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Institut für den öffentlichen Sektor Public AUSGABE FRÜHJAHR 2021 Governance ZEITSCHRIFT FÜR ÖFFENTLICHES MANAGEMENT Verwaltung digital – doch wer macht’s? Gastkommentar Dr. Markus Richter Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Verwaltung in Krisenzeiten – Auswirkungen der Pandemie auf den öffentlichen Dienst Bürokratismus – Ursachen und Lösungs- vorschläge Neuorientierung für die Unternehmens- beteiligungen im Bereich des Bundes Gefördert durch © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
INHALT Editorial 3 Die Krise bleibt – nicht die einzige Herausforderung Gastkommentar 4 Digital gegen die Krise: IT-Fachkräfte dringend benötigt Schwerpunktthema 6 Verwaltung digital – doch wer macht’s? 9 Über das Projekt: IT-Fachkräfte im öffentlichen Sektor Im Fokus 12 Verwaltung in Krisenzeiten – Auswirkungen der Pandemie auf den öffentlichen Dienst 15 Blitzumfrage – Öffentliche Finanzen in der Corona-Krise: Die Pandemie trifft besonders die Kommunen Standpunkt 16 Bürokratismus – Ursachen und Lösungsvorschläge 19 Neuorientierung für die Unternehmensbeteiligungen im Bereich des Bundes ktuelles aus Verwaltungswirtschaft A und öffentlichen Unternehmen 22 Corona-Krise Öffentliche Verwaltung gibt sich gutes Zeugnis in der Krise (und Weiteres) 23Corporate Governance Bundesunternehmen sollen beim Frauenanteil im Vorstand Vorbild sein (und Weiteres) 24 Digitalisierung IT-Sicherheitsgesetz 2.0: BSI wird gestärkt (und Weiteres) 26 Öffentliche Finanzwirtschaft Fast 2,2 Billionen Euro – öffentliche Schulden erreichen Höchststand (und Weiteres) Haushalts- und Rechnungswesen 27 Entlastung für Kommunen in NRW: Das neue NKF-COVID-19-Isolierungsgesetz (und Weiteres) Verwaltungsmodernisierung 28 Studie der Hertie School: Neuer Schwung durch „Querwechsler” Nachhaltigkeit 28 Klimaschutzfinanzierung trotz Haushaltsnotlage – neuer Leitfaden für Kommunen (und Weiteres) Gesundheitswirtschaft 28 Bundesministerium für Gesundheit fördert Investitionen zur Digitalisierung der Kliniken Recht und Steuern 29 Jahressteuergesetz erleichtert Gemeinnützigkeit von Servicegesellschaften (und Weiteres) ÖPNV 30 ÖPNV: Veränderte Kundennachfrage durch Corona-Krise In eigener Sache 30 Deutschlandweite Übersicht von GovTech-Start-ups (und Weiteres) Service 31 Abonnement PublicGovernance, Impressum, Ansprechpartner © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
3 EDITORIAL Die Krise bleibt – nicht die einzige Herausforderung chenden europaweiten Vergleiche zei- erklärt in ihrem Standpunkt Ursachen gen dies seit Jahren – hat in Deutschland für Bürokratiebelastungen und schlägt deutlichen Nachholbedarf. Die Krise hat Lösungen vor, die Unternehmen insbe- das noch klarer sichtbar gemacht. sondere in Krisenzeiten entlasten könn- ten. Stefan Ramge, Ministerialdirektor Die Digitalisierung ist aber nur auf den und Leiter der Abteilung Beteiligungen, ersten Blick eine Angelegenheit von Bundesimmobilien und Privatisierungen Infrastruktur, Technologie und Daten. Vor im Bundesfinanzministerium, beschäftigt allem ist sie eine Frage des Organisa sich mit dem neuen Public Corporate tionswandels sowie von entsprechend Governance Kodex des Bundes und stellt dafür bereiten und ausgebildeten Men- dessen Regelungen in unserer Zeitschrift schen. Wer aber kann diese Aufgabe vor. schultern – brauchen wir dafür mehr Per- sonal, möglicherweise speziell ausgebil- Unserem wissenschaftlichen Leiter, Prof. dete Fachkräfte? Und falls ja, wie viele? Dr. Gerhard Hammerschmid, verdanken wir einen Einblick in die unmittelbare Diese Fragen hat sich auch das Institut Krisenbewältigung der öffentlichen Ver- für den öffentlichen Sektor gestellt und waltung. Sein Beitrag beruht auf Ergeb- deshalb gemeinsam mit der Wirtschafts- nissen einer Studie unter Verwaltungs universität ESMT Berlin eine Analyse organisationen. zum IT-Fachkräftebedarf im öffentlichen Sektor auf Basis der Umsetzung des Wir freuen uns über Ihr Interesse an Onlinezugangsgesetzes (OZG) durchge unserer Zeitschrift und wünschen Ihnen Auch im Jahr 2021 bleibt die Corona- führt. Unser herzlicher Dank gilt dem Pro- eine spannende Lektüre – sowie weiter- Krise die drängendste vorherrschende jektteam der ESMT Berlin. Die Ergeb hin beste Gesundheit! Aufgabe für Staat und Verwaltung. Die nisse der Analyse finden Sie im Schwer- akute Krisenbewältigung – sei es die Im- punktbeitrag dieser Ausgabe. plementierung der Impfstrategie oder die Auszahlung der Staatshilfen – fordert nun Wir freuen uns ganz besonders, dass schon seit über zwölf Monaten alle Dr. Markus Richter, Staatssekretär im Ulrich Maas Kräfte. Dabei bleiben zugleich die länger- Bundesinnenministerium und Beauftrag- Vorsitzender fristigen Herausforderungen erhalten, mit ter der Bundesregierung für Informa Institut für den öffentlichen Sektor e.V. denen die öffentliche Hand auch über tionstechnik, in seinem Gastkommentar das hoffentlich baldige Ende der Pande- aufzeigt, welche Maßnahmen der Bund mie hinaus umgehen muss. aktuell unternimmt, um dem Bedarf an IT-Personal und IT-Weiterbildung ange- Während bei der großen Aufgabe unse- messen zu begegnen. An dieser Stelle rer Zeit, der Eindämmung des Klimawan- danken wir ihm herzlich für seinen hoch- dels, die krisenbedingten Einschränkun- aktuellen Beitrag. gen von Wirtschaft und Verkehr sogar zu einer Entlastung beim Ausstoß von CO2 Mit Stolz und großem Dank an zwei führen, ist bei der Digitalisierung ein weitere außerordentlich sachkundige, deutlich erhöhter Druck festzustellen. profilierte Persönlichkeiten möchten wir Der digitale Wandel ist durch die Corona- in dieser Ausgabe auf weitere Beiträge Pandemie sogar noch beschleunigt und aus externer Feder verweisen: Dr. Gisela verstärkt worden. Die Digitalisierung der Meister-Scheufelen, Vorsitzende des öffentlichen Verwaltung – die entspre- Normenkontrollrats Baden-Württemberg, PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
4 GASTKOMMENTAR Digital gegen die Krise: IT-Fachkräfte dringend benötigt „Wir sind bund“ – das ist das Motto und der Name der laufenden Kampagne des Stellen- und Aus bildungsportals der Bundesverwaltung, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entwickelt hat. Mit vier bunten Sprechblasen in geometrischen Formen hinterlegt ist der Schrift- zug seit Beginn des Jahres in Werbespots und auf Plakaten zu sehen. „Wir sind bund“ ist nur ein Beispiel für die vielen Kampagnen und Projekte der Bundesverwaltung, die junge Menschen wie auch Menschen mit Berufserfahrung ansprechen, um sie für den öffentlichen Dienst zu gewin- nen. In vielen Bereichen wird Nachwuchs gesucht, ganz besonders aber liegt der Fokus immer wieder auf IT-Fachkräften. Der IT-Fachkräftemangel ist ein Problem, gesamte Struktur lässt jedoch auch mit dem die Bundesverwaltung nicht noch Baustellen sichtbar werden. Diesen alleine dasteht. Eine Umfrage des Digital- widmet sich seit 2019 die vom Digital- verbands Bitkom e.V. stellte Ende 2020 ka binett eingesetzte interministerielle fest, dass in Deutschland über alle Bran- Arbeitsgruppe „Personal in der Digitalen chen – außer dem öffentlichen Sektor – Verwaltung (PersDiV)“. Quelle: Henning Schacht verteilt 86.000 Stellen für IT-Fachkräfte unbesetzt sind. Für den Bundesdienst In mehreren Unterarbeitsgruppen be- alleine fehlen bis zum Jahr 2023 bis zu trachtet die AG PersDiV gezielt Themen 23.000 IT-Fachkräfte. Um künftig mit wie die Gewinnung von Schlüsselfach- Arbeitgebern aus der Privatwirtschaft kräften, die Diversifizierung von Abschlüs- konkurrieren zu können, muss die Bun- sen und neue Arbeitsweisen. Zudem hat Dr. Markus Richter desverwaltung sich nicht nur gut nach sie den Aufbau einer Arbeitgebermarke Staatssekretär im Bundesministerium außen präsentieren. Sie muss auch in Bund angeregt, der inzwischen in die des Innern, für Bau und Heimat sowie sich selbst investieren sowie innovativer Federführung des BMI übergegangen Beauftragter der Bundesregierung für und agiler werden. ist. Ein weiterer Schwerpunkt der AG Informationstechnik liegt auf der Stärkung digitaler Kompe- Dem IT-Fachkräftemangel begegnen tenzen in der Bundesverwaltung. Gerade Für eine verstärkte Gewinnung und dies spielt eine wichtige Rolle, denn Bewerbung von IT-Fachkräften ist die neben der Gewinnung von neuem Perso- gesamte Struktur des öffentlichen Diens- nal ist es essenziell, auch in die Digital- tes als Arbeitgeber zu betrachten. Der kompetenzen des Bestandspersonals zu öffentliche Dienst bietet viele Vorteile. investieren und die Ausbildung von Digi- Sicherheit, flexible Arbeitsmodelle, Auf- talkompetenzen in die dualen Studien- stiegsmöglichkeiten und umfassende gänge der Hochschulen des Bundes zu Fortbildungsangebote sind dabei nur integrieren. einige Beispiele. Gerade in den letzten Jahren konnten zum Beispiel durch eine Digitalkompetenzen ausbauen Reihe tarif- und besoldungsrechtlicher Der Kompetenzaufbau in der Bundesver- Verbesserungen und Flexibilisierungen waltung durch allgemeine berufsbeglei- für das Bestandspersonal sowie für tende Fortbildungen – insbesondere der die Fachkräftegewinnung wichtige Fort- Fortbildung von Nachwuchskräften und schritte erzielt werden. Der Blick auf die Führungskräften sowie der Fortbildung PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
GASTKOMMENTAR 5 im internationalen Bereich – ist Aufgaben- Arbeitswelt und durch die Einführung rungen. Doch während häufig über Infra- schwerpunkt der Bundesakademie für neuer, moderner Arbeitsformen (New struktur und Verwaltungsdienstleis tun öffentliche Verwaltung (BAköV). Diese Work), aber auch durch andere Entwick- gen diskutiert wird, dürfen wir die Men- hat in Bezug auf die Digitalisierung drei lungen, zum Beispiel im Bereich der schen dahinter nicht vergessen. Dafür ist zentrale Kompetenzgebiete identifiziert: Nachhaltigkeit, berücksichtigen. Offen- die Bundesverwaltung innovativer, agiler Fachliche Kompetenzen, soziale Kompe- heit für Innovationen, Kreativität, Flexi- und effizienter zu gestalten: Personal tenzen und sogenannte Selbstkompeten- bilität und Selbstständigkeit kann nicht gewinnung – wie durch die „Wir sind zen. Die fachlichen Kompetenzen umfas- erzwungen werden. Ein Fortbildungsan- bund“-Kampagne und die Ausbildungs- sen dabei Fähigkeiten, wie die Potenziale gebot, das diese Werte vorlebt, kann gänge der Hochschulen des Bundes – der Digitalisierung für den eigenen Ar- viele Beschäftigte an neue Arbeitswei- und Personalentwicklung – wie durch die beitsbereich nutzbar zu machen, nicht sen heranführen. Vorreiter hierfür ist die Fortbildungsangebote der BAköV im digitalisierte Geschäftsprozesse in digi- Digitalakademie für die Bundesverwal- Rahmen der Digitalakademie – spielen tale Prozesse umzuwandeln und Daten tung. Sie ist Teil der BAköV und wird ab hier eine zentrale Rolle. Nur eine Verwal- aus unterschiedlichen Quellen zu ana Ende Mai 2021 allen Beschäftigten des tung, deren Personal offen für Innovation lysieren, zu bewerten, miteinander zu Bundes zur Verfügung stehen. und neue Arbeitsweisen ist, wird den verknüpfen und für die eigene Arbeit auf- Herausforderungen der Zukunft erfolg- zubereiten. Zu sozialen Kompetenzen Die Digitalakademie reich begegnen können. Daher müssen gehören Fähigkeiten wie die Initiierung, Die Digitalakademie wird zunächst als wir es schaffen, Räume zu kreieren, in Steuerung und aktive Mitgestaltung von Onlineportal starten, auf dem Fortbil- denen die Beschäftigten sich mit den Change-Prozessen oder die agile und dungsangebote für verschiedene Ziel- Möglichkeiten der digitalen Transforma- zielorientierte Führung von Mitarbeiterin- gruppen und Aufgabenbereiche zur Ver- tion auseinandersetzen und Innovation nen und Mitarbeitern. Auch zählen die fügung gestellt werden. Diese Angebote erleben können. So können insbeson- Fähigkeiten dazu, Mitarbeitende zu ei- werden sukzessive weiter ausgebaut. dere Kreativität und die Offenheit gegen- nem engagierten Team zu formen, beim Die Digitalakademie wird so zum einen über neuen Technologien gefördert wer- Einsatz technischer Kommunikations digitale Lernformate wie Webinare, elek- den. Sie bilden die Grundvoraussetzung mittel Empathie und Wertschätzung zu tronische Lernprogramme und Lern für einen Innovationswillen und die Be- zeigen sowie den richtigen Kommuni - videos und zum anderen dann aber auch reitschaft, sich neue Digitalkompetenz kationsweg für die jeweilige Situation Präsenzveranstaltungen wie Seminare anzueignen. zu wählen. Selbstkompetenzen sind un- und Workshops umfassen. ter anderem die Fähigkeit, sich selbst zu Nicht nur aufgrund des Fachkräfteman reflektieren, sich ständig weiterzuent Ergänzend zu den Vorhaben der Digital gels, sondern insbesondere aus der wickeln und sich auf neue Arbeitsformen akademie wird zudem zurzeit durch Motivation heraus, die Arbeitswelt von einzulassen. den IT-Planungsrat der eGov-Campus, morgen mitzugestalten, ist es essenziell, eine verwaltungsübergreifende digitale in die Stärkung der Digitalkompetenzen Der digitale Wandel geht mit neuen An- Hochschulplattform für „eGovernment – aller Beschäftigten zu investieren. Denn forderungen einher. Die BAköV zielt daher Verwaltungsinformatik“, aufgebaut. Im eines ist sicher: Die Digitalisierung bietet auf punktgenaue Fortbildungen, die den Gegensatz zur Digitalakademie liegt der enorme Chancen für den Fortschritt in konkreten Bedarf der und des Einzelnen Fokus des eGov-Campus auf den Hoch- vielen Lebensbereichen. Diese gilt es zu treffen. Dazu werden aufgabenbezogene schulen und somit auf der Ausbildung. ergreifen und zu realisieren. Anforderungsprofile in den Behörden entwickelt, die bereits die künftigen Ver- Die Digitalisierung stellt die Bundes - änderungen durch die Digitalisierung der verwaltung vor gewaltige Herausforde- PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
6 SCHWERPUNKT THEMA Verwaltung digital – doch wer macht’s? Bis Ende 2022 sollen Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltungsleistungen über Onlinepor- tale auch digital anbieten. Allein mit der Entwicklung und erstmaligen Implementierung digitaler Prozesse ist es dabei nicht getan. Die digitalen Lösungen müssen langfristig betrieben, regelmä- ßig gewartet und aktualisiert werden. Schätzungen zeigen nun, dass zur Realisierung dieses Projekts insgesamt 46.600 IT-Fachkräfte benötigt werden. Von diesen müssten mindestens 33.000 direkt bei der öffentlichen Verwaltung angesiedelt sein, da nicht alle IT-Aufgaben von externen Dienstleistern übernommen werden sollten. Dies entspricht rund 75 Prozent der gesamten IT- Personalressourcen in der öffentlichen Verwaltung. Erstmals wurde der Personalbedarf geschätzt, den die öffentliche Verwaltung zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) benötigt. Eine Projektgruppe aus MBA-Studenten der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin hat gemeinsam mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und dem Institut für den öffentlichen Sektor den Bedarf an IT-Fachkräften für die Entwicklung, Implementierung und nachfolgende Wartung der 575 OZG-Leistungsbündel, die Teil des OZG-Digitalisierungsprogramms sind, geschätzt.1 Das Schätzmodell (siehe Info- kasten auf Seite 9) legt für die Phasen der Entwicklung und Implementierung einen Realisierungszeitraum von insgesamt fünf Jahren zugrunde, analog zu der Frist von circa fünf Jahren, die der Gesetzgeber für die Umsetzung des OZG eingeräumt hat (2017 bis 2022). Unberücksichtigt bleibt der bislang in der Praxis realisierte Fort- schritt der OZG-Umsetzung: So wurden beispielsweise einzelne OZG-Leistungen bereits entwickelt und sind in ausgewählten Gebieten digital verfügbar, etwa der Onlineantrag für Elterngeld. Vorrangig wurde der Gesamtbedarf für die vollständige Realisierung des OZG-Digita lisierungsprogramms ermittelt. Immerhin steht ein Großteil der OZG-Umsetzung noch aus, nämlich die flächen Für das Digitalisierungsprogramm des OZG werden deckende Implementierung aller Onlineleistungen.2 schätzungsweise 46.600 IT-Fachkräfte benötigt Gemäß den Kalkulationen der ESMT-Projektgruppe benötigen Bund, Länder und Kommunen insgesamt rund 46.600 IT-Fachkräfte, um alle OZG- Leistungen flächendeckend in der deutschen Verwaltung umzusetzen und um in der Lage zu sein, diese regelmäßig zu warten und zu aktualisieren. Phase 1, die Entwick- lung, kann dabei zentral und mit vergleichsweise sehr geringem Personalbedarf erfolgen. Für Phase 2, die Implementierung in allen Gebietskörperschaften, ist der Personalbedarf bereits deutlich größer. Dabei gründet die Kalkulation auch hier auf der Annahme, dass sich die Länder und Kommunen bei der Implementierung an den zentral entwickelten Musterprozessen orientieren. Phase 3, der laufende Unterhalt und die Wartung der digitalen Verwaltungsleistungen, müsste allerdings weitgehend dezentral erfolgen, das heißt in den Verwaltungsorganisationen von Bund, Ländern und Kommunen. Sie erfordert deshalb mit geschätzt über 30.000 IT-Fachkräften den höchsten Personaleinsatz. 1 Die Umsetzung des Projekts „Portalverbund“, das ebenfalls Bestandteil des OZG ist, bleibt bei den vorliegenden Kalkulationen unberücksichtigt. 2 Laut Angaben des OZG-Dashboards des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat sind bereits über die Hälfte der OZG-Leistungen verfügbar. Eine Leistung gilt aber bereits als digital „verfügbar“, sobald sie in nur einer Kommune den Reifegrad 2 erreicht hat. Reifegrad 2 bedeutet, dass grundsätzlich ein Onlineantrag verfügbar ist, aber möglicherweise noch nicht alle Nachweise rechtsverbindlich übermittelt oder Bescheide digital zugestellt werden können. Das aktuelle OZG-Dashboard kann unter www.onlinezugangsgesetz.de eingesehen werden. PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
SCHWERPUNKTTHEMA 7 Abbildung: Geschätzter Personalbedarf (IT-Fachkräfte) zur Umsetzung des OZG-Digitalisierungsprogramms auf allen Verwaltungsebenen 50.000 32.500 46.600 46.600 Ein Großteil des Personalbedarfs in 40.000 der Entwicklungs- und Implementierungs- phase könnte an externe (IT-)Dienstleister ausgelagert werden. 30.000 33.300 20.000 13.800 10.000 300 0 Entwicklung Implementierung Wartung Gesamt Unter Berücksichtigung (Phase 1) (Phase 2) (Phase 3) von Outsourcing Quelle: Institut für den öffentlichen Sektor e.V. auf Basis von Berechnungen der ESMT Berlin (2021) IT-Fachkräftebedarf auch nach Aufgabenauslagerung sehr hoch Ein Großteil der Entwicklung und der Implementierung (Pilotierung) der digitalen Pro- zesse im Rahmen des OZG wurde bereits an externe (IT-)Dienstleister ausgelagert. Doch nicht alle Aufgaben können extern vergeben werden und sollten auch aus strategischen Gründen innerhalb der eigenen Verwaltungsorganisation verbleiben. Hierzu dürften mindestens die langfristige Bereitstellung, Wartung und Aktualisie- rung der digitalen Verwaltungsdienste zählen. Unter der Annahme, dass die Verwal- tung „digital souverän“ bleiben will, dürfte sie sich bei der längerfristigen Aufrechter- haltung ihrer digitalen Infrastruktur nicht in die Abhängigkeit von externen Dienstleis- tern begeben. Um ausreichend eigene Expertise aufzubauen, sollten daher auch in der Entwicklungs- und Implementierungsphase zumindest die Managementfunktio- nen in der jeweiligen Organisation verbleiben. Unter Berücksichtigung dessen sinkt bei der Auslagerung eines Großteils der Auf gaben in der Entwicklungs- und Implementierungsphase der geschätzte Personal bedarf für die öffentliche Verwaltung im Berechnungsmodell der ESMT von insgesamt 46.600 auf 33.000 IT-Fachkräfte (vergleiche Abbildung). Damit bleibt der Personal- bedarf groß, denn gemäß dem vorliegenden Modell entfällt der größte Bedarf auf die Phase der regelmäßigen Wartung und Aktualisierung. Selbst unter Berücksichtigung von Verwaltungskooperationen auf kommunaler Ebene werden für diese Phase schätzungsweise über 30.000 IT-Fachkräfte benötigt (vergleiche Abbildung) – Per sonal, das langfristig nicht ausgelagert werden sollte. Neugestaltung der Prozesse notwendig Nutzerorientierung ist das zentrale Paradigma der OZG-Implementierung. Laut IT-Planungsrat sollen nicht allein die analogen Antragsprozesse digital „übersetzt“ werden. Vielmehr sollen die Prozesse stärker an die Bedürfnisse der Nutzer, das heißt der Bürger, Unternehmen und Verwaltungsmitarbeiter, angepasst werden. Mithilfe agiler Methoden werden die nutzerorientierten Prozesse in Digitalisierungs- laboren entwickelt. So beruhen die hier vorgestellten Kalkulationen der ESMT auf der Annahme, dass die Entwicklungsteams mit der Scrum-Methode arbeiten und dass neben einem Scrum-Master auch UX-/UI-Spezialisten Teil des Teams sind. Der Bedarf an diesen besonderen Projektmanagement-Kenntnissen stellt über die Rekrutierung von IT-Personal hinaus nochmals erhöhte Anforderungen an die Perso- nalsuche. PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
8 SCHWERPUNKTTHEMA Digitalisierungsprogramm beansprucht 75 Prozent des IT-Personals Aktuell sind laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit rund 28.500 sozialversiche- rungspflichtig Beschäftigte in Informatik- und anderen IKT-Berufen im öffentlichen Sektor tätig.3 Hinzu kommen Beamte im IT-Bereich. Da für diese keine Statistik vor- liegt, wird näherungsweise die „Beamtenquote“ des Personals im öffentlichen Dienst herangezogen. Diese betrug zuletzt 36 Prozent.4 Demnach ist einschließlich der Be- amten von rund 44.500 IT-Fachkräften in der öffentlichen Verwaltung auszugehen. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt, dass die Zahl der IT-Fachkräfte im öffentlichen Dienst in den vergangenen fünf Jahren um etwa 5 Prozent pro Jahr ge- stiegen ist.5 Ein Großteil der heutigen IT-Personalressourcen war demnach schon vor Verabschiedung des Onlinezugangsgesetzes im Jahr 2017 vorhanden. So ist davon auszugehen, dass die meisten dieser Beschäftigten bereits Aktuelle Personallücke bei IT-Fachkräften mit anderen Aufgaben als der Umsetzung des OZG befasst schätzungsweise fünfstellig sind. Als weitere Beispiele der Verwaltungsdigitalisierung kön- nen die Umsetzung der E-Akte, der E-Rechnung oder der E-Vergabe genannt werden. Auch für die Bereitstellung der IT-Infrastruktur und die Gewährleistung der IT-Sicherheit wird Personal benötigt. Die Umsetzung des OZG- Digitalisierungsprogramms ist ein zusätzliches Projekt, für das vor dem Hintergrund der geschilderten Berechnungen allein mindestens 75 Prozent des gesamten ver fügbaren IT-Personals im öffentlichen Sektor gebraucht werden. Das vorhandene Personal dürfte dafür nicht ausreichen, es ist von einer fünfstelligen Lücke bei den IT-Fachkräften auszugehen. Nach Aussagen des zuständigen Staatssekretärs fehlen allein im Bundesdienst bis zum Jahr 2023 bis zu 23.000 IT-Fachkräfte.6 Woher sollen neue IT-Fachkräfte kommen? Der Wettbewerb ist hart Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit schließen rund 26.000 Informatikstu- denten pro Jahr ihr Studium erfolgreich ab.7 Hinzu kommen laut Prüfungsstatistik der Industrie- und Handelskammer jährlich etwa 1.000 erfolgreich abgeschlossene Prü- fungen zur/zum Informatikkauffrau/-mann. Gemessen an der Gesamtzahl der sozial- versicherungspflichtig beschäftigten IT-Fachkräfte in Deutschland arbeiten davon aber nur gut 3 Prozent in der öffentlichen Verwaltung.8 Unterstellt man eine ähnliche Quote für die Berufswahl der Absolventen, so hätten pro Jahr nur circa 800 IT-Absol- venten mit (Fach-)Hochschulabschluss oder erfolgreicher Ausbildung zur/zum Infor matikkauffrau/-mann Interesse an einer Tätigkeit im öffentlichen Sektor. Doch längst nicht alle Positionen können mit wenig erfahrenen Absolventen besetzt werden. Absolventen ohne Berufserfahrung könnten gemäß des Rechenmodells der ESMT etwa die Hälfte der Positionen für Entwickler, UX-/UI-Spezialisten, den IT-Sup- port und die Unterstützung bei der Implementierung übernehmen. Etwa 70 Prozent des gesamten Personalbedarfs sollten auf Basis der Annahmen im hier vorgestellten Modell jedoch mit erfahrenem Personal besetzt werden. Bei erfahrenen IT-Fachkräf- ten ist der Wettbewerb mit dem Privatsektor noch deutlich größer. Laut einer Unter- suchung des Branchenverbands Bitkom gab es Ende 2020 in der Gesamtwirtschaft (exklusive Landwirtschaft und öffentlicher Sektor) 86.000 unbesetzte Stellen für IT- Fachkräfte. Knapp zwei Drittel der untersuchten Unternehmen rechnen in den kom- menden Jahren mit einer weiteren Verschärfung der Situation.9 3 Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach ausgeübter Tätigkeit (43 Informatik- und andere IKT-Berufe) nach ausgewählten Wirtschaftszweigen WZ 2008; Auswertung für „84 Öffentliche Verwaltung“; Zeitreihe 2015 –2020 zum Stichtag 30.6.2020; Auswertung auf Anfrage 4 dbb beamtenbund und tarifunion (2019): Zahlen Daten Fakten, S. 10 ff. (Anteil der Beamten an den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, ohne Richter und Soldaten) 5 Vgl. Fußnote 3 6 Siehe Gastkommentar von Staatssekretär Dr. Markus Richter auf S. 4 in dieser Ausgabe: „Digital gegen die Krise: IT-Fachkräfte dringend benötigt“ 7 Bundesagentur für Arbeit (2019): Blickpunkt Arbeitsmarkt IT-Fachleute, S. 16; Zahlen für das Jahr 2017, basierend auf Angaben des Statistischen Bundesamts 8 Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach ausgeübter Tätigkeit (43 Informatik- und andere IKT-Berufe) nach ausgewählten Wirtschaftszweigen WZ 2008; Stichtag 30.6.2020; Auswertung auf Anfrage 9 Bitkom e. V., Pressemitteilung vom 16.12.2020: 86.000 offene Stellen für IT-Fachkräfte (Bitkom Research befragte 856 Geschäftsführer und Personal- leiter von Unternehmen ab drei Mitarbeitern aller Branchen, ohne Landwirtschaft und öffentlichen Sektor.) PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
SCHWERPUNKTTHEMA 9 Über das Projekt: IT-Fachkräfte im öffentlichen Sektor Mit dem Ziel, den gesamten IT-Personalbedarf für die Um- 2. Phase: Implementierung in den Verwaltungen von Bund, setzung des Digitalisierungsprogramms des Onlinezugangs Ländern und Kommunen gesetzes (OZG) zu ermitteln, haben MBA-Studenten der Anzahl der zu implementierenden Prozesse: 2.163 ESMT Berlin in Zusammenarbeit mit der KPMG AG Wirt- Gemäß Umsetzungskatalog des IT-Planungsrats von 2018 schaftsprüfungsgesellschaft und dem Institut für den öffent- entfallen davon lichen Sektor im Zeitraum von November bis Dezember 2020 – 358 Typ 1-Leistungen auf die Bundesebene (Multiplikator: 1) ein Berechnungsmodell entwickelt. Ergänzt wurden die – 23 Typ 5-Leistungen auf die kommunale Ebene (Multiplika Kalkulationen um Analysen des Arbeits- und Ausbildungs- tor: 5.100; dies entspricht der Anzahl der Meldebehörden marktes für IT-Fachkräfte. als Näherungswert für die Anzahl eigenständiger Kommu- Das Berechnungsmodell wurde in drei Phasen unterteilt nalverwaltungen) und basiert auf folgenden Annahmen: – 1.782 Typ 2/3/4-Leistungen auf die Länderebene oder kommunale Ebene; basierend auf Informationen des Dach- 1. Phase: Design und Entwicklung der digitalen Prozesse verbands der kommunalen IT-Dienstleister in NRW lassen Anzahl der zu digitalisierenden Prozesse: 2.163 sich diese Leistungen wie folgt aufteilen: Das OZG besteht aus 575 Leistungsbündeln, die einzelne • 45 Prozent bzw. 802 auf Länderebene (Multiplikator: 16) Prozesse aus dem LeiKa (Leistungskatalog der öffentlichen • 16 Prozent bzw. 285 auf die kreisfreien Städte und Land- Verwaltung) zusammenfassen. Insgesamt beinhaltet der kreise (Multiplikator: 401) LeiKa rund 6.000 Leistungen und Verrichtungen (Verrichtun- • 39 Prozent bzw. 695 auf die kreisangehörigen Städte und gen beschreiben konkrete Verfahrensabläufe und werden im Gemeinden (Multiplikator: 4.990; dies entspricht der LeiKa unter anderem nach Zielgruppen aufgegliedert). Ge- Anzahl der Meldebehörden abzüglich der 107 kreisfreien mäß dem OZG-Umsetzungskatalog des IT-Planungsrats von Städte und drei Stadtstaaten) 2018 bleiben abzüglich der Verrichtungen insgesamt 2.163 Teamzusammensetzung und Kapazität: Durchschnittlich Leistungen, die von Bund, Ländern und Kommunen erbracht 5,2 VZÄ implementieren 100 Prozesse in vier Monaten werden. Benötigt werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Eine aktuellere Leistungsübersicht in dieser Form ist nicht folgenden Profilen: IT-Fachkräfte für die Implementierung, verfügbar, die Anzahl der Prozesse hat sich seit dem Jahr ein Umsetzungsmanager sowie anteilig ein Programm- 2018 aber tendenziell erhöht. Daher handelt es sich bei die- Manager, der für bis zu fünf Teams zuständig ist. sem Berechnungsmodell um eine konservative Schätzung. Projektdauer: fünf Jahre Weitere Annahme für die Kalkulation: Die Prozesse werden 3. Phase: Wartung und Aktualisierung zentral entwickelt und anschließend in der Fläche imple mentiert. Anzahl der zu wartenden Prozesse und Multiplikatoren: Vergleiche Phase 2 Teamzusammensetzung und Kapazität: Durchschnittlich 9,5 Vollzeitäquivalente (VZÄ) entwickeln fünf Prozesse in vier Teamzusammensetzung und Kapazität: Monaten Ein VZÄ Systemadministrator, zwei VZÄ Support-Mitarbeiter Benötigt werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sowie anteilig ein Datenspezialist und ein Teammanager den folgenden Profilen: Entwickler, UX-/UI-Spezialisten, ein warten im Schnitt circa 450 einzelne Prozesse. Scrum-Master (anteilig), ein Product Owner sowie anteilig Projektdauer: laufend ein Softwarearchitekt, ein Produktmanager sowie Analysten für Leistung und Barrierefreiheit. Wir bedanken uns bei dem Projektteam der ESMT Berlin für die gute Zusammenarbeit: Givi Dzamashvili, Tamar Kobaladze, Projektdauer: fünf Jahre Huyen Nguyen und Aparajith Raman. PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
10 SCHWERPUNKTTHEMA IT-Fachkräfte suchen Entwicklungsmöglichkeiten und Innovationskultur Um die Präferenzen von IT-Fachkräften einschätzen zu können, hat das Projektteam der ESMT im November 2020 ein Stimmungsbild eingeholt. Befragt wurden 28 IT- Fachkräfte, die in Deutschland tätig sind, und 37, die in anderen Ländern arbeiten. Sie haben im Schnitt drei Jahre Berufserfahrung; 26 Prozent verfügen über Arbeitserfah- rung im öffentlichen Sektor. Die drei wichtigsten Kriterien bei Öffentlicher Sektor bei Gehalt und der Berufswahl sind für diese Gruppen die Entwicklungsmög- Innovationskultur im Nachteil lichkeiten, Anerkennung und interessante Aufgaben. Insbeson- dere bei den Entwicklungsmöglichkeiten schneidet der öffent- liche Sektor als Arbeitgeber im Vergleich zur Privatwirtschaft aber schlecht ab. Keiner der befragten IT-Fachkräfte, die in Deutschland tätig sind, und nur 3 von 37 Befragten, die in anderen Ländern arbeiten, präferieren in diesem Aspekt den öffentlichen Sek- tor. Auch bei weiteren Punkten wie der Innovationskultur und den Gehaltsstrukturen schneidet der Privatsektor deutlich besser ab – und zwar mit jeweils über 90 Prozent Zustimmung insbesondere bei den in Deutschland beschäftigten IT-Fachkräften. Lösungsansätze: Die öffentliche Verwaltung muss an Attraktivität gewinnen Der öffentliche Sektor muss sich in erster Linie als Arbeitgeber gegenüber der Privat- wirtschaft behaupten. Schon beim Thema Recruiting sollte die öffentliche Verwaltung stärker auf die Gewohnheiten der Zielgruppe eingehen und die Stellen über Social- Media-Portale bzw. digitale Jobportale vermarkten. Die vorab erwähnte Befragung hat gezeigt, dass sich die IT-Fachkräfte in erster Linie auf Onlineplattformen wie LinkedIn, Indeed oder Xing informieren. Auch die Geschwindigkeit beim Einstel- lungsprozess muss sich erhöhen. Bei den Kriterien für die Berufswahl bleiben die Spielräume der öffentlichen Verwal- tung hinsichtlich Vergütung und Entwicklung durch das Tarifsystem bzw. die Besol- dungsstrukturen eingeschränkt. Die Bundesverwaltung will zwar auf Grundlage eines im Jahr 2019 verabschiedeten Gesetzes mit einer Prämie in Höhe von bis zu 80.000 Euro für IT-Fachkräfte attraktiver werden10, diese Maß- Öffentliche Verwaltung muss gezielter für sich nahme allein wird aber nicht ausreichen und gilt zudem nicht werben und eigene Vorteile klar benennen für alle Verwaltungsebenen. Daher sollten noch stärker die po- sitiven Aspekte der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Vorteile eines Beamtenstatus in den Vordergrund gerückt werden. Entsprechend den in der oben erwähnten Befragung genannten Kriterien sollten die Gemeinwohl orientierung und eine damit einhergehende Anerkennung einer Tätigkeit für den öf- fentlichen Sektor betont werden. Im Sinne des Aspekts „interessante Aufgaben“ sollte ebenfalls die gesellschaftliche Relevanz in den Vordergrund gestellt werden. Vor allem aber muss das Arbeitsumfeld in den Behörden der öffentlichen Verwaltung attraktiver werden. Hierzu zählen die IT-Ausstattung und digitale Infrastruktur oder die räumliche Gestaltung des Arbeitsplatzes genauso wie die Arbeitsweise. Agile Arbeitsformen und Räume für Innovation müssen noch flächendeckender Einzug in Behörden halten. Eine positive Auswirkung infolge der Corona-Pandemie ist auch im öffentlichen Sektor die gestiegene Flexibilität hinsichtlich mobilem bzw. ortsunab- hängigem Arbeiten und flexiblere Kern- bzw. Regelarbeitszeiten.11 Dies gilt es im Hin- blick auf die Rekrutierung von IT-Fachkräften zu bewahren und – wo nötig – weiter auszubauen.12 Der Einsatz mobiler Rechner, der Zugang über VPN-Verbindungen und Technologien zur virtuellen Zusammenarbeit sind dafür Grundvoraussetzungen. Gerade in den Kommunalverwaltungen fehlt es aber oftmals an der entsprechenden digitalen Infrastruktur. Laut einer Befragung aus dem November 2020, die Bitkom und 10 Gesetz zur Modernisierung der Strukturen des Besoldungsrechts vom 9.12.2019, in Kraft getreten am 1.1.2020 11 BCG und Hertie School Centre for Digital Governance (2020): Die Verwaltung als Gewinnerin der Corona-Krise? Ergebnisse der Befragung von Führungskräften im öffentlichen Sektor, S. 23. Wir berichten über die Studie in dieser Ausgabe, siehe S. 22–23 12 Vgl. Thiersch, K. et al. (2019): Arbeitgeber(un)attraktivität der öffentlichen Verwaltung für IT-Nachwuchskräfte. In: Verwaltung & Management, 25. Jg., Heft 1, S. 28 – 36. Eine Befragung unter Studentinnen und Studenten der Informatik zeigt, dass die Möglichkeit für Home-Office und flexible Arbeits zeiten zu den am häufigsten genannten Leistungen zählen, die von einem Arbeitgeber angeboten werden sollten. PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
SCHWERPUNKTTHEMA 11 der Deutsche Städtetag beauftragten, ist die Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice bei der Hälfte der Kommunen kategorisch ausgeschlossen.13 Begründet wird dies unter anderem mit fehlendem technischen Know-how.14 Damit aber kein „Henne-Ei- Problem“ entsteht, sollte die öffentliche Verwaltung mit den bereits verfügbaren Personalressourcen im IT-Bereich und mit Unterstützung externer IT-Dienstleister oder Berater kurzfristig die infrastrukturellen Voraussetzungen schaffen, um künftig für IT-Fachkräfte attraktiver zu werden. Raum für Innovation und flexible Arbeitsformen schaffen Maßnahmen, junge Menschen und insbesondere mehr junge Frauen für ein Informatikstudium oder eine Ausbildung im IT-Bereich zu motivieren – hierzu zählt zum Beispiel die viel diskutierte Forderung nach häufigerem und besse- rem Informatikunterricht in den Schulen –, können unterstützend wirken. Öffnen für IT-Expertise von außen Zusätzlich sollte sich die Verwaltung verstärkt nach außen öffnen. So gilt der öffent liche Dienst in Deutschland weiterhin als sehr „geschlossen“, es dominiert das Lauf- bahnsystem mit strengen Zugangsvoraussetzungen, das wenig Mobilität zwischen öffentlichem und privatem Sektor zulässt.15 „Querwechsler“, die vom privaten in den öffentlichen Sektor wechseln, könnten dort aber Veränderungsprozesse vorantreiben und sich mit Methodenkompetenz und spezifischem Fachwissen gerade in Quer- schnittsbereichen, wie unter anderem auch der IT bzw. Verwaltungsdigitalisierung, einbringen.16 Querwechsler aus der Privatwirtschaft Nicht zuletzt müssen auch vermehrt ausländische Fachkräfte können eine Chance darstellen im IT-Bereich angeworben werden. Denn die in diesem Bei- trag dargestellten Zahlen zeigen, dass der IT-Fachkräftebedarf in der öffentlichen Verwaltung angesichts der großen Lücke im Privatsektor kaum mit dem Angebot auf dem heimischen Arbeitsmarkt gedeckt werden kann. Ressourcen bündeln – vor allem auf kommunaler Ebene Eine Blitzumfrage unter Verwaltungsexperten, die das Institut für den öffentlichen Sektor im Jahr 2019 durchführte, zeigt, dass nur ein Viertel der Befragten damit rech- net, dass sich ihre Institution bzw. Gebietskörperschaft bei der OZG-Umsetzung an den zentral erarbeiteten Musterprozessen orientieren wird. Die Mehrheit gehe davon aus, dass neben den Prozessen aus den Entwicklungsgemeinschaften von Bund, Ländern und Kommunen auch individuelle digitale Prozesse entwickelt würden.17 Dies würde den Personalbedarf im IT-Bereich zusätzlich erhöhen. Denn die hier prä- sentierten Kalkulationen gehen von einer flächendeckenden Implementierung zent- ral entwickelter digitaler Prozesse aus. Daher sollte viel mehr auf Synergien sowie Zusammenarbeit, Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Lernen gesetzt werden. IT-Dienstleister wie zum Beispiel auf kommunaler Ebene die AKDB in Bayern oder KISA in Sachsen bzw. auf Landes- ebene BITBW (Baden-Württemberg) bündeln dabei Expertenwissen in öffentlicher Hand und ermöglichen eine IT-Konsolidierung.18 Die Aufgaben sind groß, doch die Ressourcen knapp. Statt ihre jeweils eigenen Prozesse zu entwickeln, erscheint es sinnvoller, dass sich die Gebietskörperschaften und Behörden auf die angespannte Personalsituation konzentrieren. Franziska Holler, Ferdinand Schuster 13 Bitkom und Deutscher Städte- und Gemeindebund (2020): Corona hat in Kommunen einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Befragung zur Digitalisierung der Kommunen in der Corona-Krise. Verfügbar unter www.bitkom-research.de. Wir berichten über die Umfrage in dieser Ausgabe, siehe S. 24 –25 14 Ebenda 15 Gerhard Hammerschmid und Thurid Hustedt (2020): Querwechsler als Impulsgeber für die Verwaltung von morgen. Kurzstudie über Potenzial, Kompetenzen und Erfahrungen von Querwechslern, S. 6. Wir berichten über die Studie in dieser Ausgabe, siehe S. 28 16 Ebenda, S. 16 ff. 17 PublicGovernance Sommer 2019: Blitzumfrage: Planmäßige OZG-Umsetzung bis 2022 wird skeptisch gesehen, S. 30 18 Vgl. zu kommunalen IT-Dienstleistern: Alexander Fricke et. al (2020): Service- und Produktorientierung als Strategie für IT-Service-Provider der öffentlichen Hand. In: PublicGovernance Herbst/Winter 2020, S. 17–19 PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
12 IM FOKUS Verwaltung in Krisenzeiten – Auswirkungen der Pandemie auf den öffentlichen Dienst Für Verwaltungsbehörden ist die Bewältigung der durch die Pandemie ausgelösten Herausforderun gen, ebenso wie für viele Unternehmen, ein außergewöhnlicher Stresstest. Verwaltungsbeschäftigte aller Verwaltungsebenen mussten innerhalb kürzester Zeit auf einen Krisenmodus umschwenken, um gleichzeitig ihre Arbeitsfähigkeit und Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger sowie für die Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Krisenstäbe wurden eingerichtet, Hilfs- Sechstel der Befragten auch deutliche dabei ein starkes West-Ost-Gefälle: pakete geschnürt, digitale Lösungen ent- Leistungseinbußen wahr. Die Funktionsfähigkeit der Verwaltun- wickelt und auch das mobile Arbeiten 2. Die Arbeitsbelastung der Verwaltung gen in den westdeutschen Bundes- wurde massiv vorangetrieben. Doch ist ist klar angestiegen. Rund 40 Prozent ländern wurde deutlich besser bewer- es den Verwaltungen auf Bundes-, Lan- der Befragten sehen eine höhere oder tet als in den meisten ostdeutschen des- und Kommunalebene gelungen, wesentlich höhere Arbeitsbelastung. Bundesländern. leistungsfähig zu bleiben und wie haben Auf kommunaler Ebene beträgt dieser 5. Die Nutzung von digitalen Verwal- die Beschäftigten in den Verwaltungs Wert sogar 50 Prozent. tungsservices hat insbesondere unter organisationen die Corona-Krise bislang 3. Rund ein Viertel der Beschäftigten den jüngeren Alterskohorten zuge- erlebt? Wie haben Bürgerinnen und Bür- wurde im Schnitt mit anderen Auf nommen, aber die Erfahrung der Nut- ger die Verwaltung bisher wahrgenom- gaben betraut, in den Kommunen war zerinnen und Nutzer ist sehr durch- men? Was ist gelungen und wo besteht es sogar mehr als ein Drittel. Beide wachsen. Insgesamt hat rund ein noch Handlungsbedarf? Diesen Fragen Ergebnisse bestätigen, dass die Kom- Fünftel der Bürgerinnen und Bürger ist die Studie der Beratungsagentur munen die Hauptlast der Corona- im Vergleich zu der Zeit vor der Pande- Next:Public in Kooperation mit dem Cen- Pandemie tragen und damit das Rück- mie verstärkt Gebrauch von digitalen tre for Digital Governance an der Hertie grat der Pandemiebekämpfung sind. Verwaltungs services gemacht. Fast School und mit weiteren Praxispartnern Gleichzeitig sind sie aber gerade im die Hälfte sieht die Qualität der digita- sowie dem dbb Beamtenbund und Tarif- Hinblick auf digitale Ausstattung und len Verwaltungsleistungen allerdings union nachgegangen. Möglichkeiten zu Homeoffice deutlich kritisch. schlechter gestellt als Bundes- oder 6. Trotz hoher Unzufriedenheit mit digita- Leistungsfähigkeit der Verwaltung Landesbehörden. len Angeboten der Verwaltung plant während der Pandemie insgesamt 4. Die Außensicht der Bürgerinnen und mehr als ein Drittel der Bürgerinnen positiv bewertet Bürger fällt deutlich kritischer aus als und Bürger, digitale Dienstleistungen Die Ergebnisse der Studie spiegeln die die Innensicht der Verwaltungsmitar- der Verwaltung stärker zu nutzen – Vielfalt der einschneidenden Veränderun- beiterinnen und -mitarbeiter. Wenn- hier vor allem jüngere Alterskohorten gen in der Arbeitsweise der Verwaltung gleich fast die Hälfte der befragten und diejenigen mit höheren Bildungs- wider. Die Studie gewährt Einblicke so- Bürgerinnen und Bürger die Verwal- abschlüssen. Allerdings tendieren wei- wohl in die Innensicht der Verwaltung als tung auch in der Corona-Krise als funk- terhin über 40 Prozent der Befragten auch in die Außensicht der Bürgerinnen tionsfähig wahrgenommen hat, sieht eher dagegen. Für die Zukunft wün- und Bürger. Diese lassen sich zu sechs rund ein Drittel der Befragten die Ver- schen sich gemäß der Studie viele zentralen Ergebnissen zusammenfassen: waltung als weniger (27 Prozent) oder Bürgerinnen und Bürger, verstärkt per gar nicht (9 Prozent) funktionsfähig. E-Mail, Kontaktformular oder Online- 1. Der Großteil der Mitarbeiterinnen und Berücksichtigt man nur diejenigen, die dienst mit der Verwaltung kommuni- Mitarbeiter sieht die Leistungsfähig- 2020 tatsächlich Kontakt zur Verwal- zieren zu können. Allerdings bleibt der keit der eigenen Verwaltung ange- tung hatten (60 Prozent), verstärkt Termin vor Ort für knapp 40 Prozent sichts der Corona-Krise insgesamt sich das Bild (44 Prozent positiv ver- der Befragten auch zukünftig wichtig. positiv. Allerdings nimmt rund ein sus 41 Prozent negativ). Auffallend ist PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
IM FOKUS 13 Abbildung: Veränderungen, die Mitarbeitende der Verwaltung nach der Pandemie bewahren möchten (Mehrfachnennungen möglich) 0% 25 % 50 % 75 % 100 % Stärkere Möglichkeit zu Homeoffice 87 kämpften mit Server- und Netzwerk Arbeitszeitflexibilisierung 80 problemen und mussten mangelhafte Flexible Kommunikationsformate IT-Ausstattung mit dem Einsatz privater 54 ersetzen Dienstreisen Technik kompensieren. Angesichts die- Videokonferenzen 50 ser Schwierigkeiten und Begleitumstände wird das Thema Homeoffice dennoch Onlinekommunikation mit Bürgern insgesamt sehr positiv gesehen. Auffällig 38 und Unternehmen ist, dass 83 Prozent der befragten Mitar- Sonstiges 5 beitenden für die Zeit nach Corona den klaren Wunsch nach der Möglichkeit zur Quelle: Next:Public (2020): Verwaltung in Krisenzeiten, S. 44 mobilen Arbeit äußerten, knapp gefolgt von Arbeitszeitflexibilisierung (80 Pro- zent). Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Corona als Beschleuniger von Der Wechsel zum Homeoffice wurde im Homeoffice fühlten sich im Gegen- Homeoffice zudem von erheblichen Herausforderun- satz zu ihren Kolleginnen und Kollegen, Die Studienergebnisse zeigen einen gen begleitet. Die Hälfte der Befragten die vor Ort arbeiteten, besser informiert sprunghaften Bedeutungsanstieg mobi- beklagt neben technischen Hürden auch und schätzten ihre Arbeitsbelastung ge- len Arbeitens angesichts der Pandemie. Herausforderungen in Bezug auf den ringer ein. So hatten viele Verwaltungen Allerdings legen die Ergebnisse auch of- Austausch mit den Arbeitskolleginnen neue Formate eingeführt – wie etwa täg- fen, dass der Verwaltung der Übergang und -kollegen sowie die Vereinbarkeit liche oder wöchentliche Telefonkonferen- ins Homeoffice nur teilweise gelungen von Beruf und Familie während des Lock- zen, die zu einer Verbesserung des fach ist. Rund die Hälfte aller befragten Ver- downs. Knapp zwei Drittel der Befragten lichen Austausches führten. waltungsmitarbeiterinnen und -mitarbei- ter war bereits während der ersten Pan- demiewelle überwiegend im Homeoffice Studiendesign tätig: Im Bund waren dies 67 Prozent, in Die Studie stellt eine einmalige Bestandsaufnahme der den Ländern 55 Prozent und in den Kom- Innen- und Außensicht von Behörden dar und basiert munen allerdings nur 37 Prozent. Gleich- auf einer umfassenden Befragung von jeweils rund zeitig musste jeder Vierte trotz Lock- 5.000 Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern down täglich an den Arbeitsplatz und für Verwaltung in Krisenzeiten aller Verwaltungsebenen sowie von Bürgerinnen und Eine Bestandsaufnahme der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Öffentlichen Dienst knapp zwei Drittel galt dies zumindest Bürgern. Sie wurde im Sommer 2020 durchgeführt. regelmäßig. Im Kontrast dazu steht die Ergänzend wurden 25 qualitative Interviews mit Exper- Privatwirtschaft, die im zweiten Quartal Content Sponsoren tinnen und Experten durchgeführt, um Handlungsemp- Ideelle Sponsoren 2020 rund 60 Prozent ihrer Angestellten fehlungen abzuleiten. Die Studie ist zugleich die erste zumindest teilweise das mobile Arbeiten Medienpartner umfassende empirische Analyse zum Thema Home Wissenschaftliche Partner Eine Initiative von ermöglicht hat – im Vergleich zu knapp office in der deutschen Verwaltung. Sie wurde von der 40 Prozent vor der Pandemie, so ein www.nextpublic.de Beratungsagentur Next:Public in Zusammenarbeit mit wesentliches Ergebnis der Randstad-ifo- dem Centre for Digital Governance an der Hertie School als wissenschaftlichem Personalleiterbefragung.1 Partner (Prof. Dr. Gerhard Hammerschmid) durchgeführt und von zahlreichen Pra- xispartnern sowie dem dbb Beamtenbund und Tarifunion unterstützt. Folgende Zentraler Grund für die holprige Umstel- drei Methoden und Datenquellen wurden verwendet: lung ist die Tatsache, dass Homeoffice bzw. mobiles Arbeiten vor der Corona- 1. Onlinebefragung der Verwaltung: 4.832 Verwaltungsmitarbeiterinnen und Krise in der öffentlichen Verwaltung nur -mitarbeiter in Deutschland beantworteten 39 Fragen im Zeitraum von Juli bis ansatzweise umgesetzt war: 45 Prozent August 2021 (45 Prozent auf Bundesebene, 31 Prozent auf Länderebene und der befragten Beschäftigten hatten vor 24 Prozent aus den Kommunen). Insgesamt 25 Prozent aller Befragten über alle 2020 schlicht keine Möglichkeit dazu – Verwaltungsebenen hinweg waren Führungskräfte. 56 Prozent auf kommunaler Ebene ge- 2. Onlinebefragung der Bürger: Eine repräsentative Befragung von 5.000 Personen genüber 30 Prozent auf Bundesebene. in Deutschland durch den Partner Civey im Juli 2020. Die Befragung umfasste Die Pandemie hat das grundlegend geän- zehn Fragen zur allgemeinen Wahrnehmung der Verwaltung und zu digitalen dert: Für knapp ein Drittel der Befragten, Verwaltungsleistungen. die aktuell überwiegend im Homeoffice 3. Interviews mit Experten: Vertiefende Interviews mit 25 ausgewählten Expertin- arbeiten, war vor der Pandemie mobiles nen und Experten der öffentlichen Verwaltung aus unterschiedlichen Positio- Arbeiten noch keine Option. nen, Organisationen und Verwaltungsebenen zur Interpretation der Befragungs- ergebnisse und zur Entwicklung von Handlungsempfehlungen. 1 ifo Institut (2020): Randstad-ifo-Personalleiterbefragung, 3.8.2020 – Homeoffice und Digitalisierung unter Corona (2. Quartal 2020), unter: Download der Studie: www.nextpublic.de/studie-verwaltung-in-krisenzeiten www.ifo.de, zuletzt abgerufen am 15.3.2021 PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
14 IM FOKUS Implikationen für die Zukunft der men innerhalb weniger Tage in den Län- Kollaborationslösungen definiert, Tools Verwaltungsdigitalisierung dern digital zur Verfügung gestellt. empfiehlt und nicht zuletzt maßge- Die Studie bestätigt einen deutlichen schneiderte Lösungen aufbaut. Digitalisierungsschub durch die Corona- Handlungsempfehlungen Pandemie und sieht einen entschei- Um Homeoffice und Digitalisierung auch 3. Personal und Führung: Führungs- denden Beitrag der Digitalisierung zur nach der Corona-Krise als „neue Norma- kräfte in der Verwaltung sollten mobiles Krisenresilienz der Verwaltung. In den lität“ zu etablieren, formuliert die Studie Arbeiten zur „neuen Normalität“ machen ergänzenden Experteninterviews wurde folgende Handlungsempfehlungen: und zum organisationskulturellen Wan- festgestellt, dass die Corona-Krise mit del in Richtung stärkerer Digitalisierung einer zunehmenden Innovations- und 1. Förderung der digitalen Befähi- beitragen. Dazu gehört, langwierige Experimentierfreude in der Verwaltung gung: Kommunalbehörden sollten im Antragsprozesse zu überdenken und einhergeht und sich dadurch die Rah- Rahmen eines „Digitalpakt Verwaltung“ Dienstvereinbarungen anzupassen. Im menbedingungen für die Digitalisierung stärker digital befähigt werden. Als Zuge dessen sollten bewährte Neuerun- eindeutig verbessert haben. Im Vergleich Hauptlastenträger der Pandemiebe- gen wie flexible Arbeitszeitmodelle und zum Status quo vor 2020 wird nun ver- kämpfung kommt ihnen besondere Auf- Präsenzzeiten beibehalten werden. Darü- stärkt auf Cloud-Lösungen, Homeoffice, merksamkeit zu. Außerdem zeigte sich, ber hinaus ist eine agile und menschen- Datenportale, Videokonferenzen und an- dass viele Kommunen vergleichsweise zentrierte Führungskultur erforderlich, dere digitale Tools gesetzt. innovationsoffen sind und bereits digitale die hohe Kommunikationskompetenz und Impulse gesetzt haben, an die verstärkt Empathie voraussetzt. Diese Schritte Im Gegensatz zu diesen positiven Befun- angeknüpft werden sollte. Ein entspre- sind zudem im Sinne der Arbeitgeber den legt die Studie auch grundlegende chendes Bund-Länder-Förderprogramm attraktivität notwendig, da insbesondere Defizite bei der Veränderungsfähigkeit, der könnte gezielt die IT-Ausstattung, die ge- jüngere Bewerberinnen und Bewerber verwaltungsinternen Digitalisierung sowie eignete technische Infrastruktur, Cloud- Flexibilität und Homeoffice einfordern. bei Onlinedienstleistungen für Bürgerin- Lösungen, die digitalen Kompetenzen nen und Bürger offen. Bei den befragten der Beschäftigten und Konzepte zur agi- 4. Fokus auf die Nutzer: Alle digitalen Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitar- len Verwaltung fördern. Verwaltungsservices für Bürger und Un- beitern bestehen zudem Zweifel hinsicht- ternehmen sollten nutzerfreundlicher ge- lich einer nachhaltigen Wirkung der Ver- 2. Verwaltungsdigitalisierung: Seitens staltet werden. Sobald die Nutzererfah- änderungen. Dies gilt insbesondere in des Bundes und der Länder sollte die rung positiv ist, zeigen sich Bürgerinnen Bezug auf schnellere Entscheidungsfin- interne Verwaltungsdigitalisierung kon- und Bürger deutlich offener, zukünftig dung. Und gerade einmal 50 Prozent der sequent vorangetrieben werden. Dies mehr digitale Verwaltungsservices zu Befragten wünschen sich, Videokonfe- betrifft insbesondere die Einführung der nutzen. Die Nutzungswahrscheinlichkeit renzen auch in der Zeit nach der Krise bei- E-Akte, gilt aber auch in Bezug auf die kann zudem durch rechtliche Vereinfa- zubehalten. Die Beibehaltung der Online- Fachverfahren. Die Länder haben im chungen, wie der Authentifizierung über kommunikation mit Bürgerinnen und Bür- Rahmen ihrer E-Government-Gesetze Benutzername/Passwort statt über den gern sowie mit Unternehmen nach der bisher keine Pflicht zur E-Akte auf den neuen Personalausweis, erhöht werden. Krise befürworten sogar nur 38 Prozent Weg gebracht. Diese ist allerdings eine Auch mittels niedrigschwelliger Ange- (vergleiche Abbildung auf Seite 13). Grundvoraussetzung, um sowohl mobi- bote wie etwa die Onlineterminvergabe les Arbeiten als auch digitale Verwal- im Bürgeramt ohne Registrierung ließe Trotz Unzufriedenheit und Vertrauensver- tungsservices für Bürgerinnen und Bür- sich der digitale Einstieg fördern. lusten in digitale Verwaltungsangebote ger sowie für Unternehmen zu ermög ist mehr als ein Drittel der Bürgerinnen lichen. Dazu müssen die Investitionen in 5. Weiterentwicklung von Services: und Bürger bereit, (bessere) digitale leistungsfähige Netz- und IT-Infrastruktu- Während der OZG-Umsetzung unter Verwaltungsservices künftig stärker zu ren verstärkt werden. Die notwendigen Pandemiebedingungen sollte auf eine nutzen. Dies gilt vor allem für jüngere Investitionen umfassen beispielsweise bedarfsorientierte Priorisierung des Aus- Jahrgänge. Es gibt aber auch positive stabile Zugriffsmöglichkeiten auf leis- baus digitaler Verwaltungsservices ge- Erfahrungen: Als Good Practice auf Län- tungsstarke Server- und Netzwerkinfra- achtet werden. Ein zentraler Vorschlag ist derebene erwähnt die Studie den Frei- strukturen, Glasfaseranschlüsse, Telefon- daher, solche digitalen Leistungen vor- staat Bayern, der durch eine Ausnahme- kapazitäten und VPN-Kanäle. Auf dieser rangig zu behandeln, die eine hohe Nach- genehmigung die digitale An-, Ab- und Grundlage lässt sich dem Wunsch nach frage und einen hohen Publikumsverkehr Ummeldung eines Kraftfahrzeugs über Homeoffice sowie nach digitalen Bürger- aufweisen – wie etwa die Kfz-Anmel- das Internet vereinfachte. Dadurch konnte und Unternehmensservices begegnen. dung, wo es in der Pandemie bisher häu- die komplizierte Authentifizierung mit Des Weiteren ist im Sinne der Vernet- fig zu Engpässen und langen Wartezei- der eID-Funktion des Personalausweises zung und des Austausches mit anderen ten gekommen ist. abgelöst werden. Vielfach wurde auch Verwaltungen der Aufbau eines ebenen- Prof. Dr. Gerhard Hammerschmid, die Antragstellung für Sofort hilfen für übergreifenden „Digital Work Teams“ Tim Hildebrandt, Soloselbstständige und kleine Unterneh- denkbar, das verbindliche Standards für Hertie School, Berlin PUBLIC GOVERNANCE Frühjahr 2021 © 2021 Institut für den öffentlichen Sektor e.V. Alle Rechte vorbehalten.
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