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www.ssoar.info Amerika 2021 - neuer Präsident, alte Probleme Jaeger, Markus; Müller-Kaler, Julian Veröffentlichungsversion / Published Version Stellungnahme / comment Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Jaeger, M., & Müller-Kaler, J. (2021). Amerika 2021 - neuer Präsident, alte Probleme. (DGAP Kommentar, 6). Berlin: Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168- ssoar-73503-3 Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer CC BY-NC-ND Lizenz This document is made available under a CC BY-NC-ND Licence (Namensnennung-Nicht-kommerziell-Keine Bearbeitung) zur (Attribution-Non Comercial-NoDerivatives). For more Information Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu den CC-Lizenzen finden see: Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik Nr. 6 März 2021 KOMMENTAR Amerika 2021 – neuer Präsident, alte Probleme Präsident Joe Biden regiert ein ge- prosperierenden und wirtschaftlich spaltenes Land, in dem der politische absteigenden Regionen, sowie den Ge- Kompromiss schon länger keine Tu- gensatz zwischen ethnisch homoge- gend mehr ist. Während die Repub- nen, ländlichen und multi-ethnischen, likaner über die Zukunft ihrer Partei urbanen Wahlbezirken. streiten, werden sich die Demokraten Markus Jaeger haushaltspolitischer Finessen bedie- Daraus resultierend obliegen auch die Fellow, Programm Amerika nen, um Reformen anzustoßen und die politischen Institutionen einer ähn- oppositionelle Blockadepolitik im Kon- lich starken politischen Polarisierung. gress zu umgehen. Lediglich in der Au- Während im Senat regelmäßig 80-85 ßenpolitik herrscht überparteilicher Prozent der Senatoren wiedergewählt Konsens, härter gegen China vorzuge- werden, sind es im Repräsentanten- hen. Das stellt vor allem Deutschland haus sogar über 90 Prozent der Ab- vor große Herausforderungen. geordneten. Hinzu kommt, dass nur noch etwa 15-20 Prozent der Sitze im Kongress überhaupt noch parteipoli- Julian Mueller-Kaler Wirtschaftliche Ungleichheit, sozio- tisch umkämpft sind – und nicht ent- Research Assistant, kulturelle Konflikte und politische Po- weder eindeutig in republikanischer Programm Amerika larisierung prägen seit längerem die oder demokratischer Hand. Trotz einer innenpolitische Situation der USA. Da- verheerenden Pandemie, des massiven ran wird auch ein Präsident Joe Biden durch Covid-19 bedingten wirtschaftli- wenig ändern können. Zu tief sind die chen Einbruchs und dem mehr als er- geographischen, ökonomischen und ratischem Führungsstil Donald Trumps ideologischen Gräben, die sich nicht gewann Biden die Präsidentschafts- nur durch Washington, sondern das wahlen deutlich knapper als von vie- gesamte Land ziehen. Laut einer aktu- len Experten erwartet — ein Indiz wie ellen Studie von der Brookings Insti- stark sich die beschriebene parteipo- tution stimmten bei den vergangenen litische Polarisierung sowie auch der Präsidentschaftswahlen nur 509 der populistische Trumpismus in der ame- etwas mehr als 3.000 Wahlbezirke für rikanischen Gesellschaft inzwischen Biden. Diese repräsentieren jedoch verfestigt haben. gleichzeitig mehr als 70 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts Dies liegt unter anderem auch am – ein Spiegelbild für den extremen Wahlsystem. Die politisch motivierte Stadt-Land-Gegensatz, die zuneh- Grenzziehung der Wahlkreise, besser mende Kluft zwischen wirtschaftlich bekannt als gerrymandering, oftmals
Nr. 6 | März 2021 2 KOMMENTAR Amerika 2021 – neuer Präsident, alte Probleme kombiniert mit einem System von von einer vergleichsweisen hohen kompromissorientierten Position fin- closed primaries, hat zur Folge, dass Anzahl von veto players (Repräsen- den. Trotz Trumps Wahlniederlage und Wahlkämpfe nicht mehr in der gesell- tantenhaus, Senat, Präsident, Verfas- der Gewalteskalation am 6. Januar mit schaftlichen Mitte, sondern vielmehr sungsgericht) verstärkt. Man spricht der Erstürmung des Kapitols deuten an den politischen Rändern gefoch- hier vom sogenannten institutional die innerparteilichen Grabenkämpfe, ten werden. Dies verhindert nicht nur gridlock, dem schon einige Reformvor- eine radikalisierte Wählerbasis und das politische Kompromisse, sondern un- schläge diverser Präsidenten zum Op- Wahlverhalten der großen Mehrheit terstützt auch sogenanntes negative fer gefallen sind. der republikanischen Abgeordneten partisanship – gerade im Zusammen- im Kongress (z. B. beim impeachment- hang mit kognitiv-psychologischen Die Wahl von Biden wird an dieser Si- Verfahren und der Wahlzertifizierung) Verzerrungen (biases) und sozialen tuation nichts Grundlegendes ändern. derzeit jedoch nicht darauf hin, dass Medien, die im Extremfall mit Ver- Zwar kontrollieren die Demokra- Populismus und Trumpismus in naher schwörungstheorien ihr Übriges zur ten hauchdünne Mehrheiten im Re- Zukunft an Einfluss in der Grand Old gesellschaftlichen und politischen Po- präsentantenhaus und im Senat, aber Party verlieren werden. larisierung beitragen. Auch scheinen das Risiko einer Blockade bleibt wei- weite Teile der amerikanischen Gesell- ter bestehen – nicht zuletzt aufgrund schaft inzwischen in alternativen Wel- des sogenannten filibusters, welcher BIDENS ten zu leben: Noch immer glauben drei es Senatoren erlaubt, Abstimmungen FINANZPOLITISCHER von vier Republikanern, dass bei der über Gesetzesvorlagen durch Endlos- SPIELRAUM letzten Präsidentschaftswahl großflä- Debatten quasi zu verhindern. Es be- chiger Wahlbetrug stattgefunden hat, darf einer Supermehrheit von 60 (von Um dennoch Reformen, gerade im während dies bei den Demokraten nur 100) Stimmen, um derartige Senats- budgetpolitischen Bereich, herbei- etwa vier Prozent behaupten. prozedere zu umgehen. Auch wenn zuführen, können sich Bidens Demo- Vizepräsidentin Kamala Harris als tie- kraten aber der sogenannten budget braker die Mehrheitsverhältnisse zu reconciliation bedienen – ein Pro- STRUKTURELLE Gunsten der Demokraten verschiebt, zess, der es erlaubt, finanzpolitische FAKTOREN BEDINGEN sind diese mit ihren 50 Sitzen weit Maßnahmen mit nur jeweils einfachen POLITISCHE von einer Supermehrheit entfernt, um Mehrheiten in beiden Häusern des POLARISIERUNG progressive Politiken durch den Kon- Kongresses zu verabschieden. Eben- Trumps Erfolg war jedoch genauso Symptom wie Ursache, denn das po- litische System Amerikas liefert schon länger nicht mehr genügend output le- Für Biden wird es schwierig, gitimacy, wie dies im politikwissen- schaftlichen Jargon heißt. Stillstand seine ambitionierte innenpolitische und Reformstau determinieren nicht nur Unzufriedenheit in der Bevölke- Agenda in Gesetze zu verwandeln. rung, sondern unterminieren auch das gesellschaftliche Vertrauen in die Problemlösungskompetenz des poli- tischen Systems im Allgemeinen. Ver- gress zu bringen. Für Biden wird es falls entscheidend ist auch, dass der ringerte Problemlösungsfähigkeit und deshalb schwierig, seine ambitionier- Budget Control Act aus dem Jahre 2011 politische Polarisierung (sowie auch te innenpolitische Agenda in Gesetze ausläuft. Dieser hatte in den vergan- wirtschaftliche Ungleichheit) bedin- zu verwandeln, denn einer möglichen genen zehn Jahren nicht nur den An- gen sich dabei auf tragische Weise ge- Abschaffung des filibusters mit einfa- stieg der Staatsausgaben allgemein genseitig. Auf der einen Seite verwehrt cher Mehrheit stehen auch Demokra- begrenzt, sondern auch die nicht-mi- politische Polarisierung die notwendi- ten kritisch entgegen. litärischen Ermessensausgaben an gen Kompromisse zur Lösung der be- den Anstieg der verteidigungspoliti- stehenden Probleme, auf der anderen Politische Kompromisse würden nur schen Allokationen gekoppelt. Ab dem Seite führt gesellschaftliche Frustra- dann wahrscheinlicher werden, wenn Steuerjahr 2022 fallen diese Beschrän- tion zu ideologischer Radikalisierung. sich die republikanischen Kongress- kungen weg und geben der Biden- Die daraus resultierende politisch-in- mitglieder vom Trumpismus abwen- Administration weitgehenden budget- stitutionelle Blockade wird zusätzlich den und zu einer gemäßigteren, mehr politischen Spielraum.
Nr. 6 | März 2021 3 KOMMENTAR Amerika 2021 – neuer Präsident, alte Probleme Die Verabschiedung des 1,9 Billionen Russland zu beziehen. Ganz allgemein finanzpolitisch haben die Demokraten Dollar schweren Finanzpakets mit bes- gesprochen, ist von der Biden-Admi- jedoch die Möglichkeit, eine Blocka- tenfalls minimaler republikanischer nistration wohl eine weitaus werte-ba- de der Republikaner mit budget re- Unterstützung im Repräsentanten- siertere Außenpolitik zu erwarten, als conciliations zu umgehen. Innerhalb haus wird das Schmieden parteiüber- das unter der Trump-Administration der Grand Old Party zeichnet sich eine greifender Kompromisse jedoch nicht der Fall war. Auch wenn die Idee einer heftige Auseinandersetzung zwischen wirklich erleichtern. Bidens groß an- „Allianz der Demokratien“ mit Skepsis dem Establishment um den republika- gelegtes Investitionsprogramm mit zu betrachten ist, werden es illibera- nischen Minderheitsführer im Senat, Fokus auf Umwelttechnologie und In- le Staaten schwieriger haben, in Wa- Mitch McConnell, und den populis- frastruktur sowie andere wichtige shington Gehör zu finden. Inwieweit tischen Trump-Anhängern über die Reformen, beispielsweise in der Ein- diese Politik strategisch Sinn macht, Zukunft der Partei ab. Der Ausgang wanderungspolitik, werden es schwer gerade im Hinblick auf den aufkom- dieses innerparteilichen Konf liktes haben, das Licht des Oval Office zu er- menden Systemkonf likt mit China, hat bedeutende Konsequenzen für die blicken. Ähnlich wie zur Amtszeit von bleibt allerdings abzuwarten. Denn, ob politische Zukunft der USA. Die US- Barack Obama machen es wahltakti- handels-, finanz- oder sicherheitspo- Außenpolitik hingegen wird, zumin- sche Opportunitäten der Opposition litisch, die Vereinigten Staaten sehen dest mittelfristig, davon vergleichs- wahrscheinlich, dass die Republika- die Welt zunehmend durch das Prisma weise weniger stark betroffen sein ner zu einer weitgehenden Blockade- des amerikanisch-chinesischen Groß- und sich zunehmend auf China kon- Politik und ausgiebiger Nutzung des machtkonfliktes. Wenn es in Washing- zentrieren, was Europa und vor allem filibuster zurückkehren, um bei den ton noch ein über politische Lager Deutschland vor große Herausforde- Zwischenwahlen 2022 von gesell- hinweg einigendes Thema gibt, dann rungen stellt. schaftlicher Frustration zu profitieren ist es eine Politik, die China (und auch und politischen Boden gut zu machen. Russland) entschiedener und härter Traditionell muss die Partei des Präsi- entgegentritt. denten bei den so genannten Midterms Verluste hinnehmen, was die Demo- Etwaige Bestrebungen, wichtige As- kraten wohl ermutigt, so viele Teile ih- pekte des internationalen Wirtschafts- res Programmes so aggressiv und so systems in Zusammenarbeit mit schnell wie möglich durch den Kon- Verbündeten zu reformieren, sollten gress zu bringen – auch mit Hilfe fi- die Europäer deshalb schnellstmög- nanzpolitischer Tricks wie dem budget lich aufgreifen und unterstützen. Denn reconciliation. Unter derartigen politi- auch wenn weitere Freihandelsabkom- schen Konstellationen ist es schwierig men auf Grund fehlender öffentlicher zu sehen, wie es zu einem bedeuten- Zustimmung kurz- bzw. mittelfristig den Rückgang der Polarisierung und zu eher unwahrscheinlich sind, ist es ge- einer mehr kompromissorientierten, rade im deutschen Interesse, ein auf parteiübergreifenden Politik in Wa- Kooperation beruhendes multilatera- shington kommen soll. les Wirtschaftssystem zu bewahren. Die Forderung nach einem level play- ing field für alle Beteiligten, insbeson- MEHR KONSENS IN dere im Hinblick auf die Volksrepublik DER AUSSENPOLITIK China, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Bidens Außen- und Han- Einzige Ausnahme dieser Paralyse ist delspolitik muss innenpolitisch lie- wohl die amerikanische Außenpolitik, fern und Deutschland wäre der größte die schon immer mehr Angelegenheit Verlierer einer wirtschaftlichen Ent- der Exekutive war. Gerade sicher- koppelung der zwei größten Volks- heitspolitisch – das zeigt die Wahl des wirtschaften der Welt. Kabinetts – wird sich die neue Admi- nistration zu den bestehenden Mili- Fazit: Die fortbestehende innenpoli- tärbündnissen in Europa und Asien tische Polarisierung legt der Biden- bekennen und diese gegebenenfalls Administration schwere Steine in den noch intensivieren, auch um eine klare Weg, um innenpolitische Reformen Frontstellung gegenüber China und erfolgreich umzusetzen. Zumindest
Nr. 6 | März 2021 4 KOMMENTAR Amerika 2021 – neuer Präsident, alte Probleme Rauchstraße 17/18 10787 Berlin Tel. +49 30 254231-0 info@dgap.org www.dgap.org @dgapev Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) forscht und berät zu aktuellen Themen der deutschen und euro- päischen Außenpolitik. Dieser Text spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren wider, nicht die der DGAP. Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. ISSN 1864-347 Redaktion Susann Kreutzmann Layout & Infografik Luise Rombach Design Konzept: WeDo Fotos Autorinnen und Autoren © DGAP Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
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