. Egal wie wir sprachlich kommunizieren, ob in der Muttersprache, in Ge- bärdensprache, in einer Zweitsprache, entwickelt sich eine unmittelbare und singuläre Beziehung zwischen sprechender Person und der von ihr genutz- ten Sprache. Sprache wird in dem Moment zu meiner Sprache. Die Wörter, Strukturen, Bilder, die ich hier beim Schreiben anwende, werden zu meinen, weil ich mich damit ausdrücke. Bei so einem engen Verhältnis zwischen Per- son und Sprache ist es also kein Wunder, dass Sprachwandel so viel Furore auslösen kann. Allein in den letzten Jahrzehnten gab es hunderte von Ar- tikeln für oder gegen sprachliche Veränderungen – sei es die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 oder, seit den 1980er Jahren, Richtli- nien für geschlechtergerechte Sprache. Sternchen und Gender-Gap Geschlechtsinklusive Schreibweisen Aber Sprache prägt nicht nur die eigene Identität als sprechende Person. mit Sternchen * oder Unterstrich In einer Art Wechselwirkung zwischen sich selbst und der Welt da draußen _ (Gender-Gap) adressieren explizit ist Sprache das verbindende Element zwischen meiner Person, meiner Iden- alle Menschen. Mit Begriffen wie Wissenschaftler*in oder Leser_in- tität, meinem Wesen und einer anderen Person, einer anderen Identität, ei- nen werden neben Frauen und nem anderen Wesen. Im Sprechen habe ich die Macht, die andere Person zu Männern auch Trans*- und Inter*- beschreiben und zu kategorisieren, sie einzuschließen oder auszuschließen, Personen angesprochen und sicht- ihre Existenz wahrzunehmen oder zu ignorieren. bar gemacht, die sich nicht immer den Kategorien Mann oder Frau Die deutsche feministische Sprachkritik sowie queere Sprachinnovationen zuordnen lassen wollen oder kön- wie das Gender-Sternchen oder der Gender-Gap haben die Reflexion über nen. In der gesprochenen Sprache bestimmte sprachliche Strukturen und deren diskriminierende Wirkung be- wird dort, wo sich Unterstrich oder Sternchen befinden, eine kurze gonnen: Abwertender und sexistischer Sprachgebrauch werden thematisiert; Pause gemacht. Frauen und ihre Leistungen werden durch unterschiedliche Sprech- und Schreibweisen sichtbar gemacht; die Binarität männlich/weiblich wird ins 16 Wissenschaftlerinnen-Rundbrief 1/2018
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