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SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer jo u r n al Swiss Peer re d vie we Medical Forum 79 O. Giannini, G. Casso, 83 S. Aichner, D. Geibel 94 G. Mansella, G. Stieger, P. B. Faré, et al. Blutung in der H. El Ouimi, C. H. Nickel 0,9%ige NaCl-Lösung: Frühschwangerschaft Der Tourniquet-Test a lles a ndere als physio logisch! 5–6 29. 1. 2020 With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly” 73 G. Colucci, D. A. Tsakiris T hrombophilie Offizielles Fortbildungsorgan der FMH Organe officiel de la FMH pour la formation continue Bollettino ufficiale per la formazione della FMH Organ da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
INHALTSVERZEICHNIS 65 Wissenschaftliche Redaktion Advisory Board Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); PD Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Jérôme Gauthey, Biel; Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen (stellvertretender Chefredaktor); Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Stefano Bassetti, Basel; Prof. Dr. Idris Guessous, Genf; Dr. Daniel Portmann, Winterthur; Prof. Dr. Claudio Sartori, Lausanne; Prof. Dr. Reto Krapf, Liestal; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern; Prof. Dr. Sven Streit, Bern; PD Dr. Stefan Weiler, Zürich Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne; Prof. Dr. Maria Monika Wertli, Bern Redaktion im Verlag Dr. Ana M. Cettuzzi-Grozaj; Dr. Natalie Marty; Dr. Susanne Redle Editorial J. H. Beer, N. Bonetti 67 10× Thrombophilie im p raktischen Alltag Checkliste für Gerinnungsanalysen. Kurz und bündig R. Krapf 69 Kurz und bündig Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen. Übersichtsartikel AIM G. Colucci, D. A. Tsakiris a r tic le 73 Thrombophilie Peer re v ie we Die Durchführung einer Thrombophilie-Abklärung in der Arztpraxis ist häufig d eine Quelle von Unsicherheit und Bedenken. Übersichtsartikel O. Giannini, G. Casso, P. B. Faré, M. G. Bianchetti, R. Stocker a r tic le 79 0,9%ige NaCl-Lösung: a lles andere als physiologisch! Peer re v ie we d Flüssigkeitstherapien sollten keine Routine- oder Standardverordnung sein, sondern wie jede andere medikamentöse Therapie immer nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken erfolgen. Was ist Ihre Diagnose? S. Aichner, D. Geibel a r tic le 83 Blutung in der F rühschwangerschaft Peer re v ie we d Eine 39-jährige Patientin (Gravida VI / Para III) wurde in der siebten Schwangerschaftswoche aufgrund einer vaginalen Blutung notfallmässig zugewiesen. Für die Arztpraxis und MPA-Lernende Ausbildungsprogramm für die Lehrbetriebe ! NEU • Pünktlich auf den Beginn des neuen Schuljahres • Handlungskompetenzen-orientiert • In Deutsch, Französisch und Italienisch • Gedruckt und als eBook shop.emh.ch Scan this! Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
INHALTSVERZEICHNIS 66 Der besondere Fall M. Scholtes, N. Stamenkovic, S. Christen, A. Baumer, T. Hundsberger, J. Grünert a r tic le 86 kutes Karpaltunnelsyndrom durch Thrombose einer persistierenden A Peer re v ie we Arteria mediana d Ein 28-jähriger Koch beschrieb drei Tage nach einer «downhill»-Fahrradtour Schmerzen am Handgelenk beim aktiven Faustschluss und Kribbelparästhesien. D. Pytlik, S. Lötscher, P. Netzer a r tic le 89 Resektion inflammatorischer fibroider Polypen mittels ESD-Technik Peer re v ie we Bei inflammatorischen fibroiden Polypen wurde bisher nach Indikationsstellung d eine endoskopische Polypektomie oder chirurgische Resektion vorgenommen. Eine neuere Methode ist die endoskopische Submukosadissektion. Coup d’œil G. Mansella, G. Stieger, H. El Ouimi, C. H. Nickel 94 Der Tourniquet-Test Der Tourniquet-Test hat heute zwar an Bedeutung verloren, er kann aber einen zusätzlichen Diagnosehinweis für das Vorliegen einer Dengue-Virusinfektion liefern. Swiss Medical Weekly Abstracts of new articles from www.smw.ch are presented at the end of this issue. Swiss Medical Events Veranstaltungen aus dem Kongresskalender auf events.emh.ch. Impressum Swiss Medical Forum – ISSN: Printversion: 1424-3784 / wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur Anzeigen: Schweizerisches Medizin-Forum elektronische Ausgabe: 1424-4020 mit ausdrücklicher vorgängiger Erlaub- Markus Süess, Offizielles Fortbildungsorgan der FMH Erscheint jeden 2. Mittwoch nis von EMH und auf der Basis einer Key Account Manager EMH und der Schweizerischen Gesellschaft schriftlichen Vereinbarung zulässig. Tel. +41 (0)61 467 85 04, für Innere Medizin Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte Fax +41 (0)61 467 85 56, verlag AG, Farnsburgerstrasse 8, Abonnemente FMH-Mitglieder: markus.sueess@emh.ch 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55, FMH Verbindung der Schweizer a r tic le Fax +41 (0)61 467 85 56, Hinweis: Die angegebenen Dosierun- Peer re Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18, v ie we www.emh.ch gen, Indikationen und Applikationsfor- d 3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11, Das Swiss Medical Forum ist im Fax +41 (0)31 359 11 12, dlm@fmh.ch men, vor allem von Neuzulassungen, «Directory of Open Access Journals» © EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG s ollten mit den Fachinformationen der (DOAJ) gelistet und erfüllt damit die (EMH), 2020. Das Swiss Medical Forum verwendeten Medikamente verglichen Vorgabe des SIWF an eine Zeitschrift ist eine Open-Access-Publikation Andere Abonnemente: EMH Schweize- werden. mit Peer reviewing. von EMH. Entsprechend gewährt EMH rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente, allen Nutzern auf der Basis der Creative- Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Herstellung: Die Medienmacher AG, Redaktionsadresse: Maria João Commons-Lizenz «Namensnennung – Tel. +41 (0)61 467 85 75, Muttenz, www.medienmacher.com Brooks, Redaktionsassistentin SMF, Nicht kommerziell – Keine Bearbei Fax +41 (0)61 467 85 76, abo@emh.ch EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, tungen 4.0 International» das zeitlich Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, unbeschränkte Recht, das Werk zu ver Abonnementspreise: zusammen Tel. +41 (0)61 467 85 58, vielfältigen, zu verbreiten und öffentlich mit der Schweizerischen Ärzte- Fax +41 (0)61 467 85 56, zugänglich zu machen unter den Bedin- zeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten Titelbild und S. 65: office@medicalforum.ch, gungen, dass (1) der Name des Autors CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize- © Daniel Chetroni | Dreamstime.com www.medicalforum.ch genannt wird, (2) das Werk nicht für rische Ärztezeitung 1 Jahr CHF 175.– / kommerzielle Zwecke verwendet wird Studenten CHF 88.– zzgl. Porto Manuskripteinreichung online: und (3) das Werk in keiner Weise bear- (kürzere Abonnementsdauern: siehe http://www.edmgr.com/smf beitet oder in anderer Weise verändert www.medicalforum.ch) Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
EDITORIAL 67 Checkliste für Gerinnungsanalysen 10× Thrombophilie im praktischen Alltag Prof. Dr. med. Jürg H. Beer a,b , Dr. med. Nicole Bonetti a,b a Departement für Innere Medizin, Kantonsspital Baden; b Center for Molecular Cardiology, Universität Zürich «Mache die Dinge so einfach wie möglich, aber nicht ein- 1. Indikation überprüfen: Hat die Thrombophilie-Ab- facher!» – Albert Einsteins Votum gilt perfekt für die klärung eine Konsequenz (für vertiefte Lektüre: [2, Thrombophilie-Abklärung. Das in dieser Ausgabe des 3, 7, 11, 12, 14])? Ist zum Beispiel eine Langzeitthera- Swiss Medical Forum vorliegende Update über aktuelle pie-Indikation der Antikoagulation bei unprovo- Ursachen, Abklärung und diagnostischen Stellenwert zierter VTE nicht ohnehin gegeben? Oder wird das haben Colucci und Tsakiris elegant gelöst [1]. Absetzen nach drei bis sechs Monaten (z.B. ange- Wir sehen uns mit einer rasch wachsenden Zahl von sichts einer erhöhten Blutungsneigung) etwa doch Konsilien und Konsultationen zu Fragen rund um in Betracht gezogen? Unbedingt Patientenpräfe- Thrombophilie-Abklärungen konfrontiert [2, 3, 15, 16]. renzen einbeziehen [2, 3]! Diese kommen sowohl von Grundversorgern und Ge- 2. Kennen Sie die absoluten und die relativen Risiken Jürg H. Beer neralisten (Dauer der oralen Antikoagulation [OAK], der Parameter (Tab. 2 und 3 in [1]), die Sie für die womit, Risikoabwägungen?) wie auch von Spezialis- individualisierte Beratung des Patienten und für ten, unter anderen Neurologen (Thrombophilie bei ein «shared decision making» benötigen? Letztere, Stroke und Foramen ovale, kryptogenem Schlaganfall inklusive Tipps und Tricks, konkret ins Patienten [«cryptogenic stroke»], Stroke beim jüngeren Patien- gespräch eingeplant, werden sich direkt in einer ten), K ardiologen (thromboembolische vs. lokoregio- guten Compliance niederschlagen. näre Ursachen/Gefässpathologie, Phospholipid-Anti- 3. Können Sie das individuelle Risiko des Patienten körpersyndrom, Stroke bei Vorhofflimmern trotz bezüglich Thromboembolie und Blutung benennen/ korrekter OAK, Klappenpatienten, zunehmend auch quantifizieren? Genügt der aktuell beschriebene Myokardinfarkt bei offenen Koronarien [13]), Angio Provokationsfaktor, um eine provozierte VTE zu logen (Rezidive der venösen Thromboembolie [VTE] diagnostizieren (Tab. 1 in [1]) [5]? Nicole Bonetti nach Absetzen der Antikoagulation, D-Dimer-Werte 4. Wie steht es mit dem Risiko für ein Jahr und für fünf und deren Bedeutung in Abhängigkeit vom Alter Jahre (S. 77 in [1]) [4])? Wie mit dem mutmasslichen und zeitlichen Verlauf, besonders Cut-off und Bedeu- «lifetime risk» inklusive Blutungsrisiko? Mit wel- tung bei der VTE), Geburtshelfern und Gynäkologen chen Antikoagulantien [8–10]? (Pille und Thrombose, Aborte, Thrombose in der 5. Kennen sie die additiven Blutungsrisiken bei dualer Schwangerschaft), Rheumatologen (Lupus, Vaskulitis, und Triple-Antikoagulation [17]? Phospholipid-Antikörper und VTE). Diese häufigen 6. Welche Parameter sollten wirklich bestimmt wer- Fragen führen zu recht hohen Bestimmungsfrequen- den (Tab. 2 in [1], Blutbild nicht vergessen!)? zen [11, 12]. 7. Was kostet eine Thrombophilie-Abklärung heute Nicht selten werden uns eine umfangreiche Zahl (S. 77 in [1])? von auswärtigen Gerinnungsanalysen nach einem 8. Welches ist der richtige, welches der falsche Zeit- thromboembolischen Ereignis konsiliarisch präsen- punkt für eine Thrombophilie-Testung (z.B. kurz tiert. Dies kann den Patienten selber oder indirekt ein nach dem Ereignis) respektive welchen Teil kann Familienmitglied betreffen. Die «Frage nach Beur man unmittelbar nach der VTE, welchen sollte man teilung und Prozedere» bei erheblicher Verunsiche- erst später bestimmen (S. 76 in [1])? rung des Patienten/Zuweisers nach Exposition mit 9. Welche präanalytischen Fallgruben sollte man ken- diametral verschiedenen Spezialistenmeinungen ist nen, welche Interaktionen mit den Tests hat eine ein Klassiker für die Synthese mit «shared decision Therapie (Tab. 7 in [1])? making». 10. Was bedeutet der allfällig positive Befund für die Folgende zehn Punkte einer praktischen Checkliste Familienmitglieder? Und umgekehrt, was bedeutet (vgl. auch Abb. 1) werden Ihnen als «Destillat» der bei- eine VTE bei Familienmitgliedern, zum Beispiel für liegenden Übersicht eventuell hilfreich sein: gesunde Angehörige im gebärfähigen Alter? SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):67–68 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Editorial 68 Anti-Phospholipid-AK Ko- • Gegen Phospholipide Faktoren & verschiedene Antithrombin III Lupus-Antikoagulans; Anti-β2- XII Membran- Ko-Faktoren Glykoprotein; Anti-Cardiolipin Phospholipide XI XIIa IX IX IIa ATIII-Aktivität XIa TF VIIa ATIII-Antigen ATIII-Mangel IXa IXa • Typ I quantitativ IXa-VIII • Typ II qualitativ VIIIa VIIIa Antithrombin III APC-Resistenz Tenase-Komplex IIa APC-Resistenz VIII • hereditär Protein S X Xa II • erworben Prothrombin-Mutation Xa-Va • ↑ Prothrombin Protein S Va Fibrinogen G20210A- IIa Mutation Aktiviertes Prothrombinase- Fibrin D-Dimere Protein C Protein C IIa Komplex V Plasmin Protein-C-Mangel • Typ I quantitativ • Typ II qualitativ Protein-C-Aktivität FV-Leiden-Mutation Dysfibrinogenämie Protein-C-Antigen • Hereditäre APC- Fibrinogen Protein-S-Mangel Resistenz R506Q- D-Dimere • Typ I/III quantitativ Mutation • Typ II qualitativ Protein-S-Aktivität Protein-S-Antigen Inaktive Enzymatische Gerinnungsfaktoren Konversion Diagnostische Tests Aktive Inhibitorische Gerinnungsfaktoren Wirkung Abbildung 1: Abgebildet findet sich die Gerinnungskaskade mit dem extrinsischen, intrinsischen und gemeinsamen Weg, wobei die aktiven Faktoren rund und die inaktiven Faktoren viereckig dargestellt sind. In den verschiedenen Grüntönen dargestellt sind die antithrombotischen Faktoren Anti thrombin III, Protein C und Protein S mit ihren jeweiligen Angriffsorten und Mechanismen. In Rot sind die verschiedenen prothrombotischen Defekte im Gerinnungssystem markiert, in Türkis die dazugehörigen d araus folgenden diagnostischen Tests. Einige Laboratorien bestimmen weitere Parameter wie den Faktor VIII bzw. den Von-Willebrand-Faktor, das D -Dimer und Fibrinogen-Subtypen bei gezielten Indikationen [6]. ATIII: Antithrombin III; AK: Antikörper; APC: aktiviertes Protein C Oft ergeben sich in der Diskussion ganze Serien von Die Antworten finden Sie im der beiliegenden Review- komplexen Folgefragen zum individuellen Prozedere Artikel mit Praxisrelevanz konzis dargestellt, in den inklusive Ermessensentscheide in der Grauzone, sodass Tabellen übersichtlich nachzulesen. Wir freuen uns, in solchen Fällen eine Besprechung in einer Gerin- wenn wir zum individuellen «decision making» in nungssprechstunde zur Unterstützung und Meinungs- komplexen Fragestellungen beitragen konnten. bildung für das weitere und langfristige hausärztliche Vorgehen hilfreich sein kann. Dies gilt natürlich auch Disclosure statement JHB reports grants from the Swiss National Foundation of Science, The Korrespondenz: für sehr spezifische Fragestellungen (z.B. «Ist eine neu Swiss Heart Foundation, the Kardio-Foundation, a grant from Bayer, Prof. Dr. med. Jürg H. Beer Chefarzt und Departements- festgestellte, ‘milde’ hereditäre Thrombophilie bezüg- to the CTU. leiter Medizin lich Foramen-ovale-Verschluss relevant in der Ent- Kantonsspital Baden Literatur CH-5404 Baden scheidungsfindung und was kann die Laboruntersu- Die vollständige Literaturliste finden Sie in der Online-Version hansjuerg.beer[at]ksb.ch chung grundsätzlich beitragen?»). des A rtikels unter https://doi.org/10.4414/smf.2020.08462. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):67–68 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
KURZ UND BÜNDIG 69 Journal Club Kurz und bündig Prof. Dr. med. Reto Krapf Keine Betablocker wegen COPD Fokus auf … Klinische Diagnose der Hüftgelenksarthrose Wieder einmal erweist sich, dass man – bei knappen Zeitressourcen – auf die Lektüre von Metaanalysen – Prävalenz 6% bei >60-Jährigen verzichten sollte. Eine solche zum Effekt von Betablo- – Familiäre Belastung, 2× häufiger bei Frauen ckern auf Mortalität und Exazerbationen bei chro- – Röntgenbild für Diagnosestellung verzichtbar (Befunde mit schlechter nisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) hatte Korrelation zur Klinik), für Operationsplanung aber dann zentral einen Nutzen der Betablockade suggeriert [1]. Entspre- – Anamnestisch erfragen: Familie? Schmerzen beim Treppensteigen oder chend der Faustregel, dass Metaanalysen die Resultate Bergaufgehen? Vorbestehend schon andere Arthrosen (v.a. Knie)? einer adäquat angelegten, prospektiven Studie nicht – Untersuch: vorherzusagen vermögen [2], erwies sich ein lang • Kauerstellung führt zu posterioren Schmerzen wirksames Metoprolol-Präparat als unwirksam in der • Leistenschmerzen bei passiver Abduktion oder Adduktion Verhinderung von Exazerbationen bei COPD («BLOCK • Abduktionsschwäche COPD», [3]). Bei je gut 260 etwa 65-jährigen Patient(inn) • eingeschränkte Motilität in drei Ebenen* en mit relativ schwerer COPD (forcierte Einsekun- • eingeschränkte Innenrotation denkapazität [FEV1] gut 40%, Exazerbationen im vor- – Kommt eine andere Diagnose infrage («red flags»)? angehenden Jahr vorgekommen) hatte Metoprolol im • Alter 30–60 Minuten leider zu vermehrt schweren Formen solcher Exa * Die Arbeit enthält instruktive Bilder zu den klinischen Untersuchungen. zerbationen. 11 Todesfälle in der Metoprolol-Gruppe JAMA 2019, doi.org/10.1001/jama.2019.19413. standen 5 Todesfällen unter Plazebo gegenüber, ein Verfasst am 19.12.2019. nichtsignifikanter Wert in dieser allerdings vorzeitig beendeten Studie. Betablocker sollten also nicht in der Indikation «COPD» allein verschrieben werden. Falls Praxisrelevant andere (gute) Gründe für eine solche bestehen, wie Denosumab absetzen, aber wie? zum Beispiel tachykardes Vorhofflimmern, darf man Denosumab (Prolia®) ist ein monoklonaler Antikörper, sie wohl noch – vor allem bei leichteren COPD-Gra- der den von Osteoblasten synthetisierten sogenannten den – verordnen. RANK-Liganden bindet und inaktiviert. Dadurch wird 1 PLoS One. 2014, doi.org/10.1371/journal.pone.0113048. die Aktivierung der knochenresorbierenden Osteo 2 N Engl J Med. 1997, doi.org/10.1056/NEJM199708213370806. 3 N Engl J Med. 2019, doi.org/10.1056/NEJMoa1908142. klasten blockiert. Denosumab führt klinisch zu einer Verfasst am 16.12.2019. schnellen Hemmung der Knochenresorptionsrate, einer Zunahme der Knochendichte und einer vermin- derten Frakturhäufigkeit vorwiegend von Wirbelfrak- Fortschritte in der Behandlung turen bei postmenopausalen Frauen. Leider ist sein des Ovarialkarzinoms Absetzen von einem sogenannten «rebound» gefolgt, Doppelstrangbrüche in der DNA können nach Strahlen- charakterisiert durch eine schnelle Restimulierung der schäden oder chemischen Einwirkungen (z.B. frühere Knochenresorption mit nachfolgend zum Teil multipel Chemotherapie) auftreten. Wenn die homologen DNA- auftretenden Wirbelfrakturen. Zur Verhinderung die- Reparationsvorgänge, bei denen die allseits bekannten ses «rebounds» werden Bisphosphonate empfohlen. BRCA1 und BRCA2, aber auch andere Mechanismen, Wann, wie häufig, welches? Laut einer Studie kann das wichtig sind, zum Beispiel bei BRCA-Mutationen defekt parenterale Bisphosphonat Zoledronat, gegeben als sind, wird die nicht homologe DNA-Reparatur durch einzelne intravenöse Injektion sechs Monate nach der die Poly-ADP-Ribose-Polymerase (PARP) wichtiger. Im letzten Denosumab-Dosis, eine Reaktivierung der Kno- Gegensatz zur homologen Reparatur ist diese aber chenresorption über weitere zwei Jahre verhindern. nicht konservativ (keine Wiederherstellung der ur- J Bone Miner Res. 2019, doi.org/10.1002/jbmr.3853. sprünglichen DNA-Sequenz), sondern endet mit Ver- Verfasst am 27.12.2019. lust von DNA (siehe Abbildung) und führt damit se- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):69–72 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Kurz und Bündig 70 und damit Reduktion der Scherkräfte auf die Aorten- Homologe (konservative) Rekombination Nicht homologe (nicht konservative) wurzel/Aortenwand zu verhindern. Die Gabe eines (von intakten BRCA 1/2 abhängig) Rekombination (PARP-abhängig) A ngiotensin-Rezeptor-Antagonisten (Irbesartan) an durchschnittlich 18-jährige Patient(inn)en mit Marfan- Syndrom (n = 104) reduzierte die Zunahme des Wurzel- Schwester- chromosom durchmessers im Vergleich zu Plazebo (n = 88) über fünf Jahre signifikant (0,53 versus 0,74 mm/Jahr). Er- mutigend – es bleibt zu hoffen, dass dann auch die Ra- End-zu-End-Adaptation ten der erwähnten Komplikationen gesenkt werden. (plus Exzision allfälliger loser DNA-Stücke) Die Arbeit ist mit dem pathophysiologischen Konzept kompatibel, das dem durch diese Medikamente hemm- baren Stoffwechselweg des exzessiv aktiven «tumor (oder «transforming») growth factor beta» (TGF-β) eine Progressionsrolle zuschreibt. Lancet 2019, doi.org/10.1016/S0140-6736(19)32518-8. Verlust von DNA-Information/-Sequenz Verfasst am 28.12.2019. 1:1-Reparatur ohne DNA-Verlust Von den vielen DNA-Reparaturmechanismen sind hier nur die für das Verständnis der besprochenen Arbeiten relevanten Mechanismen vereinfacht dargestellt. Die homo- Neues aus der Biologie loge, u.a. BRCA-abhängige, perfekte Reparatur (links) nimmt die normale Gensequenz auf dem Schwesterchromosom als Vorlage. Dieser Vorgang kann nur stattfinden, wenn Physikalischer Trigger einer Lungenfibrose die DNA verdoppelt ist, die Zellen aber noch nicht geteilt sind. Falls dieser Prozess, Eine Zunahme von Bindegewebe («Fibrosierung») ist z.B. durch genetische Alterationen der Reparaturenzyme oder bei enorm intensiven DNA-Schäden, gestört oder überfordert ist, kommt die nicht homologe Rekombination eine häufige, bislang therapeutisch schwer angehbare (rechts) zum Zuge: Eine Notfallübung mit Defektheilung und erhöhter Krebsentstehung. Folge auf Organschädigungen. Häufig führt die Fibro- Die farbigen Linien stellen die Einzelstrang DNA-Abschnitte dar. sierung zur terminalen Organdysfunktion, so auch bei der Idiopathischen Lungenfibrose. Ein Hauptgrund dafür dürfte die gestörte alveoläre Regeneration im kundär zu potentiell onkogenen Zell eigenschaften. Rahmen einer genetischen Prädisposition, aber auch Dies ist ein wesentlicher Grund für die gehäufte Ent- von inhalativen Noxen sein. Als Folge der veränderten stehung solider Neoplasien wie dem Ovarialkarzinom. alveolären Regeneration respektive der dadurch se- Drei verschiedene, oral applizierbare Hemmsubstan- kundär gestörten alveolären Mikroarchitektur neh- zen dieser PARP (die also die DNA-Defektheilung hem- men die lokalen Scherkräfte zu. Dieser physikalische men sollten) erwiesen sich nun als signifikant wirksam, Stress oder Trigger führt via eine «tumor (oder «trans- gemessen am längeren krankheitsfreien Überleben, forming») growth factor»-Antwort zur Fibrosierung, nachfolgend an die primäre Behandlung des Ovarial- die von der Lungenperipherie langsam bis in zentra- karzinoms. Erwartungsgemäss waren die Effekte grös lere Lungenabschnitte zunimmt. ser bei Patientinnen, bei denen die homologen Re parationsmechanismen defekt waren (BRCA1- und Cell 2019, doi.org/10.1016/j.cell.2019.11.027. Verfasst am 27.12.2019. BRCA2-Mutationen, aber auch andere Mechanismen), bei denen der PARP-Reparaturmechanismus also akti- ver und damit sensibler auf eine Hemmung wurde. Die Substanzen sind sehr teuer (bei 7000 CHF pro Monat) Für Ärztinnen und Ärzte am Spital und myelosuppressiv. Noch ein weiteres, dafür ein billiges Medikament N Engl J Med. 2019, doi.org/10.1056/NEJMoa1910962, bei Entlassung nach Herzinfarkt? doi.org/10.1056/NEJMoa1909707 und doi.org/10.1056/NEJMoa1911361. Die prospektive, plazebokontrollierte Gabe von Colchi- Verfasst am 20.12.2019. cin (1× 0,5 mg/Tag) innerhalb von 30 Tagen nach erlit- tenem Herzinfarkt führte nach einer medianen Nach- Angiotensin II und Progression der Aorten beobachtung von knapp zwei Jahren (22,6 Monaten) zu dilatation bei Marfan-Syndrom einer absoluten Risikoreduktion, ein kombiniert ge- Das Marfan-Syndrom ist Folge einer dominant ver wähltes, weiteres kardiovaskuläres Ereignis zu erlei- erbten Mutation im Fibrillin-Gen. Die Dilatation der den, von 1,6% («number neede to treet» [NNT] ungefähr Aortenwurzel und die drohende Aortenruptur oder 64 bei einem p = 0,02). Hintergrund der Idee: Die Pro- Aortendissektion versucht man mittels Betablockade gression der Atheromatose nach einem Indexereignis SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):69–72 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Kurz und Bündig 71 wird durch (mit Colchizin gehemmte) Entzündungs- mechanismen gefördert [1]. Siehe dazu auch den positi- Leserecke ven Effekt des Interleukin-1-β-Hemmers Canakinumab Dieses Bild hatten wir im «Kurz und bündig» des [2], aber auch den fehlenden Nutzen von Methotrexat Swiss Medical Forum 49–50/2019 [1] verwendet, um den in vergleichbarer Indikation [3]. gegenwärtigen Verjüngungsstrategien einen histori- 1 N Engl J Med. 2019, doi.org/10.1056/NEJMoa1912388. schen Bezug zur Verjüngung von Odysseus bei seiner 2 N Engl J Med. 2017, doi.org/10.1056/NEJMoa1707914. Rückkehr zu geben. Einige Leser haben uns auf den 3 N Engl J Med. 2019, doi.org/10.1056/NEJMoa1809798. korrekten Zusammenhang aufmerksam gemacht. Verfasst am 28.12.2019. Stellvertretend publizieren wir hier gerne den Kom- mentar von Herrn Prof. Franco de’Clari (Lugano) und bedanken uns für die Zusendungen: Aus Schweizer Feder «Dieses Mosaik zeigt Odysseus, der sich an den Mast seines Schiffes binden liess, um den betörenden und Die moderne Vermessung einer gefährlichen Gesang der Sirenen hören zu können, alten Komplikation ohne in der Lage zu sein, auf ihre Insel zu gelangen – Seit Fuller Albright wissen wir, dass ein lange beste- was er wohl mit dem Leben bezahlt hätte. Seine Ge- hender primärer oder sekundärer Hyperparathyreoi- fährten mussten sich währenddessen die Ohren mit dismus zu einer erhöhten Knochenresorption mit Wachs verschliessen, um weder die Sirenen noch die Verdünnung der Kortikalis und Ersatz durch Binde allfälligen Beschwörungen Odysseus’, ihn loszubinden, gewebe, mitunter auch zu Knochenzystenbildung zu hören (Odyssee, Gesang XII, 165–200). (Osteitis fibrosa cystica) führt. Albright realisierte Bemerkenswert an dem römischen Mosaik aus dem auch das erhöhte Risiko einer postoperativen Hypo- 1. Jahrhundert n. Chr. (Bardo-Museum Tunis) ist, dass kalzämie («hungry bone») nach Parathyreoidekto- Odysseus und seine Gefährten – bis auf einen – blond ge- mie in Abhängigkeit der Schwere der Knochener lockt sind, während der Grossteil der Griechinnen und krankung [1]. Die Knochenresorption mit multipler Griechen heutzutage dem mediterranen Typ angehört Zystenbildung kann auch als (nicht neoplastische) Tu- und dunkle Augen und Haare hat (wenn dies ausnahms- mormasse imponieren. Makroskopisch haben diese weise nicht der Fall ist, handelt es sich meist um eine «Tumoren» einen braunen Aspekt wegen Einblutung Blondierung). Dieses Detail könnte ein Hinweis darauf in die Zysten (Hämosiderin, sog. Braune Knochen sein, dass König Odysseus von Ithaka ein Dorer war, also tumoren). einem in vorgeschichtlicher Zeit nach Griechenland ein- Aufgrund der häufigen Kalziumbestimmungen sehen gewanderten indogermanischen Volk angehörte». wir heute viel mehr frühe als lang bestehende Formen von Hyperparathyreoidismen und die fachlichen Dis- kussionen kreisen oft um «Was tun bei oder mit die- sem asymptomatischen Hyperparathyreoidismus?». Umso verdienstvoller ist, dass sich die Endokrinologie gruppe um Prof. C. Schmid am Universitätsspital Zü- rich die Mühe nahm, acht Fälle der selten gewordenen Osteitis fibrosa cystica zusammenzustellen und mit Natriumfluor-PET/CT zu untersuchen [2]: Median wie- sen alle diese Patient(inn)en viel mehr als klinisch vermutbar, nämlich 8 (!), Braune Tumoren auf. In Be- stätigung von Albright benötigten sieben der acht Patient(inn)en eine Behandlung wegen eines postope- Mosaikszene aus Homers Odyssee im Bardo Museum rativen «hungry bone syndrome». Obwohl Knochen- in Tunis, Tunesien (© Fotokon | Dreamstime.com). schmerzen bei fast allen präoperativ im Zentrum stan- 1 Swiss Med Forum. 2019, doi.org/10.4414/smf.2019.08429. den, war das klinische Leitsymptom eines Patienten nur eine Gingivaschwellung, bei einem weiteren war anscheinend eine zystoide Formation radiologisch zu- Nicht ganz ernst gemeint fällig in der Ulna entdeckt worden. 1 JAMA 1934, doi.org/10.1001/jama.1934.02750160010003. Welche Ärzte fahren was, wie und wie schnell? 2 J Bone Miner Metab. 2019, doi.org/10.1007/s00774-019-01059-z. Die Auswertungen der Verkehrsstrafen von 2004 bis Verfasst am 22.12.2019. 2017 in Florida (5432 Ärztinnen und Ärzte erhielten to- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):69–72 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Kurz und Bündig 72 Wussten Sie? 1) Die drei häufigsten Ursachen der chronischen Pan kreatitis sind (mehrere richtige Antworten möglich): A Chronische Glukokortikoidtherapie B Nikotinabusus (>35 «packyears») C Genetische Ursachen D Nichtsteroidale Antirheumatika E Alkoholüberkonsum (>5 «drinks»/Tag) 2) Patienten mit chronischer Pankreatitis sollten wie folgt auf die Entwicklung eines Pankreaskarzinoms untersucht werden (MRI): A Jährlich B Alle 5 Jahre C Kein Screening, da Pankreaskarzinom nicht gehäuft Ärzte sind zwar nicht schneller mit dem Auto unterwegs als Nicht-Ärzte, gewisse Fach- D Kein Screening, da kein Effekt auf Verlauf bewiesen spezialisten haben es jedoch eiliger als andere (© John Roman | Dreamstime.com). E Screening beschränkt auf hereditäre Pankreatitis tal 14 560 Strafzettel) und ein Vergleich der Bestraften Antworten zu diesen Fragen: mit den öffentlich zugänglichen ärztlichen Berufsre- gistern zeigt Folgendes: Richtig sind 1 B, C und E sowie 2 D und E. – Am schnellsten fuhren Orthopäden* (zum Zeit- Vor allem Alkoholüberkonsum, aber auch Nikotinabusus sind die wichtigsten Ursachen. In 30–80% aller Fälle ist die Diagnose punkt der Bestrafung im Schnitt ca. 28 km/h zu allerdings nicht klar (idiopathische Pankreatitis), wobei die Pro schnell). zentzahlen am höheren Ende allenfalls nur für sinoasiatische – Die meisten Luxusfahrzeuge (zum Zeitpunkt der Menschen zutreffen. Etwa bei der Hälfte der ungeklärten Pan Strafe) wurden von Kardiologen gesteuert. kreatitiden liegen erworbene Mutationen/Polymorphismen (u.a.) – Die Wahrscheinlichkeit, als Arzt die zugelassene Ge- in den Genen des Trypsin-Inhibitors oder im Gen des auch bei der Zystischen Fibrose mutierten Gens (CFTR, «cystic fibrosis schwindigkeit zu überschreiten, war nicht grösser transmembrane regulator») vor. In 1% der Fälle handelt es sich als in einer Kontrollgruppe von Nicht-Ärzten. um eine hereditäre, autosomal-dominante vererbte Pankreati- * Psychiater wiesen jedoch individuell die eindrücklichsten tis, mit einer Mutation des kationischen Trypsinogen-Gens (PRSS1). Diese Patient(inn)en haben eine speziell hohe Rate an Ausschläge nach oben auf. sekundären Pankreaskarzinomen (7% aller Fälle im Alter von BMJ 2019, doi.org/10.1136/bmj.l6354. 70 Jahren). Bei anderen Formen der chronischen Pankreatitis Verfasst am 28.12.2019. treten Karzinome auch gehäuft auf (1,8% aller Fälle 10 bzw. in 4% 20 Jahre nach Diagnosestellung), der Wert und die Konse- quenzen eines Screenings sind aber unklar. Das «Kurz und bündig» gibt es noch aktueller «online first» und JAMA 2019, doi.org/10.1001/jama.2019.19411. neu auch als Podcast unter medicalforum.ch oder direkt unter Verfasst am 22.12.2019. emh.ch/podcast! SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):69–72 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 73 Ursachen, Abklärung, diagnostischer Stellenwert Thrombophilie PD Dr. med. Giuseppe Colucci a, b , Prof. Dr. med. Dimitrios A. Tsakiris a a Diagnostische und Klinische Hämatologie, Universitätsspital Basel, Basel; b Servizio di Ematologia ed Emostasi, Clinica Luganese Moncucco, Lugano Die beiden Autoren haben zu gleichen Teilen zum Artikel beigetragen. Die Durchführung einer Thrombophilie-Abklärung in der Arztpraxis ist häufig eine Quelle von Unsicherheit und Bedenken. Die Schwierigkeiten beginnen mit der a r tic le Peer Wahl des richtig zu untersuchenden Patienten, sind verbunden mit dem Zeitpunkt re v ie we der Abklärung, mit der Wahl der Analysen, des Materials und enden mit der kor- d rekten Interpretation der Ergebnisse. Das Editorial zu diesem Artikel finden Sie auf S. 67 in dieser Ausgabe. Einführung Ursachen der Thrombophilie In diesem Artikel möchten wir – aufgrund der Evidenz Der Begriff Thrombophilie weist auf eine Neigung hin, und der persönlichen Erfahrung – die theoretischen intravaskulär pathologische Blutgerinnsel zu bilden. Grundlagen der Thrombophilie-Abklärung und die In- Das Gerinnungssystem befindet sich im Normalfall in dikationen darlegen sowie praktische Empfehlungen einem Gleichgewicht zwischen pro- und antikoagula- abgeben. torischen Einflüssen. Auf biochemischer Ebene spielt sich dies als Interaktion zwischen prokoagulatori- schen Gerinnungsenzymen und antikoagulatorischen Fall-Vignette: Fragestellung natürlichen Gerinnungsinhibitoren ab. Genetische Selbstzuweisung einer 23-jährigen Frau mit Atembe- Abweichungen sowie der Einfluss von epigenetischen schwerden (Kurzatmigkeit), Schweissausbrüchen und Faktoren können dieses Gleichgewicht stören, woraus Müdigkeit. Die Symptome verspüre sie zunehmend seit klinisch eine Thromboseneigung resultieren kann. Die 48 Stunden eher bei Anstrengung, dazu seit 12 Stunden klinische Beurteilung der Thrombophilie beruht auf einen thorakalen/pleuralen Schmerz rechts lateral. Fie- der persönlichen und Familienanamnese, der klini- ber, Husten und Auswurf werden verneint. schen Untersuchung und der Labordiagnostik. Persönliche Anamnese: keine bekannten kompromittie- renden Krankheiten, keine Medikamente ausser einem kombinierten Kontrazeptivum (Östrogen/Gestagen) Venöse Thrombophilie seit sechs Monaten, keine Thrombosen. Familienanamnese: zwei Jahre jüngere Schwester ohne Die Thrombophilie wird durch angeborene und/oder Thrombosen in der Anamnese, Grossmutter väterli- erworbene Faktoren bestimmt, die allein oder in Kom- cherseits mit rezidivierenden Thrombosen (Beinvenen- bination das Risiko für venöse Thromboembolien thrombose/Lungenembolie). (VTE) erhöhen. VTE umfassen die tiefen Venenthrom- Giuseppe Colucci Klinischer Status: BD 110/78 mm Hg, Puls 90/min, sonst bosen in typischer oder atypischer Lokalisation sowie unauffällig. die Lungenembolie. Man unterscheidet «provozierte» Spiral-Computertomogramm: Nachweis segmentaler (sekundäre) und «nicht provozierte» (idiopathische) Lungenembolien beidseits. VTE. Die Risikofaktoren bei provozierten VTE werden Therapie-Empfehlung: orale Antikoagulation in thera- in Haupt- und untergeordnete Risikofaktoren und in peutischer Dosierung für sechs Monate. reversible (transitorische) oder irreversible (persis- tente) unterteilt. Die Trennung zwischen «provozier- Frage ten» und «nicht provozierten» VTE ist sehr wichtig, Würden Sie eine Laborabklärung für eine hereditäre weil dies einen Einfluss auf die Therapiedauer hat oder erworbene Thrombophilie bei der obigen am (Tab. 1). bulanten Patientin veranlassen? Wenn ja, was und Die hereditäre Thrombophilie wird am häufigsten Dimitrios A. Tsakiris wann? durch einen Mangel von natürlichen antikoagulatori- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):73–78 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel AIM 74 schen Proteinen (Antithrombin-Mangel, Protein-C- Non-0-Blutgruppe stellt in diesem Sinne die häufigste Mangel, Protein-S-Mangel), eine genetisch bedingte milde Prädisposition dar [1]. Dysfibrinogenämie, eine schwere Hyperhomocystein Die Prävalenz von thrombophilen Defekten in der all ämie oder eine Mutation des Faktors II (Prothrom- gemeinen Population ist relativ tief (Tab. 2). Die Suche bin-G20210A-Mutation) oder V (R506Q, Faktor-V-Leiden- nach diesen Defekten muss deswegen nur bei klarer Mutation) verursacht. Im Zeitalter der genomweiten Indikation erfolgen. Assoziationsstudien (GWAS) wurden zusätzliche geneti- Die hereditäre Thrombophilie erhöht besonders das Ri- sche Polymorphismen aufgedeckt mit grenzwertiger, siko für die erste Thrombose, während das Rezidivrisiko aber messbarer statistischer Assoziation zur VTE. Die marginal beeinflusst wird (Tab. 3). Weitere erworbene prädisponierenden Faktoren, die al- lein oder in Kombination das Risiko für VTE erhöhen, Tabelle 1: Provozierende, nicht provozierende und hereditäre Risikofaktoren (RF) einer Thrombose [15]. sind zu suchen respektive auszuschliessen (Tab. 4 und 5). Die Kombination von zwei oder mehreren Faktoren Provozierende RF Nicht provozierende RF Hereditär erhöht das Thromboserisiko multiplikativ. Die klinische Operation Alter >60 Jahre Antithrombin-Mangel Thrombophilie ist am Schluss eine Gen-Gen-Interak- Trauma Geschlecht (männlich) Protein-C-Mangel tion oder eine Gen-Umwelt-Interaktion. Fraktur Ethnie Protein-S-Mangel Wir empfehlen, sich bei der Suche nach einer hereditä- Tumor Body-Mass-Index >30 kg/m2 Faktor-V-Leiden Immobilisierung Östrogen/Gestagen Prothrombin-G20210A ren Thrombophilie auf die oben erwähnten Hauptde- Schwangerschaft Steroide Dysfibrinogenämie fekte zu beschränken (Tab. 2). Die in der Vergangenheit Lange Reise Statine Non-0-Blutgruppe als Risikofaktor vermutete heterozygote oder homozy- Hospitalisation Diät gote Mutation der Methylentetrahydrofolat-Reduktase Katheterintervention Körperliche Aktivität (MTHFR) – 677C→T – hat sich nicht als Risikofaktor für Akuter Infekt Umweltverschmutzung die erste VTE oder für ein Rezidiv bestätigt (weder allein noch in Kombination) und ihre Bestimmung ist somit redundant [2]. Tabelle 2: Prävalenz der Thrombophilie-Defekte in der allgemeinen Population und bei Patienten mit stattgehabten Thrombosen [14]. Arterielle Thrombophilie Prävalenz in der Prävalenz in Jährliches Die arterielle Thrombophilie wird durch die klassi- Bevölkerung VTE-Kohorten VTE-Risiko (%) (%) (% /y) schen arteriellen Risikofaktoren begünstigt und die Antithrombin-Mangel 0,02 0,5 1,1 hereditären Gerinnungsdefekte spielen eher eine Protein-C-Mangel 0,15 6 0,7 untergeordnete Rolle. In diesem Fall stehen vor allem Protein-S-Mangel 0,1 2 0,3 arterielle Hypertonie, Dyslipidämie, Diabetes, östro- F-V-Leiden heterozygot 5 16 0,5 genhaltige Medikamente und Neoplasien im Vorder- F-V-Leiden homozygot 0,004 0,01 1,3 grund. Die erworbenen prädisponierenden Faktoren F-II-G20210A heterozygot 2 7 0,4 respektive eine erworbene Thrombophilie, insbe F-II-G20210A homozygot 0,1 2 1,1 sondere das Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom F-V-Leiden/F-II-G20210A hetero- zygot 0,1 3 0,5 (Tab. 4 und 5), sind auch in diesem Fall zu suchen bezie- VTE: venöse Thromboembolie, F: Faktor. hungsweise auszuschliessen. Verschiedene weitere ge- netische Polymorphismen wurden in Zusammenhang mit arteriellen Thrombosen gebracht, haben sich je- Tabelle 3: Relatives Risiko für Thrombosen bei der hereditären Thrombophilie. doch in der Literatur nicht bestätigt und waren kontro- versen Diskussionen unterworfen, entweder weil sie in Erste VTE Rezidiv hoher Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung vor- Faktor-V-Leiden-Mutation – heterozygot 4,9–9,7 1,3 kommen oder weil den positiven Beobachtungsstu- – homozygot 40–80 – dien gleich viele negative gegenüberstehen [3]. Prothrombin-Genmutation 1,9–3,8 1,4 Antithrombin-Mangel 5–8 0,5 Indikationen für die Suche einer Protein-C-Mangel 5–8 2,5 hereditären Thrombophilie Protein-S-Mangel 1,7–8 2,5 Dysfibrinogenämie – Die klinische Evaluation eines Patienten zur Suche Hyperhomocysteinämie – einer erworbenen Thrombophilie ist bei jedem Patien- Non-0-Blutgruppe 2,5 ten indiziert. Dagegen sollte die Durchführung einer VTE: venöse Thromboembolie. labormässigen Thrombophilie-Abklärung zur Suche SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):73–78 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel AIM 75 – atypisch lokalisierte Thrombosen (obere Extremi Tabelle 4: Ursachen der erworbenen Thrombophilie. täten, portal, mesenterial); Typ Mögliche Ursache, z.B. – gekreuzte arteriovenöse Thrombosen bei offenem Akquirierte APC-Resistenz Pille, Schwangerschaft Foramen ovale; Akquirierter Antithrombin-Mangel Nephrotisches Syndrom, Sepsis – Frauen vor Verschreibung der Pille im Falle einer Akquirierter Protein-C-Mangel Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT), positiven persönlichen und/oder Familienana HIV-Infekt mnese für VTE. Akquirierter Protein-S-Mangel Schwangerschaft, Pille, HIV-Infekt Wenn möglich, muss zuerst immer der Index-Patient Hyperhomocysteinämie Vitamin-B6 -, Vitamin-B12-, Folsäure-Mangel (der Patient mit der stattgehabten Thromboembolie) Zustände mit erhöhtem Faktor VIII, Entzündungen, Infektionen Fibrinogen untersucht werden. Bei Verwandten soll nur eine par Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom tielle Thrombophilie-Abklärung durchgeführt werden APC: aktiviertes Protein C (nur der nachgewiesene Defekt wird gezielt gesucht). Falls die Familienanamnese positiv für VTE ist, aber der Index-Patient nicht untersucht werden kann, dann Tabelle 5: Erworbene prädisponierende Faktoren für Thrombosen [14–16]. sollen die Verwandten mit klarer Familienanamnese Alter >65 Jahren Immobilisation, Flug >4 Stunden (z.B. Thromboembolie bei Verwandten ersten oder Trauma Body-Mass-Index >30 kg/m 2 zweiten Grades, im Alter vor 60 Jahre nisse vor der Verschreibung der Pille – ist nicht indi- Patienten >50 Jahre mit einem oder mehreren klaren Risikofaktoren für VTE ziert, nicht kosteneffektiv und soll vermieden werden. Verwandte 1. oder 2. Grades (Eltern bzw. Grosseltern) mit VTE im Alter >60 Jahre Zusätzliche Situationen, in denen eine Thrombophilie- Patienten ohne Nachkommen und Geschwister Abklärung grundsätzlich nicht indiziert ist, sind in der Patienten in der Akutphase der VTE Tabelle 6 zusammengefasst. VTE: venöse Thromboembolie Thrombophilie bei Kindern einer hereditären Thrombophilie nur bei strikter Indi- kation stattfinden [4–7]. Indikationen für die Abklä- Die hereditäre Thrombophilie als Grundlage ist natür- rung des Index-Patienten, nach einem oder mehreren lich seit Geburt präsent, jedoch sind Thrombosen im venösen Ereignissen, sind: Kindesalter praktisch inexistent, mit Ausnahme im – idiopathische Thromboembolie bei Patienten Neugeborenenalter. Diese sind meistens provoziert
Übersichtsartikel AIM 76 Thrombosen wird eine Abklärung empfohlen. Labor- Abklärung hereditäre und/oder erworbene technisch wird hier das gleiche Profil wie bei den Er- Thrombophilie wachsenen untersucht. Bei Neugeborenen und Kin- dern mit gewöhnlichen, nicht katheterassoziierten Zeitpunkt der Blutentnahme Thrombosen wird eine Abklärung nach Ermessen der Die Durchführung der Thrombophilie-Abklärung soll Konsequenzen und des individuellen Risikos pro Fall idealerweise ausserhalb der Akutphase der Thrombose empfohlen. Bei katheterassoziierten Thrombosen erfolgen. Die Gleichgewichtsstörung der Hämostase in wird keine Thrombophilie-Abklärung empfohlen. Bei der akuten Phase einer Thrombose erschwert die Inter- Kindern von betroffenen Eltern oder anderen Fami pretation der Resultate, sodass häufig nur ein Teil der lienmitgliedern wird ebenfalls keine Frühabklärung Ergebnisse interpretiert werden kann. empfohlen mangels direkter Konsequenzen. Diese Ab- Die Resultate der Abklärung beeinflussen kaum das ini klärung wird allenfalls in die Zeit der Adoleszenz ver- tiale Management und die Therapie des Patienten. Falls schoben [8, 9]. eine Indikation für die Durchführung einer Thrombo- philie-Abklärung besteht, soll diese einen Monat nach Ende der Antikoagulationstherapie durchgeführt wer- Labordiagnostik der Thrombophilie den. Falls eine Langzeitantikoagulation indiziert ist, soll Die Thrombophilie-Abklärung stellt eine umfassende die Abklärung frühestens zwei bis drei Monate nach Evaluation des prothrombotischen Risikos des Patien- dem akuten Ereignis stattfinden unter Berücksichti- ten dar sowie allenfalls eine Evaluation des Risikos für gung der möglichen Einflüsse der Therapie auf die La- die Nachkommen. borresultate. Sowohl die Vitamin-K-Antagonisten wie auch die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC, Fak- Abklärung Blutbild tor-Xa- oder Faktor-IIa-Inhibitor) können einen Teil der Das Blutbild dient zum Ausschluss oder zur Bestätigung Analysen ungünstig beeinflussen, sodass die Interpre- von Krankheiten, die mit einem erhöhten Thrombose- tation der Laborresultate erschwert wird (Tab. 7). Jedoch risiko assoziiert sind (Tab. 5). Insbesondere bei jungen kann bei den chronischen Therapien mit DOAC in nied- Patienten mit atypisch lokalisierten (ausgedehnten) riger prophylaktischer Dosierung nach einer Therapie- VTE sind myeloproliferative Neoplasien – wie etwa die abstinenz von 24–48 Stunden eine Blutentnahme ge- Polycythaemia vera und/oder die essentielle Throm- plant und interpretiert werden. bozythämie – auszuschliessen. Während einer Schwangerschaft sollte die Abklärung ebenfalls nicht durchgeführt werden, sondern erst sechs Monate nach der Geburt. Zwei Ausnahmen, mit Tabelle 7: Interferenzen der direkten oralen Antikoagulantien (DOAC, Anti-FXa-Hemmer) möglichen therapeutischen Konsequenzen, sind hier mit Gerinnungsanalysen. zu erwähnen: Test Methodenprinzip Interferenz – Antithrombin-Bestimmung bei Thrombose in der PT/INR Gerinnungsendpunkt Ja Schwangerschaft: Möglichkeit der Antithrombin- aPTT Gerinnungsendpunkt Ja Substitution peripartal [10]. Thrombinzeit Gerinnungsendpunkt Nein – Sofortige Protein-C-Bestimmung bei Purpura ful- Fibrinogen Gerinnungsendpunkt Nein minans des Neugeborenen: Möglichkeit der Pro- Faktor II, V, VII, VIII, IX, X, XI, XII Gerinnungsendpunkt Ja tein-C-Substitution beim Neugeborenen [11]. Faktor XIII Chromogen Nein Faktor VIII chromogen Chromogen Ja Protein-C-Aktivität Chromogen Nein Auswahl der Laboranalysen Protein-S-Aktivität Gerinnungsendpunkt Ja Eine komplette Thrombophilie-Abklärung beinhaltet: Antithrombin-Aktivität Chromogen Ja Gerinnungsstatus inklusive Quick/INR, aktivierte par- Protein-C-Antigen Immunoassay Nein tielle Thromboplastinzeit (aPTT), Fibrinogen, D-Dimere Protein-S-Antigen Immunoassay Nein sowie Protein C funktionell, Protein S funktionell, Antithrombin-Antigen Immunoassay Nein Antithrombin funktionell, Resistenz gegen aktiviertes Plasminogen-Aktivität Chromogen Nein Protein C (APC-Resistenz), Lupus-Antikoagulans, Auto APC-Resistenz Gerinnungsendpunkt Ja antikörper gegen β-2-Glykoprotein I (IgG + IgM) und An- Lupus-Antikoagulans Gerinnungsendpunkt Ja tikardiolipin (IgG + IgM). Die genetische Suche nach der D-Dimere Immunoassay Nein Prothrombin-Genmutation G20210A und der Faktor-V- Thromboelastometrie Gerinnungsendpunkt Ja Leiden-Mutation (R506Q) wird aus EDTA-Blut oder aus Reptilase-Zeit Gerinnungsendpunkt Nein dem Zellsediment der Citratröhrchen durchgeführt. PT: Thromboplastinzeit («prothrombin time»), aPTT: aktivierte partielle Thromboplastinzeit, APC: aktiviertes Protein C. Bei Feststellung eines Protein-C-, -S- oder Antithrom- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):73–78 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel AIM 77 bin-Mangels wird die Analyse dieser Proteine durch die Antikoagulation festzulegen. In der umfassenden Be- antigenetische Bestimmung erweitert, um einen funk- urteilung und Beratung werden, neben dem Rezidiv tionellen von einem kompletten Mangel zu unterschei- risiko, das Blutungsrisiko unter Antikoagulationsthe- den. Dieses Analysenprofil kostet in der Schweiz CHF rapie abgeschätzt und die individuelle Präferenz des 564.– (Analysenliste der Schweiz 2019). Patienten mitberücksichtigt. Die Evidenz zeigt eine untergeordnete Rolle der Thrombophilie in der Vor- aussage eines erneuten Auftretens einer Thrombose. Stellenwert der Thrombophilie-Abklärung Drei prognostische Modelle für das individuelle VTE- Ziele der Thrombophilie-Abklärung sind die Suche Rezidivrisiko nach Abbruch der Antikoagulation nach nach möglichen Ursachen der Thrombose und die Iden- einer idiopathischen VTE – HERDOO2 Score, «Vienna tifikation der Patienten, die nach dem ersten Ereignis Prediction Model» und DASH Score – berücksichtigen von einer Dauerantikoagulation profitieren könnten. die Thrombophilie nicht [12]. Im Score von Franco Mo- Andere Ziele der Abklärung sind die Identifikation von reno et al. [13] ist die genetische Thrombophilie statis- Familienmitgliedern, bei denen durch das Vermeiden tisch signifikant, wobei nur eine retrospektive und von Risikofaktoren und/oder eine medikamentöse Pro- keine prospektive Validation von diesem Score durch- phylaxe VTE vorgebeugt werden können, sowie die Be- geführt wurde. Bei Nachweis einer hereditären Throm- ratung von Patienten, Verwandten und betreuenden bophilie mit möglichen Folgen für die Nachkommen, Ärzten. Folgende Parameter sind hilfreich bei der Ab- vor allem Frauen im gebärfähigen Alter, wird eine schätzung des individuellen VTE-Rezidivrisikos – und Familienabklärung (gezielte partielle Thrombophilie- für die Bestimmung der Antikoagulationsdauer: Abklärung) empfohlen. Sie hilft bei der Entscheidung, – Umstände der VTE: postoperativ (kumulatives Re in Risikosituationen eine Prophylaxe nur mit konser- zidivrisiko nach fünf Jahren: ca. 3%) versus nicht- vativen Massnahmen (z.B. Bewegung, Kompressions- chirurgische Risikofaktoren wie zum Beispiel östro- strümpfe, Hydratation, Verzicht auf Östrogene) oder genhaltige Hormonpräparate, Schwangerschaft, auch medikamentös durchzuführen. Darüber hinaus Beinverletzung, Flüge über vier Stunden, Gips, 5–12 ist die hereditäre Thrombophilie wichtiger Bestandteil Wochen postoperativ (kumulatives Rezidivrisiko der Risiko-Scores «Caprini» und «Rodgers» für die Risi- nach fünf Jahren: ca. 15%) versus idiopathisch (ku- kostratifizierung der Patienten bezüglich des periope- mulatives Rezidivrisiko nach fünf Jahren: ca. 30%). rativen Thromboserisikos. – Lokalisation der VTE: distal versus proximal. – Anzahl der VTE: Rezidivierende VTE haben ein erhöh- Stellenwert einer positiven Thrombophilie- tes Rezidivrisiko (relatives Risiko [RR]: 1,5) im Ver- Abklärung bezüglich Thromboseprophylaxe gleich zur ersten VTE. Bei Nachweis einer thrombophilen Anomalie bei – Alter >60 Jahre, Geschlecht (männliches Geschlecht: einem Familienmitglied stellt sich die Frage bezüglich RR 1,6), Body-Mass-Index (BMI 26–30 kg/m2: RR ca. 2; Prozedere und Prophylaxe. Die erste Risikostratifizie- BMI >30 kg/m2: RR ca. 5). rung der Patienten beruht auf der persönlichen Anam- – Antiphospholipid-Antikörper: mittel- bis hochtitrige nese. Zusätzlich sollten körperlicher Habitus, Alter, Art Antikardiolipin-Antikörper Typ IgG: RR ca. 2; Lupus- der Gerinnungsanomalie, Art der Erwerbung (hetero- Antikoagulans: RR 6–8. zygot oder homozygot), Grunderkrankung und weitere – Hereditäre Thrombophilie: Antithrombin-Mangel: Risikofaktoren mitberücksichtigt werden. Bei diesen RR ca. 2; homozygote Faktor-V-Leiden-Mutation: RR Patienten empfehlen wir generell, eine Immobilisa- ca. 2–3; compound heterozygote Faktor-V-Leiden- tion und/oder Dehydrierung zu vermeiden. Vor allem und Prothrombin-G20210A-Mutation: RR ca. 2–5. bei Varikose sind Kompressionstrümpfe in Risikositu- – D-Dimere nach Sistierung der oralen Antikoagula- ationen (Immobilisation, Reise >4 Stunden, Schwan- tion: negative D-Dimere: RR ca. 0,4. gerschaft, postoperativ) zu empfehlen. In diesen – Persistierend erhöhter Faktor VIII:C («Factor VIII Risikosituationen empfehlen wir eine sorgfältige me- Clotting Activity»): RR ca. 6. dikamentöse Prophylaxe und bei Frauen keine Ver- – Alle Krankheiten mit erhöhtem Thromboserisiko schreibung östrogenhaltiger Präparate. (Tab. 4). Stellenwert einer negativen Thrombophilie- Stellenwert der Thrombophilie-Abklärung Abklärung bezüglich Thromboseprophylaxe bezüglich Thrombosetherapie Falls die Familienanamnese stark positiv ist und keine Die Thrombophilie-Abklärung sollte nicht mit dem labormässig fassbare Thrombophilie nachgewiesen einzelnen Ziel durchgeführt werden, die Dauer der wird, sind die prophylaktischen Massnahmen wie SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2020;20(5–6):73–78 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
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