Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap

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Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
GEFÖRDERTE PROJEKTE

Zukünftige Nutzung von CO2
als Rohstoffbasis in der
deutschen Chemie- und
Kunststoffindustrie

Eine Roadmap
Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
IMPRESSUM

Autoren
Stefan Bringezu, Simon Kaiser, Sebastian Turnau

Herausgeber
Center for Environmental Systems Research (CESR)
Universität Kassel
Wilhelmshöher Allee 47
34119 Kassel
www.cesr.de

Förderung
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Referat 727: Ressourcen, Kreislaufwirtschaft, Geoforschung
Dr. Vera Grimm
Fördermaßnahme: CO2Plus – Stoffliche Nutzung von CO2 zur Verbreiterung der Rohstoffbasis
Förderkennzeichen: 033RC001C

Betreuung
Dr. Stefanie Roth und Dr. Enrico Barsch
Projektträger Jülich
Projektträgerschaft Ressourcen und Nachhaltigkeit

Dank
Folgenden weiteren Personen danken die Autoren für ihre wertvollen Hinweise zur Erstellung dieses Dokumentes:
Prof. Dr. André Bardow (Lehrstuhl für technische Thermodynamik, RWTH Aachen)
Dipl.-Ing. Dennis Krämer (Dechema e.V.)
Dr. Jörg Rothermel (Verband der Chemischen Industrie e. V.)
Prof. Dr. Michael Röper
Dr. Thomas Schaub (BASF SE)

Für den Text und etwaige Fehler sind ausschließlich die Autoren verantwortlich.

Bildnachweise
Titel + S. 3 © industrieblick - stock.adobe.com; S. 11 © Tom Bayer - stock.adobe.com; S. 12 © Arsenii - stock.adobe.com;
S. 19 © Covestro; S. 32 © FONA; S. 42 © j-mel - stock.adobe.com; S. 46 © Pawel Horazy - stock.adobe.com;
S. 52 © Photobank - stock.adobe.com; S. 52 © ra2 - stock.adobe.com

Bezug
Dieses Dokument ist ebenfalls online verfügbar. DOI: 10.17170/kobra-202002211019
Nähere Infos finden Sie außerdem unter: www.CESR.de und www.chemieundco2.de

Gestaltung
PM-GrafikDesign, Peter Mück, Wächtersbach

Druck
Seltersdruck & Verlag Lehn GmbH & Co. KG, Selters

Stand
1. Auflage, März 2020

Zitation
Bringezu, Stefan; Kaiser, Simon; Turnau, Sebastian. Zukünftige Nutzung von CO2 als Rohstoffbasis in der deutschen
Chemie- und Kunststoffindustrie – Eine Roadmap. Center for Environmental Systems Research, Universität Kassel.
Kassel, 2020

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Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
STANDORTE DER VERBUNDPARTNER                                                                    GEFÖRDERTE PROJEKTE

Executive Summary
Der Entwurf dieser Roadmap dient als Grundlage für die Diskussion mit und zwischen den beteiligten Akteuren der
deutschen Wirtschaft. Dies bezieht nicht nur die chemische Industrie und die kunststoffverarbeitende Industrie
ein, sondern auch die Emittenten bzw. möglichen Lieferanten von CO2 (z. B. Zementproduzenten, MVA-Betreiber)
und die Hersteller von Fertigwaren, die Kunststoffe enthalten oder zur Verpackung benötigen, welche künftig mit
CO2 hergestellt werden könnten (z. B. Lebensmittelverpackungen, Fahrzeugteile, Haushaltsgeräte, Bekleidung,
medizinische Ausrüstung).

Motivation und Zielsetzung                                    Quantifizierung der heutigen und
                                                              zukünftigen Kohlenstoffflüsse
Für eine nachhaltige Entwicklung der deutschen Wirt-
schaft gilt es, sowohl die Emissionen von Treibhausgasen      Die Analyse der Kohlenstoffflüsse durch den Chemie- und
zu reduzieren als auch die Effizienz des Rohstoffeinsatzes    Kunststoffsektor über die Nutzung bis hin zum Abfall-
zu erhöhen und dabei die internationale Wettbewerbsfä-        management ergab, dass es sich aktuell hauptsächlich um
higkeit zu steigern. Dafür ist zum einen der Umstieg auf      einen linearen Durchfluss handelt und nur vereinzelt Koh-
eine regenerative Energieversorgung und zum anderem           lenstoffkreisläufe existieren. So werden nur 18 % des Koh-
eine verstärkte Kreislaufführung von Stoffen und Mate-        lenstoffinputs in das Post-Consumer Abfallmanagement
rialien erforderlich. Dies bedeutet für die chemische In-     später als Rezyklat wiederverwendet. Die Sekundärinput-
dustrie und die Kunststoffindustrie einen tiefgreifenden      (SI-)Rate beschreibt den Anteil der stofflichen Versorgung,
Wechsel ihrer Energie- und Rohstoffbasis. Diese beruht        der aus Recycling stammt. Diese Rate liegt bei der Chemie-
bislang weitgehend auf fossilen Energieträgern – insbe-       industrie aktuell bei 0,2 % und bei der Kunststoffindustrie
sondere Erdöl- und Erdgas –, die zugleich als Rohstoff-       bei 9 %. Zum Vergleich: Stahl- und Aluminiumindustrie
quelle für Kohlenstoff dienen. Ein weitgehender Verzicht      haben in Deutschland bereits SI-Raten von ca. 50%.
auf Kohlenstoff ist nur bei der Energieversorgung möglich,
da Kohlenstoff als Materialbasis nicht ersetzt werden kann.   Die wesentlichen Verluste von Kohlenstoff aus dem deut-
                                                              schen Chemie-Kunststoff-Nutzung-Abfall-(CKNA-)Sys-
Die Nutzung von CO2 stellt eine vielversprechende Option      tem sind mit der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Abfäl-
zur Verwendung einer nachhaltigen Kohlenstoffquelle           le und der Emission von CO2 in die Luft verbunden. Diese
dar. Im Rahmen der Begleitforschung der BMBF-För-             umfassen aktuell 39 % des jährlichen Inputs aus primären
dermaßnahme CO2Plus (Stoffliche Nutzung von CO2 zur           Quellen, die wiederum zu 91 % fossilen Ursprungs sind.
Verbreiterung der Rohstoffbasis) wurde eine Roadmap           Bei der Nutzung von kohlenstoffhaltigen Produkten, wie
erstellt, welche ausgehend von aktuellen technischen,         z. B. Farben und Lacken oder Wasch- und Reinigungs-
ökologischen und ökonomischen Einschätzungen die              mitteln, kommt es außerdem zu erheblichen dissipativen
weitere Entwicklung von Technologien zur CO2-Nutzung          Verlusten, welche letztlich infolge von Abbauprozessen
in der Chemieindustrie skizzieren und mögliche unter-         auch in Form von CO2 in die Umwelt entweichen. Eine
stützende Maßnahmen zur Erreichung der Marktreife             effektive und umfassende Kreislaufführung von Kohlen-
beschreiben soll.                                             stoff ist daher nur möglich, wenn zum einen das werk-

                                                                                                                       3
Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
EXECUTIVE SUMMARY

Abbildung 1: Stofflicher Kohlenstofffluss in Deutschland im Jahr 2017 (A = Abfallmanagement, C = Chemiesektor, K = Kunststoffsektor,
Ind. = industriell, N = inländische Nutzung, PC = Post Consumer; Mt = Megatonne; Flüsse < 0,1 Mt werden nicht dargestellt)

stoffliche Recycling von Kunststoffprodukten verstärkt                  Die Klimawirkung von CO2-Nutzungstechnologien zur
und zum anderen CO2 aus langfristig verfügbaren Quel-                   Herstellung von Basischemikalien hängt hauptsächlich
len abgeschieden und genutzt wird, um die Verluste des                  von der verwendeten Energiequelle ab. Falls hauptsäch-
CKNA-Systems auszugleichen.                                             lich erneuerbare Energien zum Einsatz kommen, wird die
                                                                        Klimabelastung im Vergleich zum fossilbasierten Herstel-
                                                                        lungsprozess reduziert. Gleichzeitig werden zur Bereit-
Status Quo der CO2-Nutzungstechnologien                                 stellung der benötigten Energiemenge über die erforder-
                                                                        liche Infrastruktur zusätzliche Rohstoffmengen benötigt.
Die Nutzung von CO2 in der Chemieindustrie lässt sich                   Dadurch ist der Rohstoffaufwand von CO2-Nutzungs-
danach unterscheiden, ob das CO2-Molekül in bestehen-                   technologien höher als bei den fossilen Referenzprozes-
de Prozesse und resultierende Produkte wie Polymere                     sen. Für die meisten der untersuchten Prozesse ist jedoch
eingebaut wird oder ob es mit Wasserstoff verbunden                     die positive Klimawirkung relativ gesehen größer als der
und zu Kohlenwasserstoffen umgewandelt wird, die als                    höhere Rohstoffaufwand.
Basis- oder Spezialchemikalien dienen (mit denen u.a.
Kunststoffe hergestellt werden können). Beim Einbau in                  Die Produktionskosten der untersuchten CO2-basier-
Polymere können dabei sogar Energieeinsparungen re-                     ten Basischemikalien und Polymere liegen aktuell noch
sultieren, wenn energiereiche Zwischenprodukte durch                    deutlich über den Kosten der aktuellen fossilbasierten
CO2 ersetzt werden. Bei der Hydrierung von CO2 wird                     Prozesse. Verantwortlich für die Mehrkosten sind vor al-
in jedem Fall zusätzlich Energie benötigt. Der techni-                  lem die hohen Kosten für Energie, welche teilweise regu-
sche Entwicklungsstand der unterschiedlichen CO2-Nut-                   lativ bedingt sind, sowie die Anlageinvestitionen. Für die
zungstechnologien variiert stark. Zum einen gibt es bereits             Zukunft wird davon ausgegangen, dass die Kosten für die
marktfähige Prozesse und Produkte, wie die Herstellung                  Anlagentechnik aufgrund einer breiteren Anwendung
von harnstoffbasierten Harzen, von Polyurethan-Weich-                   sinken werden. In Kombination mit einer Senkung der
schaum oder der Produktion von CO2-basiertem Metha-                     Energiekosten könnten die Produktionskosten CO2-ba-
nol in Island. Zum anderen sind zahlreiche Prozesse noch                sierter Basischemikalien und Polymere bereits im Jahr
in der Forschungs- oder Entwicklungsphase. Beispiels-                   2030 wettbewerbsfähig sein.
weise befinden sich Prozesse der Photokatalyse und elek-
trochemischen Katalyse aktuell noch im Laborstatus, wo-
hingegen die Synthese von Olefinen aus CO2-basiertem
Methanol bereits in Pilot- und Demonstrationsanlagen
gezeigt wurde.

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Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
EXECUTIVE SUMMARY

Zukünftige Nutzung von CO2                                                  werden als Haupthemmnisse gesehen. Auch werden hohe
als Kohlenstoffbasis                                                        Investitionen benötigt, um mittel- bis langfristig wettbe-
                                                                            werbsfähig werden zu können. Zusätzlich weisen regula-
Die Modellierung verschiedener Szenarien zeigte, dass                       torische Rahmenbedingungen wie die des aktuellen Er-
die deutsche Chemieindustrie bis 2050 rechnerisch auf                       neuerbare Energien Gesetzes (EEG) eher Hindernisse als
eine vollständig regenerative Kohlenstoffversorgung                         Anreize für die stoffliche Nutzung von Power-to-X (PtX)-
(90 % über Recycling inkl. CO2-Nutzung, 10 % gleich-                        Produkten auf.
bleibend biotisch) umgestellt werden könnte. Um dies
zu erreichen, würde eine CO2-Menge von 49 Millionen                         Für die Herstellung von Chemikalien und Polymeren
Tonnen pro Jahr benötigt. Die in Deutschland emittier-                      über einer CO2-basierte Wertschöpfungskette ist es ele-
ten CO2-Mengen aus industriellen Punktquellen könn-                         mentar, dass Unternehmen aus unterschiedlichen Sekto-
ten auch im Jahr 2050 als Kohlenstoffquelle ausreichen,                     ren miteinander kooperieren. Die aktuelle Informations-
doch dürfte sich als Ergänzung die CO2-Abscheidung aus                      lage in den relevanten Industriesektoren über Potenziale
der Atmosphäre anbieten. Für 2030 wurde den Szenarien                       von CO2-Nutzungstechnologien und über mögliche Ko-
entsprechend ein Zielkorridor für die CO2-Nachfrage von                     operationspartner wurde von den Stakeholdern als un-
3 bis 17 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr berechnet. Deren                     zureichend und ausbaufähig bezeichnet. Dies stellt eine
Nutzung könnte eine SI-Rate für den Chemiesektor von                        wesentliche Hürde für die Entwicklung und Anwendung
5 bis 27 % ermöglichen. Der mögliche Zielkorridor für                       von CO2-Nutzungstechnologien dar.
das Jahr 2050 würde eine jährliche CO2-Nachfrage von
12 bis 49 Millionen Tonnen erfordern und eine SI-Rate von
27 bis 89 % ermöglichen.                                                    Maßnahmen zur Förderung
                                                                            der CO2-Nutzung
Für die Herstellung von CO2-basierten Basischemikalien
werden große Mengen erneuerbarer Energie benötigt. Ein                      Zur Überwindung der Hürden werden mögliche Maß-
Vergleich der benötigten Mengen mit den aktuellen Pro-                      nahmen vorgestellt, die letztlich nur in kombinierter
gnosen der Stromproduktion für die Jahre 2030 und 2050                      Form wirksam werden dürften. Diese lassen sich in drei
ergab, dass bei einer breiten industriellen Anwendung                       Themenfelder einteilen: informative Maßnahmen, ko-
von CO2-Nutzungstechnologien zur Herstellung von Ba-                        operative Maßnahmen sowie regulatorische Maßnah-
sischemikalien im Inland erhebliche Nutzungskonkur-                         men. Der Ansatzpunkt der Maßnahmen ist dabei jeweils
renzen um regenerativ erzeugte Elektrizität zu erwarten                     innovations-, investitions- oder marktorientiert. Sie
wären. Um die SI-Rate der Chemieindustrie um 1 % zu                         können auf unterschiedliche Weise der Aktivierung des
steigern würde nach den Berechnungen zukünftig zwi-                         Marktpotenzials für CO2-basierte Produkte auf der Nach-
schen 0,7 bis 1,6 % (entsprechend 5 – 6 TWh)1 der dann in                   frageseite sowie dem Erreichen einer mittel- bis lang-
Deutschland verfügbaren Menge an erneuerbarer Elektri-                      fristig wirtschaftlichen Produktion in Deutschland auf
zität benötigt. Ein Wechsel der Rohstoffbasis von fossil zu                 der Angebotsseite dienen. Der erstellte Maßnahmenplan
CO2-basiert in der deutschen Chemieindustrie erfordert                      sieht vor, dass im ersten Schritt parallel an Innovationen
deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit den Import nen-                        geforscht, Investitionsanreize gesetzt und die Informa-
nenswerter Anteile der CO2-basierten Basischemikalien.                      tionslage in relevanten Bereichen verbessert wird. Im
                                                                            nächsten Schritt sollen weitere Maßnahmen von Seiten
                                                                            der Industrie und des Gesetzgebers die Finanzierung und
Herausforderungen und Hindernisse                                           den Aufbau einer CO2-basierten Wertschöpfungskette
                                                                            fördern. Deren Wettbewerbsfähigkeit kann mit Hilfe von
Für die weitere Entwicklung von CO2Nutzungstechno-                          regulatorischen Marktinstrumenten, wie zum Beispiel ei-
logien im Chemiesektor konnten im Rahmen von Stake-                         ner CO2-Bepreisung oder vorgegebenen Quoten für den
holderworkshops und einer Onlineumfrage verschiedene                        Sekundärinput, zusätzlich verbessert werden. Der Ausbau
Hürden identifiziert werden: Verfügbarkeit von preis-                       von entsprechender Infrastruktur wird mittel- bis lang-
wertem erneuerbaren Stroms, die aktuell noch fehlende                       fristig als notwendig angesehen, um CO2-Nutzungstech-
Wettbewerbsfähigkeit der CO2basierten Prozesse gegen-                       nologien eine breite Anwendung zu ermöglichen (Abbil-
über den fossil-basierten Prozessen, der frühe Entwick-                     dung 2).
lungsstand und die absehbar kleinere Anlagenauslegung

1   Angenommene Nettostromproduktion durch erneuerbare Energien: 374 TWh/a (2030), 777 TWh/a (2050)

                                                                                                                                    5
Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
GEFÖRDERTE PROJEKTE

    Informative Maßnahmen

                                                                                  Produktzertifizierung

                               Standardisierte Ökobilanzierung

                               Evaluierung der Energieverfügbarkeit

                                                                           Imagekampagnen

                                                                                         Ausbau der Transportinfrastruktur
    Kooperative Maßnahmen

                                                                           Aufbau CO2-basierter Wertschöpfungsketten

                                                                           Hochskalierung von Projekten

                                                           Industriefond

                                                   Freiwillige Selbstverpflichtung

                                   Etablierung von Informationsnetzwerken

                                                                                     Sekundärinputquoten für Kohlenstoff
    Regulatorische Maßnahmen

                                                                                             CO2-Bepreisung

                                          Förderung von Demonstrationsanlagen                   Legende:
                                                                                                            Phase 1: Innovationsförderung
                                    Modifikation des EEG                                                    Phase 2: Investitionsförderung
                                                                                                            Phase 3: Marktorientierung
                               Definition eines Ausbaupfades

                                                                        Forschungsförderung

         2020                                                                     2030                                                       2050

Abbildung 2: Mögliche Maßnahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von CO2-Nutzungstechnologien im Chemiesektor

Fazit                                                                                       mit unterschiedlichen Ansatzpunkten und Wirkungswei-
                                                                                            sen, welche schrittweise eingeführt werden können, um
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Nut-                                       den wettbewerbsfähigen Einsatz von CO2-Nutzungstech-
zung von CO2 als Kohlenstoffquelle für eine effektive und                                   nologien in der deutschen Chemieindustrie in den kom-
umfassende Kreislaufführung von stofflich genutztem                                         menden Jahrzehnten voranzutreiben.
Kohlenstoff in Chemie- und Kunststoffindustrie unver-
zichtbar ist. Die CO2-Nutzung kann andere Recyclingver-                                     Die beteiligten Kreise sind eingeladen, sich auf der Basis
fahren dort ergänzen, wo diese nicht anwendbar sind und                                     der Informationen des Entwurfs der Roadmap auszu-
auf diese Weise zum Beispiel dissipative Verluste während                                   tauschen und eigene Vorschläge zu entwickeln über die
der Nutzungsphase ausgleichen. Damit CO2-Nutzungs-                                          angestrebten Entwicklungspfade der deutschen che-
technologien als nachhaltige Alternative zur fossilbasier-                                  mischen und kunststoffverarbeitenden Industrie, ein-
ten Herstellung von Basischemikalien dienen können,                                         schließlich eines Zielpfades für die Kreislaufschließung
muss weiter in Entwicklung und Anwendung der Tech-                                          von Kohlenstoff sowie die prioritär und ggfs. zeitlich ge-
nologien investiert und zugleich der institutionelle Rah-                                   staffelt anzugehenden Maßnahmen zur Förderung von
men – Information, Kooperation, Regulation – angepasst                                      CO2-Nutzungstechnologien.
werden. Dafür bedarf es eines Bündels an Maßnahmen

6
Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
INHALT

Executive Summary	                                                                   3

Abbildungsverzeichnis	                                                               9

Tabellenverzeichnis	                                                                10

Abkürzungsverzeichnis	                                                              10

1   Einleitung	                                                                     11

2   Kohlenstoff im deutschen Chemie- und Kunststoffsektor	                          12

    2.1   Status Quo – Linearer Durchfluss	                                          12
          2.1.1 Wertschöpfungsstruktur des Organische Chemiesektors	                 12
          2.1.2 Systembeschreibung und Datenquellen	                                 12
          2.1.3 Quantifizierung der Kohlenstoffflüsse	                               13
          2.1.4 Zirkularität der stofflichen Kohlenstoffnutzung	                     16

    2.2   Vision	                                                                    17

3   Status Quo der CO2-Nutzungstechnologien	                                        19

    3.1   Stand der Technik	                                                         19
          3.1.1 Technologische Bewertung von Prozessschritten der CO2-Nutzung	       20
          3.1.2 Aussichtsreiche Chemikalien für die CO2-Nutzung	                     22
          3.1.3 Chemisches Recycling als Alternative	                                22
          3.1.4 Aktuelle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten	                    24

    3.2   Erste ökobilanzielle Einschätzungen	                                       25
          3.2.1 Vergleichende Systemanalysen	                                        25
          3.2.2 Klimawirkung	                                                        26
          3.2.3 Rohstoffaufwand	                                                     27

    3.3   Bisherige ökonomische Einschätzung	                                        28
          3.3.1 Produktionskosten	                                                   28
          3.3.2 Abschätzung von Preissteigerungen im Endprodukt	                     30

    3.4   Zwischenfazit	                                                             30

4   Zukünftige Nutzung von CO2 als Kohlenstoffquelle	                               32

    4.1   CO2-Quellen	                                                               32

    4.2   Szenario Beschreibung	                                                     33
          4.2.1 Rahmenbedingungen und exogene Faktoren	                              33
          4.2.2 Szenarien der CO2-Nutzung	                                           35

    4.3   Ergebnisse der Szenarioberechnungen	                                       36
          4.3.1 Kohlenstoffinput Chemieindustrie	                                    36
          4.3.2 Kohlenstoffinput Kunststoffindustrie	                                37
          4.3.3 Kreislaufführung von Kohlenstoff	                                    38
          4.3.4 Ressourcenbedarf und -verfügbarkeit	                                 38

    4.4   Zwischenfazit	                                                             41

                                                                                       7
Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
INHALT

5   Herausforderungen und Hindernisse	                                                 42

    5.1   Entwicklungsstand	                                                           42

    5.2   Investitionsbedarf	                                                          42

    5.3   Informationsdefizite & Akzeptanz	                                            43

    5.4   Komplexe Ökobilanzierung	                                                    44

    5.5   Fehlende Berücksichtigung im Erneuerbare Energien Gesetz	                    44

6   Maßnahmen zur Förderung der CO2-Nutzung	                                           46

    6.1   Standortfaktoren im internationalen Vergleich	                               46

    6.2   Verbesserung der Information	                                                46
          6.2.1. Imagekampagnen	                                                       46
          6.2.2. Produktkennzeichnung	                                                 47
          6.2.3. LCA-Standards	                                                        47

    6.3   Kooperative Maßnahmen	                                                       47
          6.3.1. Informationsnetzwerke	                                                47
          6.3.2. Wertschöpfungsgemeinschaften und industrielle Symbiosen	              48
          6.3.3. Freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie	                        48
          6.3.4. Industriefond	                                                        48

    6.4   Regulatorische Maßnahmen und Politik	                                        49
          6.4.1. Forschungsförderung	                                                  49
          6.4.2. CO2-Bepreisung	                                                       49
          6.4.3. Kompensationsleistungen	                                              50
          6.4.4. Input- und Outputquoten	                                              50
          6.4.5. Modifikation der Gesetzgebung	                                        51

7   Schritte in Richtung Umsetzung	                                                    52

8   Fazit	                                                                             55

Literaturverzeichnis	                                                                  56

Anhang A	                                                                              61

    A-1: Auflistung aktueller Demonstrationsanlagen	                                   61
    A-2: Produktionskosten CO2-basierte und konventionelle Chemikalien und Polymere	   61

Anhang B	                                                                              62

    B-1: Datenbasis Produktionsentwicklung	                                            62
    B-2: Datenbasis CO2-Verfügbarkeit	                                                 63
    B-3: Übersicht Prozessdaten	                                                       64

Anhang C	                                                                              65

    C-1: Berechnung von Preissteigerungen im Endprodukt	                               65
    Literaturverzeichnis Anhang C	                                                     66

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Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Stofflicher Kohlenstofffluss in Deutschland                                                        4
Abbildung 2: Mögliche Maßnahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von CO2-Nutzungstechnologien
             im Chemiesektor                                                                                    6
Abbildung 3: Vereinfachtes Schema der Wertschöpfungssystematik in der organischen Chemie                      13
Abbildung 4: Systembeschreibung der Stoffstromanalyse                                                         14
Abbildung 5: Energetischer Kohlenstofffluss im deutschen Chemie- und Kunststoffsektor                         14
Abbildung 6: Energetischer Kohlenstoffinput des deutschen Chemie- und Kunststoffsektors                       15
Abbildung 7: Stofflicher Kohlenstofffluss in Deutschland                                                      15
Abbildung 8: Stofflicher Kohlenstoffinput des deutschen Chemiesektors nach Herkunft                           16
Abbildung 9: Schema einer De- und Rekaboniserung als Doppelstrategie                                          18
Abbildung 10: Schematischer Vergleich der Rohstoffinputs der konventionellen Herstellung sowie Optionen
              der CO2-Nutzung19
Abbildung 11: Vereinfachtes Prozessschema zur CO2-basierten Synthese von beispielhaften Basischemikalien
              unter Berücksichtigung der Stoff- und Energieflüsse                                             20
Abbildung 12: TRL für ausgewählte Produkte und ihre Prozessketten zur CO2-Nutzung sowie der
              Forschungsprojekte der BMBF-Fördermaßnahme CO2Plus24
Abbildung 13: Systemgrenzen für den ökobilanziellen Vergleich der Herstellung von CO2-basierten Chemikalien
              mit konventionellen Produktionsprozessen                                                        25
Abbildung 14: Klimawirkung der CO2-basierten Herstellung von Grundstoffchemikalien, Massenpolymeren
              und höherwertigen Polymeren                                                                     26
Abbildung 15: Vergleich der Verwendung von EE-Strom in Bezug auf die Reduktion der Klimawirkung
              pro MWh EE-Strom                                                                                27
Abbildung 16: Rohstoffaufwand für die Herstellung von CO2-basierten Grundstoffchemikalien,
              Massenpolymeren und höherwertigen Polymeren                                                     28
Abbildung 17: Vergleich der für Deutschland normierten Umweltauswirkungen der CO2-basierten Herstellung
              von Grundlagenchemikalien und Polymeren                                                         28
Abbildung 18: Kostenaufteilung der CO2-basierten Methanolproduktion                                           29
Abbildung 19: Bandbreite der Herstellungskosten für CO2-basiertes Methanol und POM in Deutschland
              für die Jahre 2018, 2030 sowie 2050                                                             29
Abbildung 20: Mögliche Steigerung des Endpreises für exemplarische Kunststoffprodukte bei Verwendung
              von CO2-basierten Basischemikalien im Herstellungsprozess                                       30
Abbildung 21: Stofflich genutzter Kohlenstoffinput Chemiesektor                                               37
Abbildung 22: Kohlenstoffinput Kunststoffsektor                                                               37
Abbildung 23: Entwicklung der Sekundärinputrate des deutschen Chemie- und Kunststoffsektors                   37
Abbildung 24: Kreislaufführung von stofflich genutztem Kohlenstoff in Deutschland unter Nutzung
              von CO2 im Jahr 2050 (Szenario HZ)                                                              38
Abbildung 25: CO2-Nachfrage nach Punktquellen und Szenario                                                    39
Abbildung 26: Bedarf vs. Verfügbarkeit von CO2 aus Punktquellen                                               39
Abbildung 27: Vergleich der in Deutschland insgesamt verfügbaren Nettostrommengen mit dem Energiebedarf
              zweier Technologieoptionen und den damit erreichbaren SI-Raten für den Chemiesektor             40
Abbildung 28: Vergleich von Ausbauszenarien für die Kapazitäten der Wasserelektrolyse in Deutschland
              mit dem Bedarf für die Erreichung einer SI-Rate im Chemiesektor von 65 %.	                      40
Abbildung 29: Ergebnisse der Stakeholderumfrage bzgl. des Investitionsbedarfs in CO2–Nutzungstechnologien43
Abbildung 30: Bewertung ausgewählter Standortfaktoren der Chemieindustrie in Deutschland im
              internationalen Vergleich                                                                       46
Abbildung 31: Mögliche zeitliche Staffelung potenzieller Maßnahmen zur Förderung des Einsatzes
              von CO2-Nutzungstechnologien53

                                                                                                                 9
Zukünftige Nutzung von CO 2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie - Eine Roadmap
TABELLENVERZEICHNIS / ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1: Sekundärinput- und Recyclingraten für die Sektoren und das Gesamtsystem                             16
Tabelle 2: Verlustraten für die einzelnen Sektoren und das Gesamtsystem                                        17
Tabelle 3: Ausgewählte Parameter der Elektrolysetechnologien                                                   21
Tabelle 4: Technologisch fortgeschrittene Prozessrouten zur Herstellung von Basischemikalien und
           Polymeren unter Nutzung von CO222
Tabelle 5: Liste von in der BMBF Fördermaßnahme CO2Plus geförderten Projekten                                  23
Tabelle 6: Auswirkungen auf die Klimawirkung (GWI = Global Warming Impact) und Nutzung
           von Fossilen Ressourcen (FD = Fossil Depletion) für die Herstellung von CO2 basierten Chemikalien   27
Tabelle 7: Übersicht über mögliche CO2-Quellen in Deutschland                                                  33
Tabelle 8: Überblick über die gewählten Szenarioparameter                                                      36

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
AEL        = Alkalische Elektrolyse
AGEB       = Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V.
BEV        = Battery Electric Vehicle
CAES       = Compressed Air Energy Storage
CAPEX      = Capital Expenditures
CCU        = Carbon (Dioxide) Capture and Utilization
CCS        = Carbon (Dioxide) Capture and Storage
DFG        = Deutsche Forschungsgemeinschaft
EEG        = Erneuerbare Energien Gesetz
EH         = Electrical Heating
GWI        = Global Warming Impact
HP         = Heat Pump
HTEL       = Hochtemperatur - Elektrolyse
FD         = Fossil Depletion
LCA        = Life Cycle Assessment/Ökobilanz
MTA        = Methanol-to-Aromatics
MTO        = Methanol-to-Olefines
MVA        = Müllverbrennungsanlage
Opex       = Operational Expenditures
PC         = Post Consumer
PE         = Polyethylen
PEMEL      = Protone Exchange Membrane – Electrolysis
PHS        = Pumped Hydropower Energy Storage
POM        = Polyoxymethylen
PP         = Polypropylen
PTX        = Power-to-X
RCCF       = Research Center for Carbon Fibers
RMI        = Raw Material Input (dt. Primärrohstoffaufwand)
THG        = Treibhausgas
TMR        = Total Material Requirement (dt. Gesamtprimärmaterialaufwand)
TRL        = Technology Readiness Level
VRB        = Vanadium Redox Battery

10
CO2
1 Einleitung
Um eine nachhaltige Entwicklung der deutschen Wirt-           wird die Prüfung der Nutzung von CO2 auch von politi-
schaft zu ermöglichen, gilt es, sowohl die Emissionen         scher Seite in Form der Hightech-Strategie 2025 (BMBF
von Treibhausgasen zu reduzieren als auch die Effizienz       2018), dem 7. Energieforschungsprogramm der Bundesre-
des Rohstoffeinsatzes zu erhöhen, wobei dabei die inter-      gierung (BMWi 2018) und dem aktuellen Koalitionsvertrag
nationale Wettbewerbsfähigkeit noch gesteigert werden         gefordert (Deutsche Bundesregierung 2018b).
soll. Dafür ist zum einen der Umstieg auf eine regenerati-
ve Energieversorgung und zum anderem eine verstärkte          Für die deutsche Chemie- und Kunststoffindustrie könn-
Kreislaufführung von Stoffen und Materialien erforderlich.    te die Nutzung von CO2 mehrere positive Effekte haben.
Dies bedeutet für die chemische Industrie und die Kunst-      Dies wären insbesondere eine Erhöhung der Versor-
stoffindustrie einen grundlegenden Austausch ihrer Ener-      gungssicherheit für Kohlenstoff, die Erschließung neu-
gie- und Rohstoffbasis, die bislang weitgehend auf fossilen   er Geschäftsfelder und nicht zuletzt die Erreichung der
Energieträgern – insbesondere Erdöl- und Erdgas – beruht,     selbst gesteckten (VCI 2019a) und der regulatorisch vor-
welche sowohl der Energieversorgung wie auch als Koh-         gegebenen Ziele (Bundestag 2017) zur Eindämmung des
lenstoffquelle für die stoffliche Nutzung dienen.             Klimawandels durch die Reduktion von CO2-Emissionen
                                                              in die Atmosphäre. Die Chemieindustrie rechnet damit,
Bislang stammt der zur Herstellung von organischen Che-       künftig eine Vorreiterrolle in der europäischen Kreislauf-
mikalien und Kunststoffen verwendete Kohlenstoff weit         wirtschaft zu spielen. Der Fokus soll dabei auf der Ent-
überwiegend aus den gleichen fossilen Quellen wie ener-       wicklung von neuen Technologien und Produktionsver-
getisch genutzter Kohlenstoff. Aktuell werden ca. 15 % des    fahren zur Kreislaufführung von Materialien liegen, wie
in Deutschland konsumierten Erdöls als Basismaterial zur      zum Beispiel solchen auf Kohlenstoffbasis (Hatzack und
Herstellung von Chemikalien und Kunststoffen verwendet        Saunders 2018).
(VCI 2019b) . Für eine Vielzahl von Produkten stellt Koh-
lenstoff in vielfältigen Verbindungen quasi das „chemische    Im Rahmen der Begleitforschung des der BMBF-Förder-
Rückgrat“ dar und kann nicht ohne weiteres substituiert       maßnahme CO2Plus wurde der hier vorliegende Entwurf
werden. Auch eine verstärkte Nutzung von nachwachsen-         für eine Roadmap entwickelt, welche einen Zielkorridor
den Rohstoffen trifft auf Grenzen, da die zum Anbau nö-       für die zukünftige Nutzung von CO2 im deutschen Che-
tigen Agrarflächen in den kommenden Jahrzehnten zur           mie- und Kunststoffsektor skizziert. In Form von Work-
Nahrungsversorgung der Weltbevölkerung benötigt wer-          shops und einer Onlineumfrage waren zahlreiche Sta-
den (IRP 2019). Aus diesem Grund müssen neue, nachhal-        keholder aus Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft an
tige Kohlenstoffquellen erschlossen werden, welche einen      der Entstehung des Roadmapentwurfs beteiligt worden.
Verzicht auf fossile Kohlenwasserstoffe möglich machen.       Ausgangspunkt sind Modellrechnungen für den aktuel-
Das werkstoffliche Recycling von Kunststoffen leistet hier-   len Kohlenstofffluss durch beide Sektoren. Der aktuelle
zu bereits einen wichtigen Beitrag.                           Stand der Technik von CO2-Nutzungstechnologien wird
                                                              umrissen und die Ergebnisse erster umweltbezogener
Die Nutzung von CO2 als Kohlenstoffquelle stellt eine wei-    und ökonomischer Bewertungen werden erläutert. Es
tere vielversprechende Option dar. Generell könnte sie        werden Szenarioanalysen für die künftig mögliche Nut-
dazu beitragen, fossile Kohlenstoffquellen zu ersetzen und    zung von CO2 als Kohlenstoffquelle für die deutsche Che-
einen bisher weitgehend linearen Materialfluss in einen       mie- und Kunststoffindustrie vorgestellt. Hürden und
mehr geschlossenen Kreislauf zu transformieren. Dies          Herausforderungen für die weitere Entwicklung werden
erfordert sowohl technische Innovationen als auch die         identifiziert, Maßnahmen zu deren Überwindung vorge-
Kopplung von kohlenstoffemittierenden und -verarbei-          stellt und es wird ein Maßnahmenplan zur Förderung der
tenden Sektoren. Da mit den nötigen Innovationen auch         Marktreife von CO2-Nutzungstechnologien entwickelt.
ein internationaler Wettbewerbsvorteil in Aussicht steht,

                                                                                                                     11
2 Kohlenstoff im deutschen Chemie-
  und Kunststoffsektor

Generell lässt sich die Verwendung von Kohlenstoff bzw.                              der Anzahl daraus hergestellter Produkte, sehr klein ist.
Kohlenstoffträgern wie Erdöl in zwei Kategorien unter-                               So werden die sieben Basischemikalien, Benzol, 1,3-Buta-
teilen. Zum einen in die energetische Verwendung, bei der                            dien, Ethylen, Methanol, Propylen, Toluol und Xylol sowie
über Verbrennungsprozesse thermische oder elektrische                                die Chemikalien der Gruppe der Butene direkt aus den
Energie gewonnen wird. Zum anderen wird Kohlenstoff                                  eingesetzten Rohstoffen gewonnen und machen mehr
in zahlreichen Anwendungsfeldern (z. B. für Kunststoffe                              als 80 % des eingesetzten Kohlenstoffes aus. Sie dienen als
oder Kosmetika) als Material genutzt. Im (organischen)                               Hauptausgangsstoffe zur Herstellung einer Vielzahl von
Chemie- und Kunststoffsektor wird Kohlenstoff für beide                              unterschiedlichen Produkten, welche wiederum in zahl-
Zwecke eingesetzt. In diesem Kapitel werden die aktuel-                              reichen unterschiedlichen Anwendungsfeldern genutzt
len energetischen und stofflichen Flüsse von Kohlenstoff                             werden. So umfasst beispielweise alleine die Anzahl der
im deutschen Chemie- und Kunststoffsektor systemana-                                 im Kunststoffsektor weiterverarbeiteten Basiskunststoffe
lytisch quantitativ dargestellt.2                                                    mehr als 30 verschiedene Stoffe bzw. Stoffgruppen (De-
                                                                                     statis 2018b).
2.1        Status Quo – Linearer Durchfluss
                                                                                     2.1.2      Systembeschreibung und Datenquellen
2.1.1      Wertschöpfungsstruktur des
           Organische Chemiesektors                                                  In Abbildung 4 wird das Systembild dargestellt, welches
                                                                                     zur Analyse und Bewertung der aktuellen stofflichen und
Kohlenstoff stellt das grundlegende Element zur Herstel-                             energetischen Nutzung von Kohlenstoff auf sektoraler
lung von organischen Chemikalien und daraus gefertig-                                Ebene dient. Der deutsche Wirtschaftsraum grenzt den
ter Produkte dar. Ausgehend von einer geringen Anzahl                                Systemraum geographisch ab und das Jahr 2017 dient als
an Rohstoffen steigt entlang der Wertschöpfungskette die                             zeitlicher Rahmen. Zur Abgrenzung der Sektoren wurde
Anzahl und die spezifische Funktionalität der verschiede-                            auf die Klassifizierung des statistischen Bundesamtes zu-
nen hergestellten Chemikalien (Abbildung 3).                                         rückgegriffen (Destatis 2018b).

Als Ausgangsbasis dienen die fossilen Rohstoffe Erdöl so-                            Da sich die Systemanalyse auf den Chemie- und Kunst-
wie Erdgas und zu einem keinen Teil auch biotische Roh-                              stoffsektor und dessen Produkte konzentriert, wird der
stoffe, wie zum Beispiel Kautschuk. Aus den Rohstoffen                               Raffineriesektor hier nicht berücksichtigt. Dieser basiert
werden im ersten Schritt sogenannte Basischemikalien                                 im Wesentlichen auf fossilen Rohstoffen, dessen darauf
gewonnen, welche wiederum als Ausgangsbasis für die                                  basierte Vorleistungen es zu ersetzen gilt. Die im Che-
Synthese zahlreicher weiterer Chemikalien und letztend-                              miesektor hergestellten Basiskunststoffe und der darin
lich von (Fertig-)Produkten dienen. Dabei ist anzumerken,                            gebundene Kohlenstoff werden im Kunststoffsektor zu
dass die Anzahl der Basischemikalien, im Vergleich zu                                Produkten weiterverarbeitet und gehen daraufhin in die

2    Die in diesem Kapitel dargestellte Systemanalyse inklusive der Ergebnisse basiert auf Kaiser und Bringezu 2020).

12
2 KOHLENSTOFF IM DEUTSCHEN CHEMIE- UND KUNSTSTOFFSEKTOR

                                                                                                     Produkte
                                     Basischemikalien
                                                                                             Basiskunststoffe
                                         Benzol
                                                                                             Düngemittel
    Rohstoffe                            1,3-Butadien
                                                                                             Farben und Lacke
     Erdöl                               Butene
                                                            Weitere Prozessschritte          Harze und Klebstoffe
     Erdgas                              Ethylen
                                                                                             Kosmetika
     Pflanzliche                         Methanol
     Rohstoffe                                                                               Pflanzenschutzmittel
                                         Propylen
                                                                                             Pharmazeutische Produkte
                                         Toluol
                                                                                             Seifen- und Waschmittel
                                         Xylol
                                                                                             Spezialchemikalien

                                Anzahl kohlenstoffhaltiger Chemikalien und Stoffe

Abbildung 3: Vereinfachtes Schema der Wertschöpfungssystematik in der organischen Chemie

Nutzung ein. Weiterhin wird angenommen, dass die im                 Außenhandelsdaten der Sektoren wurden amtlichen
Chemiesektor hergestellten Produkte (z. B. Farben und               Statistiken (Destatis 2018a, 2019b) sowie entsprechenden
Lacke, Chemiefasern oder Seifen und Waschmittel) direkt             Studien entnommen (Consultic 2016; Conversio 2018).
in die Nutzung eingehen (ohne relevante Lagerung). Für              Als Quellen zur Bilanzierung von Energie- und Kohlen-
alle Systemelemente wird jeweils die Außenhandelsbi-                stoffflüssen der CO2-basierten und konventionellen Pro-
lanz mit betrachtet. Weitere Prozesse sind die inländische          zesse dienten LCADatenbanken (Plastics Europe 2011;
Nutzung, das Abfallmanagement sowie Recyclingprozes-                Ecoinvent 2018) sowie Studien und Journalartikel (Tian et
se für industriellen und Post-Consumer Abfall. Die Koh-             al. 2015; Bazzanella und Ausfelder 2017; Gao et al. 2017;
lenstoffflüsse wurden dabei sowohl nach stofflicher und             Zhang et al. 2015; Wang et al. 2014). Die Emissionsdaten
energetischer Nutzung unterschieden als auch in Primär-             der ETS integrierten Sektoren stammen aus dem jähr-
flüsse (erstmalige Nutzung/Primärmaterial) und Recyc-               lichen Bericht der Deutschen Emissionshandelsstelle
lingflüsse (Recycling oder kaskadenförmige Nutzung/Re-              (DEHSt 2018) während die Emissionsdaten der Müll-
zyklat) unterteilt. Recyclingflüsse stellen eine Quelle für         verbrennung in Deutschland einer aktuellen Studie des
Sekundärkohlenstoff dar.                                            Umweltbundesamtes entnommen wurden (UBA 2018).
                                                                    Weiterhin dienen die nationalen Berichte zum deutschen
Zur Quantifizierung der Kohlenstoffflüsse wurden meh-               Treibhausgasinventar als Datengrundlage für die Prozess-
rere Datenquellen herangezogen. Die Daten zum ener-                 emissionen einzelner Sektoren (UBA 2019a). Die Daten-
getischen und stofflichen Verbrauch von Kohlenstoff ba-             grundlage zur Berechnung der Abfallströme sind Conver-
sieren auf den Energiebilanzen der Arbeitsgemeinschaft              sio (2018) bzw., Destatis (2019b).
Energiebilanzen e.V. (AGEB 2019). Die Kohlenstoffgehalte
der Energieträger, Chemikalien und Produkte wurden                  2.1.3    Quantifizierung der Kohlenstoffflüsse
entweder mit Hilfe der entsprechenden Summenformel
(Gestis-Stoffdatenbank 2019), den Emissionsfaktoren für             2.1.3.1 Energetisch genutzte Kohlenstoffflüsse
CO2 (UBA 2016), oder mit Hilfe entsprechender Fachli-               Zur Beschreibung der energetischen Nutzung von Koh-
teratur bestimmt (Wekenmann 2002). Als Grundlage zur                lenstoff wird zwischen vier Arten von Kohlenstoffflüssen
Berechnung des biotischen Kohlenstoffinputs zur stoff-              unterschieden:
lichen Nutzung diente FNR (2018). Die Produktions- und

                                                                                                                          13
2 KOHLENSTOFF IM DEUTSCHEN CHEMIE- UND KUNSTSTOFFSEKTOR

                                                                              Emissionen                       Emissionen
                                                                              (Luft, Wasser                    (Luft)
                                               Außenhandel                    und Umwelt)
       Systemgrenze

                                                                                                   Post Consumer
                                                                             Inländische
               Chemiesektor                                                                            Abfall-
                                                                              Nutzung
                                                                                                    management          Deponierung
                                               Kunststoffsektor

                                                                          Anthropogenes
                                                                              Lager
                                            Recycling

          Primärmaterial       Rezyklat         Mischung aus Primärmaterial und Rezyklat

Abbildung 4: Systembeschreibung der Stoffstromanalyse

1. direkter fossiler Primärinput, bestehend aus direkt                 wurde mit Hilfe der bereitgestellten Energiemenge und
   genutzten Energieträgern auf Kohlenstoffbasis (z. B.                der zugehörigen CO2-Emissionsfaktoren berechnet. Die
   Kohle, Erdgas oder Mineralöle)                                      inländische Nutzung der hergestellten Produkte sowie das
                                                                       Abfallmanagement werden erst im Falle der stofflichen
2. direkter biotischer Primärinput                                     Kohlenstoffnutzung relevant.

3. indirekter fossiler Primärinput von Energieträgern                  Die mengenmäßige Aufteilung der energetischen Koh-
   auf Kohlenstoffbasis, in Form von Elektrizität oder                 lenstoffflüsse im Chemie- und Kunststoffsektor ist in
   Fernwärme                                                           Abbildung 5 dargestellt. Analog zu den Energiebilanzen
                                                                       wurde der Chemiesektor in die Sparten „Grundstoffche-
4. Sekundärinput (Energie aus nichterneuerbaren Abfäl-                 mie“ und „andere Produkte“ aufgeteilt (AGEB 2019). Ins-
   len und Abwärme)                                                    gesamt werden in allen Sparten pro Jahr 16 Megatonnen
                                                                       (Mt) Kohlenstoff energetisch aufgewendet, dabei stellt der
Für die Bilanzierung der energetischen Kohlenstoffflüsse               indirekte Primärinput mit 9 Mt Kohlenstoff pro Jahr den
wurde der Energieverbrauch für die Herstellungsprozesse                größten Fluss dar. Hauptursache für den hohen indirek-
auf sektoraler Ebene betrachtet. Der Kohlenstofffluss                  ten Kohlenstoffbedarf ist der Stromverbrauch in Zusam-
für den indirekten Primärinput und den Sekundärinput                   menhang mit dem Anteil fossiler Energie im deutschen

Abbildung 5: Energetischer Kohlenstofffluss im deutschen Chemie- und Kunststoffsektor im Jahr 2017 (Mt = Megatonne; Flüsse < 0,1 Mt
werden nicht dargestellt)

14
2 KOHLENSTOFF IM DEUTSCHEN CHEMIE- UND KUNSTSTOFFSEKTOR

Strommix (Abbildung 6)3. Danach folgen der direkte Pri-                            Abbildung 6 zeigt die Herkunft des energetischen Koh-
märinput mit 5 Mt sowie der biotische Primärinput und                              lenstoffinputs für die beiden Sektoren. Demnach verur-
der Sekundärinput mit jeweils 1 Mt. Die Herstellung von                            sacht die Nutzung von fremdbezogener Elektrizität 56 %
Grundstoffchemikalien ist dabei der größte Verbraucher                             des energetischen Kohlenstoffbedarfes, wodurch der gro-
sowohl von indirektem (6 Mt) und direktem Primärin-                                ße Einfluss des verwendeten Strommix auf den energeti-
put (fossil + biotisch) (5 Mt) als auch Sekundärinput 1 Mt                         schen Kohlenstoffbedarf der Sektoren verdeutlicht wird.
und weist mit 6 Mt auch die größte Menge an direkten                               Danach folgt die direkte Nutzung von Erdgas mit 25 %.
Kohlenstoffemissionen (Scope 1-Emissionen) auf. Wäh-                               Die energetische Nutzung von Kohlenstoff aus Biomasse,
rend der direkte Primärinput für die beiden Sparten des                            Stein- und Braunkohlen, Mineralölen, nichterneuerbaren
Chemiesektors einen bedeutenden Anteil ausmacht, ba-                               Abfällen und Abwärme sowie Fernwärme spielt im Ver-
siert der energetische Kohlenstoffbedarf der Kunststoff-                           gleich zu Strom und Erdgas nur eine untergeordnete Rol-
industrie hauptsächlich auf der indirekten Nutzung von                             le. Insgesamt basiert der energetische Kohlenstoffbedarf
Primärinput in Form von Elektrizität. Der Einsatz von                              zu 93 % auf fossilen Quellen. Der Anteil des Sekundärin-
biotischem Primärinput sowie von Sekundärinput spielt                              puts am Gesamtinput beträgt 6 %4.
für die Herstellung von sonstigen chemischen Produkten
und für den Kunststoffsektor bislang kaum eine Rolle.                            2.1.3.2 Stofflich genutzte Kohlenstoffflüsse
                                                                                           Zur Analyse des stofflich genutzten Kohlen-
                    5% 1%                                      Elektrizität (Fremdbezug)   stoffes werden neben der Produktionsphase
               6%
                                                                                           die Nutzungsphase und das Abfallmanage-
          7%                                                   Erdgas                      ment betrachtet, zum einen zur Berücksich-
                                                                                           tigung von werkstofflichen Recyclingzyklen
                                                               Biomasse                    und zum anderen zur Bilanzierung von Sys-
                                                                                           temverlusten durch Emissionen und Außen-
                                               56%             Sonstige fossile            handel. In Abbildung 7 ist der entsprechende
                                                               Energieträger
    25%                                                                                    stoffliche Kohlenstofffluss in Deutschland im
                                                               Abfälle und Abwärme         Jahr 2017 dargestellt.

                                                               Fernwärme
                                                                                                  Der gesamte stoffliche Kohlenstoffinput der
Abbildung 6: Energetischer Kohlenstoffinput des deutschen Chemie- und Kunst-                      Sektoren beträgt 18 Mt pro Jahr, wovon 17 Mt
stoffsektors im Jahr 2017, nach Energieträgern; Datenbasis: AGEB (2019) und Geres                 in die inländische Nutzung gehen5. Im Ver-
et al. (2019)

Abbildung 7: Stofflicher Kohlenstofffluss in Deutschland im Jahr 2017 (A = Abfallmanagement, C = Chemiesektor, K = Kunststoffsektor,
Ind. = industriell, N = inländische Nutzung, PC = Post Consumer; Mt = Megatonne; durch Rundungsfehler können geringe Abweichungen
im Vergleich zu den Zahlen im Text entstehen; Flüsse < 0,1 Mt werden nicht dargestellt)

3    CO2-Emissionsfaktor 2017: 0,486 kg/kWh (UBA 2019c).
4    Der Sekundärinput besteht aus nichterneuerbaren Abfällen und Abwärme, die ursprünglich auch fossilen Ursprungs sind.
5    Von dem zur Herstellung von Ammoniak benötigten Kohlenstoff wird nur derjenige Teil bilanziert, der in einem späteren Prozess stofflich in Harnstoff
     eingebunden wird, da Ammoniak selbst keinen Kohlenstoff enthält.

                                                                                                                                                            15
2 KOHLENSTOFF IM DEUTSCHEN CHEMIE- UND KUNSTSTOFFSEKTOR

gleich zu der energetisch genutzten Kohlenstoffmenge                              sich sowohl die Inputflüsse (Rohstoffe) als auch Output-
von 16 Mt ist der Gesamtbedarf für die stoffliche Nutzung                         flüsse (Abfallströme, Emissionen) eines Systems reduzie-
mit 18 Mt demnach um 13 % höher. Es werden 11 Mt zur                              ren (Helander et al. 2019). Die Zirkularität der Material-
Produktion von Kunststoffprodukten und 6 Mt für die                               führung wird mit Hilfe von Indikatoren bestimmt: der
Herstellung von Nichtkunststoffprodukten (z. B. Farben                            Sekundärinputrate (SI-Rate), der Recyclingrate (R-Rate)
u. Lacke oder Waschmittel) verwendet. Die Kohlenstoff-                            sowie der Rate der Systemverluste (V-Rate). Während die
flüsse aus der Nutzung in das Abfallmanagement in Form                            SI-Rate den Anteil von Sekundärmaterial am Gesamtin-
von kohlenstoffhaltigen Abfällen belaufen sich auf 6 Mt.                          put bestimmt, kann mit Hilfe der R-Rate berechnet wer-
Aus Industrie- und Haushaltsabfällen werden insgesamt                             den, welcher Anteil des Abfallflusses wieder als Rezyklat
2 Mt Kohlenstoff in Form von Rezyklat erneut als Se-                              genutzt wird. Die V-Rate bestimmt den Anteil des be-
kundärinput verwendet. Während der Herstellungs- und                              treffenden Materials, der über die Systemgrenzen hinaus
Nutzungsphase sowie des Abfallmanagements werden ca.                              verloren geht. Für das betrachtete Kohlenstoffflusssystem
7 Mt Kohlenstoff in Luft (87 %) und Wasser (10 %) und in                          sind die drei Indikatoren dabei folgendermaßen definiert:
Form von Mikroplastik in die Umwelt emittiert (3 %). Zu-
sammen mit dem Nettoexport des Chemie- und Kunst-
stoffsektors sowie des Abfallmanagements (kohlenstoff-
haltige Abfälle und Rezyklat) von insgesamt 3 Mt stellen
diese die Systemverluste dar. Ebenfalls ist anzumerken,
dass die Nutzungsphase mehr Input erhält als Output
in Form von Abfällen oder dissipativen Verlusten abgibt.
Dieser Anstieg des anthropogenen Lagers liegt bei 7 Mt
Kohlenstoff pro Jahr. Es handelt sich dabei hauptsächlich
um zusätzlich gekaufte, langlebige Produkte, die z. B. im                         2.1.4.2 Kreislaufführung
Baubereich oder für Gebrauchsgüter den Bestand an Ma-                             Die Indikatoren zur Bewertung der Zirkularität der stoff-
terial in der Technosphäre netto erhöhen.                                         lichen Kohlenstoffnutzung wurden auf Basis des Stoff-
                                                                                  strommodells für die einzelnen Sektoren und für das
                                                                                  Gesamtsystem berechnet. Die R-Raten beziehen sich auf
                9%                                                                den Abfallfluss des jeweiligen Sektors bzw. Prozesses.
      10%                                         Erdölderivate
                                                                                  Tabelle 1: Sekundärinput- und Recyclingraten für die
                                                                                  Sektoren und das Gesamtsystem im Jahr 2017
                                                  Erdgas                           Sektor                                        SI-Rate        R-Rate
                                                                                   Chemiesektor                                   0,2 %          68 %
                                                  Biomasse                         Kunststoffsektor                                9%            78 %
                                    81%
                                                                                   Inländischer Ge- und Verbrauch                  6%            18 %

Abbildung 8: Stofflicher Kohlenstoffinput des deutschen Chemie-
                                                                                   Gesamtsystem                                    6%            19 %
sektors nach Herkunft im Jahr 2017 (AGEB 2019)

Die Zusammensetzung des stofflichen Kohlenstoffinputs                             Insgesamt wird deutlich, dass sich die SI-Raten zwischen
basiert aktuell zu 91 % auf fossilen Energieträgern, wobei                        dem Chemie- und Kunststoffsektor um fast zwei Größen-
Erdölderivate mit 81 % den größten Anteil haben (Abbil-                           ordnungen unterscheiden, wobei der berechnete Wert
dung 8). Mit 9 % stellt Biomasse den einzigen nennens-                            für den Kunststoffsektor ebenfalls sehr niedrig ist, ver-
werten nicht-fossilen Input dar, während der Sekundä-                             glichen mit anderen Materialien und Industriebranchen6.
rinput aus Rezyklat nur 0,2 % beträgt.                                            Ursache für die deutlich höheren Recyclingraten inner-
                                                                                  halb der hier betrachteten Industriesektoren, verglichen
2.1.4      Zirkularität der stofflichen                                           mit dem Post-Consumer Abfallmanagement und dem
           Kohlenstoffnutzung                                                     Gesamtsystem, ist die Zusammensetzung der Abfallströ-
                                                                                  me. In der Chemie- und Kunststoffindustrie fallen i.d.R.
2.1.4.1 Kreislaufindikatoren                                                      sortenreine Abfälle an, die direkt wiedereingesetzt wer-
Mit Hilfe einer Kreislaufführung von Materialien lassen                           den können. Die Post-Consumer Abfallströme weisen

6    z. B. Recyclingrate Aluminiumverpackungen: 87 % (GVM 2018) , langjährige SI-Rate der Rohstahlproduktion in Deutschland: 45 % (BDE 2018).

16
2 KOHLENSTOFF IM DEUTSCHEN CHEMIE- UND KUNSTSTOFFSEKTOR

Tabelle 2: Verlustraten für die einzelnen Sektoren und das Gesamtsystem im Jahr 2017; Abweichungen werden durch
Rundungsfehler verursacht; (PC = Post Consumer)

                 Sektor                        absolute Verluste [Mt]                         Verlustrate                 Anteil an Gesamtverlusten
    Chemiesektor                                            0,3                                    1%                                     2%
    Kunststoffsektor                                        0,2                                    1%                                     2%
    Inländische Nutzung                                      2                                    11 %                                    19 %
    PC-Abfallmanagement                                      5                                    28 %                                    48 %
    Nationale Verluste                                       8                                    42 %                                    73 %
    Außenhandel                                              3                                    17 %                                    27 %
    Gesamtsystem                                            11                                    59 %                                   100 %

dagegen einen deutlich höheren Verschmutzungs- und                                  zykliertem Kohlenstoff selbst bei einer hypothetischen
Durchmischungsgrad auf, wodurch das werkstoffliche                                  R-Rate von 100 % nicht erreicht werden.
Recycling erschwert wird (Rudolph et al. 2017). Aufgrund
des geringen Abfallvolumens innerhalb der Industrie-                                2.2         Vision
sektoren haben die dort höheren Recyclingraten aber nur
einen marginalen Einfluss auf die des Gesamtsystems.                                Die Quantifizierung der Kohlenstoffflüsse im Status quo
                                                                                    hat verdeutlicht, dass diese im Chemie- und Kunststoff-
Die größten Kohlenstoffverluste treten im Post-Consu-                               sektor aktuell zum einen überwiegend auf fossilen Quellen
mer (PC) Abfallmanagement auf. Dort gehen 5 Mt bzw.                                 basieren und zum anderen weitgehend linear verlaufen.
28 % des Primärinputs in Form von Emissionen durch                                  Eine differenzierte Betrachtung der energetischen und
thermische Verwertung verloren. Die Verluste während                                stofflichen Nutzung zeigt, dass auf der energetischen Sei-
der inländischen Nutzung in Höhe von 2 Mt sind als dis-                             te der Kohlenstoffbedarf hauptsächlich indirekt durch die
sipativ und nicht recycelbar anzusehen. Sie entstehen z.                            Nutzung von Netzstrom bedingt ist. Die stoffliche Koh-
B. durch die Emission von Lösungsmitteln bei der Ver-                               lenstoffnutzung basiert dahingegen auf der Verarbeitung
wendung von Farben und Lacken oder Emissionen in                                    von Erdöl- und Erdgasderivaten. Damit ist gegenwärtig
Wasser durch die Nutzung von Seifen oder Waschmitteln.                              sowohl die energetische als auch die stoffliche Versorgung
Die Verluste innerhalb des Chemiesektors sind prozess-                              der chemischen und kunststoffverarbeitenden Industrie
bedingt. Zusätzlich werden netto 17 % des eingesetzten                              hauptsächlich von fossilen Quellen abhängig, deren Roh-
Kohlenstoffes in Form von Chemikalien, Polymeren oder                               stoffe zudem überwiegend importiert werden. Künftig gilt
Abfällen und Rezyklat in andere Länder exportiert.                                  es, die energetische und die stoffliche Versorgung zu trennen.
                                                                                    Für eine nachhaltige Versorgung wird eine Doppelstrategie
Ohne Berücksichtigung des Außenhandels gehen dem                                    benötigt: (1) Eine Dekarbonisierung (Verzicht auf Kohlen-
Gesamtsystem jährlich somit 42 % des stofflich eingesetz-                           stoff)7 der Energieversorgung und (2) eine Rekarbonisie-
ten Kohlenstoffes verloren, ein Viertel davon entsteht dis-                         rung (Kreislaufführung von Kohlenstoff) der stofflichen
sipativ und kann nicht rezykliert werden, maximal drei                              Versorgung (Bringezu und Kaiser 2019).
Viertel der inländischen Verluste ließe sich durch geeig-
nete Recyclingmaßnahmen vermindern.                                                 Die Energieversorgung des Chemie- und Kunststoffsek-
                                                                                    tors kann größtenteils dekarbonisiert werden, indem ver-
Ausgehend von den Indikatorwerten kann weder für das                                mehrt erneuerbare Energiequellen zur Stromerzeugung
Gesamtsystem noch für einzelne Sektoren eine relevan-                               eingesetzt werden. Dies bietet die Möglichkeit, den di-
te Kreislaufführung von stofflich genutztem Kohlenstoff                             rekten und indirekten Kohlenstoffbedarf konsequent zu
festgestellt werden. Mit wenigen Ausnahmen wird der                                 reduzieren und gleichzeitig den Primärenergiebedarf der
Kohlenstoff in linearer und nicht in zirkulärer Weise ge-                           Sektoren durch Energieeffizienz zu senken.
nutzt. Aufgrund von dissipativen Verlusten und eines an-
steigenden anthropogenen Lagers könnte bei konstanter                               Die Sicherung der stofflichen Versorgung mit Kohlenstoff
(oder steigender) Produktionsmenge eine vollständige                                kann durch einen Ausbau der Kreislaufführung bewerk-
Versorgung der deutschen Produktion mit inländisch re-                              stelligt werden. Dabei können sich werkstoffliches und

7     Der Begriff „Defossilisierung“ wäre zu eng gefasst, da auch eine weitere energetische Verwendung von agrarischer Biomasse vermieden werden sollte.

                                                                                                                                                           17
2 KOHLENSTOFF IM DEUTSCHEN CHEMIE- UND KUNSTSTOFFSEKTOR

rohstoffliches Recycling (inklusive der Nutzung von CO2)           Bevor mit Hilfe von konkreten Szenarien ein Zielkorridor
in komplementärer Weise ergänzen. Dort, wo das werk-               für die zukünftige Nutzung von CO2 als Kohlenstoffbasis
stoffliche Recycling aus technischen oder ökonomischen             des Chemie- und Kunststoffsektors aufgezeigt wird, soll
Gründen an seine Grenzen kommt, könnte eine Verbren-               im folgenden Kapitel der aktuelle Stand der Technik von
nung des Abfalls in Kombination mit der Abscheidung                CO2-Nutzungstechnologien beschrieben werden. Dies
und Nutzung des CO2 den Kohlenstoffkreislauf effektiv              geschieht im Hinblick auf den technologischen Reifegrad
schließen. Um dissipative Verluste während der Nutzung             und im Hinblick auf eine ökologische und ökonomische
auszugleichen, können weitere CO2-Quellen zudem zum                Einschätzung.
„Auffüllen“ des technischen Kohlenstoffkreislaufs die-
nen. Dies könnten zum einen weitere, langfristig verfüg-
bare, CO2-Punktquellen (z. B. Müllverbrennungsanlagen,
Kalk- und Zementwerke) sein oder die Abscheidung von
atmosphärischem CO2.
                   Abbildung 9

                               EE

       fossile/biotische Rohstoffe        Chemie- und                                  Nutzung und
                                                                      Produkte
                                         Kunststoffsektor                              Abfallmanage-
                                                                                           ment

                                               Roh- und werkstoffliches Recycling

                Abbildung 9: Schema einer De- und Rekarbonisierung als Doppelstrategie (Bringezu und Kaiser 2019)

18
3 Status Quo der
    CO2-Nutzungstechnologien

In diesem Kapitel wird der Entwicklungsstand der Tech-               den hergestellten Produkten die fossile Kohlenstoffbasis
nologien der CO2-Nutzung zur Herstellung von Chemi-                  zu einem Teil durch CO2 zu ersetzen. Dies setzt voraus,
kalien und Polymeren beschrieben. Auch werden erste                  dass die Energie zur Nutzbarmachung des energiear-
Ergebnisse der ökologischen und ökonomischen Analyse                 men CO2-Moleküls im Prozess vorhanden ist. Eine solche
für diese Technologien im Vergleich zu konventionellen               Möglichkeit wird bei der Polyurethanherstellung der Fir-
Herstellungsverfahren erläutert.                                     ma Covestro genutzt, indem Epoxidmoleküle durch CO2
                                                                     ersetzt werden. Dadurch werden zum einen fossile Koh-
3.1      Stand der Technik                                           lenwasserstoffe teilweise ersetzt und zum anderen wird
                                                                     Energie eingespart (Assen et al. 2015). Weitere Beispiele
Kohlenstoffdioxid kann grundsätzlich auf zwei Arten in               für die Einbindung von – bislang meist fossil basiertem –
industrielle Prozesse der Chemieindustrie zur Produk-                CO2 in bestehende Syntheserouten sind die Herstellung
tion von organischen Chemikalien und Polymeren ein-                  von harnstoffbasierten Harzen und die Produktion zyk­
gebunden werden (Abbildung 10). Die erste Option ist die             lischer Carbonate, die bereits großskalig durchgeführt
direkte Nutzung von CO2 als molekularer Baustein, um in              werden.

Abbildung 10: Schematischer Vergleich der Rohstoffinputs der konventionellen Herstellung sowie Optionen der CO2-Nutzung

                                                                                                                           19
3 STATUS QUO DER CO2-NUTZUNGSTECHNOLOGIEN

     Das TRL Konzept
     Der Technological Readiness Level dient der Klassifizierung und Einordnung des Reifegrades einer Technologie, um
     weiteren Entwicklungsaufwand abschätzen zu können (Buchner et al. 2018). Hierfür wird der Entwicklungsprozess
     neuer Technologien, ausgehend von der Erforschung der Grundlagen bis hin zur Marktreife, in insgesamt neun
     Schritte unterteilt:

                            1          2            3            4              5            6        7       8        9

                                                                                                                           TRL
                                       ng

                                                                              e

                                                                                              e

                                                                                                                      e

                                                                                                                    ge

                                                                                                                    ife
                                                   pt
                        ng

                                                                  p

                                                                           lag

                                                                                           lag

                                                                                                                  lag
                                                               ty
                                                 ce

                                                                                                                nla
                                     ru

                                                                                                                tre
                      hu

                                                            to

                                                                          ran

                                                                                        an

                                                                                                               an
                                               on
                                  lie

                                                                                                            ark
                    sc

                                                                                                             -A
                                                         ro

                                                                                     ot

                                                                                                            ns
                                            f-C
                                mu

                                                                         o
                       r

                                                        rp

                                                                                                           ge
                    fo

                                                                                                          M
                                                                      ab

                                                                                    Pil

                                                                                                tio
                                                        bo
                                         f-o

                                                                                                        ali
                                r
                 en

                                                                     L
                             fo

                                                                                             tra
                                                    La

                                                                                                      sk
              lag

                                                                 ige
                                       oo
                             pt

                                                                                            ns

                                                                                                    oß
                           ze

                                     Pr

                                                                nd
               d

                                                                                          mo
            un

                                                                                                  Gr
                         n

                                                             stä
                      Ko
          Gr

                                                                                        De
                                                            ll
                                                         Vo

Die zweite Möglichkeit der Nutzung von CO2 ist die Her-                         tion bislang konventionell aus fossilen Rohstoffen herge-
stellung von Basischemikalien unter Verwendung von                              stellten Chemikalien. Die beiden Möglichkeiten können
CO2 als Kohlenstoffquelle. Unter Hinzunahme von Was-                            ebenfalls miteinander kombiniert werden.
serstoff können Basischemikalien wie Methanol, Olefine
oder Aromaten auf CO2-Basis hergestellt werden (Hoppe                           3.1.1     Technologische Bewertung von
et al. 2017). Theoretisch möglich wäre auch eine Direkt-                                  Prozessschritten der CO2-Nutzung
synthese komplexerer Moleküle aus CO2. In jedem dieser
Fälle wird der im CO2 enthaltene Kohlenstoff dazu ver-                          Um CO2 als Kohlenstoffquelle für die Synthese von Ba-
wendet, um unter Aufwendung zusätzlicher Mengen an                              sischemikalien oder als Polymerbaustein zu verwenden,
– möglichst erneuerbarer - Energie einen Kohlenwasser-                          sind grundsätzlich mehrere Prozessschritte nötig: die Ab-
stoff herzustellen. Dieser dient dann als Ausgangsstoff                         scheidung von CO2-Prozesse zur Bereitstellung von H2
für herkömmliche Synthesen bzw. zur direkten Substitu-                          und die weitergehenden Syntheseprozesse. Die einzelnen

                                            O2

      Elektrische Energie
                                                                                                                    Aromaten
                                      Elektrolyse                    H2                  Thermische Energie
                   H2O
                                                                                                                     Fischer-Tropsch
                                                                                                                        Gemische
                                                                                          Syntheseprozess
     Prozessemissionen/
        Atmosphäre                                                                                                  Methanol

     Thermische Energie                   CO2-
                                                                 CO2                                                Olefine
                                       Abscheidung

      Elektrische Energie
                                                                                                                    Nebenprodukte

Abbildung 11: Vereinfachtes Prozessschema zur CO2-basierten Synthese von beispielhaften Basischemikalien unter Berücksichtigung der
Stoff- und Energieflüsse

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