Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch? - De Gruyter

 
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Interkult. Forum dtsch.-chin. Kommun. 2021; 1(1): 22–40

Jin Zhao*
Wissenschaftliche Texte: universell oder
kulturspezifisch?
Scientific texts: universal or culture-specific?
https://doi.org/10.1515/ifdck-2021-2001

Zusammenfassung: Der Beitrag geht auf die Diskussion über die Universalität
oder die Kulturgebundenheit von Fachtexten sowie die Relativitätshypothese
über Fachtexte in der Fachsprachenforschung ein und vertritt die Ansicht, dass
wissenschaftliche Texte durch die Kultur geprägt sind. Im Beitrag werden deut-
sche und chinesische linguistische Zeitschriftenartikel hinsichtlich der Makro-
struktur kontrastiv analysiert, um zu zeigen, dass in derselben wissenschaft-
lichen Gemeinschaft wissenschaftliche Texte auch sprachkulturell bedingte
Unterschiede aufweisen.

Stichwörter: Fachtexte, Universalität, Kulturspezifik, Makrostruktur von wissen-
schaftlichen Texten

Abstract: The article deals with the discussion about the universality or cultural
ties of texts for special purposes as well as the relativity hypothesis about them
in languages for special purposes research and takes the view that scientific texts
are shaped by culture. In the article, German and Chinese linguistic journal arti-
cles are contrastively analyzed with regard to the macrostructure in order to show
that in the same scientific community, scientific texts also have central rights in
language culture.

Keywords: texts for special purposes, universality, cultural specificity, macro-
structure of academic texts

*Korrespondenzautorin: Prof. Dr. Jin Zhao, Deutsche Fakultät der Tongji-Universität, 200092
Shanghai, China. E-Mail: zhaojin@tongji.edu.cn

  Open Access. © 2021 Jin Zhao, publiziert von De Gruyter.           Dieses Werk ist lizensiert
unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
    Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch?   23

1 Einleitung
Die Vermittlung der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist grundsätzlich an die
Sprache gebunden. Erst durch die sprachliche Manifestation werden wissen-
schaftliche Erkenntnisse für andere wahrnehmbar und ein wissenschaftlicher
Diskurs wird durch das sogenannte „Veröffentlichungsgebot“, das „Rezeptions-
gebot“ und das „Kritikgebot“ (Weinrich 1985: 496–497) ermöglicht. Dabei ist die
Wissenschaftlichkeit durch Kriterien wie die „theoretische […] Erklärung von
Wirklichkeitszusammenhängen, die empirische Bestätigung einer wissenschaft-
lichen Theorie und die prinzipielle Reproduzierbarkeit der Ergebnisse“ (Hardy
2008: 684) gekennzeichnet und dementsprechend sollte die wissenschaftliche
Darstellung rational und objektiv sein, sie verlangt das „Ich-Verbot“, das „Meta-
phern-Verbot“ und das „Erzähl-Verbot“ (Weinrich 1989) oder Gebot der „Öko-
nomie“, der „Präzision“, der „Origo-Exklusivität“ und der „Diskussion“ (Czicza/
Hennig 2011: 50). Dies soll interdisziplinär wie interlingual gelten. Aber anderer-
seits ist Sprache nicht nur ein Mittel, um wissenschaftliche Ergebnisse auszudrü-
cken, sondern sie bestimmt auch unser Denken und damit auch grundlegendes
forschendes Handeln. Denn nach Wilhelm von Humboldt (2010a [1827–1829]:
191) ist die Sprache „das bildende Organ des Gedanken“, sodass „die Sprachen
nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern
weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken“ (Humboldt 2010 [1820]: 19–20).
Als Organ des Denkens weisen verschiedene Sprachen zugleich verschiedene
Denkweisen auf, deswegen ist „ihre Verschiedenheit […] nicht eine von Schällen
und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst“ (Humboldt
2010 [1820]: 20). D. h., die in verschiedenen Sprachen verfassten wissenschaft-
lichen Texte können die verschiedenen wissenschaftlichen Denkweisen wider-
spiegeln, die sich in der Art und Weise der Vermittlung der wissenschaftlichen
Erkenntnisse niederschlagen.
     In diesem Beitrag wird auf die Diskussion über die Universalität und die Kul-
turgebundenheit von Fachtexten sowie die Relativitätshypothese über Fachtexte
in der Fachsprachenforschung eingegangen. Durch eine kontrastive Analyse von
deutschen und chinesischen linguistischen Zeitschriftenartikeln hinsichtlich der
Makrostruktur wird anschließend aufgezeigt, dass selbst in derselben wissen-
schaftlichen Gemeinschaft wissenschaftliche Texte sprachkulturell bedingte
Unterschiede aufweisen.
24         Jin Zhao

2 D
   iskussion über Universalität oder Kultur­
  spezifik in der Wissenschaftssprache
Bezüglich der Fachtexte wurde in der Fachsprachenforschung in den 1980er
Jahren über die Universalität oder Kulturgebundenheit diskutiert. Das Universali-
tätskonzept besagt, dass der wissenschaftliche Diskurs eine universelle, nicht an
einzelne Sprachen gebundene Gattung sei. Begründet wird dies damit, dass in
Fachtexten die gleichen intellektuellen und methodischen Handlungen ausge-
führt, geteilte Begriffssysteme verwendet sowie das gleiche Instrumentarium der
wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung erprobt werden. Dieses Konzept wurde
vor allem von Widdowson eingebracht:

     I assume that the concepts and procedures of scientific inquiry constitute a secondary cul-
     tural system which is independent of primary cultural systems associated with different
     societies. […] In the same way, I take it that the discourse conventions which are used to
     communicate the common culture are independent of the particular linguistic means which
     are used to realize them. […] So I would wish to say that scientific discourse is a universal
     mode of communicating, or universal rhetoric, which is realized by scientific text in differ-
     ent languages by the process of textualization. (Widdowson 1979: 51–52)

Andere Vertreter des Universalitätskonzeptes wie Schwanzer (1981) hingegen
beschrieben die Universalia in den wissenschaftlichen Fachsprachen vor allem
durch Vergleiche syntaktischer und lexikalischer Erscheinungen und sahen die
Universalität z. B. in dem Gebrauch künstlicher Symbole, in der Sachbezogen-
heit, der Entpersönlichung des Ausdrucks sowie der ökonomischen Darstellung.
Dieses Konzept wird aber aufgrund des Mangels an empirischer Fundierung und
aufgrund der eurozentrischen Sichtweise kritisch beurteilt (vgl. Gläser 1992:
83–86).
     Die Gegenposition zum Universalitätskonzept in der Fachsprachenforschung
betonte dagegen die kulturellen Besonderheiten der Einzelsprachen, die durch
kontrastive Fachtextuntersuchungen nachzuweisen versucht wurden (vgl. Gläser
1992: 86–87). Bezugspunkt dafür ist die Hypothese von Galtung (1983), die unter-
schiedliche intellektuelle Stile postuliert. Galtung unterscheidet zwischen einem
sachsonischen, einem teutonischen, einem gallischen und einem nipponischen
intellektuellen Stil. Dabei steht die sachsonische Struktur für die englischsprachi-
gen Länder mit England und den USA als Vertreter und wird metaphorisch als auf
dem soliden Boden der Empirie errichtete kleine Pyramiden beschrieben, was die
Ausrichtung auf Thesenbildung und Faktenbetonung bedeutet. Der teutonische
Stil erstreckt sich von Deutschland bis nach Osteuropa einschließlich der ehema-
ligen Sowjetunion. Dieser wird als gigantische Pyramidenkonstruktionen ver-
    Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch?         25

anschaulicht und für hierarchisch, abstrakt und theorieorientiert gehalten. Die
gallische Wissenschaft umfasst die romanischen Länder und Rumänien und wird
als eine von Symmetrie gekennzeichnete Hängematte charakterisiert, die ihren
Wert nicht nur auf die Theoriebildung und Paradigmenanalyse lege, sondern vor
allem die Spracheleganz betone. Schließlich bezieht sich die nipponische Kultur
auf Japan und lässt sich als buddhistisches Rad verstehen, sie sei enzyklopädisch
und akzentuiere die soziale Beziehung. Diese unterschiedlichen Denk- und For-
mulierungsstile, so Galtung, würden die Wissenschaftler aus einem bestimmten
Kulturkreis beeinflussen, insofern könnten die Fachtexte, denen sich die Wissen-
schaftler als Kommunikationsmittel bedienen, auch nicht universal sein.
     Während Galtung seine These ohne empirische Unterstützungen noch essay-
artig formulierte, versuchte der deutsch-australische Fachsprachenforscher
Michael Clyne (1981, 1984, 1987, 1991), anhand empirischer Untersuchungen die
kulturspezifischen Differenzen in der Organisation wissenschaftlicher Texte
nachzuweisen. Durch die Untersuchung von 52 englisch- und deutschsprachigen
wissenschaftlichen Texten aus den Bereichen Linguistik und Soziologie kommt
er zum Ergebnis, dass englische Texte linear und weniger abschweifend sind und
mehr metatextuelle Hinweise auf den Textaufbau verwenden, während deutsche
Texte eine verhältnismäßig asymmetrische und leicht bis sehr digressive Struktur
aufweisen. D. h., auch die wissenschaftlichen Texte enthalten in ihrem strukturel-
len Aufbau durchaus eine kulturelle Prägung und sind im Grunde kulturspezifisch.
     Sowohl das Universalitätskonzept als auch das Konzept der Kulturspezifik
werden hinsichtlich ihrer Pauschalisierung kritisiert, da sich das erstere in seiner
Argumentation vor allem auf naturwissenschaftliche Texte bezieht und das letztere
auf der Analyse geisteswissenschaftlicher Texte basiert. Insofern wird eine Relati-
vierungshypothese aufgestellt. Schröder (1989: 37) fordert eine Differierung inner-
halb der wissenschaftlichen Disziplinen sowie ihrer Fachsprachen, wobei er nur
den naturwissenschaftlich-technischen Texten universelle Strukturen zuspricht
und gesellschaftswissenschaftliche Fachtexte als kulturgebunden beschreibt.
Ebenfalls haben Gnutzmann und Oldenburg diesen beiden Konzepten den Abso-
lutheitsanspruch abgesprochen und formulieren die folgenden zwei Thesen:

    i.    Je mehr ein Fachgebiet kulturübergreifenden, also einzelkulturabhängigen Charakter
          hat, das heißt sein eigentlicher Gegenstandbereich nicht in der Primärkultur liegt und
          somit nicht oder kaum „gesellschaftsbezogen“ ist, desto größer ist die Tendenz zur
          Verwendung sprachübergreifender, universeller Diskursmuster. (Gnutzmann/Olden-
          burg 1990: 213)
    ii.   Je mehr der Gegenstandsbereich eines Fachgebietes in der Primärkultur verankert
          ist, je mehr er als „gesellschaftsbezogen“ charakterisiert werden kann, desto wahr-
          scheinlicher ist, daß bei der Versprachlichung wissenschaftlicher Sachverhalte kultur-
          spezifische Diskursmuster verwendet werden. (Gnutzmann/Oldenburg 1990: 213)
26       Jin Zhao

Zur Überprüfung der Relativitätshypothese haben Gnutzmann/Lange (1990)
sowie Oldenburg (1992) Teiltexte von deutschen und englischen Fachzeitschrif-
tenartikeln (Einleitung bzw. Introduction, Zusammenfassung bzw. Conclusion)
untersucht und herausgefunden, dass Teiltexte naturwissenschaftlicher wie
technischer Fächer (z. B. Mathematik, Maschinenbau) sprachübergreifende
Strukturen besitzen, während Teiltexte der Geistes- und Sozialwissenschaft (z. B.
Pädagogik, Linguistik, Wirtschaftswissenschaften) variable Textmuster aufwei-
sen. Sie verifizieren dahingehend auch die Relativitätshypothese.
     Diese Relativitätshypothese motivierte eine Reihe weiterer Untersuchun-
gen, die in verschiedenen Fachgebieten, mit verschiedenen wissenschaftlichen
Textsorten und zum Teil auch über die englische Sprache hinaus ganztextlich
durchgeführt worden sind, deren Ergebnisse diese Hypothese mehr oder weniger
bestätigen. Sachtleber (1993) hat zehn deutsche und französische Kongressakten
(verschriftlichte Vorträge) aus dem Bereich Linguistik bezüglich der Textorgani-
sation verglichen und deutliche Unterschiede sowohl bei der Textoberfläche als
auch hinsichtlich der thematischen Entfaltung und der Handlungstypen fest-
gestellt. Sie zieht somit den Schluss, dass zumindest in den sogenannten kul-
turabhängigen Disziplinen einzelsprachliche Vertextungsmuster existieren und
mit textlinguistischen Mitteln zu beschreiben sind. In der Untersuchung von
Hutz (1997) werden dagegen deutsche und englische wissenschaftliche Artikel
aus dem Fachgebiet Sozialpsychologie in den Fokus genommen. Sein Unter-
suchungsergebnis, dass es sowohl auf der makrostrukturellen als auch auf der
mikrostrukturellen Sprachebene eine Reihe interlinguale Gemeinsamkeiten aber
auch Unterschiede gibt, führt er darauf zurück, dass sich die Sozialpsychologie
weder der Naturwissenschaft noch der Geisteswissenschaft eindeutig zuordnen
lässt, sich stattdessen im Spannungsfeld zwischen ihnen befindet. Somit sind
nach Hutz (1997) sozialpsychologische Texte in einer Zwischenposition auf dem
Kontinuum zwischen kulturübergreifenden Diskursmustern und den kulturspe-
zifischen Diskursmustern zuzuordnen. Er lehnt dadurch eine generalisierende
Aussage zugunsten eines der beiden Konzepte ab und schließt sich der fach-
gebietsbedingten Relativitätshypothese an. Noch breiter angelegt ist die Unter-
suchung von Busch-Lauer (2001), indem sie deutsche und englische Fachtexte
aus dem Fachbereich Medizin und Linguistik nicht nur interlingual, sondern
auch interdisziplinär erforscht und zudem sowohl Textsortenvarianten der Zeit-
schriftenaufsätze (Experimentalstudien, Fallstudien sowie Übersichtsartikel in
der Medizin und Originalarbeiten sowie Übersichtsartikel in der Linguistik) als
auch verschiedene Textsorten der Fachtexte (neben Zeitschriftenartikeln auch
Leserbriefe) in ihrer Korpusbildung berücksichtigt hat. Der interlinguale Ver-
gleich hat ergeben, dass englische Texte in beiden Fachgebieten stärker agens-
zugewandt und adressatenbezogen, die deutschen Texte dagegen agensabge-
   Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch?   27

wandt und objektbezogen sind, und dass sich englische sowie deutsche Texte
insbesondere bezüglich der Textsorte Leserbriefe in der fachlichen Auseinan-
dersetzung mit fachlichen Inhalten und ihren Autoren unterscheiden. Was das
interdisziplinäre Untersuchungsergebnis angeht, lässt sich nachweisen, dass die
Textgestaltung medizinischer Texte im Wesentlichen einem Prozess-Ergebnis-
Charakter und zudem je nach Textsorte einem konventionalisierten Textmuster
folgt. Hingegen vollziehen sich linguistische Texte erörternd-argumentativ, was
sich in nicht so stark konventionalisierten Textsortenmustern niederschlägt. In
ihrer Untersuchung weist Busch-Lauer darauf hin, dass Textsorten in verschiede-
nen Fächern unterschiedliche Relevanz und sprachlich-textuelle Ausprägungen
in Form von Textsortenvarianten haben, da der Kommunikationsgegenstand und
die in einem Fach verwendeten Untersuchungsmethoden die Textgestaltung ent-
scheidend prägen. Mithilfe der Untersuchung von Instruktionen von Autoren in
Fachzeitschriften führt sie die Standardisierung der medizinischen Texte darauf
zurück, dass die Dominanz der anglo-amerikanischen Forschung in diesem Fach-
gebiet zu einer Anglisierung der fachlichen Kommunikation geführt und textu-
elle Unterschiede zwischen deutschsprachigen, L2-englischen und L1-englischen
Fachtexten durch die Anpassung an die anglophonen Normen immer mehr aufge-
hoben hat. Im Gegensatz dazu erfolgen ihrer Meinung nach in der Linguistik der-
artige Entwicklungen nicht in einem solchen Umfang, denn linguistische Texte
werden stärker von den subjektiven Kommunikationsbedingungen determiniert.
Somit zieht sie die Schlussfolgerung, dass nicht von einer globalen Universalität
der Wissenschaft gesprochen werden kann, sondern differenziert werden muss.
     Es gibt aber auch Untersuchungen, deren Ergebnisse nicht eindeutig für die
Relativitätshypothese sprechen. Trumpp (1998) hat z. B. fünf Textsorten (wissen-
schaftliche Artikel in Fachzeitschriften und Kongressakten, Abstracts, Fach-
buchbesprechungen, Auszüge aus Lehrbüchern und Fachzeitschriftenartikel für
Praktiker) aus drei Sprachen (Englisch, Deutsch und Französisch) in der Sport-
wissenschaft untersucht. Was den interlingualen Vergleich betrifft, zeigt sich das
Ergebnis, dass sich die drei Sprachen je nach Textsorte in der Ausprägung eines
Vertextungskriteriums gleichen aber auch deutlich unterscheiden können und
die Unterschiede bezüglich der Textsorte hinsichtlich der Untersuchungsparame-
ter anders und mit unterschiedlicher Intensität verteilt sind. Zur Überprüfung der
Relativitätshypothese hat sie Fachtexte nicht nach Disziplinen, sondern separat
nach Forschungsmethoden analysiert, und zwar aus der Überlegung heraus, dass
diese beiden stark miteinander korrelieren. Allerdings wird die Hypothese, dass
zwischen empirischen Texten die sprachkulturbedingten Unterschiede in der
Vertextung wissenschaftlichen Wissens geringer als zwischen nicht-empirischen
Texten sind, nicht bestätigt. Denn sie kann keine signifikanten Unterschiede in
allen untersuchten Parametern ermitteln.
28         Jin Zhao

     Sowohl das Universalitätskonzept und das Konzept der Kulturspezifik als
auch die Relativitätshypothese haben meines Erachtens eins gemeinsam, dass
sie alle Kultur lediglich als Sprachkultur und die anderen kollektivbezogenen
Kulturformen (vgl. Zhao 2008: 29–35) nicht als solche verstanden haben. Das
sogenannte „secondary cultural system“ in der Wissenschaft nach Widdowson
(1979: 519) stellt jedoch durchaus eine eigene Kultur in der wissenschaftlichen
Gemeinschaft dar, ähnlich sollte es z. B. auch die Kultur der Naturwissenschaft,
die Kultur der Geisteswissenschaft und die Kultur einer bestimmten Disziplin
geben. Dabei stehen diese Kulturen bestimmter wissenschaftlicher Gemeinschaf-
ten miteinander sowie mit der entsprechenden Sprachkultur in enger Beziehung
und üben einen wechselseitigen Einfluss aufeinander aus. Somit bedeutet die
Diskussion über Universalität, Kulturspezifik und Relativität der Wissenschafts-
sprache letztendlich, ob und inwieweit die Sprachform der wissenschaftlichen
Gemeinschaft von den verschiedenen Sprachkulturen beeinflusst wird oder nicht.
     Im Folgenden wird deswegen durch die kontrastive Untersuchung der chine-
sischen und deutschen wissenschaftlichen Artikel hinsichtlich der Makrostruk-
tur im Eröffnungs- und Schlussteil erörtert, dass in derselben wissenschaftlichen
Gemeinschaft (hier im Konkreten Linguistik) verschiedene Sprachkulturen auch
andere Darstellungsweisen in derselben Textsorte hervorbringen.

3 M
   akrostruktur der wissenschaftlichen Texte im
  Chinesischen und Deutschen
Makrostruktur als konventionalisierter Textbauplan ist nach Buhlmann/Fearns
(1987), Hoffmann (1988), Gläser (1990) sowie Gnutzmann/Oldenburg (1991) eine
bestimmte Abfolge von hierarchisch geordneten Textsegmenten, die die Entfal-
tung des Grundthemas abbildet. Sie repräsentiert den Gedankengang eines Text-
produzenten und äußert sich in einer bestimmten Abfolge und Kombination von
Teiltexten an der Textoberfläche. Zur Erfassung der inhaltlichen Struktur wird ein
Text zuerst durch inhaltlich-funktionale Analyse und mit Hilfe von verbalen bzw.
nonverbalen Gliederungssignalen in Teiltexte gegliedert. Nach Oldenburg (1992:
63) sind Teiltexte

     größere inhaltlich-funktionale Einheiten von Texten, die formal und thematisch voneinan-
     der abgrenzbar sind. […] Teiltexte sind relativ abgeschlossene Einheiten, die gemeinsam im
     Zusammenwirken den Text konstruieren und in den Textzusammenhang eingebettet sind.
    Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch?        29

Die einzelnen Teiltexte können strukturell weiterhin analysiert werden, um Teil-
textsegmente zu ermitteln und diese inhaltlich-funktional zu untersuchen. Unter
Teiltextsegmenten (Abkürzung: TTS) versteht Busch-Lauer (2001: 109)

    die inhaltlich-funktionalen Einheiten der Textorganisation, die die Binnenstruktur von Teil-
    texten aufgrund der kommunikativen Funktion des betreffenden Teiltextes festlegen. […]
    Sie sind Bindeglied zwischen der propositionalen Struktur eines Fachtextes und der sprach-
    lichen Realisierung der Teiltexte.

Im Folgenden werden anhand eines deutschen und chinesischen Teilkorpus, das
jeweils aus 20 germanistischen1 und sinologischen linguistischen Zeitschriften-
artikeln2 aus den Jahren zwischen 2006 und 2010 gebildet worden ist, hinsicht-
lich der Makrostruktur des Eröffnungsteils und des Schlussteils der Zeitschriften-
artikel kontrastiv analysiert.

3.1 M
     akrostruktur des Eröffnungsteils

Bei der Analyse des Eröffnungsteils sind insgesamt fünf Teiltextsegmente (TTS)
in Anlehnung an Hutz (1997: 117–123) und Buch-Lauer (2001) eruiert worden, die
wiederum in verschiedenen Varianten in Erscheinung treten:

TTS 1 Einführung in den Untersuchungsgegenstand
      a) Bedeutung des Untersuchungsgegenstandes (die Wichtigkeit bzw.
          Aktualität des Untersuchungsgegenstandes in der Forschung bzw. in
          der Kommunikationspraxis unterstreichen)
      b) Allgemeine Aussagen zum Untersuchungsgegenstand (in Form einer
          Definition oder durch das Aufführen bestimmter Charakteristika)

TTS 2 Literaturbericht
      a) Aufzeigen der bisherigen Defizite
      b) Aufzeigen der Forschungsschwerpunkte

1 Das Teilkorpus für die germanistische Linguistik im Zeitraum besteht aus Texten von zwei Zeit-
schriften: Muttersprache und Deutsche Sprache.
2 Für die Zusammensetzung des Teilkorpus für die sinologische Linguistik wurden die Zeit-
schrift Studies of the Chinese Language (‌《中国语文》) und Journal of Peking University (Phi-
losophy and Social Sciences) [‌《北京大学学报(‌哲学社会科学版)》] sowie Applied Linguistics
(‌《语言文字应用》) ausgewählt.
30         Jin Zhao

TTS 3 Legitimierung der eigenen Forschungsarbeit oder eigenen Meinung
      a) Problematisierung von Forschungsergebnissen
      b) Forschungsbedeutungen

TTS 4 Vorstellung der eigenen Arbeit
      a) Zielsetzung bzw. Hauptinhalt der Arbeit
      b) Hypothesen
      c) Hinweise auf die Textstruktur des Fachzeitschriftenartikels

TTS 5 a) (metasprachliche) Darstellung von Material und Methoden der
         Untersuchung

Die Verteilung des TTS im chinesischen Teilkorpus wird in der Tabelle 1 dar-
gestellt.

Tabelle 1: TTS im Eröffnungsteil ChLin2000er (Eigene Darstellung)

                    TTS1            TTS2             TTS3                 TTS4             TTS5

                17 (85 %)        6 (30 %)        8 (40 %)               17 (85 %)         4 (25 %)
Eröffnungs-
                a          b    a          b     a          b       a      b          c      a
teil
                7      13     3      3      6      2      16                1         3      4
              (35 %) (65 %) (15 %) (15 %) (30 %) (10 %) (80 %)            (5 %)     (15 %) (25 %)

Aus Tabelle 1 ist zu ersehen, dass die meisten Zeitschriftenartikel (85 %) den
TTS1 aufweisen, um den Rezipienten in den Forschungsgegenstand einzuführen.
Dabei beinhalten zehn Texte etwas Allgemeines über den Forschungsgegen-
stand (TTS1b) und vier Texte betonen die Bedeutung des Forschungsgegen-
standes (TTS1a), während drei Texte die beiden Aspekte gleichsam aufzeigen
(TTS1a+TTS1b). Dagegen ist TTS2 mit 30 % kein obligatorischer Bestandteil im
Eröffnungsteil. Der Literaturbericht hat zum Ziel, die bisherigen Forschungs-
defizite aufzuzeigen und somit die eigene Forschung zu legitimieren oder die
aktuellen Forschungsschwerpunkte zu präsentieren und somit Anschluss für
die eigene Forschung zu finden. Die eigene Forschung des Autors wird im TTS3
explizit legitimiert, indem die bisherigen Forschungsergebnisse problematisiert
(30 %) oder die Bedeutung der eigenen Forschung direkt erläutert (10 %) wird.
Allerdings vollzieht sich dies nur bei zwei Texten (ChLin2000er5, ChLin2000er13)
als Schlussfolgerung auf der Grundlage des Literaturberichtes im TTS 2 und die
weitere Legitimierung bleibt verhältnismäßig allgemein. Mit 85 % Auftritts-
frequenz kann TTS4 als unentbehrlicher Bestandteil des Eröffnungsteils ange-
   Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch?          31

sehen werden. Der Hauptinhalt der Arbeit wird meistens kurz und bündig vor-
gestellt (80 %), und die Hälfte davon stellt impliziert die Struktur des Artikels vor.
Dagegen gibt es lediglich drei Texte, die die Textstruktur explizit vorangekündigt
haben. Außerdem gibt es noch einen Text, der das Textthema als Hypothese auf-
stellt. Bei dem TTS5a werden zumeist (empirischer) Untersuchungsgegenstand,
-korpus, -umfang und –methode (ChLin2000er1, ChLin2000er9, ChLin2000er15)
bzw. im nachfolgenden Text verwendete Abkürzungszeichen (ChLin2000er6) auf
der Metaebene vorgestellt.
     Was die deutschen Teiltextsegmente im Eröffnungsteil betrifft, sind in diesem
Teilkorpus drei neue Varianten hinzugekommen, und zwar

TTS 3 b1) Begründung des eigenen Themas
TTS 4 d Theoretische Grundlagen und Methodik der Arbeit
TTS 5 b Metakommunikative Erklärung der Voraussetzung der Arbeit

Die Verteilung des TTS in diesem Teilkorpus wird in der Tabelle 2 zusammen-
gefasst.

Tabelle 2: TTS im Eröffnungsteil DtLin2000er (Eigene Darstellung)

                    TTS1            TTS2            TTS3                      TTS4            TTS5

               18 (90 %)        7 (35 %)           5 (25 %)              18 (90 %)           1 (5 %)
Eröffnungs-
                a          b    a          b   a      b       b1   a      b          c   d     b
teil
                8      13     3      4      3      1     1     10     1     10     2      1
              (40 %) (65 %) (15 %) (20 %) (15 %) (5 %) (5 %) (50 %) (5 %) (50 %) (10 %) (5 %)

Tabelle 2 zeigt, dass TTS1 in 18 Texten vorzufinden ist, wobei in drei Texten TTS1a)
und TTS1b) in Kombination vorkommen. TTS1a) stellt die Bedeutung des Unter-
suchungsgegenstandes durch die Betonung seiner Wichtigkeit in der Forschung
bzw. in der Praxis dar (40 %). Dagegen führt TTS1b) bestimmte Charakteristika
des Untersuchungsgegenstandes auf und spielt mit 65 % Vorkommenshäufigkeit
in diesem Teilkorpus eine wichtige Rolle. Was den TTS2 angeht, ist der Literatur-
bericht kein obligatorischer Bestandteil des Eröffnungsteils in diesem Teilkorpus.
Denn lediglich drei Texte (15 %) mit der Problematisierung der Forschungsergeb-
nisse und vier Texte (20 %) mit der Darstellung der Forschungsvoraussetzung zur
Einordnung der eigenen Forschungsarbeit berichten über den thematisch bezo-
genen Forschungsstand. TTS3 ist nur in fünf Texten erschienen, und zwar in drei
verschiedenen Varianten. Dabei wird in drei Texten durch die Betonung des For-
schungsdesiderats die eigene Forschungsarbeit legitimiert und jeweils in einem
32       Jin Zhao

Text durch die direkte Unterstreichung der Bedeutung der eigenen Forschungs-
arbeit sowie durch die Begründung des eigenen Forschungsthemas. TTS4 über
die Vorstellung der eigenen Arbeit kommt in 18 Texten vor und ist somit obliga-
torisch im Eröffnungsteil des Korpustextes. In drei Texten erscheinen die Vari-
anten TTS4a) und TTS4c) zusammen, und jeweils in einem Text wird TTS4a) mit
TTS4d) und TTS4a) mit TTS4b), TTS4c) sowie TTS4d) kombiniert. Die Hälfte der
Teilkorpustexte hat in ihrem Eröffnungsteil die Zielsetzung bzw. den Hauptinhalt
des Textes vorgestellt (TTS4a) sowie die Textstruktur vorangekündigt (TTS4c),
dagegen gibt es noch einen Text, bei dem Hypothesen aufgestellt (TTS4b), sowie
zwei Texte, bei denen theoretische Grundlagen bzw. Methodik der Arbeit vorge-
stellt werden (TTS4d). TTS5 b kommt nur in einem Text vor, wobei in diesem Text
der Hintergrund der Gedanken dargestellt und die Schwierigkeit einer nicht von
Eigeninteressen geleiteten Sicht bei der Diskussion der deutschen EU-Sprachpo-
litik thematisiert werden. Das erfolgt auf der Metaebene des eigentlichen Textes.
     Aus den obigen Analysen ergeben sich vor allem Unterschiede in zwei Hin-
sichten:
i. Die eigene Forschungsarbeit kann im Eröffnungsteil durch die Problemati-
     sierung der bisherigen fremden Forschungsergebnisse legitimiert werden.
     Allerdings wird dies in den deutschen und chinesischen Zeitschriftenartikeln
     unterschiedlich praktiziert. Während die Problematisierung der fremden For-
     schungsergebnisse in den deutschen linguistischen Zeitschriftenartikeln in
     Kombination mit dem Literaturbericht vollzogen und dadurch argumentiert
     wird, erfolgt dies im Chinesischen meistens ohne konkrete Literaturbelege
     vielmehr als pauschale und subjektive Bewertung.

Bei dem TTS1a kann die Wichtigkeit des Forschungsgegenstandes aus der Per-
spektive der Forschung (Beispiel 1) oder der Kommunikationspraxis (Beispiel 2)
akzentuiert werden, wobei die Aussagen im Chinesischen ohne Literaturangabe
im Wesentlichen allgemein bleiben (wie „Es ist uns aufgefallen …“ oder „Es gibt
gewisse Forschungen über …“). Auch bei der Erklärung des Forschungsgegen-
standes werden selten Definitionen im strengen Sinne verwendet, stattdessen
finden Beispiele zur Veranschaulichung der Charakteristika des Forschungs-
gegenstandes (TTS1b) häufig Anwendung (Beispiel 3).

Beispiel 1:
  „汉语语言学学界对语块有一定的研究,但是这一领域还有广阔的空间等待
  我们去开拓。[Es gibt gewisse Forschungen über Syntagmen in der sinologi-
  schen Linguistik, aber auf diesem Gebiet haben wir noch viel zu erschließen.]“
  (ChLin2000er12)
    Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch?   33

Beispiel 2:
  „‚有没有/有/没有+ VP 句‘,指 ‚有没有+ VP‘(甲类),‚有+ VP‘(乙类),‚‌没
  有+VP‘(丙类)三类句式。其中的‚VP‘ 指动词或动词短语。我们注意到,多
  年以来,深受学者们关注的甲类句已经成为常用句式,且正在进一步发展
  成熟。由于它的诱发因素以及别的因素的作用,目前,主要在口语中,乙类
  ‚‌有+VP‘ 句也在悄然萌生,正成为一种新生的表示肯定的动词谓语词。丙类的‚没
  有+VP‘, 也有新的发展。[‚Gibt es oder nicht/Es gibt/Es gibt nicht + VP‘ bezieht
  sich auf die drei Satzstrukturen ‚Gibt es oder nicht + VP‘ (Gruppe 1), ‚Es gibt
  + VP‘ (Gruppe 2) und ‚Es gibt nicht + VP‘ (Gruppe 3). Dabei werden mit ‚VP‘
  Verben oder verbale Strukturen gemeint. Es ist uns aufgefallen, dass seit meh-
  reren Jahren die sehr von den Gelehrten beachtete Satzstruktur der Gruppe 1
  bereits allgemein verwendeter Satztyp ist und wird eine gewisse grammatische
  Reife erreichen. Dies bewirkt zusammen mit anderen Elementen, dass z. Z. die
  Gruppe 2 ‚Es gibt + VP‘ in der mündlichen Sprache unbemerkt verwendet wird
  und gerade ein neues verbales prädikatives Wort zur Bejahung geworden ist. Die
  Gruppe 3 ‚Es gibt nicht + VP‘ hat auch eine neue Entwicklung.]“(ChLin2000er1)

Beispiel 3:
  „本文题目所说的 ‚同宾结构‘(object sharing construction)如例(1)所示:
  (1)a. 张三买了一本书看                            b. 张三给了李四一本书看
  这种结构有三个鲜明特征。
  [Die im Titel der vorliegenden Arbeit genannte ‚object sharing construction‘ kann
  im Beispiel (1) gezeigt werden:
  a Zhang San hat ein Buch zum Lesen b Zhang San hat Li Si ein Buch zum
  gekauft.                                  Lesen gegeben.
  Diese Struktur hat drei deutliche Charakteristika.]“(ChLin2000er7)

Im Deutschen werden im Beispiel 4 die Literatur in Fußnoten angegeben.

Beispiel 4:
  „Auch bei anderen Autoren finden sich lediglich pauschale, in den meisten Fällen
  nicht empirisch überprüfte Tendenzaussagen5. Offen bleibt außerdem die Frage,
  wie längere Referenzketten (vgl. Lernertext (1)) gestaltet werden (sollten)6.“
  (DtLin2000er11)

ii. Die metakommunikative Vorankündigung der Textstruktur im Eröffnungsteil
    ist in den deutschen linguistischen Zeitschriftenartikeln allgemein üblich,
    dagegen ist dieses Teiltextsegment im Chinesischen noch eine Seltenheit.
    Dies kann höchstens im Teiltextsegment Zielsetzung bzw. Hauptinhalt der
    Arbeit implizit dargestellt werden.
34       Jin Zhao

Wie das Beispiel 5 angedeutet hat, wird der Hauptteil des Textes dreigeteilt und
jeweils mit „语言使用类型 [Typen der Sprachverwendung]“, „语言使用上的特点
[Merkmale der Sprachverwendung]“ und „语言使用中存在的问题 [Probleme der
Sprachverwendung]“betitelt.

Beispiel 5:
  „本文主要讨论以文本形式为主的手机短信的语言使用状况,包括语言使用
  类型、语言使用上的特点和语言使用中存在的问题。[Die vorliegende Arbeit
  diskutiert vor allem die Sprachverwendung der in Textform erscheinenden
  SMS, inklusive der Typen, der Merkmale und der Probleme der Sprachverwen-
  dung.]“(ChLin2000er19)

Im Deutschen wird dagegen die Strukturdarstellung durch Angaben der einzel-
nen Kapitelnummern explizit (Beispiel 6).

Beispiel 6:
  „Nach einigen kurzen Bemerkungen zur Geschichte des Fußballsports und
  seiner Terminologie in Deutschland (3.1) sowie zu einigen wichtigen semanti-
  schen Prinzipien, denen die Sprache des Fußballs in allen ihren Schichten und
  Schattierungen folgt (3.2), werden sich die folgenden Ausführungen daher auf
  die Sprache der (schriftlichen) Fußballberichterstattung konzentrieren (3.3), in
  die alle wesentlichen Phänomene der Fußballsprache Eingang gefunden haben.“
  (DtLin2000er1)

3.2 Makrostruktur des Schlussteils

Im Schlussteil gibt es die folgenden Teiltextsegmente:

TTS1   Zusammenfassung der eigenen Forschungsergebnisse

TTS2   Diskussion der Forschungsergebnisse
       a) Erläuterung der Gründe für die gefundenen Ergebnisse
       b) Vergleich mit anderen Forschungsergebnissen
       c) Relativierung der eigenen Forschungsergebnisse

TTS3   Bedeutung der Forschungsergebnisse
       a) Wert der Ergebnisse / Anwendungsmöglichkeiten
       b) Appellative Betonung der Wichtigkeit der Forschungen
    Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch?         35

TTS4     Offene Fragen
         a) Forschungsdesiderata oder –aussicht
         b) Handlungsvorschlag

TTS5     Metakommunikative Äußerungen

Im chinesischen Teilkorpus sieht die Verteilung der einzelnen Teiltextsegmente
folgendermaßen aus (Tabelle 3).

Tabelle 3: TTS im Schlussteil ChLin2000er (Eigene Darstellung)

               TTS1                TTS2                    TTS3              TTS4         TTS5

              8 (40 %)            3 (15 %)              8 (40 %)          6 (30 %)       1 (5 %)

Schlussteil                a         b        c        a          b      a          b

                 8          1        1         1       7        3        3        3        1
               (40 %)     (5 %)    (5 %)     (5 %)   (35 %)   (15 %)   (15 %)   (15 %)   (5 %)

Aus der Tabelle 3 ergibt sich, dass viele Artikel (40 %) mit dem TTS1 im Schluss-
teil den Hauptinhalt des Textes zusammenfassen bzw. die wesentlichen neuen
Erkenntnisse verdeutlichen. Nur wenige Artikel (15 %) erörtern im Schlussteil die
Forschungsergebnisse aus dem Hauptteil. Dabei analysieren sie die Gründe für
die Forschungsergebnisse (5 %), rechtfertigen die eigenen Forschungsergebnisse
durch Vergleich mit anderen (5 %) oder relativieren die Forschungsergebnisse
und geben somit einen Absolutheitsanspruch auf (5 %). Acht Texte verweisen auf
die Bedeutung der Forschungsergebnisse (40 %), dabei werden die Werte oder die
Anwendungsgebiete von sieben Texten konkret aufgezeigt (35 %) und drei Texte
(15 %) betonen auf appellative Weise die Wichtigkeit der eigenen Forschung.
Zwei Texte darunter kombinieren diese zwei Aspekte. TTS 4 wirft offene Fragen
hinsichtlich des Forschungsgegenstandes bzw. der –methode auf und kommt in
zwei Varianten vor: Drei Texte (15 %) geben einen Forschungsausblick und drei
weitere (15 %) machen Handlungsvorschläge, was durchaus appellative Züge in
sich trägt. Die metasprachliche Äußerung als Ergänzung der Arbeit kommt in
diesem Teilkorpus lediglich in einem Text vor (5 %)
     Was die einzelnen Teiltextsegmente im deutschen Teilkorpus betrifft, so sind
weniger Varianten vorgekommen, sodass die Verteilung der Teiltextsegmente
konzentriert ist und ein mehr oder minder homogenes Bild vermittelt. In Tabelle
4 wird der Überblick zusammengestellt.
36         Jin Zhao

Tabelle 4: TTS im Schlussteil DtLin2000er (Eigene Darstellung)

                        TTS1                TTS2                 TTS3       TTS4      TTS5

                      19 (95 %)            6 (30 %)              1 (5 %)   5 (25 %)   1 (5 %)

Schlussteil                         a         b          c         a          a

                         19         2        2          2          1         5          1
                       (95 %)     (10 %)   (10 %)     (10 %)     (5 %)     (25 %)     (5 %)

Es ist auffällig in Tabelle 4, dass der TTS1 in allen Teilkorpustexten mit einem
Schlussteil vorhanden ist (95 %). Diese Zusammenfassung der Forschungsergeb-
nisse kann sich in einem kurzen Absatz oder punktuell in mehreren Absätzen
ausführlich vollziehen. TTS2 ist zwar in allen drei Varianten vertreten, allerdings
mit jeweils 10 % mit einer sehr geringen Häufigkeit. D. h., es wird wenig über
die Forschungsergebnisse erörtert, sei es Gründe für die ermittelten Ergebnisse
zu nennen, Vergleiche mit fremden Forschungsergebnissen anzustellen oder die
eigenen Forschungsergebnisse zu relativieren. Ebenso wenig kommt die meta-
kommunikative Äußerung vor (5 %), die Hinweise auf weitere Informationen
zum eigentlichen Forschungsthema gibt. TTS3 ist nur in einer Variantenform
in einem einzigen Text vorgekommen, die indirekt auf die Bedeutung der For-
schungsergebnisse hinweist. Dagegen ist TTS4a), der weitere Forschungsaus-
sichten bzw. -desiderata darstellt, verhältnismäßig häufiger in den fünf Texten
vorzufinden.
     Aus der obigen Analyse ist ersichtlich, dass der größte Unterschied in den
beiden Teilkorpora darin liegt, dass in den chinesischen wissenschaftlichen Zeit-
schriftenartikeln die Betonung der eigenen Forschungsergebnisse im Schluss-
teil auch durch appellative Sprachhandlungen realisiert werden kann, hingegen
kommt dies in deutschen Zeitschriftenartikeln nicht vor.

Beispiel 7:
  „语体对语言学、历时句法学以及文学理论的研究都具有重大的意义。 […]
  凡此种种,均暗示出一个以语体为轴心的综合学科的形成与建立。语体之
  为用,亦大矣哉![Der Textkommunikationsstil hat eine wichtige Bedeutung
  für die Forschung von Sprachwissenschaft, diachronischer Syntax und der
  Theorie der Literaturwissenschaft. […] All das weist auf die Formierung und
  Bildung einer umfassenden Disziplin mit dem Textkommunikationsstil im
  Zentrum. Der Textkommunikationsstil ist wirklich von großem Nutzen!]“(ChLin
  2000er10)
    Wissenschaftliche Texte: universell oder kulturspezifisch?   37

Beispiel 8:
  „Nur wer gleichsam mit der Fußballsprache aufwächst – vom Bolzplatz bis zum
  Stadion –, kennt diese Lexik und kann die Texte des Fußballs vollständig ver-
  stehen. Die Teilnahme am Super-Diskurs unserer Zeit gehört aber heute schon
  fast zu den Erfordernissen des Alltags.“ (DtLin2000er1)

4 Überlegungen zum Konzept der Universalität,
  der Relativität und der Kulturspezifik der
  Wissenschaftssprache
Das Universalitätskonzept muss bereits an der Bezeichnung Universalität
scheitern, wenn unter Universalität „allgemeine Erscheinungen (Einheiten,
Eigenschaften, Beziehungen) in möglichst vielen oder allen Sprachen der Erde“
(Schwanzer 1981: 214) zu verstehen sind. Abgesehen davon, dass der von dem
Universalitätskonzept postulierte einheitliche wissenschaftliche Sprachstil
nicht an allen natürlichen Sprachen erprobt worden ist, was methodisch auch
schwer realisiert werden kann, hält er nicht einmal disziplindifferenzierenden
Untersuchungen stand. Die Relativitätshypothese hält an einem Teil der Univer-
salien der Wissenschaftssprache fest und spricht zumindest der naturwissen-
schaftlichen bzw. technischen Sprache die größere Tendenz zur Universalität zu.
Allerdings wird diese Hypothese bisher auch nicht an allen oder zumindest an
möglichst vielen Sprachen und nicht in allen Disziplinen überprüft. Außerdem
ergeben die einzelnen Untersuchungen bei einer beschränkten Anzahl von Spra-
chen und Disziplinen zwar in den meisten Fällen die größere Tendenz der natur-
wissenschaftlichen Disziplinen zu universellen Diskursmustern im Gegensatz zu
den geistwissenschaftlichen Disziplinen, allerdings verlangt das Wort Tendenz
bereits eine gewisse Relativität für sich, denn in den einzelnen Untersuchungen
werden nicht nur die sprachübergreifenden interdisziplinären Gemeinsamkei-
ten, sondern auch Unterschiede ermittelt, wie die oben vorgestellten empirischen
Forschungen gezeigt haben. Somit kann bei der Relativitätshypothese höchstens
von den mehr übereinzelsprachlichen Gemeinsamkeiten der naturwissenschaft-
lichen bzw. technischen Disziplinen im quantitativen Sinne gesprochen werden,
wobei sich eine weniger sprachkulturbezogene Kulturspezifik nicht im Ganzen
absprechen lässt. Obwohl im Zuge der Internationalität der Wissenschaft – ins-
besondere in der Naturwissenschaft – eine gewisse Angleichung der Denkmuster
in der Wissenschaft nicht geleugnet werden kann, ist eine gewisse einzelsprach-
spezifische Besonderheit in einer bestimmten Textsorte immer zu finden, solange
38        Jin Zhao

Texte in Natursprachen statt in Kunstsprachen geschrieben werden. Wie die obige
Untersuchung zur Makrostruktur des Eröffnungs- und des Schlussteils in chine-
sischen und deutschen linguistischen Zeitschriftenartikeln gezeigt hat, sind die
Besonderheiten des chinesischen Textes, seien die fehlenden Literaturbelege,
die mangelnde metakommunikative Vorankündigung der Textstruktur, oder die
Bevorzugung der appellativen Sprachhandlungen, vielmehr einer stilistischen
Art, gehen sie über die einzelne Textsorte und die einzelne Disziplin hinaus und
wurzeln letztendlich in der chinesischen subjektiven und indirekten Denkweise.
     An dem kulturspezifischen Konzept wird oft kritisiert, dass es übergenera-
lisiert ist. Denn die Forschungsergebnisse (z. B. von Clynes) können nicht ohne
weiteres auf andere wissenschaftliche Bereiche und andere Textsorten übertragen
werden (vgl. Hutz 1997: 67). In der Tat ist es immer an eine konkrete Textsorte und
an einen konkreten Kommunikationsbereich gebunden, wie und in inwieweit die
Texte sprachkulturbezogen sind. Obwohl die verschiedenen Kollektive derselben
Sprachgemeinschaft von den Denkmustern und Sprachanwendungsgewohnhei-
ten der gemeinsamen Sprachkultur als Dachkultur geprägt werden, können sie
durchaus jeweils ihre Varianten und somit auch ihre eigene Identität bilden.
     Natürlich kann eine Textsorte zwischen verschiedenen Disziplinen und ver-
schiedenen Sprachen neben den Unterschieden durchaus Gemeinsamkeiten
aufweisen. Diese transkulturellen Konvergenzen der Textsorte schließen das
Verständnis der Kulturgeprägtheit der Textsorten, bei der die Aufmerksamkeit
zumeist auf die Erforschung der Unterschiede gelegt wird, nicht aus. Außerdem
bedeutet die Kulturgeprägtheit der Textsorten in der Wissenschaft nicht, dass
eine Textsorte einer Sprache in allen wissenschaftlichen Kommunikationsberei-
chen demselben Vertextungsmuster folgt und im Vergleich zu dieser Textsorte in
allen anderen Sprachen dieselben Unterschiede aufweist. Vielmehr bedeutet dies
lediglich, dass eine Textsorte in verschiedenen Sprachen und in verschiedenen
Kollektiven bezüglich bestimmter Vergleichsparameter der Vertextung anders
realisiert ist, wobei die Unterschiede sowie die Intensität der Unterschiede je
nach Vergleichssprachpaar und je nach wissenschaftlicher Disziplin variieren
können. Insofern bin ich der Meinung, dass Textsorten auch in der Wissenschaft
kulturgeprägt sind, sowohl sprachkulturell als auch disziplinbezogen.

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Angaben zur Person
Prof. Dr. Jin Zhao ist Dekanin der Deutschen Fakultät der Tongji-Universität. Ihre Forschungs-
schwerpunkte sind Textlinguistik und Diskurslinguistik, Interkulturelle Kommunikation,
Sprachphilosophie.
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