Yes, we can? Europäische Antworten auf die Krise der Rüstungskontrolle

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Yes, we can? Europäische Antworten auf die Krise der Rüstungskontrolle
Yes, we can?
  Europäische Antworten auf die
  Krise der Rüstungskontrolle

        Europäer finden erste erfolgreiche Antworten auf die Abwendung
        Russlands und der USA von der Rüstungskontrolle. Sie konzentrie-
        ren sich zunehmend auf ihre eigenen Interessen; sprechen eine kla-
        re Sprache; kooperieren zum Erhalt der Rüstungskontrolle auch mit
        schwierigen Partnern und sind bestrebt, eigene rüstungskontrollpoli-
        tische Instrumente zu entwickeln. Für eine nachhaltige europäische
        Politik zur Stärkung multilateraler Rüstungskontrollabkommen wären
        weitergehende Schritte nötig, nämlich
         die Entwicklung einer umfassenden Strategie für Abrüstung,
          Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung,
         die Fähigkeit, sich gegen Sekundärsanktionen schützen zu können
          und
         stärkere Bemühungen zum Schutz internationaler Organisationen vor
          der Einflussnahme durch Großmächte.

07|20                                                          OLIVER MEIER | 2020
Yes, we can? Europäische Antworten auf die Krise der Rüstungskontrolle
IFSH – Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg

   Die multilaterale Rüstungskontrolle steht vor der grundlegenden Herausforderung, dass Russland
   und die USA sich von solchen Regimen ab- und sogar gegen sie wenden. Auf den Fortgang bilateraler
   Rüstungskontrolle können Europäer naturgemäß wenig Einfluss nehmen. Bei vielen multilateralen Ab-
   kommen aber sitzen Europäer mit am Tisch und sie haben am Erhalt dieser Regime meist ein originäres
   Eigeninteresse.

   Für europäische Unterstützer der Rüstungskontrolle                         Washington proklamierte damals die Spaltung in ein
   ist der Umgang mit renitenten Großmächten kein neu-                        sogenanntes „altes“ und „neues“ Europa. Tatsächlich
   es Problem. Nur selten wurden alle ständigen Sicher-                       waren es meist wenige Staaten, die bei der Stärkung
   heitsratsmitglieder ihrer besonderen Verantwortung                         multilateraler Regime vorangingen und so das Tempo
   für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbrei-                         für den Rest Europas vorgaben. Das Paradebeispiel:
   tung gerecht.                                                              Nachdem die USA unter dem Vorwand der Abrüs-
                                                                              tung von Massenvernichtungswaffen 2003 den Irak
   Die Abkehr der USA von der multilateralen Rüstungs-                        besetzten, engagierten sich zunächst Deutschland,
   kontrolle in der Amtszeit von Präsident George W.                          Frankreich und Großbritannien – gegen den erbit-
   Bush 2000–2008 stellte nach dem Ende des Ost-                              terten Widerstand Washingtons – für eine politische
   West-Konflikts den ersten Härtetest für die Rüstungs-                      Lösung im Konflikt um das iranische Atomprogramm.
   kontrolle dar. Jene europäischen Staaten, die bei                          In der Folge beschloss die EU im Dezember 2003
   der Nichtverbreitung und Abrüstung von Massen-                             erstmals eine eigene Sicherheitsstrategie und stellte
   vernichtungswaffen auf globale Zusammenarbeit                              ihre Abrüstungs- und Nichtverbreitungsbemühungen
   setzten, überstanden diese Phase, indem sie auf Zeit                       unter das Motto eines „wirksamen Multilateralismus“
   spielten, Nebenthemen in den Vordergrund schoben                           (Europäischer Rat 2003). Später stieß die EU zu den
   und Washington insbesondere bei der Stärkung an-                           Iran-Verhandlungen und übernahm dann sogar deren
   gebotsorientierter Nichtverbreitungsinstrumente, wie                       Vorsitz.
   zum Beispiel Export- und Technologiekontrollen, ent-
   gegenkamen.                                                                Russlands Abkehr von der konventionellen Rüstungs-
                                                                              kontrolle ab 2008 konnten die Europäer allerdings
                                                                              nichts mehr entgegensetzen. Der EU insgesamt man-
                                                                              gelte es an Instrumenten und Überzeugungskraft, um
„FÜR EUROPÄISCHE                                                              Moskau vom Wert kooperativer Rüstungskontrolle zu
 UNTERSTÜTZER                                                                 überzeugen. Immer stärker zeigte sich auch, dass
                                                                              europäische Multilateralisten wie Deutschland der
 DER RÜSTUNGS­                                                                Demontage der bilateralen russisch-amerikanischen
 KONTROLLE IST                                                                Rüstungskontrolle nur seufzend zuschauen konn-
 DER UMGANG MIT                                                               ten. Barack Obamas „Reset“ im Verhältnis zu Mos-
 RENITENTEN                                                                   kau 2009 änderte daran grundsätzlich nichts, auch
                                                                              wenn sich die transatlantische Zusammenarbeit bei
 GROSSMÄCHTEN                                                                 der Stärkung multilateraler Rüstungskontrollregime in
 KEIN NEUES                                                                   den folgenden acht Jahren verbesserte.
 PROBLEM.“

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Yes, we can? Europäische Antworten auf die Krise der Rüstungskontrolle
Policy Brief | Yes, we can? Europäische Antworten auf die Krise der Rüstungskontrolle

Die 2016 verabschiedete „Globale Strategie für die           gung stehenden Hebel, um die Nuklearvereinbarung
Außen- und Sicherheitspolitik der EU“ setzte den             vor den US-Wahlen im November 2020 endgültig zum
Schwerpunkt allerdings vor allem auf die bessere Um-         Scheitern zu bringen.
setzung und Universalisierung globaler Abrüstungs-
instrumente. Ambitioniertere Ziele für die Weiterent-        Im Mai dieses Jahres kündigte Washington an, aus
wicklung solcher Instrumente beschrieb sie, auch vor         dem Open Skies-Vertrag auszutreten. Die Trump-Ad-
dem Hintergrund scharfer interner Interessengegen-           ministration ignoriert damit die Interessen ihrer Ver-
sätze etwa zwischen dem Atomwaffenstaat Frank-               bündeten, die dieses für die europäische Sicherheit
reich und Abrüstungsbefürwortern wie Irland und Ös-          wichtige Instrument der Vertrauensbildung unbedingt
terreich, nicht mehr (European Union 2016: 41–42).           erhalten wollen.

             RUSSLAND UND USA                                Die Europäer reagierten auf die Demontage multi-
         ALS ANTI-MULTILATERALISTEN                          lateraler Instrumente zunächst mit Zögern, Zaudern
                                                             und Zagen. Sie versuchten, Zeit zu gewinnen, um die
Mit der russischen Annexion der Krim 2014 und dem            Trump-Regierung von der Irrationalität ihres Handelns
Einzug von Donald Trump 2017 ins Weiße Haus hat              zu überzeugen. Gleichzeitig stellte Europa sich an die
eine neue Phase für die europäische Rüstungskont-            Seite Washingtons, wenn es darum ging, russische
rollpolitik begonnen. Die Konflikte zwischen den USA         Vertragsverletzungen zu kritisieren und zu sanktio-
und Russlands auf der einen sowie Washington und             nieren. Brüssel und Berlin versuchten zudem, China
Peking auf der anderen Seite schlagen zunehmend              für ein stärkeres rüstungskontrollpolitisches Engage-
auf multilaterale Regime durch.                              ment zu gewinnen. Keiner dieser Ansätze hat bisher
                                                             dazu geführt, dass die drei Vetomächte der multilate-
Russland schwächt das Chemiewaffenübereinkom-                ralen Rüstungskontrolle konstruktiver gegenüberste-
men (CWÜ), indem es Syrien politische und militäri-          hen. Im Gegenteil: In Moskau, Peking und Washing-
sche Rückendeckung gibt, obwohl das verbündete               ton setzen sich nationalistische und militaristische
Assad-Regime seit 2012 Chemiewaffen einsetzt. Aus            Trends ungebrochen fort.
europäischer Sicht überschritt der Kreml eine weite-
re rote Linie, als russische Geheimdienstagenten im                 EIN EUROPÄISCHER KURSWECHSEL
März 2018 mitten in Europa, nämlich im britischen
Salisbury, mit einem Nervenkampfstoff einen Mord-            Mittlerweile aber sind selbstbewusstere europäische
anschlag auf den abtrünnigen Spion Sergei Skripal            Antworten auf den Rückzug der Großmächte aus der
ausübten. Erschwerend kommt hinzu, dass Chinas               multilateralen Rüstungskontrolle erkennbar. Kurzfris-
Rückendeckung eine politische Isolierung Russlands           tig konnten die Europäer so den Fortbestand wichti-
verhindert.                                                  ger Regime sichern. Die Reaktionen tragen aber auch
                                                             das Potenzial einer eigenständigen, nachhaltigen eu-
Gleichzeitig wenden sich die USA aktiv gegen multi-          ropäischen Rüstungskontrollpolitik in sich. Vier Ele-
laterale Rüstungskontrollregime. Im Mai 2018 traten          mente zeichnen sich ab:
die Vereinigten Staaten aus dem Iran-Abkommen
aus, um Teheran durch eine Reihe beispielloser               Erstens stellen die Europäer ihre eigenen sicherheits-
Sanktionen ökonomisch in die Knie zu zwingen. Die            politischen Interessen stärker in den Vordergrund. So
Trump-Regierung nutzt mittlerweile alle ihr zur Verfü-       betonen sie die negativen Auswirkungen eines ameri-

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IFSH – Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg

   kanischen Open Skies-Austritts vor allem auf die eu-                       Europa hatte so entscheidenden Anteil daran, einen
   ropäische Sicherheit. Kein europäischer Staat ist bis-                     Missbrauch internationaler Regeln durch die Trump-
   her bereit, den USA auf ihrem Weg aus dem Vertrag                          Administration zu verhindern. So gewinnt die europäi-
   heraus zu folgen. Amerikanische Anschuldigungen,                           sche Position an Legitimität, gerade gegenüber nicht-
   Russland unterlaufe den Vertrag, greifen Europäer                          westlichen Staaten.
   auf, um auf eine Klärung der Sachverhalte und eine
   Stärkung bestehender Regeln hinzuwirken. Die Fol-                          Drittens ist Europa bereit, Diskussionen um Rüstungs-
   gen einer derart Washington-kritischen Position auf                        kontrolle und Abrüstung von anderen Themen zu ent-
   die transatlantischen Beziehungen treten demgegen-                         koppeln. Es besinnt sich damit auf eine der zentralen
   über in den Hintergrund. Damit gewinnt Europa an                           Lehren aus der Zeit der Ost-West-Konfrontation, dass
   Handlungsfreiheit.                                                         es nämlich im Sinne einer Verhinderung unnötiger
                                                                              Rüstungswettläufe und des Abbaus von Spannun-
   Zweitens benennen Europäer Vertragsverletzungen                            gen sinnvoll sein kann, Rüstungskontrolle gerade in
   deutlich. Auf russische Verstöße gegen das CWÜ hat                         Phasen internationaler Spannungen zu betreiben.
   Europa hart reagiert, unter anderem mit der abge-                          Großbritannien, Deutschland und Frankreich sind un-
   stimmten Ausweisung russischer Botschaftsangehö-                           geachtet einer Vielzahl anderer Konflikte und gegen-
   riger. Aber es werden nun auch US-Verstöße gegen                           läufiger Interessen bereit, mit Moskau und Peking das
   internationale Regeln gebrandmarkt. So stellte der                         Iran-Abkommen auch ohne die USA umzusetzen. Die
   ständige Vertreter Deutschlands bei den Vereinten                          Europäer scheinen bisher willens, den Open Skies-
   Nationen, Christoph Heusgen, Ende Juni im Sicher-                          Vertrag auch nach dem November 2020, wenn der
   heitsrat mit ungewohnter Schärfe fest, dass die USA                        amerikanische Austritt rechtswirksam würde, gemein-
   mit ihrem Austritt aus dem Iran-Abkommen internatio-                       sam mit Russland weiter zu implementieren. Dem US-
   nales Recht verletzten (Heusgen 2020). Die EU wies                         Ansatz einer Isolierung geopolitischer Gegenspieler
   den amerikanischen Versuch, das Waffenembargo                              entziehen sich die Europäer damit zumindest in der
   gegen Iran entgegen geltender völkerrechtlicher                            Rüstungskontrolle. Durch solche Flexibilität vergrö-
   Beschlusslage zu verlängern, geschlossen zurück.                           ßern die Europäer ihre Handlungsmöglichkeiten.

                                                                              Viertens suchen Europäer nach eigenen rüstungs-
                                                                              kontrollpolitischen Lösungen und setzen solche
„MITTLERWEILE SIND                                                            Ideen teils bereits um. Im Rahmen des vom Aus-
                                                                              wärtigen Amt unterstützten „Capturing Technology.
 SELBSTBEWUSSTERE                                                             Rethinking Arms Control“-Projektes wird nach neuen
 EUROPÄISCHE                                                                  Antworten auf technologische Herausforderungen
 ANTWORTEN AUF                                                                für die Rüstungskontrolle gesucht (Auswärtiges Amt
 DEN RÜCKZUG DER                                                              2020). Wichtiger noch: Die Europäer engagieren sich
                                                                              vehement dafür, dass die Organisation für das Verbot
 GROSSMÄCHTE AUS                                                              Chemischer Waffen (OVCW) neue Instrumente erhält,
 DER MULTILATE­                                                               um die Verantwortlichen für Chemiewaffenangriffe zu
 RALEN RÜSTUNGS­                                                              ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen – obwohl
 KONTROLLE                                                                    Moskau die Organisation der Parteilichkeit bezichtig-
                                                                              te und damit drohte, ihre Arbeit zu blockieren (Mei-
 ERKENNBAR.“
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Policy Brief | Yes, we can? Europäische Antworten auf die Krise der Rüstungskontrolle

Die Wiener Nuklearvereinbarung JCPoA sollte den Konflikt um das iranische Atomprogramm eindämmen. 2018 stiegen die USA aus
dem Abkommen aus und verhängten wieder Sanktionen gegen den Iran. © AFP

er 2018). So werden europäische Bemühungen um                   den „high politics“ im UN-Sicherheitsrat bis zu den
Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung               Niederungen der technischen Diskussionen im Exe-
auch unter Bedingungen einer Großmächtekonfron-                 kutivrat der OVCW.
tation effektiver.
                    VOM BEHELF                                  Zugegeben: Europas Engagement für Abrüstung
                   ZUR STRATEGIE                                und Rüstungskontrolle steht weiterhin in einem Span-
                                                                nungsverhältnis zu sicherheitspolitischen Abhängig-
Alle vier Elemente – Rückbesinnung auf europäi-                 keiten. Das europäische Streben nach strategischer
sche Sicherheitsinteressen, klare Benennung der                 Autonomie wird meist gleichgesetzt mit einem mili-
Ursachen für die Krise der Rüstungskontrolle, Bereit-           tärischen Fähigkeitszuwachs und dem immer wieder
schaft zur Separierung rüstungskontrollpolitischer              propagierten Ziel, Europa müsse auch „die Sprache
Interessenlagen und Investitionen in neue Instrumen-            der (militärischen) Macht“ sprechen können. Zudem
te – sind Indizien dafür, dass Europa bereit ist, jenen         divergieren die Interessen der Europäer in Bezug auf
Großmächten selbstbewusster entgegenzutreten, die               Abrüstung und Rüstungskontrolle, abhängig von au-
eine Demontage multilateraler Instrumente betreiben.            ßenpolitischer Tradition und geopolitischer Lage.
Bemerkenswert ist auch, dass das europäische Ein-
treten für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtver-           Klar ist auch, dass neue europäische Initiativen für
breitung auf allen Politikebenen vorzufinden ist: von           globale Instrumente zur Rüstungskontrolle überwie-

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   gend aus der Not geboren und nicht das Ergebnis                            so schwierig und langwierig dies auch sein mag.
   einer langfristigen politischen Strategie sind. An-                        Eine kohärentere Abrüstungs-, Rüstungskontroll- und
   gesichts der derzeitigen ideologiegetriebenen und                          Nichtverbreitungspolitik kann helfen, Widersprüche
   erratischen US-Politik geht es vor allem darum, gut                        zwischen Politikfeldern und Instrumenten zu reduzie-
   funktionierende Abkommen mindestens bis zu einem                           ren und Europas Partnern Orientierungshilfe bieten.
   möglichen Amtswechsel im Weißen Haus über Was-
   ser zu halten. Aber wenn man solche Gelegenheiten                          Zweitens muss Europa die Entwicklung von Instru-
   ergreift und klug agiert, kann aus Notlösungen auch                        menten in Angriff nehmen, die wirksam vor Sekundär-
   nachhaltiges Handeln entstehen.                                            sanktionen schützen. Solche extraterritorialen Sank-
                                                                              tionen verwehren solchen Unternehmen den Zugang
   Es lohnt sich also darüber nachzudenken, wie aus                           zum amerikanischen Markt, die mit den USA unlieb-
   den bisherigen Ansätzen eine langfristig angelegte                         samen Staaten handeln. Dies ist eine zentrale Lehre
   europäische Politik zur Stärkung multilateraler Rüs-                       aus den weitgehend wirkungslosen europäischen
   tungskontrollinstrumente werden könnte. Mindestens                         Versuchen, den legitimen Handel mit Iran aufrechtzu-
   drei Elemente fehlen hierfür.                                              erhalten. Handelsinstrumente wie die von der EU und
                                                                              Iran geschaffene Tauschbörse INSTEX reichen eben
   Erstens braucht Europa eine neue umfassende Stra-                          nicht aus, solange die USA (oder potenziell auch Chi-
   tegie, die das Ambitionsniveau europäischer Abrüs-                         na und Russland) ökonomischen Druck einsetzen,
   tungs-, Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungspoli-                       um die Europäer sicherheitspolitisch an ihre Seite zu
   tik beschreibt. Die derzeit noch gültige EU-Strategie                      zwingen (Geranmayeh/Hackenbroich 2020). Klar ge-
   gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaf-                           worden ist, dass ein solches Unterfangen nur erfolg-
   fen ist 2003 als Antwort auf den „Abrüstungskrieg“                         reich sein kann, wenn es langfristig angelegt ist.
   der USA gegen den Irak entstanden (Europäischer
   Rat 2003a). Angesichts der Machtverschiebungen                             Drittens braucht die EU einen Gesamtansatz, wie der
   innerhalb und außerhalb Europas sollten die EU-Mit-                        institutionelle Unterbau multilateraler Abrüstungs-
   glieder sich nun aber auf neue Ziele verständigen,                         institutionen besser gegen die Einflussnahme durch
                                                                              Großmächte geschützt werden kann. Immer wieder
                                                                              versuchen Moskau und Washington, internationale
                                                                              Abrüstungsorganisationen für ihre eigenen Partikular-
„WENN MAN                                                                     interessen einzuspannen. Die EU ist wohl der einzige
                                                                              Akteur, der die Möglichkeiten und die Legitimität be-
 GELEGENHEITEN                                                                sitzt, solchen Versuchen des Missbrauchs entgegen-
 ERGREIFT                                                                     zuwirken. Ein größeres finanzielles Engagement Euro-
 UND KLUG AGIERT,                                                             pas für multilaterale Abrüstungsinstitutionen wird Teil
 KANN AUS                                                                     einer solchen Politik sein müssen (Meier 2019).

 NOTLÖSUNGEN                                                                  Eine selbstständige, kohärente und nachhaltige euro-
 AUCH                                                                         päische Politik zur Stärkung multilateraler Rüstungs-
 NACHHALTIGES                                                                 kontrollabkommen bleibt notwendig, weil wichtige
 HANDELN                                                                      Großmächte absehbar weiter gegen multilaterale In-
                                                                              stitutionen opponieren. Auch kurzfristig besteht drin-
 ENTSTEHEN.“
                                                                          6
Policy Brief | Yes, we can? Europäische Antworten auf die Krise der Rüstungskontrolle

gender Handlungsbedarf. In der Trump-Administra-
tion sinnieren einige über die Wiederaufnahme von
Atomtests (Bugos 2020). Dies würde den globalen
                                                                                                        „ANGESICHTS DER
Atomteststoppvertrag in eine schwere Krise stürzen.                                                  HÄRTER WERDENDEN
Ebenso denkbar bleibt, dass Russland als Reaktion                                                              KONFLIKTE
auf Versuche, die Verantwortlichen für Chemiewaffen-                                                       ZWISCHEN DEN
angriffe zur Verantwortung zu ziehen, aus dem CWÜ
austritt. Und unklar bleibt, wie ernstgemeint Chinas
                                                                                                         GROSSMÄCHTEN
rhetorisches Eintreten für multilaterale Rüstungskont-                                                       HAT EUROPA
rolle tatsächlich ist.                                                                                 VIEL ZU GEWINNEN,
                                                                                                             ABER WENIG
Letztlich ist ein effektives europäisches Engagement
für Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbrei-
                                                                                                           ZU VERLIEREN.“
tung eine Voraussetzung, damit die von Deutschland
und Kanada ins Leben gerufene Allianz für den Multi-
lateralismus ihr Ziel, die regelbasierte internationale       damit begonnen, die Grundlagen für eine neue trans-
Ordnung zu erhalten und weiterzuentwickeln, errei-            atlantische Rüstungskontrollagenda zu entwickeln.
chen kann (Auswärtiges Amt 2020a). Angesichts der             Denn auch mit einer Biden-Administration wird es
härter werdenden Konflikte zwischen den Großmäch-             zwischen den USA und Europa rüstungskontrollpoli-
ten hat Europa viel zu gewinnen, aber wenig zu verlie-        tische Interessendifferenzen geben. Bleibt Trump im
ren. Sollte der Demokrat Joe Biden die anstehenden            Amt, werden die Europäer ohnehin bessere Antwor-
US-Präsidentschaftswahlen gewinnen und im Januar              ten im Umgang mit widerspenstigen Großmächten
2021 ins Weiße Haus einziehen, hätte Europa bereits           finden müssen.

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LITERATUR
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    vernichtungswaffen – Strategie der EU gegen die Verbreitung von                        senvernichtungswaffen stärken“, Stiftung Wissenschaft und Politik.
    Massenvernichtungswaffen“ Brüssel.                                                     Berlin (Kurz gesagt).
  European Union (2016) „Shared Vision, Common Action: A Stronger
    Europe. A Global Strategy for the European Union’s Foreign And
    Security Policy“. Brüssel.

ÜBER DEN AUTOR                                           ÜBER DAS INSTITUT
Dr. Oliver Meier ist Wissenschaftlicher                  Das Institut für Friedensforschung und Sicher-
Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung            heitspolitik (IFSH) erforscht die Bedingungen
und Sicherheitspolitik (IFSH).                           von Frieden und Sicherheit in Deutschland,
                                                         Europa und darüber hinaus. Das IFSH forscht
                                                         eigenständig und unabhängig. Es wird von der
                                                         Freien und Hansestadt Hamburg finanziert.

DOI: https://doi.org/10.25592/ifsh-policy-brief-0720
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IFSH – Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg
Beim Schlump 83 20144 Hamburg Germany Telefon +49 40 866077 - 0 ifsh@ifsh.de www.ifsh.de
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