"Zombiestaat" Nordkorea - Zum Umgang mit schlecht regierten Staaten - Internationale Politik
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A N A LY S E N „Zombiestaat“ Nordkorea Zum Umgang mit schlecht regierten Staaten von Hanns W. Maull ihre Selbstbehauptung gegen den ie Demokratische Volksrepu- Süden und die Weltmacht USA. D blik Korea ist eine lebendige Paradoxie, ein zutiefst unzeit- gemäßes politisches Gebilde. An- Paradox ist allerdings nicht nur die Existenz Nordkoreas als isoliertes Au- ßenwerk in einer sich globalisieren- schaulich wird das, wenn man sich den Welt, sondern auch sein Über- nächtliche Satellitenaufnahmen von leben als eigenständiger Staat. Zahl- Nordostasien betrachtet: Nordkorea reiche Experten und zeitweilig auch erscheint da – im Kontrast zu dem von die Korea-Politik der USA und Süd- den Lichtern der modernen Indus- koreas gingen schon Mitte der neun- triegesellschaft aufgehellten Süden, ziger Jahre davon aus, dass der nord- den Küstenregionen Chinas und dem koreanische Staat binnen weniger japanischen Archipel – als „schwarzes Jahre zusammenbrechen und vom Loch“. Nordkorea lebt buchstäblich Süden aufgesogen würde.1 In der Tat und im übertragenen Sinne im Dun- fällt es schwer, dem nordkoreanischen keln, es hält sich aus den Netzwerken Staat auf längere Frist – etwa bis zum der Globalisierung heraus und kulti- Jahr 2020 – Überlebensperspektiven viert den Anspruch der Autarkie. zuzugestehen: Dieser Staat ist in vieler Davon profitiert das gegenwärtige Hinsicht bankrott und zugleich unfä- Regime, das an Brutalität und schierer hig zu Veränderungen, die Zukunfts- Bizarrheit seinesgleichen sucht: kaum perspektiven eröffnen würden. vorstellbar, dass diese Ordnung in Diese Einschätzung beruht vor einer offenen Gesellschaft überlebt allem auf dem massiven wirtschaftli- hätte. Den Preis für diese „bad gover- chen Versagen Nordkoreas, dessen nance“ aber zahlt die Bevölkerung Wirtschaftsaktivität sich von 1990 bis Nordkoreas, deren Lebenschancen 1996 nach nordkoreanischen Anga- durch das Regime empfindlich beein- ben halbiert hat; der Schrumpfungs- trächtigt und oft auch zerstört werden prozess setzte sich auch danach weiter und die obendrein in einem kaum fort. Erst in den letzten beiden Jahren vorstellbaren Maße indoktriniert und konsolidierte sich die Wirtschaftslage brutalisiert wird.Was ihr dafür als Ge- mit westlicher, vor allem südkorea- genleistung angeboten wird, ist ideo- nischer Hilfe auf äußerst niedrigem logisch aufgeladener Stolz auf die „Er- Niveau.2 Im Gefolge dieser wirtschaft- rungenschaften“ ihres Landes und lichen Talfahrt kam es zu chronischen Hungersnöten und dem Zerfall des Prof. Dr. Hanns W. Maull, Lehrstuhl für Außenpolitik und Gesundheitswesens. Der Kontrast Internationale Beziehungen, zwischen der Verelendung, Ausbeu- Universität Trier. tung und brutalen Repression dieser 10 I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K 8/2002
A N A LY S E N Bevölkerung mit dem attraktiven überschritten, dürfte dieses System zu wirtschaftlichen und gesellschaftli- erfolgreicher Anpassung unter Krisen- chen Gegenmodell Südkorea war bedingungen kaum fähig sein. Es feh- schärfer kaum vorstellbar. len zudem fast alle Mechanismen zur präventiven Entlastung des Systems durch kontrollierte Innovation: Jede Staatlicher Form von Reform- und Öffnungspoli- Zusammenhalt tik (etwa nach dem Vorbild der wirt- schaftspolitischen Reformen der as ermöglicht diesem Staat, Volksrepublik China,wie sie Pjöngjang W trotz krassen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Versagens von der chinesischen Führung nahe gelegt wird) birgt politische Risiken für weiter zu funktionieren? Auffallend die heutige politische Ordnung. ist zunächst, wie stark ausgeprägt die Was den Staat unter diesen Voraus- koreanische Staatsidee in Nordkorea setzungen zusammenhält, ist letztlich ist: Die DVRK versteht sich als Erbe Repression und nackte Gewalt. Seine der Jahrtausende alten koreanischen Funktion besteht heute praktisch aus- Staatstradition und als einzig legitime schließlich darin, das Überleben und Repräsentantin der koreanischen Na- den Herrschaftsanspruch des Re- tion; das Regime beansprucht dabei gimes nach innen und außen zu si- für seine politische Ordnung auch chern. Allein die Ausgaben für die Vorbildcharakter. Mit dieser Staats- Streitkräfte verschlingen mindestens ideologie – einer synkretistischen Mi- ein Viertel des BSP, hinzu kommen die schung aus marxistisch-leninisti- für die Sicherheitsdienste und den in- schen, stalinistischen und eigenstän- ternen Repressionsapparat.3 Der Staat digen, z.T. quasireligiösen Elementen leistet sich mit über einer Million Sol- – verknüpft sich ein Kult um den daten unter Waffen die viertgrößten Staatsgründer Kim Il Sung und seinen Streitkräfte der Welt (nach den USA, Sohn und Erben, Kim Jong Il. Dieser China, Russland und Indien).4 Diese Personenkult verleiht dem Regime Gewaltapparate sind zudem mit tech- Züge einer staatlich organisierten nologisch anspruchsvollen Sicher- Sekte. heits-, Waffen- und Rüstungstech- Angesichts seiner personalisierten nologien ausgestattet, darunter ato- Herrschaftsordnung ist Nordkorea zu- maren, biologischen und chemischen gleich aber auch ein permanent über- Massenvernichtungswaffen und weit lastetes System: Alle wichtigen Ent- reichenden Raketensystemen.5 scheidungen bedürfen offenbar min- All dies ist aufwändig: Um die not- destens der Zustimmung, wenn nicht wendigen Mittel zum Unterhalt des der Anordnung durch Kim Jong Il. Machtapparats und des Militärs auf- Damit ist diese politische Ordnung zubringen und darüber hinaus die zwar möglicherweise hoch belastbar, wirtschaftliche und gesellschaftliche aber zugleich höchst brüchig: Werden Infrastruktur sowie die Minimalver- die Toleranzgrenzen der Belastung sorgung eines hinlänglichen Teiles der 8/2002 I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K 11
A N A LY S E N Bevölkerung zu gewährleisten, muss des maroden Gesundheitssystems) der Staat Devisen erwirtschaften bzw. sicherzustellen oder ihren Tod in in anderer Form Ressourcen aus dem Kauf zu nehmen. Ausland mobilisieren. Traditionell ge- Die zweite Strategie setzte auf die schah dies durch Überweisungen der Erpressung der Staatengemeinschaft auf Nordkorea ausgerichteten korea- durch die „Geiselnahme“ der südko- nischen Minderheit in Japan,6 durch reanischen Hauptstadt Seoul. Ein Rüstungsexporte sowie durch staat- neuer Krieg auf der koreanischen lich organisierte Kriminalität (etwa Halbinsel würde zwar aller Voraus- den Zigaretten- und Drogenschmug- sicht nach mit der Zerstörung des gel durch koreanische Diplomaten nordkoreanischen Staates und der sowie Falschmünzerei).7 Vereinigung mit dem Süden enden, Die Systemkrise Nordkoreas in den doch würde Seoul – und damit ein neunziger Jahren beeinträchtigte frei- Viertel der südkoreanischen Bevölke- lich auch einen Teil dieser Einnahme- rung – aufgrund ihrer Grenznähe mit quellen. Insbesondere die Überwei- größter Wahrscheinlichkeit schwerste sungen aus Japan gingen in dem Zerstörungen erfahren. Eine dritte Maße stark zurück, in dem Nord- Strategie zielt auf andere Nachbar- korea bei der koreanischen Minder- staaten und die Staatengemeinschaft heit in Japan an Rückhalt einbüßte.8 insgesamt: Nordkoreas Massenver- Hinzu kam der Wegfall der sowjeti- nichtungswaffen und seine weit rei- schen Unterstützung und die Öff- chenden Trägersysteme bedrohen in- nung der VR China hin zu Südkorea, zwischen auch Japan, und ihr Export die Chinas Bereitschaft, Nordkorea in andere Regionen (etwa Südasien finanziell durch Energie- und Le- oder den Nahen und Mittleren Osten) bensmittellieferungen zu Sonder- gefährdet die Sicherheit weltweit. konditionen über Wasser zu halten, abschwächte.9 Nordkorea sah sich Erfolgreiche Erpressung deshalb veranlasst, nach anderen Möglichkeiten der externen Finan- Dass Nordkorea mit diesen Dro- zierung des Systems zu suchen. Dabei hungen in der Tat Ressourcen mobili- schälten sich folgende Erpressungs- sieren kann, zeigt die Errichtung zwei- strategien heraus: Die erste Strategie er von Südkorea finanzierter Kern- nahm die eigene Bevölkerung gewis- kraftwerke und die Lieferung von sermaßen in Geiselhaft und stellte die Schweröl in einer Größenordnung Staatengemeinschaft vor die Alterna- von insgesamt rund 4,6 Milliarden tive, das Überleben der Teile der Dollar hauptsächlich durch Südko- nordkoreanischen Bevölkerung, die rea, Japan, die USA und die Europäi- sich durch das Desaster der nord- sche Union im Gegenzug gegen die koreanischen Landwirtschaftspolitik Stilllegung und, perspektivisch, auch strukturell vom Hungertod bedroht die Aufgabe des nordkoreanischen sahen, durch Nahrungsmittelhilfe Kernwaffenprogramms und seiner (und auch durch die Unterstützung Nuklearanlagen.10 12 I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K 8/2002
A N A LY S E N Mit Hilfe dieser Strategien konnte Organisationen und den bilateralen sich der nordkoreanische Staat bis- Hilfeleistungen anderer Regierun- lang nach innen und nach außen er- gen), um die verfügbaren Ressourcen folgreich behaupten, obwohl seine ei- auf die aus Sicht der Regime zentrale gentlichen wirtschaftlichen Fun- Aufgabe zu konzentrieren: die Absi- damente längst zusammengebrochen cherung der bestehenden Machtver- sind und er über keine Zukunftsper- hältnisse. spektive mehr verfügt. Nordkorea ist Dies geschieht nicht nur durch Re- jedoch kein „gescheiterter Staat“ im pression im Innern oder Erpressung, Sinne gängiger Taxonomien, die auf sondern auch durch gezielte Koope- die Erfahrungen mit zerfallender rationsangebote, etwa an die Vereinig- Staatlichkeit mit vormodernen Vor- ten Staaten im Zusammenhang mit zeichen vor allem in Afrika und La- dem Kampf gegen den internationa- teinamerika abheben.11 Es handelt len Terrorismus: Im Gegenzug für die sich bei Nordkorea vielmehr um eine Bereitstellung von Stützpunkten, Ge- pervertierte Form von Staatlichkeit, heimdienstinformationen und Un- eine evolutionäre Sackgasse der mo- terstützung beim Vorgehen gegen tat- dernen Staatsentwicklung, in der sich sächliche oder angebliche internatio- durchaus auch andere Staaten finden nale Terrororganisationen lassen sich oder bald finden könnten – etwa Irak, so Hilfsgelder und politische Dul- Algerien oder die Nachfolgestaaten dung bzw. vielleicht sogar die aktive der Sowjetunion in Zentralasien. Unterstützung der bestehenden in- nenpolitischen Ordnung erreichen. All diese Aktivitäten können aller- Bad Governance dings nicht darüber hinwegtäuschen, In diesen „Zombiestaaten“ sind dass Zombiestaaten wirtschaftlich, Staat und Regime faktisch weitgehend gesellschaftlich und kulturell-ideo- deckungsgleich, die ökonomischen logisch nicht mehr lebensfähig sind. Grundlagen des Staates beruhen auf der Ausplünderung der Bodenschätze und der Bevölkerung, auf transnatio- Umgang mit nalen kriminellen Aktivitäten (mit Zombiestaaten Querverbindungen zur organisierten internationalen Kriminalität) und auf ie können die Nachbarn, wie der Mobilisierung externer Ressour- cen mit dem Verweis auf die Verant- W die Staatengemeinschaft mit Zombiestaaten wie Nordkorea umge- wortung der Staatengemeinschaft für hen? Idealtypisch lassen sich folgende die Konsequenzen des Staatsver- mögliche Reaktionen unterscheiden: sagens für die eigene Bevölkerung. Eindämmung und Quarantäne; Sub- Zombiestaaten überlassen wichtige version; Konfrontation sowie Soziali- Funktionen moderner Staatlichkeit sierung. externen Akteuren (wie Nichtregie- Eindämmung/Quarantäne: Bei die- rungsorganisationen, internationalen ser Strategie geht es darum, die mit 8/2002 I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K 13
A N A LY S E N Zombiestaaten verbundenen Risiken biestaat die Risiken der Subversion zu kontrollieren und zu verringern. kennt, genau beobachtet und Gegen- Eine kluge Politik der Eindämmung strategien entwickelt. braucht allerdings nicht nur die Fä- Konfrontation: Diese Strategie zielt higkeit zu robuster Selbstverteidigung darauf ab, den Zombiestaat möglichst und auch zur Abschreckung des Zom- rasch zu eliminieren. Die ihr zugrun- biestaats bzw. seiner Machthaber de liegende Logik hebt darauf ab, dass (wobei Abschreckungsfähigkeit auf die vom Zombiestaat ausgehenden den Herrschaftsapparat und den in- Risiken und die Kosten ihrer Beseiti- neren Zirkel der Machthaber zielen gung in Zukunft noch höher sein wer- muss; Abschreckungsstrategien, die den als in der Gegenwart. Ob dies zu- auf die Bevölkerung des Zombie ge- trifft, entzieht sich aber letztlich der richtet sind, gehen an den politischen Überprüfung; diese Strategie wird Realitäten vorbei). Sie muss sich auch also politisch bestenfalls dann sinn- um Konfliktprävention bemühen, voll und rational sein, wenn die Risi- wobei grundsätzlich zwei unter- ken der Konfrontation begrenzt sind. schiedliche Typen von Szenarien zu Für Nordkorea trifft dies nicht zu. berücksichtigen sind: Szenarien eines Sozialisierung: Weil die Risiken un- gewaltsamen „Ausbrechens“ bzw. kalkulierbar sind, sind die bislang einer ungewollten, aber nicht ein- skizzierten Strategien insgesamt dämmbaren Gewalteskalation, und wenig tauglich bzw. unzureichend, Szenarien der (allmählichen oder, um mit den von diesem Staat aus- wahrscheinlicher, krisenhaften) Im- gehenden Risiken angemessen umzu- plosion des Staates, die im Falle Nord- gehen – wie im Falle Nordkoreas. koreas zu einer raschen Vereinigung Unter diesen Umständen gibt es für mit dem Süden führen dürfte. die Staatengemeinschaft insgesamt Subversion: Die zweite Strategie und für die Nachbarn von Zombie- setzt darauf, Veränderungen im In- staaten im Besonderen kaum Alterna- nern des Zombiestaats gezielt herbei- tiven zu einer Politik der Sozialisie- zuführen – sei es im Sinne innerer Re- rung. Diese zielt darauf ab, das betref- formen oder der Erschütterung der fende Land durch Anreize und Ein- Herrschaftsordnung. Die Chancen bindung geduldig aus seiner prekären dieser Strategie sind im ersten Falle Situation herauszulösen. Dabei ist al- abhängig von den Innovationspoten- lerdings zu beachten, dass das Regime zialen des Systems, die jedoch bei in Nordkorea von der gegenwärtigen Zombiestaaten in aller Regel sehr eng Lage profitiert und diese grundsätz- begrenzt sind. Im zweiten Falle hän- lich auch verewigen möchte. Dies be- gen sie ab von der Fähigkeit des Re- deutet, dass eine Politik der Sozialisie- gimes, Opposition rechtzeitig zu rung Verknüpfungsstrategien benö- identifizieren und zu zerschlagen bzw. tigt, die auch gezielte, konditionierte Einfallstore des politischen Wandels Anreize für die Machthaber einbezie- konsequent zu schließen.Auch hier ist hen. So kann es politisch sinnvoll sein, Skepsis angebracht, zumal der Zom- die politischen Exponenten eines 14 I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K 8/2002
A N A LY S E N Zombiestaats mit bedingten Zusagen setzt dagegen auf die Verbindung von (Amnestie, materielle Absicherung) Kooperationsangeboten mit einer Er- zu „ködern“. höhung des Drucks auf Nordkorea.12 Diese Politik zielt darauf ab, Nord- koreas Verhalten international zu de- Welche Köder? legitimieren und eine breite Koalition In der Praxis kommen gegenüber gegen den Staat zu schmieden, um so Nordkorea gegenwärtig vor allem zwei eine zukünftige Konfrontation zu be- Strategien zum Tragen: die „Sonnen- stehen bzw. längerfristig den Zusam- scheinpolitik“ der gegenwärtigen süd- menbruch des nordkoreanischen koreanischen Regierung unter Staats- Staats herbeiführen zu können. Fak- präsident Kim Dae Jung und die tisch allerdings scheint die Bush-Re- Korea-Politik der amerikanischen Re- gierung in ihrer Korea-Politik gespal- gierung unter Präsident George W. ten zwischen den Befürwortern einer Bush. Beide Politiken verbinden Ele- Konfrontation und denjenigen, die mente der Eindämmung mit solchen eher der Strategie der Eindämmung der Beschwichtigung; beide beinhal- und Quarantäne zuneigen.13 ten robuste Verteidigungs- und Ab- Wie immer sich die beiden wich- schreckungsfähigkeit ebenso wie Nah- tigsten Protagonisten im Umgang mit rungsmittelhilfe und andere Formen Nordkorea, China und die USA, in der humanitären und wirtschaftlichen Zukunft orientieren werden: der Um- Hilfslieferungen. In ihren Mischungs- gang mit Zombiestaaten wirft für die verhältnissen und den weiteren Kom- Staatengemeinschaft eine Reihe ponenten unterscheiden sich diese schwieriger Fragen und neuer Risiken beiden Strategien allerdings deutlich: auf. Hierzu zählen nicht nur die spezi- Die „Sonnenscheinpolitik“ verbindet fischen Probleme des angemessenen die genannten Elemente mit Kom- Umgangs mit Zombiestaaten, die ponenten der Sozialisierung, wie Be- Massenvernichtungswaffen bereits standsgarantien für Nordkorea (und besitzen oder im Begriff stehen, diese damit auch für seine gegenwärtige po- zu entwickeln, und damit zukünftige litische Ordnung),Anreize zur Koope- Risiken und Kosten einer Konfronta- ration und Bemühungen um Refor- tion nach oben treiben. Hinzu kom- men von innen und die Aufweichung men auch die Auswirkungen der Ver- der Trennung der beiden Gesellschaf- bindung von alten (staatlichen) Ein- ten. Diese Politik verzichtet bewusst schüchterungen mit neuen Bedro- auf konfrontative Elemente (außer in hungen (organisierte Kriminalität, Reaktion auf Provokationen). Sie setzt internationaler Terrorismus), die von auf die Wandlungsfähigkeit des Staa- Zombiestaaten forciert werden. tes im Norden und sein Interesse an Nicht zuletzt zählt zu diesen friedlicher Annäherung. Schwierigkeiten auch die Frage, wie in Die Korea-Politik der Regierung Gesellschaften, die oft jahrzehntelang Bush – von Beobachtern inzwischen unter der Last dieser pervertierten For- als „hawk engagement“ bezeichnet – men moderner Staatlichkeit zu leiden 8/2002 I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K 15
A N A LY S E N hatten und dementsprechend schwere Zombiestaats durch einen funktions- Schäden davongetragen haben, funk- fähigen Staat (im Falle Nordkoreas tionierende moderne bzw. post- durch Südkorea) oder durch Protekto- moderne14 Staatlichkeit aufgerichtet ratslösungen der Staatengemeinschaft. werden kann. In aller Regel wird dies Eine erweiterte Fassung dieses Beitrags ist wohl nur durch umfangreiche Hilfe- als PDF-Datei zu finden unter: stellung von außen möglich sein, also . Anmerkungen 1 Vgl. etwa Nicholas Eberstadt, The End of Auch die Mitgliedschaft in Chosen Soren ist North Korea, Washington, DC, 1999. deutlich gefallen. Vgl. auch Christopher W. 2 Vgl. Marcus Noland, Avoiding the Apoca- Hughes, Japan’s Economic Power and Secu- lypse. The Future of the Two Koreas, Wash- rity, Japan and North Korea, London/New ington, DC, 2000, S. 82. York 1999, S. 183 f. 3 9 Noland, a.a.O. (Anm. 2), S. 99 ff. Das nordkoreanische Militär unterhält of- fenbar ausgedehnte eigene wirtschaftliche 10 Vgl. hierzu Sebastian Harnisch/Maull, Aktivitäten und bildet damit ein System der Kernwaffen in Nordkorea, Regionale Stabi- „Autarkie in der Autarkie“ (Noland); zu die- lität und Krisenmanagement durch das sen Aktivitäten gehören vermutlich auch die Genfer Rahmenabkommen, Bonn 2000. umfangreichen Rüstungsexporte Nord- 11 Vgl. Jean-Germain Gros, Towards a Taxono- koreas.Vgl. ebenda, S. 71 ff. my of Failed States in the New World Order: 4 Vgl. IISS, The Military Balance 2001/2002, Decaying Somalia, Liberia, Rwanda and London 2002, S. 299 ff. Haiti, in: Third World Quarterly, Bd. 17, 5 Vgl. David Reese, The Prospects for North Nr. 3 (1996), S. 455–471; Georg Sørensen, Korea’s Survival, 1998 (Adelphi Paper, An Analysis of Contemporary Statehood: Nr. 323), S. 62 ff.; Ministry of National De- Consequences for Conflict and Co-operati- fence, Defense White Paper 2000, Seoul on, in: Review of International Studies, Bd. 2001, S. 41 ff. 23, Nr. 3 (1997), S. 253–269; und Robert I. 6 Noland, a.a.O. (Anm. 2), S. 102 ff. Auf die Rotberg, The New Nature of Nation-State Organisation der Nordkoreaner in Japan Failure, in: The Washington Quarterly, Bd. (Chosen Soren) entfallen rund 80 Prozent 25, Nr. 3 (Sommer 2002), S. 85–96 . 12 Victor D. Cha, Korea’s Place in the Axis, in: Nordkorea und ein Großteil des bilateralen Handels. Foreign Affairs, Bd. 81, Nr. 3 (Mai/Juni 7 Bertil Lintner/Suh-kyung Yoon, North 2002), S. 79–92. 13 Vgl.Sebastian Harnisch, US-DPRK Relations Korea, Coming in From the Cold, Asia Paci- fic Media Services Ltd., in: . schung International, Nr. 29 (Winter 8 Die Überweisungen von Mitgliedern dieser 2001/02). Organisation nach Nordkorea erreichten 14 Vgl. dazu Richard Rosecrance, The Rise of ihren Höhepunkt vermutlich Mitte der the Virtual State. Wealth and Power in the neunziger Jahre und sind seither rückläufig. Coming Century, New York 1999. 16 I N T E R N AT I O N A L E P O L I T I K 8/2002
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