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Schwerpunkt Soziale Teilhabe Wie aus Betreuungsarbeit Assistenzleistung wird Der weite Weg nach Frankfurt Ein Hilfsprojekt für Flüchtlinge aus der Ukraine 1|2023
2 akut! INHALT EDITORIAL SCHWERPUNKT Liebe Leserinnen und Leser, 3 Wie Betreuungsarbeit zu gestern habe ich in meiner Zeitung geblättert. Es war Assistenzleistung werden soll eine Sonderausgabe mit einem Rückblick auf das Jahr Rahmenverträge als gültige Vorgabe zur 2022. Dabei bin ich auf folgende Textzeile gestoßen: Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Hessen Du, lass Dich nicht verhärten In dieser harten Zeit FWG INTERN 6 Was machen eigentlich …? Die Textzeile blieb mir im Kopf. Sie stammt aus 7 Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung einem Gedicht des Lyrikers und Liedermachers Wolf 10 Bildung und Recovery Biermann. Allerdings ist der Text keineswegs neu, sondern aus dem Jahr 1968. Also dem zeitlichen 12 Der weite Weg nach Frankfurt Höhepunkt der linksgerichteten Studentenbewegung Das Projekt Flüchtlingshilfe in der 60er-Jahre. In den USA gab es zu dieser Zeit Zusammenarbeit mit der Horst-Haas- massive Proteste gegen den Vietnamkrieg und eine und-Irene-Haas-Scheuermann-Stiftung starke schwarze Bürgerrechtsbewegung, geführt von 14 Rock im Cassellapark Vol. 2 Martin Luther King, der dann (ebenfalls im Jahr 1968) Informationen, lebendiger Austausch ermordet wurde. In Deutschland eskalierten die und jede Menge gute Musik Proteste gegen die Notstandsverfassung und in der Tschechoslowakei wurde der sogenannte Prager 16 Kreative Suche Frühling durch russische Truppen niedergeschlagen. Wie die fwg dem Personalmangel begegnet Eine harte, vermutlich auch ziemlich besorgniserregen- TOCHTER- UND BETEILIGUNGSGESELLSCHAFTEN de Zeit. Ereignisse, die einen in innere Aufruhr bringen 20 Verleihung der Serafina 2022 konnten. Oder aber vielleicht auch im Gegenteil im Struwwelpeter Museum dazu führen konnten, dass man unempfindlich wird, Nachwuchspreis geht an Cynthia Häflinger abstumpft, verhärtet. für eine Graphic Novel über psychische Erkrankung Heute, 55 Jahre später, fühlt es sich auch wieder nach 22 Moderne Struwwelpeter-Zeiten einer „harten Zeit“ an. Seit 11 Monaten findet ein Gemälde von Angela Bugdahl im grausamer Krieg in Europa statt. Wir befinden uns im Struwwelpeter Museum dritten Jahr einer Pandemie und die Klimakrise wird immer bedrohlicher. Folgen dieser Ereignisse wie die 24 Über die Beseitigung einer Versorgungslücke aktuelle Energiekrise und der Rückgang unseres Wohl- Die RPK-Geschichte von Vitos und der fwg stands kommen hinzu. Wie wichtig ist es da, in diesen EXTERNE PARTNER Zeiten nicht zu verhärten. Sich Traurigkeit und Heiter- 26 Kollektiv für soziale Kommunikation keit gleichermaßen zu bewahren. Ein Zusammenschluss der Grafikerinnen Ich hoffe, dass uns dies auch weiterhin gelingen wird. Paula Weise und Claudia Stiefel Das Gedicht von Wolf Biermann trägt übrigens den SOZIALRAUM SEKTOR OST Titel „Ermutigung“. Die letzte Textzeile lautet: 28 Es war einmal … Geschichten rund um die Das Grün bricht aus den Zweigen Frankfurter Wallanlagen, Teil 1 wir wolln das allen zeigen Dann wissen sie Bescheid HINTER DEM HORIZONT 30 Über den Horizont hinaus In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute Am Tag der Deutschen Einheit für das neue Jahr! unterwegs nach Osten 31 Impressum Ihr Torsten Neubacher Titelbild: Arbeitsplatz Produktion. Herr Sehrat Baris arbeitet als Werkstattbeschäftigter am Standort Cassellapark
1/2023 3 SCHWERPUNKT SOZIALE TEILHABE Wie Betreuungsarbeit zu Assistenzleistung werden soll Rahmenverträge als gültige Vorgabe zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Hessen VON JENNIFER BRACKMANN Im Bundesteilhabegesetz (BTHG) steht, wie Teilhabe Von der UN-Behindertenrechtskonvention und Fürsorge in Deutschland, entsprechend der zu den Hessischen Rahmenverträgen UN-Behindertenrechtskonvention sozialrechtlich ge- Mit der Unterschrift Deutschlands zur Behinder- regelt sind. Der Mensch mit Behinderung wird Akteur tenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) seiner Anliegen; durch Assistenz werden seine indi- im Jahr 2009 ist ein Paradigmenwechsel in Gang viduellen Ziele unterstützt. Die existenzsichernden gekommen – das heißt eine grundlegende Ver- Leistungen (= Fürsorge) wurden von der Eingliede- änderung in der Auffassung davon, was Sinn und rungshilfe (= Teilhabe) getrennt. Diese Trennung der Ziel unserer Arbeit ist. Menschen mit Behinderung Leistungen gehört seit dem Jahreswechsel 2020/21 wurden vom fremdbestimmten Objekt zum selbst- erfolgreich zu unseren Arbeitsalltäglichkeiten. bestimmten Subjekt ihrer Anliegen. Ebenso steht die gleichberechtigte Teilhabe dieser Menschen in Die nächste große Umstellung, die Veränderung der allen Lebensbereichen, Inklusion genannt, im Mit- Rahmenbedingungen für die Arbeit in der Einglie- telpunkt des Handelns. derungshilfe, ist in Rahmenverträgen geregelt. Die für unsere Arbeit relevanten Hessischen Rahmenver- träge 2 (Teilhabe an Arbeit) und 3 (Soziale Teilhabe) treten am 1. Juli 2023 in Kraft. Fortsetzung nächste Seite
4 akut! Was regeln die Rahmenverträge? Wichtig zu wissen: In allererster Linie regeln sie die Assistenzleistungen … Betreuungsarbeiten werden zur Teilhabe für die Klient*innen sowie organisatori- Assistenzleistungen sche Arbeiten wie Dokumentation und Abrechnung. Die Arbeit mit Klient*innen wird in Zukunft durch Assistenzleistungen beschrieben, wobei zwischen Auf 120 Seiten ist beschrieben, welche Arbeit wir qualifizierten und kompensatorischen Assistenz- mit welchem Personal und welchen Klient*innen leistungen unterschieden wird. Das bedeutet, dass machen, wie wir sie dokumentieren und wie wir einige Tätigkeiten im Personenzentrierten und dabei Qualität und Wirksamkeit überprüfen. Darin integrierten Teilhabeplan (PiT) als qualifizierend steht auch, wie wir dafür bezahlt werden, wie die (= befähigend) eingestuft werden und andere als Abrechnung funktionieren soll und welche Verein- kompensatorisch (= ersatzhandelnd). barungen dazu geschlossen werden. Ebenso wird darin ausgeführt, wie die Wirtschaftlichkeit und die Der Rahmenvertrag regelt, wer die jeweiligen Qualität unserer Arbeit vom Landeswohlfahrtsver- Assistenzleistungen ausführen darf und dass sie auf band Hessen (LWV) überprüft werden kann. der Grundlage unterschiedlicher Vergütungssätze bezahlt werden. Der LWV Hessen wird im Laufe des Jahres einen Bogen entwickeln, der zusammenfas- send die Teilhabeleistungen je Klient*in darstellt. Dieser Bogen zur Erfassung des Leistungsumfangs (BELu) wird auch die Teilhabeziele- und Maßnah- men aus dem PiT in qualifizierende und kompen- satorische Assistenzleistungen einteilen. Welche Auswirkungen das auf Teamkonstellationen haben wird, muss mit den gewonnenen Erkenntnissen im weiteren Verlauf entschieden werden. … Leistungsdokumentation wird Prozessdokumentation Aktuell wird in der fwg im Sinne einer Verlaufs-, Ereignis- oder Leistungsdokumentation dokumen- tiert, was ich heute wie gemacht habe. Der Rah- menvertrag sieht eine Prozessdokumentation sowie eine ausführliche Jahresstatistik vor. Die Prozess dokumentation macht zukünftig den Prozess der Teilhabe sichtbar (= Was ist im Verlauf (nicht) passiert, um das Teilhabeziel zu erreichen?). Die Jahresstatistik arbeitet mit Kennzahlen zu Assistenzleistungen und Personaleinsatz.
1/2023 5 … wann werden diese Veränderungen in Kraft treten? Ab 1. Januar 2023 sollen diese Änderungen in Kraft treten, aber noch finden die Informationsveranstal- tungen des LWV dazu statt; der Bogen zur Bemes- sung des Leistungsumfangs (BELu) sollte laut LWV Hessen im Oktober 2022 zur Verfügung stehen. Leistungsvereinbarungen wurden im IV. Quartal geschlossen und Konzepte sollen bis Ende 2023 nachgereicht werden. … wie will die fwg mit diesen Veränderungen umgehen? In der fwg sehen wir in den Veränderungen, die sich aus dem Rahmenvertrag ergeben, sowohl Chancen als auch Risiken. Da wir in Bezug auf die Assistenz- leistungen eine Veränderung erwarten, aber jetzt J ennifer Brackmann, noch nicht sagen können, welchen Einfluss diese Ver- Verbundleitung Begleitung + Wohnen änderung auf Bedarf und Nachfrage hat, müssen wir nicht vorschnell Veränderungen einleiten, sondern wir können die veränderten Bedingungen nach einem angemessenen Zeitraum reflektieren und erst dann Schlussfolgerungen ableiten. Um uns dieses Abwarten leisten zu können, müssen wir bei entspre- chender Nachfrage unsere Auslastungsmöglichkei- Über alle Veränderungen, die sich aus den Rahmen- ten konsequent nutzen. verträgen ergeben, wollen wir alle Betroffenen nicht nur auf dem Laufenden halten, sondern mit ihnen Im Bereich der Dokumentation sehen wir die große ins Gespräch kommen. Wir sehen ein Stück Arbeit Chance, alle Mitarbeitenden in der Betreuung zu vor uns liegen, die sich gut verteilt, wenn wir sie gut entlasten, wenn – wie wir es verstehen – vor allem verteilen und die wir meistern können, weil wir auf Abweichungen vom Planungsprozess dokumentiert vorschnelle Entscheidungen verzichten wollen. werden müssen und nicht die Assistenz, die bereits im PiT steht. Für die Jahresberichterstattung an den LWV sind voraussichtlich Softwareanpassungen notwen- dig. Die Leitungskreise werden unter Einbeziehung § der betreffenden Kolleg*innen einen Planungspro- zess mit dem Ziel starten, die Chance der Entbürokra- tisierung, die wir sehen, auch zu nutzen.
6 akut! FWG INTERN Was machen eigentlich …? Die Arbeit in der fwg ist dezentral organisiert. Auch vor Corona begegneten sich Mitarbeiter*innen der unterschiedlichen Angebote eher selten. Die Frage „Was machen eigentlich ...?“ ist also naheliegend. Deshalb wollen wir an dieser Stelle Mitarbeiter*innen verschiedener Tätigkeitsbereiche die Möglichkeit geben, sich und ihre Arbeit vorzustellen.
1/2023 7 FWG INTERN Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung Jens Ribcke und Andreas Weyel im Gespräch mit Olaf Olbricht Über die Frage, was genau Fachkräfte zur der Fördermaßnahmen.“ Wie setzt ihr diese Arbeits- und Berufsförderung (FAB) in der theoretischen Vorgaben praktisch innerhalb eures WfbM machen, spreche ich mit Jens Ribcke, Arbeitsfeldes um? FAB im Lager des Bereichs Digitale Dienst leistungen + Versand (DDV) und Andreas Weyel, Jens Ribcke: Wir sind einerseits ein Umschlagplatz FAB im Bereich Satz + Druck, Abteilung Digitale für Waren, andererseits konfektionieren wir Waren Druckvorstufe / Digitaldruck. und versenden diese. Meine Kolleg*innen und ich müssen dafür sorgen, dass die Arbeit einerseits läuft und andererseits die Klient*innen entsprechend Zusammenarbeit mit ihren Fähigkeiten daran beteiligt werden. den Teilnehmer*innen Olbricht: Lässt sich das immer gut lösen und Mitarbeiter*innen oder ist das manchmal schwierig? Olaf Olbricht: In dem QM-Dokument, das Ribcke: Eher schwierig, weil die psychisch beein- eure Funktion beschreibt, lese ich über die trächtigten Klient*innen manchmal von einem auf Zusammenarbeit mit den Teilnehmer*innen und den anderen Tag starke Leistungsschwankungen Mitarbeiter*innen u. a. Folgendes: „Gestaltung der haben. Bevor ich zur fwg kam, arbeitete ich mit Arbeitsrehabilitation der Menschen in der eigenen Menschen mit geistiger oder körperlicher Beein- Gruppe, im Rahmen der Förderplanung. Kontinu- trächtigung zusammen. Da gab es diese Schwankun- ierliche Analyse der Situation dieser Menschen. gen kaum und ich konnte mit einem kontinuierli- Führen der Förderplangespräche und Umsetzung chen Leistungsniveau rechnen. Olbricht: Wie gehst du mit Andreas Weyel und Jens Ribcke, diesem Problem um? FAB in der WfbM im Cassellapark Ribcke: Ich versuche herauszufinden, wo ich die Teilnehmer*innen meiner Gruppe „abholen“ kann. Aufgrund von deren jeweiliger Tagesform entscheide ich dann, an welchem Arbeitsprozess jemand teilha- ben kann. Dabei hat die individuelle Förderung einen hohen Stellenwert. Ich achte darauf, dass niemand über- oder unterfordert wird. Das Arbeitsziel darf ich natürlich auch nicht aus den Augen verlieren. Das setzt voraus, dass ich die Aufträge und Abläufe kenne und mir vorab Gedanken darüber mache, wie ich die Klient*innen in die Arbeitsabläufe einbinde. Fortsetzung nächste Seite
8 akut! Olbricht: Wer führt die in den QM-Vorga- Olbricht: Wird gelegentlich auch der ben genannten Förderplangespräche? Wunsch geäußert, die WfbM zu verlassen und sich auf dem „freien Arbeitsmarkt“ zu erpro- Ribcke: Als neuer Mitarbeiter der WfbM der fwg ben? mache ich das noch nicht allein, unter Anleitung habe ich aber probeweise schon einen Förderplan Weyel: Eine große Zahl von Beschäftigten ist mit geschrieben. Die kontinuierliche Analyse der Situa- ihrer Arbeit und ihrem Arbeitsumfeld hier sehr tion der behinderten Beschäftigten gehört, wie oben zufrieden. Sie haben hier eine Struktur, die ihnen bereits erwähnt, zu meinem Arbeitsalltag. Meine gefällt, und sie haben ein vertrautes soziales Umfeld. täglichen Erfahrungen werden im Team besprochen Manche haben den „freien Arbeitsmarkt“ bereits ken- und fließen in die Förderplanung ein. nen gelernt und fürchten sich vor Überforderung. Es gibt aber auch andere Teilnehmer*innen, die ganz Andreas Weyel: Ich habe eine sehr diverse Gruppe klar äußern, dass sie sich außerhalb der Werkstatt von Mitarbeiter*innen, deswegen bin ich immer ge- erproben wollen. fordert zu erkennen, über welche individuellen Mög- lichkeiten die Menschen in meiner Gruppe verfügen, Olbricht: Wie gehst du mit den Ressourcen, welche Wünsche sie haben und welche Ziele und Bedarfen, Wünschen und Zielen der Mit- Maßnahmen sich daraus ableiten lassen könnten. arbeitenden in der praktischen Arbeit vor Ort um? Wenn jemand zum Beispiel einen fachbezogenen Arbeitsvorgang oder eine Maschine in meinem Tätig- Weyel: In einem Förderplangespräch werden daraus keitsbereich oder generell in Satz + Druck kennen konkrete praktische Maßnahmen abgeleitet, verein- lernen möchte, so habe ich verschiedene Möglich- bart und dokumentiert. In bestimmten Abständen keiten der Unterstützung; das können zum Beispiel werden die vereinbarten Ziele und Maßnahmen eva- Schulungen oder Trainings an einzelnen Maschinen luiert und geschaut, ob das alles passt oder ob etwas oder Lerneinheiten in Drucktechnik, Typografie oder verändert oder angepasst werden muss. Farblehre bis hin zu Qualifizierungsbausteinen an marktgängiger Anwendungssoftware im Bereich Layout und Druckvorstufe sein. Maßnahmen und Olbricht: Du kannst natürlich nur Auftragsabwicklung anbieten, was innerhalb deiner Arbeitsabläufe realisierbar ist. Olbricht: Was wäre in euren Arbeitsberei- chen eine typische Fördermaßnahme? Weyel: Das stimmt. Idealerweise gehen Produktion und Förderung Hand in Hand. Konkret bedeutet Ribcke: Ich bin gerade dabei, mehreren Personen die das, dass Produktionsaufträge genutzt werden, um korrekte Bedienung des Elektrogabelstaplers beizu- fachliche Kompetenzen aufzubauen. Zusätzlich zu bringen. Das erlaubt denjenigen eine neue Tätigkeit unserem Angebot innerhalb der Arbeitsgruppe gibt innerhalb der Werkstatt, kann aber auch ein Quali- es ja auch noch das vielfältige Angebot der arbeits- fikationsbaustein für einen Arbeitsplatz außerhalb begleitenden Maßnahmen, die zur Arbeitsrehabilita- der Werkstatt sein. tion beitragen. Dies sind beispielsweise Bewegungs-, Entspannungs-, Sprach- oder Mathematikkurse. Olbricht: Deiner Schilderung entnehme ich, dass ihr immer gut zu tun habt. Du erwähn- Olbricht: Mit welchen Wünschen bist du test auch psychisch bedingte Leistungsschwankun- primär konfrontiert? gen der Mitarbeitenden in deiner Gruppe. Entste- hen daraus manchmal Drucksituationen für dich? Weyel: Primär mit fachbezogenen Wünschen Ribcke: Die Arbeitsplätze sind in erster Linie Arbeits- und Zielen. Die Teilnehmer*innen wollen sich für die plätze der Klient*innen. Sie sollen – und wollen – Arbeit an ihrem Arbeitsplatz qualifizieren. ihre Arbeit möglichst selbstständig und umfassend Sie wollen sich weiterentwickeln. erledigen. Im Idealfall leite ich nur an, unterstütze
1/2023 9 und koordiniere die Arbeit. Und ja, es gibt Situatio- Olbricht: Wenn es mal nicht so gut läuft nen, in denen ich mich stärker einbringen muss, auch und du unter Zeitdruck kommst, bist du um unsere Mitarbeitenden zu schützen – zum Bei- dann die letzte Instanz, derjenige sozusagen, der spiel vor Überforderung. es bringen muss? Olbricht: Du musst also einerseits dafür Weyel: Ich habe Mitarbeiter*innen in der Gruppe, sorgen, dass die Arbeit gemacht wird, und die alles können, was ich kann – und mehr. Ich kann andererseits darauf achten, dass die individuelle also jede Arbeit weitergeben und mich darauf verlas- Förderung der Mitarbeitenden nicht auf der Stre- sen, dass sie auch dann korrekt erledigt wird, wenn cke bleibt? ich nicht selbst Hand anlege. Natürlich kann es bei krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfällen auch Weyel: Genau in diesem Spannungsfeld bewege ich mal eng werden, aber das ist nicht die Regel. mich. Wir haben echte Aufträge von echten Kunden, die an das Arbeitsergebnis und die dafür benötigte Zeit klare Erwartungen haben. Andererseits haben wir vereinbarte Förderziele, die im Rahmen dieser Zusammenarbeit und konkreten Arbeit erreicht werden sollen. Deshalb Kommunikation überlegen wir zu Beginn jeder Arbeit gemeinsam, wie wir uns so organisieren können, dass beide Er- wartungen erfüllt werden können. Olbricht: Ihr hattet auf die Bedeutung von Kommunikation für die Zusammenarbeit Olbricht: Entstehen in diesem Spannungs- hingewiesen. Könnt ihr das genauer erklären? feld manchmal Situationen, die für dich schwierig sind? Ribcke: Ja, wir stellen zum Beispiel immer wieder fest, dass manche unserer Mitarbeitenden Liefer- Weyel: Wenn ein Auftrag bearbeitet wird, zu dessen scheine zwar lesen können, aber das Gelesene nicht Bewältigung mehrere Personen meiner Gruppe we- verstehen oder daraus keine Handlung ableiten nig beitragen können, weil sie beispielsweise speziel- können. Hier greift dann die Kommunikation mit den le Fachkenntnisse nicht oder noch nicht haben, so Kolleg*innen, die für Begleitende Maßnahmen zu- hat die Erledigung des Auftrags zunächst Vorrang. ständig sind. Die bieten für diesen Personenkreis eine Ich kann in dieser Situation keine grundlegende entsprechende Schulung an. Das hat auch uns FABs Fortbildung oder 1:1-Betreuung anbieten. Das ist geholfen und den gelegentlichen Spagat zwischen manchmal unbefriedigend. In der Regel lässt sich das Kundenerwartung und pädagogischer Aufgabe er- aber zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal gut leichtert. aufgreifen, um Abläufe zu analysieren oder Übungs- einheiten daraus abzuleiten. Weyel: Wir haben eine gute Kultur der Zusammen- arbeit und der gegenseitigen Unterstützung und Olbricht: Im QM-Dokument steht: „Anpas- institutionelle Strukturen, die dies fördern. sung der Produktionsabläufe an den indivi- duellen Förderbedarf.“ Ist das überhaupt möglich? Olbricht: Vielen Dank, Jens, vielen Dank, Andreas. Weyel: Ja das geht. Wir haben zum Beispiel bei Ihr habt meine Fragen bereitwillig und ausführlich einem neuen Kunden vor Produktionsbeginn sehr beantwortet. Ich glaube, dass ihr den ‚akut‘- viel Zeit investiert, um gemeinsam mit den Beschäf- Leser*innen ein gutes Bild davon vermittelt, was tigten die bevorstehende Arbeit so zu strukturieren, eine FAB in der WfbM macht. dass möglichst viele Beschäftigte ihren Beitrag dazu leisten können. Dieses gründliche Nachdenken vor Produktionsbeginn hat sich ausgezahlt. Wir haben gut funktionierende Arbeitsprozesse definiert, an denen viele teilhaben.
10 akut! FWG INTERN Bildung und Recovery Patricia Leinhos und Kurt Stalter im Gespräch mit Olaf Olbricht Der Gesetzgeber definiert eines Werkstatt für Patricia Leinhos: Die ersten von Kurt genannten An- behinderte Menschen (WfbM) als eine „Einrich- gebote stehen unter der Überschrift ‚Lernen und be- tung zu Teilhabe am Arbeitsleben und zur Ein- rufliche Qualifizierung’. Dazu gehören auch PC-Kurse, gliederung in das Arbeitsleben“ (§219 SGB IX). Bewerbertraining und Kommunikationstraining. Als berufliche Rehabilitationseinrichtung muss sie es den behinderten Menschen ermöglichen, Olbricht: Welche weiteren ihre Leistungsfähigkeit zu entwickeln, zu erhö- Angebotsgruppen gibt es noch? hen oder wiederzugewinnen und ein dem Leis- tungsvermögen angemessenes Arbeitsentgelt zu Leinhos: Bildung der Persönlichkeit, Grundlegende erreichen. lebenspraktische Fähigkeiten, Sport und Bewegung, Gesundheit und Musisch-Kreatives. Olaf Olbricht: Nach dieser knappen Definition der Aufgaben einer WfbM Olbricht: Patricia, welches sind möchte ich euch fragen, welche konkreten deine Angebote? Tätigkeiten ihr in diesem Rahmen leistet. Leinhos: Meine Kurse gehören hauptsächlich zum Kurt Stalter: Ich unterrichte Deutsch, Englisch – Bereich ‚Bildung der Persönlichkeit’. Dabei handelt es für Anfänger oder für Fortgeschrittene –, Spanisch sich um Kommunikationstrainings mit unterschied- und Mathematik. Es hat sich herausgestellt, dass lichen Schwerpunkten. Zum Beispiel führe ich gerade der Mathematik-Kurs für bestimmte Tätigkeiten im Berufsbildungsbereich einen Kurs zum Umgang in der WfbM sehr hilfreich ist. Im Rahmen unseres mit Kunden durch. Außerdem leite ich zwei Angebote Angebotes ‚Sport und Bewegung’ biete ich noch im Schwerpunkt ‚Sport und Bewegung’. Auch unter einen Gymnastikkurs an. dem Stichwort ‚Musisch-Kreatives’ biete ich Kurse an. Olbricht: Wie erfahren die Beschäftigten Patricia Leinhos und Kurt Stalter, Fachkräfte Berufliche Bildung der Werkstatt, was ihr anzubieten habt? Stalter: Draußen im Foyer hängen alle unsere Angebote – schön bebildert – aus. Daneben gibt es Flyer. Erfolgreich ist auch die persönliche Ansprache durch uns. Olbricht: Kommen eure Kursteilnehmer*innen auf eigenen Wunsch oder werden sie zu euch geschickt? Stalter: Entweder kommen die Beschäftigten auf ei- genen Wunsch, weil sie Lust haben, daran teilzuneh- men, oder sie werden von fwg-Mitarbeiter*innen auf einen bestimmten Kurs aufmerksam gemacht oder die FABs wünschen sich für eine bestimmte Gruppe
1/2023 11 einen speziellen Kurs. Zum Beispiel habe ich auf An- Stalter: Vor der Pandemie maximal 12, jetzt eher regung von FABs aus dem Lager des Bereichs DDV halb so viele. Die Anzahl der Teilnehmenden ist aber einen Kurs zum Umgang mit Lieferscheinen durch- auch vom Inhalt des Kurses abhängig. geführt. Die Kolleg*innen dort hatten immer wieder festgestellt, dass manche Beschäftigten Lieferscheine Leinhos: Die Coronapandemie hat übrigens auch zwar lesen können, aber das Gelesene nicht verste- den Ablauf und die Inhalte der Bewegungskurse hen oder daraus keine Handlung ableiten können. stark verändert. Olbricht: Gibt es für die Teilnehmenden Stalter: So verbietet es die Vorsorge gegen Corona, Noten, Bewertungen oder sonstige typische, traditionelle Sportarten anzubieten. Beurteilungen? Leinhos: Und ich war aus den erwähnten Gründen Stalter: In meinen Sprachkursen gibt es keine vor gezwungen, Inhalte wie zum Beispiel Feldenkrais- definierten Lernziele, die Leistungen werden auch oder Yogaübungen, die größtenteils auf Matten nicht bewertet. Bei Angeboten wie dem oben er- ausgeführt wurden, zu streichen. Zudem mussten wähnten Thema Lieferscheine gab es natürlich eine sich Interessent*innen für meine Vor-Coronaan- klare Zielvorgabe, aber keine Noten. gebote verbindlich anmelden. Seit der Pandemie handelt es sich bei meinen Bewegungskursen nun Olbricht: Das Beispiel mit den Lieferschei- um offene Angebote und die Inhalte sind eher eine nen zeigt, dass es einen Austausch zwischen Mischung aus Hockergymnastik sowie Lockerungs- euch und den FABs gibt. Ist dieser Austausch eher und Dehnübungen im Stehen. Beides spricht inte- informell oder hat er eine bestimmte Struktur? ressanterweise einige Personen an, die zuvor nie bei Bewegungskursen aufgetaucht sind, sodass ich Leinhos: Das läuft eher informell, wir wünschen überlege, dieses veränderte Kursangebot beizube- uns aber eine verbindlichere Struktur. halten, selbst wenn eines Tages die coronabeding- ten Einschränkungen wegfallen. Stalter: Beim Beispiel Lieferscheine haben wir das Angebot im Team gemeinsam mit den Olbricht: betroffenen FABs erarbeitet. Nur so ließ sich Dokumentiert ihr eure Arbeit? ein klares Lernziel definieren. Leinhos: Wir machen uns persönliche Notizen, Olbricht: Ich kann mir gut vorstellen, schreiben aber keine Berichte. dass sich Beschäftigte auf eigenen Wunsch für ein Bewegungsangebot oder für einen Kreativ- Stalter: Und auch keine Beurteilungen. kurs entscheiden. Aber wer entscheidet sich für einen Kurs, der die eigenen (Persönlichkeits-) Olbricht: Wie ist der Austausch innerhalb Defizite zum Thema hat? eures Teams organisiert? Leinhos: Hier kommen die Anregungen Stalter: Wir haben einmal wöchentlich Teamkonfe- zur Kursteilnahme in der Tat eher von den fwg- renz und einmal monatlich Supervision. Mitarbeiter*innen. Leinhos: Als Halbtagskräfte nehmen wir nicht an Olbricht: Seid ihr an der Förderplanung Fachkonferenzen teil, das würde unseren Zeitrahmen beteiligt? sprengen. Leinhos: Indirekt, bei Bedarf fragen uns die FABs, Olbricht: Vielen Dank für dieses wie wir diese*n oder jene*n Klient*in erleben. gute Gespräch. Ich habe viel über eure Arbeit erfahren. Olbricht: Wie viel Teilnehmer*innen haben eure Kurse?
12 akut! FWG INTERN Der weite Weg nach Frankfurt Das Projekt Flüchtlingshilfe in Zusammenarbeit mit der Horst-Haas-und-Irene-Haas-Scheuermann-Stiftung aus der Ukraine zur Verfügung – ein echter Glücksfall und in diesem Umfang recht einmalig in Frankfurt: Nicht nur der Wohnraum wird gestellt, zur Beschaf- fung der Grundausstattung gibt es außerdem noch eine Pauschale pro Wohnung, all das geht in das Eigentum des Mieters über. Glückliche Gesichter sind vorprogrammiert! Familie V. in ihrer Wohnung in Frankfurt-Bockenheim Was hat die fwg damit zu tun? Durch eine Projektleitung wird die Vermittlung der frei werdenden Wohnungen an Geflüchtete und VON MONIKA WAGNER die Begleitung des Einzugs durch die fwg gewähr- Um was geht es? leistet. Die Unterstützung umfasst administrative Am 24. Februar dieses Jahres begann der russische und alltagspraktische Belange wie Behördengänge, Überfall auf die Ukraine. Laut UNO wurde seitdem aber auch Dolmetscherleistungen, die Vermittlung ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung zur Flucht von Integrationskursen und Hilfe bei der Jobsuche. gezwungen, über 7,6 Millionen Menschen aus der Je nach Bedarf bieten wir außerdem Begleitung und Ukraine leben mittlerweile in europäischen Staaten Unterstützung, um an Angeboten der psychosozialen als Flüchtlinge, der Großteil von ihnen sind Frauen, Versorgung teilzunehmen und profitieren hier von Kinder und alte Menschen. In Deutschland befinden unserem umfangreichen Netzwerk – für jedes An- sich derzeit viele Kriegsflüchtlinge in behelfsmäßigen liegen gibt es eine*n Ansprechpartner*in, für jedes Notunterkünften. Häufig sind es Turnhallen, in denen Problem finden wir eine Lösung! Schutzsuchende auf eine Wohnung warten – und in Frankfurt kann dieses Warten ein langes Unterfangen Was ist das Ziel des Projekts? sein, Wohnraum ist knapp und teuer. Geflüchteten Menschen, insbesondere Menschen mit Behinderung, Traumata und / oder seelischen Erkran- Wohnungen in Frankfurt – woher nehmen? kungen, soll die Möglichkeit gegeben werden, dauer- Die Horst-Haas-und-Irene-Haas-Scheuermann-Stif- haft in Frankfurt Fuß zu fassen, sich hier eine Existenz tung stellt im Großraum Frankfurt frei werdende und ein Leben aufzubauen. Dies beinhaltet eben Wohnungen zur Anmietung durch Familien von nicht nur das Wohnen, auch die Teilhabe am sozialen geflüchteten Menschen mit besonderen Bedarfen Leben der Stadt ist ein Ziel des Projekts.
1/2023 13 Die Familie V. in eine Unterkunft gebracht. Trotzdem geht es Herrn V. Frau und Herr V. begrüßen mich gemeinsam mit ihrem zusehends schlechter. Nachts steht er auf, er ist verwirrt, Sohn in ihrer neuen Wohnung in Frankfurt-Bocken- will sich vor Bomben verstecken. Es gibt keine Medika- heim. Der kleine Tisch im Wohnzimmer ist reich ge- mente in der Unterkunft, zumindest nicht die, die er deckt, es gibt Kaffee und Kuchen, Schokolade und benötigt. Sein Sohn telefoniert mit ihm, beruhigt ihn. einen Obstkorb, ich werde zum fleißig Zulangen auf- gefordert. Ich sitze nun hier auf der gemütlichen Couch Am nächsten Tag steigen sie in einen Bus nach Gie- in der kleinen, aber freundlichen und hellen 2-Zim- ßen, die Fahrt ist von einem ehrenamtlichen Helfer mer-Wohnung mit Balkon, weil Frau und Herr V. diese aus Deutschland privat organisiert. Sie dauert fast 24 – dank der Stiftung, der guten Zusammenarbeit mit Stunden, im Bus ist es laut, es sind viele Kinder dabei. deren Gebäudemanagement und dem Sozialamt – vor Irgendwann hält der Fahrer an und ruft beim Sohn an, Kurzem beziehen konnten. Ich möchte die Geschichte der Vater sei aggressiv, er müsse die Polizei rufen. Da dahinter erfahren: Welchen Weg hat die Familie hinter sind sie schon in Deutschland, der Sohn holt schluss- sich? Was geschah seit Kriegsbeginn? endlich seine Eltern in einem Krankenhaus 2 Stunden von Frankfurt entfernt ab. Die Ärztin vor Ort hat dem Frau und Herr V. sprechen kein Deutsch oder Eng- Vater bereits Medikamente gegeben, er brauche vor lisch, ihr Sohn, der mit Frau und Sohn schon länger in allem Schlaf – im Liegen, nicht wie im Bus im Sitzen. Deutschland lebt, übersetzt für mich. So frage ich nicht Und Ruhe. Danach geht es ihm endlich besser. viel, ich höre zu. Die Reise nach Deutschland dauerte 4 Tage. Familie V. bewohnte ein Haus, circa 25 km von der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw entfernt. Frau und Herr V. konnten in der kleinen Wohnung bei Einer der beiden Söhne wohnt noch dort, er darf alleine der Familie ihres Sohnes unterkommen. Auch dort ist nicht mehr ausreisen, er möchte aber auch nicht weg es eng, der Enkel wacht nachts oft auf, auch das ist an- von zuhause. Die Familie unterstützt ihn finanziell von strengend für die Großeltern. Deutschland aus. Deswegen freuen sie sich umso mehr, als die Nachricht Im April dieses Jahres schlugen in der Nähe die des Sozialamtes kommt: eine 2-Zimmer-Wohnung in Bo- ersten Bomben ein. Frau und Herr V. wollten bleiben. ckenheim, mit Balkon, bezugsfrei ab sofort. Der Umzug Ihr Sohn überzeugte sie von Deutschland aus, zu ihm und die Formalitäten können schnell erledigt werden, zu kommen, in Sicherheit. „Nehmt nicht viel mit!“ den Schlüssel hat die Familie noch in derselben Woche sagt er zu seinen Eltern. Vor allem sein Vater, der an in der Hand. Nun leben sie sich ein, sowohl in der Woh- Parkinson erkrankt und auf einen Rollator angewiesen nung als auch in Frankfurt und in Deutschland. Es gefällt ist, kann nichts tragen. So packt die Mutter eine Tasche ihnen hier, sie sind sehr dankbar für die Wohnung, die mit dem Nötigsten, Papiere und wichtige Unterlagen, Möbel und die Ausstattung, die durch die Stiftung er- etwas Kleidung. möglicht wurde. In Frankfurt sind die Menschen sehr nett, Frau V. betont die Hilfsbereitschaft, dass alten Ihre Reise beginnt in einem Bus, der sie nach Charkiw Leuten über die Straße geholfen wird. Aber ihre Heimat bringt. Der Busfahrer fährt über Landstraßen, er mei- vermissen sie trotzdem. Herr V. war in der Ukraine immer det Hauptverkehrswege, diese werden vom russischen draußen, hat Trauben geerntet, sogar einen eigenen Militär bombardiert. In Charkiw wohnt ein Bekannter Wein hergestellt, er war immer in Bewegung. Hier kann des Sohnes, der sie in Empfang nimmt. Er kauft ihnen er das nicht mehr machen, das fehlt ihm. ein Ticket, es geht weiter mit dem Zug in den Westen der Ukraine Richtung polnische Grenze, sie fahren die Seit dem Umzug ist die ganze Familie entspannter, der ganze Nacht. Von dort aus müssen Sie 2 km zu Fuß ge- Enkelsohn möchte nun ständig die Großeltern besu- hen, vor allem für den Vater ist der Weg beschwerlich. chen: „Das ist die beste Wohnung auf der Welt!“, sagt er. In Polen angekommen endlich ein wenig Erleichterung: Es gibt sofort etwas zu Essen, Umarmungen, die Men- Irgendwann möchten sie aber trotzdem zurück in ihr schen sind alle sehr freundlich, Frau und Herr V. werden Haus. Wenn der Krieg vorbei ist.
14 akut! FWG INTERN Rock im Cassellapark Vol. 2 Informationen, lebendiger Austausch und jede Menge gute Musik VON TORSTEN NEUBACHER Das vermutlich größte Straßenfest des Jahres im Industriegebiet Frankfurt-Ost beeindruckte auch in diesem Jahr durch eine Vielfalt von Besucherin- nen und Besuchern, eine Vielfalt der angebotenen Informationen unterschiedlicher Organisationen und Träger, eine musikalische Vielfalt und nicht zuletzt auch ein vielfältiges Wetter. Da war von allem und für jeden was dabei. Für alle, die nicht dabei sein konnten, sowie für die, die gerne noch einmal zurückschauen, hat unser Fotograf Uli Schlittgen fleißig Fotos gemacht. Einen Teil dieser Bilder sehen Sie hier.
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16 akut! FWG INTERN Kreative Suche Wie die fwg dem Personalmangel begegnet OLAF OLBRICHT IM GESPRÄCH MIT NATHALIE MÜLLER UND ANDREA VIRDE Olaf Olbricht: Liebe Kolleginnen, fast fwg begonnen haben. Seit dem 1. April bis täglich lese oder höre ich in den verschie- heute, Mitte September, habt ihr 16 neue Mit- densten Medien, wie schwer es derzeit ist offene arbeitende vorgestellt. Am 1. September waren es Stellen zu besetzen. Dass auch die fwg auf Per- sogar sieben auf einen Streich, wie im Märchen! sonalsuche ist, erfahre ich gelegentlich durch die Wie macht ihr das? Betreibt ihr aktiv Personal- internen Stellenausschreibungen, die ihr per Mail Akquise? Wenn ja, wie und wo? veröffentlicht. Dort, im internen Mailverkehr, lese ich aber auch staunend und fast monatlich, dass Andrea Virde: Wir betreiben aktive Akquise, neue Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit in der dabei nutzen wir vorrangig der Dienste einer Personalagentur Nathalie Müller: Mit dieser Agentur arbeitet die fwg schon länger zusammen. Wir schicken unsere Stellenausschreibungen dorthin und bekommen Vorschläge, wo (in welchen Medien, auf welchen Internet-Plattformen) die Suche erfolgversprechend sein könnte. Wir entscheiden in Absprache mit der jeweiligen Verbundleitung, welcher dieser Empfeh- lungen wir folgen wollen. Die Agentur unternimmt dann alle weiteren, notwendigen Schritte. Olbricht: Wie erfolgreich ist die Zusammenarbeit mit dieser Agentur? Müller: Das ist unterschiedlich. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass der Erfolg auch davon abhängig ist zu welcher Zeit wir jemanden suchen. Olbricht: Hast du eine Idee, woran das liegen könnte? Nathalie Müller und Andrea Virde, Mitarbeiterinnen der Personalabteilung
1/2023 17 Müller: Der von dir eingangs erwähnte September Olbricht: Gibt es bei den Reaktionen auf war ein hervorragender Zeitpunkt. Viele potentielle eure Personal-Akquise auch Unterschiede, Bewerber*innen hatten ihr Studium beendet. Mit die mit der ausgeschriebenen Stelle zu tun haben? einigen hatten wir bereits vorher Verträge ab- geschlossen und alle starteten im September ihre Virde: Ja, das ist so. Als wir zum Beispiel für den IT- Arbeit in der fwg. Aktuell spielt die politische und Bereich jemand gesucht haben, gab es ein erstaun- die wirtschaftliche Lage eine verunsichernde Rolle. lich großes Feedback, sogar aus dem Ausland. Wer einen sicheren Arbeitsplatz hat, wird sich der- zeit eher keiner weiteren Unwägbarkeit, durch einen Olbricht: Gibt es viele Initiativbewerbun- Wechsel des Arbeitgebers, aussetzen wollen. gen von Suchenden? Olbricht: Dennoch, ich war erstaunt, dass Müller: Wir bekommen viele Bewerbungen von ihr von April bis Mitte September 16 neue Quereinsteiger*innen, die mit unserer Branche bisher Mitarbeitende vorgestellt habt. Empfindet ihr das noch nichts zu tun hatten. als einen Akquise-Erfolg? Fortsetzung nächste Seite Virde: Ja, aber der ist nicht ausreichend, wir haben trotzdem noch Vakanzen. Müller: Im Sommer war die Personaldecke so knapp, dass wir über eine Zeitarbeitsfirma kurzfristig Per- sonal organisieren mussten. Es ist allerdings unser Bestreben, die vakanten Stellen fest zu besetzen und nicht dauerhaft mit Leih-Arbeitnehmer*innen zu arbeiten. Virde: Wir dürfen auch nicht vergessen, dass einige Mitarbeiter*innen ausgeschieden sind. Olbricht: Gibt es eine große Personal- Fluktuation in der fwg? Müller: Das ist schwer einzuschätzen, da wir als neue Mitarbeiterinnen nicht wissen, wie das in den Vorjahren war. Wir planen ein Personal-Controlling zu etablieren, das den Entscheidungsträgern alle relevanten Daten zum Thema Personal zur Verfü- gung stellen kann. Erfreulich ist übrigens, dass etli- che Neueingestellte bereits vorher in einem anderen Rahmen, zum Beispiel im Anerkennungsjahr, in der fwg tätig waren. Auch Mitarbeitende in einem ge- ringfügigen Beschäftigungsverhältnis, zum Beispiel Studierende, die währen des Studiums als Nacht- bereitschaft gearbeitet haben, bewerben sich zu gegebener Zeit als Vollzeitkräfte. Das würden diese Menschen nicht machen, wenn es ihnen bei der fwg nicht gefallen hätte.
18 akut! Olbricht: Passen die Initiativbewerbungen Olbricht: zum Personalbedarf der fwg? Ihr habt also ganz gezielt lokal geworben. Müller: Wenn wir Fachkräfte suchen nicht, die Müller: Es lohnt sich darüber nachzudenken, welche bewerben sich eher gezielt auf konkrete Stellen Form der Ansprache für welche zu besetzende Stelle angebote. geeignet ist. Dabei sind wir durchaus kreativ. Übri- gens spielt auch die Mundpropaganda eine wichtige Olbricht: Die Beschäftigung von Querein- Rolle. Wer hier ein Praktikum oder ein Anerken- steiger*innen gehörte einst zum Konzept nungsjahr machte und damit zufrieden war, erzählt der fwg. Ich selbst gehöre zu dieser Mitarbeiter- das gern weiter. Als Herr Neubacher die Teilnehmen- Generation. Damals waren berufsbegleitende den der Startergruppe einmal fragte, wie sie zur fwg interne Fortbildungen obligatorisch. Diese schlos- gekommen sind, sagten etwa zwei Drittel, dass sie sen mit einer Prüfung und einer anerkannten von dieser Einrichtung durch Mundpropaganda er- fachlichen Qualifikation ab. fahren haben. Müller: Die fwg will dieses Thema neu beleben und Olbricht: Das funktioniert nur, wenn es ein Fortbildungsprogramm für Quereinsteiger*innen etwas Positives zu berichten gibt. etablieren, an dessen Ende ein qualifizierter Ab- schluss stehen soll. Virde: Wir hören in der Startergruppe ganz oft, wie positiv neue Kolleg*innen unsere Einrichtung sehen. Olbricht: Das finde ich großartig. Müller: Dieses positive Feedback möchten wir gern Ihr habt mir die Zusammenarbeit mit der noch intensiver für die Personal-Akquise nutzen. Personalagentur geschildert, gibt es noch andere Kanäle, die ihr für die Personalsuche nutzt? Olbricht: Wie erfolgreich sind interne Stellenausschreibungen? Müller: Wir veröffentlichen unsere Suche auf der fwg-Website und auch auf der entsprechenden Seite Müller: Die Bewerbungen auf eine interne Stellen- der ‚Agentur für Arbeit’. ausschreibung sind oft mit der Erwartung eines beruflichen Aufstiegs verbunden. Virde: Auch an den Fachhochschulen und den Schulen für Heilerziehungspfleger*innen werben Virde: Und es hat natürlich auch mit dem Interesse wir. Wir schreiben zum Beispiel Stellen für das an der ausgeschriebenen Tätigkeit zu tun. Anerkennungsjahr regelmäßig aus. Müller: Viele ausgeschriebene Stellen lassen sich Müller: Wir versuchen laufend unsere Maßnahmen intern besetzen. zu optimieren, dazu gab es auch einen Workshop mit einer Personalagentur. Olbricht: Haben meine Fragen alle Aspekte des Themas Personal-Akquise zur Sprache Olbricht: Nutzt ihr neben dem Internet gebracht oder möchtet ihr noch etwas ergänzen? auch Printmedien? Müller: Wir sind relativ neu in der fwg und bringen Müller: Für unsere Werkstatt in Fechenheim such- auch einen „Blick von außen“ ein. Wir glauben, dass ten wir einen Aushilfsfahrer. Dabei inserierten wir unsere Perspektive auch Veränderungen anregt, die auch im Fechenheimer Wochenblatt und hängten in der kommenden Zeit „Früchte“ tragen werden. Handzettel in den größeren Geschäften entlang der Hanauer Landstraße aus. Die Rückmeldungen waren auch hier ganz gut.
1/2023 19 Olbricht: Die Leistungen der fwg werden Olbricht: Liebe Kolleginnen, vielen Dank im Sektor Ost der Stadt Frankfurt an vielen für eure Bereitschaft zu diesem Interview verschiedenen Standorten mit unterschiedlichen und für eure Zeit. Weiterhin guten Erfolg bei der Angeboten erbracht. Diese dezentrale Struktur ist Suche nach neuen Kolleginnen und Kollegen. neuen Mitarbeitenden zunächst unvertraut. Die Startergruppe, eine bewährte Maßnahme der fwg, soll hier Abhilfe schaffen. Ihr, liebe Kolleginnen seid selbst in der Startergruppe, wie gefällt euch dieses Format? Virde: Die Startergruppe wird von allen neuen Mitarbeiter*innen sehr positiv aufgenommen. Jahresprogramm Müller: Die Themen des Jahresprogramms der der Startergruppe Startergruppe zeigen wie umfassend dort informiert 27.01.23 Soziale Teilhabe / Wohnen wird. Der offene Austausch und das Nachfragen wie 24.02.23 Vorstellung MAV wir hier „angekommen“ sind, wird nicht nur von mir 31.03.23 fwg der Verein positiv empfunden. Gutes Miteinander und gegen- 28.04.23 Offener Austausch seitige Achtsamkeit zeichnen die Teamarbeit in der 26.05.23 Teilhabe an Arbeit / Führung CP fwg aus. 30.06.23 Berufliche Bildung / Führung MUS 28.07.23 Soziale Teilhabe / Olbricht: Wer hat das Programm Führung Löwenhof der Startergruppe erarbeitet? 25.08.23 Personalentwicklung in der fwg 29.09.23 Personenzentrierung / Wohnen Müller: Die Gesamtleitungskonferenz (GLK). 27.10.23 Leitbild der fwg 24.11.23 Geschäftsstelle / Olbricht: Welche beruflichen Aufgaben Unterstützungsprozesse habt ihr im Zusammenhang mit der Starter- 08.12.23 Einbindung der fwg in gruppe? die Gemeindepsychiatrie Müller: Wir organisieren die Teilnahme, die Termine, die Räumlichkeiten und wir laden ein.
20 akut! TOCHTER- UND BETEILIGUNGSGESELLSCHAFTEN Verleihung der Serafina 2022 im Struwwelpeter Museum Nachwuchspreis geht an Cynthia Häflinger für eine Graphic Novel über psychische Erkrankung VON BEATE ZEKORN-VON BEBENBURG Bereits im dritten Jahr wurde während der Buch- „Fremde Blicke hat die Form eines sich selbst verge- messe ein wichtiger Nachwuchspreis für Illustration wissernden Tagebuchs, das wie ein Erinnerungsproto- im Struwwelpeter Museum verliehen. In diesem Jahr koll die schleichenden Anfänge einer Persönlichkeits- würdigt die Deutsche Akademie für Kinder- und veränderung festzuhalten sucht. Protokollantin ist Jugendliteratur in Volkach mit der „Serafina“ eine Yael, die sich fragt: Wo beginnt eine Geschichte und außergewöhnliche Graphic Novel, in der es um die wo hört sie auf? Cynthia Häfliger zeigt uns Skizzen psychische Erkrankung eines jungen Mannes geht. aus dem Alltag einer Familie, Begegnungen, Ge- Ausgezeichnet wurde die Schweizer Künstlerin spräche; im Fokus Yaels älterer Bruder Lars. Wir sehen Cynthia Häfliger für ihr bei kunstanstifter erschie- als Betrachter*innen, wie sich seine Gesichtszüge nenes Bilderbuch ‚Fremde Blicke’ (2022). Dr. Stefan und sein Inneres verändern, wie Realität und Wahn- Hauck vom Börsenblatt erläuterte in seiner Laudatio vorstellungen konkurrieren: Überall fühlt sich Lars auf die Preisträgerin die Wahl der Jury:
1/2023 21 beobachtet, belauert, er fürchtet, die Kaffeebohnen Vielleicht ist es ihre frühere Tätigkeit als Floristin, die könnten vergiftet sein und der Nachbar wolle ihn als der Illustratorin zu einem untrüglichen Gespür für das inkarnierte Böse vernichten. All das nimmt ihm organische Strukturen verholfen hat, die das Werden die Luft zum Atmen. und Vergehen von Farben und Linien erfassen. Und zur Erkenntnis, dass Veränderungen passieren und Häfliger gibt dem Misstrauen Konturen, lässt die partout nicht steuerbar sind. Ihre sensiblen Beobach- Linien zerbrechlicher werden, zittern, sich auflösen, tungen jedenfalls haben die Jury überzeugt.“ lässt die schützenden Innenräume in Aquarell erst verschwimmen, dann zerfließen – es sind Metaphern für die sich immer mehr auflösenden Gewisshei- ten, die die Familie bislang hatte. Geordnete Panels wechseln mit großformatigen Szenen, die Raum für sich beanspruchen und eine Dynamik schaffen. Häfliger setzt Worte grafisch in Buchstaben, die eine Seite zerspringen lassen. Die Künstlerin zeigt, wie die Hilflosigkeit im Umgang mit dem Bruder und dessen zunehmender Realitätsverlust die Nerven bei Schwes- ter und Eltern blanklegen. Die Frage nach dem Warum der Veränderungen wird raumfüllend und erdrückt sie – bis die Krankheit die Worte dominiert und eine kraftvolle Linienführung die Wut, die Angst mit einem Knall explodieren lässt – danach die Leere, die Apathie. Nach einer Zeit in der Psychiatrie reflektiert Lars sein Verhalten – was er in Worte zu fassen sucht, erweitert Häfliger in verästelnden, fließenden blauen Linien, die nicht enden zu scheinen – Sinnbild für die Psycho- Cynthia Häfliger: Fremde Blicke. se. Und dabei immer wieder in kleinen Szenen die Mannheim: Kunstanstifter, 2022. belastende Frage, die für die Familie wie der Elefant ISBN: 978-3-948743-15-4. Format: 196 x 260 mm. im Raum schwebt: Haben wir Mitschuld, haben wir Umfang: 136 Seiten. Preis: 24 € etwas falsch gemacht?
22 akut! TOCHTER- UND BETEILIGUNGSGESELLSCHAFTEN Moderne Struwwelpeter-Zeiten Gemälde von Angela Bugdahl im Struwwelpeter Museum VON BEATE ZEKORN-VON BEBENBURG Angela Bugdahl nähert sich dem alten Struwwel- in der alten Villa in der Schubertstraße den Bilder- peter mit modernem Blick. Sie verknüpft Heinrich zyklus in einer Kabinettausstellung. Im Anschluss an Hoffmanns zwischen 1844 und 1847 entstandenen die Ausstellung stiftete die Künstlerin die Gemälde Geschichten mit Themen der Gegenwart. Ihre realis- dem Museum. Als viel beachtete Leihgabe gingen die tisch anmutenden Gemälde erzählen assoziativ von Gemälde in eine Struwwelpeter-Ausstellung in der Klimawandel, Schulhofgewalt, Rassismus, Fastfood- Ludwigsgalerie Schloss Oberhausen im Jahr 2019. Konsum oder auch Smartphone-Unfällen. Die aus- drucksstarken Arbeiten verdeutlichen die überzeitli- Die 1943 in Ungarn geborene Künstlerin bezeich- che Aktualität von Heinrich Hoffmanns Geschichten, net ihren Stil als „Modernen Realismus“ und grenzt von denen die Hanauerin zum künstlerischen Dialog sich damit zum Fotorealismus ab. Ihre Stilmittel sind mit der Bilderwelt des Biedermeier angeregt wurde. enorme Vergrößerungen von Gegenständen, Licht- Schatten-Kontraste und neutrale Hintergründe, vor Die Bilder der Ausstellung ‚Moderne Struwwelpeter- die sie isoliert das Objekt stellt. In vielen ihrer Ge- Zeiten’ stammen aus zwei Schaffensperioden: Bereits mälde lädt sie die Betrachtenden ein, sich ganz auf 2004 begann Angela Bugdahl mit dem Struwwel- den dargestellten Gegenstand zu konzentrieren und peter-Projekt. Diese ersten Bilder wurden im selben die Botschaft des Bildes zu entdecken. Ganz bewusst Jahr in Frankfurts Partnerstadt Guangzhou in China schafft sie so einen Gegenpol zur Informationsflut ausgestellt. 2007 zeigte das Struwwelpeter Museum unserer Gesellschaft. Der Suppen-Kaspar und der böse Friedrich neu interpretiert
1/2023 23 Ob Hanns Guck-in-die-Luft oder Suppen-Kaspar – Mütze mit Fridays for Future-Logo fliegt wie Roberts die Charaktere aus den über 175 Jahre alten Bildge- Hut davon. schichten sind fest im kollektiven Gedächtnis ver- ankert. Wenige Bildzitate reichen Angela Bugdahl Die Gewalt an Schulhöfen ist ein weiteres aktuelles aus, um die gewünschte Assoziation an das Original Thema, das Angela Bugdahl eindrücklich im Gemäl- auszulösen. Sie reduziert die bekannten Geschichten de „Der böse Friedrich“ visualisiert. Hier verbindet auf wesentliche Elemente und umgibt sie mit neuen sie assoziativ zwei Stränge aus Hoffmanns Original- Objekten. Zum Suppen-Kaspar kombiniert sie als er- Geschichte: Friedrich peitscht zuerst sein Gretchen, neutes ironisches Zitat aus der Kunstgeschichte Andy dann einen Hund, der ihn darauf ins Bein beißt. Im Warhols berühmte Campbell-Suppendose mit einem Gemälde tritt ein Junge, so legen es Kleidung und Stethoskop. So stellt sie den Suppen-Verweigerer Schuhe nahe, brutal auf einen wehrlos am Boden lie- Kaspar in den Kontext der Anorexia Nervosa. genden Jungen mit dem Fuß ein. Simultan attackiert den Schläger ein Schäferhund, der den Angreifer mit Eineinhalb Jahrzehnte später ließ sich die Hanauerin den Zähnen an der Hose zurückzuziehen versucht. erneut vom Struwwel-Kosmos inspirieren. Das Verge- Den Hintergrund bildet eine gesprayte Wand mit hen der Zeit, die Veränderung der Umwelt sind nun Graffitis. in ihren Arbeiten spürbar. Struwwelpeter am Zeiger der Uhr geht bildlich mit der Zeit. Autokolonne und So bietet die Ausstellung vielfältige Impulse Regenvorhang bilden die sturmgepeitschte Kulisse zum Nachdenken über die Welt, in der wir leben. für die Arbeit zum Fliegenden Robert. Ein Mädchen, Bis Ende April 2023 ist sie im Struwwelpeter Museum das mit ihren Zöpfen an die schwedische Umwelt- zu sehen. aktivistin Greta Thunberg erinnert, kämpft sich mit aufgespanntem Regenschirm durch Starkregen und Überschwemmung. Damit stellt die Künstlerin den Bezug zum Klimawandel her, der beschleunigt wird Moderne Struwwelpeter-Zeiten durch den CO²-Ausstoß von Verbrennungsmoto- Gemälde von Angela Bugdahl ren. Der fliegende Robert heute hebt nicht mehr Ausstellung im Struwwelpeter Museum im Sturmwind ab. Sein Schirm ist umgeklappt und noch bis zum 26. März 2023 damit untauglich zum Fliegen geworden. Nur die Struwwelpeter geht mit der Zeit: Der fliegen- de Robert als Opfer des Klimawandels
24 akut! Blick in die freundlichen Räume von Vitos Reha in Kassel TOCHTER- UND BETEILIGUNGSGESELLSCHAFTEN Über die Beseitigung einer Versorgungslücke Die RPK-Geschichte von Vitos und der fwg VON DR. SABINE KRESS Rehabilitation für Menschen mit eher schwere- Dieser Versorgungslücke haben sich die Expertin- ren psychischen Erkrankungen ist in Deutschland nen und Expertinnen bei Vitos, der fwg und bei den keine Selbstverständlichkeit, da das Angebot nicht Lebensräumen in Offenbach schon seit fast 20 Jahren flächendeckend vorhanden ist. gewidmet. Allein sind wir aber nicht vorangekom- men, die Widerstände bei den Krankenkassen und Rentenversicherungen, die diese Leistung bezahlen müssen, waren einfach zu hoch. 2013 2014 Gründung der Start der Vitos Reha Vitos Reha gGmbH Frankfurt mit 15 ganztags-ambulanten etzte Abstimmungsgespräche: 2013 gründete die fwg zusammen mit L der Stiftung Lebensräume Offenbach und der Vitos Hochtaunus GmbH Plätzen (Vitos Reha) eine gemeinsame Tochtergesellschaft zum Betrieb von RPK-Einrichtungen
1/2023 25 Also haben wir uns im Jahr 2012 zusammen an den An allen Standorten gab es von Anfang an Tisch gesetzt und unsere Kräfte gebündelt. Vitos eine große Nachfrage, die Plätze waren schnell hatte die medizinischen Spezialisten und Erfahrun- belegt. Selbst die Pandemie haben wir gut gen mit einer RPK in Nordhessen (damals die RPK überstanden. Wir wundern uns nicht darüber. Guxhagen). Die fwg und die Lebensräume Offenbach Wir machen weiter. Die „weißen Flecken“ auf lieferten die Vernetzung in Südhessen und jahrzehn- der Hessenkarte sind uns Ansporn genug. telange Erfahrung und Expertinnen und Experten in der sozialtherapeutischen Begleitung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Wir gründeten eine gemeinsame Gesellschaft, die Vitos Reha gGmbH. Im Jahr 2014 startetet dann als erste Einrichtung dieser Gesellschaft die Vitos Reha Kassel Frankfurt. Werra- Waldeck- Meißner- Zwei Jahre mussten wir noch ums Geld kämpfen, Frankenberg Kreis dann hatten wir mit den Krankenkassen und der Schwalm- Eder-Kreis Rentenversicherung einen guten Kompromiss ge- Hersfeld- funden und konnten mit der Entwicklung weiterer Marburg- Rotenburg Standorte beginnen. Biedenkopf Lahn- Vogelsbergkreis 2017 wurde die Vitos Reha Kassel gegründet (aus Dill-Kreis Gießen der ehemaligen RPK Guxhagen) und in die Gesell- Fulda Limburg- schaft aufgenommen. Hier bieten wir inzwischen Weilburg ganztags-ambulante Plätze an und versorgen einen Wetteraukreis Hoch- großen Bereich der Region in und um Kassel. taunus- kreis Rheingau- Main-Kinzig-Kreis Taunus- Main- Hanau Mitten in der Pandemie ging dann die Vitos Reha Ha- Kreis Taunus- Kreis nau an den Start. Ende 2020 wurden die ersten Re- Offenbach Groß- habilitanden und Rehabilitandinnen aufgenommen. Gerau ie Standorte von D Darmstadt- Hier sind wir auf 30 Plätze angewachsen. Dieburg Vitos Reha in Hessen Odenwald- Und zehn Jahre nach dem ersten Gründungstreffen, Bergstraße kreis nämlich im Juli 2022 konnten wir das Team der Vitos Reha Wiesbaden starten lassen, die zunächst 20 ganztags-ambulante Plätze in Wiesbaden-Biebrich anbieten werden. 2017 2020 2022 2022 Übergang der RPK-Guxhagen Start der Vitos Reha Start der Vitos Reha Vitos Reha GmbH in die Vitos Reha, Umzug nach Hanau mit 20 ganztags- Wiesbaden mit 20 4 Standorte Kassel und Umstellung auf 35 ambulanten Plätzen ganztags-ambulanten 50 Mitarbeiter*innen ganztags-ambulanten Plätze Plätzen 120 Rehabilitationsplätze
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