Wandel der Versorgung 2019
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2. AUSGABE DAS MAGAZIN DER 2019 KASSENÄRZTLICHEN BUNDESVEREINIGUNG Wandel der Versorgung Vom Landarzt zum Patientenbus Medizinstudierende Gesundheitspolitik Gesundheit anderswo bvmd-Vizepräsident Martin Gesetzesmaschinerie Italien: Versorgung mit Gavrysh im Interview auf Hochtouren Nord-Süd-Gefälle
Editorial KBV Klartext Das Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Erscheinungsweise: Liebe Leserin, lieber Leser, vierteljährlich Herausgeber: der gesellschaftliche Wandel ist auch in der medizinischen Kassenärztliche Bundesvereinigung Versorgung spürbar – in der Stadt und auf dem Land. Dort, wo Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvor- sitzender der KBV, V.i.S.d.P.) Fachkräfte fehlen, bedarf es alternativer Konzepte. In unserem Titelthema (ab Seite 4) berichten wir über Beispiele und zeigen Redaktion: Alexandra Bodemer (Chefredakteurin), auf, wie medizinische Versorgung gewährleistet werden kann. Birte Christophers, Tabea Breidenbach, Tom Funke, Corina Glorius Gerade in ländlichen Regionen fehlt es an Ärzten. Dieses Problem können jedoch nicht die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) alleine lösen, hier Redaktionsbeirat: Dr. Roland Stahl müssen Kommunen und KVen an einem Strang ziehen. Um frühzeitig Nachfolger für die Praxis zu finden, werben schon heute Kommunen für ihre Region. Der Redaktionsanschrift: Kassenärztliche Bundesvereinigung „Klartext“ begleitete sechs Medizinstudierende auf eine Ortsbegehung in die Redaktion Klartext brandenburgische Stadt Luckau. Wie die Stadt sich um den Nachwuchs bemüht, Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin Tel.: 030 4005-2205 lesen Sie ab Seite 9. Fax: 030 4005-2290 E-Mail: redaktion@kbv.de www.kbv.de Im Interview erzählt Martin Gavrysh, „Vizepräsident für Externes“ der Bundes- vertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), was der Nach- Gestaltung: KloseDetering, Hamburg wuchs von einer Landarztquote oder gar der Idee eines Landarztstudienganges hält. Außerdem sagt er uns, welche Lehrinhalte im Medizinstudium sinnvoll Druck: Druckerei Kohlhammer, Stuttgart wären und wie die Niederlassung wieder reizvoll werden könnte (ab Seite 16). Fotos: Titel: © iStock.com/36clicks/Klose Detering Auf unserer Vertreterversammlung in Münster haben wir über das Terminservice- > S. 2: © Lopata/axentis.de > S. 3: © picture und Versorgungsgesetz sowie weitere geplante Gesetzesvorhaben und deren alliance/Ulrich Baumgarten; Tabea Breiden- bach/KBV > S. 4: © picture alliance/Ulrich Auswirkungen gesprochen. Auch die Einmischung der Politik mit ihren „innova- Baumgarten > S. 7: © picture alliance/Sven Simon; © Bendrich/Kassenärztliche Verei- tiven Ideen“, die den Ärzten und Psychotherapeuten den Berufsalltag erschwe- nigung Hessen > S. 8: © iStock.com/chacha- ren, war ein Thema, ebenso wie die Blockadehaltung des Spitzenverbands der mal; Dr. Stefan Lippmann > S. 9-11: © Tom Funke/KBV > S. 13: © picture alliance/dpa; Zi Krankenkassen. Mehr zur VV lesen Sie ab Seite 14. > S. 14: © Tabea Breidenbach/KBV > S. 16: © Tom Funke/KBV > S. 18: © Tom Funke/KBV > S. 19: © Thomas Reimer – stock.adobe.com; In der Rubrik „Gesundheit anderswo“ schauen wir in dieser Ausgabe nach Süd- Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lip- europa. In Italien gibt es eine kostenfreie Grundversorgung für alle Bürger, aber pe > S. 20: © picture alliance/Kay Nietfeld/ dpa > S. 22: © picture alliance/Kay Nietfeld/ auch regionale Unterschiede. Was das für die Versorgung bedeutet, erfahren Sie dpa > S. 23: © iStock.com/Sasiistock > S. 24: ab Seite 24. © picture alliance/Daniel Kalker > S. 25: © KloseDetering > S. 26: © picture alliance/ imageBROKER > S. 27: © KBV Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre. Ihr Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des Vorstandes www.twitter.com/kbv4u KBV Klartext Die App KBV2GO! kostenlos abonnieren www.youtube.com/kbv4u kostenlos downloaden: und downloaden: www.kbv.de/klartext www.kbv.de/kbv2go www.kbv.de/praxisnachrichten 2 KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019
Inhalt Titel Themen Interview 12 TSVG: Was kommt wann? 16 bvmd-Vize Gavrysh: Landarztquote 4 Versorgung im ist keine Lösung 14 Vertreterversammlung: Versorgung Wandel: Vom Landarzt den Experten überlassen zum Patientenbus 20 Neue Gesetze am Fließband Gesundheit anderswo 23 Bericht aus Brüssel: Mangelnde Impfquoten in der EU 24 Italien: Versorgung mit Nord-Süd-Gefälle Reportage Kurz gefasst 9 Medizinstudierende auf Expedition in die Provinz 13 Meldungen aus dem Bund 19 Meldungen aus den Ländern 27 Angeklickt und aufgeblättert Die Mitglieder der KBV-Vertreter- versammlung positionierten sich in Münster gegen die Einmischung von Politik und Krankenkassen in die Versorgung. „Man muss uns nur machen lassen“, lautete der Tenor. KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019 3
TITEL Wandel der Versorgung – vom Landarzt zum Patientenbus Menschen werden älter, Ärzte also auch. Junge Menschen ziehen in die Stadt, Medizinstudierende also auch. Kombiniert ergibt sich die Herausforderung, die medizinische Versorgung in Deutschland, in der Stadt und auf dem Land, zu gestalten. 4 KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019
D orf sucht Arzt“ – „Arzt sucht Nachfolger“. So geht es vielen Gemeinden und Ärzten in ländli- chen Gebieten. Der Grund: Junge Mediziner zieht es in die Städte. Damit sind sie Teil schärft: Bis 2025 werden durch Anstellung und reduzierte Arbeitszeiten 11,8 Prozent der ärztlichen Arbeitszeit und damit der Versorgungskapazität wegfallen. Das Bundesarztregister der KBV zeigt: Die psychotherapeutischen Versorgung – die Differenz liegt hier zwischen den Berliner Stadtteilen Marzahn-Hellersdorf (60,1 Pro- zent) und Charlottenburg-Wilmersdorf (415,4 Prozent) bei 355,1 Prozent. eines gesamtgesellschaftlichen Trends – Zahl der Ärzte hat 2018 zugenommen, um die deutsche Gesellschaft ist urbanisiert: 1,5 Prozent zum Vergleichsjahr 2017. Da 77 Prozent der Menschen leben in Städten jedoch viele in Teilzeit arbeiten, stieg die oder Ballungsgebieten, nur 15 Prozent in Kapazität insgesamt nur um 0,2 Prozent. Dörfern mit weniger als 5.000 Einwohnern. „Es fehlt nicht nur an Ärzten, auch an ärzt- Vom Dorfarzt zum Arztdorf Attraktiver ist der städtische Raum, dort licher Behandlungszeit – und das sowohl gibt es Arbeit, öffentlichen Nahverkehr, auf dem Land, als auch in Städten“, fasst Der Gemeinsame Bundesausschuss hat Einkaufsmöglichkeiten, Kulturangebote Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender kürzlich die Bedarfsplanungs-Richtlinie sowie Kindergärten und Schulen. Wo die KBV-Vorstandsvorsitzender, zusammen. angepasst. Demnach sind ab 1. Juli diesen Menschen wegziehen, schwindet hingegen Jahres rund 3.500 weitere Stellen in der die Infrastruktur. Einige Gemeinden nehmen die Suche Bedarfsplanung vorgesehen, davon etwa nach einem Hausarzt daher selbst in die 1.500 für Hausärzte. „Doch auch wenn es „Ärzte sind häufig die letzten, die gehen – Hand. Beispielsweise Kaltenkirchen, eine einen Mehrbedarf an Ärzten gibt, wir kön- davor haben längst schon der Bäcker vor Kreisstadt mit gut 21.000 Einwohnern in nen sie nicht aus dem Ärmel schütteln“, Ort oder die Post geschlossen“, sagt Dr. Schleswig-Holstein: 10.000 Euro bekommt betont Gassen und ergänzt: „Planung auf Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender ein Arzt, der sich dort niederlässt und für dem Papier sieht gut aus, kann aber den der Kassenärztlichen Bundesvereinigung fünf Jahre bleibt – es haben sich schon Mangel als solchen nicht beseitigen.“ Der (KBV). Es sind vor allem Ärzte der älteren Interessenten gemeldet. „Bereits Klein- Zuzug von Ärzten aus dem Ausland könne Generation, die sich um die ebenfalls städte sind auf der Suche nach Ärzten, das und solle die Lücke nicht füllen. „Das kann alternde (Land-)Bevölkerung kümmern zeigt: Einen Arzt zu finden, das ist nicht nicht die Lösung sein – wir sollten den – so lange, bis sie selbst in den Ruhe- nur ein Problem ländlicher Regionen“, so sogenannten Braindrain, also die Ab- stand gehen. Häufig arbeiten sie länger Hofmeister. Land ist außerdem nicht gleich wanderung hochqualifizierter Fachkräfte und weit über ihr geplantes Rentenalter Land. „Am Starnberger See wird sich aus ihren Herkunftsländern, nicht auch hinaus, denn einen Nachfolger zu finden immer jemand niederlassen wollen, andere noch unterstützen und so das Ausbluten ist schwierig. Jeder dritte Hausarzt ist Regionen sind einfach unattraktiv – für der dortigen Versorgung billigend in Kauf bereits über 60 Jahre alt, viele von ihnen Ärzte und Bevölkerung gleichermaßen“, nehmen“, so Gassen. werden in den kommenden Jahren ihre veranschaulicht KBV-Chef Gassen. Wäh- Praxis abgeben wollen. Der demografische rend also einige Landstriche entvölkert „Wir müssen langfristig überlegen, wie wir Wandel macht weder vor Ärzten noch vor werden, prosperieren andere Gemeinden mit den gesellschaftlichen Entwicklungen ihren Patienten halt. Die durchschnittliche und profitieren beispielsweise von der umgehen und bis dahin die Ärzte strate- Lebenserwartung der Deutschen liegt bei Nähe zu Ballungsgebieten. Doch selbst gisch so platzieren, dass sie die Versorgung 80,6 Jahren. Die Patienten werden immer in einigen städtischen Gebieten, wo viele für größere Gebiete sichern können“, älter, haben oft multimorbide Krank- Menschen auf engerem Raum leben, fehlt betont Hofmeister. Dabei gebe es auch ganz heitsbilder und brauchen umfassende es an Ärzten. So droht Chemnitz, einer praktische Dinge zu bedenken: „Insbeson- Betreuung – nicht nur durch den Haus- Mittelstadt mit 240.000 Einwohnern, die dere in ländlichen Regionen ist eine Praxis arzt, auch durch Fachärzte. Der doppelte Unterversorgung. erst ab einer gewissen Anzahl an Patienten Strukturwandel betrifft ganz Deutschland überhaupt wirtschaftlich tragbar. Schon und ändert auch die Anforderungen an das In den Stadtstaaten und Metropolen liegt deshalb können wir die Ärzte nicht dahin Gesundheitssystem. die Versorgungsdichte zwar üblicherweise schicken, wo alle wegziehen“, erläutert der auf insgesamt hohem Niveau, doch die Ver- stellvertretende KBV-Chef. Der Wunsch teilung innerhalb der Stadtteile ist teilweise nach einem Arzt in jedem Dorf sei heute sehr unterschiedlich. Die Kassenärztliche häufig nicht mehr realisierbar, so Hofmeis- Vereinigung (KV) Berlin weist etwa für ter. Es sei außerdem im Interesse der Pa- Unterversorgung Kinderärzte in Berlin-Neukölln einen tienten, dass ihr Arzt eine gewisse Anzahl nicht nur auf dem Land Versorgungsgrad von rund 90 Prozent an Behandlungen vornimmt und mit den aus, in Steglitz-Zehlendorf steht dem ein Eingriffen vertraut ist, ergänzt er. Daher Das Nachwuchsproblem wird durch den Niveau von 184 Prozent gegenüber. Noch könnte eine Konzentration von Ärzten in Wandel der Versorgungsstruktur ver- gravierender sind die Unterschiede bei der Gemeinschaftspraxen, Mediznischen > KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019 5
TITEL heute schon eine etwas längere Anfahrt in ziger Kompetenzpfad Allgemeinmedizin) ARZT AM APPARAT Kauf“, sagt Hofmeister und ergänzt: „Blickt und MiLaMed (Mitteldeutsches Konzept zur man außerdem ins europäische Ausland, longitudinalen Integration Landärztlicher beispielsweise nach Schweden, so sind die Ausbildungsinhalte und Erfahrungen in „Smart zum Arzt – lassen Sie sich Entfernungen hierzulande gar nicht ver- das Medizinstudium, siehe „Drei Fragen ohne Terminvereinbarung von gleichbar.“ Aktuell liegt die durchschnit- an“ auf Seite 8). einem kompetenten Arzt beraten: tliche Anfahrtszeit zum Hausarzt für Komfortabel und absolut diskret 90 Prozent der Bevölkerung bei elf Minu- von zuhause aus via Telefon, App ten, 99,8 Prozent müssen zu ihrer Hausarzt- oder Chat.“ So bewirbt die Kas- praxis nur zehn Kilometer fahren. senärztliche Vereinigung Baden- Alternative Konzepte Württemberg ihr Modellprojekt und neue Ideen docdirekt, das seit April 2018 läuft. Zunächst auf die Stadt Stuttgart Die Herausforderungen, die eine zukünf- sowie den Landkreis Tuttlingen be- Mit der Quote aufs Land? tige Versorgung im Angesicht der gesell- schränkt, wurde das Angebot nach schaftlichen Trends mit sich bringt, sind erfolgreicher Testphase inzwischen Das jüngste „Berufsmonitoring Medizin- längst ins Bewusstsein gerückt. Umfragen auf das ganze Bundesland ausge- studierende“ der KBV und der Universität wie das Berufsmonitoring Medizinstudie- weitet. Alle gesetzlich versicherten Bayreuth hat ergeben, dass der ärztliche rende 2018 zeigen zwar, dass das Interesse Patienten in Baden-Württemberg Nachwuchs zwar gerne in Heimatnähe an Allgemeinmedizin und hausärztlicher können docdirekt in Anspruch bleibt, ländliche Gemeinden aber kaum in Tätigkeit steigt – doch dieses Interesse will nehmen. Speziell für Telemedizin Frage kommen. Mehrere Bundesländer ha- gepflegt und muss unterstützt werden, geschulte Hausärzte beraten mon- ben oder planen deshalb eine Landarztquo- damit junge Ärztinnen und Ärzte sich tags bis freitags von 9 bis 19 Uhr te im Studium. Die Idee: Zehn Prozent der tatsächlich niederlassen. Neben Beratungs- per Telefon und/oder Video. Dem Studienplätze könnten vorab an Bewerbe- und Unterstützungsangeboten versuchen Projekt vorausgegangen war die rinnen und Bewerber vergeben werden, die KVen, Städte und Gemeinden, aber auch Aufhebung des Fernbehandlungs- sich verpflichten, nach ihrem Abschluss für Ärzte selbst, neue Wege zu gehen, um die verbotes durch die baden-württem- bis zu zehn Jahre als Hausarzt in unterver- Versorgung ihrer Region zu sichern und bergische Landesärztekammer. sorgten beziehungsweise durch Unterver- Nachwuchs zu werben: Ärzte inserieren sorgung bedrohten ländlichen Regionen auf ebay ihre Praxen oder verschenken die- zu arbeiten. Halten sich die Studierenden se gar, Gemeinden organisieren Landparti- nicht an die vertragliche Vereinbarung, en für Studierende, bei denen Politiker und Versorgungszentren (MVZ) oder Integ- sind Strafzahlungen vorgesehen. Diese Niedergelassene für ihre Region werben rierten Gesundheitszentren in größeren können beispielsweise in Nordrhein-West- (siehe Seite 9). KVen betreiben eigene Pra- Ortschaften sinnvoll sein, wo sie mehr falen bis zu 250.000 Euro betragen. xen, um jungen Ärzten die Vorteile einer Patienten behandeln und Eingriffe routine- Niederlassung schmackhaft zu machen. mäßig anbieten können. Bisher sind MVZ „Bei der Quote besteht die Gefahr, dass In diesen sogenannten Eigeneinrichtun- jedoch eher in Städten als auf dem Land der Beruf ‚Landarzt‘ durch die gesonderte gen werden Ärzte zunächst von der KV vertreten. „Das könnte sich ändern und Studienplatzvergabe stigmatisiert wird angestellt und damit von den Pflichten und eine Option für die Versorgung auf dem – obwohl alle Studierenden die gleichen Risiken einer Selbstständigkeit entlastet, Land darstellen“, so Hofmeister. Kurse belegen und die gleiche, hochwertige die Praxisräume sind voll ausgestattet. Die Ausbildung erhalten“, warnt Hofmeister. Ärzte können diese jederzeit auf Wunsch In eine ähnliche Richtung denkt auch die Hinzu kommt: Die Studierenden stehen übernehmen und sich selbstständig ma- Kassenärztliche Vereinigung (KV) Saar- als fertig aus- und weitergebildete Ärzte chen, um die Versorgung vor Ort langfristig land, die in ihrem Versorgungsbericht 2019 frühestens in zwölf Jahren für die Versor- zu sichern. Gemeinden, Städte und KVen das Konzept der „Gesundheitsdörfer“ ins gung zur Verfügung. Den prognostizierten locken außerdem mit Stipendien für Stu- Spiel gebracht hat. Die Idee: Die medizini- Bedarf an neuen Hausärzten decken sie dierende und Investitionszuschüssen für sche Versorgung soll gezielt im Zentrum auch dann nicht, wenn alle diesen Beruf Praxen. einer Gemeinde gebündelt werden. In ein ergreifen. Laut einer neuen Studie des Zen- solches Gesundheitsdorf integriert wären tralinstituts für die kassenärztliche Versor- Wenn es keinen Nachwuchs gibt, werden Ärzte, Apotheken, Rehabilitationsein- gung fehlen bis zum Jahr 2035 pro Jahr bis alternative Konzepte erprobt. Im nieder- richtungen, Wohnungen, Kindergärten, zu 6.000 Studienplätze. Um für die Zukunft sächsischen Leer hat die KV 2017 einen Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Spiel- gewappnet zu sein, müssen also weiterge- Patientenbus angeboten, der die Men- plätze, Fitness- und Freizeitmöglichkeiten, hende Maßnahmen unternommen werden. schen gegen einen geringen Fahrpreis um den Standort zu stärken und für den Einige Universitäten versuchen, durch spe- einsammelt, zum Arzt und wieder zurück ärztlichen Nachwuchs attraktiv zu gestal- zielle Programme Studierende von Beginn bringt – oder das Taxi zahlt, sollte wegen ten.„Die Wege zu solchen Zentren wären an für die Themen Allgemeinmedizin und Wartezeiten beim Arzt der Bus nicht mehr zwar etwas weiter, aber für einen bestimm- Landarzt zu gewinnen, beispielsweise die erreichbar sein. Auch in Bayern fährt ein ten Spezialisten nehmen die Leute auch Uni Leipzig mit den Projekten LeiKa (Leip- Ärztebus die Patienten zum Arzt. Umge- 6 KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019
kehrt kommen in Nord- und Osthessen die Ärzte zu den Patienten. Mit dem „Medi- bus“ werden in festgelegter Reihenfolge Gemeinden angefahren, die keine oder zu wenige Hausärzte haben (siehe Kasten). Der Bus ist wie eine Arztpraxis ausgestattet und ermöglicht in den meisten Fällen eine Vor-Ort-Behandlung. Assistenz- und Delegationsmodelle wie VERAH® oder „Agnes“ sind schon länger Bestandteil der Versorgung und sollen den Arzt entlasten. Sie können jedoch nur bestimmte Aufgaben übernehmen und den Arzt nicht ersetzen. „Oft wird Telemedizin als Allheilmittel für die ländliche Versor- gung genannt. Aber sie kann höchstens keinen flächendeckenden Breitbandaus- zent), doch auch der Wunsch nach Arbeit in ein Add-on sein“, so KBV-Vize Hofmeister. bau. Für eine erfolgreiche Digitalisierung Anstellung ist groß (90,2 Prozent). Der Hin- Die ersten Schritte sind getan, fast alle des Gesundheitswesens, also auch der tergrund: Sie legen Wert auf ihre Work-Life- Ärztekammern haben hierfür ihre Berufs- Hausarztpraxen hierzulande, brauchen Balance und die Vereinbarkeit von Familie ordnungen geändert und für Fernbehand- wir erst einmal die nötige Infrastruktur“, und Arbeit. Zudem schrecken Bürokratie, lung geöffnet. Beispiel Videosprechstunde: mahnt Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmit- das finanzielle Risiko bei einer Nieder- Sowohl Arzt als auch Patient sparen sich glied der KBV. lassung und die Angst vor drohenden Weg und Zeit – und die Sprechstunde per Regressforderungen den medizinischen Videochat ist zeitlich flexibler. Ärzte sollen Nachwuchs davon ab, sich selbstständig zu künftig auf ihren Websites dafür werben machen. Auch kleinteilige Vorgaben, wie dürfen. In Baden-Württemberg behandeln sie kürzlich durch das Terminservice- und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten be- Zeiten ändern sich, Versorgungsgesetz für die Haus- und Fach- reits per Telefon oder online (siehe Kasten die Versorgung mit ihnen ärzte erlassen wurden, wirken sich negativ auf Seite 6). Der Arzt sollte den Patienten aus. Selbst wenn Niederlassungswünsche allerdings vorher schon mindestens einmal Die Zeit für das Gespräch per Videoschal- bestehen, möchten rund 43 Prozent der gesehen haben, und viele Behandlungen tung und die anschließende Dokumenta- befragten Studierenden nicht auf dem Land erfordern weiterhin, dass der Arzt den tion wendet der Arzt dennoch auf – und arbeiten – ein Drittel nicht einmal in einer Patienten gegenüber sitzt und sie körper- die Ressource Arztzeit ist knapp. Das liegt Stadt mit 10.000 Einwohnern. lich untersuchen kann. Auch die WHO ist nicht nur daran, dass ältere Ärzte, die meist der Ansicht, dass der persönliche Kontakt 52 Wochenstunden oder mehr in eige- Doch immer wieder gibt es auch Erfolgsge- durch Telemedizin nicht vollständig ersetzt ner Praxis arbeiten, zunehmend aus der schichten. Lokalzeitungen berichten, dass werden kann. Telemedizinische Angebote Versorgung ausscheiden. Auch der Trend ein junger Arzt sich in einer Praxis in der können die Versorgung ergänzen und auch zur Anstellung mit weniger Stunden pro ländlichen Region niedergelassen hat und Patienten in ländlichen Regionen erreichen Woche verschärft diese Entwicklung. Junge nun dankbare Patienten versorgt. Solche – zumindest in der Theorie. Denn dafür Mediziner, das zeigt das Berufsmonitoring Einzelfälle könnten sich in Zukunft häufen gibt es eine Voraussetzung, die bisher nicht Medizinstudierende, können sich eine – hat doch der Trend der Urbanisierung erfüllt ist. „In Deutschland gibt es noch Niederlassung zwar gut vorstellen (74,3 Pro- gestoppt, wie die Studie „Trend Reurba- > VON DORF ZU DORF Der Medibus, die mobile Arztpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, fährt seit Juli 2018 durch hessische Gemeinden. Der umgebaute Bus ist ausgestattet mit einem Wartebereich, einem Labor, einem EKG und einem kleinen Be- handlungsraum. Ein Facharzt für Allgemeinmedizin ist mit an Bord. Die mobile Praxis sorgt für die Sicherstellung der wohn- ortnahen allgemeinmedizinischen Versorgung und eine Ent- lastung der Hausärzte in ländlichen Regionen Nordhessens. Dazu fährt der Medibus nach einem festen Fahr- und Zeitplan verschiedene Gemeinden in der Region an, um die Patienten vor Ort zu versorgen. Das Projekt ist in Kooperation mit der Deutschen Bahn (DB) entstanden. Die DB sieht in dieser Form der Versorgung Potenzial für die Zukunft und plant, weitere Busse auszustatten und als mobilen Service anzubieten. KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019 7
nisierung?“ der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Gründe hierfür: Auf dem Land ist das Wohnen günstiger, in der Umgebung und in Klein- und Mittelstädten gibt es durch lokale Firmen häufig eine größere Jobsicherheit als in Großstädten und die Natur ist nah. All diese Faktoren reizen auch viele Ärztinnen und Ärzte. Außerdem ist ihnen die Nähe zu Patienten wichtig, die sie im ländlichen Raum oft ein Leben lang begleiten können. Dabei ist das medizini- sche Spektrum an Erkrankungen groß und abwechslungsreich. KBV-Vize Hofmeister ist überzeugt: „Die Versorgung hierzulande ist gut, sie wird sich der gesellschaftlich- demografischen Entwicklung anpassen.“ Dort, wo die Bedingungen attraktiv sind oder attraktiv gestaltet werden, wird es auch Infrastruktur geben und somit Ärzte – für die Patienten dann auch mal zwei Dörfer weiter fahren. Tabea Breidenbach Der ärztliche Nachwuchs will meistens lieber in der Stadt als auf dem Land praktizieren. DREI FRAGEN AN ... DR. TOBIAS DEUTSCH, UNIVERSITÄT LEIPZIG, KOORDINATOR DES PROJEKTS MILAMED Was versprechen Sie sich von einer Außerdem möchten wir natürlich auch ein explizit landärztlichen Ausrichtung des Kennenlernen der Regionen selbst fördern, Studiums? um sie als möglichen späteren Arbeitsort attraktiv zu machen. Es ist keineswegs so, dass das gan- ze Studium landärztlich ausgerichtet Wie reagieren Kommunen und Niederge- Gemeinsam mit der Uni Halle-Wittenberg werden soll. Vielmehr sollen Lehrinhalte lassene in den involvierten Regionen auf arbeitet die Uni Leipzig an dem Projekt zur Versorgung im ländlichen Raum das das Projekt? MiLaMed (Mitteldeutsches Konzept zur Curriculum an geeigneten Stellen ergän- longitudinalen Integration Landärztlicher zen. Da werden unter anderem Schnitt- Wir sind noch am Beginn des Projektes. Ausbildungsinhalte und Erfahrungen in stellenthematiken eine Rolle spielen, aber Die Gewinnung neuer Lehrpraxen in den das Medizinstudium). Was verbirgt sich auch aktuelle Versorgungskonzepte wie Regionen ist eine der aktuell anstehen- dahinter? Telemedizin oder die Delegation ärztlicher den Aufgaben. Aus den Erfahrungen Leistungen an qualifizierte Versorgungsas- mit unseren bestehenden Lehrpraxen- Das vom Bundesgesundheitsministerium sistenten. Schön wäre, das Themengebiet Netzwerken und auch aus einer von uns geförderte Lehrprojekt möchte die Beson- möglichst im Längsschnitt und fächerüber- durchgeführten Studie zur Bereitschaft von derheiten und Herausforderungen der Ver- greifend einzubinden, damit die Studie- Niedergelassenen zum Engagement in der sorgung außerhalb der Großstädte stärker renden während ihrer Ausbildung immer Studierendenausbildung wissen wir aber, in das Medizinstudium einbeziehen. Zu- wieder damit in Kontakt kommen können. dass da eine große Offenheit besteht. dem sollen Studierende in Zusammenar- Wir möchten den ärztlichen Nachwuchs Die Möglichkeit, etwas für die Zukunft beit mit vier von Unterversorgung bedroh- für diese Inhalte interessieren, im besten der eigenen Region beizutragen, könnte ten Modellregionen Mitteldeutschlands Fall begeistern, und eventuelle Vorurteile zusätzlich motivieren. Die bisher kontak- vermehrt für kleinstädtisch-ländliche hinsichtlich der Versorgung im ländlichen tierten Kommunen und Landkreise sind Praktika gewonnen werden. Nach einer Raum abbauen. Praktika in regionalen durchweg sehr an einer Zusammenarbeit einjährigen Entwicklungsphase möchten Krankenhäusern und Lehrpraxen mit enga- interessiert. Vielerorts bestehen schon wir das Konzept zwei Jahre erproben und gierten ärztlichen Rollenvorbildern können tolle Initiativen, oft fehlt es jedoch an einer evaluieren. da erfahrungsgemäß viel bewirken. direkten Ansprache der Studierenden. Diese Lücke möchten wir schließen. 8 KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019
REPORTAGE Expedition in die Provinz Um drohendem Ärztemangel auf dem Land etwas entgegenzusetzen, hat der Förderverein der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) das „MHB-Mobil“ ins Leben gerufen. Es soll Studierenden zeigen, wie vielfältig das brandenburgische Landleben ist. Mitte Mai machte das Mobil in der Stadt Luckau halt. L uckau, eine Stadt in Branden- burg mit rund 9.700 Einwohnern, westlich gelegen vom touristisch erschlossenen Spreewald, ist nicht einfach zu erreichen. Eine direkte Zugverbindung dann, als die Gruppe in einem Sitzungs- saal des Rathauses Platz genommen hat, wird Lehmann deutlich: Er wolle Werbung machen für das Leben auf dem Land. Dieses sei vor allem familiär geprägt und biete „Entschleunigung“ pur. Landärzte würden in Luckau gesucht, er wisse von mindestens drei Medizinern, die sich derzeit nach einem Nachfolger umschau- en. „Wir könnten uns eine individuelle > gibt es nur zum acht Kilometer außerhalb des Zentrums gelegenen Bahnhof im Orts- teil Uckro. Möchte man hier mobil sein, braucht man ein Fahrrad, ein Motorrad oder ein Auto. Die Medizinstudierenden kommen in einem grauen Multi-Van mit der Aufschrift „MHB-Mobil“. Zunächst noch zögerlich steigen die sechs angehen- den Ärztinnen und Ärzte sowie der Vor- sitzende des Fördervereins der MHB, Prof. Günter Fleischer, aus dem Wagen und betrachten den pittoresken Marktplatz, auf dem gerade der Samstagsmarkt stattfindet. Rundherum stehen bunt angestrichene und mit Stuck verzierte Häuser aus dem späten 17. Jahrhundert in der Sonne. Vor den Studierenden liegt das Rathaus der Stadt. Mit seinem orangen Anstrich, seinen Türmen und Torbögen könnte es auch in einer italienischen Kleinstadt liegen. Den Ausflug der Studierenden hat MHB-Fördervereinsvorsitzender Fleischer zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) und der Stadt Luckau organisiert. Dabei ist ein Filmteam, das im Auftrag des Förderver- eins den Tag dokumentiert. Bürgermeister wirbt fürs Landleben Vor dem Rathaus warten der Bürgermeis- ter von Luckau, Gerald Lehmann, und Ordnungsamtschef Thomas Schäfer. Sie unterhalten sich miteinander und grüßen den einen oder anderen vorbeilaufenden Passanten. „Willkommen in der Stadt Luckau, Hauptstadt der Niederlausitz“, sagt Lehmann freudestrahlend und sicht- bar stolz, als die angehenden Ärztinnen und Ärzte bei ihm ankommen. Später Marktplatz und Maibaum: Luckau empfing die Studierenden mit kleinstädtischer Idylle. KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019 9
REPORTAGE finanzielle Unterstützung vorstellen, wir zinstudierenden auf der leicht erhöhten dass ich zurück möchte", erzählt Trabandt. könnten bei der Wohnungssuche helfen Veranda des Hauses und unterhalten sich. Er schätze den kurzen Weg zur Arbeit und oder beim Grundstückskauf“, verspricht Jan Auswitz ist einer der Studierenden der die Einarbeitungsmöglichkeit, die der Lehmann. MHB. Er kommt aus Berlin, hat mittellan- derzeitige Praxisinhaber Dr. Erhard Kiesel ge dunkle Locken und trägt eine schwar- ihm bietet. Davon würden am Ende beide Nach der Begrüßung durch den Bürger- ze Brille. „Vor meinem Studium hatte profitieren. Voraussichtlich im Sommer meister und einer kurzen Besichtigung der ich das Vorurteil: Hinter Berlin hört die 2020 ist Trabandt mit seiner Facharz- alten Rathausgewölbe und Amtsstuben Zivilisation auf. Momentan studiere ich in tausbildung fertig und könnte die Praxis setzt sich der Tross in Bewegung. Flei- Neuruppin, das ist schon sehr provinziell. übernehmen. „Derzeit bekomme ich alle scher vom MHB-Förderverein kommt ins Aber hier, das ist richtiges Land.“ Momen- zwei Wochen Angebote aus der Region Erzählen: „Ich bin der Auffassung, dass tan könne er sich das Leben auf dem Land zur Praxisfortführung“, sagt er. Gut findet man während des Studiums unbedingt noch nicht vorstellen: „Mir sind derzeit der Vater von zwei Kindern, dass sich mit zu niedergelassenen Ärzten gehen sollte. einfach die kulturellen Angebote, die einer eigenen Praxis Familie und Beruf Krankenhäuser lernen die Studierenden größere Städte bieten, noch zu wichtig.“ vereinbaren lassen. sowieso kennen, aber den Alltag in einer Für Johanna Seifert aus der brandenbur- Landarztpraxis nicht! Zudem sollen die gischen Stadt Senftenberg ist wichtig, Mittlerweile ist es Nachmittag. Die warme Studierenden sehen, welche Freiheiten die dass sie sich selbst entfalten und etwas Mai-Sonne scheint den Studierenden ins eigene Praxis bietet.“ bewegen kann. Die Medizinstudentin im Gesicht, als sie von der Praxis in Cri- neunten Semester mit schulterlangem nitz zurück zum Van schlendern. Dort Haar, einer geblümten Bluse, weiter ocker- angekommen eröffnet Ordnungsamts- farbener Hose und roten Samtlederschu- chef Schäfer den Studierenden, dass sie hen könnte sich durchaus vorstellen, aufs die Möglichkeit haben, spontan zu den „Eine Bresche schlagen für die Land zu ziehen. „Was aber mir persönlich Stadtmeisterschaften der freiwilligen Niederlassung“ ganz besonders wichtig ist, sind alle Feuerwehr in Luckau zu fahren. „Wir kulturellen Aspekte des Lebens, auch auf wollen den Studierenden zeigen, dass wir Die erste Station ist die Praxis von Elke dem Land. Ich möchte, dass alternative ein lebendiges Vereinsleben haben“, sagt Wecke-Harbarth, Fachärztin für Innere Lebensweisen akzeptiert werden und Leu- Schäfer. Auf dem Fest herrscht ausgelas- Medizin. Die Praxis befindet sich nahe te Unterstützung finden, die neue Projekte sene Stimmung, es riecht nach Bratwurst. des Zentrums in einem sanierten Altbau anstoßen", sagt sie. Es scheint fast, als sei die halbe Stadt hier mit dezentem cremefarbenen Anstrich, anwesend. Nur widerstrebend kehren die umgeben von Nadelbäumen. Eine Studierenden zum Van zurück. Backsteintreppe führt auf eine Veranda und weiter zum Eingang in die Praxis. Weiter geht es in Richtung Stadtzentrum, Diese wirkt freundlich und einladend. Intakte Natur und mittlerweile ist es früher Abend und der Wecke-Harbarth, eine mittelgroße Frau „lebendiges Vereinsleben“ Zeitplan für die Stadtbesichtigung eng mit kurzen dunklen Haaren und in legerer gefasst. Der Van hält an einem großen Be- Freizeitkleidung, leitet zusammen mit Nach der Besichtigung der ersten Praxis sucherparkplatz. Ein Informationsschild einer Kollegin die Gemeinschaftspraxis macht das MHB-Mobil halt an „Sielmanns verkündet, dass Luckau im Jahr 2000 die für die Behandlung von Nieren- und Hoch- Naturlandschaft Wanninchen“, einem druckkrankheiten. Geduldig beantwortet alten, rund 3.000 Quadratmeter großen sie, bei laufendem Praxisbetrieb, alle Braunkohletagebau, den sich nun die Fragen der Studierenden und bietet an, Natur zurückerobern kann. Im Herbst ma- dass sie ohne Probleme ihre Praktika oder chen hier sogar wieder Kraniche Station. das Praktische Jahr in der Praxis absol- Gustav Stark, Student der MHB im dritten vieren können. „Wir würden sogar eine Semester, stammt selbst aus einem Dorf in Einraumwohnung zur Verfügung stellen“, der Nähe von Eisenhüttenstadt, er möchte preist Wecke-Harbarth ihr Angebot an. in der Nähe bleiben und kann sich eine „Ich möchte eine Bresche schlagen für Niederlassung vorstellen: „Die Landschaft die Niederlassung und das Leben auf dem hier, besonders der See, ist schön. Mir ist Land, die ländlichen Regionen brauchen wichtig, dass ich meinen Kindern eine engagierte junge Ärzte“, sagt Wecke- intakte Natur weitergebe.“ Harbarth. Sie macht darauf aufmerksam, dass auch auf dem Land der fachliche Zurück aufs Land zog es René Trabandt. Austausch mit Kollegen möglich sei, in Er ist 31 und Arzt in Weiterbildung zum Luckau zum Beispiel durch regelmäßig Facharzt für Allgemeinmedizin in Crinitz, stattfindende Stammtische für Allgemein- einem Nachbardorf von Luckau, wo die medizin und die Zusammenarbeit mit dem Studierenden eine weitere Praxis kennen örtlichen Krankenhaus. lernen. „Ich komme vom Land und bin Vom Tagebau zum Naherholungsgebiet: zum Studium an die Charité nach Berlin "Sielmanns Naturlandschaft" gehörte eben- Nach dem Praxisbesuch stehen die Medi- gegangen. Für mich war aber schnell klar, falls zu den Stationen des MHB-Mobils. 10 KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019
Internistin Dr. Wecke-Harbarth (rechts) warb beim Praxisbesuch für die Niederlassung auf dem Land. Landesgartenschau ausgerichtet hat. Die zung falsch sei. Eigentlich schätze er Ob die Studierenden in Zukunft Landärz- Stadtführerin wartet bereits und erklärt das Familiäre an kleineren Städten: „In tin oder Landarzt werden und in welcher ausführlich und mit wahrer Freude die Neuruppin treffe ich bei Spaziergängen (Praxis-)Form sie dies tun werden, steht Geschichte der Stadt. Es sei schön, junge oftmals Freunde und Bekannte. Wenn derzeit noch in den Sternen. Wenn sie sich Menschen durch die Stadt zu führen, sonst dann noch der Dönermann deinen Namen für das Landleben entscheiden sollten, seien die Besuchergruppen immer älter. kennt und grüßt, das ist für mich Hei- ist eine private Investition aber definitiv Die Reisegruppe nähert sich der Kirche mat“, erzählt Auswitz. Thanh Hien Vu notwendig: die in ein Fortbewegungsmit- von Luckau. Innen ist es angenehm kühl. eine in Dresden geborene Studentin im tel. Denn der letzte Bus fährt an einem Der Kantor der Gemeinde spielt für die neunten Semester, sagt, dass dieser Tag Samstag in Luckau um 18:53 Uhr. Studierenden auf der Orgel zunächst zwei ihr noch einmal verdeutlicht habe, was es klassische Stücke um danach zwei ältere bedeutet, als Landärztin zu arbeiten. „Ich Tom Funke Pop-Hits darzubieten. Andächtig lauschen denke, die Arbeit als Arzt auf dem Land die angehenden Mediziner, einer schließt ist entspannter als in der Großstadt. Die die Augen und wippt zu den Klängen. Patienten sind dankbarer als in der Stadt, da sie wissen, dass man ihnen eine gute Grundversorgung bietet. Doch wenn man Arbeit und Privates trennen möchte, oder eine gewisse Anonymität schätzt, dann ist Der Tag hinterlässt Eindruck das Land nichts für einen.“ Sie ergänzt, dieser Tag sei gut geeignet gewesen beste- Die Exkursion geht zu Ende. Auf dem Weg hende Vorurteile abzubauen: „Ich dachte zum Abendbrot in den Luckauer Ratskeller bis heute, das Land sei konservativ. Aber ziehen die zukünftigen Ärztinnen und das muss nicht immer stimmen. Wenn Ärzte ihr Fazit. Auswitz erzählt, dass er Leute da sind, die etwas auf die Beine noch vor diesem Tag dachte, kleine Städte stellen wollen, dann gibt es viel Abwechs- seien ausgestorben. Er habe aber in seiner lung. Mich hat zum Beispiel besonders Studienstadt Neuruppin und besonders überrascht, dass es hier in Luckau einen in Luckau gemerkt, dass diese Einschät- Montessori-Kindergarten gibt.“ KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019 11
THEMA TSVG: Was kommt wann? Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ist am 11. Mai in Kraft getreten. Der „Klartext“ fasst für Ärzte und Psychotherapeuten wichtige Änderungen in einer Übersicht zusammen. REGELUNG WANN? WER? EXTRABUDGETÄRE VERGÜTUNG VON TSS-VERMITTLUNGSFÄLLEN Im Falle einer Vermittlung durch die Terminservicestelle (TSS) erhalten Ärzte und Psycho- Alle Ärzte und Psychotherapeu- therapeuten die Leistungen im Arztgruppenfall* extrabudgetär und damit in voller Höhe vergütet. ten, zu denen vermittelt wurde Alle Ärzte und Psychotherapeu- extrabudgetär. ten, zu denen vermittelt wurde - Sofern die Behandlung aufgrund eines durch die TSS auf Basis des bundesweiten Ersteinschät zungsverfahrens festgestellten akuten Behandlungsbedarfs erfolgt, erhalten Ärzte und Psycho- Alle Ärzte und Psychotherapeu- therapeuten die Leistungen im Arztgruppenfall* extrabudgetär vergütet. ten, zu denen vermittelt wurde AUSWEITUNG DER ZUSTÄNDIGKEIT DER TSS Die TSS vermitteln auch Termine bei Haus- sowie Kinder- und Jugendärzten. Patienten benötigen für Hausärzte, Kinder- und die Vermittlung keine Überweisung. Zudem sollen die TSS Versicherte bei der Suche nach „festen“ Jugendärzte Haus- sowie Kinderärzten unterstützen. Die TSS vermitteln Termine zur psychotherapeutischen Akutbehandlung innerhalb von zwei Wochen. Patienten benötigen hierfür eine Bescheinigung, dass eine Akutbehandlung erforderlich ist. Psychotherapeuten TERMINVERMITTLUNG DURCH DEN HAUSARZT gefördert. Der Hausarzt stellt dem Patienten eine Überweisung aus. > voller Höhe vergütet. Dafür müssen sie den Überweisungsschein entsprechend kennzeichnen Fachärzte („HA-Vermittlungsfall“). > innerhalb von vier Kalendertagen zehn Euro extrabudgetär. Hausärzte OFFENE SPRECHSTUNDEN Wohnortnahe und grundversorgende Fachärzte müssen mindestens fünf Stunden pro Woche als Augenärzte, Chirurgen, Gynäko- logen, HNO-Ärzte, Dermatologen, Kinder- und Jugendpsychiater, Ner- venärzte, Neurologen, Orthopäden, Psychiater, Urologen BEHANDLUNG NEUER PATIENTEN Die Aufnahme neuer Patienten durch Ärzte der grundversorgenden und unmittelbaren medizinischen Alle Arztgruppen, ausgenommen Praxis auf, werden alle Leistungen in dem jeweiligen Arztgruppenfall* extrabudgetär vergütet. Diese Anästhesisten, Humangenetiker, Regelung ist bei fachübergreifenden Praxen auf maximal zwei Arztgruppen pro Praxis beschränkt. Labormediziner, Mund-Kiefer-Ge- sichtschirurgen, Nuklearmediziner, * Arztgruppenfall: Alle Leistungen, die von derselben Arztgruppe (zum Beispiel Orthopäden) in derselben Arztpraxis innerhalb desselben Pathologen, Radiologen, Strahlen- Quartals an demselben Versicherten ambulant zulasten derselben Krankenkasse durchgeführt worden sind. therapeuten Mehr Informationen zum 12 KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019 TSVG finden Sie hier: www.kbv.de/html/tsvg.php
MELDUNGEN AUS DEM BUND BÄK informiert über Fernbehandlung Die Bundesärztekammer (BÄK) informiert mit einem ausführlichen Fragen-Antworten-Katalog über aus- schließliche Fernbehandlung. Mittlerweile hätten fast alle Ärztekammern entsprechende berufsrechtliche Neu- regelungen eingeleitet, sodass nun Ärztinnen und Ärzte Bedarf an umfassend über die neuen Möglichkeiten informiert werden sollen, erklärte Dr. Josef Mischo, Vorsitzender Studienplätzen steigt des Berufsordnungsausschusses der BÄK. Mischo stellte zudem klar, dass alle beruflichen Rechte und Pflich- Jährlich fehlen bis zu 6.000 Medizinstudienplätze im ten von Ärztinnen und Ärzten auch im Rahmen einer Fach Humanmedizin, wenn die aktuelle Versorgungs- ausschließlichen Fernbehandlung gelten. Ärzte müssten leistung bis 2035 erhalten werden soll. Das ergab eine stets prüfen, ob der jeweilige Fall für eine ausschließ- aktuelle Berechnung des Zentralinstituts für die kassen- liche Fernbehandlung in Frage komme oder nicht. Der ärztliche Versorgung in Deutschland. Grundlage dafür Fragen-Antworten-Katalog sowie weitere Informationen ist die Annahme, dass 75 Prozent der Studienanfänger sind unter www.baek.de/fernbehandlung abrufbar. (fun) innerhalb von 15 Jahren ihren Facharzt machen. Erst dann stünden sie als Ärztinnen und Ärzte für die Versorgung zur Verfügung. Doch selbst wenn die Studienplatzkapa- zitäten von derzeit 11.000 Plätzen ab dem kommenden Jahr um 30 bis 50 Prozent erhöht würden, wären die Aus- wirkungen aufgrund der Dauer der Aus- und Weiterbil- dung erst nach 15 Jahren zu spüren. Auch Zuwanderung löst das Problem nicht: Die Berechnung zeigt, dass der vertragsärztliche Versorgungsgrad bis 2035 auf 74 Pro- zent des heutigen Niveaus absinken könnte, selbst wenn die Nettozuwanderung an Ärzten nach Deutschland auf Wissenschaftspreis dem jetzigen Niveau bliebe. Allein eine Steigerung der ausgeschrieben Zuwanderung um etwa 3.600 Fachärzte pro Jahr würde das medizinische Versorgungsniveau in Deutschland bis 2035 stabilisieren. (tab/fun) Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) schreibt aktuell den Zi-Wissenschafts- preis zur regionalen Versorgungsforschung aus, mit dem exzellente wissenschaftliche Arbeiten auf diesem Gebiet ausgezeichnet werden. Darunter fallen ausdrücklich auch Rund 3.500 neue Arztsitze Arbeiten, die sich mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung beschäftigen, welche möglich sich aus Ergebnissen regionalisierter Versorgungsfor- schung ergeben. Prämierte Arbeiten werden auf dem Nach Umsetzung der neuen Bedarfsplanungsrichtli- Webportal www.versorgungsatlas.de veröffentlicht. Die nie des Gemeinsamen Bundesausschusses können Forschungsergebnisse des Versorgungsatlas würden es bundesweit 3.470 neue Niederlassungsmöglichkeiten ermöglichen, ärztlichen Organisationen und anderen entstehen, zusätzlich zu den rund 3.440 derzeit offenen Akteuren im System, wie Krankenkassen oder Politik, Niederlassungsmöglichkeiten. Von den neuen Nieder- konkrete Hinweise zu geben, an welchen Stellen Verbes- lassungsmöglichkeiten entfallen 1.446 auf Hausärzte, serungen machbar wären, so Dr. Dominik von Stillfried, rund 776 auf Psychotherapeuten, 476 auf Nervenärzte Geschäftsführer des Zi. Einsendeschluss für die Arbeiten und 401 auf Kinder- und Jugendärzte. Künftig gibt es ist der 26. Juli 2019. Der Zi-Wissenschaftspreis ist mit differenziertere und zusätzliche Instrumente für die Lan- 7.500 Euro dotiert. (fun) desebene, um die regionale und lokale Verteilung von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten sowie Psychothe- rapeutinnen und Psychotherapeuten bedarfsorientierter zu steuern. Die neue Richtlinie tritt am 1. Juli in Kraft. (fun) KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019 13
THEMA „Versorgung denen überlassen, die sich auskennen!“ Die Einmischung der Politik mit „innovativen Ideen“ für die Versorgung war eines der bestimmenden Themen auf der Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am Vortag des Deutschen Ärztetages in Münster. Mit starken Vertragsarztpraxen sei die Versorgung gesichert, man müsse die Ärzte nur lassen, forderte der KBV-Vorstand. Z u Beginn seiner Rede kritisierte der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. And- reas Gassen die Blockadehaltung der Krankenkassen bei der Umsetzung des im Mai in Kraft getretenen Terminservice- jedwede Regelung so zu verkomplizieren, dass es de facto nicht zu mehr Geld, aber dafür zu mehr Aufwand und Kontrolle führen wird“, kritisierte Gassen. Auch die Umsetzung der offenen Sprechstunde denen überlassen, die sich damit ausken- nen“, sagte Gassen dazu. Die drohende Fragmentierung der Versor- gung war ebenfalls Thema seines Berichts und Versorgungsgesetzes (TSVG). „Die mit werde durch den GKV-Spitzenverband an die VV. Die immer stärkere Ausdiffe- dem TSVG von Bundesgesundheitsminis- erschwert. renzierung der medizinischen Berufe und ter Spahn gemachte Zusage ‚mehr Geld für Ausbildungswege ist laut Gassen nicht mehr Leistung‘ lässt die Kassen offensicht- Auch die „innovativen Ideen“ der Poli- verkehrt, dennoch sei fraglich, wer das Zu- lich kalt. Deren Strategie scheint zu sein, tik kritisierte der KBV-Chef. Ein Beispiel sammenspiel aller Beteiligten organisiere. sei der Plan des sächsischen Minister- Als Beispiel nannte er den Direktzugang präsidenten Michael Kretschmer, ein zur Physiotherapie: „Ich erkenne selbst- „Landarztstudium“ einzuführen, in dem verständlich an, dass Physiotherapeuten Studierende landärztlich und praxisnah eine eigene hohe Expertise für ihr Fach ausgebildet werden sollen. „Was macht haben und dass sie diese so umfassend dieser sächsische Landarzt mit seiner lo- einsetzen möchten wie möglich. Aber es kalen Qualifikation, wenn er seinen Beruf muss allen klar sein, dass der Physiothera- zufällig nicht mehr in Sachsen ausüben peut beim Direktzugang auch die Budget- will?“, fragte Gassen. Die Versorgung verantwortung tragen muss – Regressbe- brauche keine Halbärzte, sondern bessere drohung und Haftung inklusive. Wenn ich Rahmenbedingungen, die die Ärzte moti- das deutlich mache, höre ich meistens: vieren, sich in die ambulante Versorgung ‚Oh, dann doch lieber nicht‘.“ Auch die einzubringen. „Man sollte die Versorgung Ausbildungsreform der Hebammen sieht 14 KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019
Gassen kritisch. Vorsorgeuntersuchungen gegen – ebenso wie der Idee, hausärztliche sind die Ärzte und Psychotherapeuten seien ärztliche Tätigkeit. „Es gibt einen Diagnosen abzuwerten. Eine klare Absage selbst zuständig“, erklärte Kriedel. Man Goldstandard, der sich bewährt hat – das erteilte er der Aussage des stellvertreten- dürfe diese Ebenen bei der Diskussion um ist die ärztlich verantwortete Versorgung den Vorstandsvorsitzenden der Techniker die TI-Sicherheit nicht vermischen. Sonst als Garant für eine hohe medizinische Krankenkasse, Thomas Ballast, wonach gerate man in Gefahr, Ross und Reiter zu Qualität. Wenn das die Politik nicht mehr Hausärzte entlastet würden, wenn sie gar verwechseln. will, dann soll sie es offen sagen. Man nicht mehr kodieren müssten: „Diese Art kann sich auch für eine andere Art medi- von ‚Entlastung‘ brauchen wir Hausärzte Kriedel wies darauf hin, dass 70 bis 80 zinischer Versorgung entscheiden, dann nicht! Wir stellen und benennen Diagnosen Prozent der Praxen bis Ende des zweiten macht eben jeder, was er kann und der – und Diagnosen, die in gleicher Weise und Quartals 2019 an die TI angeschlossen sein Patient sucht sich aus diesem fragmentier- Qualität benannt sind, sind auch gleich viel werden. Zu drohenden Sanktionen sagte ten Angebot medizinischer Leistungen die wert“, betonte Hofmeister. er, dass diejenigen, bei denen Installati- zusammen, die er für richtig hält“, so der onsfristen aus äußeren Umständen nicht KBV-Vorstandsvorsitzende. Beim Thema Digitalisierung warb der stell- eingehalten werden können, auch nicht vertretende KBV-Chef für das softwarege- sanktioniert werden dürften. Anders sei Ein wenig „Demut“ und Realitätssinn erhofft stützte Instrument SmED (Strukturierte die Lage bei den Ärzten, die sich der TI sich Gassen indes beim Thema Digitalisie- medizinische Ersteinschätzung in Deutsch- grundsätzlich komplett verweigern. Hier rung. Die Telemedizin sei eine große Hilfe, land), das für die Versorgung im Akutfall sehe der Entwurf des Digitale-Versorgung- aber nicht die Lösung aller Probleme: „Sie eine deutliche Verbesserung bedeute. Gesetz 2,5 Prozent Honorarabzüge für 2020 schafft keine neuen Ärzte und auch nicht „Alle Welt redet von Digitalisierung in der vor. Kriedel richtete in diesem Zusammen- mehr Arbeitszeit“. Wichtig sei außerdem, Gesundheitsversorgung. Wir reden nicht hang einen Appell an die Ärzte: „Über die dass telemedizinische Angebote in und bloß, wir haben SmED und damit eine rea- TI wird künftig ein großer Teil der Prozesse durch die niedergelassenen Praxen gemacht le, weltweit zugängliche nützliche digitale laufen, die abrechnungs- und versorgungs- würden und nicht durch Callcenter. Lösung.“ In absehbarer Zeit könnten die relevant sind, zum Beispiel das eRezept Patienten SmED selbst per App nutzen, oder die elektronische Arbeitsunfähigkeits- kündigte Hofmeister an. bescheinigung. Wer sich bewusst der TI verweigert, verweigert sich einem elemen- taren Werkzeug der künftigen Versorgung. Überschreiten der roten Linie Das sollte jedem klar sein.“ Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Ross und Reiter Vorstandsvorsitzender der KBV, kriti- nicht verwechseln sierte in seiner Rede Teile des Digitale- Versorgung-Gesetzes (DVG), das an einigen Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel ging Digitale Versorgung etablieren Stellen die rote Linie überschreiten würde. in seiner Rede auf die aktuelle Diskussion Die Krankenkassen würden unter dem um die Sicherheit der Telematikinfra- Im weiteren Verlauf der VV stimmten Deckmäntelchen der „digitalen Innova- struktur (TI) ein. Er stellte dabei klar, dass die Delegierten über diverse Anträge ab. tion“ in die Lage versetzt, direkt in das Ärzte nicht die Betreiber der TI seien und Unter anderem wurde das Bekenntnis zum Versorgungsgeschehen einzugreifen. Aller- deshalb nicht bei Haftungsfragen, die aus Föderalismus und einem „Wettbewerb dings hätten Krankenkassen ein Interesse der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der Länder um das beste Versorgungskon- an der Kassenlage. Umso wichtiger sei das resultieren, belangt werden dürften. Man zept“ betont. „Den regionalen Partnern strukturelle Gegengewicht derjenigen, die müsse grundsätzlich drei Ebenen bezüg- der gemeinsamen Selbstverwaltung sind die Patienten täglich medizinisch versor- lich der Verantwortlichkeiten für die Sicher- Freiräume bei der Etablierung von Versor- gen, so Hofmeister. „Wir Vertragsärzte und heit der TI unterscheiden. Die erste Ebene gungskonzepten einzuräumen“, lautet die Vertragspsychotherapeuten sind zuständig betreffe den Konnektor und den darüber klare Forderung der Vertreterversammlung. für die ambulante Versorgung. Darauf fußt laufenden Anschluss an die TI – hier läge das gesamte System“, so der stellvertreten- die Verantwortung klar bei der gematik Außerdem wurde der KBV-Vorstand de KBV-Chef. und den Herstellern der TI-Komponenten, beauftragt, sich im weiteren Gesetzge- so Kriedel. bungsverfahren des DVG für den Aufbau Kritik äußerte Hofmeister auch an den im einer gemeinsamen digitalen Versorgungs- Faire-Kassenwahl-Gesetz (FKG) vorgesehe- Die zweite Ebene betreffe die Anforderun- struktur einzusetzen. Die VV lehnt digitale nen Kürzungen bei Chronikerprogrammen, gen aus der DSGVO. „Die in der DSGVO Projekte ab, bei denen Vertragsärzte und den DMP (Disease-Management-Program- vorgesehene Datenschutzfolgeabschätzung -psychotherapeuten nicht eingebunden me): „Für die Versorgung von Chronikern muss auch in Bezug auf die zentrale TI und werden und nicht als gleichberechtigter ist das keine gute Nachricht, vor allem deren Dienste geleistet werden. Hierbei sind Akteur auftreten. deshalb nicht, weil schon die Maßnahmen wir der klaren Auffassung, dass der Arzt im TSVG negative Auswirkungen auf die für diese Folgeabschätzung nicht zuständig Birte Christophers Versorgung chronisch kranker Menschen ist“, sagte Kriedel. Die dritte Ebene betreffe haben“. Der Risikostrukturausgleich soll die allgemeine IT-Sicherheit in der Praxis Die Vorstandsreden und die ebenfalls durch das FKG reformiert werden. und die ordnungsgemäße Verwendung der verabschiedeten Beschlüsse der VV Den in diesem Zusammenhang immer wie- genutzten IT-Produkte. Dazu gehöre ein finden Sie hier: der seitens der Krankenkassen erhobenen geschützter Internetzugang der Praxis, das www.kbv.de/html/40561.php Vorwürfen, Ärzte würden Diagnosen falsch regelmäßige Update von Software oder ein kodieren, trat Hofmeister entschieden ent- Passwortmanagement. „Für diese Ebene KBV KLARTEXT > 2. AUSGABE 2019 15
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