Ein kritisch-konstruktiver Blick

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Ein kritisch-konstruktiver Blick
sfs | Jahresbericht 2010 | Beiträge | 33

Vielfalt in Organisationen
– ein kritisch-konstruktiver Blick
Edelgard Kutzner

Es werden viele Argumente für die Notwendigkeit           sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit dem Thema
genannt, sich mit der Vielfalt in Organisationen und      Vielfalt in Organisationen beschäftigten und schließt
mit Diversity-Konzepten auseinanderzusetzen: Glo-         mit einigen konkreten Handlungsempfehlungen.
balisierung, Migration, demographischer Wandel,
Fachkräftemangel, die zunehmende Erwerbsarbeit
von Frauen. Diese Entwicklungen verändern nicht nur       Diversity und Diversity Management
die Gesellschaft, sondern auch die Zusammenset-           – einige konzeptionelle Überlegungen
zung der Erwerbsbevölkerung, und sie hinterlassen
Spuren im sozialen Gefüge von Unternehmen und             Vielfalt ist in jedem Unternehmen und jeder Ein-
Belegschaften. Die Integrationsfähigkeit und der          richtung vorhanden, selbst dort, wo es nach außen
Umgang mit Vielfalt werden zukünftig eine noch grö-       den Anschein hat, als sei die Belegschaft äußerst
ßere Rolle spielen als dies heute schon der Fall ist.     homogen, weil z. B. überwiegend weiße, inländische
Akteurinnen und Akteure aus Politik, Unternehmen,         Männer oder überwiegend Frauen dort arbeiten.
und Gewerkschaften setzen sich ebenso wie Wissen-         Auch dann gibt es Unterschiede, beispielsweise bei
schaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschied-       den Qualifikationen, in den Beschäftigungsformen
lichen Disziplinen mit dem Thema auseinander. Bei         (Vollzeit, Teilzeit, befristet, unbefristet), in der Alters-
manchen existiert die Vorstellung, es müsse nur der       struktur, in kulturellen Orientierungen, Lebensstilen,
richtige Mix von Vielfalt gefunden werden, dann stelle    Einstellungen und damit auch bei den Interessen
sich der Erfolg von ganz alleine ein. Von gegenseitiger   und Bedürfnissen zwischen und in diesen Gruppen.
Befruchtung durch das Einbringen verschiedener            Vielfalt bezieht sich sowohl auf verschiedene Grup-
Ansichten, Fähigkeiten und Kompetenzen – beispiels-       pen als auch auf Merkmale von einzelnen Personen.
weise von Frauen oder von Migranten – ist da die Rede.    In Deutschland sind dies in erster Linie Geschlecht,
Wir mahnen hier zur Vorsicht. So einfach ist es nicht.    Ethnie/Nation, Alter und Behinderung. In anderen
Es gibt keine Rezepte darüber, wie ein Team am bes-       Ländern kommen u. a. sexuelle Orientierung und Reli-
ten zusammengesetzt sein muss, um beispielsweise          gion hinzu.
innovative Ideen zu produzieren. Außerdem reicht es       Der Begriff Diversity ist vielschichtig und facetten-
nicht aus, sich lediglich über die Zusammensetzung        reich, er wird meist übersetzt mit Heterogenität,
Gedanken zu machen. Diejenigen, die das behaupten,        Verschiedenartigkeit oder auch Vielfalt. Ein Blick
verkennen, dass es sich bei Arbeitsprozessen um           in die Wissenschaft zeigt, Diversity kann nicht als
soziale Prozesse handelt. Der folgende Beitrag will       naturgegeben angesehen werden. Diversity wird
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 Die Ausführungen basieren auf den Ergebnis-              dann sinnvoll, wenn Diskriminierungen dokumentiert
 sen aus zwei empirischen Projekten, die sich auf         und analysiert werden sollen, wie z. B. die Lohndiskri-
 unterschiedliche Weise mit Vielfalt in Organisa-         minierung von Frauen. Manchmal sind Zuordnungen
 tionen auseinandergesetzt haben:                         dagegen von Nachteil, insbesondere wenn es darum
                                                          geht, die unterschiedlichen Potenziale innerhalb einer
 Das Projekt „Innovation und Diversity. Konzepte,         Gruppe zu erkennen. Dahinter steht der Gedanke, dass
 Instrumente und Empfehlungen jenseits traditio-          Ähnlichkeit oder gar Gleichförmigkeit in einer Gruppe
 nellen Managements“ befasste sich auf der Ebene          oder einem Team leistungssteigernd wirkt. Verkannt
 der betrieblichen Organisation mit den Zusam-            wird dabei die dennoch vorhandene Vielfalt innerhalb
 menhängen zwischen Innovation, Partizipation             von Gruppen. Es muss also genau überlegt werden,
 und Diversity. Hier ging es um die Erarbeitung von       wann es sinnvoll und notwendig ist, nach Gruppen
 Konzepten, Instrumenten und Empfehlungen für             zu differenzieren bzw. Gruppenzuordnungen vorzu-
 ein innovationsförderndes Diversity Management.          nehmen, und wann genau dies dazu beiträgt, Grup-
 Die BMBF- und ESF-finanzierte Untersuchung war           penzugehörigkeiten zu konstruieren, die in der Folge
 im Förderschwerpunkt des BMBF „Innovations-              alle dieser Gruppe zugeordneten Individuen „über
 strategien jenseits traditionellen Managements“          einen Kamm scheren“ und dadurch für die einzelnen
 angesiedelt und wurde verantwortlich von der             Gruppenmitglieder, wie auch für die gesamte Gruppe,
 Autorin an der Universität Bielefeld durchgeführt.       diskriminierend wirken können. Die Problematik etli-
 Weitere Informationen unter: www.indibi.de               cher Diversity-Ansätze liegt darin, dass sie regelrecht
                                                          zu Stereotypisierungen einladen und Beschäftigte
 Im anderen ebenfalls abgeschlossenen Projekt             auf ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
 „Entwicklung eines Online-Tools Diversity“ wurde         Gruppe reduzieren, von der dann bestimmte Einstel-
 ein Befragungs- und Analyseinstrument für                lungen und Verhaltensweisen erwartet werden. Dies
 Unternehmen entwickelt, mit dem Unternehmen              ist z. B. der Fall, wenn Frauen bestimmte Verhaltens-
 ganz konkret ihren Umgang mit einer vielfältigen         weisen in Führungspositionen unterstellt werden
 Belegschaft, aber auch Kundschaft analysieren            oder wenn Jüngeren eine höhere Kreativität und ein
 können. Dabei handelt es sich um ein sog. Selbst-        umfassenderes Wissen z. B. bezüglich neuester Tech-
 analyse-Tool, das dazu dienen soll in einem ersten       nologien unterstellt wird, Älteren ein breiter Erfah-
 Zugriff vorhandene Praktiken, Routinen und Struk-        rungsschatz. Solche Zuschreibungen treffen eben
 turen grundlegend zu hinterfragen. Das Tool wurde        nie generell auf eine bestimmte Beschäftigtengruppe
 im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz           zu.
 und Arbeitsmedizin an der sfs verantwortlich von         Die hier gewählte Definition von Diversity meint
 der Autorin entwickelt. Weitere Informationen            Vielfalt im Sinne von Unterschieden und Gemein-
 unter: www.online-diversity.de                           samkeiten in sozialen Gruppen. Unterschiede zu
                                                          erkennen ist nötig, um den Blick auf die tatsächlich
                                                          vorhandene Heterogenität der Belegschaft zu rich-
hergestellt, es ist ein Konstrukt. Menschen werden        ten. Gemeinsamkeiten sind angesprochen, wenn es
bestimmten Gruppen zugeordnet, z. B. Ältere, Men-         darum geht, ungleichheitserzeugende Abgrenzungen
schen mit Migrationshintergrund. Ganz abgesehen           zwischen Beschäftigtengruppen (beispielsweise zwi-
davon, dass bei einer solchen Betrachtung die Unter-      schen Männern und Frauen) zu erkennen.
schiede innerhalb der Gruppen vernachlässigt wer-         Diversity Management ist ein Unternehmenskonzept,
den (Frau ist eben nicht gleich Frau, Migrant ist nicht   das sich auf die vorhandene oder beabsichtigte per-
gleich Migrant), können diese Zuordnungen zu einer        sonelle Vielfalt in Unternehmen stützt und diese für
benachteiligenden Differenzerzeugung und damit zu         eine positive Entwicklung des Unternehmens nutzen
sozialer Ungleichheit führen. Über die Mechanismen,       will. Neben moralischen und juristischen Gründen
wie das geschieht, liegen u. a. aus der Frauen- und       sind es zunächst ökonomische Gründe, die für die
Geschlechterforschung etliche Erkenntnisse vor            Einführung eines Diversity Managements sprechen.
(Kutzner 2010).                                           Unternehmen sowie öffentliche und private Einrich-
Wann ist es aber dennoch sinnvoll, sich soziale Grup-     tungen, die systematisch die Interessen ihrer vielfäl-
pen genauer anzusehen? Gruppenzuordnungen sind            tigen Kundschaft, ihrer vielfältigen Belegschaft und
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ihrer vielfältigen Umwelt berücksichtigen, gelten als           rogene Gruppe in dem einen Unternehmen, ja sogar
wirtschaftlich erfolgreicher.                                   in der einen Abteilung erfolgreich sein, in einem
Der Nutzen eines Diversity Managements wird allge-              anderen Unternehmen oder Abteilung dagegen nicht,
mein in fünf Bereichen gesehen:                                 weil hier möglicherweise Konkurrenz unter den ver-
• Personalmarketing: Mit Diversity Management                   schiedenen Beschäftigtengruppen den betrieblichen
    lassen sich Angehörige von Minderheiten auf                 Alltag prägt.
    dem Arbeitsmarkt besser rekrutieren. Dies wird              Damit Organisationen ein Umfeld schaffen können, in
    immer wichtiger, weil die bisher im Berufsleben             dem die Unterschiedlichkeit der Beschäftigten nicht
    dominante Gruppe (meist weiße, inländische, gut             nur akzeptiert, sondern anerkannt, wertgeschätzt
    qualifizierte Männer fortgeschrittenen Alters)              und gefördert wird, ist ein Konzept von Unterneh-
    tendenziell kleiner wird.                                   mensführung notwendig, das die Verschiedenheit der
• Kreativität bei Problemlösungen: Gemischt zu-                 Beschäftigten bewusst zum Bestandteil der Perso-
    sammengesetzte Teams können zu innovativeren                nalstrategie und Organisationsentwicklung macht.
    und kreativeren Problemlösungen als homogene                Ziel ist es, allen Unternehmensangehörigen die Mög-
    Gruppen (die allerdings schneller entscheiden               lichkeit zu geben, gut und effektiv zu arbeiten. Diver-
    können) kommen.                                             sity Management ist somit Teil einer umfassenden
• Flexibilität: Homogene Entscheidungsgremien                   Unternehmensstrategie. Die Handlungsfelder rei-
    reagieren wegen des hohen Konformitätsdrucks                chen von der Berücksichtigung von Vielfalt in Unter-
    weniger flexibel als heterogene Gruppen auf Um-             nehmensstrategie und -leitbild, bei Führung und
    weltveränderungen. Heterogenität kann zudem                 Unternehmenskultur, im Personalmanagement, in
    Betriebsblindheit reduzieren helfen.                        der Interessenvertretung, bei der Arbeitsgestaltung
• Marketing: Eine vielfältig zusammengesetzte Be-               und Arbeitsorganisation, im betrieblichen Gesund-
    legschaft kann sich besser auf die Wünsche und              heitsmanagement, bei Lohn und Leistung bis hin zu
    Bedürfnisse einer heterogenen Kundschaft ein-               Marketing und Public Relations sowie Produkt- bzw.
    stellen.                                                    Dienstleistungsentwicklung (ausführlich Kutzner
• Kostensenkung: Durch eine gute Integration aller              2011).
    Mitarbeiter/innen werden Reibungsverluste und               Mit einem derartigen umfassenden Diversity-Kon-
    Diskriminierung minimiert, wodurch Motivation               zept können u.E. einerseits Ungleichbehandlungen
    und Zufriedenheit der Minderheiten gesteigert               und Ausgrenzungen sozialer Gruppen in Struktur
    werden können, was letztlich kostensenkend wir-             und Handlung untersucht und bearbeitet werden, es
    ken soll.1                                                  können auf diese Weise aber auch Gestaltungsmög-
Auch wenn die ökonomische Messbarkeit des Erfolgs               lichkeiten sichtbar gemacht werden, die zu mehr öko-
von Diversity Management nicht so einfach ist, u. a.            nomischem Nutzen und zu mehr Chancengleichheit
weil verbindliche Messgrößen fehlen, sehen etliche              beitragen.
Unternehmen vielfältige Belegschaften als Hoff-                 Aus einer arbeitspolitischen Perspektive heraus
nungsträger/innen. Andere wiederum wenden sich                  betrachtet kann die Partizipation der Beschäftigten
kritisch gegen diese Ökonomisierung des Anderen.                als eine Art Gradmesser für die Verankerung eines
Ihrer Meinung nach geht es bei einem Diversity                  erfolgreichen Diversity Managements in den Unter-
Management lediglich um das Managen des Ande-                   nehmensstrukturen und -kulturen angesehen werden.
ren, i.S. eines im Zaum gehalten werden. Sicher ist,            Ein partizipatives Verfahren bedeutet, neue Beteiligte
die propagierten Erfolge werden sich nicht so einfach           und neue Ideen in Arbeits- und Gestaltungsprozesse
einstellen, sie hängen von der konkreten Gestaltung             einzubringen. Ein partizipatives Managementkon-
eines Diversity Managements ab. So kann eine hete-              zept, bei dem nicht nur die „Wertschöpfungsstar-
                                                                ken“, sondern Angehörige aller sozialen Gruppen im
1    Vgl. u.a. Krell, Gertraude (2008): Diversity Management:   Unternehmen beteiligt werden. Partizipation kann
    Chancengleichheit für alle und auch als Wettbewerbs-        entscheidend zur Inklusion beitragen, indem bislang
    faktor. In: Krell, Gertraude (Hrsg.): Chancengleichheit     von Partizipation ausgeschlossene Gruppen struktu-
    durch Personalpolitik. Gleichstellung von Frauen und
                                                                rell eingebunden und aktiv aufgefordert werden, sich
    Männern in Unternehmen und Verwaltungen. Recht-
    liche Regelungen – Problemanalysen – Lösungen,
                                                                zu beteiligen. Durch ein partizipatives Vorgehen kann
    Wiesbaden, 2008                                             Wissen der Beschäftigten für Innovationen wie auch für
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die Gestaltung der Arbeit und der Arbeitsbedingungen               men eher punktuell ausgerichteten Entwick-
genutzt werden. Partizipative, nicht diskriminierende              lungsschritte zu erweitern. Hier lernt eine Organi-
Strukturen im Unternehmen können ein kreatives                     sation aus den mit einer vielfältigen Belegschaft
und konstruktives Umfeld fördern. Für diese Art von                verbundenen vielfältigen Zugängen und Sicht-
Beteiligung sind bestimmte Voraussetzungen nötig,                  weisen. Vorhandene Strukturen, Prozesse und
insbesondere Verfahren, die es ermöglichen, Kom-                   Verfahrensweisen werden kritisch hinterfragt. Im
petenz und Kreativität in Kooperationsbeziehungen                  Ergebnis sollen Beschäftigte mehr Wertschät-
auch wirklich einzubringen. Diversity Management                   zung und mehr Handlungsmöglichkeiten erhalten.
als partizipatives Management zu gestalten, welches                Das Unternehmen profitiert im Gegenzug durch
sowohl antidiskriminierend als auch innovationsför-                mehr innovative Ideen und effektivere Prozesse.
dernd und damit wettbewerbsfördernd sein könnte,                Der Lern- und Effektivitäts-Ansatz vereint also die
bedeutet eine nachhaltige betriebliche Veränderung.             Ansätze zu Antidiskriminierung und Fairness sowie
Diversity könnte von seinem Ruf, ein bloßes Mode-               Marktzugang und Legitimität zu einem umfassenden
thema zu sein, befreit werden.                                  Unternehmenskonzept, in dem Heterogenität nach-
                                                                haltig in der Organisationskultur und -struktur veran-
                                                                kert wird. Es soll miteinander und voneinander gelernt
Diversity als Lernprozess                                       und Unterschiedlichkeit effektiv genutzt werden.

Durch einen entsprechend gestalteten betrieblichen
Dialog können Lernprozesse beginnen, die eine                   Ein erster Gestaltungsschritt - das Online-
Veränderungsbereitschaft entwickeln, stärken und                Tool Diversity
erhalten. Mit dem hier vertretenen Ansatz kann u.
a. an das von Thomas und Ely2 entwickelte Diversity             Diversity Management i. S. eines bewussten Umgangs
Konzept des „learning and effectiveness paradigm“               mit Vielfalt beinhaltet das Erkennen, Verstehen und
angeknüpft werden. Die dort entwickelte Diversity               Wertschätzen von Vielfalt. Damit Unternehmen einen
Management-Typologie beinhaltet drei wesentliche                Zugang zum Thema Diversity und Diversity Manage-
Entwicklungsschritte des Diversity Managements in               ment bekommen können, wurde an der sfs ein Tool
Unternehmen:                                                    entwickelt, welches Interessierten kostenlos im Inter-
• Im       „discrimination-and-fairness     paradigm“           net zur Verfügung steht (www.online-diversity.de). Mit
    stehen die Verwirklichung von Gleichstellung,               dem Online-Tool Diversity steht ein Befragungs- und
    Gleichbehandlung und sozialer Gerechtigkeit im              Analyseinstrument zur Verfügung, mit dem Unterneh-
    Vordergrund. Basis sind die rechtlichen Vorga-              men sowie öffentliche und private Einrichtungen aller
    ben zur Gleichbehandlung von benachteiligten                Größen und Branchen ganz konkret ihren Umgang mit
    Minderheiten bei Anwerbung, Entlohnung und                  einer vielfältigen Belegschaft, aber auch Kundschaft
    Personalentwicklung. Ein Gradmesser der Zieler-             analysieren können, unabhängig davon, ob sie ein
    reichung besteht etwa in der Verwirklichung des             Diversity Management praktizieren oder nicht. Mit
    Ziels „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“.             dem Tool kann eine grobe Standortbestimmung bis-
• Beim „access-and-legitimacy paradigm“ steht                   heriger hemmender, aber auch fördernder Strukturen
    der Gedanke der Vielfalt der Belegschaft als Wett-          und Handlungsweisen vorgenommen werden. Die
    bewerbsfaktor im Vordergrund. So hat die Vielfalt           Ergebnisse ermöglichen es den Unternehmen, dar-
    der Kundschaft in der Vielfalt der Belegschaft              aus erste Handlungsschritte ab- und einzuleiten. Das
    ihre Entsprechung. Die Herausforderung besteht              folgende Bild gibt einen Einblick in das zur Verfügung
    darin, diese vielfältige Belegschaft auch in den            stehende Angebot:
    erforderlichen Informations- und Kompetenzaus-
    tausch gleichberechtigt einzubinden.
• Das „learning-and-effectiveness paradigm“ ver-                Ein konkretes Handlungsfeld – Diversity
    sucht, die in den zuvor beschriebenen Paradig-              und Innovationen

2   Thomas, David A., Ely, Robin J., 1996: Making Differences
                                                                In der aktuellen Auseinandersetzung um Innovati-
    Matter. In: Harvard Business Review 74 (5) 79-91.           onsschwächen in deutschen Unternehmen haben
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wir uns u. a. die Frage gestellt: Kann ein Diversity     nicht ausreichend genutzt werden (Kutzner 2011). Es
Management zur Förderung von Innovationen beitra-        berichten zwar nur wenige Befragte von Beschäftig-
gen? Wie müsste ein innovationsförderndes Diver-         tengruppen, die von Innovationsprozessen generell
sity Management aussehen? Ein Ergebnis unserer           ausgeschlossen sind. Die bewusste Entwicklung der
Untersuchung: Zur Innovationsfähigkeit von Unter-        personellen Vielfalt ist bei den meisten Unternehmen
nehmen gehört neben der Fähigkeit, neue Trends auf       allerdings deutlich unterentwickelt.
den Märkten und veränderte Bedürfnisse der Kund-         Neben der Inklusion der heterogen Beschäftigten in
schaft frühzeitig wahrzunehmen, auch die Fähigkeit,      Innovationsprozesse, unabhängig von ihrer Zuordnung
Impulse von innen zu nutzen, kreative Ideen der          zu bestimmten sozialen Gruppen, ist für erfolgreiche
Beschäftigten zu fördern, ihr Wissen aufzunehmen.        Produkt- und Dienstleistungsentwicklungen sowie
Innovationen entstehen aus Ideenreichtum, aus der        Prozessinnovationen eine Irritation des Alltagswis-
Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Sichtweisen,        sens auch über die verschiedenen Kund/innengrup-
aus der Möglichkeit zum Perspektivenwechsel und          pen notwendig, und damit eine Reflektion vorhan-
aus dem Zusammenwirken von Beschäftigten mit             dener Vorurteile. Das betrifft sowohl die äußerlich
unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, mit           wahrnehmbaren Unterschiede wie Geschlecht, Alter,
unterschiedlichen Arbeits- und Lebenswelten. Ein         Ethnie und Behinderung, als auch die nicht äußerlich
erfolgreiches Ideen- und Innovationsmanagement           wahrnehmbaren, eher subjektiven Unterschiede wie
setzt dabei auf die breite Beteiligung der Mitarbeite-   sexuelle Orientierung, Religion, Lebensstil. Bei der
rinnen und Mitarbeiter und schließt Ausgrenzungen        Entwicklung neuer Produkte ist die Verlockung der
ganzer Beschäftigtengruppen aus.                         Reproduktion und Herstellung von längst überhol-
Der betriebliche Alltag sieht häufig anders aus.         ten Klischees über die vermuteten Interessen und
Unsere Befragung zum Innovationsgeschehen in             Bedürfnisse bestimmter Gruppen sehr groß. Pro-
Dienstleistungsunternehmen zeigt, dass die vor-          dukte und Dienstleistungen, die auf Basis solcher
handenen Potenziale in der Belegschaft quer durch        generellen Annahmen über beispielsweise die Frauen
alle Beschäftigtengruppen in Innovationsprozessen        und die Männer entwickelt werden, laufen Gefahr, an
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den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer vorbei zu           zu erkennen. Es gibt nicht das Diversity Management
gehen. Solche Dichotomisierungen finden sich auch             oder den Innovationsprozess. Jedes Unternehmen
häufig bei den „Technologien des Alltags“3, wie z. B.         entwickelt für sich seine Vorgehensweise. Das hat
bei Damen- und Herrenrasierern, Damen- und Her-               zur Folge, dass unter dem Label „Diversity Manage-
renuhren, etc. Sinnvoller wäre eine Differenzierung           ment” eine Vielzahl von unterschiedlichen Formen
nach Nutzungsinteressen. So stellt sich vielleicht            und Praktiken existieren. Für die Gestaltung dieser
heraus, dass auch Männer Interesse an einer Bedi-             Veränderungsprozesse wird mit unseren Untersu-
enoberfläche haben, bei der Funktionalität und Über-          chungsergebnissen allgemeines Orientierungs- und
sichtlichkeit im Vordergrund stehen, die eigentlich für       Handlungswissen zur Verfügung gestellt.
die vermuteten nicht technikverliebten Interessen
von Frauen konzipiert war. Um diesen Entwicklungen
vorzubeugen, ist die Partizipation auch von bislang           Zum Weiterlesen (Auswahl):
von Innovationsprozessen Ausgeschlossenen von
Nutzen.                                                       Kutzner, Edelgard (2009): Diversity als Innovationsstrate-
                                                                gie. Das Selbstanalysetool „Online-Diversity“, in: Schrö-
                                                                der, Lothar/Kutzner, Edelgard/Brandt, Cornelia (Hrsg.):
Fazit                                                           Innovation durch Chancengleichheit – Chancengleich-
                                                                heit als Innovation, Hamburg, S. 192-213
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen zeigen, dass            Kutzner, Edelgard (2010): Diversity Management zwischen
ein entsprechend gestaltetes Diversity Management               Ökonomisierung und Gleichstellungspolitik., in: GENDER
geeignet ist, personelle Vielfalt in Unternehmen zur            - Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft,
Verbesserung von Ökonomie und Chancengleichheit                 2/2010, S. 25-41
zu nutzen. Diversity als Erfolgsfaktor zu entwickeln,
bedeutet zunächst einmal,die bestehende Vielfalt zum
Thema zu machen und dabei auch Benachteiligungen
und Ausgrenzungen sichtbar zu machen. Dazu ist es
sinnvoll, die vorhandenen Strukturen, Praktiken und
Routinen zu hinterfragen. Hierbei kann das angespro-
chene Online-Tool Diversity eine Unterstützung bieten.
Diversity Management bedarf einer unterstützenden
Struktur und eines unterstützenden Klimas, welches
Intoleranz reduziert und Offenheit fördert. Der Weg
zu einem solchen Verständnis führt über Prozesse
des Bewusstwerdens, einer intensiven Kommunika-
tion und einer dementsprechenden Umsetzung. Die
Verwendung des Begriffes Erfolg bezieht sich dabei
sowohl auf den ökonomischen Nutzen als auch den
Nutzen für die Chancengleichheit der Beschäftigten.
Neben den Organisationsstrukturen ist die Haltung
des Managements und der Beschäftigten zur Vielfalt
in der Belegschaft entscheidend für den Erfolg eines
Diversity Managements.
Die vorliegenden Ergebnisse sollen dazu anregen,
Gestaltungsmöglichkeiten von Diversity in Unterneh-
men sowie öffentlichen und privaten Einrichtungen

3   Woffram, Andrea/Leicht-Scholten, Carmen (2009): Gen-
                                                              Kutzner, Edelgard (2011): Vielfalt im Innovationsprozess. Konzep-
    der und Diversity in der Technikentwicklung. In: Schrö-   te, Instrumente und Empfehlungen für ein innovationsförderndes
    der, Lothar/Kutzner, Edelgard/Brandt, Cornelia (Hrsg.):   Diversity Management. Bielefeld, IFF-Forschungsreihe Band 18
    Innovation durch Chancengleichheit-Chancengleich-         (kostenlos zu bestellen bei: kutzner@sfs-dortmund.de)
    heit als Innovation. Hamburg 2009, S. 128-148
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