Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
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zettbe: [2018] Ausgabe 3 das magazin zum jazzfest bonn verstehen Michael Wollnys Traum von Musik Sehen, wie zuhören Warum Jazz Musik entsteht (wieder) antworten attraktiv ist Eine Kunst des Moments Improvisation braucht ein Gegenüber Wie wir auf Rhythmus reagieren Django Bates
Nils Wülker Samstag, 28. April, Universität Bonn senden und empfangen 4 Intro 28 100 Jahre Bauhaus – 44 Unbekannte Vertraute Natur Töne Klingende Utopien Josef Engels über das Duo Julia Hülsmann Reinhild Steingröver erläutert und Christopher Dell 10 Eine Kunst des Moments das Multimedia-Projekt des Warum Jazz (wieder) attraktiv ist – Bundesjazzorchesters 46 Ein Rhythmus muss Gedanken von Ulrich Stock gemeint sein, um zu sein 32 Improvisation, Spiel und Diskurs Ein Rhythmus ist in erster Linie eine 14 Die Welt in 88 Tasten in der digitalen Kultur Entscheidung – sagt Bernhard Wulff Martin Laurentius zur Bedeutung Sabria David über digitale Kommunikation des Klaviers im Jazz 49 Danke! 34 Marina Abramović Unsere Sponsoren, Partner und Förderer 18 Ein Traum von der Musik Grenzerfahrungen Die Gallionsfigur Michael Wollny Johanna Adam stellt die neue Ausstellung 49 Programmübersicht im Portrait von Oliver Hochkeppel in der Bundeskunsthalle vor Alle Konzerte im Überblick 21 Musik zum Mitnehmen 37 Einführungsveranstaltungen, 62 Zehn Schritte zum Jazz Aktuelle CDs der Jazzfest Bonn-Musiker Hinweise und Impressum Eine kurze Gebrauchsanweisung für Einsteiger von Ulrich Stock 24 Vom Wald und den Bäumen 38 Pop-Artist mit Jazzer-Seele Der Designer Axel Grundhöfer Hans Hielscher berichtet von seinem Wann gelingt Kommunikation? im Gespräch mit Birgit Einert Treffen mit Ed Motta Gregor Huebner 13 Lyambiko 13 26 „Stell dir vor, ein Konzert 40 John Scofield und die Stimme Django Bates 17 ist ein Schiff“ seiner Gitarre Ulita Knaus 17 Andreas Schaerer im Interview Stefan Hentz widmet sich dem Klang des Lisa Wulff 23 mit Anke Steinbeck amerikanischen Ausnahme-Gitarristen Nils Wülker 23 Andreas Schaerer 31 42 Medien-Workshop Clara Haberkamp 31 Ein neues Projekt des Jazzfest Bonn John Scofield 43 2
Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Freunde des Jazzfest Bonn, das Jazzfest Bonn gilt als eines der jüngsten herzlich willkommen im neuen „zettbe:“. Mitglieder in der großen Festival-Familie Die diesjährige Ausgabe haben wir dem Thema Nordrhein-Westfalens. Sein Ruf klingt weit „Senden und Empfangen“ gewidmet. über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus und hat sich in seinem neunten Jahr als ein Ja, Jazz ist Senden und Empfangen. Stellen Schmelztiegel für Jazzmusiker aller Genres Sie sich vor, Sie gehen in ein Konzert. Sie etabliert. Jährlich kommen zahlreiche inter- wissen, dass das, was sie erwartet, schön nationale Größen der Szene in die Stadt und werden kann. Sie freuen sich. Sie freuen sich präsentieren sich auf einer Bühne mit lokalen aber auch, weil Sie nicht genau wissen, was Musikerinnen und Musikern sowie hoffnungs- Sie erwartet. Sie nehmen an, dass die Musiker vollen Nachwuchskünstlern. Das Format der sehr gut sind, weil sie ihr Handwerk gründ- Doppelkonzerte hat sich als Erfolgsmodell er- lich gelernt haben und an das, was sie tun, wiesen: Der Jazz verbindet Menschen vor und glauben. auf der Bühne, schafft wie kaum eine andere Musik spontane Dialoge und sensibilisiert für Aber was wird ihre Musik Ihnen sagen? Fremdes und Neues. Tja, weder die Musiker noch Sie wissen wirklich, was an diesem Abend passiert. Als internationale Ist das nicht unglaub- Beethovenstadt, als lich spannend? Sie Wissenschafts-, Wirt- freuen sich auf etwas, schafts-, Konferenz- das nicht planbar, und UNO-Standort, nicht vorhersehbar leben wir Bonner- ist. Weder für Sie, innen und Bonner noch in letzter Toleranz, Offenheit Konsequenz für die und Vielfalt und pro- Musiker. fitieren von diesem Miteinander für eine Genau das macht den erfolgreiche Zukunft. Jazz so spannend: Daher freut es mich Keiner weiß wirklich, ganz besonders, dass was passiert. Aber Sie der Jazz, der viele können sich darauf Einflüsse zulässt und zu dessen genuinen verlassen, dass die Künstler Meister der Kom- Eigenschaften die kulturelle Integration munikation sind. Sie geben alles daran, etwas gehört, in Bonn ein verlässliches Zuhause zu senden, was Sie berührt, bewegt, begeis- gefunden hat. Das Jazzfest Bonn steht mit tert oder nachdenklich macht. Gleichzeitig seinem vielfältigen Programm für eine hoch- sind die Musiker neugierig, welche Signale sie wertige Musik jenseits aller Zuschreibungen von Ihnen empfangen werden. und für ein aufgeschlossenes Bonn. Ganz herzlich danke ich unseren Sponsoren Ich wünsche dem Jazzfest Bonn ein und Förderern, ohne die das Jazzfest Bonn erfolgreiches Festival 2018 und Ihnen, und solch wunderbare Augenblicke des Sen- liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, magische dens und Empfangens nicht denkbar wären. Konzerterlebnisse. In seinem neunten Jahr ist das Jazzfest Bonn zu einer festen Größe im Konzertkalender Ihr der Stadt und in der Region geworden, dazu haben viele helfende Hände und wohlwollend denkende Köpfe beigetragen. Wir sind sehr stolz über den starken Rückhalt in der Bonner Ashok Sridharan Bevölkerung und dass nicht nur die Konzerte, Schirmherr sondern auch unsere zusätzlichen Angebote Oberbürgermeister der wie die Einführungsveranstaltungen von Bundesstadt Bonn Ihnen so gut besucht werden. Ich freue mich auf das Jazzfest Bonn und darauf, mit Ihnen besondere Momente zu teilen. Herzlichst, Ihr Peter Materna Künstlerischer Leiter 3
Natur Töne Dass Geranien auf Mozart reagieren, Hyazinthen aber bei Bach besser Was sendet denn da? wachsen, ist ein Gerücht. Aber in der Natur wird mehr akustisch kommuniziert, als das menschliche Ohr hören kann. 4
Können Fische kommunizieren? Ja. Die Glas- messerfische beispielsweise verständigen und orientieren sich mit elektrischen Signalen. Sie besitzen ein Organ, mit dem sie elektrische Felder erzeugen und empfangen können. Von circa fünfzehn bis zu über tausend Mal pro Sekunde entlädt der Fisch sein Organ, dabei wechselt das elektrische Feld permanent seine Polarität. Dieses Signal dient der inner- und zwischen- artlichen Kommunikation, der Orientierung Fisch Chöre und zeigt: „Hier bin ich zu Hause“. Denn Die nur in der Gruppe bilden Glasmesserfische harmonische Chöre. 5
Dass Pflanzen flüchtige chemische Stoffe zur Kommunikation nutzen, beispielsweise wenn Gefahr durch einen Pflanzenfresser naht, ist seit längerem bekannt. Doch es geht noch weiter: Untersuchungen zeigen, dass die Wurzeln von jungem Getreide Klickgeräusche im Frequenzbereich von 220 Hertz von sich geben und empfangen können. Werden Geräusche in dieser Höhe regelmäßig ausge- sendet, richten sich Wurzeln zur Schallquelle Knacker aus. Pflanzen haben folglich sensible „Organe“, die auf Schallwellen reagieren. Acker 6
Manchmal ist die Abwesenheit von jeglicher Kommunikation, von Geräuschen und Schall schöner als Musik. Ruhe gibt’s nicht im sprichwörtlichen Karton, die absolute Stille gibt’s nur im All. Schallwellen breiten sich von Molekül zu Molekül in der Luft aus – ähnlich wie die Wellen im Wasser. Doch im Weltraum gibt es nichts, das den Schall Schall tragen könnte – er ist größtenteils leer. Das fast perfekte Vakuum. Kein im All 9
Warum wir den Jazz wieder so attraktiv finden: Es liegt weniger Ein Text von Ulrich Stock, an seiner Erneuerung Jazzreporter bei Die Zeit als an der Zeit, in Hamburg. in der wir ihn hören. Eine Kunst 10
Jazz war und ist eine sehr persönliche Musik. Es liegt nahe, dass die allumfassende Virtua- Manchen Saxophonisten erkennt man blind lisierung des Klangerlebens irgendwann eine an seinem Ton: weil einzig er sein Instrument Gegenbewegung auslösen würde; nun ist sie so spielt. Die Färbung ist nicht verpönt, sie da. Konzerte sind gut besucht bis ausver- gibt Charakter. Dies passt zweifellos zu einer kauft. Die Hörer wollen sehen, wie Musik Zeit, in der Individualität wichtiger ist als entsteht. Sie schwelgen im Klang, der in jede Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sei es diesem Moment, und nur in diesem, existiert. Man spricht darüber: Jazz wird wieder gehört. nun eine Partei oder Kirche, eine Gewerk- Sie bezahlen Dutzende Euro für unsichtbare Jüngere Leute im Publikum, stellenweise schaft oder ein Sportverein. Schwingungen der Luft – und sind dankbar gar ganz junge, auf der Bühne ja sowieso. dafür. Die „schwierige“ Musik (das Adjektiv mal in Wir Deutschen haben einen Hang zum Planen. Anführungszeichen) zieht frischen Zuspruch Alles soll perfekt sein. Aber je größer unsere Apropos flüchtig. Viele Aufregungen in auf sich. Was ist da los? Woher, nach Jahren Projekte werden, desto mehr Probleme gibt unserer Zeit sind von kurzer Dauer. Dazu eher flauen Interesses, plötzlich dieser es. Der Flughafen, die Philharmonie und der passt der Jazz als eine Kunst des Moments. Appetit? Hat der Jazz sich verändert, sind es unterirdische Superbahnhof werden nicht Andererseits kommt er bei aller Spontaneität wir Hörer? fertig oder viel zu spät und viel zu teuer. nicht aus dem Nirgendwo. Er hat Geschichte. des Moments Da gibt es die Baumwolle und den Blues, die Tuba und den Chattanooga Choo Choo, da gibt es Louis und Billie, John und Ornette. Da gibt es Free Jazz und Jazz Rock. Gewiss, alles verändert sich, und heute Der Jazz ist der Gegenentwurf. Im Jazz steht Alles hatte seine Zeit, und alles gibt es immer schneller als früher. Aber das gilt für andere nicht die Planung obenan, sondern die Vorbe- noch – diese Kontinuität ist sehr lindernd Genres auch, die zudem wesentlich jünger reitung. Man übt, man macht sich Gedanken, in unserer nostalgisch rückwärtsgewandten sind, nehmen wir Hip-Hop oder elektronische man hat Ideen. Was dann tatsächlich auf der Zeit, in welcher Fortschritt tatsächlich auch Musik. Deshalb sei hier die These gewagt, Bühne geschieht, ist eine Frage des Momen- Fortschreiten und Zurücklassen bedeutet. Ich dass es im Gegenteil etwas Unveränderliches tes, in dem die Intuition die Regie über- kann mit Benny Goodman zweimal die Woche ist, das die aktuelle Attraktivität des Jazz nimmt. Das Ergebnis mag makellos sein oder Swingtanzen gehen oder die Platten von Sun Ra begründet, ein Mix aus Eigenschaften, die es mit Fehlern behaftet: Darauf kommt es nicht und Alice Coltrane auflegen, die vor geraumer seit langer Zeit gibt und die wir – aufgerauht so sehr an, weil es echt und unmittelbar ist. Zeit in andere Dimensionen vorgestoßen sind. vom politischen, technischen und kulturellen Der Jazz hat ein lebendiges Damals, über das Wirbel um uns herum – nur neu entdecken. Damit bin ich bei der Präsenz. Sie mag andere Populärmusik nicht verfügt. das wichtigste Element heute sein. Heute. Welche Eigenschaften wären das? Denn früher, noch vor hundert Jahren, war Und schließlich das Können. Jazzmusiker Ich schlage vor: Individualität, Intuition, die Präsenz der Musiker selbstverständlich. mögen mir verzeihen, dass ich es an die letzte Präsenz, Geschichte und Können. Musik und Tanz gab es nur, wo sie spielten. Stelle meiner Aufzählung setze. Ich habe zum Deshalb feierte man sie und ließ ihnen man- Können eine zwiespältige Haltung. Einerseits Der Reihe nach! ches durchgehen. Schellack war Stand der begeistern mich Musiker mit ihrer Virtuosität, Wiedergabetechnik, eine quäkende Konserve! und ich bin immer nur froh, nicht selber zu Verstärker, Lautsprecherwände? Zukunfts- spielen, wenn ich sie erlebe: Denn alles, was musik! ich hinbekäme, wäre absolut ungenügend. Andererseits habe ich schon einige Gitarren- Das hat sich sehr geändert. Heute ist die oder Schlagzeuggötter gesehen, die sich mit Tonqualität zu Hause teilweise besser als im ihrer Fingerfertigkeit alles verfummeln. Beim Konzert. Dafür sind die Musiker verschwun- Jazz geht es nicht ums Schneller, Höher, den. Sie spielen aus dem Nichts. Sie tönen Weiter; Jazz ist kein Sport oder jedenfalls aus YouTube und Smartphone, rieseln aus der nicht nur. Decke im Restaurant. Dem großen Publikum mögen Geschwindigkeit Sie joggen mit uns im Rhythmus unserer und Instrumentbeherrschung imponieren, morgendlichen Runde, sie sind die nach und das ist in gewisser Weise auch gut so. Bandbreite verlangende Tonspur unseres Denn warum sollen wir immer nur Popsongs Alltags. Sie sind Download und Streaming, hören von Leuten, die mehr schlecht als recht sie sind nicht mehr physisch. spielen können? Man kann sich doch auch mal was gönnen. n 11
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Wann gelingt Kommunikation, Gregor Huebner? „Kommunikation gelingt, wenn zwei Personen zuerst einmal die selbe Sprache sprechen und wenn man Im Duo zwischen Gregor Huebner spielt am die Fähigkeit Sonntag, 6. Mai, mit zwei Musikern ist Richie Beirach im Volksbank-Haus. besitzt, dem dies essentiell.“ anderen zuzuhören. Wann gelingt Kommunikation, Lyambiko? „Die Möglichkeiten zur Kommunikation werden immer besser, jedoch die Kommunikation wird immer schlechter – diesen Satz habe ich im Netz gefunden. Daraufhin dachte ich an die ersten Spielplatzbesuche mit meinem kleinen Sohn. Unsere Kinder zeigen uns doch bestens, dass Lyambiko singt am K o m m u n i k a t i o n s e l b s t ohne Worte Sonntag, 6. Mai, im funktionieren kann. Zumindest Volksbank-Haus. solange die Interessen beider Seiten ähnlich gelagert sind…“ 13
Martin Laurentius Die Welt in 88 Tasten Das Klavier: 88 Tasten, 52 weiße, 36 schwarze, setzen ebenso viele Hämmerchen in Bewegung, die im Resonanzraum auf temperiert gestimmte Saiten aufschlagen. Auch im Jazz spielt dieses hier zumeist Piano genannte Tasteninstrument eine entscheidende Rolle: Einerseits lässt sich darauf die Klangfülle eines Orchesters erzeugen, andererseits kön- Django Bates, 1960 im englischen Beckenham nen die einzelnen geboren, unterfliegt in der Regel den Drang Stimmen polyphon vieler Pianisten, ihre spielerische Brillanz in durch die achtein- technischen Kabinettstückchen zur Schau zu halb Oktaven ge- stellen. Vielmehr dreht sich im Jazz dieses führt werden. Auch Multiinstrumentalisten (neben Klavier und und gerade des- Keyboards spielt er noch Tenorhorn und Geige) halb ist das Piano und Pädagogen (bis 2011 unterrichtete er am das Instrument par Rytmisk Musikkonservatorium in Kopenhagen, excellence, das im seitdem ist er Professor für Jazzklavier, Kom- Jazz sowohl eine position und Ensemble an der Hochschule der solistische Rolle Künste Bern) alles um Kommunikation und als auch begleiten- Intuition. de Funktion über- nehmen kann. Lange Zeit war er überzeugt, dass mit dem Jazzpiano-Trio alles gesagt worden sei. Allen voran ein Bill Evans mit seinen verschiedenen Trios, aber auch e.s.t. um den schwedischen Pianisten Esbjörn Svensson oder The Bad Plus um Ethan Iverson hatten das im Idealfall gleichschenklige Dreieck aus Klavier, Bass, Schlagzeug stets zum Rotieren gebracht. Martin Laurentius arbeitet regelmäßig als Autor und Moderator für die Jazzredaktion des Westdeutschen Rundfunks sowie weitere ARD- Anstalten und schreibt für Die Zeit. Der Kölner ist außerdem Redakteur und Autor beim Magazin Jazz thing. 2017 wurde ihm der Deutsche Jazzjournalisten Preis verliehen. Illustrationen: Wilhelm Busch (aus: „Der Virtuos“, 1865) 14
Dass es seit gut zehn Jahren sein Trio Belovèd (durch den Akzent wird 88 Tasten und kein Ende das „e“ ausgesprochen) gibt, ist dann einem Zufall geschuldet, wie Die Verbindung von amerikanischem Jazz und europäischer Klassik der Pianist hervorhebt: „Eines Tages ging ich in Kopenhagen an den muss nichts mit Banalisierung zu tun haben. Der 1947 in Brooklyn Proberäumen vom Konservatorium entlang. Dort unterrichtete der geborene Richie Beirach demonstriert als Klaviervirtuose mit dem Schlagzeuger Peter Bruun ein Studentenensemble, in dem Petter Eldh exakt 20 Jahre jüngeren Violinisten Gregor Huebner aus Stuttgart am Bass war. Ich warf einen Blick in den Unterrichtsraum und wusste, (mittlerweile in New York lebend) an der Seite, wie der Jazz aus den dass, sollte ich jemals ein Piano-Trio haben, die beiden dabei sein USA mit der Musik klassischer Komponisten Europas infiziert werden werden. Petter spielte den Bass mit einer unglaublichen Punk-Haltung, kann, um das Klangmaterial zur Improvisation komplexer zu gestalten hatte aber auch das komplette Wissen über den Jazz präsent. Und Peter – und vice versa. Reharmonisierte klassische Stücke und Jazzstandards trommelte so intensiv wie leise. Für mich als Pianist ist das wichtig, kombiniert mit Originalkompositionen aus der Feder der beiden: Damit weil der Drummer dadurch den Raum schafft, um mir die Möglichkeit gräbt dieses Piano-Geige-Duo seinem strömenden Fluss der improvisa- zu geben, die Frequenzen des Klaviers hörbar zu machen.“ torischen Ideen ein breites Bett. Bevor es überhaupt ans Einstudieren eines Repertoires ging, zogen Die Welt des Pianos im Jazz von Heute ist jedenfalls schier unendlich. sich Bates, der Däne Bruun und der Schwede Eldh erst einmal in die Da ist zum Beispiel der junge Norweger Eyolf Dale, der sich im Kontext Abgeschiedenheit eines Proberaums zurück. Sie wollten experimentie- einer Band weit zurücknimmt, um so die Klangmacht des Pianos im ren, wie sich der Klang ändert mit unterschiedlichen Tempi, dynami- Jazz erst richtig hervorzukehren. Oder dessen Instrumentalkollegin schen Differenzierungen oder wenn sich die drei Musiker anderswo Julia Hülsmann aus Berlin, die zumeist harmonisch Komplexes leicht im Raum aufstellen. Während dieser Tage fanden sie dann auch einen und eingängig klingen lässt, um geradezu singbare Melodien im Mo- Zugang, um mit dem rhythmischen Phänomen Groove zu improvisie- ment der Improvisation erfinden zu können. Oder der Pianist Michael ren. Im antizipierenden Zusammenspiel gelingt es ihnen seitdem, das Wollny, der sich die Welt der Spätromantik zu Beginn des 20. Jahrhun- Fundament ihrer Musik per se unter Spannung zu setzen, wenn sie den derts erschließt, als sich in Europa die Tonalität aufzulösen begann. Groove sofort wieder auflösen, sobald sich dieser etabliert hat. Oder der Japaner Makoto Ozone, der, oftmals mit einer amerikanisch besetzten Rhythmusgruppe, auf der Tastatur des Flügels tief in den Vor dem Hintergrund dieses ungewöhnlichen Improvisationskon- introspektiven Kosmos des auch heute noch allgegenwärtigen Bill zeptes mag es überraschen, welches Repertoire bis heute eines der Evans eindringt und so den Bogen zurück zum Ursprung des modernen Schwerpunkte des Trios ist: Stücke aus dem Songbook des legendären Jazz schlägt: in die USA. n Bebop-Saxophonisten Charlie Parker, den Bates seit seiner Jugend verehrt: „Für mich ist es total faszinierend zu hören, wie kinderleicht es mit Petter und Peter ist, die Parker-Arrangements, die ich für das Trio geschrieben habe, in unsere ureigene Musik zu verwandeln.“ 15
You can have an enormous impact on society – if you take a stand. WASLAT HASRAT-NAZIMI DW News and Afghan Service # WHEREICOMEFROM dw.com/whereicomefrom 16
Wann gelingt Kommunikation, Django Bates? Django Bates spielt am Sonntag, 29. April, in der Universität Bonn. Wann gelingt Kommunikation, Ulita Knaus? „Kommunikation gelingt, wenn man ganz klar vor Augen hat, was die Kommunikation be- zwecken bzw. wo sie hinführen soll. Schließlich dient Kommu- In der Musik soll- nikation dazu, sich mitzuteilen, ten extreme Gefühle Informationen auszutauschen, und Gedanken immer Lösungen für Probleme zu Raum haben. Und finden und Dinge gemeinsam je weniger gefiltert, anpacken zu können. desto besser. Wahre Emotionen machen etwas mit dir als Künstler. Du lässt dich in die Geschichte, die du erzählst, „hin- Ulita Knaus tritt am einfallen“ und reagierst spontan in jedem Augenblick auf das, Sonntag, was du fühlst. Und wenn die Pferde mit dir durchgehen, dann 29. April, Feuerwerk.“ wird der Ausdruck immer stärker. Dann fängt es an richtig zu in der Universität brennen. Du reißt deine Musiker mit und alle fangen Feuer. Bonn auf. Im besten Fall entsteht so ein buntes, energiegeladenes 17
Samstag, 12. Mai, Bundeskunsthalle Ein Traum von der Michael Wollny Trio Musik Wie Michael Wollny zur Gallionsfigur des deutschen Oliver Hochkeppel Jazz wurde Der „Weltentraum“ erfüllte sich: Das gleich- Doch der Weg dahin war lang und dauerte namige Trio-Album brachte dem Pianisten mehr als zehn Jahre. Nicht dass Wollny vorher Michael Wollny 2014 den Durchbruch. Nach- nicht erfolgreich gewesen wäre: Schon das dem das Heute Journal und die Tagesthemen erste Album mit dem Trio [em] war 2006 ein Beiträge gesendet hatten, schoss die CD an Paukenschlag: „Call It [em] klingt wie eine Pop-Stars wie Beyoncé vorbei auf Platz zwei Inhaltsangabe dessen, was wache, junge der Amazon-Charts, wurde in England „Album Jazzmusik ausmachen soll. Frisch, voller des Jahres“ und bekam im Jahr darauf drei umherfliegender Einflüsse, nicht populistisch. Jazz Echos – ein Rekord. Etwas Eigenes“, jubelte die Zeitschrift Jazz thing, der britische Observer war überzeugt: Dabei war das Album mit Bearbeitungen von „This is the future sound of Jazz“. Und die Avantgardisten wie Paul Hindemith, Wolfgang Hymnen sollten bei den vier folgenden Alben Rihm, Edgard Varèse oder Alban Berg nicht noch anschwellen. Nicht minder gefeiert wur- zum Hit prädestiniert, erst die auf verblüf- de Wollnys Duo mit dem Saxophon-Veteranen fende Weise ebenso komplexe wie eingängige Heinz Sauer, ein mitreißender Dialog der Interpretation Wollnys machte es dazu. Generationen im „Spirit of Jazz“. So hatte Seither füllt der Name Michael Wollny die Wollny bis 2013 bereits alle wichtigen deut- großen Häuser. schen und viele bedeutende internationale Jazzpreise gewonnen und gleichberechtigt mit Stars wie Brad Mehldau, Joachim Kühn und Nils Landgren arbeiten dürfen – doch ein über den Jazzzirkel hinaus populärer „Best- seller“ war er nicht. Oliver Hochkeppel ist seit 1993 Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung mit den Schwerpunkten Jazz, Weltmusik, Neue Musik und Kabarett. Er schreibt außerdem regelmäßig für Fachzeitschriften wie die Jazzzeitung, die Neue Musikzeitung oder Applaus, und ist seit dessen Gründung 2009 Kurator und Juryvorsitzender des BMW Welt Jazz Awards. 18
Bis also endlich auch die breite Öffentlichkeit erreichte, dass es in Deutschland einen genia- len Pianisten gibt, der alle Stilgrenzen in einer eigenen Stilistik aufhebt, einen, der für jedes musikalische Theorem eine eigene, stets überraschende Lösung findet, musste einiges zusammenkommen: Von der „Entdeckung“ durch den Pianisten und Lehrer Chris Beier, der Wollny schon mit 16 gegen alle Aufnahme- regeln an der Würzburger Hochschule für Musik unter seine Fittiche nahm, über das nachhaltige Lob der Jazzkritik und die bedin- gungslose Unterstützung durch Siggi Loch und sein Act-Label bis zur an die psychischen wie physischen Grenzen gehende Hingabe des Künstlers selbst. Wenige bearbeiten den Flügel so körperlich wie Wollny, geistig wie physisch ist er immer in Bewegung, oft geht es dem Instrument an die Eingeweide. Seine Inspiration kann dabei von Schubert oder Mahler kommen, von Björk oder Kraftwerk wie von japanischen Gangsterfilmen oder Horror- stories. Und wie ein Gedankenleser kann er dem Spiel seiner Begleiter folgen, es aufneh- men, mitgestalten und weiterreichen. Der Ausdruckskraft, die sich aus dieser Energie, gepaart mit unerschöpflichem Einfallsreich- tum und überragender Technik, ergibt, kann man sich nicht entziehen – ob er solo, mit seinem Trio, mit den anderen europäischen jungen Wilden Vincent Peirani und Andreas Schaerer oder Orchestern wie Geir Lysnes Norske Blåseensemble spielt. Mit letzterem hat der Cineast und „Gothic“-Fan Wollny bereits Friedrich Wilhelm Murnaus Filmklassiker Nosferatu vertont, jetzt war es auch bei den Aufnahmen zum neuen Trio-Album dabei – was ungeplant gleich zu zwei neuen, parallel erscheinenden CDs führte: Oslo und Wartburg. Nun, in seinem Jubiläumsjahr, in dem er 40 wird, steht Professor Michael Wollny (seit vier Jahren lehrt er in seiner Wahlheimat Leipzig) also im Zenith seines Schaffens. Spielt ein großes Geburtstagskonzert mit All-Star- Besetzung in der Berliner Philharmonie, ist erster „Artist in Residence“ beim Hamburger Elbjazz-Festival und präsentiert sich mit dem neuen Trio-Projekt als die Gallionsfigur des deutschen Jazz, die Trends nicht folgt, sondern sie setzt. n 19
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Musik Andreas Schaerer A Novel Of Anomaly zum Veröffentlichung: 23. Februar 2018 Label: ACT Mitnehmen Zusammen mit seinem angestammten Duo-Partner, dem Drummer Lucas Niggli, trifft Schaerer auf den italienischen Akkordeonisten Luciano Biondini und den finnischen Gitarristen Kalle Kalima. Einige Künstler präsentieren beim Jazzfest Bonn neue Poetisch ist das Programm, wenn Biondini Alben. Wir stellen Ihnen eine Auswahl vor. jazzige Italianità serviert, kühl und rau hingegen, wenn Kalima seine elektronisch verfremdeten Klänge einschaltet – zwischen den Welten generieren die LYAMBIKO Vier eine geballte Energie! Love Letters Veröffentlichung: 1. September 2017 Django Bates’ Belovèd Label: OKeh Records The Study Of Touch Zufällig wiederentdeckte Liebesbriefe aus Veröffentlichung: 3. November 2017 der Familie inspirierten die Sängerin zu Label: ECM neuen eigenen Songs und einer frischen Die Konventionen subtil herausfordern Sicht auf Jazzklassiker wie Close Your – dies ist das Anliegen der Band Django Eyes und Stardust. Lyambiko verwebt Bates‘ Belovèd. Unter den Jazzpiano- Jazzklassiker und neue Lieder zu einem Trios hat Belovèd einen ganz eigenen stimmigen Ganzen, das die altmodischste Sound für sich entwickelt. Die Gruppe und doch zugleich aktuellste aller entstand vor gut einem Jahrzehnt, Empfindungen auf zwei verschiedenen Zeitebenen beschreibt: als Bates am Kopenhagener Rytmisk die Liebe. Musikkonservatorium lehrte. Eine wunderbare Platte für Entdecker. Nils Wülker On Inga Lühning – André Nendza Veröffentlichung: 2. Juni 2017 Hodgepodge Vol. 1 Label: Warner Music Veröffentlichung: 24. November 2017 Großartige Songs, brachialer Funk, Label: JazzSick Records energiegeladene Improvisationen und Die Besetzung spiegelt das Grundthema: elegante Electronic-Sounds: Die aktuelle CD Es geht dem Duo um die Essenz der des Ausnahme-Trompeters überrascht mit Musik. Melodie und Grundton sind der einer gelungenen Union von Jazz und Hip- Ausgangspunkt einer wunderbaren Reise. Hop. Auf dem Album sind zwölf gehaltvolle Lühning und Nendza überraschen mit Lieder, die meisten ohne Worte, die man ungeahntem Klangfarbenreichtum. Im Kern sofort mitsingen will. klassisch, jazzmäßig – live aufgenommen mit viel Liebe zum Detail. Ulita Knaus Love In This Time Michael Wollny Trio Veröffentlichung: 5. Mai 2017 Oslo Label: Membran Veröffentlichung: 23. März 2018 Die Sängerin und Songschreiberin legt Label: ACT mit Love In This Time ein so romantisches So wie Michael Wollny spielt niemand wie energisches Album vor, einen Klavier. In seinem neuen Album steht der klangvollen Kompass, der zu den musikalische Geschichtenerzähler und unterschiedlichsten Fragen und Themen Meister atmosphärisch dichter Klang- weist, die ihr am Herzen liegen. Mit neun gemälde zwischen Jazz, Klassik und Neuer Eigenkompositionen und ihrer sehr eigenen Musik zusammen mit seinem gefeierten Trio Version von Stevie Wonders Visions zeigt im Fokus. Bereichert wird es durch das frei sie sich dabei, trotz modernisierter, elektronischer Klänge, wieder als improvisierende Norwegian Wind Ensemble. stimmstarke Self-Made-Woman zwischen Jazz und Pop. Julia Biel Wolfgang Haffner Veröffentlichung: 8. Februar 2018 Kind of Spain Label: brillJant alternatives Veröffentlichung: 25. August 2017 Label: ACT Die autodidaktische Sängerin und Song- writerin, Pianistin und Gitarristin hat einen Kind of Spain ist, nach den 50s-Cool Jazz- elektrisierenden Blick auf das Leben und und Bop-Exkursionen auf Kind of Cool, die Liebe. Mit ihrer hypnotischen Stimme Wolfgang Haffners zweites Album mit einer und ihrer Vorliebe für Pop-Song-Strukturen akustischen Band. Das Sextett erzeugt sowie Jazz-Harmonie, vereint Julia Biel die introvertierte, warme, atmosphärische unverwechselbare emotionale Kraft ihrer Klanglandschaften, zu denen sich so Stimme mit treibenden E-Gitarren und mancher auf eine nächtliche Dachterrasse epischen, filmischen Arrangements. in Granada träumen mag. 21
Von Werken. Von Wirkung. Von Relevanz. Musikjournal Montag, 20.10 Uhr Jazz Live Dienstag, 21.05 Uhr Spielweisen Mittwoch, 22.05 Uhr On Stage Freitag, 21.05 Uhr Konzertdokument der Woche Sonntag, 21.05 Uhr Musik im Deutschlandfunk Alles von Relevanz. UKW, DAB+, im Netz und in der Dlf Audiothek-App
Wann gelingt Kommunikation, Lisa Wulff? „Kommunikation gelingt, wenn man einander mit Respekt begegnet, zuhört und auch mal etwas in die Hand nimmt. Das gilt sowohl Lisa Wulff spielt mit SASKYA sowie dem Nils Landgren Quartet für die Musik als auch für am Donnerstag, 26. April, im Post Tower. menschliche Beziehungen.“ Wann gelingt Kommunikation, Nils Wülker? „Kommunikation gelingt, w e n n der Wunsch besteht, einander richtig zu v e r s t e h e n . U n d s i e m a c h t S p a ß , w e n n m a n aufeinander eingeht und sich g e g e n s e i t i g ü b e r r a s c h t .“ Nils Wülker ist zu sehen am Samstag, 28. April, in der Universität Bonn. 23
Der Designer Axel Grundhöfer gestaltet das visuelle Erscheinungsbild des Jazzfest Bonn. Birgit Einert hat ihn befragt. Vom Wald und den Bäumen ? Grafik-Design für Jazz – ist das für dich eine ? Gibt es da spezielle Kriterien? ? Du hast aber noch mehr mit Jazz zu tun ... besondere Aufgabe? : Besondere Kriterien für diese Arbeit gibt : Ich habe auch eine Zeit lang in der Beueler : Als ich 1979 das Cover für Jeremy Steig & es eigentlich nicht. Zumindest keine, die Brotfabrik eine Jazzreihe mitgestaltet. Dabei Eddie Gomez im Plattenladen gesehen habe, nicht auch für andere kulturelle Jobs gelten habe ich die Unschuld des unbedarften Jazz- habe ich mein Litera- würden. fans verloren. Plötzlich musste ich mich mit tur-Studium geschmis- den Fragen nach Gage, Hotel, Finanzierung, sen und angefangen, ? Als da wären? Equipment rumschlagen. Dabei wollte ich Grafik-Design zu : Es ist natürlich etwas anderes, ob man Wer- eigentlich nur die Musiker kennen lernen! studieren. Natürlich bung für Kultur oder für Waschmittel macht. bei dem Designer, der Kultur macht ganz entschieden mehr Spaß ? Was fasziniert dich am Jazz? dieses extrem redu- – und ist einfacher. Es wird visuell etwas : Als Teenager war irgendwann die Zeit vorbei, zierte Cover entworfen Ausgefalleneres erwartet. Das kommt ja dem die Hitparade zu hören. In der Rockmusik gab hatte, bei Heinz Bähr in Köln. Sowas wollte eigenen Gestaltungswillen sehr entgegen. es wenig, was ich spannend fand. Den wilden, ich auch machen! Jazzfan war ich ja schon. Aber: Nichts gegen Waschmittel! Das wird punkigen Jazzrock von Association P.C. mit Da konnte der Rest doch auch nicht mehr so dringend gebraucht. Und die Waschmittel- Joachim Kühn, die oft in der Uni aufgetreten schwierig sein, dachte ich mir. Leute zahlen besser. sind, oder den Free Jazz des Art Ensemble Axel Grundhöfer ist Art Director und geschäftsführender Gesellschafter der Kommunikationsagentur Headware in Königswinter. www.headware.de CD-Gestaltung für das Frankfurter Ensemble Modern Orchestra Schmökern und Schmoken: Illustration für ein Kundenmagazin 24
Zeichnen übers Zeichnen: Ausnahmsweise Rock: Titelblatt für einen Senden und Empfangen: Magazin zu einer Magazin-Artikel über Graphic Novels Wandkalender (Foto: Hagen Willsch) Konferenz über Kommunikation Of Chicago im damaligen Bonner Kulturforum ? Was ist die Philosophie deiner Agentur Aber ohne den einfachen, klaren Gedanken fand ich sehr viel aufregender. Mich inter- Headware? geht es nicht. Die feinste Typographie nützt essierte schon immer die Haltung, die das : Es gibt heute sehr viele Medien und einige nichts, wenn der Text unfein ist. Aber manch- Genre vermittelt: das ständige Weitergehen, Leute meinen, das sei kompliziert. Ist es aber mal sieht man den Wald vor lauter Bäumen das Suchende. Die grundlegende Motivation, nicht. Man braucht klare, möglichst einfache nicht. es anders machen zu wollen, als es bisher Gedanken, also ein gutes Konzept. Eine ehr- gemacht wurde. liche Sprache und interessante Bilder. Das ist ? Aber einfache Klarheit reicht doch alleine in allen Medien gleich. Deshalb beschreiben nicht, um im heutigen kommunikativen Overkill ? Aber diesen Willen zur Veränderung gibt es wir unsere Arbeit als „Konzepte, Texte und Gehör zu finden? doch nicht nur im Jazz. Bilder für Ihre Kommunikation“. : Das stimmt. Man muss auch unbedingt etwas : Ja, klar, das ist sicher die Triebfeder jedes Ganz so simpel, wie das klingt, ist es natür- falsch machen! Wer alles richtig macht, erfüllt Menschen, der in irgendeiner Form kreativ lich nicht. Diese Einfachheit und Klarheit zwar alle Erwartungen, fällt aber nicht weiter ist. Kreativität ist ja ein großes Wort; eigent- zu erreichen erfordert eine Haltung, eine auf. Das bedeutet für die inhaltliche, textliche lich ist es oft „nur“ der Wunsch, das Beste- mentale Bereitschaft, sich den wesentlichen und visuelle Gestaltung: Mach’ es anders, als hende zu verbessern. Kreativität entsteht aus Fragen zu stellen. Das ist auch eine Frage es bisher gemacht wurde. Da sind wir wieder der Unzufriedenheit mit dem Status Quo. der Persönlichkeit, auch des Auftraggebers. beim Jazz ... n Durchsichtig war an der letzten (1989!) Bonner Kunstwoche nur das Plakat Karl May zum Trinken: erste Seite eines Artikels über Rezepte für Drinks aus seinen Büchern Kleiner Vorläufer: Plakat für ein Jazzfest in der Brotfabrik 25
Andreas Der Schweizer Andreas Schaerer ist ein Pionier. Schaerer Nicht nur musikalisch. Gespräche mit dem sympathischen Sänger und Komponisten öffnen Welten in Wort und Ton. Wie gelingt Kommunikation auf der Bühne? Und was ist, wenn man scheitert? Andreas Schaerer im Gespräch mit Anke Steinbeck. Fotos von Fotosolar 26
Lieber Andreas, du bist musikalisch mit Manchmal hat man am nächsten Tag wieder Andreas Schaerer & A Novel Of Anomaly vielen Wassern gewaschen. Sowohl in der ein Konzert und geht mit dementsprechend Klassik, im Jazz und der zeitgenössischen großen Erwartungen auf die Bühne – aber Musik bist du unterwegs. Was hältst du dann kommt nichts. Das ist mir schon Samstag, 28. April, Uni Bonn von der These „Strategien entstehen beim passiert, ohne dass ich erklären kann, woran Machen“? es lag. Daher versuche ich immer keine Erwar- Ja, das stimmt irgendwie. Es kommt natürlich tungen zu haben, sondern Dinge zuzulassen. extrem aufs Projekt an. Es gibt Projekte, bei denen man sehr wenig Strategie vorbestimmt Wie wichtig ist für die Kommunikation und dann gibt es wieder andere, in denen die die Improvisation? Wie erreichst du das Strategie dominiert. Die wirklich spannenden Publikum? Momente passieren aber immer dann, wenn Es ist mir nicht immer gleich wichtig, das man die Strategie verlässt und ein Wagnis Publikum zu erreichen. Ich mag es sehr, Kon- eingeht. zerte zu spielen, wo man das Publikum ganz stark erreicht, wie mit Hildegard Lernt Fliegen Wir sitzen hier gerade im Hamburger Hafen, oder auch im Trio. Hier produzieren wir eine daher möchte ich einmal ein maritimes Bild Energie, die groß werden darf, die einladend verwenden: Stell dir vor, ein Konzert wäre ist und den Raum füllt. Aber es gibt auch ein Schiff. Am Beginn des Abends steht man Projekte, bei denen ich das weniger extrem vor dem Ding, es schwimmt im Wasser, aber suche. Ich bin überzeugt, dass gewisse Inti- man weiß nicht, ob es trägt. Kriegt man das mitäten in der Musik nur passieren, wenn man Schiff zum Schwimmen oder nicht? Es kann seine innere Gedankenwelt projiziert. Es also sein, dass es eine ganz tolle Reise wird, es in gewisser Weise intim bleibt. Beide Wege kann aber auch sein, dass das ganze Projekt finde ich spannend. untergeht. Trotz des Risikos hat man die Lust, es zu wagen und das Abenteuer einzugehen, Aber ich bin auch überzeugt, dass man das es auszuprobieren. Publikum subtiler integrieren kann, ohne dass man explizit direkt etwas zu ihnen proji- Die anderen Fragen sind: Wo fährt es hin? ziert. Zum Beispiel dadurch, dass man es an Wird die See rau oder ruhig, neblig oder son- zerbrechlichen Dingen teilhaben lässt. Man nig? In welche Klimazone geht es? Während stellt ein fragiles (klangliches) Gebilde auf der Fahrt muss man ständig navigieren, auf die Bühne und sagt: Lasst es uns zusammen Unvorhergesehenes reagieren. Insofern kann wahrnehmen. Es ist hier, es hat keinen Zaun, ich es sehr gut nachvollziehen, eine Strategie keine Glaskuppel. entstehen zu lassen, während man schon im Prozess ist. Ich finde, dieser Satz trifft auf Interessant ist, auf eine Bühne zu kommen den Jazz ganz gut zu. und nicht zu senden. Manchmal schaue ich einfach mal in den Raum. Ich versuche zu Ich glaube aber auch, wenn man gar keinen empfangen: Wer seid ihr? Man muss nichts Plan oder keine Erfahrung hat, dass es dann sagen. Es ist nur ein Gefühl, ein Radar. Ich schwierig wird. Denn man braucht Instrumen- bin überzeugt, so etwas schafft gleich eine te, um zu erkennen, ob etwas tragen kann Verbindung. Weil die erste Stufe ausgehebelt oder schon nach ein paar Metern aufläuft. wird: Das Konzept von „Senden und Empfan- Man braucht ein Radar und einen erfahrenen gen“ wird nicht bedient. Kapitän. Nur dann kann eine starke, tragende Strategie für das Ganze daraus entstehen. Was ist die Idee der Musik? Übertragen auf ein Konzert nenne ich es Die Idee der Musik ist, eine alternative Form Antennen. Ich erlebe es so, dass ich diese An- des sich Austauschens oder der Kommunika- tennen, seitdem ich improvisierend musiziere, tion zu haben. Mit Musik kann man viele immer mehr verfeinere und immer empfängli- Dinge beschreiben, für die man keine Worte cher werde für zarte Signale. Diese Werkzeuge findet. Musik ist überall. Die Natur ist voll mit braucht man, um spontan zu sein und um wunderschön komponierter Musik. Da bin ich eine komponierte Qualität zu erreichen, die voller Demut. Musik war schon immer da, be- nicht komponiert ist. vor der Mensch angefangen hat zu existieren. Ich glaube, dass uns das in einem anderen Bleiben wir einmal bei dem Bild des Schiffes. Sensorium berühren kann. Nehmen wir an, jetzt ist dein Schiff dreimal Wenn man durch die Musik eine gewisse untergegangen. Baust du das vierte Schiff Emotionalität und damit eine Intensität emp- dann noch immer mit dem selben Wagemut findet, dann merkt man: Ich bin ein Mensch, und Entdeckergeist wie das erste? denn ich muss fast weinen bei diesem Stück. Wenn ein Konzert energetisch dem Ideal nicht Wenn man das erlebt und am nächsten Tag ein Stück weit nahe kommt, dann reagiert vor einer Entscheidung steht, dann reagiert man immer. Manchmal spricht man mit den man anders, als wenn man nur in Zahlen und Musikern: „Hey, was war das Problem, warum Fakten denkt. hat es nicht getragen?“ Manchmal sind es banale Dinge: Wir standen auf der Bühne Darum geht es: Wir Menschen müssen uns zu weit auseinander, wir haben uns nicht bewusst werden, dass wir leben. Und dass das gespürt. Diese Dinge kann man schnell behe- Leben keine reine anatomische Existenz ist, ben. Man kann aber bei improvisierter Musik sondern mehr. Die Musik ist eine besondere auch nichts erzwingen. Es gibt Konzerte, die Form der Energie. Sie fragt nicht, wo du total magisch sind und man geht berührt und herkommst und wer du bist. Sie ist frei im entflammt zu Bett. Raum. n 27
28 Bundesjazzorchester Montag, 7. Mai, Opernhaus Die Autorin Reinhild (NY) und Professorin für Universität von Rochester. Filmwissenschaften an der School of Music, Rochester der Schnittstelle von Kunst für Deutsch an der Eastman Künstlers in der Gesellschaft. und Politik und der Rolle des Ihre Forschungsschwerpunkte Steingröver ist Professorin wissenschaft, insbesondere in liegen in der zeitgenössischen deutschen Film- und Literatur- kl D in A as r u ch Ba w nd ite uh d ie Ku kt au de es kau ns ur, s h ge ge rts 20. m tge De at pr n Ja ei w sig Be äg ac h ne er n re t. hh rhu zw be , S ic al n- ei int tad he tig N te B ern tp wie nd B un ew ati lan m un w e on un B e N it e des idm gun al g e 1 u in ja et g di 00- pro er zzo sic es jä d m r h Fo auh Ba to: aus er hri uk ult ch d uh un ka A ge tio im est as au be pel us n n ed e s-A ka le. na Be de ia r rch nnt hm st m len iv , 1 Be 93 ee ehe rli 0. in n n. ric ht un g.
László Moholy-Nagy Pont Transbordeur, Marseille (1929) Gelatin silver print; 23,7 x 17,9 cm Unten: Bauhaus-Logo von Oskar Schlemmer, 1922 Pinschewer. Lotte Reinigers erster Film Das Ornament des verliebten Herzens (1919) ist ein Silhouettenfilm, wie sämtliche Arbeiten dieser Pionierin des Animationsfilms. Der Film galt als verschollen, bis er 2006 im Archiv des Eastman Museums wiederentdeckt wurde. Von László Moholy-Nagy werden fünf kurze Filme gezeigt. Der Architekt und Bauhausleh- rer (1923-28) hatte keine formale Ausbildung im Film gesucht, sondern erhob seinen eige- nen Amateurstatus zum Prinzip: „Filmamateu- re vorwärts, Filmamateure auf zur Arbeit” schrieb er 1933. Für Moholy-Nagy war ein gewisser Amateurstatus die Voraussetzung für eine prinzipielle geistige und kreative Beweglichkeit. Als das Bauhaus 1919 in Weimar gegründet Gemeinsam wurden mustergültige Filme von Moholy-Nagy war dem kreativen Experiment wurde, versammelten sich junge Architekten, Bauhausprotagonisten bzw. mit Bauhausbe- verpflichtet. Im Einklang mit der Bauhaus- Maler, Grafiker, Fotografen und Kunsthand- zug aus der Zeit der 1920er und 1930er Jahre philosophie, der zufolge Künstler unter werker, um gemeinsam neue Wohn- und ausgewählt, auf deren Basis Neukompositio- Verwendung moderner Technologie ihre Kunst Gestaltungsprinzipien zu entwickeln. Die neue nen renommierter deutscher und amerikani- zur Gestaltung einer humaneren Gesellschaft Kunstschule war offen für Studentinnen und scher Jazzkomponisten entstanden sind. Die massenwirksam machen sollten, bemühte er Studenten, bot finanzielle Unterstützung für transatlantische Zusammenarbeit ist getragen sich auch im Bereich des Films um eine neue Bedürftige, bestand auf genauer Materialkun- von den Prinzipien der Bauhausphilosophie: Art des Sehens. Seine Buchtitel sind dabei de im gemeinsamen Grundkurs und arbeitete gegenseitige Inspiration durch unterschied- programmatisch: The New Vision und Vision danach nach dem Meister-Lehrlingsprinzip. liche Künste und Medien, die Spannung zwi- in Motion. Anders als die kommerzielle Film- Mit seiner progressiven Struktur, experimen- schen Kunst und Anwendbarkeit, Avantgarde industrie, sah Moholy-Nagy in der Kamera vor tierfreudigen Neugier und interdisziplinären und Zugänglichkeit, Experiment und sozialem allem die Möglichkeit, Bilder zu konstruieren, Arbeit versammelte das Bauhaus internatio- Belang und natürlich dem frischen Zugang zu die das bloße Auge nicht zu sehen vermag. nale Meister wie Walter Gropius, Mies van der kanonisierten Werken alter Meister. Zu letz- Seine Filmbilder sind oft aus ungewöhnlichen Rohe, Hannes Mayer, Paul Klee, Wassily Kan- teren gehören auch die Werke der Bauhaus- Winkeln aufgenommen, zeichnen sich durch dinsky, Johannes Itten, László Moholy-Nagy meister selbst. bewusste Komposition, überraschende Schär- und Oskar Schlemmer. 1933 verboten die fen bzw. Unschärfen, Zeitraffer und Zeitlupe Nationalsozialisten die Schule und zwangen Das Bundesjazzorchester beauftragte sechs sowie kontrastreiche Montage aus. viele der noch verbliebenen Bauhausmeister Komponistinnen und Komponisten, Werke für und Schüler in das weltweite Exil. Bigband und Vokalensemble zu acht kurzen Die musikalische Neuinterpretation von Filmen der Bauhausmeister zu komponieren: Werken alter (Bauhaus-)Meister eröffnet Die Jazz-Avantgarde von heute mit der Christopher Dell, Bill Dobbins, Julia Hüls- nicht nur zeitgenössische Perspektiven auf Bauhaus-Avantgarde von gestern verknüpfen: mann, Niels Klein, Ansgar Striepens und hundertjährige Bilder, sondern wiederholt Dieses ambitionierte Projekt wird das Bundes- Gebhard Ullmann. eine Geste der historischen Avantgarde: Auch jazzorchester (Leitung Niels Klein) unter dem Trickfilmpionierin Lotte Reiniger arbeitete mit Titel Klingende Utopien – 100 Jahre Bauhaus In einem kurzen Vorprogramm laufen, wie führenden Komponisten ihrer Zeit wie Paul beim Jazzfest Bonn präsentieren. Das Projekt auch vor hundert Jahren im Kino üblich, Dessau, Paul Hindemith, Kurt Weill und Ben- ist eine kreative Kollaboration des Bundes- Werbeanimationsfilme von Lotte Reiniger jamin Britten. Das Konzert Klingende Utopien jazzorchesters, der Eastman School of Music (Das Geheimnis der Marquise, 1920) und Walter erlaubt so eine neue Sicht auf die architekto- und dem George Eastman Museum for Film Ruttmann (Excelsior-Unverwüstlich, 1922) nische Reise mit dem Bauhaus durch Berlin, and Photography in den USA. aus der berühmten Werbeagentur Julius Marseille und Tel Aviv. n 29
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Wann gelingt Kommunikation, Andreas Schaerer? „… wenn das Feuer des Dialogs gemeinsam ange- facht wird. Man sich auf das Gegenüber einlässt und sich gegenseitig zum Glühen bringen kann. Bei ei- nem Konzert zum Beispiel erlebe ich die intensivsten Formen von Kommunikation immer dann, wenn man mit der größtmöglichen Offenheit auf den Moment, die Musik und das Publikum zugeht. Am schwierigsten ist es, wenn man mit konkreten Erwartungen in den Abend geht und versucht, den Dialog in eine gewisse Richtung zu biegen. Loslassen und auch mal die Spannung in der Ruhe, der Pause genießen, führt oft zu den wirklich magischen Augenblicken. Intensive Kommunikation ist authentisch und entsteht aus dem Moment. Man kann ihr keine Fließrichtung aufzwingen, es ist ein kollektiver Prozess.“ Andreas Schaerer tritt am Samstag, 28. April, in der Universität Bonn auf. Wann gelingt Kommunikation, Clara Haberkamp? „Einer meiner Songtexte zum Thema Kommunikation: In diesem Fall geht es um „nonverbale Kommunikation“. In dem Song wird klar, dass es nicht die Worte sind, sondern die Aufmerksamkeit fürein- ander, die eine Kommunikation ermöglicht. In einer Zeit, in der die digitale Welt einen unverantwortlich großen Raum eingenommen hat, ist Aufmerksamkeit Neon Hill für das Gegen- Shining Neon Hill über extrem wich- Light and Shadow on my window sill tig. Neon Hill soll You have a thousand faces einen Ort verkör- Quiet mountain lake pern, an dem die Pale blue eyes reale Welt wieder Your smile has left traces in my heart zum Mittelpunkt der Menschen wird.“ A pink leaf falls down on my feet I can breathe again You are the friend I need Like Huckleberry Finn to Mark Twain My burning heart finds relief and I can breathe When you hold my hand in the foreign land Shining Neon Hill Light and Shadow on my window sill Clara Haberkamp And the mountain lake remains calm and still ist mit SASKYA zu sehen am by Clara Haberkamp Donnerstag, 26. April, im Post Tower. 31
Improvisation ist das Gegenteil von Kontrolle. Wer improvisiert, verlässt den vorgegebenen Weg der Planung, erfindet sich und die Situation neu, macht die Tür zum Unvorhersehbaren auf. Improvisation, Oft aus der Not geboren – wenn Technik oder Plan versagen – tritt der Mensch mit einer Eigenschaft in Erscheinung, die ihn für immer von Maschinen Spiel und und Algorithmen unterscheiden wird: spontan, intuitiv und unmittelbar auf eine unvorhergesehene Situation reagieren Diskurs zu können. Geschieht etwas Ungewöhnliches, das Improvisation erfordert, schauen in der digitalen Kultur wir dem Menschen ins wahre Gesicht. Sabria David Improvisation braucht ein Gegenüber, jemanden, der den Spielball Unvermutetes aufnimmt und zurückspielt. Das Wort Improvisation leitet sich aus dem la- Improvisation ist deshalb auch teinischen improvisus „nicht vorhergesehen, unvermutet“ ab. Wer sich ansehen will, was in höchstem Maße diskursiv. aus Unvermutetem und Unvorhergesehenem entstehen kann, der sehe sich im Internet Bringen die diskursiven eine der Aufzeichnungen an, in denen die klassische Pianistin Gabriela Montero in der digitalen Medien Kölner Philharmonie zu dem Lied „Mer losse d’r Dom en Kölle“ improvisiert. Am Ende Improvisation ins Spiel? ihres Konzertes fragt sie ihr Publikum nach „something traditional“, zu dem sie impro- Ja, und das ist wunderbar. visieren könne. Das Kölner Publikum einigt sich in der Konzerthalle zu Füßen des Doms Innovation braucht Spiel. spontan auf den Kölner Klassiker der Band Bläck Föss und die Pianistin improvisiert auf Neues entsteht erst durch das die angebotene Tonfolge am Konzertflügel. Das Beispiel zeigt wunderbar die Elemente Wechselspiel von Absicht von Improvisation und was daran diskursiv, also „ein hin und her gehendes Gespräch“ ist: und Improvisation. Man öffnet eine Situation ins Ungewisse und lässt Ungeplantes auf sich zu kommen. Das Publikum reagiert und antwortet spontan auf die Frage. Sie wiederum nimmt den Ball auf und spinnt daraus ihre Improvisation – gewis- sermaßen in einem weiteren Diskurs zwischen dem Motiv und ihren musikalischen Eingebun- gen. Sich öffnen, zuhören, aufnehmen und daraus etwas weiterentwickeln – das sind die Sabria David ist Gründerin des Slow Media Tänzelschritte der Improvisation. Instituts mit Sitz in Bonn, das zu den Potenti- alen und Auswirkungen des digitalen Wandels auf Gesellschaft, Arbeit und Medien forscht und berät. Sie ist Mitautorin des Slow Media Manifests und der Declaration of Liquid Culture sowie ehrenamtlich stellvertretende Vorsitzende des Präsidiums von Wikimedia Deutschland. 32
Wechselspiel von Senden Wir suchen ein Gegenüber Und deshalb ist neben Improvisation und und Empfangen Ehrlichkeit in der digitalen Kommunikations- Das Gedicht ist Gespräch, es sucht ein Gegen- kultur auch ein Drittes gefragt: Fehlertoleranz Empfangen und Senden sind also die Grund- über, sagte der Dichter Paul Celan einst. Dies und das Annehmen von Unperfektheit. Das prinzipien der Improvisation – aber zur gilt auch für die digitale Kommunikation. Sie Akzeptieren der Unplanbarkeit. Dass manches Diskursivität wird es erst, wenn die Rollen sucht ein Gegenüber. Sie sucht das Gespräch, außerhalb der Kontrolle liegt. Auch dies hier nicht statisch festgelegt sind, sondern sie will den Austausch. Und im Gegensatz zu schließt wieder an die Improvisation an, die wechseln. Wenn also nicht einer nur sendet einem gedruckten Gedicht muss es nicht bei ein Spiel außerhalb absoluter Kontrolle ist – und der andere empfängt. Viele der Effekte einer einsamen Geste bleiben – denn es kann wenn auch innerhalb gesetzter Spielregeln. des digitalen Wandels lassen sich genau da- ja wirklich Antwort kommen. Der Ball, den rauf zurückführen: Die digitale Infrastruktur man ins Leere einer Leser-, Hörer-, Zuschauer- Das spielerische Hin und Her bedeutet schafft einen Wechselkanal, ermöglicht also, schaft wirft, kann von jemand Aufmerksamem Diskursivität. Das Hin und Her zwischen Frage dass nicht nur etwas nach draußen gesendet aufgenommen und zurückgeworfen werden. und Antwort. Das Hin und Her zwischen zwei wird, sondern dass auch etwas zurückkom- Menschen, die einander zugewandt sind. Das men kann. Im Netz kann jeder zum Sender Damit blühen Aspekte, die bisher der Münd- Hin und Her zwischen einer Situation und werden. Wer liest, kann auch schreiben. Einen lichkeit vorbehalten waren, in der digitalen dem Menschen in dieser Situation. Zwischen Blogbeitrag verfassen, einen Zeitungsarti- Schriftkultur auf: Unmittelbarkeit, Reaktion, einem Redner auf der Bühne und dem Pub- kel kommentieren oder weiterleiten. Einen Improvisation, Spontaneität. Eine gute und likum. Zwischen Musikern, die miteinander Wikipedia-Eintrag aktualisieren, eine mitge- konstruktive digitale Kommunikation nutzt improvisieren. Zwischen Zeitung und Lesern. filmte Situation bei YouTube hochladen. So dies, um Verbindung herzustellen, Nähe zu Es ist die Ur-Kulturtechnik des Menschen – wird Öffentlichkeit neu definiert, Herrschafts- erzeugen und um miteinander im wechseln- das Gespräch – das so im Digitalen wieder- wissen hinterfragt, Meinung gemacht, der den Austausch etwas Neues zu erschaffen. erlebt wird. gesellschaftliche Diskursraum neu erschaffen. Die Zukunft im Neuland In einer Welt voller Disruptionen und Verän- Dass dies sowohl Licht- wie Schattenseiten derungen ist die Fähigkeit, zu improvisieren hat, versteht sich von selbst. Denn alles, was Als Radiosender einen Twitteraccount zu und auf unvorhergesehene Veränderungen mächtig ist, wird auch instrumentalisiert. Mit eröffnen, ist eine gute Idee. Wer aber über kreativ und konstruktiv reagieren zu können, einem Mausklick kann einer validen Aussage diesen Kanal nur Sendedaten twittert und eine Fähigkeit, die über unsere Zukunft ent- eine alternative Aussage danebengestellt nicht auf individuelle Fragen antwortet, scheidet. Gabriele Montero sagt zu dem Vor- werden. „Alternative Fakten“, „Fake News“ verfehlt das Prinzip. Nur Senden ist natürlich gang des Improvisierens in einem Interview: und „pseudo science“ sind die destruktiven leichter. Auf eine unvorhergesehene Frage zu „It‘s far out and it‘s risk-taking and it‘s wild Früchte, die auf diesem Nährboden wachsen. antworten verlangt mehr. Verlangt Aufmerk- and it‘s adventurous!“. Ganz wie das Leben. samkeit, Reaktion, Zuhören und Antwort. Da Erst recht in einer digitalen Gesellschaft, die Die positive Seite: Das Gespräch, der Aus- ist Improvisation gefragt, und Ehrlichkeit. sich von Sekunde zu Sekunde verändert und tausch, die Diskursivität halten Einzug in Eine Antwort wie „Das konnten wir leider ihre Gestalt wechselt. n die Schriftkultur. Denn das Internet ist ein nicht nachrecherchieren“, sagt auf der Schriftmedium, das nach den Regeln der Beziehungsebene: „Du bist da, wir haben dich Mündlichkeit funktioniert. Twitter, Facebook, gesehen und gehört.“ Auch wenn die Frage – WhatsApp und andere soziale Medien bilden auf Sachebene – nicht beantworten werden Gespräche in Schriftform ab. Man muss diese kann. Antwort bedeutet in erster Linie gese- schriftliche Mündlichkeit als Element der hen und wahrgenommen werden. digitalen Kultur aber verstehen, um sie sinnvoll anwenden zu können. 33
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