ZUG ZWISCHEN HENRY MOORE UND COCA COLA - JOSEF LANG - SECHS KOLUMNEN AUS WOZ UND NEUEN WEGEN

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ZUG ZWISCHEN HENRY MOORE UND COCA COLA - JOSEF LANG - SECHS KOLUMNEN AUS WOZ UND NEUEN WEGEN
Josef Lang

        Zug
   zwischen
Henry Moore
        und
   Coca Cola

   Sechs Kolumnen aus
             WoZ und
         Neuen Wegen
Einleitung zu einem Abschiedsgeschenk                                                     Engel der Moral

Der Zufall wollte es, dass am gleichen 31. Oktober, an dem ich mich im Zuger Stadt-       Ein Gespenst geht herum in meinem            (Wieder-)Eroberung unserer Geschichte
haus abmeldete, im Tagesanzeiger Paul Klees „Angelus Novus“ gross abgebildet war.         Kopf - das Gespenst der Heimat. Es ver-      sind die linke Alternative zu einem Hei-
Auf einer ganzen Seite stellte der Berner Kunsthistoriker Konrad Tobler die Ausstel-      folgt mich in Abstimmungskämpfen wie         mattum, das schnell zur Heimatdümmelei
lung „Die Engel von Klee“ vor. Mir war sofort klar: In das Abschiedsbüchlein, dessen      dem gegen die CH91 und den Waffen-           verkommt.
geplante Inhalt die fünf Kolumnen der Neuen Wege des Jahres 2012 waren, gehört            platz Rothenthurm, bei Unterschriften-       Diese nüchternen Zeilen schreibe ich
das vor 25 Jahren unter dem Titel „Über Gespenster und Engel“ erschienene WoZ-            sammlungen wie der für die Armeeab-          an einem der schönsten Orte, den ich
„Tagebuch“. Illustriert war der damalige Text mit Henry Moores „Knife Edge Figure“        schaffung, bei Polit-Kampagnen wie der       kenne: angelehnt an die Henry-Moore-
(Messerschneide), die im (inzwischen wunderbar geretteten) Seeliken-Bad steht.            für eine offene Schweiz oder gegen die       Skulptur am Rande des von der unterge-
Drei Engel haben in meinem Leben eine wichtige Rolle gespielt: der Schutzengel, für       Südafrika-Umgehungsgeschäfte, bei De-        henden Sonne verfärbten Zugersees. Bei
den ich an meiner Kinderhand ein Kettchen trug, damit er mich führen konnte, Walter       mos und Aktionen wie denen gegen die         Föhnstürmen erinnert mich die Plastik
Benjamins „Engel der Geschichte“, der mich vor blinder Fortschrittsgläubigkeit be-        Stadtzerstörung und die Wohnungsnot,         an Benjamins «Engel der Geschichte»,
wahrte und Henry Moores Skulptur, der ich den Namen „Engel der Moral“ gab. Klees          die unter dem Motto «Wir wollen LEBEN        der in einem Sturm treibt, den Rücken
„Angelus Novus“ hatte den jüdisch-marxistischen Philosophen Benjamin auf dessen           in dieser Stadt» laufen. Jedes mal stellt    zur Zukunft und vor sich «eine einzige
Flucht vor den Nazis begleitet, ihn aber nicht retten können. Ich glaube immer noch,      sich die Frage: Wie stehe ich zu einer       Katastrophe, die Trümmer auf Trümmer
dass echte Kultur und gute Politik Zug vor dem „Verderben“ bewahren können, in das        Stadt, die immer geschäftiger und lebloser   häuft». Wahrend aber Benjamins Engel
es durch fragwürdigen „Geldreichtum“ schon einmal gestürzt worden ist.                    wird? Was suche ich in einem Land, das       seine aufgeblasenen Flügel nicht mehr
Moores Kunstwerk wurde 1977 durch die Stiftung Landis & Gyr erworben und der              immer grauer gegen innen und grausa-         schliessen kann, hat der Sturm sie dem
Stadt Zug geschenkt. Die L&G wie auch deren Nachfolgefirmen stehen für jenen Teil         mer gegen aussen wird?                       zugerischen zerfetzt - genau wie der
der Zuger Wirtschaft, der sich den Gemeinwesen, in denen er seine Gewinne erwirt-         Das Wesentliche sagte Che Guevara vor        rücksichtslose Finanzplatz die öffentliche
schaftet, verbunden und verpflichtet fühlt. Es geht nicht darum, den Werkplatz zu         23 Jahren zu Jean Ziegler: «Du bist im       Moral zerstörte. Haben die Landis&Gyr-
beschönigen. (Ein Jahr vor dem Kauf der durch einen Linken geschaffenen Plastik           Gehirn des Monsters geboren, hier musst      Mäzene und die beschenkten Stadtväter
entliess die L&G den Elektroeicher Bruno Bollinger, weil er zu einer Betriebsversamm-     du kämpfen.» Spätestens seit Nicolas         diese Symbolik bedacht?
lung aufgerufen hatte.) Aber zwischen einer L+G oder einer Siemens Building Techno-       Lindts «tell-Serie» unter dem program-       See, Sonnenuntergang, Skulptur fesseln
logies einerseits und einer Glencore oder einer Coca Cola Hellenic andererseits gibt es   matischen Titel «Die Schweiz (und damit      mich an einen Ort, der so viel Absto-
wichtige Unterschiede (die wir früher unterschätzt haben).                                das Monster, jl) war stärker» müssen         ssendes hat. Sind das nicht heimatliche
Nicht zuletzt um solche Unterschiede geht es in den Kolumnen, die ich letztes Jahr in     wir uns fragen: genügt das Wesentliche?      Bindungen? Könnte Heimat auf die
den monatlich erscheinenden „Neuen Wegen“ veröffentlicht habe und die den Haupt-          Um diese Frage zu beantworten, um die        natürlich-landschaftliche Bedeutung
teil dieses Büchleins ausmachen. Die letzte fasst den ethischen Absturz des Zuger         (un)heimlichen Heimat-Gespenster zu          eingeschränkt werden, stimmte ich dem
Rechtsbürgertums mit einem Zweizeiler zusammen: „Asyl für Coca Cola aus Helle-            bannen, schreibe ich an einem Beitrag        zu. Aber da Heimat immer mit Staatlich-
nien, kein Asyl für Deserteur aus Syrien“. Der von den Behörden systematisch geför-       für den «Widerspruch». Die beiden            herr(!)schaftlichem schwanger geht,
derte Umzug der Coca Cola Hellenic von Athen nach Zug ist mehr als ein Skandal. Er        Hauptthesen lauten: Nur ein utopischer,      wehre ich mich dagegen. Wer der Heimat
ist eine Schande, deren Reputationskosten bedeutend höher sind als die der Romer-,        von Staatlichem und Territorialem            den kleinen Finger gibt, dem nimmt das
Betschart-, Brandenberg-Geschichten. Die Zukunft Zugs steht auf Messers Schneide.         geläuterter Heimatbegriff, wie ihn Ernst     Vaterland die ganze Hand. Genau das
Dem politischen wie kulturellen, letztlich ethischen Grundsatz-Entscheid zwischen         Bloch vertrat, kann emanzipatorisch sein;    passierte Erich Langjahr mit seinem Zu-
der Nachdenklichkeit und Nachhaltigkeit, wie sie Henry Moore verkörpert, und der          unsere einzige jetztzeitige Heimat ist die   ger Heimat-Film «Ex Voto», der zu einem
Oberflächlichkeit und Rücksichtslosigkeit, wofür Coca Cola steht, kann es nicht länger    Solidarität. Aber: auch als vaterlandslose   CH91-Opus gemacht wurde.
ausweichen.                                                                               GesellInnen haben wir unsere Geschichte      Im Rahmen der «Widerspruch»-Arbeit
                                                                                          und Wurzeln - zum Beispiel den «15jah-       vertiefe ich mich in die Biografien zweier
Silvester 2012, Josef Lang                                                                rigen Zustand der Revolution» (Alexis de     Zuger Oppositioneller aus dem 18. und
                                                                                          Tocqueville) der Regenerationszeit. (Wie-    19. Jahrhundert und bin erstaunt, wie
                                                                                          der-)Aufbau von Solidaritätsnetzen und       aktuell ihre Probleme und Kämpfe sind.

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Engel der Geschichte

Der eine, Franz Karl Stadlin, ein Anhän-     seinen Dienst getan und soll gehen, bevor
ger der französischen Revolution, hatte      es uns die Flügel stutzt, wie dem «Engel
von der Stadt derart genug, dass er als      der Moral» am Zugersee geschah.
20jähriger abhaute mit dem Vorsatz, sie
«nie mehr zu betreten». Später wurde
der streitbare Aufklärer heimisch, seine     Erstveröffentlichung Wochenzeitung, Nr.
Beziehung blieb die einer «zwiespältigen»    43, 23.10.1987, Zweitveröffentlichung in:
Hassliebe. Er liebte das «romantische        Zuger Antologie, Band 2, Texte zu Zug,
Zug», das nicht so «bleich und gebleicht»    Zürcher Druck + Verlag Zug, S. 262-265.
wie das seines St. Galler Freundes sei.      Bei dem im Text angesprochenen «Wi-
Was er hasste, zeigen seine Schriften über   derspruch» handelt es sich um desssen
seinen geistigen Vorgänger, den «Schwar-     Nummer 14 vom Dezember 1987. Der
zen Schumacher». Joseph Anton Schu-          Titel des Beitrags lautet: «Solidarität - und
macher hatte als Anführer der «Harten»       das Erbe des revolutionären Republika-
1729 die herrschenden Familien, die von      nismus.»
den französischen Sold-Pensionen und
vom Burgundersalz lebten, entmachtet,
den Salzhandel verstaatlicht, den Bund
mit der französischen Krone aufgelöst
und als frühaufgeklärter Bildungsbürger
den Hexenverfolgungen Einhalt geboten.
Stadlin schrieb über den schon damals
blutbefleckten Finanzplatz, gegen den der
Schwarze Schumacher angetreten war:
«Dieser Geldreichthum war es, im Gegen-
satze zur Nationalarmuth, der … unseren
Kanton dem Verderben zuführte. Unum-
schränkt regierte der Pensionenausthei-
ler (der damalige Marc Rich hiess Fidel
Zurlauben, jl) das Land … Der öffentliche
Geist war an der Feilheit verdorben».        „Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund
1735 starb der «Schwarze Schumacher» in      steht offen, und seine Flügel sind ausge-
einem Turiner Kerker, kurz nachdem er        spannt. Der Engel der Geschichte muss so
entmachtet und zu einer Galeerenstrafe       aussehen. Er hat das Antlitz der Vergan-
verurteilt worden war, an Erschöpfung        genheit zugewendet. Wo eine Kette von
und - Heimweh.                               Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht
Seit 15 Jahren rennen wir gegen den          er eine einzige Katastrophe, die unablässig
Finanzplatz an und merken erst jetzt, dass   Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm
wir nicht die ersten sind. Das Heimat-Ge-    vor die Füsse schleudert.“
spenst entführte uns in die Grümpelkam-      (Walter Benjamin, Über den Begriff der          Angelus Novus (1920), Paul Klee
mer der eigenen Geschichte. Damit hat es     Geschichte, IX. These, 1940/42)

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Seit einigen Wochen läuft in verschie-        Josef Lang                                                                                    Riesenhand an eine neue Organisation         Schmarotzerpflanzen zu nähren, be-

                                                                                                Alltag in …
                                                                                               der Schweiz
denen Medien und Parteien eine mehr                                                                                                         der sozialen Verhältnisse.»                  gehrliche Bettellust, Verlassen auf Ande-
oder weniger intensive Liberalismus-                                                                                                            «Soziale Freiheit» meint ein von der     re und ausgeschäumten Müssiggang zu
Debatte. Dabei kommt der reiche Erfah-                                                                                                      Bürgerschaft getragenes demokra-             pflanzen!›». Dann kontert Keller sehr
rungsschatz, über den insbesondere der
Freisinn aus der Zeit vor, während und        Augustin Keller                                                                               tisches Gemeinwesen, dessen Funktio-
                                                                                                                                            nieren die Voraussetzung für die Aus-
                                                                                                                                                                                         grundsätzlich: «Allein vom höheren,
                                                                                                                                                                                         ethischen Prinzip des Staates aus ist das

                                              und das erste
nach der Gründung des Bundesstaates                                                                                                         übung       der    persönlichen,    auch     Urteil unstatthaft. Denn es widerspricht
verfügt, viel zu kurz. Während Chri-                                                                                                        wirtschaftlichen Freiheitsrechte ist. Die    dem ursprünglichen sozialen Zwecke
stoph Blocher und die SVP geschichts-
                                              Urrecht
                                                                                                                                            «soziale Gleichheit» forderte Keller aus     des Staates selbst. Wenn nämlich der
versessen sind, scheinen der Freisinn und                                                                                                   drei Gründen: Erstens ging er davon          Rechtsstaat den Zweck hat, den Einzel-
die Linke geschichtsvergessen zu sein.                                                                                                      aus, dass die herrschende Ungleichheit       nen in seinen Rechten zu schützen, so
   An ihrer kürzlichen Delegiertenver-                                                                                                      mit dem liberalen Leistungsprinzip we-       hat er auch die Pflicht, ihn im Rechte der
sammlung vom 11. Februar hat die FDP                                                                                                        nig zu tun hat. Zweitens betrachtete er      Existenz zu schützen.» Nachdem er die-
in ihrer Resolution «Das liberale Origi-                                                                                                    es als Pflicht des Staates, nicht nur die    ses soziale Recht als «erstes Urrecht»
nal» sich zwar auf die «Werte» berufen,                                                                                                     liberalen Individualrechte, sondern          dargestellt hat, schliesst er mit der rhe-
für die sie «seit über 160 Jahren» kämpft.                                                                                                  auch die sozialen Existenzrechte zu          torischen Frage: «Trägt nicht auch der
Der Zufall will es, dass vor genau 160 Jah-                                                                                                 schützen. Und drittens war ihm klar,         Staat, zumal der sogenannte zivilisierte
ren, am 22. Februar 1852, im freisinnigen                                                                                                   dass die formale Gleichheit nicht allzu      Staat, als moralische Person Pflichten
Vorzeigekanton Aargau das Volk nach                                                                                                         grosse materielle Ungleichheit verträgt.     der Humanität auf seinem öffentlichen
heftigen Auseinandersetzungen die Ein-                                                                                                          Was er gegen die damaligen «libe-        Gewissen?»
führung von direkten Einkommens-, Ver-                                                                                                      ralen» und «christlichen» Sozialabbauer         Dieses Plädoyer für mehr Sozialstaat
mögens- und Erwerbssteuern und die                                                                                                          einzuwenden hatte, hat nichts an Aktua-      bedeutete höhere Steuern. Kellers Ge-
Erhöhung der Erbschafts- und Schen-                                                                                                         lität eingebüsst. Im Oktober 1866 hielt er   sinnungsgenosse Georg Joseph Sidler,
kungssteuer beschlossen hat. Der heftige                                                                                                    vor der Jahresversammlung der Schwei-        ehemaliger Zuger Landammann und al-
Streit, der im Rahmen einer Totalrevision                                                                                                   zerischen Statistischen Gesellschaft im      lererster Alterspräsident des ersten Na-
der Kantonsverfassung stattfand, war im                                                                                                     Roten Haus in Brugg ein viel beachtetes      tionalrates, schrieb 1854 in einer Steuer-
Wesentlichen ein innerliberaler gewe-                                                                              Josef Lang, National-    Referat zur «Entwicklung der Armen-          debatte seinen freisinnigen Nachfahren
sen. Das Nein vertraten die als «Herren-                                                                           rat 2003–2011, ist       pflege». Zuerst zitierte er die damaligen    folgenden Satz ins Parteibuch: «Bei stei-
partei» bezeichneten Besitzbürgerlichen,                                                                           Historiker. Zu seinen    Polemiken gegen den Sozialstaat: «Fort       gender Kultur werden die Erfordernisse
welche unterstellten, die Vorlage sei eine                                                                         Schwerpunkten ge-        mit der obligatorischen Armenfürsorge!       des Staates immer grösser.» Die Parole
«Räuberverfassung» und führe zu einer                                                                              hört die Geschichte      hört man oft sagen. ‹Überlasse man die       «Mehr Freiheit – weniger Staat» hätten
«Kommunistenwirschaft». Für die neuen                                                                              des Freisinns. Er wird
                                                 Interessant ist, in welchen weltge-      Büste von Augustin                                Sache dem angeborenen Menschenge-            Sidler, Keller und ihre freisinnigen Par-
                                                                                                                   2012 im Wechsel mit
Steuern kämpften Bildungsbürgerliche          schichtlichen Zusammenhang Keller als       Keller in Aarau (Bild:
                                                                                                                   Dorothee Elmiger die     fühl, der Humanität, der evangelischen       tei- und Zeitgenossen gar nicht verstan-
und Linksfreisinnige unter Führung des        Kommissionssprecher den sozialen Fort-      Der Sonntag).                                     Moral, der freiwilligen Armenpflege!         den. Oder den konservativen Sonder-
                                                                                                                   «Alltags»-Kolumne
Seminardirektors Augustin Keller.             schritt der neuen Aargauer Verfassung                                schreiben.               Die gesetzliche Armenpflege zapft den        bündlern oder irgendeiner «Herrenpar-
   Keller war eine prägende Figur des         im Januar 1852 stellte: «Mit dem norda-                                                       Gemeinwesen das Blut ab, um dessen           tei» zugeschrieben.
Schweizer Freisinns während fast eines        merikanischen Freiheitskriege beginnt
halben Jahrhunderts – von 1835 bis 1880.      die europäische Revolution, und seit
Der antiklerikale Katholik hatte vor der      dem Sturz der Bastille hat sie ihre Per-
Gründung des Bundesstaates die Bun-           manenz erklärt. Nach dem Sturz der
desrevolution mit ihren Schlüssel-            Bourbonen (1830) begann ihre grosse
faktoren Klosteraufhebung, Jesuitenver-       Mission für Freiheit und Gleichheit wie-
bot, Freischarenzüge vorangetrieben.          der mit verjüngter Pfingstgewalt. Die
Im jungen Bundesstaat war er Vorkämp-         politische Befreiung ist überall ihre
fer für die Judenemanzipation, für die        nächste Aufgabe; aber bevor sie irgend-
Totalrevision der Bundesverfassung und        wo den Tempel der sozialen Freiheit
für die Schaffung der christkatholischen      vollendet, beginnt sie bereits auch den
Kirche. Während er als Kulturkämpfer          Tempel der sozialen Gleichheit. In der
berühmt oder berüchtigt blieb, ist er als     Schweiz hat sie den Bau der Freiheit un-
Sozialpolitiker vergessen gegangen.           ter Dach gebracht, und jetzt legt sie die

                                               79                                                                                                                                        80
Jo Lang                                      schweren Beschädigung des Service Pu-       präsidenten Kostas Simitis eingefädelt     ken und stockte somit den Bestand auf
       Alltag …
in der Schweiz
                                                               blic führt, lassen einen solche Zahlen      wurde. «Die Zeit» brachte im bereits zi-
                                                               und Zitate die Haare zu Berge stehen.       tierten Artikel die Aussage eines Rüs-                                           -

                  Waffen für
                                                               Leider gibt es nur wenige EU-Politiker-     tungslobbyisten des vorwiegend deut-       land ziemlich nutzlos.
                                                               Innen, welche einen sofortigen und          schen Rüstungskonzerns EADS: «Ein             Griechenland begründete seine Auf-
                                                               langfristigen Stopp der griechischen        grüner Aussenminister trat gegenüber       rüstung mit dem Erzfeind Türkei, was

                  Griechenland                                 Rüstungsvorhaben fordern. Einer von
                                                               ihnen ist Daniel Cohn-Bendit, Grüner
                                                                                                           einem griechischen Sozialdemokraten

                                                                                                           für Griechenland ein.» Die griechischen
                                                                                                                                                      die Militärs und Rüstungslobbyisten auf
                                                                                                                                                      beiden Seiten weidlich ausnützen. «Die
                                                               Fraktionschef im Europaparlament:                                                      Zeit» zitierte dazu einen griechischen
                                                               «Von aussen greifen die EU-Länder in        Sozialdemokraten haben zwar – wie ihre     Insider: «Die Branche wusste genau, was
                                                               praktisch alle Rechte Griechenlands ein.    konservativen Vorgänger und Nachfol-       die Türkei bekommt, und entsprechend
                                                               Krankenschwestern wird der Lohn ge-         ger – aktiv aufgerüstet, aber bei diesem   wurde Druck ausgeübt, dass wir Grie-
                                                               kürzt, und alles Mögliche soll privati-     Deal blieb es bei der Absichtserklärung.   chen über Ähnliches verfügen müssten».
                                                               siert werden. Nur beim Verteidigungs-
                                                               haushalt heisst es plötzlich, das sei ein                                                Hier liegt ein weiteres Versagen der
                                                               souveränes Recht des Staates. Das ist       Kostas Karamanlis, immer wieder dazu       USA und der Europäischen Union. Sie
                                                               doch surreal.» Cohn-Bendit erklärt sich                                                haben sehr wenig unternommen, um
                  Kein europäisches Land gibt für Rüs-         die Absurdität, dass beim Sozialen rück-    halten. Der liberale Aussenminister        den seit mehr als einem Jahrhundert be-
                  tung so viel Geld aus wie Griechenland.      sichtslos gespart und bei der Rüstung       Guido Westerwelle verlangte im Früh-
                  Im Zeitraum zwischen 2000 bis 2010           weiterhin geklotzt wird, mit Wirt-                                             -       und Griechenland beizulegen. Beide
                  stiegen die Ausgaben von 5,9 auf 8,6 Mil-    schaftsinteressen, insbesondere franzö-                                                Länder gehören der N        an. Griechen-
                  liarden Euro. Die letzte Zahl entspricht     sischen und deutschen.                         Dieses Verhalten ist umso skanda-       land ist zudem Mitglied jener EU, mit
                  3 Prozent des Bruttoinlandprodukts und          Tatsächlich sind laut dem Rüstungs-      löser, als die Rüstungskäufe ein wich-     der die Türkei assoziiert ist. Die EU ak-
                  liegt damit 50 Prozent über dem EU-          exportbericht 2010 die GriechInnen          tiger Grund für die plötzlich explodie-    zeptiert die absurde Situation, dass ein
                  Durchschnitt. Im Budget-Etat 2012 ist        nach den PortugiesInnen, denen eine         rende Staatsschuld Griechenlands war.      grosser Teil ihres Mitgliedstaates Zypern
                  vorgesehen, dass die Beiträge an die Na-     ähnliche Katastrophe droht, die grössten    Laut dem schwedischen Friedensfor-         von türkischen Truppen widerrechtlich
                  to um die Hälfte auf 60 Millionen Euro       Abnehmer deutscher Kriegsgeräte. In         schungsinstitut Sipri verzeichneten zwi-   besetzt gehalten und als Teil der Türkei
                  und die laufenden Ausgaben für den           spanischen und griechischen Zeitungen
                  Verteidigungshaushalt um 200 Millio-         war zu lesen, Angela Merkel und Nicolas                                          -     die verfeindeten Militärs und die euro-
                  nen auf 1,3 Milliarden Euro steigen: ein     Sarkozy hätten Griechenlands dama-          importe als Griechenland. Die deutsche     päische Kriegsindustrie von dieser Gro-
                  Plus von 18,2 Prozent. Diese Steige-         ligen Premier Giorgos Papandreou Ende                                            -     teske. Den Preis bezahlen die türkischen
                  rungen machen die geplanten «Sen-            Oktober 2011 daran erinnert, bestehen-                                           -     und vor allem die griechischen Bürge-       Jo Lang, info@
                  kungen der Beschaffungskosten von            de Rüstungsaufträge zu erfüllen oder gar                                         -     rinnen und Bürger.
                  Militärbedarf um 300 Mio Euro», wie es       neue abzuschliessen. Die offiziellen De-
                  im offiziellen EU-Papier «Griechenland-      mentis sind umso unglaubwürdiger, als
                  Hilfe» heisst, gleich wieder wett. Anfangs   die Kontrolle über die griechische Spar-
                  Jahr liess sich ein hoher Vertreter des      und Ausgabenpolitik längst nicht mehr
                  griechischenVerteidigungsministeriums        bei den Griechen liegt. Wenn das offizi-
                  von der deutschen «Die Zeit» mit dem         elle Sparvolumen, das die sogenannte
                  Satz zitieren: «Sollte Griechenland im       Troika (Europäische Zentralbank, EU-
                  März die nächste Tranche der Finanzhil-      Kommission und IWF) zu verantworten
                  fen über voraussichtlich 80 Milliarden       hat, jährlich 25 bis 30 Milliarden Euro
                  Euro ausgezahlt bekommen, gibt es eine       umfasst und nur 300 Millionen auf die
                  reelle Chance, neue Rüstungsverträge         Rüstung fallen, dann bestätigen diese
                  abzuschliessen.» (5.1.2012)                  Zahlen Cohn-Bendits Vorwurf.
                      Angesichts des rücksichtslosen Spar-        Pikant ist die Tatsache, dass das
                  diktats, welches zu massiven Arbeits-        grösste der ausstehenden Rüstungs-
                  platzverlusten, Lohnsenkungen und            geschäfte, der Kauf von 90 Eurofightern,
                  Sozialkürzungen, zu einer dramatischen       1999 von Aussenminister Joschka Fi-
                  Ausbreitung der Armut sowie zu einer         scher mit dem griechischen Minister-

                                                                146                                                                                    147
Alltag …    Jo Lang                                       Prinzipienlosigkeit der einst überzeu-       schritt derart klar wie der Zuger CVP-      Zug, die Wohnungsnot und den sozialen

   in Zug
                                                          gungsstarken Partei bedenken. Zum er-        Nationalrat Gerhard Pfister. Dabei ist er   Verdrängungsprozess, wirklich ernst?
                                                          sten: Die Katholisch-Konservativen (KK)      im Rechtsrutschen seiner Fraktion und       Der Antiintellektualismus wiederum
                                                          haben die Gründung des Bundesstaates         Partei immer ein paar Längen voraus.        gehört zum klassischen Repertoire der
            Die CVP                                       nicht aus kantonalistischen, sondern
                                                          aus konfessionalistischen Gründen be-
                                                                                                       So gehörte er zu den 7 (von 27 CVPlern),
                                                                                                       welche sogar für den Ausschluss der Fa-
                                                                                                                                                   helvetischen Rechten seit der Regenera-
                                                                                                                                                   tionszeit. Dr. Blocher beherrscht ihn
            kann ihr Kürzel                               kämpft. Sie waren dagegen, dass Prote-
                                                          stantInnen in katholischen Kantonen als
                                                                                                       milienangehörigen aus dem Asylrecht
                                                                                                       stimmten. Gerade als Zuger frage ich
                                                                                                                                                   noch besser als Dr. Pfister.
                                                                                                                                                      Man mag streiten, ob die CVP wieder
                                                                                                       mich immer wieder: Was haben Per-
            behalten
                                                          Freie und Gleiche leben und stimmen                                                      konservativer oder nicht eher reaktio-
                                                          konnten. (Die konservativen Prote-           sonen und Parteien für ein Menschen-        närer geworden ist. Auf keinen Fall kann
                                                          stanten waren keinen Deut besser, aber       bild, die derart offen für fremde Gelder    sie noch christlich genannt werden.
                                                          politisch schwächer.) Kaum war der           (beispielsweise aus dem Rohstoffhandel      Wenn die CVP das achte Gebot ernst
                                                          Bundesstaat mit seiner wichtigsten Er-       oder aus der Steuerflucht) und derart       nimmt, ändert sie ihren Namen. Das bis-
                                                          rungenschaft, der Niederlassungs- und        verschlossen gegenüber fremden (und         herige Kürzel kann sie beibehalten.
                                                          Kultusfreiheit für KatholikInnen in pro-     geldlosen) Menschen sind?                   Schliesslich schreibt sich die deutsche
                                                          testantischen und für ProtestantInnen in         In einem Text zum hundertsten Ge-       Zeitschrift «Capital» auch mit dem latei-
                                                          katholischen Gebieten gegründet, wurde       burtstag der CVP (vormals KK) rekla-        nischen «C».                           t
            Dass die einst liberale FDP mitmacht bei      die KK zur Avantgarde im Kampf gegen         miert Pfister den Konservativismus für
            der Aushöhlung des Asylrechts und bei         die politische Gleichheit und die reli-      sich. Aber hat «konservativ» nicht auch
            der Verunglimpfung von Fremden kann           giöse Freiheit der Jüdinnen und Juden.       mit Bewahrung der Schöpfung zu tun?
            kaum mehr erstaunen. Diese Partei hat         In der Zwischenkriegszeit war keine Par-     Vielleicht meint der Autor mit konser-
            mit ihrer grossen Geschichte, als sie für     tei derart anfällig auf den Antisemitis-     vativ einfach gegenmodern. Die beiden
            eine offene Asylpolitik und für die Rech-     mus, derart hartherzig in der Flücht-        Grundpfeiler der politischen Moderne
            te der damaligen Fremden, der Juden,          lingspolitik und derart intolerant gegen-    sind die Gleichheit und die Freiheit. Ei-
            eintrat, schon längst gebrochen. Philipp      über Andersdenkenden. Allerdings hat-        ne Haltung, die Menschen je nach Ka-
            Müller ist das Gegenteil von Augustin         ten in allen erwähnten Ausgrenzungen         pitalvermögen (früher war es je nach
            Keller. Dass die GLP auch in der Asyl-        die offizielle Kirche und die Mehrheit der   Konfessionszugehörigkeit) derart unter-
            politik eine antiliberale Haltung vertritt,   Geistlichen oft federführend mitge-          schiedlich betrachtet und behandelt, un-
            ist ebenso wenig überraschend. Diese          macht.                                       tergräbt die normative Grundlage der
            Partei hat keinen Kompass, dafür einen            Kirche und Klerus emanzipierten sich     modernen Demokratie. Im erwähnten
            Kopf, der immer reaktionärer wird.            im Zeichen des Zweiten Vatikanischen         Beitrag schreibt Pfister, auf den bri-
            Dass die CVP bei den unmenschlichen           Konzils (1962–1965) von einer Partei, die    tischen Konservativen Edmund Burke
            Beschlüssen mitmachte, das allerdings         sich erst 1971 zur Christdemokratie und      Bezug nehmend: «Abstrakte Prinzipien
            hat zu mehr Erstaunen geführt.                damit zur politischen Moderne bekann-        wie ‹Freiheit› und ‹Gleichheit› werden
               Dieses Erstaunen ist nur teilweise         te. Dank deren eigenen Öffnung zur Mit-      dieser Komplexität nie gerecht.» Gäbe es
            verständlich. Verständlich ist es, weil die   te kamen sich Partei und Kirche in den       bloss diesen Satz könnte man ihn als sa-
            grosse Mehrheit der CVP-Fraktion eine         beiden folgenden Jahrzehnten wieder et-      lopp-provokativ bezeichnen. Da er aber
            Position eingenommen hat, welche              was näher. Das änderte sich mit dem          hervorragend zur Praxis des Autors und
            christlichen Grundsätzen derart offen-        weltweiten Durchmarsch des Neolibera-        immer mehr zu jener seiner Partei passt,
            sichtlich widerspricht, dass sie in den       lismus und dem Aufstieg der SVP in den       ist er ernst zu nehmen – als Kampfansa-
            Neuen Wegen nicht weiter aufgeführt           Stammlanden. Unter diesem Doppel-            ge gegen den sozialen und liberalen
            und ausgeführt werden müssen. Ver-            druck verwandelte sich die CVP in eine       Fortschritt.
            ständlich ist es auch, weil die historisch    Partei, die in Wirtschaftsfragen immer           Gleich nach der Infragestellung von
            mit der CVP verbundenen katholisch-           kapitalistischer und in der Fremdenfrage     Gleichheit und Freiheit bringt Pfister
            kirchlichen Autoritäten sich öffentlich       nationalistischer wurde. Der Sozialka-       folgenden Satz: «Mehr Orientierung an
            für eine liberale und humane Asylpoli-        tholizismus wurde marginalisiert, und        den tatsächlichen Problemen der Men-
            tik ausgesprochen haben.                      vom Katholizismus im ursprünglichen          schen und nicht an Studierstubenweis-
               Nicht erstaunlich ist es für alle jene,    Wortsinne «universell» blieb nur die glo-    heiten täte der Schweiz gut.» Nehmen
            die a) die Geschichte des politischen Ka-     bale Geschäftstüchtigkeit übrig.             Pfister und seine Partei das grösste Pro-
            tholizismus kennen und b) die aktuelle            Niemand verkörpert diesen Rück-          blem der meisten Menschen im Kanton

                                                           216                                                                                      217
Jo Lang                                      zung des Stadtparlaments vom . Sep-
Alltag …
   in Zug
                                                                                                      ren. (Zusätzlich zu den beiden jungen       Anruf einer Wochenzeitung, die ebenso
                                                         tember mit dem Titel: «Angriff ver-          Tamilen wurde Cédric Wermuth und            rechts ist wie das Zentralschweizer
                                                         geigt».                                      mir unterstellt, bei den Jusos, bei den     Monopolblatt, aber für die Recherchie-
                                                             Hanspeter Uster und ich, die anfäng-     Zuger Alternativen und in der GSoA die      ren immerhin kein Fremdwort ist. Der
            Rechte                                       lich mit Befremden, ab dem vierten Ar-
                                                         tikel mit Entsetzen die rechtslastige
                                                                                                      Unterwanderung durch die Tamil Tigers
                                                                                                      zu fördern. Siehe dazu den Artikel von
                                                                                                                                                  Journalist konfrontierte mich mit der
                                                                                                                                                  folgenden Behauptung: Es gäbe eine

            Monopolisten                                 Kampagne verfolgten, verfassten zur
                                                         Herstellung einer gewissen Pluralität
                                                                                                      Hanspeter Uster in der jüngsten GSoA-
                                                                                                      Zitig!) Im Unterschied zum Zentral-
                                                                                                                                                  Verschwörung, der die Luzerner Brüder
                                                                                                                                                  Roth, die Zuger Uster und Lang sowie
                                                         und zur Entlastung der Stadtluzerner SP
            und linke
                                                                                                      schweizer Monopolblatt prüfte der Ta-       das neu gewählte GL-Mitglied Lathan
                                                         einen Leserbrief. Dieser enthielt sich       gesanzeiger die Anschuldigungen und         Sintharalingam angehörten und die von
                                                         jeglicher Wertung, berichtete sachlich,      verzichtete dann auf deren Veröffent-       den Tamil Tigers finanziert würde. Das
            «Kronzeugen»                                 was wir mit der «Kronzeugin», wie die
                                                         NLZ ihre Hauptquelle uns gegenüber
                                                                                                      lichung. Dem zentralschweizer Blatt
                                                                                                      passte die Polemik gegen die Jusos der-
                                                                                                                                                  nationale Rechtsmagazin veröffentlichte
                                                                                                                                                  – wie seinerzeit der Tagesanzeiger – die-
                                                         nannte, im Zuger Gewerkschaftsbund           art gut ins Konzept, dass es dem Falsi-     se Denunziation nicht. Zum Glück ist
                                                         (GBZ) erlebt hatten. Kurz zusammen-          fikationsrisiko, das eigenständige Re-      sie nicht dem Zentralschweizer Mono-
                                                         gefasst hatte sie als GBZ-Vorstandsmit-      cherchen nun mal mit sich bringen, aus      polblatt gesteckt worden.              t
                                                         glied eine intolerante Ausgrenzungs-         dem Weg ging.
            Wie für eine Person gibt es auch für eine    praxis gegen «ethnische Gruppen» und            Das wiederholte sich im aktuellen
            Partei nicht Schlimmeres, als einem          einzelne Angehörige, insbesondere Ju-        Fall. Die NLZ, die laufend das Wort
            Monopol-Medium ausgeliefert zu sein,         so-Mitglieder, vertreten. Sie tat das auch   «Amtsgeheimnisverletzung» wiederhol-
            welches das Ziel verfolgt, einem einen       dann noch, als eine ausserordentliche        te, nahm sich keine Mühe, bei einem
            möglichst grossen Schaden zuzufügen.         Delegiertenversammlung mit bloss drei        Rechtsgelehrten abzuklären, wie es sich
            Die Stadtluzerner SP musste diese Er-        Gegenstimmen verbindliche Toleranz-          damit überhaupt verhalten könnte. Das
            fahrung in den zwei Wochen vor dem           Beschlüsse gefasst hatte. Aus diesem         Regionaljournal Zentralschweiz von
            gesamtschweizerischen Parteitag ma-          Grund wurde sie – mit ihren beiden Ge-       DRS  hat es getan. Der befragte Rechts-
            chen. Die Neue Luzerner Zeitung, die         sinnungsgenossInnen – aus dem Vor-           professor von der Uni Luzern gab Ent-
            rechteste Tageszeitung der Deutsch-          stand abgewählt.                             warnung. Das Monopolblatt verhielt
            schweiz, führte gegen die Genossinnen            Die NLZ weigerte sich, unseren Le-       sich, als würde es nur das eigene Pri-
            und Genossen eine ebenso einseitige wie      serbrief zu veröffentlichen und bewahrte     vatradio hören.
            demagogische Kampagne. Sie nahm ein          so ihr Informationsmonopol und ihre             Wer nur eine Seite ernst nimmt, ver-
            linkes Parteimitglied ins Visier und bau-    Deutungshoheit. Ihr Argument lautete,        passt häufig Informationen, welche nur
            te auf den Denunziationen eines ande-        sie veröffentliche nicht einseitige Vor-     die andere Seite preisgibt. Am Tag nach
            ren Parteimitglieds, das nicht mehr für      würfe gegenüber anderen Personen. Ab-        dem SPS-Parteitag in Lugano berichtete
            die Einbürgerungskommission nomi-            gesehen davon, dass unser Leserbrief         die NLZ gross über die Abwahl der
            niert worden war. Dieses liess sich dar-     eine gleichzeitige Replik der Kritisierten   zwei Zentralschweizerinnen aus der
            stellen als Stimme der Vernunft, die         nicht ausschloss, bestätigte die Zensur      Geschäftsleitung der SPS. Bei der Luzer-
            nicht bereit ist,Vergewaltiger und Sprach-   die Einseitigkeit des Monopolmediums.        nerin hatte sie eine Erklärung, bei der
            unkundige einzubürgern. Damit war ihr        Im Vorjahr hatte die gleiche Zeitung in      Zugerin keine. Hätte der «überraschte»
            Kommissions-«Partner», der, wie wie-         ihrer Zuger Ausgabe einen Artikel ver-       Journalist mit jenen geredet, die er zwei
            derholt betont wurde, Bruder des             öffentlicht, der zwei namentlich genann-     Wochen lang bekämpft hatte, hätte er
            schweizerischen Juso-Präsidenten ist,        te tamilische Juso-Mitglieder in die Nä-     erfahren, dass die Zuger Parteipräsi-
            eingeordnet und abgestempelt – in be-        he der «Gewaltbereitschaft» rückte. Die      dentin abgewählt wurde, weil sie für den
            stem Boulevardstil. Die «Informantin»,       Redaktorin hatte mit den beiden, von         Absturz der Zuger SP auf , Prozent,
            die SVP und FDP, aber auch das Mono-         denen der eine später seinen Ausbil-         den tiefsten je gemessenen Wert bei
            polmedium unterstellten ihrem Kampa-         dungsplatz verlor, kein Wort gewechselt.     Nationalratswahlen, verantwortlich ge-
            gnenopfer, das Amtsgeheimnis verletzt            Aufschlussreich ist, dass die unhalt-    macht wurde und weil sie der gleichen
            zu haben. Dass auch die Zeitung das po-      baren Unterstellungen, welche die Neue       Gruppe wie die Luzerner Kollegin (und
            litische Ziel der Abwahl des Wieder-         Zuger Zeitung als Tatsachen veröffentli-     die anderen oben erwähnten Denunzi-
            nominierten verfolgte, enthüllte ihr         chte, zuvor von den gleichen Leuten          antInnen angehört.)
            Frust-Kommentar nach der Wahlsit-            dem Tagesanzeiger gesteckt worden wa-           Vor ein paar Tagen erhielt ich den

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Kein Asyl für Deserteur aus Syrien: Mit     Jo Lang                                                       Die Sprecherin der Kommissions-         folgen. Aufschlussreich ist, dass die drei

                                                                                          Alltag …
                                                                                             in Zug
diesem Zweizeiler lässt sich die poli-                                                                mehrheit, Christine Egerszegi-Obrist        Zuger Nationalräte (der CVPler ist laut
tische und ethische Grundhaltung des                                                                  (FDP), wies dann auf das Wörtchen           NZZ-Rating der zweitrechteste der
Zuger Rechtsbürgertums zusammen-                                                                      «einzig» hin und sagte in diesem Zu-        Christdemokraten, der Freisinnige der
fassen. (Ein anderes Bürgertum gibt es
nicht mehr in Zug, nur noch ein paar
                                            Asyl für Coca Cola                                        sammenhang, dass Desertion weiterhin
                                                                                                      ein Asylgrund sei, sofern wegen ihr «ei-
                                                                                                                                                  allerrechteste seiner Fraktion und der
                                                                                                                                                  SVPler der neue Leutnant Blochers) den
andere Bürgerliche.) Als am . Oktober
 bekannt wurde, dass Coca Cola          aus Hellenien …                                           ne unmenschliche Behandlung» drohe.
                                                                                                      Der Nationalrat hat dann genau dieses
                                                                                                                                                  ausdrücklichen und dringlichen Aus-
                                                                                                                                                  schluss der Desertion als Asylgrund un-
Hellenic Griechenland verlässt und sich                                                               Wörtchen «einzig» gestrichen. Andreas       terstützt haben. Selbstverständlich hat-
in Zug niederlässt, war aus der Zuger                                                                 Gross (SP) führte am . Juni  aus,     ten sie nichts einzuwenden gegen die
Bourgeoisie nur Freude und Stolz zu                                                                   was dies bedeutet: «Einer, der Wehr-        schnelle Asylgewährung für Coca Cola
vernehmen.                                                                                            dienstverweigerer ist, hätte dann nicht     Hellenic.
    Dabei wussten die Verantwortlichen                                                                mehr das Recht, um Asyl zu ersuchen,           Wer eine humanistische Gesinnung
ganz genau, dass dies für die gebeutelten                                                             er könnte keinen Flüchtlingsstatus mehr     hat und gleichzeitig etwas von Taktik
Griechinnen und Griechen eine materi-                                                                 erhalten. Die Bestimmung wäre, wenn         versteht, weiss, dass das laufende Refe-
elle und mentale Katastrophe bedeutet.                                                                Sie das Wort ‹einzig› streichen, völker-    rendum gegen das erste Abbaupaket das
Immerhin hat der Konzern eine Markt-                                                                  rechtswidrig und würde der Konvention       geeignetste von allen ist. Die aktuelle
kapitalisierung von , Milliarden Euro     desrat und Ständerat durchgesetzte Ver-                   widersprechen.»                             Vorlage trifft mit der Desertionsfrage
und war damit das grösste Unternehmen       schärfung nur eine Interpretation zu:                         Zusätzlich verschärft wurde dieser      und der Abschaffung des Botschafts-
im Land. Im Kanton Zug wird Coca Co-        Desertion ist überhaupt kein Asylgrund                    Entscheid mit dessen Dringlicherklä-        asyls die Schutzbedürftigsten und ver-
la ungefähr einen Drittel der bisherigen    mehr! Entscheidend dafür ist das Schick-                  rung, was verfassungswidrig und un-         letzt damit die Menschenrechte beson-
Steuern bezahlen müssen. Die Wirt-          sal des Wörtchens «einzig».                               demokratisch ist. Sie ist verfassungswid-   ders stark. Und mit der Dringlichkeit
schafts- und Finanzplattform «Cash»             Im Mai  schlug der Bundesrat fol-                 rig, weil sie gar keine schnelle Wirkung    verstösst sie zusätzlich gegen die Bürger-
kommentierte den Wegzug aus Athen           genden neuen Absatz  zu Artikel  des                    zeitigen kann. Sie ist undemokratisch,      rechte.
mit folgendem Satz: «Damit flüchtet der     Asylgesetzes vor: «Keine Flüchtlinge sind                 weil sie obwohl umstritten vor einer all-      Mit einer negativen Bemerkung zu
Konzern aus dem Epizentrum der Schul-       Personen, die einzig wegen Wehrdienst-                    fälligen Volksabstimmung eingeführt         Zug bin ich eingestiegen, mit einer posi-
denkrise.» Im Gebäude an der Baarer-        verweigerung oder Desertion ernst-                        wird. Ihre praktische Wirkung liegt da-     tiven will ich aussteigen. Dass die Jungen
strasse , wo ihm die geldoffenen Zuger    haften Nachteilen ausgesetzt sind oder                    rin, dass Deserteure, beispielsweise aus    Grünen Schweiz den Mut hatten, das
Behörden Asyl bieten, residiert bereits     begründete Furcht haben, solchen Nach-                    Eritrea oder Syrien, zu «vorläufig Auf-     Asyl-Referendum zu lancieren, lag nicht
der US-Militär-Zulieferer Halliburton.      teilen ausgesetzt zu werden.» Der Stände-                 genommenen» werden. Unter anderem           zuletzt an der Jungen Alternative Zug.
    Damit wären wir bei der Frage der       rat, der am . Dezember  als Erstrat                 hindert sie das daran, ihre Familien        Die Zuger Dialektik – auf eine auffällig
Deserteure und des Asyls, in der nicht      die Asyl-Revision beriet, unterstützte die-               nachzuziehen. Dies wiederum ist             ethikarme Bourgeoisie stösst eine be-
Geldoffenheit, sondern Weltoffenheit        se Verschärfung mit  :  Stimmen. Zur                  schwerwiegend, weil beide Regimes An-       sonders ethikbewusste Alternative –
gefordert ist, in der es nicht um Mam-      Kommissionsminderheit gehörte der                         gehörige von Militärverweigerern ver-       geht weiter!                           t
monismus, sondern um Humanismus             CVP-Fraktionschef Urs Schwaller: «Er-
geht. Dass die Schweiz ausgerechnet in      stens würde, das geht auch aus einem
dem Moment, wo die Desertion die ein-       Schreiben des UNO-Hochkommissari-
zige Möglichkeit war und ist, die Asad-     ats für Flüchtlinge hervor, der vorge-
Tyrannei ohne Blutvergiessen zu stür-       schlagene Ausschluss von Wehrdienst-                      Impressum
zen, Kriegsdienstverweigerung aus-          verweigerern und Deserteuren von der
drücklich als Asylgrund ausschliesst, ist   Flüchtlingseigenschaft eine Abweichung                    Grafik: Jonas Zürcher, GSoA-Sekretär, Juso-GL, Bern
nicht nur grotesk und skandalös. Er ist     vom Flüchtlingsbegriff der Genfer
                                                                                                      Druckerei: Reitschule Bern
auch Ausdruck eines unerhörten natio-       Flüchtlingskonvention darstellen, und
nalistischen Egoismus und Autismus.         das ist im internationalen Kontext ein Al-                Titelseite: Henry Moore, Knife Edge Figure (1961/1976). Am See un-
    Der Einwand, Desertion allein sei       leingang.» Als zweitens zitierte Schwal-                  terhalb des Theaters Casino in Zug. Herzlichen Dank dem Fotografen
noch nie ein Asylgrund gewesen, «ver-       ler Aussagen von Bundesrätin Simonetta                    Christof Borner für das wunderschöne Foto.
hebt» hier überhaupt nicht. Erstens ist     Sommaruga aus der Kommission: «Das
diese Praxis bislang nie explizit festge-   ist Politik im Symbolbereich» (weil die
schrieben worden. Und zweitens lässt        Eritreischen Deserteure ohnehin nicht
die durch den Nationalrat gegen Bun-        zurück geschickt werden können).

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Nr.12/2012
106. Jahrgang
Zürich, Dezember 2012

Beiträge
zu Religion
und
Sozialismus

                                                               Ruth Dreifuss
                                                               Aids, Drogen und Gewalt:
                                                               Handeln... ohne zu schaden!

                                                               Diskussionspapier der Wide
                                                               Kritische Einwände zum
                                                               bedingungslosen
                                                               Grundeinkommen aus
                                                               Sicht der feministischen
                                                               Ökonomie

                                                               Jo Lang
                                                               Asyl für Coca Cola
                                                               aus Hellenien
 Inhalt
 Zug zwischen Henry Moore und Coca Cola

 Einleitung				2
 Der Engel der Moral				                    3
 Augustin Keller und das erste Urrecht		    Neue Wege 3/12
 Waffen aus Griechenland			                 Neue Wege 5/12
 Die CVP kann ihr Kürzel behalten		         Neue Wege 7-8/12
 Rechte Monopolisten und linke „Kronzeugen“ Neue Wege 10/12
 Asyl für Coca Cola aus Hellenien…		        Neue Wege 12/12
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