ZOOLOGIE 2020 Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft - AG Biologiedidaktik Jena

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ZOOLOGIE 2020 Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft - AG Biologiedidaktik Jena
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                                                                                                                                                       ZOOLOGIE 2020

                                                                                ZOOLOGIE 2020 . Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft
                                                                                                                                                       Mitteilungen                       Herausgegeben von
                                                                                                                                                                                 Rudolf Alexander Steinbrecht

                                                                                                                                                       der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

                                                                                                                                                                                                112. Jahresversammlung
                                                                                                                                                                                          Jena, 10. - 13. September 2019

                                                                                                                                                                     Biohistoricum im Zoologischen Museum
                                                                                                                                                                     Alexander Koenig · Bonn
                                                                                                                                                                     Basilisken-Presse · Rangsdorf
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Umschlagsbild
Hunderassen werden häufig mit Menschenrassen verglichen. Es gibt allerdings
wesentliche Unterschiede. Beide haben aber gemein, dass sie – wenn auch auf sehr
unterschiedliche Art und Weise – willkürliche Konstrukte des menschlichen Geistes
darstellen. Lesen Sie mehr zu diesem Thema in dem Beitrag Jena, Haeckel und die
Frage nach den Menschenrassen oder der Rassismus macht Rassen von M. Fischer,
U. Hoßfeld, J. Krause und S. Richter in diesem Heft.
                                       Fotos private Bildarchive; Montage R.A. Steinbrecht

Die Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft
erscheinen einmal jährlich.
Einzelhefte sind bei der Geschäftsstelle (Corneliusstr. 12, 80469 München),
zum Preis von 10,00 € erhältlich.

Gestaltung:
Klaus Finze ProSatz&Gestaltung
Adam-Brüderle-Straße 33
86633 Neuburg an der Donau

Druck:
FORSTNER
Nunzenrieder Straße 9
92526 Oberviechtach

Copyright 2020 by Basilisken-Presse
im Verlag Natur & Text in Brandenburg GmbH . Rangsdorf
Printed in Bundesrepublik Deutschland
ISSN 1617-1977
ZOOLOGIE 2020 Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft - AG Biologiedidaktik Jena
Jena, Haeckel und die Frage nach den Menschen-
        rassen oder der Rassismus macht Rassen
             Martin S. Fischer, Uwe Hoßfeld, Johannes Krause und Stefan Richter

     Einleitung                                               in der besonderen Verantwortung, Ideo-
   Die 112. Jahrestagung der Deutschen                        logien und ihre Begriffe oder auch au-
Zoologischen Gesellschaft, die vom 10.                        genscheinliche Sachverhalte aufgrund
bis 13. September 2019 in Jena stattfand,                     unserer Fachkunde zu kritisieren und
wurde traditionell mit der Begrüßung                          gegebenenfalls zu dekonstruieren.
durch den Präsidenten, Prof. Dr. Jacob                            Rassismus ist von Angst getrieben,
Engelmann, und einem öffentlichen Vor-                        Ängste sind hier irrational, man kann ih-
trag eröffnet. Anders als sonst hatten sich                   nen rational im Moment der Angst nur
die Veranstalter entschlossen, nicht die                      schwer entgegentreten. Man muss ihnen
Geschichte der Zoologie am Tagungsort                         zuvorkommen. Rassismus braucht eine
vorzustellen, sondern als Thema „Jena,                        Legitimation, deshalb sucht er sich Erklä-
Haeckel und die Frage nach den Men-                           rungen und besonders gern biologische
schenrassen oder der Rassismus macht                          Erklärungen, weil sie naturgegeben er-
Rassen“ gewählt. Die Veranstaltung fand                       scheinen sollen, und genau dort setzt die
kurz nach dem 100. Todestag von Ernst                         „Jenaer Erklärung“ an.
Haeckel statt, weshalb es hier einen be-                          Claude Lévi-Strauss hat Rassismus de-
sonderen Bezug gab. Im Anschluss an                           finiert als „eine Lehre, die behauptet, in
den von den Autoren dieses Aufsatzes                          den geistigen und moralischen Eigen-
gemeinsam gehaltenen Vortrag wurde                            schaften, die einer wie immer definierten
die „Jenaer Erklärung“ bekannt gege-                          Gruppe von Individuen zugeschrieben
ben (https://www.uni-jena.de/190910_Je-                       werden, die unausweichliche Wirkung ei-
naerErklaerung)1. Der Vorstand der                            nes gemeinsamen genetischen Erbes zu
Deutschen Zoologischen Gesellschaft                           erkennen“ (Rede vor der UNESCO 1971,
und der Präsident der Friedrich-Schiller-                     s.a. Lévi-Strauss, 1972).
Universität, Prof. Dr. Walter Rosenthal,
                                                              Rassismus schafft Rassen
unterstützten die Autoren in dem Bestre-
ben, mit dieser Erklärung gegen schein-                          „Hier sieht es aus oder geht es zu wie
bar wissenschaftliche Rechtfertigungen                        bei den Hottentotten“ ist ein in Deutsch-
für Rassismus vorzugehen. Im Folgen-                          land geläufiger Satz im Alltagsgebrauch,
den werden wir die wissenschaftlichen                         um Unordnung zu kritisieren. Klingt „ot-
Hintergründe der „Jenaer Erklärung“                           ten-otten“ nicht schon wie eine Busch-
darlegen. Als Wissenschaftler stehen wir                      trommel und suggeriert uns dieser Satz

1
  Die Jenaer Erklärung wurde im Nachgang der Bekanntgabe in der „Biologie in unserer Zeit“ publiziert. Fischer et al.
(2019). BiuZ 49: 399-402.

ZOOLOGIE 2020, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges.                                                                           7
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nicht, dass zumindest Unordnung ein We-         Negrito“ zusammen auf der niedrigsten
sensmerkmal der Hottentotten sei?               Stufe der Menschheit stehen geblieben.
    Aber es ist viel absurder, denn Hotten-     „Das letztere (eben die niedrigste Stufe
totten gab es nie, die Bezeichnung war          der Menschheit) gilt auch von den
schon immer ein diskriminierender Be-           nächstverwandten Hottentotten oder
griff für ethnisch sehr unterschiedliche        Schmiermenschen (Homo hottentottus),
Menschen im südlichen Afrika, von denen         worunter wir nicht bloss die echten Hot-
wir heute wissen, dass ihre genetische          tentotten oder Quaiquas, sondern auch
Diversität diejenige von Nicht-Afrikanern       die viehischen Buschmänner und einige
übertrifft.                                     andere nächstverwandte Stämme des
    Schon Carl von Linné wusste über die        südlichen Afrikas begreifen“ (ebd., S.
Hottentotten Folgendes zu berichten:            512). Haeckel weiß also nichts über Hot-
„Von eben diesem Ursprung stammen               tentotten, er gibt auch keine Quellen oder
auch die Hottentotten ohnweit dem Vorge-        andere Informationen an, aber er be-
birge der guten Hoffnung her; jedoch            hauptet zu wissen, dass sie mit den Men-
sind diese Völker viel gesitteter, welches      schen von Papua-Neuguinea nächstver-
vielleicht von dem Umgang mit den Hol-          wandt sind und dass beide auf der
ländern herrühret. Sie sind nicht so            niedrigsten Stufe der Menschheit stehen
schwarz, als die Neger, ja diejenigen,          würden. Und „wir“ begreifen unter Hot-
welche unter den Holländern erzogen             tentotten nun alle Stämme des südlichen
werden, bleiben weiß. Damit sie recht           Afrikas. Mit diesem Satz diskreditiert
schwarz seyn mögen, beschmieren sie             Haeckel sich selbst.
ihren Körper mit Fettigkeit und Ruß“                 Aus nicht nachvollziehbaren Gründen
(Linné 1773, S. 95).                            hätten „zwei am meisten divergente, eine
    Ernst Haeckel wusste auch nicht, was        wollhaarige Art und eine schlichthaarige
Hottentotten sein sollen, er hat streng ge-     Art, im Kampf um’s Dasein über die übri-
nommen nur das Wort „Hottentotten“              gen (gemeint sind „ausgestorbene Men-
klassifiziert. Er fragte sich nicht, ob seine   schenarten”) den Sieg davon“ getragen
Zuschreibungen überhaupt real existie-          und seien zu den „Stammformen der
ren, sondern er übernahm Begriffe aus           übrigen Menschenarten“ geworden. Und
dem holländischen und dann deutschen            er fährt fort (ebd., S. 515): „Der wollhaari-
kolonialen Sprachgebrauch, also primär          ge Zweig breitete sich zunächst südlich
rassistische Begriffe, und bildete daraus       des Äquators aus, indem er sich theils
Rassen und sogar Arten.                         nach Osten (nach Neuguinea), theils nach
    In seinem Stammbaum des Menschen-           Westen (nach Südafrika) hinüberwandte.
geschlechts schreibt Haeckel, dass man          ... Der schlichthaarige Zweig dagegen
die verschiedenen sogenannten Rassen            wandte sich hauptsächlich nach Norden.
„mit eben so vielem Rechte als gute             Alle heute noch lebenden wollhaarigen
Arten oder Species ansehen“ könne               Völker (Ulotriches) sind auf einer viel tie-
(Haeckel 1868a, S. 512). Die Hottentotten       feren Stufe der Ausbildung stehen geblie-
seien mit den „Papua-Menschen oder              ben, als die meisten schlichthaarigen. Sie

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alle haben die langköpfige und schief-          gie und sogar designierter Gründungsdi-
zähnige Schädelform und die dunkle              rektor des Phyletischen Museums. Schult-
Hautfarbe beibehalten.“ Ernst Haeckels          ze reiste im Auftrag von Johann Albrecht
erstes Kriterium zur Unterscheidung aller       Herzog zu Mecklenburg, Präsident der
Menschen ist die Beschaffenheit ihrer           Deutschen Kolonialgesellschaft, 1903 nach
Kopfhaare – wollhaarige und schlichthaa-        Deutsch-Südwestafrika, zunächst um die
rige – und ohne nähere Begründung               „Fischereiverhältnisse an der südwestafri-
schließt er daraus, dass die Wollhaarigen       kanischen Küste und am Kap der guten
auf einer niedrigen Stufe stehen (Levit &       Hoffnung“ im Hinblick auf ihre wirtschaft-
Hoßfeld 2020). Die „Urheimat” der ver-          lich verwertbaren Potentiale zu untersu-
schiedenen Menschenarten deutete sei-           chen (diese und die nachfolgenden Anga-
ner Meinung nach auf einen versunkenen          ben s. Förster & Stöcker 2016). Mit Zu-
Kontinent im Indischen Ozean – Lemu-            stimmung der Königlich Preußischen Aka-
rien genannt – hin (Wogawa 2015).               demie der Wissenschaften zu Berlin er-
    Das Denken von Haeckel ist grund-           hielt Schultze von der Alexander von
sätzlich von der Idee der Vervollkomm-          Humboldt Stiftung für Naturforschung und
nung geprägt, die Ausdruck seiner moni-         Reisen für das Jahr 1903 eine Summe von
stischen Weltanschauung war (Haeckel            rund 7000 Mark für systematische und
1866). Wenn er, wie beim Stammbaum              geographisch-zoologische Untersuchun-
des Menschen, von vornherein festlegt,          gen in Deutsch-Südwestafrika. Neben
wer am Ende oder besser an der Spitze           zoologischen, geographischen und lingui-
stehen wird, stellt sich die Frage, woher       stischen Aufzeichnungen sammelte er
er diese Gewissheit nimmt? Schließt man         fortwährend auch anthropologische Daten
Selbstliebe oder die Zugehörigkeit eines        (wie Körpermessungen) und fotografische
Autors zu einer bestimmten Gruppe als           Aufnahmen, vor allem von San und Nama.
Motiv aus, stößt man auf einen wesent-          Wie Schultze selbst berichtete, boten ihm
lichen Aspekt der anthropogenetischen           die „Kriegsumstände” – gemeint ist der
Forschung, ihren Eurozentrismus, dessen         Völkermord an den Herero und Nama
Kehrseite der vermeintliche Primitivismus       1904 -1908 – mehrfach die Möglichkeit,
von „Afrikanern“ ist.                           sich „die Opfer des Krieges zunutze [zu]
    In der Lehrsammlung des Zoologi-            machen und frischen Leichen von Ein-
schen Institutes in Jena befand sich – bis      geborenen Teile [zu] entnehmen, die das
zu ihrer Rückführung nach Namibia im            Studium des lebenden Körpers (gefange-
Jahr 2018 – die „Kopfhaut eines Herrero“,       ne Hottentotten standen mir häufig zu
um vermeintlich ulotriches Haar zu de-          Gebote) willkommen ergänzten“. Neben
monstrieren. Dieser Skalp war Haeckel           der Kopfhaut sandte Schultze weitere
von Leonhard Schultze geschickt worden.         menschliche Überreste in zweistelliger
Er hatte bei Haeckel studiert, war von ihm      Anzahl aus Deutsch-Südwestafrika nach
promoviert und habilitiert worden und           Deutschland. Dass auch an anderen Uni-
war dann zunächst Privatdozent, schließ-        versitäten Sammlungen vorhanden sind,
lich außerordentlicher Professor für Zoolo-     die auf solch grauenvolle Weise angeeig-

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Ernst Haeckel -
    Über die Entstehung und den Stammbaum des Menschengeschlechts
    Im Jubiläumsjahr 2019 wurden die Verdienste Ernst Haeckels für die deutsche und inter-
nationale Zoologie vielerorts beschrieben und gewürdigt, stellvertretend seien hier die Bei-
träge von Hoßfeld et al. (2019) und Levit & Hoßfeld (2019) genannt. Seine hier zur Diskus-
sion stehende Beschäftigung mit humanphylogenetischen Fragestellungen reichte über einen
Zeitraum von 45 Jahren. Sie begann 1863 (Stettiner Vortrag) und endete 1908 mit der Schrift
über Unsere Ahnenreihe (Progonotaxis Hominis) (Hoßfeld 2010, 2016).
    In dem Vortrag auf der 38. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte in Stettin
am 19. September 1863 Ueber die Entwickelungstheorie Darwin`s sagte Haeckel: „Was uns
Menschen selbst betrifft, so hätten wir also consequenter Weise, als die höchst organisirten
Wirbelthiere, unsere uralten gemeinsamen Vorfahren in affenähnlichen Säugethieren, weiter-
hin in känguruhartigen Beutelthieren, noch weiter hinauf in der sogenannten Secundärperio-
de in eidechsenartigen Reptilien, und endlich in noch früherer Zeit, in der Primärperiode, in
niedrig organisirten Fischen zu suchen“ (Haeckel 1864, S. 17). Der Mensch sei weder „als
eine gewappnete Minerva aus dem Haupte des Jupiter“ noch „als ein erwachsener sünden-
freier Adam aus der Hand des Schöpfers“ (ebd., S 26) hervorgegangen.
    Im zweiten seiner beiden 1865 gehaltenen Vorträge Ueber die Entstehung und den
Stammbaum des Menschengeschlechts (gedruckt 1868) unterteilte er die Menschenaffen
(Anthropoides) in „Asiatische Waldmenschen (Kleiner Orang, Großer Orang)“ und „Afrikani-
sche Waldmenschen (Schimpanse, Gorilla)“. Die zuvor u.a. von Johann Friedrich Blumen-
bach unterschiedenen Menschenrassen fasste Haeckel als Menschenarten auf und erweiter-
te diese auf zehn (Haeckel 1868b).
    Im 27. Kapitel seines Hauptwerkes Generelle Morphologie der Organismen mit dem
Untertitel „Allgemeine Grundzüge der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch be-
gründet durch die von Charles Darwin reformierte Descendenz-Theorie“, thematisierte
Haeckel die Stellung des Menschen in der Natur. Die somatischen und psychischen Differen-
zen zwischen dem Menschen und den übrigen Tieren seien nur quantitativer, nicht qualitati-
ver Natur. Anthropologie sei nichts anderes als ein spezieller Zweig der Zoologie. Als hypo-
thetisches Verbindungsglied zwischen den Menschenaffen (Anthropoiden) und den echten
(sprechenden) Menschen stellte er den Affenmenschen, den Pithecanthropus, wohlgemerkt
ohne Fossilfund.
    Seine populäre Natürliche Schöpfungsgeschichte (Haeckel 1868a) erbrachte im Hinblick
auf die früheren Arbeiten dann nichts wesentlich Neues. Er unterschied „zehn verschiedene
Species der Gattung Homo“, unterteilt in die Abteilungen: Wollhaarige Menschen (Homines
ulotriches) sowie Schlichthaarige Menschen (Homines lissotriches). Als 10. Art wird der Kau-
kasische Mensch (Iranischer oder weißer Mensch) gelistet, der wiederum in zwei gleichran-
gige „Abarten” unterteilt ist, nämlich den semitischen (südlichen) Zweig und den indoger-
manischen (nördlichen Zweig). Ersterer umfasst Araber, Berber, Abessinier und Juden. Letz-
terer umfasst Arier, Romanen, Slaven und Germanen. Von der zweiten Auflage (1870) an
werden nicht mehr 10 sondern 12 Menschen-Arten (mit 36 Rassen) unterschieden. Man fin-
det nun auch erste rassenkundliche Bemerkungen und Abbildungen, die eine Wertung als
„niedere“ und „höhere“ Menschen erkennen lassen: „Die niedersten Menschen stehen of-
fenbar den höchsten Affen viel näher, als dem höchsten Menschen“ (ebd., S. 555). In der An-
thropogenie (1874) kehrt dieselbe Humanphylogenie wieder (Haeckel 1874: 481-496) und
blieb bis zur sechsten und letzten Ausgabe (1910) unverändert.
Im Werk Systematische Phylogenie (1895) diskutierte Haeckel im Kapitel „Systematische
   Phylogenie der Wirbelthiere (Vertebrata)“ nochmals ausführlich die „Systematische Phylo-
   genie des Menschen“ unter stärkerer Berücksichtigung der Paläontologie. Von den gefunde-
   nen Fossilien sprach er einigen wie dem Pithecanthropus erectus von Java einen gewissen
   „hohen Werth...“ (Haeckel 1895, S. 617) zu..
       Im Frühjahr 1898 erhielt Haeckel die Einladung, auf dem 4. internationalen Zoologenkon-
   gress in Cambridge einen Vortrag zu halten. Er sollte dort eine der großen allgemeinen Fra-
   gen, wenn nicht gar die „Frage aller Fragen“ (T. H. Huxley) thematisieren. Der Inhalt des Vor-
   trages stellte eine Kompilation seiner Ansichten zur biologischen Anthropologie,
   Entwicklungsgeschichte und Zoologie dar (Haeckel 1898).
       In späteren Schriften wie Der Kampf um den Entwickelungsgedanken (1905), Das Men-
   schen-Problem und die Herrentiere von Linné (1907) schloss Haeckel dann an seine Ausfüh-
   rungen aus den Jahren 1866 bis 1895 unmittelbar ohne nennenswerte Ergänzungen an. Die
   Schrift Unsere Ahnenreihe (Progonotaxis Hominis) von 1908 bildet den publizistischen Ab-
   schluss der Beschäftigung mit diesem Themengebiet.
       Auch in seinen „philosophischen“ Schriften wie Die Welträthsel (1899), Die Lebenswun-
   der (1904), Sandalion (1910) oder den „Kriegsschriften“ wie Ewigkeit (1915) finden sich ver-
   einzelt Aussagen zur Herkunftsgeschichte der Menschen nunmehr mit einem stärkeren Be-
   zug auf Politik und Gesellschaft. In Ewigkeit. Weltkriegsgedanken über Leben und Tod/Reli-
   gion und Entwicklungslehre (1915) sah Haeckel nach wie vor in der Anthropologie einen
   „Teil der Zoologie“, benutzt aber wie schon in den Lebenswundern nun ausschließlich den
   Terminus „monistische Anthropologie“, die die „richtige Wertschätzung des Menschenwe-
   sens“ zum Ziel hat (Haeckel 1915, S. 65). Die biologische Anthropologie sollte nunmehr in ei-
   ner mehr philosophisch orientierten Anthropologie aufgehen und politische Bemerkungen
   enthalten. So wirft er an einer Stelle dem „Todfeind England“ vor, „alle verschiedenen Men-
   schenrassen zur Vernichtung des deutschen Brudervolkes [der nächstverwandten Germa-
   nen] mobil gemacht“ zu haben: „[…] ruft es [England] als Verbündete die niederen farbigen
   Menschenrassen aus allen Erdteilen zusammen: vorab die gelben, schlitzäugigen Japaner,
   die perfiden Seeräuber des Ostens!, dann die Mongolen aus Hinterindien und die braunen
   Malayen aus dem benachbarten Malakka und Singapore; die schwarzbraunen Australneger
   und Papuas aus Ozeanien, die Kaffern aus Südafrika und die Senegalneger aus den nordafri-
   kanischen Kolonien – und damit kein Farbton der tief verachteten ‘Niederen Menschenras-
   sen’ fehlt, und das buntscheckige Heer des stolzen Albion auch in ethnographischer Zu-
   sammensetzung die ‘ewige Weltherrschaft’ des anglosächsischen Inselvolks demonstriert,
   werden auch noch die Reste der Rothäute aus Amerika auf die blutdampfenden Schlachtfel-
   der von Europa herübergeschleppt!“ (Haeckel 1915, S. 86, Hervorhebungen im Orig.).
       Aus seiner Sicht stellte sich der gesamte Erste Weltkrieg als ein „niederträchtiger Verrat
   an der weißen Rasse“ dar und musste „als ein Meuchelmord der höheren menschlichen Kul-
   tur gebrandmarkt“ werden (ebd., S. 86). Es sei sichtbar, dass der kulturelle und psychologi-
   sche Abstand zwischen den „höchstentwickelten europäischen Völkern und den niedrigst
   stehenden Wilden größer ist, als derjenige zwischen diesen letzteren und den Menschenaf-
   fen“; d.h. Haeckel deutete und übertrug hier sein Schema „Die Familiengruppe der Katarrhi-
   nen“ von 1868 (Natürliche Schöpfungsgeschichte) auf die zivilisatorischen Entwicklungen
   (Pithecometra-Satz). Und er klagte den „brutalen National-Egoismus“ Englands an, der nur
   der Aufrechterhaltung der „pambritischen [gemeint ist wohl panbritischen] Weltherrschaft
   (‘für alle Ewigkeit!’)“ diene (ebd., S. 86).

ZOOLOGIE 2020, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges.                                                       11
net wurden, mildert den Sachverhalt            Varietäten um Merkmale der Körperge-
nicht.                                         stalt und Eindrücke des Temperaments.
                                                   Immanuel Kant kam von der Beschäfti-
„Menschenrassen“ - was ist das?                gung mit der Geographie zur Anthropolo-
    Der Ursprung der anthropologischen         gie. Im Jahre 1775 erschien „Von den ver-
Rassenkunde liegt im 18. Jahrhundert, als      schiedenen Racen der Menschen zur
mit Carl von Linné die Klassifikation der      Ankündigung der Vorlesungen der physi-
natürlichen Ordnung ihren Anfang nahm.         schen Geographie im Sommerhalbjahre
Am Ende des 18. Jahrhunderts lassen            1775“. In dieser Vorlesung unterschied er
sich dann drei Stränge der anthropologi-       zunächst eine „Schuleinteilung“, die sich
schen Forschung ausmachen: die Diskus-         auf Klassen (Ähnlichkeiten) und eine „Na-
sionen über ein allgemeines Menschen-          tureinteilung“, die sich auf Stämme (Ver-
bild auf der Grundlage des „Tier-Mensch-       wandtschaft) bezog. Die Menschen bilde-
Vergleiches“, der Beitrag von Ärzten bei       ten dabei eine Gattung und mussten alle
der Erarbeitung von Kenntnissen über die       aus einem Stamm kommen. Als „Stamm-
menschliche Anatomie und deren Varia-          gattung“ aller Menschen nahm Kant
tionen und das Sammeln von Wissen              „Weiße von brünetter Farbe“ an, als de-
über die geographische Variabilität und        ren „Anartungen“ folgende Gruppen auf-
Verbreitung des Menschen während der           treten sollten: „Erste Rasse Hochblonde
umfangreichen Sammelexpeditionen und           (Nördl. Eur.) von feuchter Kälte | Zweite
wissenschaftlichen Reisen. All dies verein-    Rasse Kupferrote (Amerik.) von trockner
igte sich dann in einer Naturgeschichte        Kälte | Dritte Rasse Schwarze (Senegam-
des Menschen.                                  bia) von feuchter Hitze | Vierte Rasse Oli-
    Es ist Linnés Verdienst, den Menschen      vengelbe (Indianer) von trockner Hitze“
wieder in eine vergleichende Betrachtung       (Kant 1775, S. 28).
der Tierwelt eingebettet zu haben (Bro-            Diese Einteilung basierte hauptsäch-
berg 1994). Bereits 1735 findet sich in der    lich auf seiner Anschauung von der Ein-
ersten Auflage seines Werkes Systema           wirkung des Klimas; so sollte z.B. trocke-
Naturae eine Klassifikation des Tierrei-       ne Kälte das Wachstum hemmen: „In den
ches mit dem Menschen an der Spitze.           heißen Ländern reift der Mensch in allen
Dabei stellte er den Menschen (Homo) in        Stücken früher, erreicht aber nicht die
die Ordnung der Anthropomorpha. Zu-            Vollkommenheit der temperirten Zonen.
nächst nach der Herkunft und dem Ein-          Die Menschheit ist in ihrer größten Voll-
zelmerkmal der Hautfarbe unterschei-           kommenheit in der Race der Weißen. Die
dend, benennt er vier Varietäten: Homo         gelben Indianer [sic] haben schon ein
Europaeus albescens, Americanus rube-          geringeres Talent. Die Neger sind weit
scens, Asiaticus fuscus und Africanus nigre-   tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der
scens. Später (1758) errichtet er die Ord-     amerikanischen Völkerschaften" (Kant
nung „Primates” (Herrentiere), verleiht        1802, S. 316).
dem Menschen seinen Artnamen Homo                  Allerdings stellt Kant auch fest: „Die
sapiens und ergänzt die Klassifikation der     Klasse der Weißen ist nicht als besondere

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Art in der Menschengattung von der der          zustellen. Ebenso ist es sein Verdienst, die
schwarzen unterschieden; und es giebt           „technischen Mittel zur direkten Beob-
gar keine verschiedenen Arten von Men-          achtung und Untersuchung, die seine Zeit
schen“ und ist damit vielleicht schon ei-       ihm bot, für die Anthropologie ausgewählt
nen Schritt weiter als seine Zeitgenossen       und zusammengestellt zu haben“
(Kant 1785, S. 75).                             (Scheidt 1922, S. 293). Als Methode und
    Ferner maß Kant in seinen anthropo-         Objekt nutzte er den Schädelvergleich.
logischen Studien der Erblichkeit der           Später verband Blumenbach seine Er-
„natürlichen Anlagen“ einen hohen Stel-         gebnisse mit denen aus der vergleichen-
lenwert bei. Insbesondere mit Georg R.          den Anatomie, Physiologie und Psycholo-
Forster kam es hierüber in der Zeitschrift      gie.
Der Teutsche Merkur zu einem Streitge-              Mit seiner Rassengliederung, die auf
spräch (Forster 1786, Kant 1788). Forster       unterschiedlichen Hauttönungen beruhte,
wandte sich zudem gegen die Möglich-            gab Blumenbach eine Klassifikation vor,
keiten einer Anpassung der Hautfarbe,           die bis heute eine außerordentliche Ver-
weil er damit eine „Zerklüftung der             breitung erlangte. Er unterschied fünf
Menschheit“ befürchtete und lehnte              Hauptrassen: 1. Die caucasische Rasse, 2.
ferner den Rassenbegriff Kants ab. Kant         die mongolische Rasse, 3. die äthiopische
hatte Rasse bereits 1785 wie folgt defi-        Rasse, 4. die americanische Rasse und 5.
niert: „Der Begriff einer Rasse ist also:       die malayische Rasse“ (Blumenbach
der Klassenunterschied der Tiere eines          1803).
und desselben Stammes, so fern er un-               Wenn auch mit Vorbehalt und durch-
ausbleiblich erblich ist“ (Kant 1785, S.        aus differenziert, erklärte er die „Euro-
75; Hervorhebung im Orig.). Nach For-           päer und westlichen Asiaten … nebst den
ster ist eine Rasse dagegen nur „ein Volk       Nord-Africanern” für „mehr oder weniger
von eigentümlichem Charakter und un-            weiß”, die „übrigen Asiaten … nebst den
bekannter Abstammung“ (Forster 1786,            nordlichsten Americanern” für „meist
S. 160).                                        gelbbraun”, die „übrigen Africaner” für
    Nahezu zeitgleich mit Kant hatte            „mehr oder weniger schwarz“, die „übri-
Johann Friedrich Blumenbach Vorstellun-         gen Americaner” für „meist von kupfer-
gen über die Menschheitsgeschichte ent-         rother Farbe” und die „Südsee-Insulaner”
wickelt. Zunächst mit dem Katalogisieren        für „meist schwarzbraun” (Blumenbach
von Schädeln befasst, sollte sich seine         1790, S. 82-83).
100 Seiten umfassende Dissertation De               Als wichtigste „reizende Eindrücke“,
generis humani varietate nativa (1775) als      welche diese Varietätenunterschiede her-
bedeutend für die Geschichte der An-            vorbringen, sah Blumenbach den Einfluss
thropologie erweisen. Seine Arbeit stellt       des Klimas auf Hautfarbe und Körpergrö-
für die damaligen wissenschaftlichen Ver-       ße an. Dies veranlasste ihn, die Urheimat
hältnisse einen ersten Versuch dar, die         des Menschengeschlechts in Asien anzu-
körperlichen Verschiedenheiten der Men-         nehmen und somit die kaukasische Rasse
schen übersichtlich und anschaulich dar-        mit der weißen Hautfarbe (als die ur-

ZOOLOGIE 2020, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges.                                            13
sprünglichste) an die Spitze seiner Eintei-   he zur Blumenbachschen Einteilung, aber
lung zu stellen.                              auch eine gewisse Nähe zu den geogra-
    Die Variabilität innerhalb der als Men-   phischen Rassen Ernst Mayrs.
schenrassen bezeichneten Gruppen be-              Für Mayr (2002), dem herausragenden
merkt auch Charles Darwin (Darwin             Proponenten des sogenannten Biologi-
1875: S. 228), so dass kein „Character an-    schen Artbegriffes, bestand kein Zweifel,
geführt werden kann, welcher für eine         dass Menschenrassen als geographische
Rasse distinctiv und constant ist“, was ihn   Rassen, wie bei anderen Wirbeltieren,
allerdings nicht hinderte, Rassen zu unter-   biologischer Fakt sind. Für den Zoologen
scheiden. Er fährt fort: „Der Mensch ist      ist das Konzept der Rasse in aller Regel
sorgfältiger als irgend ein anderes Wesen     mit einer geographischen Aufgliederung
studiert worden und doch besteht die          innerhalb von Arten im Rahmen eines al-
größtmögliche Verschiedenheit des Ur-         lopatrischen Artbildungsprozesses ver-
theils zwischen fähigen Richtern darüber,     bunden. Von eher untergeordneter Be-
ob er als eine einzige Species oder Ras-      deutung sind andere Ansätze, wie die
se classificiert werden solle oder als zwei   Suche nach monophyletischen Einheiten
(Virey), als drei (Jacquinot), als vier       innerhalb des Menschen (Andreasen
(Kant), fünf (Blumenbach), sechs (Buffon),    1998) oder der Versuch, menschliche
sieben (Hunter), acht (Agassiz), elf (Pik-    Ökotypen zu definieren und diese dann
kering), fünfzehn (Bory St. Vincent), sech-   als Rassen zu bezeichnen (Pigliucci & Ka-
zehn (Desmoulins), zweiundzwanzig             plan 2003). Es sind diese vorgeblich bio-
(Morton), sechzig (Crawfurd), oder als        logischen Konzepte, die auf den Prüfstand
dreiundsechzig nach Burke. Diese Ver-         gestellt werden und nach ihrer Existenz
schiedenartigkeit der Beurtheilung be-        und Realität hinterfragt werden sollen,
weist nicht, daß die Rassen nicht als Spe-    nicht nur, aber auch, da sie als Argumen-
cies zu classificieren wären, es zeigt aber   tationshilfen den sozialen Rassismus
dieselbe, daß sie allmählich in einander      rechtfertigen sollen.
übergehen und daß es kaum möglich ist,
scharfe Unterscheidungsmerkmale zwi-          Rasse als soziales Konstrukt
schen ihnen aufzufinden.“                         Teresa J. Guess hat in ihrem Aufsatz
    Wir machen nun einen großen Sprung        „Social construction of whiteness” ge-
in die Gegenwart. Im Amerikanischen           zeigt, wie sich die Frage nach Rassen in
wird häufig von „folk races” gesprochen,      den USA nie für die weiße Rasse stellt.
um die Mehrdeutigkeit des Begriffes           Deren Existenz wird in konventionellen
„Volk” zu umgehen, am besten mit „Je-         Ansätzen als gegeben betrachtet, in neu-
dermannsrassen” zu übersetzen, denen          eren wird dagegen „whiteness in relation
dann auch kulturelle Eigenschaften zuge-      to the „other”“ gesehen. Die Frage nach
wiesen werden können. Die Korrelation         der sozialen Konstruktion des Weißseins
von phänotypischen Merkmalen mit konti-       ist aber essentiell, wenn es um die Supe-
nentaler geographischer Verbreitung           riorität von Weißen geht. So bestimmte
zeigt auch heute noch eine deutliche Nä-      der erste U. S. Naturalization Act 1790,

14
dass „freie Weiße“ („free white per-            minimal intrinsic significance but has ta-
sons“), die zwei Jahre in den USA lebten,       ken on immense cultural significance and
die amerikanische Staatsbürgerschaft er-        will continue to do so for a long time to
werben konnten, was praktisch zumeist           come” (Evans 2019, S. 104).
auf weiße, meist angelsächsische Männer            Es geht uns im vorliegenden Aufsatz
mit Grundbesitz beschränkt blieb.               explizit nicht um die beispielsweise in
    Die Idee einer konstruierten Superio-       den USA dominierende gesellschaftliche
rität von Weiß geht ab der Mitte des 19.        Konstruktion von Rassen (West 2017).
Jahrhunderts eine Verbindung mit evolu-         Aber auch für diese hat bereits Van den
tionsbiologischem Denken ein. Herbert           Berghe in Race and Racism geschrieben,
Spencer, von dem der Ausdruck „survi-           dass die Existenz von Rassen in einer Ge-
val of the fittest“ stammt (und nicht von       sellschaft Rassismus als Voraussetzung
Darwin, der diesen Ausdruck erst in der         hat, denn ohne Rassismus hätten körperli-
5. Auflage seines Werkes On the Origin          che Merkmale keine soziale Bedeutung
of Species … als Kapitelüberschrift über-       (Guess 2006). Es seien nicht diese, wel-
nahm), begründete im viktorianischen            che Rassen schaffen, sondern die gesell-
England mit seiner Fortschrittsgetrieben-       schaftliche Wahrnehmung von solchen
heit und „biological Spencerism“ (Free-         Unterschieden als sozial bedeutsam. Ein
man et al. 1974) schon vor Haeckel den          anderer Soziologe, John Stanfield, defi-
Sozialdarwinismus und die extreme Form          niert „racism as the generator of race-
von weißer Superiorität. Im Kern wird           making” (zit. n. Guess 2006).
nun zunehmend davon ausgegangen,
dass es den unterschiedlichen Men-              Rasse - eine biologische Realität?
schengruppen innewohnende Eigen-                    Zoologen, Evolutionsbiologen, Biolo-
schaften gibt, welche sich z. B. in der         gen und generell Naturwissenschaftler
Hautfarbe zeigen und die mit der Ge-            interessieren sich für das, was in der Na-
schichte seines Trägers, dessen Ahnen           tur existiert, d.h. für das, was außerhalb
und dessen Gruppe verknüpft werden.             des menschlichen Geistes, der sich ja be-
Der „Erfolg“ der „Weißen“ wird umge-            kanntlich alles Mögliche konstruieren
kehrt zur Diskriminierung von Menschen          kann, real vorhanden ist. Die allermeisten
anderer Hautfarbe genutzt. Und da die           Naturwissenschaftler folgen damit einem
Hautfarbe am auffälligsten ist, fängt der       naturalistischen Realismus. Ein einfaches
Rassismus damit häufig an. Die Wahrneh-         Beispiel: der Stuhl, auf dem der Leser ge-
mung von Hautfarbe hängt aber in ho-            rade sitzen mag, existiert real als 'Ding',
hem Maße vom Grad der Sesshaftigkeit            aber die Zusammenfassung der Sitzgele-
und damit lokaler Beschränktheit zusam-         genheiten aller Leser als 'Stühle' existiert
men. Je seltener andersfarbige Men-             nur als Konstrukt des menschlichen Gei-
schen in eine solche kleine Welt kom-           stes. Wir können damit 'Dinge' von 'Klas-
men, um so undifferenzierter ist die            sen' unterscheiden. Während nun die
Wahrnehmung der Bewohner – im wahr-             meisten 'Klassen' Konstrukte des mensch-
sten Sinne schwarzweiß: „Skin colour has        lichen Geistes sind, werden manche

ZOOLOGIE 2020, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges.                                            15
'Klassen' durch natürliche Eigenschaften      Auswahl bestimmter Merkmale die Mor-
definiert, deren Existenz unabhängig vom      phospezies wohl eher als Konstrukt des
menschliche Erkenntnisapparat ist, wie z.     menschlichen Geistes bezeichnet werden
B. Mineralien. Man nennt diese 'Klassen'      muss. Die Art als Individuum wird eben-
dann „Natürliche Sorten“ (Mahner & Bun-       falls vertreten von Ghiselin (1997) und
ge 1997).                                     jüngst von Zachos (2016). Dabei wird ins-
    Überträgt man dies nun auf die Frage      besondere die Historizität der Art als Kri-
nach der Realität von Menschenrassen, so      terium herangezogen. Der dinghafte
müssen wir festhalten, dass nicht nur Indi-   (oder Individuen-) Charakter der Biospe-
viduen (denken wir z.B. an den „weißen”       zies ist aber keineswegs eindeutig. Ge-
Donald Trump und den „schwarzen” Ba-          rade Mayrs eigene Erweiterung, um allo-
rack Obama), sondern auch Populationen        patrische Populationen zu einer gemein-
zugesprochen wird, 'Dinge' zu sein. Das       samen Art zusammenzufassen, gibt den
verwundert auf den ersten Blick, doch         Charakter des integralen Systems einer
wird hier das integrale System betont,        Fortpflanzungsgemeinschaft auf. Die mor-
das eine Population als enge panmikti-        phologischen Merkmale, die die allopatri-
sche Fortpflanzungsgemeinschaft kenn-         schen Populationen gemeinsam haben,
zeichnet (Mahner 1993; Mahner & Bunge         werden zwar nicht zur Definition dieser
1997). Sicher ist es auch möglich, beim       Art herangezogen wie im Morphospe-
Menschen von Populationen zu sprechen,        zieskonzept, sondern als Indizien für die
wenn auch Abgrenzungen zu benachbar-          nicht verwirklichte (da nur potentiell be-
ten Populationen nur selten gelingen wer-     stehende) Fortpflanzungsgemeinschaft.
den. Wir kommen weiter unten darauf zu-       Das wäre aber genau das Kennzeichen ei-
rück.                                         ner 'Natürlichen Sorte'. Das dürfte dann
    Der ontologische Status einer Art ist     auch auf die Art Homo sapiens zutreffen,
umstritten. Eine wesentliche Rolle spielt     wenn auch allopatrische Populationen
dabei natürlich auch das Artkonzept. Wir      dort kaum noch existieren dürften.
fokussieren hier auf das sogenannte Biolo-        Mayr versteht nun Rassen als (Zwi-
gische Artkonzept (z.B. Mayr 1942), wel-      schen-) Ergebnis einer allopatrischen
ches gerade auch für die Trennung von         Artbildung, Rassen als „incipient species“
Rassen die entscheidende Grundlage lie-       (Mayr 1942, S. 155). Er definiert: „A geo-
fert. Gerade Mayr als Hauptvertreter des      graphic race (or subspecies) is an aggre-
Biologischen Artkonzeptes im 20. Jahrhun-     gate of phenotypically similar populations
dert – es hat seinen Ursprung bereits am      of a species inhabiting a geographic sub-
Ende des 19. Jahrhunderts – hat den Indi-     divison of the range of that species and
viduencharakter (hier synonym zu 'Ding')      differing taxonomically from other popu-
der Biospezies im Gegensatz zur mor-          lations of that species” (Mayr 1969, S.
phologischen Abgrenzung der Art (Mor-         451). Was uns hier schon aufhorchen las-
phospezies) betont. Letztere kennzeichnet     sen muss, ist die Notwendigkeit „taxono-
Mayr (2000) interessanterweise als 'Natür-    mischer” Differenz, ist diese taxonomi-
liche Sorte', obwohl durch die willkürliche   sche Gliederung doch Ergebnis einer

16
menschlichen Unterscheidung. Das Ras-           Aspekt deutlicher werden lässt (Meier &
senkonzept Mayrs bleibt im Typologi-            Willmann 2000). Die Rasse als „incipient
schen verhaftet.                                species“ kehrt zur Statik zurück, da nur
    Bezogen auf den Menschen schreibt           ein bestimmter Zeitaspekt betrachtet
Mayr (2002, S. 90): „No matter what the         wird, das Raum-Zeit-Kontinuum wird
cause of the racial difference might be,        unterbrochen.
the fact that species of organisms may ha-          Es ist interessant zu sehen, wie in an-
ve geographic races has been demon-             deren Wissenschaften wie der Psycholo-
strated so frequently that it cannot longer     gie in derselben Weise zwischen stati-
be denied. And the geographic races of          schem und dynamischem Selbstbild
the human races – established before the        (fixed and growth mindset) unterschieden
voyages of European discovery and sub-          wird und beispielsweise im statischen
sequent rise of a global economy – agree        Selbstbild davon ausgegangen wird, dass
in most characteristics with the geogra-        Fähigkeiten und Intelligenz grundsätzlich
phic races of animals. Recognizing races        vorgegeben und nicht oder nur wenig
is only recognizing a biological fact.“         veränderbar sind (z. B. Dweck & Leggett
    Ein Problem wird schon hier deutlich.       1988). Der Bezug zur Frage nach den
Mit der Evolutionstheorie wurde ein stati-      Menschenrassen ist offensichtlich.
sches, typologisches Weltbild mit der               Wir werden zur genauen Bedeutung
Konstanz der Arten als unveränderbare           von Rassen in der Zoologie gleich zurück-
Einheiten der Schöpfung durch ein dyna-         kommen, können aber schon einmal fest-
misches Weltbild abgelöst. „Seit Darwin         halten, dass Rassen Gruppierungen in-
ist die Definition grundlegender klassifi-      nerhalb von Arten darstellen, dass sie
katorischer Kategorien wie Art und Gat-         aber im allgemeinen Verständnis eine
tung notwendigerweise verhältnismäßig           umfassendere Gruppierung darstellen als
willkürlich und höchst problematisch ge-        die Populationen es sind. Daher könnte
worden und geblieben“ (Kuhn 1978, S.            man zunächst vermuten, dass Rassen
209). Die Morphospezies als Typus ist           durchaus irgendwo zwischen 'Dingen'
wesentliches Element dieses statischen          und 'Natürlichen Sorten' anzuordnen sind.
Weltbildes, in dem Arten durch einer von        Aber, was für Merkmale sind es, die Ras-
Systematikern ausgewählten Zuordnung            sen kennzeichnen? Waren es nicht histo-
bestimmter Merkmale definiert wurden.           risch willkürlich vom Menschen definierte
Arten waren 'Klassen' und als solche un-        Merkmale, die für die Charakterisierung
veränderlich. Das Biospezieskonzept geht        von Menschenrassen herangezogen wur-
dagegen an, verleugnet aber gerade in           den? Wie sieht es also aus mit dem „Raci-
seiner Reinform (Mayr 2000) den dyna-           al Realism“, worunter die Diskussion ge-
mischen Aspekt, in dem es auf Gleichzei-        führt wird (Spencer 2018a, b)?
tigkeit der Fortpflanzungsbarrieren ab-
hebt. Es ist die Abwandlung des Bio-            Rassen in der Zoologie
spezieskonzepts durch Willi Hennig                 Innerhalb der Wirbeltiere werden re-
(1950, 1966), welche den evolutiven             gelmäßig Rassen bzw. Unterarten (beide

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Begriffe werden in der Regel synonym         meintlichen Menschenrassen sein kön-
gebraucht) beschrieben und auch in           nen.
manchen Insektengruppen ist dies üblich.          Schimpansen (Pan troglodytes) sind
Dass in anderen Taxa Arten nicht oder        über Zentral- und Westafrika verbreitet.
nur selten in Unterarten unterschieden       Sie haben Afrika nie verlassen. Es werden
werden, gibt schon einen Hinweis auf ei-     3-4 Unterarten (Rassen) unterschieden.
ne gewisse Willkür, die wir in der Defini-   Die Schwesterart des Schimpansen, der
tion Mayrs mit der Betonung “taxonomi-       Bonobo (Pan paniscus), kommt ebenfalls
scher Differenz” ja schon kennengelernt      in Zentralafrika vor, südlich des Kongo
haben. Das steht natürlich auch im engen     Flusses in der Demokratischen Republik
Zusammenhang mit dem Artbegriff. An-         Kongo. Die westlichste Population des
hänger phylogenetischer (z. B. Wheeler &     Schimpansen ist durch den sogenannten
Plattnick 2000) oder evolutiver Artkon-      Dahomey Gap von den übrigen Popula-
zepte (Wiley & Mayden 2000) würden al-       tionen klar getrennt, wir haben also echte
lopatrische Linien eben als eigene Arten     Allopatrie vor uns. Die übrigen Unterar-
beschreiben und potentielle Fortpflan-       ten sind durch Flusssysteme, die die Aus-
zungsgemeinschaften ignorieren. Die          breitung wohl einschränken mögen, nicht
Vorstellung, dass es beim Menschen viel-     vollständig voneinander getrennt. Hier
leicht auch so etwas wie monophyletische     liegt also eine parapatrische Verbreitung
Linien gegeben hat, ist durchaus vertre-     vor. Morphologisch lassen sich die Unter-
ten worden (Andreasen 1998). Entspre-        arten nur schwer trennen, am ehesten
chende ikonische Abbildungen der             noch die allopatrische P. t. verus, z. B. an
Sprachgruppen innerhalb der Mensch-          der Gestalt des Innenohrs (Gunz et al.
heit, korreliert mit molekularen Daten,      2012). Hinzu kommen auch Körpergrö-
sind insbesondere durch Cavalli-Sforza       ßenunterschiede, Gruppengrößen, Ver-
(1999) popularisiert worden. Die ver-        haltensunterschiede, die aber in der Re-
meintliche, weil augenscheinliche Tren-      gel als kulturelle Eigenschaften angese-
nung der Afrikaner von allen Nicht-Afrika-   hen werden (Yaxley & Foley 2019).
nern beruht jedoch auf einer methodisch           Gonder et al. (2011) haben nun die
bedingten Vorabgruppierung. Man muss         genetische Strukturierung der Schimpan-
allerdings Cavalli-Sforza zu Gute halten,    sen untersucht. Ein wesentliches Ergebnis
dass er sich deutlich gegen eine Unter-      ist, dass ein Großteil der genetischen
gliederung in menschliche Rassen ausge-      Unterschiede innerhalb einer Population
sprochen hat.                                zu finden ist (64,2%) und nicht zwischen
    Die generelle Problematik der Ab-        Populationen verschiedener Regionen
grenzung von geographischen Rassen/          (30,1%) (Gonder et al. 2011). Bestimmte
Unterarten soll am Beispiel der Schim-       Analyseverfahren, wie die Admixture-
pansen erläutert werden, die ja als näch-    Structure Analyse, kurz STRUCTURE Ana-
ste heute lebenden Verwandten des Men-       lyse (Pritchard et al. 2000), ermöglichen
schen noch einmal von besonderem             dennoch nicht nur die Gliederung in re-
Interesse für die Betrachtung der ver-       gionale Cluster (die dann gegebenenfalls

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als Unterarten klassifiziert werden), son-      levels of within-group diversity“, Norton
dern setzen deren Existenz sogar voraus.        et al. 2019).
So entsteht offensichtlich die Gefahr des           Ein Airedale Terrier ist ein Airedale
Zirkelschlusses (Weiss & Lambert 2014),         Terrier und kein Boxer! Dass diese Unter-
wenn auch bei Schimpansen mit ihrer pa-         schiede das Ergebnis einer künstlichen
rapatrischen oder teilweise allopatrischen      Zuchtwahl, also vom Menschen geschaf-
Verbreitung diese Annahme noch halb-            fen sind, ist heute offensichtlich. Die mei-
wegs gerechtfertigt sein mag. So ergibt         sten Hunderassen sind weniger als 150
die Analyse eine Strukturierung in 3-5          Jahre alt und wurden von Menschen
Cluster, je nach verwendeten Parametern.        durch Inzuchtverpaarung gezüchtet, um
Was aber macht P. t. verus mit allopatri-       eben bestimmte Eigenschaften zu erzeu-
scher Sonderung und spezifischer Innen-         gen. Sie sind auf eine etwas andere Art
ohrstruktur aber zu einer den anderen           und Weise auch Konstrukte des mensch-
Unterarten äquivalenten Kategorie? Wa-          lichen Geistes. Das englische Wort
rum ist P. t. verus nicht schon eine Art? Die   'breed' beschreibt dies viel besser als
genetische Differenzierung innerhalb der        das Wort 'Rasse' im Deutschen und der
zentralafrikanischen Schimpansen (ohne          Begriff Hundezüchtung wäre geeigneter
P. t. verus) ist komplex, die Unterschei-       als Rassezucht und warum nicht Hunde-
dung in drei oder sogar vier Cluster will-      sorte wie Pflanzensorte. Welchen Einfluss
kürlich, erst recht die Kategorisierung         die Hunderassenzucht am Ende des 19.
dieser Gruppen als Unterarten. Wenn be-         Jahrhunderts auf die Entwicklung rassen-
reits in einem solch geographisch stati-        hygienischer Überlegungen und Prakti-
schen Komplex die Untergliederung will-         ken hatte, beschreibt Amir Zelinger im
kürlich ist, dann trifft dies umso mehr auf     Kapitel „Das rassifizierte Haustier” seiner
den Menschen mit seiner deutliche dyna-         lesenswerten Dissertation: „Es sollte nach
mischeren Verbreitungsgeschichte zu.            ihrer Vision [Rassehundezüchter] im
                                                Deutschen Reich kein Hund existieren,
Haustierrassen
                                                der keiner Rasse angehörte, der ein
   Die Analogie zwischen Haustierrassen,        „Mischling” war.” (Zelinger 2018, S. 281).
insbesondere Hunderassen, und ver-              (Hunde-)Rassen seien „primordiale En-
meintlichen Menschenrassen ist häufig           titäten”, sie seien immer dagewesen, „die
ein rechtfertigendes Argument für die           Kreuzung zwischen ihnen sei ein Verstoß
Existenz letzterer in der Gleichsetzung         gegen ihre substanzielle Existenz als ge-
von phänotypischer Variabilität und deren       trennte Rassen” (ebd., S. 283), die Folge
Kategorisierung. Man sähe doch hier wie         sei Degeneration.
dort die Unterschiede. Die dieser Analo-            Norton et al. (2019) haben jüngst die
gie zugrunde liegende Annahme ist ei-           genetische Variation in und zwischen
gentlich simpel, dass die Verschiedenheit       Hunderassen und menschlichen Popula-
zwischen unterschiedlichen Gruppen hö-          tionen untersucht. Sie verweisen explizit
her ist als innerhalb einer Gruppe („high       auf den Umstand, dass die Ergebnisse
levels of among-group diversity and low         von STRUCTURE (Pritchard et al. 2000)

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keine realen Gruppierungen ergeben,            tions will reduce predictive power still
sondern statistische Konstrukte sind. Wie      further" Witherspoon et al. 2007, S. 358).
zu erwarten, ist die genetische Variabilität   Dieselben Autoren mahnen auch: „Thus,
innerhalb einer Hunderasse gering              caution should be used when using geo-
(Heterozygotie, H = 0.313–0.610) und           graphic or genetic ancestry to make infe-
zwischen verschiedenen Hunderassen             rences about individual phenotypes.” Das
hoch (FST = 0.33). Hunderassen sind hoch       heißt, natürlich gibt es eine genetische
strukturierte Gruppen. Der hier verwen-        Differenzierung des Menschen, die auch
dete Fixations-Index FST (Wright 1978,         eine kleinräumige, geographische Glie-
Weir & Cockerham 1984) ist ein Maß zur         derung aufweist; nichts anders wäre zu
Quantifizierung der genetischen Variabi-       erwarten gewesen, da Fortpflanzungs-
lität zwischen Populationen. Höhere FST -      partner nicht zufällig, sondern natürlich
Werte verweisen auf eine strukturierte         eher in der Nähe als in der Ferne gefun-
Population, je stärker sich der Wert Null      den werden.
nähert, um so weniger bis gar keine
Struktur existiert und es handelt sich um      Die Entstehung des
zufällige Paarungsraten.                       modernen Menschen
    Beim Menschen ist es genau umge-               Die Entschlüsselung des menschlichen
kehrt wie bei Hunderassen, und die             und des Schimpansen-Genoms zu Beginn
Schimpansen stehen dazwischen. Die Va-         des 21. Jahrhunderts zeigte, dass zwi-
riabilität innerhalb einer menschlichen        schen beiden Genomen nur ca. 1.2%
Population ist außergewöhnlich hoch –          DNA Sequenzunterschiede bestehen, das
92.9 - 94.3% (Rosenberg et al. 2002), die      heißt Menschen sind in fast 99% ihrer
genetische Heterozygotie ist somit hoch        DNA identisch mit der des Schimpansen,
(H = 0.664 - 0.792), im Gegensatz dazu         zwei Menschen weisen wiederum nur ca.
sind die Unterschiede zwischen mensch-         0.1% DNA Sequenzunterschiede auf. Im
lichen Populationen sehr gering (FST =         Vergleich dazu bestehen zwischen dem
0.052–0.083) (The 1000 Genomes Project         Genom der Hausratte und der Wanderrat-
Consortium 2010). Es ist übrigens genau        te ca. 3.5% DNA-Sequenzunterschiede,
die hohe Variabilität in jeder mensch-         obwohl es vielen Menschen schwer fallen
lichen Population, welche – genügend ge-       dürfte, diese beiden Nagetierarten mor-
netische Daten vorausgesetzt – in der          phologisch voneinander zu unterschei-
Kombinatorik eine relativ gute Zuordnung       den. Dieser Vergleich weist darauf hin,
zu geographischen Populationen erlaubt,        dass die Morphologie und der Phänotyp
nicht jedoch zu einer „Rasse“.                 kein verlässliches Maß für die Klassifizie-
    „A final complication arises when raci-    rung von Arten oder sogar Untergruppie-
al classifications are used as proxies for     rungen darstellen.
geographic ancestry. Although many con-            So wurden bis zum Ende des 20. Jahr-
cepts of race are correlated with geogra-      hunderts auch die Verwandtschaftsver-
phic ancestry, the two are not interchan-      hältnisse zwischen den heutigen mensch-
geable, and relying on racial classifica-      lichen Populationen der Kontinente (also

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den vermeintlichen Menschenrassen) ba-          hängig voneinander entwickelten. Diese
sierend auf Morphologie und Phänotyp            Hypothese kann als biologische Grundla-
intensiv diskutiert. Es standen sich zwei       ge für die Unterteilung des Menschen in
Haupthypothesen gegenüber: Die erste            Rassen angesehen werden. Sie ist aber
Hypothese wird als Multiregionale Hypo-         falsch.
these oder auch Candelabra-Modell be-               Die zweite Hypothese, die ihre Ur-
zeichnet, da der menschliche Stamm-             sprünge Mitte der 80er Jahre des 20. Jahr-
baum nach diesem Modell einem Ker-              hunderts findet, besagt, dass alle heuti-
zenhalter gleicht. Die Hypothese besagt,        gen Menschen auf einen gemeinsamen
dass sich die heutigen menschlichen Po-         afrikanischen Ursprung vor ca. 200.000
pulationen parallel auf allen Kontinenten       Jahren zurückgehen und alle Menschen
aus dem Homo erectus entwickelt haben.          außerhalb Afrikas auf eine gemeinsame
Dieser hätte Afrika vor mehr als 1 Millio-      Population, die Afrika vor ca. 60.000 Jah-
nen Jahren verlassen und sowohl Europa          ren verließ. Nach dieser Hypothese, die
als auch Asien und Australien besiedelt.        als „Out of Africa“-Hypothese bezeichnet
Daraus seien im Laufe der Zeit Asiaten,         wird (Stringer & Andrews 1988), ist der
Australier, Europäer und auch Afrikaner         heutige moderne Mensch in Afrika ent-
parallel, aber zum Großteil unabhängig          standen und verdrängte nach seiner Aus-
voneinander entstanden. Verschiedene            wanderung aus Ostafrika alle anderen
Auslegungen der Multiregionalen Hypo-           nicht zu sapiens gehörenden Menschen-
these besagen auch, dass genetischer            formen außerhalb Afrikas, z.B. den Nean-
Austausch zwischen den Populationen             dertaler in Europa oder den Homo erec-
der Welt gering war (Thorne & Wolpoff           tus in Asien.
2003). Nach diesem Modell wäre der Ne-              Erst mit Hilfe der Analyse mitochondri-
andertaler, der bis vor 40.000 Jahren in        aler DNA (mtDNA) heutiger Menschen
Europa lebte, der direkte genetische Vor-       aus unterschiedlichen Teilen der Welt
fahre der heutigen Einwohner Europas,           konnte die multiregionale Theorie weit-
heutige Ostasiaten wären aus dem Homo           estgehend zurückgewiesen werden
erectus entstanden und die heutigen Ein-        (Cann et al. 1987). Der Stammbaum der
wohner Afrikas, südlich der Sahara, wür-        mtDNA, die von der Mutter an die Kinder
den dem Homo ergaster entstammen.               vererbt wird, hat seine Wurzeln eindeutig
Diese Hypothese war bis in die 1980er           in Afrika. Alle großen Verzweigungen im
Jahre die Mehrheitsmeinung in der An-           menschlichen Stammbaum der mtDNA
thropologie zur Entstehung des moder-           finden sich ausschließlich bei Menschen,
nen Menschen. Anders als noch bei Ernst         die aus dem heutigen Afrika stammen,
Haeckel 100 Jahre zuvor setzten die Ver-        dort trennen sich die „basalen Linien” L0,
treter der Multiregionalen Hypothese den        L1, L2 und L3 voneinander. Außerhalb
Europäer nicht an die Spitze des „men-          von Afrika finden wir nur eine Seitenlinie
schlichen Stammbaumes“, man ging aber           von L3, die sich in die Linien M und N auf-
davon aus, dass sich die Menschen der           spaltet (Van Oven & Kayser 2009). Alle
einzelnen Kontinente überwiegend unab-          Menschen außerhalb Afrikas tragen

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mtDNA vom Typ M oder N. Mit Hilfe der           Exemplar, das 1856 von Johann Carl Fuhl-
molekularen Uhr, die darauf beruht, dass        rott im Neandertal bei Düsseldorf entdek-
Mutationen relativ regelmäßig entstehen,        kt und beschrieben wurde. Die mtDNA
sich im Laufe der Zeit ansammeln und            des Neandertaler- Typus und auch von
daher mit der Zeit korrelieren, konnte          mehr als zwei Dutzend weiteren Nean-
auch berechnet werden, wann sich die            dertalern, die bis heute genetisch unter-
einzelnen Linien der mtDNA voneinander          sucht wurden, zeigt mehr als doppelt so
trennten. Dabei zeigte sich, dass sich die      viele Unterschiede zu heutigen Men-
afrikanischen mtDNA Linien L0-L3 vor            schen, wie zwischen den tiefsten Linien
mehr als 150.000 Jahren, irgendwo in Afri-      im menschlichen Stammbaum in Afrika
ka, voneinander trennten. Das heißt auch,       zu finden sind. Die mtDNA Linien von
dass es zu dieser Zeit eine Frau in Afrika      Mensch und Neandertaler haben sich vor
gab, auf die alle heutigen mtDNA’s der          mehr als 400.000 Jahren getrennt (Posth
Menschen zurückgehen. Sie wurde daher           et al. 2017).
auch „mitochondriale Eva” genannt. Na-              Die Entschlüsselung des Neandertaler-
türlich lebte sie nicht alleine, aber nur ih-   Genoms aus dem Zellkern im Jahr 2010
re mtDNA hat sich an spätere Menschen           brachte eine Überraschung: Sie zeigte,
vererbt. Die Linien der Menschen außer-         dass alle Menschen außerhalb Afrikas ca.
halb Afrikas spalteten sich von der afrika-     2% Neandertaler- Gene in sich tragen.
nischen Linie L3 hingegen vor ca. 70.000        Das gilt für Europäer, Asiaten, die Urein-
Jahren ab. Die Linien M und N, die sich in      wohner Australiens und die indigene Be-
allen heutigen Menschen außerhalb Afri-         völkerung Amerikas (Green et al. 2010).
kas befinden, verzweigen sich hingegen          Neandertaler mussten sich demnach vor
erst beginnend vor ca. 55.000 Jahren. Das       ca 55.000 Jahren mit den Vorfahren heuti-
heißt, dass sich die Träger der M und N         ger Nicht-Afrikaner vermischt haben
mtDNA zu dieser Zeit beginnen, in Eur-          (Sankaraman et al. 2014). Auch mit dem
asien und Australien auszubreiten (Posth        Denisovaner (Krause et al. 2010), der bis
et al. 2016). Der menschliche mtDNA             vor ca. 40.000 Jahren in Asien lebte, hat-
Stammbaum steht also in Afrika, seine           ten sich moderne Menschen vermischt.
Wurzeln, sein Stamm und seine dicksten          Noch heute finden sich in Ostasiaten ca.
Äste, nur die Linien M und N zweigen            0.4% Denisovaner-Gene und in den Ur-
sich von der Ostafrikanischen Linie L3 ab       einwohnern Papua Neuguineas und Au-
und sind in allen Menschen außerhalb            straliens ca. 5% Denisovaner-DNA (Reich
Afrikas zu finden. Ein ganz ähnliches Mu-       et al. 2010).
ster ergibt sich auch für das Y-Chromo-             Die wenigen Prozent an Neandertaler-
som und für den Rest des menschlichen           DNA, die wir in Europäern finden und
Genoms (Mallick et al. 2016, Haber et al.       nicht in Afrikanern südlich der Sahara,
2019).                                          wurden sogleich nach ihrer Entdeckung
    Mitte der 1990er Jahre wurde die erste      instrumentalisiert. Von „White Suprema-
mtDNA eines Neandertalers entschlüsselt.        cists“ in den USA wurden plötzlich gera-
Es handelte sich dabei um das Typus-            de Neandertalergene als Argument ver-

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