100 JAHRE FRAUEN- WAHL-RECHT - Land Vorarlberg

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100 JAHRE FRAUEN- WAHL-RECHT - Land Vorarlberg
100
 JAHRE
FR AUEN-
 WAHL-
 RECHT
Eine Initiative der Länder
Tirol und Vorarlberg zur Förderung der
­Gleichstellung von Frauen und Männern.
100 JAHRE FRAUEN- WAHL-RECHT - Land Vorarlberg
–

 INHALT

   01        Vorwort

 03          KAPITEL 1        › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT‹
 04          > Frauen in Regierungsverantwortung <
               Interview mit den Landesrätinnen Gabriele Fischer (Tirol)
               und Katharina Wiesflecker (Vorarlberg)
  10         > Ringen um das Frauenwahlrecht < Frauenpolitische Errungenschaften von 1848 bis 1918
  17         > Das Frauenwahlrecht in Europa < Länderübersicht
  18         > Share your experience < Erfahrungen

  21         KAPITEL 2        › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹
  22         > Ungleich, aber gleichwertig < Interview mit Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot
  26         > 100 Jahre Frauenwahlrecht < Meilensteine in der Frauenpolitik ab 1918
  34         > Share your experience < Erfahrungen

 37          KAPITEL 3        › ES DÜRFEN RUHIG NOCH MEHR WERDEN ‹
 38          > Das sagen die Jungen < Neuer Feminismus oder Rückschritt?
 42          > Share your experience < Erfahrungen
 44          > Regional, kommunal, feminin <
               Sieben Thesen von Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle

                                                                                                                 Fotos: Land Tirol/Müller, Land Vorarlberg/Serra

            Medieninhaber/Herausgeber:
IMPRESSUM

            Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. Gesellschaft und Arbeit – Bereich Frauen und Gleichstellung,
            Heiliggeiststraße 7, 6020 Innsbruck; www.tirol.gv.at/frauen
            Amt der Vorarlberger Landesregierung, Abt. Gesellschaft, Soziales und Integration – Referat für
            Frauen und Gleichstellung, Römerstraße 15, 6900 Bregenz; www.vorarlberg.at/frauen
            Redaktion und Produktion: „Welt der Frau“-Corporate Print; www.welt-der-frauen.at
            Druckerei: PrintOn, Johann Seiberl, Loosdorf
            Auflage: 3.500 Stück; DVR: 0059463, 0058751
            Mai 2018

                                                                                                           –
100 JAHRE FRAUEN- WAHL-RECHT - Land Vorarlberg
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100 Jahre Frauenwahlrecht: Landesrätin Gabriele Fischer (links) und Landesrätin
Katharina Wiesflecker leiten als zuständige Politikerinnen der Länder Tirol und Vorarlberg
das Jubiläumsjahr 2018 ein.

› FRAUEN IN POLITIK UND GESELLSCHAFT:
WIR BLEIBEN DRAN! ‹

100 Jahre Frauenwahlrecht sind Anlass, die            Landtag beträgt der Frauenanteil 30,5 Prozent
politische Teilhabe von Frauen in den Mittelpunkt     (Stand 31. Jänner 2018). Unter den sieben
zu stellen. Wir wollen besonders den jungen           Mitgliedern der Vorarlberger Landesregierung
Frauen Mut machen, politische Verantwortung           sind seit 2009 zwei Frauen (Frauenanteil: 28,6
zu übernehmen und sich auch in politischen            Prozent).
Funktionen zu engagieren.                             Dort, wo die Politik den Menschen am nächsten
Im November 1918, mit der Gründung der Ersten         ist – auf Gemeindeebene – ist der Frauenanteil am
Republik, erhielten Frauen in Österreich das aktive   niedrigsten. In Tirol gibt es knapp sechs Prozent
und passive Wahlrecht. Nach jahrzehntelangem          Bürgermeisterinnen (17 Bürgermeisterinnen
Kampf wurde schließlich das allgemeine, gleiche,      von insgesamt 179) und der Frauenanteil in den
direkte und geheime Wahlrecht für alle Menschen       Gemeinderäten beträgt 20 Prozent.
ohne Unterschied des Geschlechtes in Österreich
eingeführt. 1919 waren Frauen zum ersten Mal          Eine Wanderausstellung begleitet 2018 und 2019
wahlberechtigt.                                       Veranstaltungen rund um die Geschehnisse von
                                                      der Einführung des Frauenwahlrechts bis heute. In
Seitdem sind Frauen in Parlamenten und                der vorliegenden Broschüre sind die Meilensteine
Regierungen vertreten – allerdings nicht im           der letzten 100 Jahre aufgezeigt, und engagierte
gleichen Ausmaß wie Männer. Im Vorarlberger           Frauen kommen zu Wort.

                                                                                                          1
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KAPITEL 1 /   –

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        KAPITEL 1

    › WIR HABEN
    SCHON VIEL
     ERREICHT‹

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100 JAHRE FRAUEN- WAHL-RECHT - Land Vorarlberg
KAPITEL 1 /                                                                                        –

                 › FRAUEN IN
                REGIERUNGS-
              VERANTWORTUNG ‹
                                                    INTERVIEW

                                                    Männern ist zwar verfassungsmäßig verankert,
     Das Frauenwahlrecht in Österreich              doch bis zur faktischen Gleichstellung ist es noch
     ist jetzt ein ganzes Jahrhundert alt.          ein langer, steiniger Weg. Dabei ist es vonnöten,
     Bemühungen um Frauenrechte gab es              immer wieder auf die offensichtlichen und ver-
     in jedem der neun Bundesländer. Für            steckten Ungleichheiten hinzuweisen. Es gilt, das
     Tirol und Vorarlberg blicken die Landes-       Erreichte zu feiern und auf die noch ausstehenden
     rätinnen Gabriele Fischer und Katharina        To-dos aufmerksam zu machen.
     Wiesflecker zurück in die Vergangenheit,       –
     gestatten Einblicke in ihre politische         Als Startpunkt des Kampfes ums Frauenwahl­
     Arbeit und geben einen Ausblick auf            recht wird häufig das Revolutionsjahr 1848
     das, was noch zu tun bleibt in Sachen          genannt. Umgesetzt wurde die Forderung in
     ­Gleichstellungspolitik.                       Österreich 1918 – also 70 Jahre später. Wie
                                                    schnell, langwierig, einfach oder mühsam
                                                    empfinden Sie es in Ihrer Position als Mitglied
1918 wurde das Frauenwahlrecht in                   der Landesregierung, gleichstellungspolitische
Österreich eingeführt. Warum ist es heute –         Ideen zu realisieren?
100 Jahre d ­ anach – wichtig, auf die Erlangung    Katharina Wiesflecker: Natürlich sind solche
dieses Rechts aufmerksam zu machen?                 Prozesse oft langwierig und man braucht für
Gabriele Fischer: Die Einführung des Frauen-        die unterschiedlichen Vorhaben einen langen
wahlrechts war ein Meilenstein. Damit wurde         Atem und viel Ausdauer. Wir messen seit einigen
es Frauen ermöglicht, an Entscheidungen von         Jahren jährlich anhand von 30 Indikatoren für
gesellschaftspolitischer Relevanz mitzuwirken       die Gleichstellung von Frauen und Männern,
                                                                                                         Foto: Land Tirol/Müller

und somit auch ihre ganz persönliche Lebensge-      inwieweit wir im Erreichen von gleichstellungs-
staltung zu beeinflussen und zu verändern. Das      politischen Zielen vorankommen. In manchen
Frauenwahlrecht ist allerdings nur ein – freilich   Bereichen gelingen gute Fortschritte, wie zum
wesentlicher – Teil auf dem Weg zur Gleichstel-     Beispiel bei der Erhöhung des Frauenanteils in
lung. Denn die Gleichberechtigung von Frauen und    der Führungsebene im Landesdienst und vor

4                                                                                                  –
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                                                     DIin Gabriele Fischer ist seit März 2018
                                                     Mitglied der Tiroler Landesregierung.
                                                     In ihre Zuständigkeit fallen u. a.
allem auf der Expertinnen- und Expertenebene.        Frauenpolitik, Soziales, Flüchtlingswesen,
In manchen Bereichen erfolgen Fortschritte, aber     Staatsbürgerschaftsangelegenheiten,
eben nur Schritt für Schritt, zum Beispiel beim      Stiftungs- und Fondswesen, Kinder- und
Anteil der Frauen in Gemeindevertretungen. Im        Jugendhilfe und Integration.
dritten Bereich reden wir von „kontinuierlicher
Stagnation“, das heißt, in diesen Bereichen
gelingen kaum Fortschritte. Hier ist vor allem der
Gender Pay Gap zu nennen – die Einkommensun-
terschiede zwischen Männern und Frauen.
–
Vorarlberg weist österreichweit                      Role-Models in allen Bereichen. Es gilt, traditio-
die größte Differenz zwischen Männern                nelle Rollenbilder kritisch zu hinterfragen und zu
und Frauen auf. Was führt hier speziell zu           überwinden.
diesem Einkommensunterschied?                        –
Wiesflecker: Bei uns sind wegen der Grenznähe        Rückblickend auf die Geschichte der
zur Schweiz Männergehälter traditionell höher.       Frauenbewegungen: Frau Landesrätin Fischer,
Fraueneinkommen werden oft als „familiäres           gibt es eine Person, die Sie sich zum Vorbild
Zubrot“ gesehen. Es muss daher auf allen             genommen haben? Und was können wir heute
Ebenen angesetzt werden: beim raschen und            von den Pionierinnen lernen?
leistbaren Ausbau der Kinderbetreuung und der        Fischer: Eine Frau, die ich sehr bewundere, ist
Ganztagsschule, bei der Bewertung der Arbeit,        Marthe Gosteli. Als Bauerntochter geboren, wurde
vor allem in den Branchen, in denen vorwiegend       sie zur Vorreiterin der schweizerischen Frauenbe-
Frauen arbeiten. Und auch beim Angebot von           wegung im Kampf um das Frauenstimmrecht. Was
flexiblen Arbeitszeiten, die es Männern und          mich so beeindruckt, ist das zivilgesellschaftliche
Frauen erlauben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren.     Engagement, das sie zeitlebens an den Tag legte.
Wir müssen außerdem bezahlte und unbezahlte          Als Mitglied der Frauenbewegung, als Präsidentin
Arbeit gerecht aufteilen. Und: Frauen brauchen       des bernischen Frauenstimmrechtsvereins und

                                                                                                       5
100 JAHRE FRAUEN- WAHL-RECHT - Land Vorarlberg
KAPITEL 1 /                                                                                            –

Vizepräsidentin des Bundes ­Schweizerischer
Frauenorganisationen sowie als Gründerin der
                                                            › Es gilt, Rollenbilder kritisch
Gosteli-Foundation kämpfte sie unermüdlich für
die Gleichstellung der Frauen. Sie ist Vorbild für
                                                                zu hinterfragen und zu
alle folgenden Generationen von Frauen und zeigt,
                                                            überwinden. Frauen brauchen
wie es geht: Eine Gesellschaft kann nur verändert          Role-Models in allen Bereichen. ‹
werden, wenn es von unten nach oben passiert,
                                                                     Katharina Wiesflecker
sprich wenn es die Basis ist, die Politik verändert.
                                                                  Landesrätin für Frauen, Vorarlberg
–
Im Jahr 2000 startete auf Initiative des
Referats für Frauen und Gleichstellung                 Fischer: Entscheidungen der Politik müssen aus
der Vorarlberger Landesregierung das                   meiner Sicht auch wissenschaftlich fundiert sein.
überparteiliche „Frauennetzwerk“, in dem nun           Als Frauenlandesrätin bin ich dankbar für Inputs
landesweit über 90 Frauen aktiv sind. Frau             und Anregungen von verschiedensten Seiten, um
Landesrätin Wiesflecker, wie nehmen Sie                der Gleichstellung von Frauen näher zu kommen.
dieses Projekt wahr?                                   Aus diesem Grund empfinde ich auch die Arbeit
Wiesflecker: Dieses Konzept hat Zukunft, da            des Masterstudiums „Gender, Kultur und Sozialer
wünsche ich mir weiterhin viel Engagement. Ein         Wandel“ als sehr wertvoll und bereichernd.
Erfolgsfaktor ist die Organisationsstruktur, denn      –
die verbindet drei Handlungsebenen miteinander:        Frau Wiesflecker, als Landesrätin sind Sie unter
die Landesebene, die regionale und die kommu-          anderem für das Frauenressort zuständig. Wann
nale Ebene. Die Bilanz der letzten 17 Jahre zeigt,     und aus welchen persönlichen Erfahrungen
dass Gleichstellungsarbeit genau dort wirkt, wo        heraus wurden Gleichstellungsfragen in Ihrem
die Frauen leben: in der Gemeinde. Wir wissen,         Leben präsent?
dass an der Basis die kritischen und vermutlich        Wiesflecker: Ich hatte das Glück in einem
auch brennenden Themen beheimatet sind. Mein           Elternhaus aufzuwachsen, in dem das Bewusst-
Bestreben ist es daher, die Gemeindemandatarin-        sein vorherrschte, dass jeder und jede – egal ob
nen, beziehungsweise Gemeindevertreterinnen in         Tochter oder Sohn – eine Berufsausbildung oder
diese Arbeit ganz bewusst immer wieder mitein-         die Matura abschließen sollte. Obwohl wir zu Hau-
zubeziehen. Es gibt für die Frauensprecherinnen        se vier Kinder waren, lebten mir beide Elternteile
noch viel zu tun. Sie sind „Botschafterinnen“; sie     Berufstätigkeit vor, und es war bei uns klar, dass
übernehmen oft die Aufgabe, gute Ideen sichtbar        man als erwachsene Person imstande sein muss,
zu machen, sie zeigen auf, was notwendig zu tun        finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Das war
ist und weisen immer wieder darauf hin, dass           sicherlich eine prägende Sozialisierung für mich.
Frauen die Hälfte der Menschheit sind.                 Später erlebte ich natürlich auch in unterschiedli-
–                                                      chen Kontexten ungleiche Behandlung. Im Laufe
                                                                                                             Foto: Land Vorarlberg/Serra

Innsbruck hat den Vorteil, eine Universitäts­          der Zeit, vor allem auch in meiner langjährigen Tä-
stadt zu sein. Seit 2010 wird hier das Inter­          tigkeit bei den Grünen, wuchs die Sensibilisierung.
fakultäre Masterstudium „Gender, Kultur und            –
Sozialer Wandel“ angeboten. Wie gestaltet sich         Geschlechterthemen werden in Boulevard­
in diesem Bereich der Austausch zwischen               medien gerne als „Genderwahn“ abgetan und
Forschung und Politik?                                 auch zwischen Parteien sehr kontrovers und

6                                                                                                      –
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emotional diskutiert. Was macht die Kritik an         Ehrenamt für das politische und
Geschlechternormen derart zum Zankapfel?              gesellschaftliche Leben in Tirol?
Wiesflecker: Geschlechtergerechte Sprache             Fischer: Wie es bereits das Leben und Engage-
erhitzt oft die Gemüter. Sprache ist ein Abbild       ment von Marthe Gosteli zeigt: Eine unabhängige,
unserer Realität: Frauen sind oft nur mitgemeint.     lebendige, aktive und kritische Zivilgesellschaft ist
Da zeigt sich, dass noch immer keine Gleichstel-      Ausdruck einer pluralistischen und demokratischen
lung vorhanden ist. Sexistische Darstellungen         Gesellschaft. Sie fördert die politische Ausei-
finden sich in unserer unmittelbaren Umgebung,        nandersetzung um die besten Lösungen, stößt
auf öffentlichen Plätzen, in und an Gebäuden, auf     Veränderungsprozesse an und übt eine wichtige
Straßen, eben dort, wo sich Menschen permanent        Kontrollfunktion aus. Nicht zuletzt dient das Zivil-
aufhalten. Durch sie werden Frauen weiter in ihrer    engagement der Sicherung des gesellschaftlichen
unterlegenen Position gehalten. Weil sie omniprä-     Zusammenhalts. Das freiwillige und unentgeltlich
sent sind, haben wir diese ungleichen Bilder und      geleistete Engagement ist ein unverzichtbares
sprachlichen Gewohnheiten verinnerlicht. Wenn         Kernelement unserer Gesellschaft.
sie kritisiert werden, trifft das die Menschen auch   –
persönlich. Sexistische Werbung umfasst eine          Nur zwei von den sieben Regierungsmitgliedern
große Bandbreite an Darstellungen und reicht          in Vorarlberg sind Frauen, im Landtag liegt
von sexualisierten Bildern über die Reduktion von     der Frauenanteil bei einem Drittel. Nehmen Sie
Frauen auf ihren Körper bis zu klischeehaften         als Teil der Regierung in diesem Kontext eine
Rollen. Das kann sowohl Männer als auch Frauen        „männliche“ Organisationskultur wahr?
betreffen. Tatsächlich werden überwiegend Frau-
en in sexualisierter, klischeehafter oder abwerten-
der Weise dargestellt.
–
Frau Landesrätin Fischer, Sie waren fast
                                                      Katharina Wiesflecker ist seit Oktober 2014
20 Jahre ehrenamtlich im „Elternverein                für die Grünen in der Vorarlberger Landes-
Kinderklinik“ aktiv und haben dafür auch              regierung für die Agenden Soziales, Frauen,
eine Auszeichnung des Tiroler Frauenvereins           Pflege, Kinder- und Jugendhilfe sowie Klein-
Lilie erhalten. Welche Funktion erfüllt               kindbetreuung verantwortlich.

                                                                                                          7
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KAPITEL 1 /                                                                                        –

                                                                         Für Landesrätin Katharina
                                                                            Wiesflecker sind Frauen-
                                                                          rechte nicht verhandelbar.
                                                                            Es sind Menschenrechte,
                                                                        sie gehören zur Demokratie.
                                                                          Wichtig erscheint ihr, dem
                                                                          internationalen Frauentag
                                                                            solidarisch zu begegnen.

Wiesflecker: Wenn man/frau Beruf und Familie         benden Zeit abseits der Termine umzugehen. Ich
verbinden will, erlebe ich, dass Politik generell    muss zugeben, dass die sogenannte „Ich-Zeit“
nicht familienfreundlich ist. Das heißt, in meiner   dabei das erste ist, was auf der Strecke bleibt.
Funktion stellt die „Organisationskultur“ die An-    –
forderung, viel Zeit für die Politik zur Verfügung   Welche Möglichkeiten im Sinne der Gleich-
zu stellen und sehr belastbar zu sein. Darüber       stellung bietet das Amt der Landesrätin, in
hinaus funktionieren eher Mechanismen, die mit       welchen Bereichen ist es schwer, Maßnahmen
Machtpositionen in Verbindung stehen, wenn zum       zu setzen?
Beispiel der Landeshauptmann ruft, muss man/         Fischer: Im Regierungsprogramm 2018–2023
frau zur Verfügung stehen. Das trifft aber die       hat sich die Tiroler Landesregierung dazu be-
männlichen Kollegen genauso.                         kannt, dass Chancengleichheit erreicht, Teilhabe
–                                                    ermöglicht und Selbstbestimmung von Frauen
Nach fünf Jahren im Tiroler Landtag sind Sie,        als Selbstverständlichkeit begriffen werden soll.
Frau Fischer, nun Teil der Landesregierung. Wie      Ziel ist es, Ungleichheiten weiter abzubauen und
herausfordernd ist der Alltag als Politikerin?       Diskriminierungen zu bekämpfen. Wir wollen den
Fischer: Allen voran ist mein Alltag sehr span-      politischen Rahmen so stecken, dass eine indivi-
                                                                                                         Fotos: Land Vorarlberg/Serra, Land Tirol/Müller

nend. Ich habe mit den verschiedensten Menschen      duelle Lebensplanung ermöglicht wird und dass
und den unterschiedlichsten Themenbereichen          Erwerbs- und Familienleben keinen Widerspruch
zu tun. Da kommt keine Langeweile auf. Heraus-       darstellen – weder für Frauen noch für Männer.
fordernd ist vor allem die zeitliche „Eintaktung“:   Gleichzeitig haben wir uns vorgenommen, die
Ich versuche, mir zwischen den Terminen einige       Ungleichheiten im Berufsleben einzuebnen. Dazu
Verschnaufpausen zu gönnen, allerdings hat ein       gehört die Förderung von Frauen in Führungs-
Tag nun mal nur 24 Stunden. Besonders als allein-    positionen genauso wie die Sichtbarmachung von
erziehende Mutter von zwei Kindern, mit denen        Frauenleistungen für die Gesellschaft. Wir haben
man natürlich so viel Zeit wie möglich verbringen    für diese Ziele ein umfangreiches und konkretes
möchte, bedeutet dies, sparsam mit der verblei-      Maßnahmenbündel vereinbart, das mir eine sehr

8                                                                                                  –
–                                                                       › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹

gute Basis bietet, als Frauenlandesrätin viele
Schritte, hin zu einer Verbesserung der weiblichen
Lebenswelt, zu setzen.
                                                                       › Wir wollen,
–
                                                                    dass Erwerbs- und
Der diesjährige 8. März steht im Zeichen                              Familienleben
des Wahlrechts-Jubiläums; mittlerweile gibt es                     keinen Widerspruch
für Frauen Rabatte, Glückwünsche und                                   darstellen. ‹
Blumen zu diesem Anlass. Woran denken Sie
                                                                        Gabriele Fischer
am internationalen Frauenkampftag?
                                                                    Landesrätin für Frauen, Tirol
Wiesflecker: Ich bin mir nicht sicher, ob wir von
einem Frauenkampftag sprechen müssen.
Klar ist, dass Frauenrechte nicht verhandelbar
sind. Es sind Menschenrechte, sie gehören zur
Demokratie. Wichtig erscheint mir, dem internatio-     Fischer: Wenn ich mir die vorliegende Broschüre
nalen Frauentag weltweit solidarisch zu begegnen.      ansehe, begeistern mich vor allem die Portraits
Solange Gleichstellung nicht wirklich durchgesetzt     der jungen Frauen, die mir Hoffnung und Ansporn
ist, gilt es an Tagen wie diesen festzuhalten, was     geben. Die jüngere Generation der Frauen und
einerseits erreicht wurde, und andererseits darauf     Mädchen denkt frei und lässt sich nicht mit
hinzuweisen, wie viel Arbeit noch vor uns liegt, auf   irgendwelchen Labels versehen – dazu gehören
der individuellen, betrieblichen, institutionellen     auch Titel wie Feministin oder Emanze. Aber das,
und vor allem der gesellschaftspolitischen Ebene.      was sie tun, um ihr Umfeld, die Gesellschaft oder
–                                                      auch die Politik zu verändern, ist durchaus ein
Wie beurteilen Sie die Haltung junger Frauen           Kampf für mehr Frauenrechte. Ich sehe daher
gegenüber Gleichstellung und Feminismus –              keinen Rückschritt, sondern einfach eine Verände-
findet ein Backlash statt, oder ist es cool,           rung bei der Wahl ihrer Mittel, um frauenpolitische
Feministin zu sein?                                    Forderungen zu artikulieren und umzusetzen. /

Für Landesrätin Gabriele
Fischer war die Einführung des
Frauenwahlrechtes ein Meilen-
stein. Doch es gibt noch viel zu
tun. Umso mehr begeistert sie
das Engagement junger Frauen
für mehr Frauenrechte.

                                                                                                         9
KAPITEL 1 /                                                                                              –

                    › RINGEN
                UM DAS FRAUEN-
                 WAHLRECHT ‹
                                                          1848–1918

                                     Die Erlangung des Frauen-           Der Ausgangspunkt für diesen
     Der Kampf um das Frau­en­-      wahlrechts 1918 steht am            Kampf in der Habsburger­­mo­
     ­­­­wahlrecht von 1848 bis      Ende eines steinigen Wegs mit       narchie liegt im Revolutions-
     1918 hat viele frauen­          vielen Rückschlägen – und ist       jahr 1848. Erstmals werden
     politische Errungenschaf-       dem unermüdlichen Kampf             im Zuge der bürgerlich-­
     ten auf den Weg gebracht        von mutigen, visionären und         demokratischen ­revolutionären
     und war wesentliche             beharrlichen Frauen auf der         Bewegung auch Stimmen von
     Grundlage für die Aner-         ganzen Welt zu verdanken.           unzufriedenen Frauen laut,
     kennung von gesellschaft-       Dieses gemeinsame Ziel hat          sie gehen gemeinsam mit den
     lichen und politischen          zur internationalen Vernetzung      Männern auf die Straße und
     Rechten für Frauen. Das         von Frauen und zu einer Solida-     fordern auch für sich bessere
     allgemeine Wahlrecht ist        risierung geführt, die teilweise    Arbeitsbedingungen sowie
     ein Meilenstein im Ringen       auch Klassenunterschiede,           demokratische Grundrechte.
     um Chancengleichheit.           ideologische und religiöse          Die Revolution rüttelt an den
     Frauen unterschiedlicher        Grenzen überwinden konnte.          Grundfesten der Monarchie, an
                                                                                                                 Foto: ÖNB-Bildarchiv

     Herkunft haben lange,                                               den eingefahrenen Strukturen
     aber schließlich erfolg-        –                                   der etablierten politischen
     reich dafür gekämpft.           1848: Die Revolution bringt         Systeme Europas. Das liberale
                                     Frauen auf die Barrikaden           Bürgertum, das wie weite Teile
1848

                                                                  1866

                           Erstes frauenbewegtes Engagement              Gründung des Wiener Frauen­
                           im Zuge der bürgerlichen Revolution.          erwerbsvereins, der wirtschaftlich in
                           Die Aufbruchsstimmung führt zur               Not geratene Frauen unterstützt und
                           Gründung des ersten Frauenvereins.            sie auf das Berufsleben vorbereitet.

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–                                                                        › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹

der Bevölkerung im absolu-            beim Gemeindeausschuss und
tistischen Kaiserstaat keine          dem Landtag wahlberech-
Mitbestimmungsrechte besitzt,         tigt. Die Dornbirner Lehrerin
fordert Teilhabe an den               Katharina Huber fordert 1897
politischen Entscheidungs­            auf rechtlichem Wege ihre Zu-
prozessen. In dieser Stimmung         lassung zur Wählerliste ein. Als
stellt sich auch die Frage der        Argument für ihren Anspruch
Beteiligung von Frauen an             auf das Wahlrecht stellt sie
der Politik. Im Zuge dieser           fest, dass sie „ihre Eignung für
sogenannten ­Märzrevolution           das Lehramt gleich dem Leh-
von 1848 bilden sich die              rer durch dieselben Studien
notwendigen Strukturen für            und ebenso viele Prüfungen
einen bürgerlichen Staat, eine        erbringen muß“. Dieses Aufbe-
Verfassung und ein Parlament.         gehren bleibt jedoch erfolglos.
Es wird ein zumindest teil-           Als 1889 in der niederösterrei-
weises Wahlrecht für Männer           chischen Gemeindewahlord-
erzwungen. Die 1849 erlassene         nung das Zensuswahlrecht für
                                                                             Die Pädagogin Marie
Gemeinde­wahlordnung unter-           Frauen eingeschränkt werden            Schwarz ist 1889 eine der
scheidet nicht nach Geschlech-        soll, wird dies österreichweit         Gründerinnen eines „Comité
tern, das Stimmrecht basiert          zur Initialzündung im Kampf            in Angelegenheiten des
vielmehr auf Steuerleistung.          um das Frauenwahlrecht: Die            Frauenstimmrechts“.
So haben – wenige – privile-          Lehrerinnen Auguste Fickert
gierte Frauen vorübergehend           und Marie Schwarz gründen
das Wahlrecht. Sie dürfen aber        ein „Comité in Angelegenhei-
nicht persönlich wählen, son-         ten des Frauenstimmrechts“,
dern müssen sich von einem            eine erste politische Frauen-
Mann – meist dem Ehemann –            versammlung findet statt, und
bei der Wahl vertreten lassen.        eine Petition wird gestartet.
In ­Innsbruck sind besitzende
Frauen zwischen 1849 und              –
1874 bei Kommunalwahlen               Erste Netzwerke: Die
zugelassen. Danach wird diese         Gründung der ersten
„Gesetzeslücke“ geschlossen.          Frauenvereine
In Vorarlberg sind Lehrer als         Bereits in der Aufbruchs-
sogenannte Intelligenzwähler          stimmung von 1848 ist der
1878

         Mit der ersten Mutterschutzregelung gilt ein             Mädchen können als Externistinnen die
         ­Beschäftigungsverbot für bis zu drei Wochen nach        Matura an einem Knabengymnasium ablegen,
          der Geburt. Viele Frauen arbeiten aber auch in dieser   ­Vorlesungen an der Universität dürfen sie nur
          Zeit, weil sie nicht auf den Lohn verzichten können.     als Gasthörerinnen besuchen.

                                                                                                               11
KAPITEL 1 /                                                                                                 –

           Im Mai 1911 hält der
        „Bund Österreichischer
         Frauenvereine” seinen
      Bundestag ab – die Frauen
          versammeln sich zum
     Gruppenfoto vor der Wiener
               Handelskammer.

erste „Wiener demokratische           „Ausländer, Frauenspersonen        gleichberechtigten Teilhabe an
Frauenverein“ gegründet               und Minderjährige“ dürfen          der Gesellschaft führen und die
worden, der den Beginn der            an politischen Vereinen nicht      Selbstbestimmung fördern. Das
Frauenbewegung in Österreich          teilnehmen. Dieser Paragraf        Frauenwahlrecht wird in den
markiert. Zu dessen Forderun-         wird bis 1918 bestehen bleiben.    Forderungen oft hintangestellt.
gen gehört die Förderung und          Trotz dieses kräftigen Gegen-      Einige Frauenvereine „tarnen“
Verbreitung der Demokratie            winds entstehen in der zweiten     sich als Wohltätigkeitsvereine,
und der Zugang zu Bildung. Die        Hälfte des 19. Jahrhunderts        widmen sich aber auch gesell-
Aktivitäten des Vereins sind          zahlreiche Frauenvereine, die      schaftspolitischen Fragen. Der

                                                                                                                 Fotos: ÖNB/Bildarchiv, Wikimedia, Unless Vienna
aber nur von kurzer Dauer:            sich großteils der Verbesse-       „Allgemeine Österreichische
Nach der Niederschlagung der          rung von Bildungsmöglichkei-       Frauenverein“, der 1893 im
bürgerlichen Revolution wird          ten für Mädchen und Frauen         Zuge der Wahlrechtsdiskussion
das Kriegsrecht verhängt und          verschreiben. Eine fundierte       um den Ausschluss von Frauen
alle Vereine, die sich im Zuge        Schulbildung, Mädchengymna-        im niederösterreichischen
der Revolution gegründet ha-          sien und damit die Möglichkeit     Landtags- und Gemeindewahl-
ben, werden wieder aufgelöst.         zur Absolvierung der Matura,       recht gegründet wird, ist der
1867 wird der Ausschluss von          der Zugang zu Bildungsein-         erste österreichische Frauen-
Frauen aus politischen Verei-         richtungen und somit bessere       verein, der dezidiert politische
nen gesetzlich festgeschrieben:       Berufschancen sollen zu einer      Ziele verfolgt.
1890

                                             1893

          Der tschechische Frauenverein                                 Mit dem „Allgemeinen
          Minerva eröffnet das erste                                    Österreichischen Frauenverein“ wird
          private Mädchengymnasium                                      der erste dezidiert politische Frauen-
          der Habsburgermonarchie.                                      verein gegründet.

12                                                                                                          –
–                                                                         › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹

Der Weg zum Wahlrecht                                                       der Parteiräson: Die Priorität
Nach unermüdlichem Kampf                                                    liegt nun auf der Erlangung
und vielen Rückschlägen in                                                  des allgemeinen Männerwahl-
der zweiten Hälfte des 19.                                                  rechts. Die Christlichsozialen
Jahrhunderts scheint es zu                                                  sind generell gegen die Einfüh-
Beginn des neuen Jahrhun-                                                   rung des Frauenwahlrechts.
derts berechtigte Hoffnung                                                  Die Forderung eines Frauen-
auf ein Frauenwahlrecht zu                                                  stimmrechts ist in der Zwi-
geben. Durch die steigende                                                  schenzeit zu einem interna-
Erwerbstätigkeit sind Frauen                                                tionalen Thema geworden:
auch in den politischen Partei-                                             1904 findet in Berlin die
en und den Gewerkschaften
                                         › Wir streben nicht                zweite Internationale Frauen-
stärker vertreten. Frauen sind              blindlings das                  stimmrechtskonferenz statt,
als Unternehmerinnen und                  Frauenwahlrecht                   auf der der „Weltbund für
vor allem als Arbeiterinnen in              an, sondern in                  Frauenstimmrecht“ gegrün-
Industriebetrieben schon seit             klarer Erkenntnis,                det wird, die „International
dem 19. Jahrhundert Teil des                   dass das                     Woman Suffrage Alliance“.
Wirtschaftslebens.                            Wahlrecht                     In Österreich formiert sich
Auch Männer dürfen am                        MACHT ist. ‹                   1905 ein Frauenstimmrechts-
Anfang des 20. Jahrhunderts                                                 komitee, das Kundgebungen
nach wie vor nur im Rahmen                  Marianne Hainisch               organisiert, Unterschriften
des Kurienwahlrechts wählen.                  Begründerin des               sammelt und eine Resolution
Die russische Revolution von               „Bundes österreichischer         formuliert, die 1906 an Minis-
                                               Frauenvereine”
1905, in deren Folge in Russ-                                               terpräsident Paul Gautsch von
land den Männern allgemeines                                                Frankenthurn und die Parla-
Wahlrecht zugestanden wird,                                                 mentspräsidenten übergeben
entfacht auch in Österreich                                                 wird. Die Antwort der Politiker:
den Kampf um das allgemeine                                                 Die Zeit sei noch nicht reif.
Wahlrecht. Allerdings sind
die politischen Lager unver-                                                –
rückbar positioniert: Während                                               Erfolg und Rückschlag
die liberalen Frauenvereine                                                 zugleich: Das allgemeine
auch das Frauenwahlrecht                                                    Männerwahlrecht
einfordern, beugen sich die                                                 Im Dezember 1906 wird im
sozialdemokratischen Frauen                                                 Reichsrat beschlossen, dass
                                                    1902
1896

         Frauen können die Matura an ausge-                     Unter der Führung der bürgerlich-liberalen Frauen-
         wählten Gymnasien ablegen und sind                     rechtlerin Marianne Hainisch wird mit dem „Bund
         damit zum Hochschulstudium (an philo-                  österreichischer Frauenvereine“ (BÖFV) eine erste
         sophischen Fakultäten) berechtigt.                     Plattform für bestehende Frauenvereine etabliert.

                                                                                                               13
KAPITEL 1 /                                                                                                 –

                                      Männer das allgemeine, glei-        des Männerwahlrechts wieder
                                      che und geheime Wahlrecht           intensiv in den Kampf ums
                                      erhalten sollen. Die Frauen         Frauenwahlrecht ein und nut-
                                      gehen leer aus und verlieren        zen dafür auch ihre internatio-
                                      sogar noch jene wenigen             nale Vernetzung.
                                      Stimmrechte, die sie bisher         Auf der zweiten Internatio-
                                      innehatten.                         nalen Sozialistischen Frauen-
                                      Das Parlament argumentiert          konferenz in Kopenhagen im
                                      seine Entscheidung damit,           August 1910 wird auf Vor-
                                      „dass bisher in allen Staaten       schlag der deutschen Sozialis-
                                      Europas, in denen das allge-        tin Clara Zetkin ein jährlicher
                                      meine Wahlrecht eingeführt          „Frauenkampftag“ eingeführt.
                                      wurde, die Frauen unberück-         Im folgenden Jahr, am 19. März
                                      sichtigt blieben und dass es        1911, findet er zum ersten Mal
                                      sehr bedenklich wäre, gerade in     in Dänemark, Deutschland,
„Heraus mit dem Frauen­               Österreich im Zeitpunkte einer      Österreich, der Schweiz und in
wahlrecht“ lautet der Slogan          tiefgreifenden politischen Evo-     den USA statt.
für den Inter­nationalen              lution den Versuch, die Frauen
­Frauentag im Jahr 1914.
                                      zur Teilnahme am politischen        Seit 1921 wird der Internatio­
                                      Leben heranzuziehen, zu unter-      nale Frauentag am 8. März
                                      nehmen.“ Als Reaktion bean-         begangen. Die Wahl dieses
                                      tragt noch am Silvestertag          Datums bezieht sich auf ein
                                      1906 das Frauenstimmrechts-         anderes historisches Ereig-
                                      komitee die Gründung eines          nis: Die kommunistischen

                                                                                                                   Fotos: Wikimedia, ÖNB/Seebald, Universität Wien
                                      Frauenstimmrechtsvereins,           Arbeiterdemonstrationen in
                                      das Innenministerium lehnt          St. Petersburg am Beginn der
                                      eine Bewilligung ab.                russischen Februarrevolutio-
                                      Am 26. Jänner 1907 schließ-         nen am 23. Februar 1917. Nach
                                      lich tritt das Wahlrecht für        gregorianischem Kalender ist
                                      Männer in Kraft.                    das der 8. März.
                                                                          Das Frauenwahlrecht ist
                                      –                                   die zentrale Forderung der
                                      Internationaler Frauentag           ersten Frauentage und ihrer
                                      Die Sozialdemokratinnen             Versammlungen und Demons-
                                      steigen nach der Einführung         trationen. Daneben werden
                                           1914–
                                           1918

          In Österreich, Dänemark,                         Erster Weltkrieg: Da die Männer im Kriegsdienst sind,
1911

          Deutschland, der Schweiz und                     halten die Frauen das wirtschaftliche Leben aufrecht.
          den USA wird der erste Inter­                    Die kriegsbedingte Not und Armut trifft an der
          nationale Frauentag begangen.                    „Heimatfront“ vor allem Frauen.

14                                                                                                          –
–                                                                     › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹

                                                                        Anlässlich des
                                                                        Frauenwahlrechtstages
                                                                        im März 1911 demonstrieren
                                                                        15.000 Frauen auf der
                                                                        Wiener Ringstraße.

verbesserte Lebensbedin-            jedoch die Situation grund-         friedliche Weltordnung be-
gungen für Frauen gefordert:        legend. Er unterbricht die          nannt werden. Darüber hinaus
Kinder- und Mutterschutz,           internationalen Beziehungen         kommt es zu keiner internatio-
mehr soziale Einrichtungen,         zwischen den Frauenrecht-           nalen Vernetzung während des
Arbeitsschutzgesetze, Min-          lerinnen, die Frauenvereine         Krieges. Durch die angespann-
destlöhne, der Acht-Stunden-        haben nun andere Prioritäten.       te politische Situation ist an
Tag. Man spricht bereits von        Sie unterstützen von der so-        eine Änderung des Wahlrechts
„gleichem Lohn für gleiche          genannten „Heimatfront“ aus         vorerst nicht zu denken.
Arbeit“, eine Forderung, die        den Kriegsdienst oder enga-         Auch wenn Frauen offiziell
bis heute unerreicht ist.           gieren sich für den Frieden.        nach wie vor nicht am politi-
                                    Der Weltbund für Frauen-            schen Geschehen teilnehmen
–                                   stimmrecht organisiert 1915         dürfen, sind sie im Alltag so
Der Erste Weltkrieg und seine       einen internationalen Frauen-       präsent wie noch nie. Da die
Auswirkungen                        friedenskongress im hollän-         Männer im Krieg sind, halten
Noch im Juni 1913 findet in         dischen Den Haag, den 1.200         die Frauen das wirtschaftliche
Wien eine internationale            Delegierte aus zwölf Ländern        und administrative Leben
Frauenstimmrechtskonferenz          besuchen und auf dem Demo-          aufrecht.
statt. Der Ausbruch des Ersten      kratie und Gleichberechtigung       In Schwaz protestieren Tabak-
Weltkriegs 1914 verändert           als Voraussetzungen für eine        arbeiterinnen in den Jahren
                                        1918

                Der Wöchnerinnen-                                   Frauen erhalten Zugang zu allen
      1917

                schutz wird                                         Fakultäten der Universität, mit Ausnahme
                auf sechs Wochen                                    der Katholisch- bzw. Evangelisch-
                ausgeweitet.                                        Theologischen Fakultät.

                                                                                                          15
KAPITEL 1 /                                                                                         –

                               1917/18 gegen die mangelhafte          gleiche, direkte und geheime
                               Versorgung mit Lebensmitteln           Verhältniswahlrecht „aller
                               und die repressive Betriebslei-        Staatsbürger ohne Unter-
                               tung. Dies gipfelt in kollektiver      schied des Geschlechtes“ wird
                               Arbeitsverweigerung und                im Artikel 9 des Gesetzes über
                               Tumulten in der Fabrik.                die Staats- und Regierungs-
                                                                      form verankert.
                               Generell übernehmen Frauen             Das aktive Wahlrecht wird
                               administrative Tätigkeiten             ab dem 20. Lebensjahr, das
                               in den Ämtern, arbeiten in             passive Wahlrecht ab dem 29.
                               öffentlichen Berufen, wie etwa         Lebensjahr gesetzlich festge-
                               als Straßenbahnfahrerinnen,            legt. Mit einer Einschränkung:
                               und werden so in der Öffent-           Prostituierte sind noch bis
                               lichkeit immer sichtbarer.             1923 vom Wahlrecht ausge-
Bei der ersten Nationalrats­   Am Ende des Krieges sind               schlossen. Zwischen 1920 und
wahl der neuen Republik        Frauen aus vielen Bereichen            1930 werden bei den Wahlen
1919 ist es soweit:            der Gesellschaft nicht mehr            verschiedenfarbige Kuverts
Erstmals können auch           wegzudenken. Dies hat Folgen:          für Männer und Frauen
Frauen ihr Wahlrecht           Obwohl während der Kriegs-             verwendet – zur Beo­bachtung
ausüben.                       zeit keine politische Partei           des Wahlverhaltens
                               das Frauenstimmrecht explizit          von Frauen.
                               fordert, spricht sich 1918 die
                               Mehrheit ihrer Vertreter für           Österreich gehört damit nach
                               die Einführung des Frauen-             den nordischen Staaten zu
                               wahlrechts aus.                        den ersten Ländern in Europa,
                                                                      die das Frauenwahlrecht
                               –                                      einführen. Das Erlangen des
                               Das Frauenwahlrecht                    Wahlrechts ist zweifelsohne
                               wird eingeführt                        ein Meilenstein für die Frauen-
                               Der 12. November 1918 – der            politik. Zugleich aber ist es der
                               Tag der Ausrufung der Repu-            Beginn eines noch längeren
                               blik – ist schließlich auch der        Weges zur gesellschaftlichen
                               Tag, für den Aktivistinnen so          Gleichstellung von Frauen und
                               viele Jahrzehnte gekämpft              Männern, der bis heute nicht
                               hatten: Das allgemeine,                zu Ende ist. /
                                                                                                          Foto: ÖNB/picturedesk.com
                               1918

                                        Das allgemeine, gleiche, direkte und geheime
                                        Verhältniswahlrecht „aller Staatsbürger ohne Unter-
                                        schied des Geschlechtes“ wird im Artikel 9 des Gesetzes
                                        über die Staats- und Regierungsform verankert.

16                                                                                                  –
–                                             1920                             › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹

                                                                                                                                  › DAS FRAUENWAHLRECHT IN EUROPA ‹

                                                                                                                                      In der ersten Hälfte des                                                                                              1906
                                                                                                                                      20. Jahrhunderts wird in
                                                                                                                                                                                                                       1913
                                                                                                                                      den meisten europäischen
                                                                                                                                      Ländern das aktive und
                                                                                                                                                                                                                                1921                         1918
                                                                                                                                      passive Wahlrecht für Frauen
                                                                                                                                      eingeführt. Ist es in Finnland                                                                                         1918
                                                                                                                                      schon Anfang des Jahr-                  1928                                    1915
                                                                                                                                                                                                                                                        1919
                                                                                                                                      hunderts soweit, dauert es
                                                                                                                                      beispielsweise für die Frauen                      1918
                                                                                                                                                                                                          1917
                                                                                                                                      in der Schweiz bis 1971.
                                                                                                                                                                                                                                            1918
                                                                                                                                                                                                   1948              1918
http://www.unwomen.org/~/media/headquarters/attachments/sections/library/publications/2011/progressoftheworldswomen-2011-en.pdf

                                                                                                                                      1906 Finnland                                                   1919

                                                                                                                                      1913 Norwegen                                                                                  1920
                                                                                                                                      1915 Dänemark                                         1944
                                                                                                                                                                                                                              1918
                                                                                                                                            Island                                                          1971/
                                                                                                                                                                                                            1990 1984                       1918
                                                                                                                                      1918 Estland                                                                                                             1946
                                                                                                                                            Deutschland
                                                                                                                                            Österreich 1931                                                                            1946
                                                                                                                                            Ungarn      (1976)         1931                                           1945                                         1944
                                                                                                                                            Lettland
                                                                                                                                                                                                                                                                          1934
                                                                                                                                            Polen
                                                                                                                                                                                                                                              1920
                                                                                                                                      1919 Niederlande
                                                                                                                                            Luxemburg                                                                                                1952
Quelle: United Nations Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women, 2011

                                                                                                                                            Litauen
                                                                                                                                      1920 Tschechoslowakei
                                                                                                                                            Albanien
                                                                                                                                      1921 Schweden                           Im internationalen Vergleich:
                                                                                                                                      1928 Großbritannien 		                  Von Wyoming bis Saudi-Arabien
                                                                                                                                            Irland                            Der Bundesstaat Wyoming im Westen der USA ist, wenn es
                                                                                                                                      1931 Spanien                            um Frauenrechte geht, weltberühmt. Denn als erster neu-
                                                                                                                                            (1976) Portugal                   zeitlicher Bundesstaat erlaubt er es den Frauen (ab 1869)
                                                                                                                                      1934 Türkei
                                                                                                                                                                              zu wählen. In Neuseeland erhalten Frauen 1893 das aktive
                                                                                                                                      1944 Frankreich
                                                                                                                                            Bulgarien                         Wahlrecht (1919 das passive), ab 1902 können weiße Frauen
                                                                                                                                      1945 Italien                            im neu gegründeten Commonwealth of Australia zur Wahl
                                                                                                                                      1946 Jugoslawien                        gehen. Ab 1918 ist es in Russland für Frauen erlaubt, zu
                                                                                                                                            Rumänien                          wählen und gewählt zu werden. Es folgen die USA (1920),
                                                                                                                                      1948 Belgien                            die Mongolei (1924), Kuba (1934) und die Philippinen (1937).
                                                                                                                                      1952 Griechenland
                                                                                                                                                                              In Japan haben Frauen ab 1947, in China ab 1949 und in
                                                                                                                                      1971 Schweiz
                                                                                                                                      1984 Liechtenstein                      Indien ab 1950 umfassendes Wahlrecht. In Afghanistan
                                                                                                                                      1990	Kanton Appenzell                  und im Iran ab 1963, im Irak ab 1980. 1994 findet die erste
                                                                                                                                            Innerr­hoden,                     Wahl in Südafrika statt, bei der alle Frauen und Männer,
                                                                                                                                            Schweiz                           unabhängig von ihrer Hautfarbe, wählen dürfen. In Kuwait
                                                                                                                                                                              dauert es bis 2005, in Saudi-Arabien bis 2015. /

                                                                                                                                                                                                                                                             17
KAPITEL 1 /                                                                                  –

                     › SHARE YOUR
                     EXPERIENCE ‹
                                             ERFAHRUNGEN

     In fast allen Bereichen
     des öffentlichen Lebens
     lassen sich weibliche
     Vorbilder finden, an
     denen Frauen sich
     orientieren können.
     Sie ebnen den Weg für
     Nachfolgerinnen und
     erleichtern es jeder
     Einzelnen, sich selbst
     in einer machtvollen            › 1994 war es für mich von Vorteil,
     Position vorzustellen:
                                 eine der wenigen Politikerinnen in dieser
                                                                                                 Fotos: Privat, ÖVP-Klub, Alexandre Louvet, Privat

     „Wenn sie es geschafft
     hat, kann ich das auch!“
                                 Männerwelt zu sein. Viele Lienzer Bürger
     Hier berichten einige      waren stolz, Tirols erste Bürgermeisterin zu
     dieser Vorreiterinnen      haben. Als meine Kinder klein waren, hätte
     von ihren Beweg-
     gründen und sagen,
                                ich kein politisches Amt annehmen wollen.
     worauf es ankommt. Sie      Andere Frauen entscheiden sich, wie ich,
     machen Mut, es ihnen               in erster Linie für die Familie. ‹
     gleichzutun.
                                 Helga Machne, erste Bürgermeisterin Tirols, ehemalige Bürger-
                                 meisterin von Lienz, ehemalige Nationalrätin, ÖVP (geb. 1938)

18                                                                                           –
–                                                                   › WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT ‹

                                  › Bürgermeisterin ist ein sehr schönes
                                    politisches Amt, weil man sehr nahe bei
                                     den Menschen und ihren Sorgen ist,
                                      aber auch viele Glücksmomente teilen
                                      darf! Besonders motivierend für mich
                                      war es, ein Sozialzentrum zu eröffnen,
                                     dessen Konzept ich entwickelt und dessen
                                   Entstehen ich begleitet habe. ‹
                                  Anna Franz, erste Bürgermeisterin Vorarlbergs,
                                  ehemalige Bürgermeisterin von Bezau, ÖVP (geb. 1953)

› Digitalisierung und Automatisierung werden
        in Zukunft unsere Arbeitswelt radikal
    verändern, vor allem in den klassischen
            Bürojobs. Es muss jetzt schon an
Maßnahmen gearbeitet werden, damit dies
          nicht auf Kosten der Frauen geht. ‹
      Eva Lichtenberger, ehemalige Landesrätin, EU-Parlaments-
          abgeordnete und Nationalrätin, GRÜNE (Tirol, geb. 1954)

                              › Frauen, ihr müsst euch melden!
                                 Nehmt euch Beispiele an anderen Frauen,
                                  übt, bereitet euch vor und lasst euch nicht
                                  einschüchtern. Vor meiner politischen
                                   Laufbahn war ich Lehrerin. An meiner
                                   Schule habe ich einen Elternverein
                                  gegründet und, entgegen der Erwartungen,
                                 gesagt: ‚Ich will nicht Schriftführerin
                              werden, ich stelle mich der Obfrauwahl.’ ‹
                         Elisabeth Gehrer, ehemalige
                   Bildungsministerin, ÖVP (Vorarlberg, geb. 1942)

                                                                                                    19
KAPITEL 1 /   –

20            –
–

        KAPITEL 2

    › WIR BAUEN
    AUF STARKE
      FRAUEN ‹

                    21
KAPITEL 2 /                                                                                          –

                    › UNGLEICH,
                       ABER
                  GLEICHWERTIG ‹
                                                      INTERVIEW

                                                      Liebe weh tut“ das Konzept des Anerkennungs-
     Ulrike Guérot ist Universitätsprofessorin        marktes, demzufolge Frauen in erster Linie
     und leitet das Department für Europa­            Anerkennung von Männern suchen. Männer
     politik und Demokratieforschung an der           bestimmen diesen Markt und damit darüber,
     Donau-Universität Krems. Ihr Thema: Die          was etwas wert ist. Das erklärt, warum – der
     Zukunft der europäischen Demokratie. Im          ­Be­obachtung des Wahlverhaltens von Wählerin-
     Interview gibt sie Auskunft über das Wahl-        nen zufolge – Frauen gerne Männer wählen.
     verhalten von Frauen, spricht über das           –
     Erbe der Suffragetten und darüber, welche        Gibt es denn keinen Geschlechter­
     Schlachten heute noch zu schlagen sind.          zusammenhalt, eine Solidarität unter Frauen?
                                                      Frauen wählen nicht Frauen?
                                                      Nein. Ein Beispiel: Marine Le Pen hat eine ganz
Wählen Frauen anders als Männer?                      klar männliche Wählergruppe. Der durchschnitt-
Man kann nicht generell sagen: Frauen wählen          liche Le Pen-Wähler ist älter, männlich, ungebil-
eher links, weil sie ein großes Herz haben und        det. Man kann also nicht sagen, dass, weil Le Pen
sich um die Familie kümmern und Männer wäh-           eine Frau ist, die Frauen sie jetzt aus Geschlech-
len eher rechts. Man kann entlang politischer         tersolidarität wählen. Im Gegenteil: Der Front
Linien keinen „Gender Gap“ bei Wahlen festma-         National musste sehr dafür kämpfen, die weibli-
chen. Strukturell zeigen Frauen kein anderes          chen Stimmen zu bekommen. Erst nachdem
Wahlverhalten als Männer. Was man aber sagen          Le Pen sich ab 2012 für Abtreibung ausgespro-
kann, ist, dass es im Prinzip einen „Feminismus       chen hat, konnte sie eine bestimmte Zielgruppe
Gap“ oder „Sexismus Gap“ gibt: Frauen wählen          liberaler Frauen gewinnen. Auch mit Ségolène
Männer. Und besonders gerne wählen sie                Royal gab es bei der Präsidentschaftswahl 2007
                                                                                                           Foto: Judith Affolter

­attraktive Männer. Pablo Iglesias, Alexis Tsipras,   in Frankreich keine weibliche Solidarität.
 Emmanuel Macron – das sind tatsächlich junge,        –
 attraktive Männer. Die Sozialwissenschaftlerin       Liegt das daran, wie diese Frauen sich
 Eva Illouz beschreibt in ihrem Buch „Warum           präsentieren?

22                                                                                                   –
–

–                                                                    › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹

                                                                             Univ-Prof.in Dr.in Ulrike Guérot
                                                                                leitet das Department für
                                                                           ­Europapolitik und Demokratie­
                                                                                 forschung an der Donau-
                                                                                        Universität Krems.

Es liegt gar nicht daran, dass sie Frauen sind.    noch ein männlich dominiertes Geschäft. Und
Nehmen wir Ségolène Royal und Angela Merkel:       das heißt: Alle Verhaltensregeln von Männern
Das ist nicht der gleiche Frauentyp. Royal trägt   kommen hier zur Anwendung. Um in der Politik
High-Heels, Lippenstift, kurze Röcke und hat       erfolgreich zu sein, braucht man Killerinstinkt,
schöne Beine. Angela Merkel ist zwar eine Frau,    man muss Leute wegbeißen, Macht anstreben.
sie wirkt aber nicht so. Wir erleben in keiner     Das alles sind Merkmale, die mit Frauen nicht
Weise, dass sie ihre Erotik oder ihre Feminität    konform gehen. Frauen wollen nicht unbedingt
ausspielt. Die männliche Seite wiederum spielt     kämpfen und andere Leute wegbeißen.
oft ihre Attraktivität für Frauen aus. Man kann    –
also sagen, dass hier der Typ „schöner Mann“       Es kann doch nicht das Ziel sein, dass wir
weiblichen Sexismus bedient, während es bei        sagen: Wir müssen mehr wie Männer agieren,
Frauen offensichtlich – siehe Ségolène Royal –     um in die Politik zu kommen. Müssten wir nicht
eher problematisch ist, wenn Frauen mit ihrer      eigentlich die Strukturen verweiblichen?
Erotik, mit ihrer Schönheit punkten wollen. Kein   Hier sind wir bei der heiß umstrittenen Frage
Mensch regt sich auf, wenn ein Mann – wie der      der Quote. Ich persönlich war lange gegen die
deutsche FDP-Politiker Christian Lindner – im      Quote, weil ich auch zu den Frauen gehört habe,
Unterhemd Wahlkampf macht. Aber können Sie         die sagen: „Ich hab’s geschafft, jede kann es
sich eine Sekunde lang vorstellen, Angela Merkel   schaffen, wenn sie will.“ Mit zunehmendem Le-
hätte im Negligé einen Wahlwerbespot gedreht?      bensalter bin ich jetzt für die Quote, weil sie die
Die Republik hätte getobt.                         männlichen Machtstrukturen durchbrechen kann
–                                                  und endlich auch das Argument knackt, dass
Ist diese Ungleichheit ein Grund dafür, dass       jeder Mann automatisch kompetent sei, nur weil
mehr Männer als Frauen politisch aktiv sind?       er arbeitet. Die Quote würde dafür sorgen, dass
Es gelten hier dieselben Argumente, die wir ins    wir – zynisch gesagt – mindestens genauso viele
Feld führen, wenn es generell um die Benachtei-    unqualifizierte Frauen in wichtigen Jobs haben
ligung von Frauen im Beruf geht. Auch wenn sich    wie es heute unqualifizierte Männer in wichtigen
das tendenziell gebessert hat, ist Politik immer   Jobs gibt, eben weil es für sie bislang keinen

                                                                                                   23
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anderen Lebensentwurf gibt. Frau hat Kinder,         Politik zu haben, noch lange nicht, dass Frauen
Karriere oder beides, die hat ja verschiedene        auch für frauentypische Themen kämpfen. Die
Lebensentwürfe. Was die Quote angeht, gibt es        Hälfe aller Posten mit Frauen zu besetzen, macht
soziologische Studien darüber, wann die Macht-       allein noch keine Frauenrechtspolitik.
strukturen brechen. Es fängt bei 40 Prozent          –
Frauenanteil an, dass die Männer ihr Verhalten       Das heißt: Männer, die sich für Frauenthemen
an den weiblichen Rahmen anpassen müssen.            einsetzen und feministische Politik betreiben –
–                                                    wie etwa der kanadische Präsident Justin
Wären Frauen eigentlich die besseren Politiker?      Trudeau – müssten wir eigentlich gendermäßig
Es ist erwiesen, dass Frauen sachorientierter sind   als Frau werten und zur Quote dazurechnen?
als Männer und nicht unbedingt ihr eigenes Vor­      Genau. Die letzten 30 Jahre Gendertheorie von
an­kommen in den Vordergrund stellen. Das Pro­       Judith Butler & Co hat hervorragende Arbeit
blem aber ist, dass sie im politischen Raum immer    geleistet. Sie hilft uns zu sagen: Es geht doch
dafür sorgen müssen, dass sie gewählt werden.        um fortschrittliche Politik, es geht um Gleich-
Mit Sachargumenten im Sinne von „wir müssen          stellung, um Gleichwürdigkeit, um Equal Pay. Es
den Gürtel enger schnallen“ gewinnt man aber         geht nicht um Gleichheit. Frauen und Männer
nicht unbedingt Stimmen. Und deshalb ist eine        sind nicht gleich, wir sind ganz ungleich. Nur:
Frau nicht nur von ihrem Sozialverhalten sondern     In dieser Ungleichheit müssen wir gleichwertig
auch von dieser Sachorientierung her strukturell     sein. Und das wäre der politische Kampf. Ob
in der Politik benachteiligt. Daher heißt nur eine   Sie diesen Kampf mit Männern oder mit Frauen
Quote zu erfüllen und 40 Prozent Frauen in der       betreiben, ist völlig egal.

                                                                     Ulrike Guérot plädiert
                                                              für 40 Prozent Frauenanteil
                                                                 in Wirtschaft und Politik,
                                                                     um männliche Macht­
                                                                 strukturen aufzubrechen.
                                                                                                        Foto: Judith Affolter

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–                                                                   › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹

Man vergisst leicht, wie hart das Wahlrecht        für die Frauen gelten? 1918 wurde erkämpft,
erkämpft wurde. Wäre es wichtig, diese             dass die Universalität der Menschenrechte
Errungenschaft wieder ins Bewusstsein zu           auch für Frauen gilt. Diese aufklärerischen und
heben?                                             emanzipatorischen Debatten müssen immer
Die Frauen haben das Wahlrecht von den             wieder aufs Neue geführt werden. Gerade sind
Männern nicht bekommen und schon gar nicht         wir dabei, wieder an Emanzipation zu verlieren.
geschenkt. Es wurde erkämpft, mit Tod, mit         Es gibt ganz starke Korrelationen zwischen
Blut und mit Gewalt. Es war höchst brutal, das     einer politischen Debatte über Nationalismus
sollten wir nicht vergessen.                       und Populismus und einem konservativen Frau-
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es nur             enbild. Keine Abtreibung, Frauen an den Herd.
männliche Journalisten, weil also Männer           Das lässt sich auf alles anwenden, was unter
die Deutungshoheit hatten, wurde über die          dem Stichwort „Femonationalismus“ steht.
Suffragetten­bewegung nicht berichtet. Darauf-     Menschen, von denen wir jetzt nicht gerade
hin haben die Suffragetten Gewalt angewen-         feministische Argumente erwarten, wie zum
det, haben in London Postkästen in die Luft        Beispiel in Deutschland von den Mitgliedern
gesprengt, um Aufmerksamkeit zu erregen.           der AfD, spielen sich auf einmal als B
                                                                                        ­ eschützer
Als das immer noch nicht reichte, ist Emily        von Frauen auf. Dahinter steht im Grunde,
Davison bei einem Pferderennen 1913, bei dem       dass Männer Kontrolle über die Frauen wol-
König Georg V und Kameraleute aus aller Welt       len. Vermeintlich sind wir im 21. Jahrhundert
anwesend waren, mit einem Plakat vor ein Pferd     angekommen und vermeintlich sind Frauen und
gesprungen. Sie ist wortwörtlich für das Frauen­   Männer auch gleichgestellt. Dass wir aber in
wahlrecht gestorben. Ihr Foto ging um die          diesen nationalistischen Debatten wieder alte
ganze Welt, die Bewegung konnte nicht mehr         Gender-­Schlachten führen, dass Männer wieder
unterdrückt werden.                                Kontrolle über Frauen wollen und dass dies eine
Dass nach dem ersten Weltkrieg im Zuge der         der Ziehkräfte für Nationalismus und Populis-
Republikgründungen in Österreich, Deutschland      mus ist – das darf man nicht vergessen.
und einigen anderen Ländern das Frauenwahl-        –
recht eingeführt wurde, das muss man ganz          Wir dürfen uns also nicht ausruhen auf den
klar benennen, war nur möglich, weil es den        Errungenschaften der Suffragetten. Es gibt
Männern abgerungen wurde.                          noch Schlachten zu schlagen?
–                                                  Absolut. Heute machen wir den nächsten
Heute sind Frauen und Männer rechtlich             Schritt: gleiche Bezahlung, Equal Pay. Wir haben
gleichgestellt, der Kampf um die Emanzipation      immer noch Einkommensunterschiede von 20
der Frauen scheint sich abgekühlt zu haben.        Prozent. Die emanzipatorische Agenda ist nie
Ist das tatsächlich so?                            zu Ende, ist immer zyklisch. Die Geschichte ist
Der erste Satz der Menschenrechtserklärung         eine Abfolge von Öffnungs- und Schließungs­
ist ein Erbe der Französischen Revolution: „Alle   agenden,­was die Emanzipation betrifft.
Menschen sind geboren frei und gleich in ihren     Wir haben jetzt nach 30 Jahren Öffnung
Rechten.“ 1789, zur Zeit der Französischen Re-     überall in Europa homophobe, a  ­ ntifeministische
volution, galt das natürlich nur für die Männer.   ­Bewegungen, wir sind mitten in einer
Die Suffragetten der ersten Stunde haben ge-        ­Schließungsagenda. Und nie galt es so sehr
sagt: Alle Menschen, könnte das vielleicht auch      wie heute, Frauenrechte zu verteidigen. /

                                                                                                   25
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                        ›100 JAHRE
                          FRAUEN-
                       WAHLRECHT ‹
                                                     1919–2018

                                      Der 16. Februar 1919 ist ein       als politische Akteurinnen
     Das Jahr 1918 gilt als           historischer Tag für Österreich.   spricht man den Frauen häufig

                                                                                                               Fotos: David Liuzzo, CS/hildegardburjan.at, Fotosammlung Vorarlberger Landtag
     der Startschuss für              Bei der ersten Nationalratswahl    keine eigene Meinung zu, viel-
     ein Jahrhundert, in              der neuen Republik sind Frauen     mehr wird erwartet, dass sie
     dem Frauen und ihre              erstmals wahlberechtigt und        die Wahlpräferenzen ihrer Ehe-
     Anliegen endlich Ein-            für den Einzug in den National-    männer oder anderer Autoritä-
     zug in die politischen           rat wählbar. Die größten           ten übernehmen. Männliche
     Institutionen halten.            wahlwerbenden Parteien (die        Einflussnahmen finden wohl
     In diesen 100 Jahren             Sozialdemokratische Arbei-         auch tatsächlich statt, wie die
     brachten zunächst                terpartei, die Christlichsoziale   damalige Erstwählerin Angela
     die zwei Weltkriege              Partei sowie die Großdeutsche      Weinberger berichtet: „Mein
     massive Rückschläge              Volkspartei) stehen zum ersten     Chef hat mir damals schon
     für jegliche Gleich-             Mal vor der Herausforderung,       gesagt, wie ich mich verhalten
     stellungsprozesse.               die weibliche Bevölkerung für      soll und was ich wählen soll,
     Doch seither ist viel            sich zu gewinnen.                  er war ja selber ein großer
     passiert, wurde vieles                                              Sozialdemokrat.“ Trotz der
     erreicht.                        –                                  Vermutung, dass sich die
                                      Die neue Wählerinnenschaft         proletarischen Frauen aktiver
                                      Aufgrund ihrer Unerfahrenheit      an den Wahlen beteiligen
                                                 1934
1919

          16. Februar 1919: Bei der ersten                                 In der Maiverfassung des autori-
          Nationalratswahl der neuen Republik                              tären christlichsozialen „Stände-
          sind Frauen erstmals voll wahl-                                  staats“ wird die Gleichheit der
          berechtigt (aktiv und passiv).                                   Geschlechter eingeschränkt.

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–                                                                       › WIR BAUEN AUF STARKE FRAUEN ‹

werden als Frauen aus dem             noch eine Vertreterin der
christlichsozialen Segment, in        Großdeutschen Volkspartei in
dem das Bild der politisch ak-        die Konstituierende National-
tiven Frau bis 1918 vollständig       versammlung (1919-1920) ein.
abgelehnt wird, erhalten die          Olga Rudel-Zeynek, die von
Christlichsozialen die Mehrheit       1920 bis 1927 für die Christ-
der Wählerinnenstimmen. Das           lichsozialen im Nationalrat
verdanken sie mitunter dem            sitzt, wird als Vertreterin der
Umstand, dass in den traditio-        Steiermark erste Präsidentin
nell christlichsozial geprägten       des Bundesrates.
Bundesländern Kärnten, Tirol          In der provisorischen Tiroler
und Vorarlberg, in denen              Landesversammlung 1918/1919
Frauen weniger politisiert sind,      ist mit der deutschfreiheitli-
Wahlpflicht herrscht.                 chen Marianne Schneider eine
                                      Frau vertreten, in den dama-
–                                     ligen „Tiroler Nationalrat“       Hildegard Burjan wird als
Politikerinnen der                    ziehen nach den Wahlen 1919       eine von acht Frauen nach
                                                                        der ­ersten National­ratswahl
ersten Stunde                         zwei Frauen, eine Sozialdemo-
                                                                        1919 ins ­Par­lament gewählt.
Insgesamt geht die Sozial-            kratin und eine Christlichso-
                                                                        Sie ist die einzige christlich-
demokratische Partei mit 1,2          ziale, ein. Erst 1959 kommen
                                                                        soziale Abgeordnete.
Millionen Stimmen als stärkste        in Vorarlberg mit Elfriede
Kraft aus diesen Wahlen her-          Blaickner (ÖVP) und Anna
vor und stellt 72 Abgeordnete         Mayr (SPÖ) die ersten Frauen
in der Nationalversammlung –          in den Landtag.
sieben davon sind Frauen:
Anna Boschek, Emmy Freund-            –
lich, Adelheid Popp, Gabriele         Frauenpolitik in der
Proft, Therese Schlesinger,           Ersten Republik
Amalie Seidel und Marie Tusch.        Aktivistinnen, die zuvor in
Mit Hildegard Burjan, der             der bürgerlichen beziehungs-
einzigen Christlich­sozialen,         weise sozialistischen Frauen­
sitzen nun acht Frauen im             bewegung für das Frauen-
neu gewählten Parlament.              wahlrecht gekämpft hatten,
Im September 1920 zieht mit           engagieren sich auch in der
Lotte Furreg schließlich auch         Zwischenkriegszeit – zum Teil
                                                  1959
1945

         25. November 1945: Die erste                                    Elfriede Blaickner (li., ÖVP)
         National­ratswahl der Zweiten Republik                          und Anna Mayr (SPÖ) sind
         findet statt. Helene Postranecky (KPÖ)                          Vorarlbergs erste weibliche
         wird zur ersten Staatssekretärin.                               Landtagsabgeordnete.

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