100 JAHRE FRAUEN- WAHL-RECHT - Land Vorarlberg
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100 JAHRE FR AUEN- WAHL- RECHT Eine Initiative der Länder Tirol und Vorarlberg zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern.
– INHALT 01 Vorwort 03 KAPITEL 1 › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT‹ 04 > Frauen in Regierungsverantwortung < Interview mit den Landesrätinnen Gabriele Fischer (Tirol) und Katharina Wiesflecker (Vorarlberg) 10 > Ringen um das Frauenwahlrecht < Frauenpolitische Errungenschaften von 1848 bis 1918 17 > Das Frauenwahlrecht in Europa < Länderübersicht 18 > Share your experience < Erfahrungen 21 KAPITEL 2 › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹ 22 > Ungleich, aber gleichwertig < Interview mit Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot 26 > 100 Jahre Frauenwahlrecht < Meilensteine in der Frauenpolitik ab 1918 34 > Share your experience < Erfahrungen 37 KAPITEL 3 › ES DÜRFEN RUHIG NOCH MEHR WERDEN ‹ 38 > Das sagen die Jungen < Neuer Feminismus oder Rückschritt? 42 > Share your experience < Erfahrungen 44 > Regional, kommunal, feminin < Sieben Thesen von Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle Fotos: Land Tirol/Müller, Land Vorarlberg/Serra Medieninhaber/Herausgeber: IMPRESSUM Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. Gesellschaft und Arbeit – Bereich Frauen und Gleichstellung, Heiliggeiststraße 7, 6020 Innsbruck; www.tirol.gv.at/frauen Amt der Vorarlberger Landesregierung, Abt. Gesellschaft, Soziales und Integration – Referat für Frauen und Gleichstellung, Römerstraße 15, 6900 Bregenz; www.vorarlberg.at/frauen Redaktion und Produktion: „Welt der Frau“-Corporate Print; www.welt-der-frauen.at Druckerei: PrintOn, Johann Seiberl, Loosdorf Auflage: 3.500 Stück; DVR: 0059463, 0058751 Mai 2018 –
– › VORWORT ‹ 100 Jahre Frauenwahlrecht: Landesrätin Gabriele Fischer (links) und Landesrätin Katharina Wiesflecker leiten als zuständige Politikerinnen der Länder Tirol und Vorarlberg das Jubiläumsjahr 2018 ein. › FRAUEN IN POLITIK UND GESELLSCHAFT: WIR BLEIBEN DRAN! ‹ 100 Jahre Frauenwahlrecht sind Anlass, die Landtag beträgt der Frauenanteil 30,5 Prozent politische Teilhabe von Frauen in den Mittelpunkt (Stand 31. Jänner 2018). Unter den sieben zu stellen. Wir wollen besonders den jungen Mitgliedern der Vorarlberger Landesregierung Frauen Mut machen, politische Verantwortung sind seit 2009 zwei Frauen (Frauenanteil: 28,6 zu übernehmen und sich auch in politischen Prozent). Funktionen zu engagieren. Dort, wo die Politik den Menschen am nächsten Im November 1918, mit der Gründung der Ersten ist – auf Gemeindeebene – ist der Frauenanteil am Republik, erhielten Frauen in Österreich das aktive niedrigsten. In Tirol gibt es knapp sechs Prozent und passive Wahlrecht. Nach jahrzehntelangem Bürgermeisterinnen (17 Bürgermeisterinnen Kampf wurde schließlich das allgemeine, gleiche, von insgesamt 179) und der Frauenanteil in den direkte und geheime Wahlrecht für alle Menschen Gemeinderäten beträgt 20 Prozent. ohne Unterschied des Geschlechtes in Österreich eingeführt. 1919 waren Frauen zum ersten Mal Eine Wanderausstellung begleitet 2018 und 2019 wahlberechtigt. Veranstaltungen rund um die Geschehnisse von der Einführung des Frauenwahlrechts bis heute. In Seitdem sind Frauen in Parlamenten und der vorliegenden Broschüre sind die Meilensteine Regierungen vertreten – allerdings nicht im der letzten 100 Jahre aufgezeigt, und engagierte gleichen Ausmaß wie Männer. Im Vorarlberger Frauen kommen zu Wort. 1
KAPITEL 1 / – › FRAUEN IN REGIERUNGS- VERANTWORTUNG ‹ INTERVIEW Männern ist zwar verfassungsmäßig verankert, Das Frauenwahlrecht in Österreich doch bis zur faktischen Gleichstellung ist es noch ist jetzt ein ganzes Jahrhundert alt. ein langer, steiniger Weg. Dabei ist es vonnöten, Bemühungen um Frauenrechte gab es immer wieder auf die offensichtlichen und ver- in jedem der neun Bundesländer. Für steckten Ungleichheiten hinzuweisen. Es gilt, das Tirol und Vorarlberg blicken die Landes- Erreichte zu feiern und auf die noch ausstehenden rätinnen Gabriele Fischer und Katharina To-dos aufmerksam zu machen. Wiesflecker zurück in die Vergangenheit, – gestatten Einblicke in ihre politische Als Startpunkt des Kampfes ums Frauenwahl Arbeit und geben einen Ausblick auf recht wird häufig das Revolutionsjahr 1848 das, was noch zu tun bleibt in Sachen genannt. Umgesetzt wurde die Forderung in Gleichstellungspolitik. Österreich 1918 – also 70 Jahre später. Wie schnell, langwierig, einfach oder mühsam empfinden Sie es in Ihrer Position als Mitglied 1918 wurde das Frauenwahlrecht in der Landesregierung, gleichstellungspolitische Österreich eingeführt. Warum ist es heute – Ideen zu realisieren? 100 Jahre d anach – wichtig, auf die Erlangung Katharina Wiesflecker: Natürlich sind solche dieses Rechts aufmerksam zu machen? Prozesse oft langwierig und man braucht für Gabriele Fischer: Die Einführung des Frauen- die unterschiedlichen Vorhaben einen langen wahlrechts war ein Meilenstein. Damit wurde Atem und viel Ausdauer. Wir messen seit einigen es Frauen ermöglicht, an Entscheidungen von Jahren jährlich anhand von 30 Indikatoren für gesellschaftspolitischer Relevanz mitzuwirken die Gleichstellung von Frauen und Männern, Foto: Land Tirol/Müller und somit auch ihre ganz persönliche Lebensge- inwieweit wir im Erreichen von gleichstellungs- staltung zu beeinflussen und zu verändern. Das politischen Zielen vorankommen. In manchen Frauenwahlrecht ist allerdings nur ein – freilich Bereichen gelingen gute Fortschritte, wie zum wesentlicher – Teil auf dem Weg zur Gleichstel- Beispiel bei der Erhöhung des Frauenanteils in lung. Denn die Gleichberechtigung von Frauen und der Führungsebene im Landesdienst und vor 4 –
– – › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹ DIin Gabriele Fischer ist seit März 2018 Mitglied der Tiroler Landesregierung. In ihre Zuständigkeit fallen u. a. allem auf der Expertinnen- und Expertenebene. Frauenpolitik, Soziales, Flüchtlingswesen, In manchen Bereichen erfolgen Fortschritte, aber Staatsbürgerschaftsangelegenheiten, eben nur Schritt für Schritt, zum Beispiel beim Stiftungs- und Fondswesen, Kinder- und Anteil der Frauen in Gemeindevertretungen. Im Jugendhilfe und Integration. dritten Bereich reden wir von „kontinuierlicher Stagnation“, das heißt, in diesen Bereichen gelingen kaum Fortschritte. Hier ist vor allem der Gender Pay Gap zu nennen – die Einkommensun- terschiede zwischen Männern und Frauen. – Vorarlberg weist österreichweit Role-Models in allen Bereichen. Es gilt, traditio- die größte Differenz zwischen Männern nelle Rollenbilder kritisch zu hinterfragen und zu und Frauen auf. Was führt hier speziell zu überwinden. diesem Einkommensunterschied? – Wiesflecker: Bei uns sind wegen der Grenznähe Rückblickend auf die Geschichte der zur Schweiz Männergehälter traditionell höher. Frauenbewegungen: Frau Landesrätin Fischer, Fraueneinkommen werden oft als „familiäres gibt es eine Person, die Sie sich zum Vorbild Zubrot“ gesehen. Es muss daher auf allen genommen haben? Und was können wir heute Ebenen angesetzt werden: beim raschen und von den Pionierinnen lernen? leistbaren Ausbau der Kinderbetreuung und der Fischer: Eine Frau, die ich sehr bewundere, ist Ganztagsschule, bei der Bewertung der Arbeit, Marthe Gosteli. Als Bauerntochter geboren, wurde vor allem in den Branchen, in denen vorwiegend sie zur Vorreiterin der schweizerischen Frauenbe- Frauen arbeiten. Und auch beim Angebot von wegung im Kampf um das Frauenstimmrecht. Was flexiblen Arbeitszeiten, die es Männern und mich so beeindruckt, ist das zivilgesellschaftliche Frauen erlauben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Engagement, das sie zeitlebens an den Tag legte. Wir müssen außerdem bezahlte und unbezahlte Als Mitglied der Frauenbewegung, als Präsidentin Arbeit gerecht aufteilen. Und: Frauen brauchen des bernischen Frauenstimmrechtsvereins und 5
KAPITEL 1 / – Vizepräsidentin des Bundes Schweizerischer Frauenorganisationen sowie als Gründerin der › Es gilt, Rollenbilder kritisch Gosteli-Foundation kämpfte sie unermüdlich für die Gleichstellung der Frauen. Sie ist Vorbild für zu hinterfragen und zu alle folgenden Generationen von Frauen und zeigt, überwinden. Frauen brauchen wie es geht: Eine Gesellschaft kann nur verändert Role-Models in allen Bereichen. ‹ werden, wenn es von unten nach oben passiert, Katharina Wiesflecker sprich wenn es die Basis ist, die Politik verändert. Landesrätin für Frauen, Vorarlberg – Im Jahr 2000 startete auf Initiative des Referats für Frauen und Gleichstellung Fischer: Entscheidungen der Politik müssen aus der Vorarlberger Landesregierung das meiner Sicht auch wissenschaftlich fundiert sein. überparteiliche „Frauennetzwerk“, in dem nun Als Frauenlandesrätin bin ich dankbar für Inputs landesweit über 90 Frauen aktiv sind. Frau und Anregungen von verschiedensten Seiten, um Landesrätin Wiesflecker, wie nehmen Sie der Gleichstellung von Frauen näher zu kommen. dieses Projekt wahr? Aus diesem Grund empfinde ich auch die Arbeit Wiesflecker: Dieses Konzept hat Zukunft, da des Masterstudiums „Gender, Kultur und Sozialer wünsche ich mir weiterhin viel Engagement. Ein Wandel“ als sehr wertvoll und bereichernd. Erfolgsfaktor ist die Organisationsstruktur, denn – die verbindet drei Handlungsebenen miteinander: Frau Wiesflecker, als Landesrätin sind Sie unter die Landesebene, die regionale und die kommu- anderem für das Frauenressort zuständig. Wann nale Ebene. Die Bilanz der letzten 17 Jahre zeigt, und aus welchen persönlichen Erfahrungen dass Gleichstellungsarbeit genau dort wirkt, wo heraus wurden Gleichstellungsfragen in Ihrem die Frauen leben: in der Gemeinde. Wir wissen, Leben präsent? dass an der Basis die kritischen und vermutlich Wiesflecker: Ich hatte das Glück in einem auch brennenden Themen beheimatet sind. Mein Elternhaus aufzuwachsen, in dem das Bewusst- Bestreben ist es daher, die Gemeindemandatarin- sein vorherrschte, dass jeder und jede – egal ob nen, beziehungsweise Gemeindevertreterinnen in Tochter oder Sohn – eine Berufsausbildung oder diese Arbeit ganz bewusst immer wieder mitein- die Matura abschließen sollte. Obwohl wir zu Hau- zubeziehen. Es gibt für die Frauensprecherinnen se vier Kinder waren, lebten mir beide Elternteile noch viel zu tun. Sie sind „Botschafterinnen“; sie Berufstätigkeit vor, und es war bei uns klar, dass übernehmen oft die Aufgabe, gute Ideen sichtbar man als erwachsene Person imstande sein muss, zu machen, sie zeigen auf, was notwendig zu tun finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Das war ist und weisen immer wieder darauf hin, dass sicherlich eine prägende Sozialisierung für mich. Frauen die Hälfte der Menschheit sind. Später erlebte ich natürlich auch in unterschiedli- – chen Kontexten ungleiche Behandlung. Im Laufe Foto: Land Vorarlberg/Serra Innsbruck hat den Vorteil, eine Universitäts der Zeit, vor allem auch in meiner langjährigen Tä- stadt zu sein. Seit 2010 wird hier das Inter tigkeit bei den Grünen, wuchs die Sensibilisierung. fakultäre Masterstudium „Gender, Kultur und – Sozialer Wandel“ angeboten. Wie gestaltet sich Geschlechterthemen werden in Boulevard in diesem Bereich der Austausch zwischen medien gerne als „Genderwahn“ abgetan und Forschung und Politik? auch zwischen Parteien sehr kontrovers und 6 –
– › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹ emotional diskutiert. Was macht die Kritik an Ehrenamt für das politische und Geschlechternormen derart zum Zankapfel? gesellschaftliche Leben in Tirol? Wiesflecker: Geschlechtergerechte Sprache Fischer: Wie es bereits das Leben und Engage- erhitzt oft die Gemüter. Sprache ist ein Abbild ment von Marthe Gosteli zeigt: Eine unabhängige, unserer Realität: Frauen sind oft nur mitgemeint. lebendige, aktive und kritische Zivilgesellschaft ist Da zeigt sich, dass noch immer keine Gleichstel- Ausdruck einer pluralistischen und demokratischen lung vorhanden ist. Sexistische Darstellungen Gesellschaft. Sie fördert die politische Ausei- finden sich in unserer unmittelbaren Umgebung, nandersetzung um die besten Lösungen, stößt auf öffentlichen Plätzen, in und an Gebäuden, auf Veränderungsprozesse an und übt eine wichtige Straßen, eben dort, wo sich Menschen permanent Kontrollfunktion aus. Nicht zuletzt dient das Zivil- aufhalten. Durch sie werden Frauen weiter in ihrer engagement der Sicherung des gesellschaftlichen unterlegenen Position gehalten. Weil sie omniprä- Zusammenhalts. Das freiwillige und unentgeltlich sent sind, haben wir diese ungleichen Bilder und geleistete Engagement ist ein unverzichtbares sprachlichen Gewohnheiten verinnerlicht. Wenn Kernelement unserer Gesellschaft. sie kritisiert werden, trifft das die Menschen auch – persönlich. Sexistische Werbung umfasst eine Nur zwei von den sieben Regierungsmitgliedern große Bandbreite an Darstellungen und reicht in Vorarlberg sind Frauen, im Landtag liegt von sexualisierten Bildern über die Reduktion von der Frauenanteil bei einem Drittel. Nehmen Sie Frauen auf ihren Körper bis zu klischeehaften als Teil der Regierung in diesem Kontext eine Rollen. Das kann sowohl Männer als auch Frauen „männliche“ Organisationskultur wahr? betreffen. Tatsächlich werden überwiegend Frau- en in sexualisierter, klischeehafter oder abwerten- der Weise dargestellt. – Frau Landesrätin Fischer, Sie waren fast Katharina Wiesflecker ist seit Oktober 2014 20 Jahre ehrenamtlich im „Elternverein für die Grünen in der Vorarlberger Landes- Kinderklinik“ aktiv und haben dafür auch regierung für die Agenden Soziales, Frauen, eine Auszeichnung des Tiroler Frauenvereins Pflege, Kinder- und Jugendhilfe sowie Klein- Lilie erhalten. Welche Funktion erfüllt kindbetreuung verantwortlich. 7
KAPITEL 1 / – Für Landesrätin Katharina Wiesflecker sind Frauen- rechte nicht verhandelbar. Es sind Menschenrechte, sie gehören zur Demokratie. Wichtig erscheint ihr, dem internationalen Frauentag solidarisch zu begegnen. Wiesflecker: Wenn man/frau Beruf und Familie benden Zeit abseits der Termine umzugehen. Ich verbinden will, erlebe ich, dass Politik generell muss zugeben, dass die sogenannte „Ich-Zeit“ nicht familienfreundlich ist. Das heißt, in meiner dabei das erste ist, was auf der Strecke bleibt. Funktion stellt die „Organisationskultur“ die An- – forderung, viel Zeit für die Politik zur Verfügung Welche Möglichkeiten im Sinne der Gleich- zu stellen und sehr belastbar zu sein. Darüber stellung bietet das Amt der Landesrätin, in hinaus funktionieren eher Mechanismen, die mit welchen Bereichen ist es schwer, Maßnahmen Machtpositionen in Verbindung stehen, wenn zum zu setzen? Beispiel der Landeshauptmann ruft, muss man/ Fischer: Im Regierungsprogramm 2018–2023 frau zur Verfügung stehen. Das trifft aber die hat sich die Tiroler Landesregierung dazu be- männlichen Kollegen genauso. kannt, dass Chancengleichheit erreicht, Teilhabe – ermöglicht und Selbstbestimmung von Frauen Nach fünf Jahren im Tiroler Landtag sind Sie, als Selbstverständlichkeit begriffen werden soll. Frau Fischer, nun Teil der Landesregierung. Wie Ziel ist es, Ungleichheiten weiter abzubauen und herausfordernd ist der Alltag als Politikerin? Diskriminierungen zu bekämpfen. Wir wollen den Fischer: Allen voran ist mein Alltag sehr span- politischen Rahmen so stecken, dass eine indivi- Fotos: Land Vorarlberg/Serra, Land Tirol/Müller nend. Ich habe mit den verschiedensten Menschen duelle Lebensplanung ermöglicht wird und dass und den unterschiedlichsten Themenbereichen Erwerbs- und Familienleben keinen Widerspruch zu tun. Da kommt keine Langeweile auf. Heraus- darstellen – weder für Frauen noch für Männer. fordernd ist vor allem die zeitliche „Eintaktung“: Gleichzeitig haben wir uns vorgenommen, die Ich versuche, mir zwischen den Terminen einige Ungleichheiten im Berufsleben einzuebnen. Dazu Verschnaufpausen zu gönnen, allerdings hat ein gehört die Förderung von Frauen in Führungs- Tag nun mal nur 24 Stunden. Besonders als allein- positionen genauso wie die Sichtbarmachung von erziehende Mutter von zwei Kindern, mit denen Frauenleistungen für die Gesellschaft. Wir haben man natürlich so viel Zeit wie möglich verbringen für diese Ziele ein umfangreiches und konkretes möchte, bedeutet dies, sparsam mit der verblei- Maßnahmenbündel vereinbart, das mir eine sehr 8 –
– › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹ gute Basis bietet, als Frauenlandesrätin viele Schritte, hin zu einer Verbesserung der weiblichen Lebenswelt, zu setzen. › Wir wollen, – dass Erwerbs- und Der diesjährige 8. März steht im Zeichen Familienleben des Wahlrechts-Jubiläums; mittlerweile gibt es keinen Widerspruch für Frauen Rabatte, Glückwünsche und darstellen. ‹ Blumen zu diesem Anlass. Woran denken Sie Gabriele Fischer am internationalen Frauenkampftag? Landesrätin für Frauen, Tirol Wiesflecker: Ich bin mir nicht sicher, ob wir von einem Frauenkampftag sprechen müssen. Klar ist, dass Frauenrechte nicht verhandelbar sind. Es sind Menschenrechte, sie gehören zur Demokratie. Wichtig erscheint mir, dem internatio- Fischer: Wenn ich mir die vorliegende Broschüre nalen Frauentag weltweit solidarisch zu begegnen. ansehe, begeistern mich vor allem die Portraits Solange Gleichstellung nicht wirklich durchgesetzt der jungen Frauen, die mir Hoffnung und Ansporn ist, gilt es an Tagen wie diesen festzuhalten, was geben. Die jüngere Generation der Frauen und einerseits erreicht wurde, und andererseits darauf Mädchen denkt frei und lässt sich nicht mit hinzuweisen, wie viel Arbeit noch vor uns liegt, auf irgendwelchen Labels versehen – dazu gehören der individuellen, betrieblichen, institutionellen auch Titel wie Feministin oder Emanze. Aber das, und vor allem der gesellschaftspolitischen Ebene. was sie tun, um ihr Umfeld, die Gesellschaft oder – auch die Politik zu verändern, ist durchaus ein Wie beurteilen Sie die Haltung junger Frauen Kampf für mehr Frauenrechte. Ich sehe daher gegenüber Gleichstellung und Feminismus – keinen Rückschritt, sondern einfach eine Verände- findet ein Backlash statt, oder ist es cool, rung bei der Wahl ihrer Mittel, um frauenpolitische Feministin zu sein? Forderungen zu artikulieren und umzusetzen. / Für Landesrätin Gabriele Fischer war die Einführung des Frauenwahlrechtes ein Meilen- stein. Doch es gibt noch viel zu tun. Umso mehr begeistert sie das Engagement junger Frauen für mehr Frauenrechte. 9
KAPITEL 1 / – › RINGEN UM DAS FRAUEN- WAHLRECHT ‹ 1848–1918 Die Erlangung des Frauen- Der Ausgangspunkt für diesen Der Kampf um das Frauen- wahlrechts 1918 steht am Kampf in der Habsburgermo wahlrecht von 1848 bis Ende eines steinigen Wegs mit narchie liegt im Revolutions- 1918 hat viele frauen vielen Rückschlägen – und ist jahr 1848. Erstmals werden politische Errungenschaf- dem unermüdlichen Kampf im Zuge der bürgerlich- ten auf den Weg gebracht von mutigen, visionären und demokratischen revolutionären und war wesentliche beharrlichen Frauen auf der Bewegung auch Stimmen von Grundlage für die Aner- ganzen Welt zu verdanken. unzufriedenen Frauen laut, kennung von gesellschaft- Dieses gemeinsame Ziel hat sie gehen gemeinsam mit den lichen und politischen zur internationalen Vernetzung Männern auf die Straße und Rechten für Frauen. Das von Frauen und zu einer Solida- fordern auch für sich bessere allgemeine Wahlrecht ist risierung geführt, die teilweise Arbeitsbedingungen sowie ein Meilenstein im Ringen auch Klassenunterschiede, demokratische Grundrechte. um Chancengleichheit. ideologische und religiöse Die Revolution rüttelt an den Frauen unterschiedlicher Grenzen überwinden konnte. Grundfesten der Monarchie, an Foto: ÖNB-Bildarchiv Herkunft haben lange, den eingefahrenen Strukturen aber schließlich erfolg- – der etablierten politischen reich dafür gekämpft. 1848: Die Revolution bringt Systeme Europas. Das liberale Frauen auf die Barrikaden Bürgertum, das wie weite Teile 1848 1866 Erstes frauenbewegtes Engagement Gründung des Wiener Frauen im Zuge der bürgerlichen Revolution. erwerbsvereins, der wirtschaftlich in Die Aufbruchsstimmung führt zur Not geratene Frauen unterstützt und Gründung des ersten Frauenvereins. sie auf das Berufsleben vorbereitet. 10 –
– › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹ der Bevölkerung im absolu- beim Gemeindeausschuss und tistischen Kaiserstaat keine dem Landtag wahlberech- Mitbestimmungsrechte besitzt, tigt. Die Dornbirner Lehrerin fordert Teilhabe an den Katharina Huber fordert 1897 politischen Entscheidungs auf rechtlichem Wege ihre Zu- prozessen. In dieser Stimmung lassung zur Wählerliste ein. Als stellt sich auch die Frage der Argument für ihren Anspruch Beteiligung von Frauen an auf das Wahlrecht stellt sie der Politik. Im Zuge dieser fest, dass sie „ihre Eignung für sogenannten Märzrevolution das Lehramt gleich dem Leh- von 1848 bilden sich die rer durch dieselben Studien notwendigen Strukturen für und ebenso viele Prüfungen einen bürgerlichen Staat, eine erbringen muß“. Dieses Aufbe- Verfassung und ein Parlament. gehren bleibt jedoch erfolglos. Es wird ein zumindest teil- Als 1889 in der niederösterrei- weises Wahlrecht für Männer chischen Gemeindewahlord- erzwungen. Die 1849 erlassene nung das Zensuswahlrecht für Die Pädagogin Marie Gemeindewahlordnung unter- Frauen eingeschränkt werden Schwarz ist 1889 eine der scheidet nicht nach Geschlech- soll, wird dies österreichweit Gründerinnen eines „Comité tern, das Stimmrecht basiert zur Initialzündung im Kampf in Angelegenheiten des vielmehr auf Steuerleistung. um das Frauenwahlrecht: Die Frauenstimmrechts“. So haben – wenige – privile- Lehrerinnen Auguste Fickert gierte Frauen vorübergehend und Marie Schwarz gründen das Wahlrecht. Sie dürfen aber ein „Comité in Angelegenhei- nicht persönlich wählen, son- ten des Frauenstimmrechts“, dern müssen sich von einem eine erste politische Frauen- Mann – meist dem Ehemann – versammlung findet statt, und bei der Wahl vertreten lassen. eine Petition wird gestartet. In Innsbruck sind besitzende Frauen zwischen 1849 und – 1874 bei Kommunalwahlen Erste Netzwerke: Die zugelassen. Danach wird diese Gründung der ersten „Gesetzeslücke“ geschlossen. Frauenvereine In Vorarlberg sind Lehrer als Bereits in der Aufbruchs- sogenannte Intelligenzwähler stimmung von 1848 ist der 1878 Mit der ersten Mutterschutzregelung gilt ein Mädchen können als Externistinnen die Beschäftigungsverbot für bis zu drei Wochen nach Matura an einem Knabengymnasium ablegen, der Geburt. Viele Frauen arbeiten aber auch in dieser Vorlesungen an der Universität dürfen sie nur Zeit, weil sie nicht auf den Lohn verzichten können. als Gasthörerinnen besuchen. 11
KAPITEL 1 / – Im Mai 1911 hält der „Bund Österreichischer Frauenvereine” seinen Bundestag ab – die Frauen versammeln sich zum Gruppenfoto vor der Wiener Handelskammer. erste „Wiener demokratische „Ausländer, Frauenspersonen gleichberechtigten Teilhabe an Frauenverein“ gegründet und Minderjährige“ dürfen der Gesellschaft führen und die worden, der den Beginn der an politischen Vereinen nicht Selbstbestimmung fördern. Das Frauenbewegung in Österreich teilnehmen. Dieser Paragraf Frauenwahlrecht wird in den markiert. Zu dessen Forderun- wird bis 1918 bestehen bleiben. Forderungen oft hintangestellt. gen gehört die Förderung und Trotz dieses kräftigen Gegen- Einige Frauenvereine „tarnen“ Verbreitung der Demokratie winds entstehen in der zweiten sich als Wohltätigkeitsvereine, und der Zugang zu Bildung. Die Hälfte des 19. Jahrhunderts widmen sich aber auch gesell- Aktivitäten des Vereins sind zahlreiche Frauenvereine, die schaftspolitischen Fragen. Der Fotos: ÖNB/Bildarchiv, Wikimedia, Unless Vienna aber nur von kurzer Dauer: sich großteils der Verbesse- „Allgemeine Österreichische Nach der Niederschlagung der rung von Bildungsmöglichkei- Frauenverein“, der 1893 im bürgerlichen Revolution wird ten für Mädchen und Frauen Zuge der Wahlrechtsdiskussion das Kriegsrecht verhängt und verschreiben. Eine fundierte um den Ausschluss von Frauen alle Vereine, die sich im Zuge Schulbildung, Mädchengymna- im niederösterreichischen der Revolution gegründet ha- sien und damit die Möglichkeit Landtags- und Gemeindewahl- ben, werden wieder aufgelöst. zur Absolvierung der Matura, recht gegründet wird, ist der 1867 wird der Ausschluss von der Zugang zu Bildungsein- erste österreichische Frauen- Frauen aus politischen Verei- richtungen und somit bessere verein, der dezidiert politische nen gesetzlich festgeschrieben: Berufschancen sollen zu einer Ziele verfolgt. 1890 1893 Der tschechische Frauenverein Mit dem „Allgemeinen Minerva eröffnet das erste Österreichischen Frauenverein“ wird private Mädchengymnasium der erste dezidiert politische Frauen- der Habsburgermonarchie. verein gegründet. 12 –
– › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹ Der Weg zum Wahlrecht der Parteiräson: Die Priorität Nach unermüdlichem Kampf liegt nun auf der Erlangung und vielen Rückschlägen in des allgemeinen Männerwahl- der zweiten Hälfte des 19. rechts. Die Christlichsozialen Jahrhunderts scheint es zu sind generell gegen die Einfüh- Beginn des neuen Jahrhun- rung des Frauenwahlrechts. derts berechtigte Hoffnung Die Forderung eines Frauen- auf ein Frauenwahlrecht zu stimmrechts ist in der Zwi- geben. Durch die steigende schenzeit zu einem interna- Erwerbstätigkeit sind Frauen tionalen Thema geworden: auch in den politischen Partei- 1904 findet in Berlin die en und den Gewerkschaften › Wir streben nicht zweite Internationale Frauen- stärker vertreten. Frauen sind blindlings das stimmrechtskonferenz statt, als Unternehmerinnen und Frauenwahlrecht auf der der „Weltbund für vor allem als Arbeiterinnen in an, sondern in Frauenstimmrecht“ gegrün- Industriebetrieben schon seit klarer Erkenntnis, det wird, die „International dem 19. Jahrhundert Teil des dass das Woman Suffrage Alliance“. Wirtschaftslebens. Wahlrecht In Österreich formiert sich Auch Männer dürfen am MACHT ist. ‹ 1905 ein Frauenstimmrechts- Anfang des 20. Jahrhunderts komitee, das Kundgebungen nach wie vor nur im Rahmen Marianne Hainisch organisiert, Unterschriften des Kurienwahlrechts wählen. Begründerin des sammelt und eine Resolution Die russische Revolution von „Bundes österreichischer formuliert, die 1906 an Minis- Frauenvereine” 1905, in deren Folge in Russ- terpräsident Paul Gautsch von land den Männern allgemeines Frankenthurn und die Parla- Wahlrecht zugestanden wird, mentspräsidenten übergeben entfacht auch in Österreich wird. Die Antwort der Politiker: den Kampf um das allgemeine Die Zeit sei noch nicht reif. Wahlrecht. Allerdings sind die politischen Lager unver- – rückbar positioniert: Während Erfolg und Rückschlag die liberalen Frauenvereine zugleich: Das allgemeine auch das Frauenwahlrecht Männerwahlrecht einfordern, beugen sich die Im Dezember 1906 wird im sozialdemokratischen Frauen Reichsrat beschlossen, dass 1902 1896 Frauen können die Matura an ausge- Unter der Führung der bürgerlich-liberalen Frauen- wählten Gymnasien ablegen und sind rechtlerin Marianne Hainisch wird mit dem „Bund damit zum Hochschulstudium (an philo- österreichischer Frauenvereine“ (BÖFV) eine erste sophischen Fakultäten) berechtigt. Plattform für bestehende Frauenvereine etabliert. 13
KAPITEL 1 / – Männer das allgemeine, glei- des Männerwahlrechts wieder che und geheime Wahlrecht intensiv in den Kampf ums erhalten sollen. Die Frauen Frauenwahlrecht ein und nut- gehen leer aus und verlieren zen dafür auch ihre internatio- sogar noch jene wenigen nale Vernetzung. Stimmrechte, die sie bisher Auf der zweiten Internatio- innehatten. nalen Sozialistischen Frauen- Das Parlament argumentiert konferenz in Kopenhagen im seine Entscheidung damit, August 1910 wird auf Vor- „dass bisher in allen Staaten schlag der deutschen Sozialis- Europas, in denen das allge- tin Clara Zetkin ein jährlicher meine Wahlrecht eingeführt „Frauenkampftag“ eingeführt. wurde, die Frauen unberück- Im folgenden Jahr, am 19. März sichtigt blieben und dass es 1911, findet er zum ersten Mal sehr bedenklich wäre, gerade in in Dänemark, Deutschland, „Heraus mit dem Frauen Österreich im Zeitpunkte einer Österreich, der Schweiz und in wahlrecht“ lautet der Slogan tiefgreifenden politischen Evo- den USA statt. für den Internationalen lution den Versuch, die Frauen Frauentag im Jahr 1914. zur Teilnahme am politischen Seit 1921 wird der Internatio Leben heranzuziehen, zu unter- nale Frauentag am 8. März nehmen.“ Als Reaktion bean- begangen. Die Wahl dieses tragt noch am Silvestertag Datums bezieht sich auf ein 1906 das Frauenstimmrechts- anderes historisches Ereig- komitee die Gründung eines nis: Die kommunistischen Fotos: Wikimedia, ÖNB/Seebald, Universität Wien Frauenstimmrechtsvereins, Arbeiterdemonstrationen in das Innenministerium lehnt St. Petersburg am Beginn der eine Bewilligung ab. russischen Februarrevolutio- Am 26. Jänner 1907 schließ- nen am 23. Februar 1917. Nach lich tritt das Wahlrecht für gregorianischem Kalender ist Männer in Kraft. das der 8. März. Das Frauenwahlrecht ist – die zentrale Forderung der Internationaler Frauentag ersten Frauentage und ihrer Die Sozialdemokratinnen Versammlungen und Demons- steigen nach der Einführung trationen. Daneben werden 1914– 1918 In Österreich, Dänemark, Erster Weltkrieg: Da die Männer im Kriegsdienst sind, 1911 Deutschland, der Schweiz und halten die Frauen das wirtschaftliche Leben aufrecht. den USA wird der erste Inter Die kriegsbedingte Not und Armut trifft an der nationale Frauentag begangen. „Heimatfront“ vor allem Frauen. 14 –
– › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹ Anlässlich des Frauenwahlrechtstages im März 1911 demonstrieren 15.000 Frauen auf der Wiener Ringstraße. verbesserte Lebensbedin- jedoch die Situation grund- friedliche Weltordnung be- gungen für Frauen gefordert: legend. Er unterbricht die nannt werden. Darüber hinaus Kinder- und Mutterschutz, internationalen Beziehungen kommt es zu keiner internatio- mehr soziale Einrichtungen, zwischen den Frauenrecht- nalen Vernetzung während des Arbeitsschutzgesetze, Min- lerinnen, die Frauenvereine Krieges. Durch die angespann- destlöhne, der Acht-Stunden- haben nun andere Prioritäten. te politische Situation ist an Tag. Man spricht bereits von Sie unterstützen von der so- eine Änderung des Wahlrechts „gleichem Lohn für gleiche genannten „Heimatfront“ aus vorerst nicht zu denken. Arbeit“, eine Forderung, die den Kriegsdienst oder enga- Auch wenn Frauen offiziell bis heute unerreicht ist. gieren sich für den Frieden. nach wie vor nicht am politi- Der Weltbund für Frauen- schen Geschehen teilnehmen – stimmrecht organisiert 1915 dürfen, sind sie im Alltag so Der Erste Weltkrieg und seine einen internationalen Frauen- präsent wie noch nie. Da die Auswirkungen friedenskongress im hollän- Männer im Krieg sind, halten Noch im Juni 1913 findet in dischen Den Haag, den 1.200 die Frauen das wirtschaftliche Wien eine internationale Delegierte aus zwölf Ländern und administrative Leben Frauenstimmrechtskonferenz besuchen und auf dem Demo- aufrecht. statt. Der Ausbruch des Ersten kratie und Gleichberechtigung In Schwaz protestieren Tabak- Weltkriegs 1914 verändert als Voraussetzungen für eine arbeiterinnen in den Jahren 1918 Der Wöchnerinnen- Frauen erhalten Zugang zu allen 1917 schutz wird Fakultäten der Universität, mit Ausnahme auf sechs Wochen der Katholisch- bzw. Evangelisch- ausgeweitet. Theologischen Fakultät. 15
KAPITEL 1 / – 1917/18 gegen die mangelhafte gleiche, direkte und geheime Versorgung mit Lebensmitteln Verhältniswahlrecht „aller und die repressive Betriebslei- Staatsbürger ohne Unter- tung. Dies gipfelt in kollektiver schied des Geschlechtes“ wird Arbeitsverweigerung und im Artikel 9 des Gesetzes über Tumulten in der Fabrik. die Staats- und Regierungs- form verankert. Generell übernehmen Frauen Das aktive Wahlrecht wird administrative Tätigkeiten ab dem 20. Lebensjahr, das in den Ämtern, arbeiten in passive Wahlrecht ab dem 29. öffentlichen Berufen, wie etwa Lebensjahr gesetzlich festge- als Straßenbahnfahrerinnen, legt. Mit einer Einschränkung: und werden so in der Öffent- Prostituierte sind noch bis lichkeit immer sichtbarer. 1923 vom Wahlrecht ausge- Bei der ersten Nationalrats Am Ende des Krieges sind schlossen. Zwischen 1920 und wahl der neuen Republik Frauen aus vielen Bereichen 1930 werden bei den Wahlen 1919 ist es soweit: der Gesellschaft nicht mehr verschiedenfarbige Kuverts Erstmals können auch wegzudenken. Dies hat Folgen: für Männer und Frauen Frauen ihr Wahlrecht Obwohl während der Kriegs- verwendet – zur Beobachtung ausüben. zeit keine politische Partei des Wahlverhaltens das Frauenstimmrecht explizit von Frauen. fordert, spricht sich 1918 die Mehrheit ihrer Vertreter für Österreich gehört damit nach die Einführung des Frauen- den nordischen Staaten zu wahlrechts aus. den ersten Ländern in Europa, die das Frauenwahlrecht – einführen. Das Erlangen des Das Frauenwahlrecht Wahlrechts ist zweifelsohne wird eingeführt ein Meilenstein für die Frauen- Der 12. November 1918 – der politik. Zugleich aber ist es der Tag der Ausrufung der Repu- Beginn eines noch längeren blik – ist schließlich auch der Weges zur gesellschaftlichen Tag, für den Aktivistinnen so Gleichstellung von Frauen und viele Jahrzehnte gekämpft Männern, der bis heute nicht hatten: Das allgemeine, zu Ende ist. / Foto: ÖNB/picturedesk.com 1918 Das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Verhältniswahlrecht „aller Staatsbürger ohne Unter- schied des Geschlechtes“ wird im Artikel 9 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform verankert. 16 –
– 1920 › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹ › DAS FRAUENWAHLRECHT IN EUROPA ‹ In der ersten Hälfte des 1906 20. Jahrhunderts wird in 1913 den meisten europäischen Ländern das aktive und 1921 1918 passive Wahlrecht für Frauen eingeführt. Ist es in Finnland 1918 schon Anfang des Jahr- 1928 1915 1919 hunderts soweit, dauert es beispielsweise für die Frauen 1918 1917 in der Schweiz bis 1971. 1918 1948 1918 http://www.unwomen.org/~/media/headquarters/attachments/sections/library/publications/2011/progressoftheworldswomen-2011-en.pdf 1906 Finnland 1919 1913 Norwegen 1920 1915 Dänemark 1944 1918 Island 1971/ 1990 1984 1918 1918 Estland 1946 Deutschland Österreich 1931 1946 Ungarn (1976) 1931 1945 1944 Lettland 1934 Polen 1920 1919 Niederlande Luxemburg 1952 Quelle: United Nations Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women, 2011 Litauen 1920 Tschechoslowakei Albanien 1921 Schweden Im internationalen Vergleich: 1928 Großbritannien Von Wyoming bis Saudi-Arabien Irland Der Bundesstaat Wyoming im Westen der USA ist, wenn es 1931 Spanien um Frauenrechte geht, weltberühmt. Denn als erster neu- (1976) Portugal zeitlicher Bundesstaat erlaubt er es den Frauen (ab 1869) 1934 Türkei zu wählen. In Neuseeland erhalten Frauen 1893 das aktive 1944 Frankreich Bulgarien Wahlrecht (1919 das passive), ab 1902 können weiße Frauen 1945 Italien im neu gegründeten Commonwealth of Australia zur Wahl 1946 Jugoslawien gehen. Ab 1918 ist es in Russland für Frauen erlaubt, zu Rumänien wählen und gewählt zu werden. Es folgen die USA (1920), 1948 Belgien die Mongolei (1924), Kuba (1934) und die Philippinen (1937). 1952 Griechenland In Japan haben Frauen ab 1947, in China ab 1949 und in 1971 Schweiz 1984 Liechtenstein Indien ab 1950 umfassendes Wahlrecht. In Afghanistan 1990 Kanton Appenzell und im Iran ab 1963, im Irak ab 1980. 1994 findet die erste Innerrhoden, Wahl in Südafrika statt, bei der alle Frauen und Männer, Schweiz unabhängig von ihrer Hautfarbe, wählen dürfen. In Kuwait dauert es bis 2005, in Saudi-Arabien bis 2015. / 17
KAPITEL 1 / – › SHARE YOUR EXPERIENCE ‹ ERFAHRUNGEN In fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens lassen sich weibliche Vorbilder finden, an denen Frauen sich orientieren können. Sie ebnen den Weg für Nachfolgerinnen und erleichtern es jeder Einzelnen, sich selbst in einer machtvollen › 1994 war es für mich von Vorteil, Position vorzustellen: eine der wenigen Politikerinnen in dieser Fotos: Privat, ÖVP-Klub, Alexandre Louvet, Privat „Wenn sie es geschafft hat, kann ich das auch!“ Männerwelt zu sein. Viele Lienzer Bürger Hier berichten einige waren stolz, Tirols erste Bürgermeisterin zu dieser Vorreiterinnen haben. Als meine Kinder klein waren, hätte von ihren Beweg- gründen und sagen, ich kein politisches Amt annehmen wollen. worauf es ankommt. Sie Andere Frauen entscheiden sich, wie ich, machen Mut, es ihnen in erster Linie für die Familie. ‹ gleichzutun. Helga Machne, erste Bürgermeisterin Tirols, ehemalige Bürger- meisterin von Lienz, ehemalige Nationalrätin, ÖVP (geb. 1938) 18 –
– › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹ › Bürgermeisterin ist ein sehr schönes politisches Amt, weil man sehr nahe bei den Menschen und ihren Sorgen ist, aber auch viele Glücksmomente teilen darf! Besonders motivierend für mich war es, ein Sozialzentrum zu eröffnen, dessen Konzept ich entwickelt und dessen Entstehen ich begleitet habe. ‹ Anna Franz, erste Bürgermeisterin Vorarlbergs, ehemalige Bürgermeisterin von Bezau, ÖVP (geb. 1953) › Digitalisierung und Automatisierung werden in Zukunft unsere Arbeitswelt radikal verändern, vor allem in den klassischen Bürojobs. Es muss jetzt schon an Maßnahmen gearbeitet werden, damit dies nicht auf Kosten der Frauen geht. ‹ Eva Lichtenberger, ehemalige Landesrätin, EU-Parlaments- abgeordnete und Nationalrätin, GRÜNE (Tirol, geb. 1954) › Frauen, ihr müsst euch melden! Nehmt euch Beispiele an anderen Frauen, übt, bereitet euch vor und lasst euch nicht einschüchtern. Vor meiner politischen Laufbahn war ich Lehrerin. An meiner Schule habe ich einen Elternverein gegründet und, entgegen der Erwartungen, gesagt: ‚Ich will nicht Schriftführerin werden, ich stelle mich der Obfrauwahl.’ ‹ Elisabeth Gehrer, ehemalige Bildungsministerin, ÖVP (Vorarlberg, geb. 1942) 19
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– KAPITEL 2 › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹ 21
KAPITEL 2 / – › UNGLEICH, ABER GLEICHWERTIG ‹ INTERVIEW Liebe weh tut“ das Konzept des Anerkennungs- Ulrike Guérot ist Universitätsprofessorin marktes, demzufolge Frauen in erster Linie und leitet das Department für Europa Anerkennung von Männern suchen. Männer politik und Demokratieforschung an der bestimmen diesen Markt und damit darüber, Donau-Universität Krems. Ihr Thema: Die was etwas wert ist. Das erklärt, warum – der Zukunft der europäischen Demokratie. Im Beobachtung des Wahlverhaltens von Wählerin- Interview gibt sie Auskunft über das Wahl- nen zufolge – Frauen gerne Männer wählen. verhalten von Frauen, spricht über das – Erbe der Suffragetten und darüber, welche Gibt es denn keinen Geschlechter Schlachten heute noch zu schlagen sind. zusammenhalt, eine Solidarität unter Frauen? Frauen wählen nicht Frauen? Nein. Ein Beispiel: Marine Le Pen hat eine ganz Wählen Frauen anders als Männer? klar männliche Wählergruppe. Der durchschnitt- Man kann nicht generell sagen: Frauen wählen liche Le Pen-Wähler ist älter, männlich, ungebil- eher links, weil sie ein großes Herz haben und det. Man kann also nicht sagen, dass, weil Le Pen sich um die Familie kümmern und Männer wäh- eine Frau ist, die Frauen sie jetzt aus Geschlech- len eher rechts. Man kann entlang politischer tersolidarität wählen. Im Gegenteil: Der Front Linien keinen „Gender Gap“ bei Wahlen festma- National musste sehr dafür kämpfen, die weibli- chen. Strukturell zeigen Frauen kein anderes chen Stimmen zu bekommen. Erst nachdem Wahlverhalten als Männer. Was man aber sagen Le Pen sich ab 2012 für Abtreibung ausgespro- kann, ist, dass es im Prinzip einen „Feminismus chen hat, konnte sie eine bestimmte Zielgruppe Gap“ oder „Sexismus Gap“ gibt: Frauen wählen liberaler Frauen gewinnen. Auch mit Ségolène Männer. Und besonders gerne wählen sie Royal gab es bei der Präsidentschaftswahl 2007 Foto: Judith Affolter attraktive Männer. Pablo Iglesias, Alexis Tsipras, in Frankreich keine weibliche Solidarität. Emmanuel Macron – das sind tatsächlich junge, – attraktive Männer. Die Sozialwissenschaftlerin Liegt das daran, wie diese Frauen sich Eva Illouz beschreibt in ihrem Buch „Warum präsentieren? 22 –
– – › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹ Univ-Prof.in Dr.in Ulrike Guérot leitet das Department für Europapolitik und Demokratie forschung an der Donau- Universität Krems. Es liegt gar nicht daran, dass sie Frauen sind. noch ein männlich dominiertes Geschäft. Und Nehmen wir Ségolène Royal und Angela Merkel: das heißt: Alle Verhaltensregeln von Männern Das ist nicht der gleiche Frauentyp. Royal trägt kommen hier zur Anwendung. Um in der Politik High-Heels, Lippenstift, kurze Röcke und hat erfolgreich zu sein, braucht man Killerinstinkt, schöne Beine. Angela Merkel ist zwar eine Frau, man muss Leute wegbeißen, Macht anstreben. sie wirkt aber nicht so. Wir erleben in keiner Das alles sind Merkmale, die mit Frauen nicht Weise, dass sie ihre Erotik oder ihre Feminität konform gehen. Frauen wollen nicht unbedingt ausspielt. Die männliche Seite wiederum spielt kämpfen und andere Leute wegbeißen. oft ihre Attraktivität für Frauen aus. Man kann – also sagen, dass hier der Typ „schöner Mann“ Es kann doch nicht das Ziel sein, dass wir weiblichen Sexismus bedient, während es bei sagen: Wir müssen mehr wie Männer agieren, Frauen offensichtlich – siehe Ségolène Royal – um in die Politik zu kommen. Müssten wir nicht eher problematisch ist, wenn Frauen mit ihrer eigentlich die Strukturen verweiblichen? Erotik, mit ihrer Schönheit punkten wollen. Kein Hier sind wir bei der heiß umstrittenen Frage Mensch regt sich auf, wenn ein Mann – wie der der Quote. Ich persönlich war lange gegen die deutsche FDP-Politiker Christian Lindner – im Quote, weil ich auch zu den Frauen gehört habe, Unterhemd Wahlkampf macht. Aber können Sie die sagen: „Ich hab’s geschafft, jede kann es sich eine Sekunde lang vorstellen, Angela Merkel schaffen, wenn sie will.“ Mit zunehmendem Le- hätte im Negligé einen Wahlwerbespot gedreht? bensalter bin ich jetzt für die Quote, weil sie die Die Republik hätte getobt. männlichen Machtstrukturen durchbrechen kann – und endlich auch das Argument knackt, dass Ist diese Ungleichheit ein Grund dafür, dass jeder Mann automatisch kompetent sei, nur weil mehr Männer als Frauen politisch aktiv sind? er arbeitet. Die Quote würde dafür sorgen, dass Es gelten hier dieselben Argumente, die wir ins wir – zynisch gesagt – mindestens genauso viele Feld führen, wenn es generell um die Benachtei- unqualifizierte Frauen in wichtigen Jobs haben ligung von Frauen im Beruf geht. Auch wenn sich wie es heute unqualifizierte Männer in wichtigen das tendenziell gebessert hat, ist Politik immer Jobs gibt, eben weil es für sie bislang keinen 23
KAPITEL 2 / – anderen Lebensentwurf gibt. Frau hat Kinder, Politik zu haben, noch lange nicht, dass Frauen Karriere oder beides, die hat ja verschiedene auch für frauentypische Themen kämpfen. Die Lebensentwürfe. Was die Quote angeht, gibt es Hälfe aller Posten mit Frauen zu besetzen, macht soziologische Studien darüber, wann die Macht- allein noch keine Frauenrechtspolitik. strukturen brechen. Es fängt bei 40 Prozent – Frauenanteil an, dass die Männer ihr Verhalten Das heißt: Männer, die sich für Frauenthemen an den weiblichen Rahmen anpassen müssen. einsetzen und feministische Politik betreiben – – wie etwa der kanadische Präsident Justin Wären Frauen eigentlich die besseren Politiker? Trudeau – müssten wir eigentlich gendermäßig Es ist erwiesen, dass Frauen sachorientierter sind als Frau werten und zur Quote dazurechnen? als Männer und nicht unbedingt ihr eigenes Vor Genau. Die letzten 30 Jahre Gendertheorie von ankommen in den Vordergrund stellen. Das Pro Judith Butler & Co hat hervorragende Arbeit blem aber ist, dass sie im politischen Raum immer geleistet. Sie hilft uns zu sagen: Es geht doch dafür sorgen müssen, dass sie gewählt werden. um fortschrittliche Politik, es geht um Gleich- Mit Sachargumenten im Sinne von „wir müssen stellung, um Gleichwürdigkeit, um Equal Pay. Es den Gürtel enger schnallen“ gewinnt man aber geht nicht um Gleichheit. Frauen und Männer nicht unbedingt Stimmen. Und deshalb ist eine sind nicht gleich, wir sind ganz ungleich. Nur: Frau nicht nur von ihrem Sozialverhalten sondern In dieser Ungleichheit müssen wir gleichwertig auch von dieser Sachorientierung her strukturell sein. Und das wäre der politische Kampf. Ob in der Politik benachteiligt. Daher heißt nur eine Sie diesen Kampf mit Männern oder mit Frauen Quote zu erfüllen und 40 Prozent Frauen in der betreiben, ist völlig egal. Ulrike Guérot plädiert für 40 Prozent Frauenanteil in Wirtschaft und Politik, um männliche Macht strukturen aufzubrechen. Foto: Judith Affolter 24 –
– › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹ Man vergisst leicht, wie hart das Wahlrecht für die Frauen gelten? 1918 wurde erkämpft, erkämpft wurde. Wäre es wichtig, diese dass die Universalität der Menschenrechte Errungenschaft wieder ins Bewusstsein zu auch für Frauen gilt. Diese aufklärerischen und heben? emanzipatorischen Debatten müssen immer Die Frauen haben das Wahlrecht von den wieder aufs Neue geführt werden. Gerade sind Männern nicht bekommen und schon gar nicht wir dabei, wieder an Emanzipation zu verlieren. geschenkt. Es wurde erkämpft, mit Tod, mit Es gibt ganz starke Korrelationen zwischen Blut und mit Gewalt. Es war höchst brutal, das einer politischen Debatte über Nationalismus sollten wir nicht vergessen. und Populismus und einem konservativen Frau- Anfang des 20. Jahrhunderts gab es nur enbild. Keine Abtreibung, Frauen an den Herd. männliche Journalisten, weil also Männer Das lässt sich auf alles anwenden, was unter die Deutungshoheit hatten, wurde über die dem Stichwort „Femonationalismus“ steht. Suffragettenbewegung nicht berichtet. Darauf- Menschen, von denen wir jetzt nicht gerade hin haben die Suffragetten Gewalt angewen- feministische Argumente erwarten, wie zum det, haben in London Postkästen in die Luft Beispiel in Deutschland von den Mitgliedern gesprengt, um Aufmerksamkeit zu erregen. der AfD, spielen sich auf einmal als B eschützer Als das immer noch nicht reichte, ist Emily von Frauen auf. Dahinter steht im Grunde, Davison bei einem Pferderennen 1913, bei dem dass Männer Kontrolle über die Frauen wol- König Georg V und Kameraleute aus aller Welt len. Vermeintlich sind wir im 21. Jahrhundert anwesend waren, mit einem Plakat vor ein Pferd angekommen und vermeintlich sind Frauen und gesprungen. Sie ist wortwörtlich für das Frauen Männer auch gleichgestellt. Dass wir aber in wahlrecht gestorben. Ihr Foto ging um die diesen nationalistischen Debatten wieder alte ganze Welt, die Bewegung konnte nicht mehr Gender-Schlachten führen, dass Männer wieder unterdrückt werden. Kontrolle über Frauen wollen und dass dies eine Dass nach dem ersten Weltkrieg im Zuge der der Ziehkräfte für Nationalismus und Populis- Republikgründungen in Österreich, Deutschland mus ist – das darf man nicht vergessen. und einigen anderen Ländern das Frauenwahl- – recht eingeführt wurde, das muss man ganz Wir dürfen uns also nicht ausruhen auf den klar benennen, war nur möglich, weil es den Errungenschaften der Suffragetten. Es gibt Männern abgerungen wurde. noch Schlachten zu schlagen? – Absolut. Heute machen wir den nächsten Heute sind Frauen und Männer rechtlich Schritt: gleiche Bezahlung, Equal Pay. Wir haben gleichgestellt, der Kampf um die Emanzipation immer noch Einkommensunterschiede von 20 der Frauen scheint sich abgekühlt zu haben. Prozent. Die emanzipatorische Agenda ist nie Ist das tatsächlich so? zu Ende, ist immer zyklisch. Die Geschichte ist Der erste Satz der Menschenrechtserklärung eine Abfolge von Öffnungs- und Schließungs ist ein Erbe der Französischen Revolution: „Alle agenden,was die Emanzipation betrifft. Menschen sind geboren frei und gleich in ihren Wir haben jetzt nach 30 Jahren Öffnung Rechten.“ 1789, zur Zeit der Französischen Re- überall in Europa homophobe, a ntifeministische volution, galt das natürlich nur für die Männer. Bewegungen, wir sind mitten in einer Die Suffragetten der ersten Stunde haben ge- Schließungsagenda. Und nie galt es so sehr sagt: Alle Menschen, könnte das vielleicht auch wie heute, Frauenrechte zu verteidigen. / 25
KAPITEL 2 / – ›100 JAHRE FRAUEN- WAHLRECHT ‹ 1919–2018 Der 16. Februar 1919 ist ein als politische Akteurinnen Das Jahr 1918 gilt als historischer Tag für Österreich. spricht man den Frauen häufig Fotos: David Liuzzo, CS/hildegardburjan.at, Fotosammlung Vorarlberger Landtag der Startschuss für Bei der ersten Nationalratswahl keine eigene Meinung zu, viel- ein Jahrhundert, in der neuen Republik sind Frauen mehr wird erwartet, dass sie dem Frauen und ihre erstmals wahlberechtigt und die Wahlpräferenzen ihrer Ehe- Anliegen endlich Ein- für den Einzug in den National- männer oder anderer Autoritä- zug in die politischen rat wählbar. Die größten ten übernehmen. Männliche Institutionen halten. wahlwerbenden Parteien (die Einflussnahmen finden wohl In diesen 100 Jahren Sozialdemokratische Arbei- auch tatsächlich statt, wie die brachten zunächst terpartei, die Christlichsoziale damalige Erstwählerin Angela die zwei Weltkriege Partei sowie die Großdeutsche Weinberger berichtet: „Mein massive Rückschläge Volkspartei) stehen zum ersten Chef hat mir damals schon für jegliche Gleich- Mal vor der Herausforderung, gesagt, wie ich mich verhalten stellungsprozesse. die weibliche Bevölkerung für soll und was ich wählen soll, Doch seither ist viel sich zu gewinnen. er war ja selber ein großer passiert, wurde vieles Sozialdemokrat.“ Trotz der erreicht. – Vermutung, dass sich die Die neue Wählerinnenschaft proletarischen Frauen aktiver Aufgrund ihrer Unerfahrenheit an den Wahlen beteiligen 1934 1919 16. Februar 1919: Bei der ersten In der Maiverfassung des autori- Nationalratswahl der neuen Republik tären christlichsozialen „Stände- sind Frauen erstmals voll wahl- staats“ wird die Gleichheit der berechtigt (aktiv und passiv). Geschlechter eingeschränkt. 26 –
– › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹ werden als Frauen aus dem noch eine Vertreterin der christlichsozialen Segment, in Großdeutschen Volkspartei in dem das Bild der politisch ak- die Konstituierende National- tiven Frau bis 1918 vollständig versammlung (1919-1920) ein. abgelehnt wird, erhalten die Olga Rudel-Zeynek, die von Christlichsozialen die Mehrheit 1920 bis 1927 für die Christ- der Wählerinnenstimmen. Das lichsozialen im Nationalrat verdanken sie mitunter dem sitzt, wird als Vertreterin der Umstand, dass in den traditio- Steiermark erste Präsidentin nell christlichsozial geprägten des Bundesrates. Bundesländern Kärnten, Tirol In der provisorischen Tiroler und Vorarlberg, in denen Landesversammlung 1918/1919 Frauen weniger politisiert sind, ist mit der deutschfreiheitli- Wahlpflicht herrscht. chen Marianne Schneider eine Frau vertreten, in den dama- – ligen „Tiroler Nationalrat“ Hildegard Burjan wird als Politikerinnen der ziehen nach den Wahlen 1919 eine von acht Frauen nach der ersten Nationalratswahl ersten Stunde zwei Frauen, eine Sozialdemo- 1919 ins Parlament gewählt. Insgesamt geht die Sozial- kratin und eine Christlichso- Sie ist die einzige christlich- demokratische Partei mit 1,2 ziale, ein. Erst 1959 kommen soziale Abgeordnete. Millionen Stimmen als stärkste in Vorarlberg mit Elfriede Kraft aus diesen Wahlen her- Blaickner (ÖVP) und Anna vor und stellt 72 Abgeordnete Mayr (SPÖ) die ersten Frauen in der Nationalversammlung – in den Landtag. sieben davon sind Frauen: Anna Boschek, Emmy Freund- – lich, Adelheid Popp, Gabriele Frauenpolitik in der Proft, Therese Schlesinger, Ersten Republik Amalie Seidel und Marie Tusch. Aktivistinnen, die zuvor in Mit Hildegard Burjan, der der bürgerlichen beziehungs- einzigen Christlichsozialen, weise sozialistischen Frauen sitzen nun acht Frauen im bewegung für das Frauen- neu gewählten Parlament. wahlrecht gekämpft hatten, Im September 1920 zieht mit engagieren sich auch in der Lotte Furreg schließlich auch Zwischenkriegszeit – zum Teil 1959 1945 25. November 1945: Die erste Elfriede Blaickner (li., ÖVP) Nationalratswahl der Zweiten Republik und Anna Mayr (SPÖ) sind findet statt. Helene Postranecky (KPÖ) Vorarlbergs erste weibliche wird zur ersten Staatssekretärin. Landtagsabgeordnete. 27
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