Wie Wohnen Mobilität lenkt - 20 Jahre MobiliTät mit Zukunft - Plattform autofrei ...
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Wie Wohnen Mobilität lenkt 3 Impressum VCÖ VCÖ (Hrsg.): 1050 Wien „Wie Wohnen Mobilität lenkt“ Bräuhausgasse 7–9 VCÖ-Schriftenreihe T +43-(0)1-893 26 97 „Mobilität mit Zukunft“ 4/2010 F +43-(0)1-893 24 31 Wien 2010 E vcoe@vcoe.at ISBN 3-901204-67-9 www.vcoe.at Erstellt unter Mitarbeit von: Marco Hüttenmoser Harald Buschbacher Andrea Karl Weninger Regner Florian Elke Müller Szalai Christine Martin Zehetgruber Blum Roman Bartha Gerlinde Bente Gänsdorfer Knoll Anna Reinhard Vardai Seiß Christian Robert Gratzer Temel Clarissa Rainer Mayerhofer Fritz Knehs Kobi Wolfgang Georg Sengelin Schiller Jens-Martin Gutsche Walter Daniela Gerhard Riedler Steininger Pernecker Harald Daniela Uwe Frey Bischof Sattler Alexandra Christian Wegscheider- Höller Ulla Gerlinde Gutheil-Knopp- Pichler Rasmussen Brigitte Kvapil Kirchwald Dominik Michael Jona Schranz Verena Duncan Postner Ahne Luka Agnes Samonig Eybl Rachel Picard Gregor Anne Wiltschko Lang Als Hauptautor zu zitieren: Titelbild: Büro Markus/Zahradnik VCÖ-Forschungsinstitut, Wien, Österreich Übersetzungen: phoenix Übersetzungen Layout: A BISS Z PRODUCTIONS Medieninhaber, Herausgeber und Verleger VCÖ, 2340 Mödling Druck: Demczuk Fairdrucker GmbH ZVR-Zahl 674059554 Wintergasse 52, 3002 Purkersdorf
Wie Wohnen Mobilität lenkt 5 Vorwort „Zeig mir, wie du wohnst, dann sag ich dir, wie du mobil bist“, könnte es treffend heißen, wenn es um die Schnittstelle Wohnen und Mobilität geht. Denn das Ei- genheim weitab in der Region verlangt nach dem Auto als Anbindung an soziale und gesellschaftliche Einrich- tungen. Eine Wohnung im Ortskern oder im verdich- teten Wohnbau hingegen legt es nahe zu gehen oder das Rad zu verwenden und macht es für die Gemeinde leichter, ihren Bewohnerinnen und Bewohnern einen guten Öffentlichen Verkehr anzubieten. Die Entwicklungen der letzten Jahre machen das Thema Energieeffizienz auch für private Haushalte aktuell. Doch bleibt noch immer der Mobilitätsbereich ausgeblendet. Niedrigenergie- und Passivhäuser ent- stehen derzeit genauso auf der „grünen Wiese“ wie das herkömmliche Einfamilienhaus. Bei der Entscheidung für die Wohnform wird kaum beachtet, dass die Mo- bilität der Haushaltsmitglieder fast ebenso viel Energie verbraucht wie der Haushalt selbst. Dadurch entsteht eine mehrfache Kostenfalle. Denn bei steigenden Ener- giepreisen werden sich die Haushalte das Auto immer schwerer leisten können. Da hilft auch die Wärmedäm- mung des Hauses nichts. Die Gemeindebudgets wiede- rum werden durch die Erhaltung der Infrastruktur für Flächensiedlungen stark belastet. Und ein Öffentlicher Verkehr, der diese Siedlungen erschließt, geht sich dann nicht mehr aus. Es ist daher dringend notwendig, die Steuerungs instrumente im Wohnbau zu verändern. Eine Wohn- bauförderung sollte es nur noch für jene geben, die ihr Eigenheim nahe an einem öffentlichen Verkehrsmittel errichten. Die Verpflichtung zur Errichtung von Au- toabstellplätzen ist abzuschaffen, zumindest braucht es eine Obergrenze für die Anzahl der zur Verfügung ge- stellten Parkplätze. Im innerörtlichen Wohnbau ist ein hoher Standard für ausreichend viele komfortable und sichere Fahrradunterbringungen zu schaffen. Und nicht zuletzt braucht es einen Energieausweis für ganze Sied- lungen. Einen Energieausweis, der auch die Mobilität und die Mobilitätskosten miteinbezieht. Dr. Willi Nowak VCÖ-Geschäftsführung
Wie Wohnen Mobilität lenkt 7 Dank Inhaltsverzeichnis Gedankt sei allen, die die Herausgabe dieser So wie wir wohnen, sind wir mobil 9 Publikation finanziell unterstützt haben. Wohnen und Mobilität in Österreich 12 Kostenfalle Zersiedlung 16 Der Preis für günstiges Wohnen 19 Wohnbauförderung und Stellplatzverpflichtung reformieren 21 Spannungsfeld Wohnbau – Verkehr 24 Die Schnittstelle von Wohnen und Mobilität attraktivieren 26 Elektro-Fahrzeuge ergänzen Verkehr in der Stadt 28 Wohnen als Integration von Bedürfnissen 30 Carsharing erleichtert autofreies Wohnen 32 Shared Space macht den öffentlichen Raum attraktiv 34 Vauban – ein Stadtteil ohne Stellplätze 35 Beispiele, wie Wohnbau nachhaltige Mobilität forciert 37 Sichere und attraktive Fahrradabstellanlagen notwendig 39 Gender Planning optimiert Wohnlösungen Inserate: und Mobilität 40 Energie AG Oberösterreich FGM Forschungsgesellschaft Mobilität Literatur, Quellen, Anmerkungen 41 GESIBA Verkehrsverbund Tirol VCÖ-Schriftenreihe Mobilität mit Zukunft 48 VOR Verkehrsverbund Ost-Region Wiener Linien Publikationen des VCÖ beziehungsweise des VCÖ-Forschungsinstitutes dienen der fach- lich fundierten Aufbereitung beziehungsweise Diskussion von Themen aus dem Bereich Mobilität, Transport und Verkehr. Die Art der Behandlung der Inhalte und die erarbeiteten Ergebnisse müssen nicht mit der Meinung der unterstützenden Institutionen übereinstimmen.
Wie Wohnen Mobilität lenkt 9 So wie wir wohnen, sind wir mobil Es sind die Lebensbereiche eines Menschen, die seine Mobilität definieren: Wohnen, Freizeit, Arbeit und Freizeit sind wichtigste Ausbildung, Arbeit. Rund 80 Prozent der täglichen Wegzwecke Quelle: Amt der Niederösterreichischen Landesregierung 20092, Wege beginnen oder enden zu Hause. Bei Ent- 100 scheidungen zur Verkehrsmittelwahl spielt der 22 24 Freizeit Wegzweck im Jahr 2008 in Prozent Socialdata 2010103, Herry 200946 Grafik: VCÖ 2010 80 32 Bringen oder Holen Wohnort daher eine zentrale Rolle. 9 6 von Personen 5 10 10 Dienstleistung 60 5 17 13 Einkauf 100 Wie weit ist es zur nächsten Haltestelle? Kann 22 Ausbildung 40 11 13 dienstliche Wege das Fahrrad ohne Hindernisse in Betrieb ge- 10 7 7 Wege von und zur Arbeit nommen werden? Steht das Auto am gesicherten 20 5 3624 27 Parkplatz vor der Tür? 21 0 Die täglichen Wege zu den verschiedensten Wien Niederösterreich Vorarlberg Zielorten werden meist nicht in einer Reise- route – von zu Hause zur Arbeit, von dort zum Erschließung belastet Gemeindebudgets Rund die Hälfte der von den Menschen in Wien, Einkaufen und gleich danach zu einer Freizeit- Gemeinden tragen – je nach Bundesland – etwa Niederösterreich und aktivität – geplant. Meist wird von zu Hause zur 27 16 Prozent der anfallenden Erschließungskosten, Vorarlberg zurückge- legten Wege führt zum Arbeit und wieder zurück gefahren, anschließend Privaten werden etwa 37 Prozent angelastet. Der Arbeitsplatz oder an ein Rest 18 * Daten von 1951, ** Daten von 2009 von zu Hause zur Freizeiteinrichtung, zum Ein- wird von Bund und Bundesländern über Freizeitziel. kaufen etc. So führt etwa in Niederösterreich ein Förderungen getragen.24 Viertel der Wege zum Arbeitsplatz und beinahe Das böse Erwachen kommt später, denn die ein Viertel zu Freizeitaktivitäten.2 Kosten für den Betrieb und die Instandhaltung tragen Gemeinden danach großteils selbst – Mobilitätserschließung wird beim Wohnbau Folgekosten, die bei der Planungsentscheidung zu nicht berücksichtigt wenig berücksichtigt werden. Wenn eine Siedlung, ein Einkaufszentrum oder Immobilienpreise sinken mit der Distanz zum Mit steigender Bebau- ein Betriebsgebäude gebaut wird, beschränkt sich Zentrum. In den meisten Fällen werden die ungsdichte sinken die Erschließungs- und derzeit die Verkehrserschließung meist auf den so erzielten Einsparungen durch eine größere Erhaltungskosten je Bau von Straßen und die Schaffung von Park- Wohnfläche – also höhere Betriebskosten – Wohneinheit. plätzen. Die verschiedenen Wohnformen belasten das öffentliche Budget unterschiedlich. Siedlun- Einfamilienhäuser verursachen die gen auf der grünen Wiese verursachen weitere Wege und höhere Erschließungs- und Erhal- höchsten Kosten bei Erschließung und Erhaltung tungskosten für die Gemeinden als Bauen im be- Erschließung Erhaltung reits besiedelten Gebiet – für Wasserversorgung, 100 100 100 Einfamilienhaus als Referenz, in Prozent Durch Bauform verursachte Kosten, Abwasserentsorgung und Verkehrserschließung 80 ebenso wie für Schulbus und mobile Dienste der Quelle: SIR 200728 Grafik: VCÖ 2010 Altersbetreuung. 60 63 64 Mit fallender Siedlungsdichte steigt auch der 40 47 46 Motorisierungsgrad. So nutzen im dicht verbau- 20 25 27 ten Gebiet rund 56 Prozent der Personen mehr- mals pro Woche einen Pkw, in Streusiedlungs 0 Einfamilienhaus Einfamilienhaus gekoppelt Reihenhaus Geschoßwohnbau gebieten jedoch 81 Prozent.139 Mobilität mit Zukunft 4/2010 +14,1% kompakte Raumstrukturen heutige Siedlungsdichte +15,7%
10 Wie Wohnen Mobilität lenkt und Mobilität zu wecken, auch durch gesetzliche Anteil des Autos steigt mit fallender Regelungen und Förderungen. Etwa indem die Siedlungsdichte Wohnbauförderung an die Erschließung eines Objektes durch öffentliche Verkehrsmittel gekop- öffentliche Verkehrsmittel Pkw pelt wird und Höchst-, nicht Mindestanzahlen Anteil der Personen, die das Verkehrsmittel 100 an Pkw-Stellplätzen in den Bauordnungen fest- täglich oder mehrmals pro Woche 80 81 78 gelegt werden sowie ein Stellplatzüberangebot 71 nutzen, in Prozent Quelle: VCÖ 2010139 Grafik: VCÖ 2010 60 besteuert wird. Zumindest sind die Errichtungs- 56 kosten für die Abstellflächen von Autos von der 40 44 Wohnbauförderung auszunehmen. Im Energie- 20 24 ausweis für ein Haus ist der nötige Energieauf- 16 9 wand für die Mobilität miteinzubeziehen. 0 dicht locker Ein- und Zwei- nicht verbaut verbaut familienhäuser verbaut Förderung von Nutzungsmischung Während in dicht ver- und höhere Mobilitätskosten kompensiert. Ein Belebte Erdgeschoßzonen sind wichtige Verbin- bauten Ballungsräumen Umzug ins Umland führt selten zu finanziellen +14,1% dungsstücke zwischen öffentlichem und privatem öffentliche Verkehrs- mittel von fast der Einsparungen. Die höheren Mobilitätskosten Raum. Eine Adaptierung der Förderungen etwa Hälfte der Bevölkerung werden, im Gegensatz zu den Betriebskosten des durch Förderung der Nutzungsdurchmischung täglich oder mehrmals wöchentlich genutzt Wohnens, vorab meist nicht richtig eingeschätzt. ist notwendig. werden, fällt dieser +6,4% Mit der Übersiedlung +10,3%ins Grüne erhöht sich Das gesetzliche Verknüpfen des Parkplatzbaus +11% der Anteil mit Sinken oft die Anzahl der Autos im Haushalt. Zehn mit dem Wohnungsbau hat die Autoabhängig- Besiedlungsdichte auf Österreich-Durchschnitt: 21 Prozent Österreich-Durchschnitt: 68 Prozent bis zu weniger als zehn Prozent der Haushalte haben bei einer Siedlungs- keit gefördert und verteuert den Wohnbau zu Prozent. dichte unter 100 Personen pro Quadratkilometer Lasten jener, die ohne eigenes Auto leben wollen. drei oder mehr Pkw, bei einer Siedlungsdichte Eine Verbesserung der Kostentransparenz und Geschlecht über 500 sind es nur zweiAlterProzent.121 Die Zahl die Umverteilung auftretender Mehrkosten von der zurückgelegten Kilometer steigt. Die Fol- Parkplätzen zu Lasten der Verursachenden ist ein gekosten der Bereitstellung von Verkehrsinfra- wichtiger Schritt in Richtung nachhaltiger Sied- Ausgangspunkt: struktur tragen alle Steuerzahlenden, unabhängig lungsentwicklung und Siedlungserschließung. So Besetzungsgrad 50 Prozent davon, wo sie wohnen. 100 Personen pro Stunde befördertk26 bekommen auch andere Mobilitätsformen und andere Nutzungen des öffentlichen Raums eine Standort ist bei Energiebilanz zu Chance. berücksichtigen öffentliche Verkehrsmittel Pkw Um den Energieverbrauch zu reduzieren, wird Verknüpfung Wohnen und öffentlicher Raum Anteil der Personen, die das Verkehrsmittel 100 heute die Wohnbauförderung bereits an Energie- Wohnbau und öffentlicher Raum stehen vielfach täglich oder mehrmals pro Woche 80 kennwerte der Gebäude gekoppelt. 81 Der Standort in Wechselwirkung. Lärm und Abgase verdrän- 78 71 Verkehrserschließung der Gebäude wird nutzen, in Prozent 60 und die gen die Menschen immer mehr in das Innere 56 bei der Förderung aber außer Acht gelassen, ob- ihrer Häuser. Fenster bleiben geschlossen. Die 40 44 wohl für Mobilität beinahe genauso viel Energie Verantwortung für den Raum vor dem Haus 20 aufgewendet 24 wird wie für das Wohnen.133 Wohn- wurde aufgegeben, weil seine Umwertung zum bauförderungen 16 haben in 9Zukunft jene stärker zu bloßen Verkehrsraum nicht den Bedürfnissen der 0 dicht locker Ein- und Zwei- bauen. nicht verbaut fördern, verbaut diefamilienhäuser verdichtet verbaut dort Wohnenden entspricht. Wohnbau, Stadt- und Siedlungsplanung sowie Die Massen-Automobilisierung der Gesell- Verkehrsplanung laufen heute weitgehend neben- schaft ab den 1960er-Jahren hat nicht nur im einander her. Hauptakteure, die das Themenfeld großen Maßstab zu einer Entflechtung unserer Wohnen und Mobilität gestalten und prägen, Städte geführt – zu einer Funktionstrennung sind Baugesellschaften und Hausverwaltungen, in Wohngebiete, Banken- und Geschäftsviertel, Gemeinden sowie jene, die Öffentlichen Verkehr Gewerbe- und Industriegebiete, Freizeit- und anbieten, Mietervereinigungen und Raumpla- Naherholungszonen –, sondern auch eine weit- nungsverantwortliche. Bei ihnen allen ist das Be- gehende Monofunktionalisierung der Gebäude wusstsein für den Zusammenhang von Wohnen nach sich gezogen. Die meisten Häuser dienen Mobilität mit Zukunft 4/2010
Wie Wohnen Mobilität lenkt 11 nur mehr einer Nutzung. Das prägt dann auch den öffentlichen Raum. Motorisierungsgrad in stark zersiedelten Der öffentliche Raum erfüllt heute fast aus- Gebieten am höchsten schließlich den Zweck einer Fläche für den mo- Motorisierungsgrad 31.12.2009 nach politischen Bezirken torisierten Verkehr. In neu errichteten Vierteln Anzahl der Pkw fehlt es in der Regel an belebten Erdgeschoßen je 1.000 Menschen 308 bis 450 und damit an einem Übergang zwischen Woh- 451 bis 500 501 bis 550 nung und Straßenraum. Es fehlen Kriterien bei 551 bis 600 601 bis 995 Wien der Wohnbauförderung, die Anreize geben, im Quelle: Statistik Austria 2010124 Grafik: VCÖ 2010 - Wien Umgebung inkl. Bundespolizeidirektion Schwechat - Leoben Umgebung inkl. Bundespolizeidirektion Leoben Stadt untersten Geschoß eines Wohnhauses mehr als - - Liezen inkl. Exposituren Bad Aussee und Gröbming Eisenstadt inkl. Rust die Tiefgarageneinfahrt, den Müllraum und die Haustechnik unterzubringen. Eine Reduktion des motorisierten Verkehrs im unmittelbaren Wohnumfeld verringert nicht nur Lärm- und Abgasbelastung. Es wird Platz frei für Grenzen der Bundesländer Grenzen der politischen Bezirke 0 30 60 km Wald, Almen und Ödland mehr Vegetation, für Plätze und für kurze, di- rekte Verbindungswege für das Gehen. Einkaufs- möglichkeiten, Betriebe und kulturelle Einrich- haltsformen, die sich im Laufe der Zeit ändern In den Städten, wo es ein dichtes öffentliches tungen „ums Eck“ können sich etablieren. (können), werden Wohnungen und Wohnum- Verkehrsnetz gibt, ist der feld flexibler. Shared Space, Begegnungszonen, Motorisierungsgrad ver- Autofreies Wohnumfeld fördert soziale Kontakte Sammelgaragen: Neue Entwicklungen verstehen gleichsweise niedrig. Am höchsten ist er in stark Untersuchungen belegen die Barrierewirkung den öffentlichen Raum wieder als Lebensraum, zersiedelten peripheren von Straßen. Kinder spielen in einem autofreien reduzieren Reglementierungsbedarf und geben Regionen sowie in den Speckgürteln rund um Wohnumfeld um 45 Prozent länger im Freien, den Menschen wieder Verantwortung zurück. die Städte. haben mehr Freundschaften im Wohnumfeld Ein derart gestalteter öffentlicher Raum sollte (Verhältnis 9:2) und haben ein stärkeres soziales auf einen Wohnbau treffen, der auf die Straßen Gefüge (Feste, Ausflüge; Verhältnis 7:2).51 hin orientiert ist. Auch Klima- und Energieziele, Auch die Geschwindigkeit auf der Straße be- die eine Förderung nachhaltiger Mobilität als einflusst die sozialen Kontakte und das Sicher- integrierenden Bestandteil umfassen, sollten den heitsgefühl der Anrainerinnen und Anrainer. Wohnbau der Zukunft prägen. Mehr als die Hälfte der Menschen, die in einer Es geht darum, die Wege zu reduzieren, die Tempo-20-Zone leben, halten sich ab und zu bis Lebensqualität im unmittelbaren Wohnumfeld zu häufig auf der Straße auf, in einer 50er-Zone sind erhöhen – durch selbstverständliches Planen von es nur knapp ein Viertel.100 Fuß- und Radwegen und durch siedlungsnahe Es ist wichtig, Fragen der Alltagsmobilität Haltestellen. Planen und Bauen für eine autolose bereits in der Planungsphase in den Gemeinden Mobilität legt auch der demografische Wandel und Stadtteilen mitzudenken und einen guten nahe: Die Zahl der Menschen, die nicht mehr Mix an Verkehrsmitteln zur Verfügung zu stellen. Auto fahren wollen oder können, wird wachsen. Autos brauchen Platz zum Fahren und Parken, was auch die mögliche Baudichte und Flexibilität bei der Grundstücksnutzung verringert. Durch die Reduktion des Autoverkehrs kommt es zu spürbar geringeren Umweltbelastungen im un- mittelbaren Wohnbereich.17 Durch Maßnahmen, die das Gehen und das Radfahren unterstützen, werden Lärm und Platzverbrauch reduziert. Wenn die Menschen in Wohnungen und Wohnumfeld werden flexibler stark zersiedelten Gebie- Foto: bilderbox ten wohnen, erhöht das Durch das Berücksichtigen unterschiedlicher den Motorisierungsgrad Lebenszyklen und das Mitdenken von Haus- deutlich. Mobilität mit Zukunft 4/2010
12 Wie Wohnen Mobilität lenkt Wohnen und Mobilität in Österreich Die demografischen Veränderungen spiegeln sich auch in den Ansprüchen an Wohnraum und Mo- bilität wieder. Mehr Single-Haushalte, mehr ältere Menschen und sich rascher und häufiger verän- dernde Lebenssituationen sind im Wohnbau und in der Mobilitätsplanung zu berücksichtigen. In Österreich leben im Jahr 2010 rund 8,4 Mil- Foto: bilderbox lionen Menschen. Die Altersstruktur hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts deutlich zugunsten Die Anforderungen an der älteren Bevölkerung verschoben. Ursachen das Wohnen ändern sind die steigende Lebenserwartung und die sich je nach Lebens sinkende Geburtenrate. Die Zahl der über 65- abschnitt. Mobil wollen die Menschen aber immer Jährigen hat sich in den Jahren 1951 bis 2009 sein. Die Bau- und Ver- von über 700.000 auf über 1.400.000 fast ver- kehrsplanung sollte das berücksichtigen und vor doppelt. Gleichzeitig ist der Anteil der jüngsten allem auf einen gesicher- Bevölkerungsgruppe von rund 1.600.000 auf ten Anschluss von Wohn- etwa 1.200.000 geschrumpft. gebieten an den Öffent lichen Verkehr achten. Im Osten Österreichs leben verhältnismäßig mehr ältere Menschen als im Westen, wo nur größere Städte hohe Anteile an Pensionistinnen Regionale Bevölkerungsverteilung In dünn besiedelten Ge- und Pensionisten aufweisen.186 Der Anteil der Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts lag der bieten haben 36 Prozent über 65-Jährigen wird in Österreich bis zum Jahr Schwerpunkt des Bevölkerungswachstums im der Haushalte mehr als einen Pkw, im urbanen 2030 auf 32 Prozent steigen. Westen Österreichs sowie im Umland von Wien. Raum sind es nur 14 Erst ab dem Jahr 1990 war eine generelle Ver- Prozent. lagerung in den Osten zu beobachten, wo die negative Geburtenbilanz durch eine überaus po- Abhängigkeit vom Auto sinkt mit sitive Wanderungsbilanz ausgeglichen wurde. Im zunehmender Siedlungsdichte Westen, etwa in Tirol und Salzburg, wuchsen im gleichen Zeitraum hingegen nur die suburbanen kein Pkw 1 Pkw 2 Pkw 3 oder mehr Pkw Gebiete um die Landeshauptstädte.191 100 2 Prognosen zufolge wird sich dieser Trend 6 5 10 12 20 25 fortsetzen. Wien wird vor allem entlang der 80 26 hochrangigen Verkehrsachsen die höchsten Zu- Haushalte in Prozent Quelle: Statistik Austria 2006121 Grafik: VCÖ 2010 60 52 wächse verzeichnen. Die Regionen außerhalb der 50 52 Einzugsbereiche der Landeshauptstädte werden 40 47 weiter Bevölkerung verlieren, vor allem periphere 20 34 Regionen Österreichs.123 24 18 17 Ausschlaggebend für die Bevölkerungsentwick- 0 Österreich über 500 100 bis 500 unter 100 Menschen Menschen pro km² Menschen lung in den Teilgebieten Österreichs ist unter an- pro km² pro km² Besiedlungsdichte derem die Binnenwanderung, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich zunahm.123 4.117 135 Mobilität mit Zukunft 4/2010 50 139 50 20 5
Wie Wohnen Mobilität lenkt 13 Zwischen den Jahren 1990 und 2001 siedelte sich vor allem die Gruppe der 27- bis 38-Jähri- Die Motorisierung erreicht in Österreich gen mit Kindern im Umland der größeren Städte Sättigungspunkt Quelle: Wirtschaftskammer Österreich 2010150, Statistik Austria 2010122, an, vor allem rund um Wien. Junge Erwachsene 1971 1981 1991 2001 2011* zwischen 18 und 26 Jahren hingegen ziehen Österreichschnitt in die Landeshauptstädte mit ihrem höheren 700 Angebot an Bildungseinrichtungen und Arbeits- 600 Pkw je 1.000 Einwohnende plätzen. Mit zunehmendem Alter verschwimmt 500 dieser Suburbanisierungstrend. Die Gruppe der 400 über 75-Jährigen konzentriert sich eher in Klein VCÖ 2010141 Grafik: VCÖ 2010 300 städten.112 200 In den Jahren 2002 bis 2010 wuchs die Grup- 100 pe der unter 40-Jährigen im Stadtgebiet von 0 B K NÖ OÖ S ST T V W Wien in größerem Ausmaß als im Umland.116 * Wert für 2011 hochgerechnet aus dem Wachstum 2007 bis 2009 Pkw-Besitz und Siedlungsstruktur sind eng Der Motorisierungsgrad 1995 bis 2009 der Anteil der Gehenden am Mo- Österreichschnitt 2010: 522 erreicht in Österreich Österreichschnitt 1970: 177 verknüpft dal Split abgenommen, dafür gibt es mehr Rad- seinen Höhepunkt. Portugal Ab Ende der 1940er-Jahre hielt die Massenmoto- und Öffentlichen Verkehr. Dem autozentrierten Irland Norwegen 11.164 zurückgelegte Kilometer pro Jahr risierung in Österreich Einzug.112 In den Jahren In den weniger dicht besiedelten Gebieten etwa Zukunftsszenario fehlt Finnland die Basis. Spanien 9.260 1965 bis 2000 stieg der Motorisierungsgrad in Niederösterreichs nimmt der motorisierte Indivi- Belgien 8.097 Dänemark Österreich von 109 auf 505 Pkw pro tausend dualverkehr zu, während der Öffentliche Verkehr Frankreich* 6.619 Österreich Personen. In den Jahren 2005 bis 2009 ist der an Bedeutung verliert und immer weniger Men- Schweden* 5.352 5.217 4.993 4.958 Italien 2.114 4.579 1.705 4.123 1.644 1.623 1.564 Pkw-Besitz nur geringfügig gestiegen, in Wien schen zu Fuß gehen.47 1.404 Großbritannien* 1.285 1.355 1.141 Während sich der Anteil 3.432 Niederlande* 2.992 955 915 754 772 sogar gesunken. 47 Im Jahr 2010 sind in Öster- Deutschland der über 65-jährigen Schweiz reich rund 4,4 Millionen Pkw gemeldet.Wien hat Frauen nutzen öfter den Öffentlichen Verkehr Menschen in Österreich in den Jahren 1951 im Jahr 2010 mit 394 Pkw pro tausend Personen Die Nutzung von Verkehrsmitteln variiert ge- bis 2009 um mehr als den niedrigsten Motorisierungsgrad der Bundes- schlechterspezifisch und nach Wohnort und 730.000 Personen er- höht hat, sank der Anteil länder, das Burgenland mit 599 Pkw den höchs- damit verbundener Lebenssituation, Alter und der Jugendlichen um ten, gefolgt von Niederösterreich.124 Einkommen.44 Frauen benutzen etwas seltener über 330.000. Städtische Dichte in Kombination mit einem dichten öffentlichen Verkehrsnetz trägt zu gerin- Der Anteil der Kinder und Jugendlichen gerer Autonutzung bei. In Gebieten mit mehr als 500 Personen pro Quadratkilometer besitzen nimmt in Österreich kontinuierlich ab rund ein Drittel der Haushalte in Österreich 0 bis 14 Jahre 15 bis 64 Jahre 65 Jahre und älter kein Auto. In weniger dicht besiedelten Gebieten 10 Quelle: Statistik Austria 2010125 Grafik: VCÖ 2010 8,0 8,4 sind es weniger als 20 Prozent. Mit abnehmender 7,5 7,6 7,7 Bevölkerungsdichte steigt die Zahl der Pkw pro 8 6,9 7,1 Bevölkerungsanzahl in Millionen Menschen Haushalt.111 6 Die Verkehrsmittelwahl wird durch die Rah- 4 menbedingungen für die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel beeinflusst. In Österreich ist der 2 Anteil des nicht motorisierten Verkehrs in Wien 0 1951 1961 1971 1981 1990 2000 2009 am höchsten. Zwar hat in Wien in den Jahren 1.587.804 4.612.694 733.407 Mobilität mit Zukunft 4/2010 4.117 1.584.629 4.615.973 873.205 1.822.332 4.607.597 1.061.597 1.510.564 4.898.780 1.145.994
14 Wie Wohnen Mobilität lenkt Personengruppen sind überhaupt vom Zugang zu Immer weniger Menschen legen in direkten und indirekten Leistungen der Wohn- Österreich ihre Wege zu Fuß zurück bauförderung ausgeschlossen. So haben im Bur- genland, in Niederösterreich und Kärnten Bürge- Quelle: VCÖ 2009138, Amt der NÖ Landesregierung 20092, Herry 200946, Gehen Radfahren Öffentlicher Verkehr Kfz-Lenkende Kfz-Mitfahrende rinnen und Bürger aus Nicht-EU-Staaten keinen Wiener Stadtwerke 2010146, VCÖ 2007136 Grafik: VCÖ 2010 100 9 8 11 11 10 10 12 10 Anspruch auf sozial gefördertes Wohnen.102 80 27 24 51 53 46 44 44 48 Der öffentliche Raum als Begegnungsstätte 60 Im öffentlichen Raum treffen gemeinsame, aber Prozent 34 35 40 11 13 auch widersprüchliche Interessen und Bedürf- 16 17 3 6 13 13 14 15 5 nisse wie Ruhe und Erholung, Treffpunkt und 20 7 7 7 27 27 23 Rückzug, Bewegung und Erlebnis der verschiede- 18 16 19 18 18 0 nen Bevölkerungsschichten aufeinander.110 2003 2009 2003 2008 2003 2008 2000 2008 Wien Niederösterreich Vorarlberg Österreich Nutzungsintensität und Verhalten im öffent- lichen Raum sind unter anderem von Alter, Ge- Je besser das Angebot das Auto als Männer und sind häufiger mit öf- schlecht und Herkunft abhängig. Kinder und Ju- 4.117 des Öffentlichen Ver- fentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. gendliche sind durch ihre eingeschränkte Mobilität kehrs, umso mehr Men- schen sind ohne Auto Der Zugang zu Mobilität verändert sich auch besonders stark auf das Angebot in der direkten 135 Besiedlungsdichte unterwegs. mit dem Alter. Das 50 Rad wird von Kindern und Umgebung angewiesen. Im öffentlichen Raum 139 in der Altersgruppe der 55- 50bis 65-Jährigen 20 am 5 haben sie die Möglichkeit, soziales Verhalten zu 52 12 häufigsten benutzt. Der Öffentliche Verkehr ist2 lernen und eine soziale Identität zu entwickeln.110 52 25 5 für Kinder und Jugendliche47bis 17 Jahre 26 und10für Menschen über 65 Jahre das wichtigste Verkehrs- Kriterien für die Wohnortwahl mittel, während im Altersbereich zwischen 18 Ein Wohnort wird nach Kriterien wie Lage, und 64 Jahren das Auto am häufigsten genutzt Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten, Kosten, wird. Der Pkw verliert mit steigendem Alter an gutem Anschluss an den Öffentlichen Verkehr, Attraktivität und wird vom Fahrrad oder – bei Energieverbrauch und Sicherheit gewählt. Bei zunehmender Unsicherheit und Gebrechlich- Menschen mit geringem Einkommen müssen keit – vom Öffentlichen Verkehr ersetzt.47 manche Kriterien zugunsten der Kostenfrage ver- Frauen nutzen den Auch der Zugang zu Wohnraum ist nicht nachlässigt werden.91,93 Öffentlichen Verkehr auf alle Bevölkerungsschichten gleich verteilt. häufiger als Männer. Bis zum Jahr 2050 wird in Insgesamt dominiert Eingeschränkt ist zum Beispiel der Zugang zu fast der Hälfte der Haus- jedoch bei beiden Ge- geförderten Wohnungen. Für Menschen mit halte nur mehr eine Per- schlechtern das Auto. son leben, Haushalte mit Die Autobenutzung niedrigem Einkommen sind Eigenleistungen oft vier oder mehr Personen nimmt mit dem Alter ab. eine unüberwindbare Barriere, oder bestimmte werden immer weniger. Frauen fahren in Österreich weniger Auto Ein-Personen-Haushalte und mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln werden immer mehr Öffentlicher Verkehr Männer Öffentlicher Verkehr Frauen 1 Person 2 Personen 3 Personen Auto Männer Auto Frauen 4 Personen 5 und mehr Personen 100 5 oder mehrmals wöchentlich nutzen, in Tausend Anzahl Personen, die das Verkehrsmittel täglich 7 Anteil der Haushalte in Österreich in Prozent 600.000 18 13 11 Quelle: Statistik Austria 2010118 Grafik: VCÖ 2010 Quelle: Statistik Austria 2010119 Grafik: VCÖ 2010 80 500.000 15 16 15 400.000 60 22 28 300.000 29 40 200.000 27 100.000 20 35 41 0 18 unter 20 bis 29 30 bis 39 40 bis 49 50 bis 59 60 bis 69 70 Jahre 20 Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre und älter 0 1951 2009 Prognose 2050 Mobilität mit Zukunft 4/2010
Wie Wohnen Mobilität lenkt 15 Flächenverbrauch in Österreich steigt Etwa fünf Prozent der Fläche Österreichs182 Die 35- bis 49-Jährigen fahren waren im Jahr 2009 Bau- und Verkehrsflächen. in Niederösterreich am meisten Auto Mehr als 30 Prozent der Bauflächen sind ver- Gehen Radfahren Öffentlicher Verkehr siegelt. Im Vergleich zum Jahr 2001 haben die Quelle: Amt der NÖ Landesregierung 20092 Grafik: VCÖ 2010 Pkw-Lenkende Pkw-Mitfahrende Sonstige Bau- und Verkehrsflächen um fast 450 Quadrat- 100 1 7 6 9 16 Verkehrsmittel nach Altersklassen im Werktäglich hauptsächlich benutzte kilometer zugenommen. 31 80 Der Großteil der neu errichteten Wohngebäu- 58 Jahr 2008 in Prozent 4 69 60 45 de – rund 84 Prozent – sind Einfamilienhäuser. 60 Im Jahr 2009 entstanden 43 Prozent der Neu- 35 40 5 bauwohnungen in Einfamilienhäusern.117 Der 17 7 7 8 8 tägliche Flächenverbrauch für Siedlungs- und 20 5 6 9 21 27 Verkehrstätigkeit liegt bei etwa zwölf Hektar. 13 11 15 0 bis 17 18 bis 34 35 bis 49 50 bis 64 65 und Der Flächenverbrauch ist regional unter- Jahre Jahre Jahre Jahre älter schiedlich. Im Zeitraum 2001 bis 2009 fand die größte Veränderung im Burgenland statt, wo die Ein halbes Jahrhundert zuvor waren es 18 Pro- Mit zunehmendem 4.117 Alter gewinnen die Bau- und Verkehrsfläche um 18 Prozent stieg. Im zent. Vor allem in Städten steigt der Anteil der Alternativen zum Pkw Verhältnis ist hier jedoch ein geringer Anteil des Single-Haushalte. an Bedeutung. 135 Besiedlungsdichte Dauersiedlungsraums verbraucht. Anders ist die Während im Jahr 1951 in einem Haushalt 50 im 139 Situation in den Berggebieten Österreichs, wo Durchschnitt noch 3,11 Personen lebten, lag die 50 20 5 der Dauersiedlungsraum klein ist. In Tirol und durchschnittliche Haushaltsgröße im Jahr 2009 52 12 2 Vorarlberg ist jeweils ein Viertel davon bereits bei 2,3. Im Burgenland ist sie mit 2,51 im Mittel 52 25 5 47 26 10 verbaut.134 am höchsten, in Wien mit 1,99 am kleinsten. 113 Prognosen zufolge sinkt die durchschnittliche Haushaltsformen verändern sich Haushaltsgröße bis zum Jahr 2050 weiter auf Die Ursache des stark steigenden Flächenver- 2,14.120 Die durchschnittliche Nutzfläche pro brauchs ist vor allem in sozioökonomischen Ver- Person in einem Privathaushalt lag im Jahr 2008 änderungen zu sehen. Die Haushaltsformen sind bei 42,6 Quadratmetern – sieben Quadratmeter parallel zu den Lebensstilen heterogener und in- mehr als im Jahr 1998.15 dividueller geworden. So waren im Jahr 2001 ein Die Fläche pro Person steht in engem Zusam- Im Durchschnitt ist in Drittel aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte. menhang mit der Haushaltsform und damit auch Österreich weniger als ein Sechstel des der Haushaltsgröße. Die größte Nutzfläche pro Dauersiedlungsraums Person mit rund 74 Quadratmetern stand im verbraucht, der Flächen- Jeder und jede Einzelne verbrauch steigt jedoch Jahr 2008 in Ein-Personen-Haushalten zur Verfü- an. Besonders in den verbraucht zunehmend mehr Fläche für Wohnen gung, während Familien mit Kindern pro Person engen Tälern Tirols und und Verkehr. über rund 32 Quadratmeter verfügen.15 Vorarlbergs ist der Anteil der verbauten Fläche noch höher. Bau- und Verkehrsfläche wächst überproportional Dauersiedlungsraum ist knappes Gut Bau- und Verkehrsfläche verbrauchter Dauersiedlungsraum unverbrauchter Dauersiedlungsraum Quelle: Umweltbundesamt 2009134, Statistik Austria 2010114 Bevölkerung Verkehrsfläche Index-Basis100 im Jahr 2001 Entwicklung von Bevölkerung und Bau- und 100 Quelle: Umweltbundesamt 2009134 Grafik: VCÖ 2010 114 85 81 87 86 80 82 77 76 24 84 Anteil des Raums in Prozent 112 80 110 76 60 108 106 40 104 Grafik: VCÖ 2010 20 23 24 102 19 20 18 16 15 13 14 100 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 B K NÖ OÖ S ST T V W Ö 172 * Daten von 1971, ** Daten von 1981, *** Daten von 2009 Österreichschnitt 2010: 522 * Lkw über 3,5 Tonnen Mobilität mit Zukunft 4/2010 Österreichschnitt 1970: 177 Portugal Irland Norwegen 64 zurückgelegte Kilometer pro Jahr
16 Wie Wohnen Mobilität lenkt Kostenfalle Zersiedlung Infrastrukturen sowie für ihre Mobilität deutlich Flächen als Bauland auszuweisen, kann für die mehr und wendet mehr Zeit dafür auf. Gesellschaft teuer werden – obwohl alle Beteilig- ten und Nutzenden subjektiv meist ökonomisch Ökonomische Aspekte dominieren nachvollziehbar handeln. Kaum jemand beachtet Akteurinnen und Akteure beteiligen sich in sehr die langfristigen negativen Gesamtkosten. unterschiedlichen Rollen am Flächenverbrauch. Gemeinden und Privatleute bieten Flächen an. In Österreich steigt der Flächenverbrauch sowohl Eine Vermittlungsrolle haben dabei Personen in den ländlichen als auch in den stadtnahen beziehungsweise Institutionen, die Projekte ent- Gebieten. Die Zunahme betrug 4,9 Prozent vom wickeln. Haushalte und Unternehmen fragen Jahr 2006 bis zum Jahr 2009, trotz des geringen Bauland nach. Bevölkerungswachstums von 1,3 Prozent im sel- Bei allen Gruppen spielen ökonomische Aspek- ben Zeitraum.134 te eine überragende Rolle. Lediglich bei Haushal- In Deutschland widmeten Kommunen im Jahr ten stehen auch persönliche Motive wie „weniger 2008 täglich 95 Hektar Land zu Siedlungs- und Lärm“ oder „eigener Garten“ im Vordergrund. Verkehrsflächen um.127,166 In den Jahren 1996 Kostenabwägungen beeinflussen Standortent- bis 2005 stieg die Inanspruchnahme von Sied- scheidungen maßgeblich. lungsflächen um 15 Quadratmeter auf rund 570 Alle Beteiligten entscheiden ökonomisch rational, Quadratmeter pro Kopf an.36 trotzdem verknüpfen sich die Entscheidungen Versiegelte Flächen und zerschnittene Räume insgesamt zu kostenintensiven Siedlungsstruktu- lösen zusammenhängende Landschaften auf und ren. Dieses Phänomen wird als Kostenparadoxon reduzieren die Biotop- sowie Artenvielfalt. Öko- der Baulandentwicklung bezeichnet.101 logische Funktionen, beispielsweise die Regulie- Im Laufe der Jahre steigt der Anteil der von rung des Wasserhaushalts, gehen verloren. Auch Das Kostenparadoxon der Baulandentwicklung der Allgemeinheit zu tra- aus ökonomischer Sicht erweisen sich ausgedehn- Kaum jemand kennt die Kosten der Zersiedlung genden Kosten für neue Erschließungsstraßen te Siedlungsstrukturen als nachteilig. Die Allge- so gut wie Ver- und Entsorgungsunternehmen. beträchtlich. meinheit bezahlt für soziale und netzgebundene Die hohen Kapitalkosten für lange Netzabschnit- te mit wenigen Nutzenden verschlechtern ihre Bilanzen. Trotzdem haben Ver- und Entsorgungs- Erschließungskosten für Gemeinden steigen unternehmen kein ausgeprägtes Interesse daran, auf eine erschließungseffiziente Siedlungsent- Erstmalige Betrieb und Instandsetzung und Herstellung Unterhaltung Erneuerung wicklung hinzuwirken. Sie lassen sich sämtliche Kosten der Straßenerschließung in Deutschland 1.000 im Laufe des Baus und Betriebs entstehenden Quelle: Umweltbundesamt Deutschland 2009101 Grafik: VCÖ 2010 pro Meter Erschließungsstraße in Euro 48 107 Kosten von den Grundstückseignerinnen und 800 810 810 810 Grundstückseignern, vor allem aber von der All- 600 gemeinheit erstatten.180 90 Nicht selten blenden individuelle Bilanzen 400 322 Folgekosten aus, die selbst zu tragen sind. Bei 200 145 der Ausweisung von Baugebieten mit zusätzli- 90 90 90 chen Erschließungsstraßen beteiligen sich etwa 0 Gemeinde Grund- Gemeinde Grund- Gemeinde Grund- stücks- stücks- stücks- Kommunen in Deutschland an deren Baukosten besitzende besitzende besitzende 0 Jahre 10 Jahre 40 Jahre aufgrund der Gesetzeslage in der Regel mit etwa zehn Prozent. Oft überlassen sie die Finanzierung 4.117 135 Mobilität mit Zukunft 4/2010 50 139 50 20 5
Wie Wohnen Mobilität lenkt 17 der Baukosten vollständig den Investorinnen und Investoren. In Österreich werden im Schnitt Täglich gefahrene Kilometer steigen mit 16 Prozent der Erschließungskosten von den Entfernung vom Zentrum Gemeinden getragen.24 Die späteren Kosten für Betrieb und Instandsetzung tragen sie hingegen Neue Wohngebiete im Großraum Hamburg: Mit dem Pkw pro Person und Tag sowohl in Österreich als auch in Deutschland zurückgelegte Entfernung meist zu 100 Prozent – Folgekosten, die bei der Planungsentscheidung von den Gemeinden Quelle: Gutsche 200338 Grafik: VCÖ 2010 meist zu wenig berücksichtigt werden. Und das, unter 12 km obwohl kommunale Folgekosten schon nach 12–15 km 15–18 km wenigen Jahren den Gemeindeanteil an den Her- 18–21 km stellungskosten deutlich übersteigen können. 21–24 km 24–26 km 26–28 km Hohe Mobilitätskosten für Haushalte „im über 28 km Grünen“ Haushalte schätzen die günstigen Bodenpreise „im Grünen“, berücksichtigen den bei einer günstigeren Immobilienpreise in den dezentralen Je weiter neue Wohn- solchen Standortwahl langfristig entstehenden Lagen in vielen Fällen ausgleichen.38,101 gebiete vom Zentrum entfernt sind, umso Aufwand für Mobilität aber kaum. So sind sich länger sind die Wege, die Menschen zwar meist darüber im Klaren, dass Ausprägungen von mangelnder die täglich von den dort wohnenden Menschen das Wohnen in dezentraler Lage Mehrfahrten Kostentransparenz zurückgelegt werden. bedeutet und damit auch mehr kostet. Wie rele- Folgende Muster mangelnder Kostentransparenz vant dieser Kostenblock jedoch tatsächlich ist, ist können unterschieden werden: weitgehend unbekannt und langfristig nicht vor- • Verzerrte Kostenwahrnehmung: hersehbar. Tatsächlich halten in zentrumsfernen Bestimmte Kosten werden von den Entschei- Lagen Haushalte im Schnitt mehr Fahrzeuge als denden nicht berücksichtigt, etwa Mobilitäts- an zentraler gelegenen Standorten. Auch die Entfernung, die damit pro Tag und Haushalt zurückgelegt wird, liegt um ein Vielfa- Hoher Flächenverbrauch und Boden ches höher als in Zentrumsnähe. So legen etwa in versiegelung durch Zersiedlung Hamburg Personen im Zentrum, wo es ein gutes Eine Ursache für den hohen Anteil des Autoverkehrs ist die Zersiedlung. Österreich Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln gibt, im hat eines der dichtesten Straßennetze Europas. Straßen haben vielfältige Auswir- Durchschnitt rund elf Kilometer mit dem Auto kungen auf die Natur. Direkt wirken der enorme Flächenverbrauch, der Eingriff in zurück, während es im Umland fast 30 Kilometer sensible Ökosysteme sowie die Versiegelung der Flächen und der Eingriff in das sind.37 In Wien beträgt die durchschnittliche Wasserregime. Straßen zerschneiden die Landschaft, wirken wie Barrieren und Tagesweglänge pro Person mit allen Verkehrsmit- engen so den Lebensraum massiv ein. Durch die Versiegelung wird das Hoch- teln 18 Kilometer.74 In Niederösterreich sind es wasserrisiko erhöht, Versickerung ist nicht im ausreichenden Maß möglich.45 Das durchschnittlich 35 Kilometer.47 Haushalte in Problem wird durch Flussregulierungen verschärft. Natur und Landschaft könnten ländlichen Regionen wenden damit mehr Energie durch eine effiziente Koppelung von Verkehrs- und Raumordnung sowie Städtebau und Zeit für Mobilität auf. Bei genauem Nach- geschützt werden. Zum Beispiel sollte die Errichtung von Einkaufszentren nur bei rechnen zeigt sich, dass die täglichen Verkehrs- bester Erschließung durch den Öffentlichen Verkehr zulässig sein. Ähnliches gilt für kosten mit zunehmender Entfernung zum Zent Geschäfte und Büros. rum so stark ansteigen, dass sie die Vorteile der Mobilität mit Zukunft 4/2010
18 Wie Wohnen Mobilität lenkt • Wer indirekt die Kosten trägt, ist nicht in den Hohe Verkehrskosten der Haushalte bei Entscheidungsprozess einbezogen.175 großer Entfernung vom Zentrum Kostenrechner geben Überblick über Wohnkosten Mobilitätskosten tatsächliche Kosten Dem Ausblenden von Kosten gilt es durch Auf- 18,9 19,0 Quelle: Umweltbundesamt Deutschland 2009101 Grafik: VCÖ 2010 20 17,6 18,0 18,0 18,5 18,3 klärungsarbeit gegenzusteuern. Ein gutes Hilfs- Summe der Wohn- und Mobilitätskosten 5,9 8,5 9,0 10,2 5,9 6,6 7,3 mittel sind etwa Kostenrechner.195 in tausend Euro pro Jahr 15 Hinsichtlich der Begrenzung langfristiger Er- 13,0 10 11,7 11,4 schließungskosten kann an das Eigeninteresse 10,7 10,0 9,3 8,8 von Gemeinden appelliert werden (beispielsweise 5 durch die Regionalplanung). Hier sollte ein Be- wusstsein dafür geschaffen werden, dass Investo- 0 rinnen und Investoren nur einen geringen Beitrag sehr zentral sehr peripher Lage des Wohnstandorts innerhalb des zur Gesamtkostendeckung leisten.101 Großraums Hamburg Darüber hinaus sollten die Interessen jener stärker berücksichtigt werden, die nicht in Bei der Wahl eines kosten der Haushalte oder Erschließungsfolge- Baulandentscheidungen involviert sind, aber Wohnorts4.117 werden die bei größerer Entfernung 135 kosten der Kommunen. 13,034 trotzdem deren Folgekosten zu tragen haben. So 5,91 50 11,684 5,923 zum Zentrum steigenden 139 • F ehlender Bezug zur Verursachung: tragen die Steuerzahlenden die Folgekosten der 11,428 6,577 Mobilitätskosten meist Preise, die für die Nutzung von Infrastrukturen Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur unab- 10,675 7,301 nicht beachtet, obwohl erhoben werden, spiegeln die beim Bau 10,025 der An- 8,541 hängig davon, wo sie wohnen. diese den Preisvorteil 9,323 8,986 des zentrumsfernen 179 lagen entstehenden Kosten nicht wider. 8,761 10,185 Wohnplatzes aufwiegen. • Verschiebung der Kosten auf andere: Neue Siedlungen im Umland rechnen sich nicht Gemeinde Grund- Gemeinde Grund- Gemeinde Grund- stücks- Kosten, die andere stücks- zu tragen haben, spielen in stücks- Bei der kommunalen Entscheidung über Bau- besitzende besitzende besitzende 0 Jahre der eigenen Entscheidung 10 Jahre eine untergeordnete 40 Jahre landausweisungen spielen Fragen der Verkehrs- Rolle.192 entstehung noch kaum eine Rolle. Erhebliche • Überlagerung siedlungsstruktureller Kosten Bedeutung für die kommunalen Planungsent- effekte durch andere Einflüsse: scheidungen haben hingegen die fiskalischen Auf regionaler Ebene deutlich ausgeprägte Auswirkungen der neuen Wohngebiete, etwa als siedlungsstrukturelle Kostenvorteile dichter Möglichkeit der Haushaltssanierung. Landes- Wohnkosten Mobilitätskosten und zentral gelegener Standorte finden sich und regionalplanerische Ziele einer verkehrmini- 20.000 Summe der Wohn- und Mobilitätskosten im Kalkül wichtiger Akteurinnen und Akteure mierenden Siedlungsentwicklung oder einer Stär- 15.000 nicht wieder, weil sie durch andere Kostenarten kung von Achsen des Öffentlichen Verkehrs un- überlagert werden (Bodenpreisgefälle überlagert terliegen in der politischen Auseinandersetzung in Euro pro Jahr 10.000 Erschließungskostenunterschiede aus Sicht der daher häufig gegenüber den erhofften fiskalischen Haushalte). Mehreinnahmen der Gemeinden. 5.000 Am Beispiel Hamburg, Niedersachsen und Durch Mobilitätskostenrechner guten 0 Schleswig-Holstein zeigt sich jedoch, dass in den meisten Fällen keine Mehreinnahmen erzielt Überblick sehr zentral sehr peripher Lage des Wohnstandortes innerhalb des Großraumes Hamburg werden können. Neue Wohngebiete im Umland rechnen sich also nicht. Werden in den Kern Der WoMo-Rechner193 der Hansestadt Hamburg berechnet die Mobilitätskosten für städten neue Wohngebiete erschlossen, haben eine Mietwohnung im Zentrum für eine vierköpfige Familie mit einem Kindergar- diese jedoch eine positive Wirkung auf den Ge- tenkind und einem Schulkind auf 324 Euro pro Monat (14 Euro für den Öffentlichen meindehaushalt. 37 Verkehr, der Rest für den privaten Pkw). Übersiedelt die Familie in die Umgebung von Hamburg, erhöht sich die Anzahl der Pkw im Haushalt, die Zahl der monatlich zurückgelegten Kilometer steigt von 770 auf 1.536 und verlagert sich von privaten zu Arbeitswegen. Die Mobilitätskosten, zu 100 Prozent vom Auto verursacht, steigen auf 557 Euro. Mobilität mit Zukunft 4/2010
Wie Wohnen Mobilität lenkt 19 Der Preis für günstiges Wohnen Gemeinden, Bundesländer und Bund müssen für Unterschiedliche Strukturen in Gemeinden verfehlte Raumplanung in die Tasche greifen. Neben dieser Belastung der Allgemeinheit sind es Fernitz (Gra- Jagerberg (südstei- St. Lorenzen oft auch die Betroffenen selbst, die die Kosten für zer Umland) risches Hügelland) (inneralpines Tal) Quelle: Dallhammer 200820, Statistik Austria 2010116 das Haus im Grünen unterschätzen. Bevölkerungszahl 3.000 1.800 600 Bevölkerungsdichte in Personen pro 280 60 15 In Österreich sind besonders Niederösterreich, Quadratkilometer Oberösterreich, das Burgenland und die Steier- Bevölkerungs- mark von Zersiedlung betroffen.134 Ein Beispiel wachstum zwi- Tabelle: VCÖ 2010 16 % –4% –8% dreier Gemeinden in der Steiermark zeigt die schen den Jahren 2002 und 2010 Kosten für Abwasserentsorgung, Wasserversor- gung, Straßenerschließung und mobile Dienste im Zuge der Altersbetreuung auf.170 Die Ge- Langfristige Kosten belasten Gemeinden Das Beispiel dreier Gemeinden in der meinde Fernitz liegt im Grazer Umland, die Ge- Der am stärksten wachsende Ausgabenbereich für Steiermark zeigt die meinde Jagerberg im südsteirischen Hügelland, Gemeinden ist der Bereich Verkehr, Straßenbau unterschiedlich starke die Gemeinde St. Lorenzen bei Scheifling in und Wasserbau.76,194 Die Gemeinden in Öster- Zersiedlung. einem inneralpinen Tal.163 reich mit Ausnahme der Stadt Wien gaben im Bezogen auf die Siedlungsstruktur sind die Ge- Jahr 2009 rund 1,65 Milliarden Euro für Ver- meinden sehr unterschiedlich. Jagerberg ist stark kehr, Straßenbau und Wasserbau aus. Das sind zersiedelt und besteht fast ausschließlich aus Bau- neun Prozent der Gesamtausgaben. Dem stehen ernhöfen und Ein- oder Zweifamilienhäusern. In Einnahmen von 1,03 Milliarden Euro gegenüber. Fernitz gibt es zwei Ortskerne, um die sich der 1,09 Milliarden Euro flossen in die Gemeinde Großteil der Menschen ansiedelt. St. Lorenzen ist straßen, die nur mit Einnahmen von 720 Millio- durch seine Lage im Tal geprägt. nen Euro gedeckt sind.14 Am Beispiel der Abwasserentsorgung zeigt Hauptfaktor für die Kosten der Erschließung sich die Problematik der Kostenentwicklungen. von Bauland ist die Wohndichte. Die Kosten Gemeinden sind zuständig für die Errichtung des Kanalsystems, wofür sie um Förderungen ansuchen können. Nicht förderbar sind Instand- Infrastrukturkosten haltung, Sanierung und laufender Betrieb. In der variieren stark nach Region Gemeinde Jagerberg sind die laufenden Kosten Gemeinde- Kanal mobile Alters- für die Abwasserentsorgung besonders groß, da straßen versorgung diese durch ihre ausgeprägte Streusiedlungsstruk- 60 Laufmeter (Straße, Kanal) pro Jahr in Euro 51,1 (Altersversorgung) beziehungsweise je Kosten je Einwohnerin und Einwohner tur ihre Infrastruktur umfangreich ausgebaut 50 hat.20 40 Quelle: SIR 200728,171 Grafik: VCÖ 2010 Die Abwasserbeseitigung macht in allen Ge- 10 meinden in Österreich außer Wien über zehn 30 In der Gemeinde Jager- Prozent der Gesamtausgaben aus, das sind rund 20 berg mit sehr geringer 1.937 Millionen Euro pro Jahr. Diese Ausgaben 11 13 Siedlungsdichte sind 10 8 werden über die Abwassergebühren von den Ein- 5 3,7 die laufenden Kosten 1,6 1,4 1 beispielsweise für die wohnerinnen und Einwohnern finanziert.14 0 Abwasserentsorgung Fernitz Jagerberg St. Lorenzen besonders hoch. 76 63 49 Mobilität mit Zukunft 4/2010
20 Wie Wohnen Mobilität lenkt Infrastrukturkosten und Bebauungsplanung, also Einfamilienhaus hat die höchsten ob auf gewidmetem Bauland Einfamilienhäuser Erhaltungskosten in offener, in geschlossener Bebauung oder Mehr- familienhäuser errichtet werden, ergaben sich in 500 492 den Bereichen Erschließungskosten, Baukosten Gasleitung Erhaltungskosten in Euro pro Jahr Fernwärmeversorgung und Energiebedarf erhebliche Einsparpotenziale 400 Straßenbeleuchtung bei zunehmender Wohndichte. Einfamilienhäuser 309 Elektrizitätsversorgung 300 brauchen demnach doppelt so viel Energie zur Quelle: SIR 200728 Grafik: VCÖ 2010 222 Regen- und Abwasser 100 Wasserversorgung Wärmeversorgung wie Geschoßwohnbauten. In 200 Verkehrserschließung einem konkreten Planungsbeispiel ergeben sich 100 für ein frei stehendes Einfamilienhaus 220 bis 330 0 Euro Erschließungskosten je Wohneinheit, für ein Einfamilien- Einfamilien- Reihen- haus haus gekoppelt haus gekuppeltes Einfamilienhaus 139 bis 211 Euro, für ein zweigeschoßiges Reihenhaus 102 bis 157 Ein allein stehendes Ein- belaufen sich beispielsweise 27 im Bundesland Salz- Euro und ein Mehrfamilienhaus 55 bis 81 Euro.28 36 18 familienhaus verursacht burg41auf 3.900 bis 19.000 Euro pro Wohnein- rund zweimal so hohe Erhaltungskosten wie heit. Eine Halbierung der Dichte führt jeweils zu Unterschätzte Mobilitätskosten beim Wohnen ein Reihenhaus. einer Verdoppelung der Erschließungskosten. Die Ein Motiv für die Übersiedlung aufs Land liegt * Daten von 1951, ** Daten von 2009 Investitionskosten sind relativ hoch, obwohl Kos- neben der Wohnqualität auch in den günstige- ten für Instandhaltung und Sanierung erst mittel- ren Mieten. Übersehen wird oft, dass dezentrale bis langfristig zum Tragen kommen. Nach etwa Lagen die Mobilitätskosten erhöhen, was einen 50 bis 60 Jahren wurde dafür etwa so viel ausge- vermeintlichen Kostenvorteil kompensiert.28 geben wie für die ursprüngliche Erschließung.28 Die externen Kosten des Verkehrs fließen in dieses Modell nicht ein. Auf volkswirtschaftlicher Alternative Bebauungsmodelle Ebene wären die Kosten der Zersiedlung etwa Das Land Salzburg rechnet mit einem weiteren in der Steiermark erst mit einem Benzinpreis ab Bevölkerungszuwachs durch Zuwanderung. In ei- acht Euro pro Liter und einer Pkw-Steuer von ner Erhebung über die Zusammenhänge zwischen 1.500 Euro im Monat abgegolten.151 Hohe Ausgaben der Gemeinden für Infrastruktur Aufgabenbereich (Bruttoausgaben und Ausgaben Anteil an Ge- Einnahmen Anteil an Bruttoeinnahmen der Gemeinden in Millionen samtausgaben in Millionen Gesamteinnah- ohne Wien im Jahr 2009) Euro in Prozent Euro men in Prozent Vertretungskörper und allgemeine Verwaltung 2.127 11,5 446 2,4 Öffentliche Ordnung und Sicherheit 466 2,5 200 1,1 Unterricht, Erziehung, Sport und Wissenschaft 2.698 14,6 1.259 6,8 Kunst, Kultur und Kultus 647 3,5 293 1,6 Die Einnahmen der Gemeinden für die Soziale Wohlfahrt und Wohnbauförderung 1.772 9,6 415 2,3 Gemeindestraßen sind Gesundheit 1.091 5,9 157 0,9 bei weitem nicht kos- tendeckend. Der Rest Straßen- und Wasserbau, Verkehr194 1.645 8,9 1.030 5,6 wird über den Finanz- davon Gemeindestraßen 1.091 5,9 720 3,9 ausgleich, also von der Quelle: Bröthaler 201014 Tabelle: VCÖ 2010 Allgemeinheit, finanziert. Wirtschaftsförderung 373 2,0 137 0,7 Die Kosten der Wasser- versorgung sowie der Dienstleistungen 5.734 31,1 5.191 28,2 Abwasser- und Abfall davon Abwasserbeseitigung 1.937 10,5 2.038 11,1 entsorgung finanzieren sich aus den Gebühren, Wasserversorgung 573 3,1 584 3,2 die von den Einwohne- Abfallbeseitigung 485 2,6 490 2,7 rinnen und Einwohnern einer Gemeinde dafür Finanzwirtschaft188 1.898 10,3 9.276 50,4 bezahlt werden. Mobilität mit Zukunft 4/2010
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