Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3

 
WEITER LESEN
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
zettbe:
                                                       [2018] Ausgabe 3

        das magazin zum jazzfest
                           bonn
                     verstehen
                          Michael Wollnys
                               Traum von Musik
                               Sehen, wie
zuhören
    Warum Jazz
                               Musik entsteht
      (wieder)

                                    antworten
      attraktiv ist
      Eine Kunst
      des Moments                       Improvisation
                                             braucht ein Gegenüber
                                             Wie wir auf
                                             Rhythmus reagieren

                                                  Django Bates
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
Nils Wülker
                                                                                                                             Samstag,
                                                                                                                            28. April,
                                                                                                                           Universität
                                                                                                                                Bonn

               senden und empfangen
4  Intro                                     28 100 Jahre Bauhaus –                     44 Unbekannte Vertraute
Natur Töne                                   Klingende Utopien                          Josef Engels über das Duo Julia Hülsmann
                                             Reinhild Steingröver erläutert             und Christopher Dell
10  Eine Kunst des Moments                   das Multimedia-Projekt des
Warum Jazz (wieder) attraktiv ist –          Bundesjazzorchesters                       46 Ein Rhythmus muss
Gedanken von Ulrich Stock                                                               gemeint sein, um zu sein
                                             32 Improvisation, Spiel und Diskurs        Ein Rhythmus ist in erster Linie eine
14   Die Welt in 88 Tasten                   in der digitalen Kultur                    Entscheidung – sagt Bernhard Wulff
Martin Laurentius zur Bedeutung              Sabria David über digitale Kommunikation
des Klaviers im Jazz                                                                    49 Danke!
                                             34 Marina Abramović                       Unsere Sponsoren, Partner und Förderer
18 Ein Traum von der Musik                   Grenzerfahrungen
Die Gallionsfigur Michael Wollny             Johanna Adam stellt die neue Ausstellung   49 Programmübersicht
im Portrait von Oliver Hochkeppel            in der Bundeskunsthalle vor                Alle Konzerte im Überblick

21 Musik zum Mitnehmen                       37  Einführungsveranstaltungen,            62 Zehn Schritte zum Jazz
    Aktuelle CDs der Jazzfest Bonn-Musiker   Hinweise und Impressum                     Eine kurze Gebrauchsanweisung
                                                                                        für Einsteiger von Ulrich Stock
24 Vom Wald und den Bäumen                   38 Pop-Artist mit Jazzer-Seele
    Der Designer Axel Grundhöfer             Hans Hielscher berichtet von seinem        Wann gelingt Kommunikation?
    im Gespräch mit Birgit Einert            Treffen mit Ed Motta                       Gregor Huebner 13
                                                                                        Lyambiko 13
26 „Stell dir vor, ein Konzert               40 John Scofield und die Stimme            Django Bates 17
    ist ein Schiff“                          seiner Gitarre                             Ulita Knaus 17
    Andreas Schaerer im Interview            Stefan Hentz widmet sich dem Klang des     Lisa Wulff 23
    mit Anke Steinbeck                       amerikanischen Ausnahme-Gitarristen        Nils Wülker 23
                                                                                        Andreas Schaerer 31
                                             42 Medien-Workshop                         Clara Haberkamp 31
                                             Ein neues Projekt des Jazzfest Bonn        John Scofield 43

2
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
Sehr geehrte Damen und Herren,                   Liebe Freunde des Jazzfest Bonn,

das Jazzfest Bonn gilt als eines der jüngsten    herzlich willkommen im neuen „zettbe:“.
Mitglieder in der großen Festival-Familie        Die diesjährige Ausgabe haben wir dem Thema
Nordrhein-Westfalens. Sein Ruf klingt weit       „Senden und Empfangen“ gewidmet.
über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus
und hat sich in seinem neunten Jahr als ein      Ja, Jazz ist Senden und Empfangen. Stellen
Schmelztiegel für Jazzmusiker aller Genres       Sie sich vor, Sie gehen in ein Konzert. Sie
etabliert. Jährlich kommen zahlreiche inter-     wissen, dass das, was sie erwartet, schön
nationale Größen der Szene in die Stadt und      werden kann. Sie freuen sich. Sie freuen sich
präsentieren sich auf einer Bühne mit lokalen    aber auch, weil Sie nicht genau wissen, was
Musikerinnen und Musikern sowie hoffnungs-       Sie erwartet. Sie nehmen an, dass die Musiker
vollen Nachwuchskünstlern. Das Format der        sehr gut sind, weil sie ihr Handwerk gründ-
Doppelkonzerte hat sich als Erfolgsmodell er-    lich gelernt haben und an das, was sie tun,
wiesen: Der Jazz verbindet Menschen vor und      glauben.
auf der Bühne, schafft wie kaum eine andere
Musik spontane Dialoge und sensibilisiert für    Aber was wird ihre Musik Ihnen sagen?
Fremdes und Neues.                               Tja, weder die Musiker noch Sie wissen
                                                 wirklich, was an diesem Abend passiert.
                         Als internationale                              Ist das nicht unglaub-
                         Beethovenstadt, als                             lich spannend? Sie
                         Wissenschafts-, Wirt-                           freuen sich auf etwas,
                         schafts-, Konferenz-                            das nicht planbar,
                         und UNO-Standort,                               nicht vorhersehbar
                         leben wir Bonner-                               ist. Weder für Sie,
                         innen und Bonner                                noch in letzter
                         Toleranz, Offenheit                             Konsequenz für die
                         und Vielfalt und pro-                           Musiker.
                         fitieren von diesem
                         Miteinander für eine                            Genau das macht den
                         erfolgreiche Zukunft.                           Jazz so spannend:
                         Daher freut es mich                             Keiner weiß wirklich,
                         ganz besonders, dass                            was passiert. Aber Sie
                         der Jazz, der viele                             können sich darauf
Einflüsse zulässt und zu dessen genuinen         verlassen, dass die Künstler Meister der Kom-
Eigenschaften die kulturelle Integration         munikation sind. Sie geben alles daran, etwas
gehört, in Bonn ein verlässliches Zuhause        zu senden, was Sie berührt, bewegt, begeis-
gefunden hat. Das Jazzfest Bonn steht mit        tert oder nachdenklich macht. Gleichzeitig
seinem vielfältigen Programm für eine hoch-      sind die Musiker neugierig, welche Signale sie
wertige Musik jenseits aller Zuschreibungen      von Ihnen empfangen werden.
und für ein aufgeschlossenes Bonn.
                                                 Ganz herzlich danke ich unseren Sponsoren
Ich wünsche dem Jazzfest Bonn ein                und Förderern, ohne die das Jazzfest Bonn
erfolgreiches Festival 2018 und Ihnen,           und solch wunderbare Augenblicke des Sen-
liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, magische         dens und Empfangens nicht denkbar wären.
Konzerterlebnisse.                               In seinem neunten Jahr ist das Jazzfest Bonn
                                                 zu einer festen Größe im Konzertkalender
Ihr                                              der Stadt und in der Region geworden, dazu
                                                 haben viele helfende Hände und wohlwollend
                                                 denkende Köpfe beigetragen. Wir sind sehr
                                                 stolz über den starken Rückhalt in der Bonner
Ashok Sridharan                                  Bevölkerung und dass nicht nur die Konzerte,
Schirmherr                                       sondern auch unsere zusätzlichen Angebote
Oberbürgermeister der                            wie die Einführungsveranstaltungen von
Bundesstadt Bonn                                 Ihnen so gut besucht werden.

                                                 Ich freue mich auf das Jazzfest Bonn und
                                                 darauf, mit Ihnen besondere Momente zu
                                                 teilen.

                                                 Herzlichst, Ihr

                                                 Peter Materna
                                                 Künstlerischer Leiter

                                                                                                  3
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
Natur Töne
                                    Dass Geranien auf Mozart
                                    reagieren, Hyazinthen
                                    aber bei Bach besser
     Was sendet denn da? wachsen, ist ein Gerücht. Aber in
                         der Natur wird mehr akustisch
                         kommuniziert, als das menschliche
                         Ohr hören kann.

4
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
Können Fische kommunizieren? Ja. Die Glas-
        messerfische beispielsweise verständigen und
        orientieren sich mit elektrischen Signalen. Sie
        besitzen ein Organ, mit dem sie elektrische
        Felder erzeugen und empfangen können. Von
        circa fünfzehn bis zu über tausend Mal pro
        Sekunde entlädt der Fisch sein Organ, dabei
        wechselt das elektrische Feld permanent
        seine Polarität.

        Dieses Signal dient der inner- und zwischen-
        artlichen Kommunikation, der Orientierung

Fisch Chöre
        und zeigt: „Hier bin ich zu Hause“. Denn

  Die   nur in der Gruppe bilden Glasmesserfische
        harmonische Chöre.

                                                          5
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
Dass Pflanzen flüchtige chemische Stoffe zur
            Kommunikation nutzen, beispielsweise wenn
            Gefahr durch einen Pflanzenfresser naht, ist
            seit längerem bekannt. Doch es geht noch
            weiter: Untersuchungen zeigen, dass die
            Wurzeln von jungem Getreide Klickgeräusche
            im Frequenzbereich von 220 Hertz von sich
            geben und empfangen können. Werden
            Geräusche in dieser Höhe regelmäßig ausge-
            sendet, richten sich Wurzeln zur Schallquelle

        Knacker
            aus. Pflanzen haben folglich sensible
            „Organe“, die auf Schallwellen reagieren.

    Acker

6
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
7
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
8
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
Manchmal ist die Abwesenheit von jeglicher
          Kommunikation, von Geräuschen und Schall
          schöner als Musik. Ruhe gibt’s nicht im
          sprichwörtlichen Karton, die absolute Stille
          gibt’s nur im All. Schallwellen breiten sich
          von Molekül zu Molekül in der Luft aus –
          ähnlich wie die Wellen im Wasser. Doch im
          Weltraum gibt es nichts, das den Schall

       Schall
          tragen könnte – er ist größtenteils leer.
          Das fast perfekte Vakuum.

Kein
         im All

                                                         9
Das magazin zumjazzfest bonn - 2018 Ausgabe 3
Warum wir den Jazz wieder so attraktiv finden:   Es liegt weniger       Ein Text von Ulrich Stock,
                                                      an seiner Erneuerung   Jazzreporter bei Die Zeit
                                                      als an der Zeit,       in Hamburg.
                                                      in der wir
                                                      ihn hören.

                                                      Eine Kunst

10
Jazz war und ist eine sehr persönliche Musik.    Es liegt nahe, dass die allumfassende Virtua-
                                                 Manchen Saxophonisten erkennt man blind          lisierung des Klangerlebens irgendwann eine
                                                 an seinem Ton: weil einzig er sein Instrument    Gegenbewegung auslösen würde; nun ist sie
                                                 so spielt. Die Färbung ist nicht verpönt, sie    da. Konzerte sind gut besucht bis ausver-
                                                 gibt Charakter. Dies passt zweifellos zu einer   kauft. Die Hörer wollen sehen, wie Musik
                                                 Zeit, in der Individualität wichtiger ist als    entsteht. Sie schwelgen im Klang, der in
                                                 jede Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sei es       diesem Moment, und nur in diesem, existiert.
Man spricht darüber: Jazz wird wieder gehört.    nun eine Partei oder Kirche, eine Gewerk-        Sie bezahlen Dutzende Euro für unsichtbare
Jüngere Leute im Publikum, stellenweise          schaft oder ein Sportverein.                     Schwingungen der Luft – und sind dankbar
gar ganz junge, auf der Bühne ja sowieso.                                                         dafür.
Die „schwierige“ Musik (das Adjektiv mal in      Wir Deutschen haben einen Hang zum Planen.
Anführungszeichen) zieht frischen Zuspruch       Alles soll perfekt sein. Aber je größer unsere   Apropos flüchtig. Viele Aufregungen in
auf sich. Was ist da los? Woher, nach Jahren     Projekte werden, desto mehr Probleme gibt        unserer Zeit sind von kurzer Dauer. Dazu
eher flauen Interesses, plötzlich dieser         es. Der Flughafen, die Philharmonie und der      passt der Jazz als eine Kunst des Moments.
Appetit? Hat der Jazz sich verändert, sind es    unterirdische Superbahnhof werden nicht          Andererseits kommt er bei aller Spontaneität
wir Hörer?                                       fertig oder viel zu spät und viel zu teuer.      nicht aus dem Nirgendwo. Er hat Geschichte.

des Moments
                                                                                                  Da gibt es die Baumwolle und den Blues, die
                                                                                                  Tuba und den Chattanooga Choo Choo, da
                                                                                                  gibt es Louis und Billie, John und Ornette.
                                                                                                  Da gibt es Free Jazz und Jazz Rock.

Gewiss, alles verändert sich, und heute          Der Jazz ist der Gegenentwurf. Im Jazz steht     Alles hatte seine Zeit, und alles gibt es immer
schneller als früher. Aber das gilt für andere   nicht die Planung obenan, sondern die Vorbe-     noch – diese Kontinuität ist sehr lindernd
Genres auch, die zudem wesentlich jünger         reitung. Man übt, man macht sich Gedanken,       in unserer nostalgisch rückwärtsgewandten
sind, nehmen wir Hip-Hop oder elektronische      man hat Ideen. Was dann tatsächlich auf der      Zeit, in welcher Fortschritt tatsächlich auch
Musik. Deshalb sei hier die These gewagt,        Bühne geschieht, ist eine Frage des Momen-       Fortschreiten und Zurücklassen bedeutet. Ich
dass es im Gegenteil etwas Unveränderliches      tes, in dem die Intuition die Regie über-        kann mit Benny Goodman zweimal die Woche
ist, das die aktuelle Attraktivität des Jazz     nimmt. Das Ergebnis mag makellos sein oder       Swingtanzen gehen oder die Platten von Sun Ra
begründet, ein Mix aus Eigenschaften, die es     mit Fehlern behaftet: Darauf kommt es nicht      und Alice Coltrane auflegen, die vor geraumer
seit langer Zeit gibt und die wir – aufgerauht   so sehr an, weil es echt und unmittelbar ist.    Zeit in andere Dimensionen vorgestoßen sind.
vom politischen, technischen und kulturellen                                                      Der Jazz hat ein lebendiges Damals, über das
Wirbel um uns herum – nur neu entdecken.         Damit bin ich bei der Präsenz. Sie mag           andere Populärmusik nicht verfügt.
                                                 das wichtigste Element heute sein. Heute.
Welche Eigenschaften wären das?                  Denn früher, noch vor hundert Jahren, war        Und schließlich das Können. Jazzmusiker
Ich schlage vor: Individualität, Intuition,      die Präsenz der Musiker selbstverständlich.      mögen mir verzeihen, dass ich es an die letzte
Präsenz, Geschichte und Können.                  Musik und Tanz gab es nur, wo sie spielten.      Stelle meiner Aufzählung setze. Ich habe zum
                                                 Deshalb feierte man sie und ließ ihnen man-      Können eine zwiespältige Haltung. Einerseits
Der Reihe nach!                                  ches durchgehen. Schellack war Stand der         begeistern mich Musiker mit ihrer Virtuosität,
                                                 Wiedergabetechnik, eine quäkende Konserve!       und ich bin immer nur froh, nicht selber zu
                                                 Verstärker, Lautsprecherwände? Zukunfts-         spielen, wenn ich sie erlebe: Denn alles, was
                                                 musik!                                           ich hinbekäme, wäre absolut ungenügend.
                                                                                                  Andererseits habe ich schon einige Gitarren-
                                                 Das hat sich sehr geändert. Heute ist die        oder Schlagzeuggötter gesehen, die sich mit
                                                 Tonqualität zu Hause teilweise besser als im     ihrer Fingerfertigkeit alles verfummeln. Beim
                                                 Konzert. Dafür sind die Musiker verschwun-       Jazz geht es nicht ums Schneller, Höher,
                                                 den. Sie spielen aus dem Nichts. Sie tönen       Weiter; Jazz ist kein Sport oder jedenfalls
                                                 aus YouTube und Smartphone, rieseln aus der      nicht nur.
                                                 Decke im Restaurant.
                                                                                                  Dem großen Publikum mögen Geschwindigkeit
                                                 Sie joggen mit uns im Rhythmus unserer           und Instrumentbeherrschung imponieren,
                                                 morgendlichen Runde, sie sind die nach           und das ist in gewisser Weise auch gut so.
                                                 Bandbreite verlangende Tonspur unseres           Denn warum sollen wir immer nur Popsongs
                                                 Alltags. Sie sind Download und Streaming,        hören von Leuten, die mehr schlecht als recht
                                                 sie sind nicht mehr physisch.                    spielen können? Man kann sich doch auch
                                                                                                  mal was gönnen. n

                                                                                                                                                    11
www.sparkasse-koelnbonn.de

Unser Engagement für Kultur.
Kunst und Kultur als Lebenselixier der Region
Musik, Theater, Tanz, Literatur oder die Vielfalt der Museen: Ein breites kulturelles Angebot
macht unsere Region lebendig und gibt ihr ein Gesicht. Daher unterstützen wir Highlights wie
das Beethovenfest Bonn oder die lit.cologne, aber auch die vielen kleinen Theater, Bühnen und
Gruppen in Köln und Bonn.

                                                                           Gut für Köln und Bonn.

                                                                     Sparkasse
                                                                      KölnBonn
Wann gelingt Kommunikation, Gregor Huebner?

           „Kommunikation

            gelingt, wenn zwei

            Personen zuerst

            einmal die selbe

            Sprache sprechen

            und wenn man
                        Im Duo zwischen
                                                        Gregor Huebner
                                                        spielt am
            die Fähigkeit                               Sonntag,
                                                        6. Mai, mit
                        zwei Musikern ist               Richie Beirach im
                                                        Volksbank-Haus.
            besitzt, dem
                        dies essentiell.“
            anderen zuzuhören.

                            Wann gelingt Kommunikation, Lyambiko?

   „Die Möglichkeiten zur
   Kommunikation werden
immer besser, jedoch die
       Kommunikation wird
        immer schlechter –
 diesen Satz habe ich im
Netz gefunden. Daraufhin
 dachte ich an die ersten
    Spielplatzbesuche mit
     meinem kleinen Sohn.
     Unsere Kinder zeigen
                    uns doch bestens, dass              Lyambiko
                                                        singt am
 K o m m u n i k a t i o n s e l b s t ohne Worte       Sonntag,
                                                        6. Mai, im
       funktionieren kann. Zumindest                    Volksbank-Haus.
        solange die Interessen beider
       Seiten ähnlich gelagert sind…“

                                                                            13
Martin Laurentius

      Die  Welt
       in 88
     Tasten
                               Das Klavier: 88 Tasten, 52 weiße, 36 schwarze,
                               setzen ebenso viele Hämmerchen in Bewegung,
                               die im Resonanzraum auf temperiert gestimmte
                               Saiten aufschlagen. Auch im Jazz spielt dieses
                               hier zumeist Piano genannte Tasteninstrument
                               eine entscheidende Rolle: Einerseits lässt sich
                               darauf die Klangfülle eines Orchesters erzeugen,
                               andererseits kön-
                                                      Django Bates, 1960 im englischen Beckenham
                               nen die einzelnen
                                                      geboren, unterfliegt in der Regel den Drang
                               Stimmen polyphon
                                                      vieler Pianisten, ihre spielerische Brillanz in
                               durch die achtein-
                                                      technischen Kabinettstückchen zur Schau zu
                               halb Oktaven ge-
                                                      stellen. Vielmehr dreht sich im Jazz dieses
                               führt werden. Auch
                                                      Multiinstrumentalisten (neben Klavier und
                               und gerade des-
                                                      Keyboards spielt er noch Tenorhorn und Geige)
                               halb ist das Piano
                                                      und Pädagogen (bis 2011 unterrichtete er am
                               das Instrument par
                                                      Rytmisk Musikkonservatorium in Kopenhagen,
                               excellence, das im
                                                      seitdem ist er Professor für Jazzklavier, Kom-
                               Jazz sowohl eine
                                                      position und Ensemble an der Hochschule der
                               solistische   Rolle
                                                      Künste Bern) alles um Kommunikation und
                               als auch begleiten-
                                                      Intuition.
                               de Funktion über-
                               nehmen kann.
                                                      Lange Zeit war er überzeugt, dass mit dem
                                                      Jazzpiano-Trio alles gesagt worden sei. Allen
                                                      voran ein Bill Evans mit seinen verschiedenen
                                                      Trios, aber auch e.s.t. um den schwedischen
                                                      Pianisten Esbjörn Svensson oder The Bad Plus
                                                      um Ethan Iverson hatten das im Idealfall
                                                      gleichschenklige Dreieck aus Klavier, Bass,
                                                      Schlagzeug stets zum Rotieren gebracht.

        Martin Laurentius arbeitet regelmäßig als Autor und Moderator für
        die Jazzredaktion des Westdeutschen Rundfunks sowie weitere ARD-
        Anstalten und schreibt für Die Zeit. Der Kölner ist außerdem Redakteur
        und Autor beim Magazin Jazz thing. 2017 wurde ihm der Deutsche
        Jazzjournalisten Preis verliehen.

        Illustrationen: Wilhelm Busch (aus: „Der Virtuos“, 1865)
14
Dass es seit gut zehn Jahren sein Trio Belovèd (durch den Akzent wird     88 Tasten und kein Ende
das „e“ ausgesprochen) gibt, ist dann einem Zufall geschuldet, wie        Die Verbindung von amerikanischem Jazz und europäischer Klassik
der Pianist hervorhebt: „Eines Tages ging ich in Kopenhagen an den        muss nichts mit Banalisierung zu tun haben. Der 1947 in Brooklyn
Proberäumen vom Konservatorium entlang. Dort unterrichtete der            geborene Richie Beirach demonstriert als Klaviervirtuose mit dem
Schlagzeuger Peter Bruun ein Studentenensemble, in dem Petter Eldh        exakt 20 Jahre jüngeren Violinisten Gregor Huebner aus Stuttgart
am Bass war. Ich warf einen Blick in den Unterrichtsraum und wusste,      (mittlerweile in New York lebend) an der Seite, wie der Jazz aus den
dass, sollte ich jemals ein Piano-Trio haben, die beiden dabei sein       USA mit der Musik klassischer Komponisten Europas infiziert werden
werden. Petter spielte den Bass mit einer unglaublichen Punk-Haltung,     kann, um das Klangmaterial zur Improvisation komplexer zu gestalten
hatte aber auch das komplette Wissen über den Jazz präsent. Und Peter     – und vice versa. Reharmonisierte klassische Stücke und Jazzstandards
trommelte so intensiv wie leise. Für mich als Pianist ist das wichtig,    kombiniert mit Originalkompositionen aus der Feder der beiden: Damit
weil der Drummer dadurch den Raum schafft, um mir die Möglichkeit         gräbt dieses Piano-Geige-Duo seinem strömenden Fluss der improvisa-
zu geben, die Frequenzen des Klaviers hörbar zu machen.“                  torischen Ideen ein breites Bett.

Bevor es überhaupt ans Einstudieren eines Repertoires ging, zogen         Die Welt des Pianos im Jazz von Heute ist jedenfalls schier unendlich.
sich Bates, der Däne Bruun und der Schwede Eldh erst einmal in die        Da ist zum Beispiel der junge Norweger Eyolf Dale, der sich im Kontext
Abgeschiedenheit eines Proberaums zurück. Sie wollten experimentie-       einer Band weit zurücknimmt, um so die Klangmacht des Pianos im
ren, wie sich der Klang ändert mit unterschiedlichen Tempi, dynami-       Jazz erst richtig hervorzukehren. Oder dessen Instrumentalkollegin
schen Differenzierungen oder wenn sich die drei Musiker anderswo          Julia Hülsmann aus Berlin, die zumeist harmonisch Komplexes leicht
im Raum aufstellen. Während dieser Tage fanden sie dann auch einen        und eingängig klingen lässt, um geradezu singbare Melodien im Mo-
Zugang, um mit dem rhythmischen Phänomen Groove zu improvisie-            ment der Improvisation erfinden zu können. Oder der Pianist Michael
ren. Im antizipierenden Zusammenspiel gelingt es ihnen seitdem, das       Wollny, der sich die Welt der Spätromantik zu Beginn des 20. Jahrhun-
Fundament ihrer Musik per se unter Spannung zu setzen, wenn sie den       derts erschließt, als sich in Europa die Tonalität aufzulösen begann.
Groove sofort wieder auflösen, sobald sich dieser etabliert hat.          Oder der Japaner Makoto Ozone, der, oftmals mit einer amerikanisch
                                                                          besetzten Rhythmusgruppe, auf der Tastatur des Flügels tief in den
Vor dem Hintergrund dieses ungewöhnlichen Improvisationskon-              introspektiven Kosmos des auch heute noch allgegenwärtigen Bill
zeptes mag es überraschen, welches Repertoire bis heute eines der         Evans eindringt und so den Bogen zurück zum Ursprung des modernen
Schwerpunkte des Trios ist: Stücke aus dem Songbook des legendären        Jazz schlägt: in die USA. n
Bebop-Saxophonisten Charlie Parker, den Bates seit seiner Jugend
verehrt: „Für mich ist es total faszinierend zu hören, wie kinderleicht
es mit Petter und Peter ist, die Parker-Arrangements, die ich für das
Trio geschrieben habe, in unsere ureigene Musik zu verwandeln.“

                                                                                                                                                   15
You can have an enormous
     impact on society – if you
     take a stand.
     WASLAT HASRAT-NAZIMI
     DW News and Afghan Service

                            # WHEREICOMEFROM

                            dw.com/whereicomefrom

16
Wann gelingt Kommunikation, Django Bates?

                                                                                       Django Bates
                                                                                       spielt am
                                                                                       Sonntag,
                                                                                       29. April,
                                                                                       in der
                                                                                       Universität
                                                                                       Bonn.

                                                 Wann gelingt Kommunikation, Ulita Knaus?

„Kommunikation gelingt, wenn
man ganz klar vor Augen hat,
was die Kommunikation be-
zwecken bzw. wo sie hinführen
soll. Schließlich dient Kommu- In der Musik soll-
nikation dazu, sich mitzuteilen, ten extreme Gefühle
Informationen auszutauschen, und Gedanken immer
Lösungen für Probleme zu Raum haben. Und
finden und Dinge gemeinsam je weniger gefiltert,
anpacken zu können.                 desto besser. Wahre
                   Emotionen machen etwas mit dir als
                   Künstler. Du lässt dich in die Geschichte, die du erzählst, „hin-   Ulita Knaus
                                                                                       tritt am
                   einfallen“ und reagierst spontan in jedem Augenblick auf das,       Sonntag,
                   was du fühlst. Und wenn die Pferde mit dir durchgehen, dann         29. April,

                  Feuerwerk.“
                   wird der Ausdruck immer stärker. Dann fängt es an richtig zu        in der
                                                                                       Universität
                   brennen. Du reißt deine Musiker mit und alle fangen Feuer.          Bonn auf.
                   Im besten Fall entsteht so ein buntes, energiegeladenes

                                                                                                      17
Samstag, 12. Mai, Bundeskunsthalle

                                             Ein Traum
                                                 von der
     Michael Wollny Trio

                                             Musik Wie
                                               Michael
                                            Wollny zur
                                           Gallionsfigur
                                          des deutschen
 Oliver Hochkeppel
                                            Jazz wurde
                                                   Der „Weltentraum“ erfüllte sich: Das gleich-     Doch der Weg dahin war lang und dauerte
                                                   namige Trio-Album brachte dem Pianisten          mehr als zehn Jahre. Nicht dass Wollny vorher
                                                   Michael Wollny 2014 den Durchbruch. Nach-        nicht erfolgreich gewesen wäre: Schon das
                                                   dem das Heute Journal und die Tagesthemen        erste Album mit dem Trio [em] war 2006 ein
                                                   Beiträge gesendet hatten, schoss die CD an       Paukenschlag: „Call It [em] klingt wie eine
                                                   Pop-Stars wie Beyoncé vorbei auf Platz zwei      Inhaltsangabe dessen, was wache, junge
                                                   der Amazon-Charts, wurde in England „Album       Jazzmusik ausmachen soll. Frisch, voller
                                                   des Jahres“ und bekam im Jahr darauf drei        umherfliegender Einflüsse, nicht populistisch.
                                                   Jazz Echos – ein Rekord.                         Etwas Eigenes“, jubelte die Zeitschrift Jazz
                                                                                                    thing, der britische Observer war überzeugt:
                                                   Dabei war das Album mit Bearbeitungen von        „This is the future sound of Jazz“. Und die
                                                   Avantgardisten wie Paul Hindemith, Wolfgang      Hymnen sollten bei den vier folgenden Alben
                                                   Rihm, Edgard Varèse oder Alban Berg nicht        noch anschwellen. Nicht minder gefeiert wur-
                                                   zum Hit prädestiniert, erst die auf verblüf-     de Wollnys Duo mit dem Saxophon-Veteranen
                                                   fende Weise ebenso komplexe wie eingängige       Heinz Sauer, ein mitreißender Dialog der
                                                   Interpretation Wollnys machte es dazu.           Generationen im „Spirit of Jazz“. So hatte
                                                   Seither füllt der Name Michael Wollny die        Wollny bis 2013 bereits alle wichtigen deut-
                                                   großen Häuser.                                   schen und viele bedeutende internationale
                                                                                                    Jazzpreise gewonnen und gleichberechtigt
                                                                                                    mit Stars wie Brad Mehldau, Joachim Kühn
                                                                                                    und Nils Landgren arbeiten dürfen – doch ein
                                                                                                    über den Jazzzirkel hinaus populärer „Best-
                                                                                                    seller“ war er nicht.

 Oliver Hochkeppel ist seit 1993 Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung mit den Schwerpunkten Jazz,
 Weltmusik, Neue Musik und Kabarett. Er schreibt außerdem regelmäßig für Fachzeitschriften wie
 die Jazzzeitung, die Neue Musikzeitung oder Applaus, und ist seit dessen Gründung 2009 Kurator
 und Juryvorsitzender des BMW Welt Jazz Awards.
18
Bis also endlich auch die breite Öffentlichkeit
erreichte, dass es in Deutschland einen genia-
len Pianisten gibt, der alle Stilgrenzen in
einer eigenen Stilistik aufhebt, einen, der für
jedes musikalische Theorem eine eigene, stets
überraschende Lösung findet, musste einiges
zusammenkommen: Von der „Entdeckung“
durch den Pianisten und Lehrer Chris Beier,
der Wollny schon mit 16 gegen alle Aufnahme-
regeln an der Würzburger Hochschule für
Musik unter seine Fittiche nahm, über das
nachhaltige Lob der Jazzkritik und die bedin-
gungslose Unterstützung durch Siggi Loch
und sein Act-Label bis zur an die psychischen
wie physischen Grenzen gehende Hingabe
des Künstlers selbst. Wenige bearbeiten den
Flügel so körperlich wie Wollny, geistig wie
physisch ist er immer in Bewegung, oft geht
es dem Instrument an die Eingeweide. Seine
Inspiration kann dabei von Schubert oder
Mahler kommen, von Björk oder Kraftwerk wie
von japanischen Gangsterfilmen oder Horror-
stories. Und wie ein Gedankenleser kann er
dem Spiel seiner Begleiter folgen, es aufneh-
men, mitgestalten und weiterreichen. Der
Ausdruckskraft, die sich aus dieser Energie,
gepaart mit unerschöpflichem Einfallsreich-
tum und überragender Technik, ergibt, kann
man sich nicht entziehen – ob er solo, mit
seinem Trio, mit den anderen europäischen
jungen Wilden Vincent Peirani und Andreas
Schaerer oder Orchestern wie Geir Lysnes
Norske Blåseensemble spielt. Mit letzterem
hat der Cineast und „Gothic“-Fan Wollny
bereits Friedrich Wilhelm Murnaus
Filmklassiker Nosferatu vertont,
jetzt war es auch bei den Aufnahmen
zum neuen Trio-Album dabei – was
ungeplant gleich zu zwei neuen,
parallel erscheinenden CDs
führte: Oslo und Wartburg.

Nun, in seinem Jubiläumsjahr,
in dem er 40 wird, steht Professor
Michael Wollny (seit vier Jahren
lehrt er in seiner Wahlheimat
Leipzig) also im Zenith seines
Schaffens. Spielt ein großes
Geburtstagskonzert mit All-Star-
Besetzung in der Berliner
Philharmonie, ist erster
„Artist in Residence“ beim
Hamburger Elbjazz-Festival
und präsentiert sich mit
dem neuen Trio-Projekt
als die Gallionsfigur des
deutschen Jazz, die
Trends nicht folgt,
sondern sie setzt. n

                                                  19
Nach dem Hör-Genuss
       kommt der See-Genuss!
           Seit über 40 Jahren Urlaub mit Phoenix Reisen.
             In Ihrem Reisebüro finden Sie
              unsere Kataloge für Ihren Urlaub mit
               Phoenix Reisen!
               Besuchen Sie uns auch im Internet auf:
                    www.PhoenixReisen.com
                      Oder rufen Sie uns an
                      unter: (0228) 9260-200.

20
Musik
Andreas Schaerer
A Novel Of Anomaly

                                                                            zum
Veröffentlichung: 23. Februar 2018
Label: ACT

                                                                            Mitnehmen
                            Zusammen mit seinem angestammten
                            Duo-Partner, dem Drummer Lucas Niggli,
                            trifft Schaerer auf den italienischen
                            Akkordeonisten Luciano Biondini und
                            den finnischen Gitarristen Kalle Kalima.        Einige Künstler präsentieren beim Jazzfest Bonn neue
                            Poetisch ist das Programm, wenn Biondini        Alben. Wir stellen Ihnen eine Auswahl vor.
                            jazzige Italianità serviert, kühl und rau
                            hingegen, wenn Kalima seine elektronisch
verfremdeten Klänge einschaltet – zwischen den Welten generieren die       LYAMBIKO
Vier eine geballte Energie!                                                Love Letters
                                                                           Veröffentlichung: 1. September 2017
Django Bates’ Belovèd                                                      Label: OKeh Records
The Study Of Touch
                                                                                                     Zufällig wiederentdeckte Liebesbriefe aus
Veröffentlichung: 3. November 2017
                                                                                                     der Familie inspirierten die Sängerin zu
Label: ECM
                                                                                                     neuen eigenen Songs und einer frischen
                           Die Konventionen subtil herausfordern                                     Sicht auf Jazzklassiker wie Close Your
                           – dies ist das Anliegen der Band Django                                   Eyes und Stardust. Lyambiko verwebt
                           Bates‘ Belovèd. Unter den Jazzpiano-                                      Jazzklassiker und neue Lieder zu einem
                           Trios hat Belovèd einen ganz eigenen                                      stimmigen Ganzen, das die altmodischste
                           Sound für sich entwickelt. Die Gruppe                                     und doch zugleich aktuellste aller
                           entstand vor gut einem Jahrzehnt,               Empfindungen auf zwei verschiedenen Zeitebenen beschreibt:
                           als Bates am Kopenhagener Rytmisk               die Liebe.
                           Musikkonservatorium lehrte. Eine
wunderbare Platte für Entdecker.                                           Nils Wülker
                                                                           On
Inga Lühning – André Nendza                                                Veröffentlichung: 2. Juni 2017
Hodgepodge Vol. 1                                                          Label: Warner Music
Veröffentlichung: 24. November 2017
                                                                                                      Großartige Songs, brachialer Funk,
Label: JazzSick Records
                                                                                                      energiegeladene Improvisationen und
                           Die Besetzung spiegelt das Grundthema:                                     elegante Electronic-Sounds: Die aktuelle CD
                           Es geht dem Duo um die Essenz der                                          des Ausnahme-Trompeters überrascht mit
                           Musik. Melodie und Grundton sind der                                       einer gelungenen Union von Jazz und Hip-
                           Ausgangspunkt einer wunderbaren Reise.                                     Hop. Auf dem Album sind zwölf gehaltvolle
                           Lühning und Nendza überraschen mit                                         Lieder, die meisten ohne Worte, die man
                           ungeahntem Klangfarbenreichtum. Im Kern                                    sofort mitsingen will.
                           klassisch, jazzmäßig – live aufgenommen
                           mit viel Liebe zum Detail.                      Ulita Knaus
                                                                           Love In This Time
Michael Wollny Trio                                                        Veröffentlichung: 5. Mai 2017
Oslo                                                                       Label: Membran
Veröffentlichung: 23. März 2018
                                                                                                       Die Sängerin und Songschreiberin legt
Label: ACT
                                                                                                       mit Love In This Time ein so romantisches
                           So wie Michael Wollny spielt niemand                                        wie energisches Album vor, einen
                           Klavier. In seinem neuen Album steht der                                    klangvollen Kompass, der zu den
                           musikalische Geschichtenerzähler und                                        unterschiedlichsten Fragen und Themen
                           Meister atmosphärisch dichter Klang-                                        weist, die ihr am Herzen liegen. Mit neun
                           gemälde zwischen Jazz, Klassik und Neuer                                    Eigenkompositionen und ihrer sehr eigenen
                           Musik zusammen mit seinem gefeierten Trio                                   Version von Stevie Wonders Visions zeigt
                           im Fokus. Bereichert wird es durch das frei     sie sich dabei, trotz modernisierter, elektronischer Klänge, wieder als
                           improvisierende Norwegian Wind Ensemble.        stimmstarke Self-Made-Woman zwischen Jazz und Pop.

Julia Biel                                                                 Wolfgang Haffner
Veröffentlichung: 8. Februar 2018                                          Kind of Spain
Label: brillJant alternatives                                              Veröffentlichung: 25. August 2017
                                                                           Label: ACT
                           Die autodidaktische Sängerin und Song-
                           writerin, Pianistin und Gitarristin hat einen                              Kind of Spain ist, nach den 50s-Cool Jazz-
                           elektrisierenden Blick auf das Leben und                                   und Bop-Exkursionen auf Kind of Cool,
                           die Liebe. Mit ihrer hypnotischen Stimme                                   Wolfgang Haffners zweites Album mit einer
                           und ihrer Vorliebe für Pop-Song-Strukturen                                 akustischen Band. Das Sextett erzeugt
                           sowie Jazz-Harmonie, vereint Julia Biel die                                introvertierte, warme, atmosphärische
                           unverwechselbare emotionale Kraft ihrer                                    Klanglandschaften, zu denen sich so
                           Stimme mit treibenden E-Gitarren und                                       mancher auf eine nächtliche Dachterrasse
                           epischen, filmischen Arrangements.                                         in Granada träumen mag.

                                                                                                                                                     21
Von Werken.
                            Von Wirkung.
                            Von Relevanz.

Musikjournal
Montag, 20.10 Uhr

Jazz Live
Dienstag, 21.05 Uhr

Spielweisen
Mittwoch, 22.05 Uhr

On Stage
Freitag, 21.05 Uhr

Konzertdokument der Woche
Sonntag, 21.05 Uhr

                            Musik im Deutschlandfunk

                            Alles von Relevanz.
                            UKW, DAB+, im Netz und
                            in der Dlf Audiothek-App
Wann gelingt Kommunikation, Lisa Wulff?

   „Kommunikation
  gelingt, wenn man
        einander mit
  Respekt begegnet,
zuhört und auch mal
         etwas in die
Hand nimmt. Das gilt sowohl
                                                      Lisa Wulff spielt
                                                      mit SASKYA
                                                      sowie dem Nils
                                                      Landgren Quartet

   für die Musik als auch für
                                                      am Donnerstag,
                                                      26. April, im
                                                      Post Tower.

  menschliche Beziehungen.“
                         Wann gelingt Kommunikation, Nils Wülker?

„Kommunikation gelingt,
 w e n n der Wunsch
 besteht, einander richtig
 zu v e r s t e h e n . U n d s i e
 m a c h t S p a ß ,
 w e n n m a n aufeinander
 eingeht und sich
 g e g e n s e i t i g ü b e r r a s c h t .“         Nils Wülker
                                                      ist zu sehen am
                                                      Samstag,
                                                      28. April,
                                                      in der
                                                      Universität
                                                      Bonn.

                                                                          23
Der Designer
 Axel Grundhöfer
 gestaltet
 das visuelle
 Erscheinungsbild
 des Jazzfest Bonn.

 Birgit Einert hat
 ihn befragt.

 Vom Wald und den Bäumen
 ? Grafik-Design für Jazz – ist das für dich eine   ? Gibt es da spezielle Kriterien?               ? Du hast aber noch mehr mit Jazz zu tun ...
 besondere Aufgabe?                                 : Besondere Kriterien für diese Arbeit gibt     : Ich habe auch eine Zeit lang in der Beueler
 : Als ich 1979 das Cover für Jeremy Steig &        es eigentlich nicht. Zumindest keine, die       Brotfabrik eine Jazzreihe mitgestaltet. Dabei
 Eddie Gomez im Plattenladen gesehen habe,          nicht auch für andere kulturelle Jobs gelten    habe ich die Unschuld des unbedarften Jazz-
                          habe ich mein Litera-     würden.                                         fans verloren. Plötzlich musste ich mich mit
                          tur-Studium geschmis-                                                     den Fragen nach Gage, Hotel, Finanzierung,
                          sen und angefangen,       ? Als da wären?                                 Equipment rumschlagen. Dabei wollte ich
                          Grafik-Design zu          : Es ist natürlich etwas anderes, ob man Wer-   eigentlich nur die Musiker kennen lernen!
                          studieren. Natürlich      bung für Kultur oder für Waschmittel macht.
                          bei dem Designer, der     Kultur macht ganz entschieden mehr Spaß         ? Was fasziniert dich am Jazz?
                          dieses extrem redu-       – und ist einfacher. Es wird visuell etwas      : Als Teenager war irgendwann die Zeit vorbei,
                          zierte Cover entworfen    Ausgefalleneres erwartet. Das kommt ja dem      die Hitparade zu hören. In der Rockmusik gab
 hatte, bei Heinz Bähr in Köln. Sowas wollte        eigenen Gestaltungswillen sehr entgegen.        es wenig, was ich spannend fand. Den wilden,
 ich auch machen! Jazzfan war ich ja schon.         Aber: Nichts gegen Waschmittel! Das wird        punkigen Jazzrock von Association P.C. mit
 Da konnte der Rest doch auch nicht mehr so         dringend gebraucht. Und die Waschmittel-        Joachim Kühn, die oft in der Uni aufgetreten
 schwierig sein, dachte ich mir.                    Leute zahlen besser.                            sind, oder den Free Jazz des Art Ensemble

     Axel Grundhöfer ist Art Director und
     geschäftsführender Gesellschafter
     der Kommunikationsagentur
     Headware in Königswinter.
     www.headware.de

                                                                                                    CD-Gestaltung für das Frankfurter
                                                                                                    Ensemble Modern Orchestra

                                                    Schmökern und Schmoken:
                                                    Illustration für ein Kundenmagazin

24
Zeichnen übers Zeichnen:                           Ausnahmsweise Rock: Titelblatt für einen         Senden und Empfangen: Magazin zu einer
Magazin-Artikel über Graphic Novels                Wandkalender (Foto: Hagen Willsch)               Konferenz über Kommunikation

Of Chicago im damaligen Bonner Kulturforum         ? Was ist die Philosophie deiner Agentur         Aber ohne den einfachen, klaren Gedanken
fand ich sehr viel aufregender. Mich inter-        Headware?                                        geht es nicht. Die feinste Typographie nützt
essierte schon immer die Haltung, die das          : Es gibt heute sehr viele Medien und einige     nichts, wenn der Text unfein ist. Aber manch-
Genre vermittelt: das ständige Weitergehen,        Leute meinen, das sei kompliziert. Ist es aber   mal sieht man den Wald vor lauter Bäumen
das Suchende. Die grundlegende Motivation,         nicht. Man braucht klare, möglichst einfache     nicht.
es anders machen zu wollen, als es bisher          Gedanken, also ein gutes Konzept. Eine ehr-
gemacht wurde.                                     liche Sprache und interessante Bilder. Das ist   ? Aber einfache Klarheit reicht doch alleine
                                                   in allen Medien gleich. Deshalb beschreiben      nicht, um im heutigen kommunikativen Overkill
? Aber diesen Willen zur Veränderung gibt es       wir unsere Arbeit als „Konzepte, Texte und       Gehör zu finden?
doch nicht nur im Jazz.                            Bilder für Ihre Kommunikation“.                  : Das stimmt. Man muss auch unbedingt etwas
: Ja, klar, das ist sicher die Triebfeder jedes    Ganz so simpel, wie das klingt, ist es natür-    falsch machen! Wer alles richtig macht, erfüllt
Menschen, der in irgendeiner Form kreativ          lich nicht. Diese Einfachheit und Klarheit       zwar alle Erwartungen, fällt aber nicht weiter
ist. Kreativität ist ja ein großes Wort; eigent-   zu erreichen erfordert eine Haltung, eine        auf. Das bedeutet für die inhaltliche, textliche
lich ist es oft „nur“ der Wunsch, das Beste-       mentale Bereitschaft, sich den wesentlichen      und visuelle Gestaltung: Mach’ es anders, als
hende zu verbessern. Kreativität entsteht aus      Fragen zu stellen. Das ist auch eine Frage       es bisher gemacht wurde. Da sind wir wieder
der Unzufriedenheit mit dem Status Quo.            der Persönlichkeit, auch des Auftraggebers.      beim Jazz ... n

Durchsichtig war an der letzten (1989!)
Bonner Kunstwoche nur das Plakat

                                                                                                    Karl May zum Trinken: erste Seite eines Artikels
                                                                                                    über Rezepte für Drinks aus seinen Büchern
                                                   Kleiner Vorläufer:
                                                   Plakat für ein Jazzfest in der Brotfabrik

                                                                                                                                                       25
Andreas       Der Schweizer Andreas
                   Schaerer ist ein Pionier.

     Schaerer      Nicht nur musikalisch.
                   Gespräche mit dem
          sympathischen Sänger und
          Komponisten öffnen Welten
          in Wort und Ton. Wie gelingt
                   Kommunikation auf
                   der Bühne? Und was ist,
                   wenn man scheitert?
                   Andreas Schaerer im
                   Gespräch mit
                   Anke Steinbeck.
                   Fotos von Fotosolar

26
Lieber Andreas, du bist musikalisch mit          Manchmal hat man am nächsten Tag wieder

                                                                                                     Andreas Schaerer & A Novel Of Anomaly
vielen Wassern gewaschen. Sowohl in der          ein Konzert und geht mit dementsprechend
Klassik, im Jazz und der zeitgenössischen        großen Erwartungen auf die Bühne – aber
Musik bist du unterwegs. Was hältst du           dann kommt nichts. Das ist mir schon

                                                                                                     Samstag, 28. April, Uni Bonn
von der These „Strategien entstehen beim         passiert, ohne dass ich erklären kann, woran
Machen“?                                         es lag. Daher versuche ich immer keine Erwar-
Ja, das stimmt irgendwie. Es kommt natürlich     tungen zu haben, sondern Dinge zuzulassen.
extrem aufs Projekt an. Es gibt Projekte, bei
denen man sehr wenig Strategie vorbestimmt       Wie wichtig ist für die Kommunikation
und dann gibt es wieder andere, in denen die     die Improvisation? Wie erreichst du das
Strategie dominiert. Die wirklich spannenden     Publikum?
Momente passieren aber immer dann, wenn          Es ist mir nicht immer gleich wichtig, das
man die Strategie verlässt und ein Wagnis        Publikum zu erreichen. Ich mag es sehr, Kon-
eingeht.                                         zerte zu spielen, wo man das Publikum ganz
                                                 stark erreicht, wie mit Hildegard Lernt Fliegen
Wir sitzen hier gerade im Hamburger Hafen,
                                                 oder auch im Trio. Hier produzieren wir eine
daher möchte ich einmal ein maritimes Bild
                                                 Energie, die groß werden darf, die einladend
verwenden: Stell dir vor, ein Konzert wäre
                                                 ist und den Raum füllt. Aber es gibt auch
ein Schiff. Am Beginn des Abends steht man
                                                 Projekte, bei denen ich das weniger extrem
vor dem Ding, es schwimmt im Wasser, aber
                                                 suche. Ich bin überzeugt, dass gewisse Inti-
man weiß nicht, ob es trägt. Kriegt man das
                                                 mitäten in der Musik nur passieren, wenn man
Schiff zum Schwimmen oder nicht? Es kann
                                                 seine innere Gedankenwelt projiziert. Es also
sein, dass es eine ganz tolle Reise wird, es
                                                 in gewisser Weise intim bleibt. Beide Wege
kann aber auch sein, dass das ganze Projekt
                                                 finde ich spannend.
untergeht. Trotz des Risikos hat man die Lust,
es zu wagen und das Abenteuer einzugehen,        Aber ich bin auch überzeugt, dass man das
es auszuprobieren.                               Publikum subtiler integrieren kann, ohne dass
                                                 man explizit direkt etwas zu ihnen proji-
Die anderen Fragen sind: Wo fährt es hin?
                                                 ziert. Zum Beispiel dadurch, dass man es an
Wird die See rau oder ruhig, neblig oder son-
                                                 zerbrechlichen Dingen teilhaben lässt. Man
nig? In welche Klimazone geht es? Während
                                                 stellt ein fragiles (klangliches) Gebilde auf
der Fahrt muss man ständig navigieren, auf
                                                 die Bühne und sagt: Lasst es uns zusammen
Unvorhergesehenes reagieren. Insofern kann
                                                 wahrnehmen. Es ist hier, es hat keinen Zaun,
ich es sehr gut nachvollziehen, eine Strategie
                                                 keine Glaskuppel.
entstehen zu lassen, während man schon im
Prozess ist. Ich finde, dieser Satz trifft auf   Interessant ist, auf eine Bühne zu kommen
den Jazz ganz gut zu.                            und nicht zu senden. Manchmal schaue ich
                                                 einfach mal in den Raum. Ich versuche zu
Ich glaube aber auch, wenn man gar keinen
                                                 empfangen: Wer seid ihr? Man muss nichts
Plan oder keine Erfahrung hat, dass es dann
                                                 sagen. Es ist nur ein Gefühl, ein Radar. Ich
schwierig wird. Denn man braucht Instrumen-
                                                 bin überzeugt, so etwas schafft gleich eine
te, um zu erkennen, ob etwas tragen kann
                                                 Verbindung. Weil die erste Stufe ausgehebelt
oder schon nach ein paar Metern aufläuft.
                                                 wird: Das Konzept von „Senden und Empfan-
Man braucht ein Radar und einen erfahrenen
                                                 gen“ wird nicht bedient.
Kapitän. Nur dann kann eine starke, tragende
Strategie für das Ganze daraus entstehen.        Was ist die Idee der Musik?
Übertragen auf ein Konzert nenne ich es          Die Idee der Musik ist, eine alternative Form
Antennen. Ich erlebe es so, dass ich diese An-   des sich Austauschens oder der Kommunika-
tennen, seitdem ich improvisierend musiziere,    tion zu haben. Mit Musik kann man viele
immer mehr verfeinere und immer empfängli-       Dinge beschreiben, für die man keine Worte
cher werde für zarte Signale. Diese Werkzeuge    findet. Musik ist überall. Die Natur ist voll mit
braucht man, um spontan zu sein und um           wunderschön komponierter Musik. Da bin ich
eine komponierte Qualität zu erreichen, die      voller Demut. Musik war schon immer da, be-
nicht komponiert ist.                            vor der Mensch angefangen hat zu existieren.
                                                 Ich glaube, dass uns das in einem anderen
Bleiben wir einmal bei dem Bild des Schiffes.    Sensorium berühren kann.
Nehmen wir an, jetzt ist dein Schiff dreimal
                                                 Wenn man durch die Musik eine gewisse
untergegangen. Baust du das vierte Schiff
                                                 Emotionalität und damit eine Intensität emp-
dann noch immer mit dem selben Wagemut
                                                 findet, dann merkt man: Ich bin ein Mensch,
und Entdeckergeist wie das erste?
                                                 denn ich muss fast weinen bei diesem Stück.
Wenn ein Konzert energetisch dem Ideal nicht
                                                 Wenn man das erlebt und am nächsten Tag
ein Stück weit nahe kommt, dann reagiert
                                                 vor einer Entscheidung steht, dann reagiert
man immer. Manchmal spricht man mit den
                                                 man anders, als wenn man nur in Zahlen und
Musikern: „Hey, was war das Problem, warum
                                                 Fakten denkt.
hat es nicht getragen?“ Manchmal sind es
banale Dinge: Wir standen auf der Bühne          Darum geht es: Wir Menschen müssen uns
zu weit auseinander, wir haben uns nicht         bewusst werden, dass wir leben. Und dass das
gespürt. Diese Dinge kann man schnell behe-      Leben keine reine anatomische Existenz ist,
ben. Man kann aber bei improvisierter Musik      sondern mehr. Die Musik ist eine besondere
auch nichts erzwingen. Es gibt Konzerte, die     Form der Energie. Sie fragt nicht, wo du
total magisch sind und man geht berührt und      herkommst und wer du bist. Sie ist frei im
entflammt zu Bett.                               Raum. n

                                                                                                                                             27
28
                                                                              Bundesjazzorchester
                                                                              Montag, 7. Mai, Opernhaus

               Die Autorin Reinhild

               (NY) und Professorin für

               Universität von Rochester.
               Filmwissenschaften an der
               School of Music, Rochester

               der Schnittstelle von Kunst
               für Deutsch an der Eastman

               Künstlers in der Gesellschaft.
               und Politik und der Rolle des
               Ihre Forschungsschwerpunkte
               Steingröver ist Professorin

               wissenschaft, insbesondere in
               liegen in der zeitgenössischen
               deutschen Film- und Literatur-
     kl
                                    D
       in                       A as
                                  r
                              u ch Ba
                            w nd ite uh
                         d ie Ku kt au
                       de es kau ns ur, s h
          ge         ge rts 20. m tge De at
                       pr n Ja ei w sig Be
                         äg ac h ne er n re
                           t. hh rhu zw be , S ic
                                   al n- ei int tad he
                                     tig
                                            N te B ern tp wie
            nd
                                          B un ew ati lan
                                       m un w e on un
                                                                      B
              e                     N it e des idm gun al g
                                      e
                                 1 u in ja et g
                              di 00- pro er zzo sic
                                es jä d m r h
                                                                   Fo auh
                                                                 Ba to: aus
                                  er hri uk ult ch d               uh un ka
                                      A ge tio im est as             au be pel
                                        us n n ed e                    s-A ka le.
                                          na Be de ia r                   rch nnt
                                            hm st m len                      iv , 1
                                                                               Be 93
                                              ee ehe                             rli 0.
                                                in n                                n.
                                                  ric
                                                      ht
                                                         un
                                                            g.
László Moholy-Nagy
                                                                                                Pont Transbordeur, Marseille (1929)
                                                                                                Gelatin silver print; 23,7 x 17,9 cm
                                                                                                Unten: Bauhaus-Logo von
                                                                                                Oskar Schlemmer, 1922

                                                                                                Pinschewer. Lotte Reinigers erster Film Das
                                                                                                Ornament des verliebten Herzens (1919) ist
                                                                                                ein Silhouettenfilm, wie sämtliche Arbeiten
                                                                                                dieser Pionierin des Animationsfilms. Der Film
                                                                                                galt als verschollen, bis er 2006 im Archiv des
                                                                                                Eastman Museums wiederentdeckt wurde.

                                                                                                Von László Moholy-Nagy werden fünf kurze
                                                                                                Filme gezeigt. Der Architekt und Bauhausleh-
                                                                                                rer (1923-28) hatte keine formale Ausbildung
                                                                                                im Film gesucht, sondern erhob seinen eige-
                                                                                                nen Amateurstatus zum Prinzip: „Filmamateu-
                                                                                                re vorwärts, Filmamateure auf zur Arbeit”
                                                                                                schrieb er 1933. Für Moholy-Nagy war ein
                                                                                                gewisser Amateurstatus die Voraussetzung
                                                                                                für eine prinzipielle geistige und kreative
                                                                                                Beweglichkeit.

Als das Bauhaus 1919 in Weimar gegründet        Gemeinsam wurden mustergültige Filme von        Moholy-Nagy war dem kreativen Experiment
wurde, versammelten sich junge Architekten,     Bauhausprotagonisten bzw. mit Bauhausbe-        verpflichtet. Im Einklang mit der Bauhaus-
Maler, Grafiker, Fotografen und Kunsthand-      zug aus der Zeit der 1920er und 1930er Jahre    philosophie, der zufolge Künstler unter
werker, um gemeinsam neue Wohn- und             ausgewählt, auf deren Basis Neukompositio-      Verwendung moderner Technologie ihre Kunst
Gestaltungsprinzipien zu entwickeln. Die neue   nen renommierter deutscher und amerikani-       zur Gestaltung einer humaneren Gesellschaft
Kunstschule war offen für Studentinnen und      scher Jazzkomponisten entstanden sind. Die      massenwirksam machen sollten, bemühte er
Studenten, bot finanzielle Unterstützung für    transatlantische Zusammenarbeit ist getragen    sich auch im Bereich des Films um eine neue
Bedürftige, bestand auf genauer Materialkun-    von den Prinzipien der Bauhausphilosophie:      Art des Sehens. Seine Buchtitel sind dabei
de im gemeinsamen Grundkurs und arbeitete       gegenseitige Inspiration durch unterschied-     programmatisch: The New Vision und Vision
danach nach dem Meister-Lehrlingsprinzip.       liche Künste und Medien, die Spannung zwi-      in Motion. Anders als die kommerzielle Film-
Mit seiner progressiven Struktur, experimen-    schen Kunst und Anwendbarkeit, Avantgarde       industrie, sah Moholy-Nagy in der Kamera vor
tierfreudigen Neugier und interdisziplinären    und Zugänglichkeit, Experiment und sozialem     allem die Möglichkeit, Bilder zu konstruieren,
Arbeit versammelte das Bauhaus internatio-      Belang und natürlich dem frischen Zugang zu     die das bloße Auge nicht zu sehen vermag.
nale Meister wie Walter Gropius, Mies van der   kanonisierten Werken alter Meister. Zu letz-    Seine Filmbilder sind oft aus ungewöhnlichen
Rohe, Hannes Mayer, Paul Klee, Wassily Kan-     teren gehören auch die Werke der Bauhaus-       Winkeln aufgenommen, zeichnen sich durch
dinsky, Johannes Itten, László Moholy-Nagy      meister selbst.                                 bewusste Komposition, überraschende Schär-
und Oskar Schlemmer. 1933 verboten die                                                          fen bzw. Unschärfen, Zeitraffer und Zeitlupe
Nationalsozialisten die Schule und zwangen      Das Bundesjazzorchester beauftragte sechs       sowie kontrastreiche Montage aus.
viele der noch verbliebenen Bauhausmeister      Komponistinnen und Komponisten, Werke für
und Schüler in das weltweite Exil.              Bigband und Vokalensemble zu acht kurzen        Die musikalische Neuinterpretation von
                                                Filmen der Bauhausmeister zu komponieren:       Werken alter (Bauhaus-)Meister eröffnet
Die Jazz-Avantgarde von heute mit der           Christopher Dell, Bill Dobbins, Julia Hüls-     nicht nur zeitgenössische Perspektiven auf
Bauhaus-Avantgarde von gestern verknüpfen:      mann, Niels Klein, Ansgar Striepens und         hundertjährige Bilder, sondern wiederholt
Dieses ambitionierte Projekt wird das Bundes-   Gebhard Ullmann.                                eine Geste der historischen Avantgarde: Auch
jazzorchester (Leitung Niels Klein) unter dem                                                   Trickfilmpionierin Lotte Reiniger arbeitete mit
Titel Klingende Utopien – 100 Jahre Bauhaus     In einem kurzen Vorprogramm laufen, wie         führenden Komponisten ihrer Zeit wie Paul
beim Jazzfest Bonn präsentieren. Das Projekt    auch vor hundert Jahren im Kino üblich,         Dessau, Paul Hindemith, Kurt Weill und Ben-
ist eine kreative Kollaboration des Bundes-     Werbeanimationsfilme von Lotte Reiniger         jamin Britten. Das Konzert Klingende Utopien
jazzorchesters, der Eastman School of Music     (Das Geheimnis der Marquise, 1920) und Walter   erlaubt so eine neue Sicht auf die architekto-
und dem George Eastman Museum for Film          Ruttmann (Excelsior-Unverwüstlich, 1922)        nische Reise mit dem Bauhaus durch Berlin,
and Photography in den USA.                     aus der berühmten Werbeagentur Julius           Marseille und Tel Aviv. n
                                                                                                                                                  29
30
Wann gelingt Kommunikation, Andreas Schaerer?

„… wenn das Feuer des Dialogs gemeinsam ange-
facht wird. Man sich auf das Gegenüber einlässt und
sich gegenseitig zum Glühen bringen kann. Bei ei-
nem Konzert zum Beispiel erlebe ich die intensivsten
Formen von Kommunikation immer dann, wenn man
mit der größtmöglichen Offenheit auf den Moment,
die Musik und das Publikum zugeht. Am schwierigsten ist
es, wenn man mit konkreten Erwartungen in den Abend
geht und versucht, den Dialog in eine gewisse Richtung
zu biegen. Loslassen und auch mal die Spannung in
der Ruhe, der Pause genießen, führt oft zu den wirklich
magischen Augenblicken. Intensive Kommunikation
ist authentisch und entsteht aus dem Moment. Man
kann ihr keine Fließrichtung aufzwingen, es ist ein
kollektiver Prozess.“
                                                                                    Andreas Schaerer
                                                                                    tritt am
                                                                                    Samstag,
                                                                                    28. April,
                                                                                    in der
                                                                                    Universität
                                                                                    Bonn auf.

                                                        Wann gelingt Kommunikation, Clara Haberkamp?

„Einer meiner Songtexte zum Thema Kommunikation: In diesem Fall
geht es um „nonverbale Kommunikation“. In dem Song wird klar,
dass es nicht die Worte sind, sondern die Aufmerksamkeit fürein-
ander, die eine Kommunikation ermöglicht. In einer Zeit, in der die
digitale Welt einen unverantwortlich großen Raum eingenommen hat,
ist Aufmerksamkeit Neon Hill
für das Gegen- Shining Neon Hill
über extrem wich- Light and Shadow on my window sill
tig. Neon Hill soll You have a thousand faces
einen Ort verkör-
                      Quiet mountain lake
pern, an dem die
                      Pale blue eyes
reale Welt wieder
                      Your smile has left traces in my heart
zum Mittelpunkt der
Menschen wird.“       A pink leaf falls down on my feet
                      I can breathe again
                      You are the friend I need
                      Like Huckleberry Finn to Mark Twain
                     My burning heart finds relief and I can breathe
                     When you hold my hand in the foreign land
                     Shining Neon Hill
                     Light and Shadow on my window sill                             Clara Haberkamp
                     And the mountain lake remains calm and still                   ist mit SASKYA zu
                                                                                    sehen am
                     by Clara Haberkamp                                             Donnerstag,
                                                                                    26. April, im
                                                                                    Post Tower.

                                                                                                        31
Improvisation ist das Gegenteil von Kontrolle.
                                                   Wer improvisiert, verlässt den vorgegebenen
                                                   Weg der Planung, erfindet sich und die Situation
                                                   neu, macht die Tür zum Unvorhersehbaren auf.

     Improvisation,
                                                                      Oft aus der Not geboren – wenn Technik
                                                                      oder Plan versagen – tritt der Mensch
                                                                      mit einer Eigenschaft in Erscheinung,
                                                                      die ihn für immer von Maschinen

         Spiel und                                                    und Algorithmen unterscheiden wird:
                                                                      spontan, intuitiv und unmittelbar auf eine
                                                                      unvorhergesehene Situation reagieren

           Diskurs
                                                                      zu können. Geschieht etwas Ungewöhnliches,
                                                                      das Improvisation erfordert, schauen

          in der digitalen Kultur
                                                                      wir dem Menschen ins wahre Gesicht.

 Sabria David

                                      Improvisation braucht ein Gegenüber,
                                      jemanden, der den Spielball
                                                                                         Unvermutetes
                                      aufnimmt und zurückspielt.
                                                                                         Das Wort Improvisation leitet sich aus dem la-
                                      Improvisation ist deshalb auch                     teinischen improvisus „nicht vorhergesehen,
                                                                                         unvermutet“ ab. Wer sich ansehen will, was
                                      in höchstem Maße diskursiv.                        aus Unvermutetem und Unvorhergesehenem
                                                                                         entstehen kann, der sehe sich im Internet
                                      Bringen die diskursiven                            eine der Aufzeichnungen an, in denen die
                                                                                         klassische Pianistin Gabriela Montero in der
                                      digitalen Medien                                   Kölner Philharmonie zu dem Lied „Mer losse
                                                                                         d’r Dom en Kölle“ improvisiert. Am Ende
                                      Improvisation ins Spiel?                           ihres Konzertes fragt sie ihr Publikum nach
                                                                                         „something traditional“, zu dem sie impro-
                                      Ja, und das ist wunderbar.                         visieren könne. Das Kölner Publikum einigt
                                                                                         sich in der Konzerthalle zu Füßen des Doms
                                      Innovation braucht Spiel.                          spontan auf den Kölner Klassiker der Band
                                                                                         Bläck Föss und die Pianistin improvisiert auf
                                      Neues entsteht erst durch das                      die angebotene Tonfolge am Konzertflügel.
                                                                                         Das Beispiel zeigt wunderbar die Elemente
                                      Wechselspiel von Absicht                           von Improvisation und was daran diskursiv,
                                                                                         also „ein hin und her gehendes Gespräch“ ist:
                                      und Improvisation.                                 Man öffnet eine Situation ins Ungewisse und
                                                                                         lässt Ungeplantes auf sich zu kommen. Das
                                                                                         Publikum reagiert und antwortet spontan auf
                                                                                         die Frage. Sie wiederum nimmt den Ball auf
                                                                                         und spinnt daraus ihre Improvisation – gewis-
                                                                                         sermaßen in einem weiteren Diskurs zwischen
                                                                                         dem Motiv und ihren musikalischen Eingebun-
                                                                                         gen. Sich öffnen, zuhören, aufnehmen und
                                                                                         daraus etwas weiterentwickeln – das sind die
 Sabria David ist Gründerin des Slow Media
                                                                                         Tänzelschritte der Improvisation.
 Instituts mit Sitz in Bonn, das zu den Potenti-
 alen und Auswirkungen des digitalen Wandels
 auf Gesellschaft, Arbeit und Medien forscht
 und berät. Sie ist Mitautorin des Slow Media
 Manifests und der Declaration of Liquid Culture
 sowie ehrenamtlich stellvertretende Vorsitzende
 des Präsidiums von Wikimedia Deutschland.

32
Wechselspiel von Senden                           Wir suchen ein Gegenüber                         Und deshalb ist neben Improvisation und
und Empfangen                                                                                      Ehrlichkeit in der digitalen Kommunikations-
                                                  Das Gedicht ist Gespräch, es sucht ein Gegen-    kultur auch ein Drittes gefragt: Fehlertoleranz
Empfangen und Senden sind also die Grund-         über, sagte der Dichter Paul Celan einst. Dies   und das Annehmen von Unperfektheit. Das
prinzipien der Improvisation – aber zur           gilt auch für die digitale Kommunikation. Sie    Akzeptieren der Unplanbarkeit. Dass manches
Diskursivität wird es erst, wenn die Rollen       sucht ein Gegenüber. Sie sucht das Gespräch,     außerhalb der Kontrolle liegt. Auch dies
hier nicht statisch festgelegt sind, sondern      sie will den Austausch. Und im Gegensatz zu      schließt wieder an die Improvisation an, die
wechseln. Wenn also nicht einer nur sendet        einem gedruckten Gedicht muss es nicht bei       ein Spiel außerhalb absoluter Kontrolle ist –
und der andere empfängt. Viele der Effekte        einer einsamen Geste bleiben – denn es kann      wenn auch innerhalb gesetzter Spielregeln.
des digitalen Wandels lassen sich genau da-       ja wirklich Antwort kommen. Der Ball, den
rauf zurückführen: Die digitale Infrastruktur     man ins Leere einer Leser-, Hörer-, Zuschauer-   Das spielerische Hin und Her bedeutet
schafft einen Wechselkanal, ermöglicht also,      schaft wirft, kann von jemand Aufmerksamem       Diskursivität. Das Hin und Her zwischen Frage
dass nicht nur etwas nach draußen gesendet        aufgenommen und zurückgeworfen werden.           und Antwort. Das Hin und Her zwischen zwei
wird, sondern dass auch etwas zurückkom-                                                           Menschen, die einander zugewandt sind. Das
men kann. Im Netz kann jeder zum Sender           Damit blühen Aspekte, die bisher der Münd-       Hin und Her zwischen einer Situation und
werden. Wer liest, kann auch schreiben. Einen     lichkeit vorbehalten waren, in der digitalen     dem Menschen in dieser Situation. Zwischen
Blogbeitrag verfassen, einen Zeitungsarti-        Schriftkultur auf: Unmittelbarkeit, Reaktion,    einem Redner auf der Bühne und dem Pub-
kel kommentieren oder weiterleiten. Einen         Improvisation, Spontaneität. Eine gute und       likum. Zwischen Musikern, die miteinander
Wikipedia-Eintrag aktualisieren, eine mitge-      konstruktive digitale Kommunikation nutzt        improvisieren. Zwischen Zeitung und Lesern.
filmte Situation bei YouTube hochladen. So        dies, um Verbindung herzustellen, Nähe zu        Es ist die Ur-Kulturtechnik des Menschen –
wird Öffentlichkeit neu definiert, Herrschafts-   erzeugen und um miteinander im wechseln-         das Gespräch – das so im Digitalen wieder-
wissen hinterfragt, Meinung gemacht, der          den Austausch etwas Neues zu erschaffen.         erlebt wird.
gesellschaftliche Diskursraum neu erschaffen.
                                                  Die Zukunft im Neuland                           In einer Welt voller Disruptionen und Verän-
Dass dies sowohl Licht- wie Schattenseiten                                                         derungen ist die Fähigkeit, zu improvisieren
hat, versteht sich von selbst. Denn alles, was    Als Radiosender einen Twitteraccount zu          und auf unvorhergesehene Veränderungen
mächtig ist, wird auch instrumentalisiert. Mit    eröffnen, ist eine gute Idee. Wer aber über      kreativ und konstruktiv reagieren zu können,
einem Mausklick kann einer validen Aussage        diesen Kanal nur Sendedaten twittert und         eine Fähigkeit, die über unsere Zukunft ent-
eine alternative Aussage danebengestellt          nicht auf individuelle Fragen antwortet,         scheidet. Gabriele Montero sagt zu dem Vor-
werden. „Alternative Fakten“, „Fake News“         verfehlt das Prinzip. Nur Senden ist natürlich   gang des Improvisierens in einem Interview:
und „pseudo science“ sind die destruktiven        leichter. Auf eine unvorhergesehene Frage zu     „It‘s far out and it‘s risk-taking and it‘s wild
Früchte, die auf diesem Nährboden wachsen.        antworten verlangt mehr. Verlangt Aufmerk-       and it‘s adventurous!“. Ganz wie das Leben.
                                                  samkeit, Reaktion, Zuhören und Antwort. Da       Erst recht in einer digitalen Gesellschaft, die
Die positive Seite: Das Gespräch, der Aus-        ist Improvisation gefragt, und Ehrlichkeit.      sich von Sekunde zu Sekunde verändert und
tausch, die Diskursivität halten Einzug in        Eine Antwort wie „Das konnten wir leider         ihre Gestalt wechselt. n
die Schriftkultur. Denn das Internet ist ein      nicht nachrecherchieren“, sagt auf der
Schriftmedium, das nach den Regeln der            Beziehungsebene: „Du bist da, wir haben dich
Mündlichkeit funktioniert. Twitter, Facebook,     gesehen und gehört.“ Auch wenn die Frage –
WhatsApp und andere soziale Medien bilden         auf Sachebene – nicht beantworten werden
Gespräche in Schriftform ab. Man muss diese       kann. Antwort bedeutet in erster Linie gese-
schriftliche Mündlichkeit als Element der         hen und wahrgenommen werden.
digitalen Kultur aber verstehen, um sie
sinnvoll anwenden zu können.

                                                                                                                                                      33
Sie können auch lesen