2011 Integration - Chancengleichheit - Stiftung Mercator
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Inhalt 06 // Vorwort, von Rüdiger Frohn / Bernhard Lorentz 08 // Schnell, flexibel und unternehmerisch. Die Entwicklung der Stiftung Mercator 2011, von Bernhard Lorentz 10 12 Schwerpunkt: Integration durch Chancengleichheit // Integration 2020: Gemeinsam die Einwanderungsgesellschaft Deutschland gestalten und Integration vorantreiben. Die Strategie der Stiftung Mercator im Themencluster Integration, von Michael Schwarz / Cornelia Schu 16 // Die klügsten Köpfe nach Deutschland holen. Deutschland braucht eine gesteuerte Zuwanderung an Fachkräften, von Armin Laschet 18 // Der Normalfall Heterogenität an deutschen Schulen. Chancen und Herausforderungen für einen gerechten Bildungszugang, von Christine Langenfeld 20 // Integration und Kultur. Über die irrtümliche Verknüpfung beider Begriffe, von Naika Foroutan 22 // Die Rolle von Stiftungen in der US-amerikanischen Integrationspolitik. Wie Stiftungen in vielen Bereichen Denkgewohnheiten ändern können, von David C. Hammack 24 26 Kompetenzzentrum Wissenschaft // Landkarten des Wissens. Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) will Optionen zur nachhaltigen Bewirtschaftung globaler Gemeinschaftsgüter aufzeigen, von Ottmar Edenhofer 28 // Gemeinsam wohnen, lernen, forschen und internationale Erfahrung sammeln. Der European Campus of Excellence 30 // China und Europa: Chance oder Wagnis? Ein Beitrag zum Dahrendorf-Symposium 2011, von Odd Arne Westad 34 // Emanzipiert und gläubig. Katajun Amirpur über Frauen in der Islamischen Theologie und verschiedene Wege zu Gott 36 38 Kompetenzzentrum Bildung // „Wir machen uns sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache zum Programm“. Michael Becker-Mrotzek über Aufbau, Methoden und Ziele des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache 40 // Wir sollten kulturelle Bildung als einen Dialog verstehen. Eine Kulturagentin über ihre Erfahrungen an Berliner Schulen, von Mona Jas 42 // Gemeinsam auf dem Weg zur Bildungsregion. Bundesweit erster regionaler Bildungsbericht analysiert die Bildungslandschaft der Metropole Ruhr 44 // Ein jugendlicher Blick durch eine Klarsichtbrille. Die Junge Islam Konferenz – Berlin 2011, von Esra Küçük 48 50 Kompetenzzentrum Internationale Verständigung // Eine strategische Partnerschaft. Die Sabanci Universität und die Stiftung Mercator bauen gemeinsam das Istanbul Policy Center aus 54 // Chinesische Kammermusik als Ausdruck der „List der Vernunft“. Tilman Spengler über chinesische Kultur und die Veranstaltungsreihe Aufklärung im Dialog 56 // Zwei Wochen Türkei in einem Blog. Drei Jugendliche über ihre Reise durch die Türkei, volle Busse und große Gastfreundschaft 58 // Die besten Köpfe für eine interdependente Welt. Klaus Scharioth über das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben 61 62 Zahlen, Daten, Fakten // Das Jahr 2011 – Höhepunkte 66 // Förderungen 2011 69 // Jahresabschluss Bilanz, Mittelverwendungsrechnung 70 // Unser Carbon Footprint. Die CO2-Emissionen der Stiftung Mercator im Jahr 2011 72 // Projekte 2011 84 // Die Gremien der Stiftung Mercator 85 // Das Team der Stiftung Mercator 88 // Impressum
Vorwort die Stiftung Mercator hat ihren planvollen Wachstumsprozess der vergangenen Jahre auch 2011 fortgesetzt. In 109 Projekte sind rund 60 Millionen Euro geflossen. Damit ist unser Fördervolumen im Vergleich zum Vorjahr um rund 18 Prozent gestiegen. Inhaltlich sind wir den Zielen, die wir uns innerhalb unserer drei Themencluster Klimawandel, Integration und Kulturelle Bildung gesetzt haben, einen wichtigen Schritt näher gekommen. Aber wir wissen auch, dass noch sehr viel getan werden muss, bis eine chancengleiche Partizipation aller Menschen an zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Wirklichkeit geworden ist und der Ausstoß von Treibhausgasemissionen deutlich gesenkt wird. Um darauf hinzuarbeiten, orientieren wir uns auch weiterhin an unseren strategischen Leitlinien, die sicherstellen sollen, dass wir möglichst große Wirkung erzielen.
China und die Türkei, Berlin und Essen – das sind die wichtigsten Eckpunkte, die das Jahr 2011 für die Stiftung Mercator umreißen. Während wir in China und der Türkei Meilensteine im Hinblick auf die Ausweitung unseres internationalen Engagements erreichen konnten, haben wir auf nationaler Ebene mit der Eröffnung unseres ProjektZentrum Berlin unsere Möglichkeiten für die politische Kommunikation verstärkt. Zugleich bleibt Essen als Sitz der Stiftung weiterhin das Herz unserer Arbeit und der Ort der Entscheidungen. Mit unserem ProjektZentrum Berlin haben wir eine Plattform für die Kooperation und den gegenseitigen Austausch geschaffen, die beispielhaft zeigt, wie wir uns die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Akteuren und Organisationen aus verschiedensten Bereichen – ein Netzwerk von Netzwerken – in der Praxis vorstellen. Der vorliegende Jahresbericht widmet sich im Schwerpunkt dem Thema Integration. Wir sind überzeugt: Wenn wir wollen, dass alle Menschen dieses Land als „unser Land“ verstehen (Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Antrittsrede am 23. März 2012), müssen wir allen hier lebenden Menschen die Chance eröffnen, an zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzuhaben. Die entscheidende Voraussetzung dafür ist Bildung. Wie wir den Integrationsprozess gestalten, Chancengleichheit verbessern und Hindernisse aus dem Weg räumen können, zeigen wir Ihnen auf den folgenden Seiten. Zudem kommen unsere Partner zu Wort, die sich aus wissenschaftlicher, politischer oder internationaler Perspektive zu diesem Thema äußern. Wie immer stellen wir Ihnen natürlich auch diesmal wieder einige unserer Projekte vor. Wir berichten unter anderem über das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, erläutern, warum wir an der Universität zu Köln ein Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache gegründet haben, und werfen einen Blick auf die Ergebnisse des Bildungsberichts Ruhr, den wir 2011 gemeinsam mit dem Regionalverband Ruhr herausgegeben haben. Abschließend schauen wir zurück auf eine Vielzahl von Höhepunkten, die das vergangene Jahr nicht nur für uns geprägt haben. Wir möchten an dieser Stelle allen, die uns 2011 bei unserer Arbeit unterstützt haben, unseren Dank aussprechen. Denn wir wissen, dass ohne die tatkräftige Hilfe unserer Freunde und Partner vieles von dem, was wir im vergangenen Jahr angestoßen und erreicht haben, nicht möglich gewesen wäre. Gleichzeitig blicken wir voller Zuversicht nach vorn: 2012 erwarten uns neue Herausforderungen und Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Wir freuen uns darauf, uns diesen gemeinsam mit Ihnen zu stellen. Rüdiger Frohn Bernhard Lorentz Vorsitzender des Beirats Geschäftsführer
8/9 Schnell, flexibel und unternehmerisch Die Entwicklung der Stiftung Mercator 2011 im Rahmen der Strategie „Mercator 2013: Ideen beflügeln, Ziele erreichen“ von Bernhard Lorentz 2011 war das dritte Jahr, seit sich die Stiftung Mercator im Rahmen ihrer Strategie „Mercator 2013: Ideen beflügeln, Ziele erreichen“ neu aufgestellt hat. Es war geprägt von einer starken Internationalisierung unserer Arbeit, der Gründung unseres neuen ProjektZentrum Berlin und einer Phase der Konsolidierung nach dem deutlichen Wachstum der letzten Jahre. Die Stiftung Mercator ist 2011 international geworden – international als Stiftung in unserer Arbeit insgesamt, aber vor allem mit Blick auf unsere Schlüsselregionen China, Türkei und den Einsatz für ein handlungsfähiges Europa. Wir haben uns für eine Stärkung des Austauschs zwischen China und Deutschland eingesetzt und sind mit unserem Begleitprogramm Aufklärung im Dialog zur Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ einen für eine private Stiftung neuen Weg in der auswärtigen Kulturpolitik gegangen. Als erste europäische private Stiftung haben wir im Zuge dieses Engagements ein eigenes Projektbüro in China mit Sitz in Peking gegründet, das dauerhaft unsere Projektarbeit vor Ort koordinieren wird. In unserer zweiten regionalen Fokusregion, der Türkei, haben wir 2011 eine langfristig angelegte strategische Partnerschaft mit der Sabanci Stiftung begonnen. Mehr als neun Millionen Euro haben wir im vergangenen Jahr für die deutsch/europäisch-türkischen Beziehungen bewilligt. In Istanbul konnten wir im Februar 2012 bereits in einer gemeinsamen Initiative der Stiftung Mercator und der Sabanci Universität das Istanbul Policy Center als europäischen Think-Tank neu eröffnen. Darüber hinaus haben wir uns 2011 in verschiedenen Foren und gemeinsam mit anderen Stiftungen für ein starkes und handlungsfähiges Europa engagiert, unseren dritten Regionalfokus. Wir haben verschiedene Projekte ins Leben gerufen, die gerade in der Krise für eine starke Union eingetreten sind. Berlin als Ort der Begegnungen Aber auch innerhalb Deutschlands haben wir 2011 wichtige sowie lange geplante und vorbereitete Meilensteine für die Entwicklung der Stiftung erreicht. Wir haben unsere Berliner Partner und Projektgesellschaften eingeladen, mit uns in einem gemeinsamen Haus zu arbeiten, einem Campus, den die Stiftung als ProjektZentrum Berlin, in Berlins spannendstem und dynamischstem Quartier, am Hackeschen Markt, eröffnet hat. Rund 90 Kollegen unserer Partner und Freunde setzen sich dort für unsere drei Themen Klimawandel, Integration und Kulturelle Bildung ein. Unser ProjektZentrum Berlin ist für uns zu einem zweiten Standbein geworden. Die Aufgaben bleiben jedoch klar verteilt: Berlin soll ein Ort der Begegnungen sein, während Essen für die Stiftung der Ort der Entscheidungen bleibt.
2011 war aber auch das Jahr, in dem wir unseren 2008 eingeschlagenen Weg des ruhigen, planvollen Wachstums weitergegangen sind und uns zugleich konsolidiert haben. Wir haben nach den ersten drei Jahren starken Wachstums die Standardisierung unserer Prozesse vorangetrieben und unsere Führungsaufgaben und Verantwortlichkeiten gestrafft, indem wir mit den stellvertretenden Leitern der Kompetenzzentren eine neue Führungsebene für die gewachsene Organisation eingezogen haben. Diese übernimmt einen Großteil des operativen Tagesgeschäfts und entlastet damit die Mitglieder der Leitungsebene, die nun auch Teil der Geschäftsleitung geworden sind. Wir sind und bleiben aber im positiven Sinne ein Start-up-Unternehmen – schnell, flexibel und unternehmerisch. So haben wir 2011 in vielen Bereichen wichtige Grundlagen geschaffen, um 2012 zusammen mit unseren Partnern noch mehr für unsere gemeinsamen Ziele bewegen, noch mehr lernen und weiter planvoll wachsen zu können. Unsere Arbeitsschwerpunkte 2012 Von unseren drei Themenclustern Klimawandel, Integration und Kulturelle Bildung steht für uns 2012 vor allem der Kampf gegen den gefährlichen Klimawandel im Mittelpunkt. Immer deutlicher zeigt sich, wie die Finanz- und Wirtschaftskrise mit der Energie-, Klima-, Ernährungs- und der Roh stoffkrise auf vielfältige Weise zusammenhängt. Die Grenzen des Wachstums sind damit nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch sichtbar geworden. Wachstum und Klimakrise gleichzeitig erfolgreich zu managen, ist die zentrale Herausforderung, an der wir mitarbeiten wollen. Für uns ist 2012 ein entscheidendes Jahr, um hier etwas zu bewirken. Daher engagieren wir uns in diesem Bereich noch stärker als bisher, um unser Ziel, gefährlichen Klimawandel zu verhindern, zu erreichen. Wir müssen dafür neue Herangehensweisen und neue Lösungswege erarbeiten. Gerade bei der Energiewende können Stiftungen viel bewirken: Neues Wissen muss generiert werden, und vor allem muss dieses Wissen seinen Weg zu den politischen Entscheidungsträgern finden. Dabei wollen wir mit unseren spezifischen Stärken als private Stiftung mithelfen: unter anderem mit dem Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, das wir 2011 gegründet und 2012 eröffnet haben, und mit der Agora Energiewende, die ebenfalls 2012 startet. 2012 ist für die Stiftung Mercator zugleich aber auch ein Anlass zu feiern: Vor genau 500 Jahren wurde unser Namenspatron, der Kartograph und Kosmograph Gerhard Mercator, geboren. Sein Name steht für die Verbindung von globalem Denken, wissenschaftlicher Präzision und unternehmerischem Handeln. Zugleich zeigt sein Leben die Bedeutung von interkultureller und interreligiöser Toleranz – Werte, für die auch die Stiftung Mercator eintritt. Im Andenken an Gerhard Mercator engagieren wir uns daher im Mercator-Jahr 2012 mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Projekten. Ein weiteres wichtiges Ereignis werden schließlich die Ergebnisse des von uns initiierten Partnerreports sein. Erstmals in Europa haben wir gemeinsam mit anderen Stiftungen unsere Projektpartner und unsere Antragsteller gefragt, wie sie uns wahrnehmen und wie sie die Zusammenarbeit mit uns beurteilen. Wir wollen daraus für unsere Arbeit lernen und die Stiftung „Die Stiftung Mercator weiterentwickeln, um gemeinsam mit unseren Partnern noch mehr Wirkung zu erzielen. befasst sich mit den Bereichen Integration, Klimawandel und kulturel- le Bildung. Sie wünsche, dass das ProjektZentrum zur ,ersten Adresse in Deutschland‘ werde, wenn es um diese drei Themen gehe, sagte NRW-Minister- präsidentin Hannelore Kraft (SPD).“ (WAZ)
Schwerpunkt: Integration durch Chancengleichheit „Mercator-Projekt verbessert Unsere Gesellschaft wird heute immer mehr geprägt durch Menschen aus den verschie die Leistung von Schülern. densten Regionen dieser Welt, durch ihre Kulturen, ihre Sprachen und Traditionen. Die Stadt finanziert das Deutschland ist jedoch weit davon entfernt, all seinen Einwohnern gleiche Chancen zu Erfolgs-Programm für Jugendliche mit Migrations- bieten. Doch nur so kann die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft sichergestellt werden. hintergrund weiter.“ Die entscheidende Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist eine (Mittelbayrische Zeitung) erfolgreiche Bildungslaufbahn. Diese steht Menschen mit Migrationshintergrund jedoch noch immer nicht in gleichem Maße offen wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Ziel der Stiftung Mercator ist es daher, Strukturen zu schaffen, um die hierzulande herrschende Bildungsungleichheit hinsichtlich der Schul- und Hochschulabschlüsse zu beseitigen und die Integrationsgesellschaft voranzutreiben. Um dies zu erreichen, müssen wir jedoch zuerst verstehen, welche Hindernisse unser Bildungssystem für eine gelungene Integration derzeit noch birgt, warum wir die Zuwanderung von Fachkräften als Chance begreifen müssen und wie unsere eigenen Vorurteile der Integration von Menschen aus anderen Kulturen im Wege stehen. Auch die integrationspolitische Rolle von Stiftungen allgemein und die Strategie der Stiftung Mercator im Besonderen wollen wir im Rahmen unseres Schwerpunktthemas darlegen. Wir freuen uns, dass uns mit Armin Laschet, dem ehemaligen nordrhein-west- fälischen Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration, mit Christine Langenfeld, Mitglied des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, mit der Sozialwissenschaftlerin und Migrationsforscherin Naika Foroutan und dem US-amerikanischen NGO- und Stiftungsforscher David C. Hammack einige wichtige Partner bei der Beantwortung dieser Fragen zur Seite stehen und uns ihre Sichtweise der aktuellen Herausforderungen im Bereich Integration im Folgenden vorstellen.
Integration INTEGRATION
12 / 13 Integration 2020: Gemeinsam die Einwanderungsgesellschaft Deutschland gestalten und Integration vorantreiben Die Strategie der Stiftung Mercator im Themencluster Integration von Michael Schwarz und Cornelia Schu Die Gesellschaft, in der wir leben, ist durch kulturelle und sprachliche Vielfalt geprägt. Wenn wir ihre Zukunftsfähigkeit sichern wollen, müssen wir die Potenziale aller hier lebenden Menschen nutzen und ihnen die Chance eröffnen, an zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzuhaben. Bildung ist dafür die entscheidende Voraussetzung. Deshalb setzen wir uns in unserem Themencluster Integration dafür ein, die bestehende Ungleichheit bei Schul- und Hochschulabschlüssen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu beseitigen. Unser Ziel ist es, die Bildungsungleichheit in Deutschland im Hinblick auf die Schul- und Hochschul abschlüsse von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im Alter von 15 bis 30 Jahren deutlich zu reduzieren – bis 2025 um 70 Prozent gemessen am Stand von 2005. Unser Zwischenziel besteht darin, die Unterschiede bis 2015 um 30 Prozent zu verringern. 20 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen weisen heute einen Migrationshintergrund auf. Bei Kindern und Jugendlichen ist dieser Anteil sogar noch größer. Der demografische Wandel hat zur Folge, dass die sprachliche, kulturelle und religiöse Vielfalt weiter zunehmen wird. Diese Diversität muss mit offenen und gleichen Lebenschancen einhergehen, wenn eine Gesellschaft freiheitlich und sozial gerecht sein will. Die Möglichkeit aller, an zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzunehmen, ist dabei auch für den sozialen Frieden konstitutiv. Zudem ist Deutschland darauf angewiesen, alle seine Talente bestmöglich zu nutzen, da eine Vergeudung von Potenzialen
zu hohen gesellschaftlichen und fiskalischen Kosten führt. Chancengleichheit zu schaffen, ist somit keine sozialkaritative, sondern eine gesellschaftspolitische Herausforderung und liegt im Interesse der Einwanderungsgesellschaft insgesamt. Um die mit gesellschaftlicher Diversität verbundenen Potenziale zu heben, müssen zukunftsfähige Institutionen für den Umgang mit ihr entwickelt werden. Deshalb streben wir eine systemische Veränderung an, die Menschen mit Migrationshintergrund eine chancengleiche Partizipation ermöglicht. Bildung als Schlüssel zu Chancengleichheit Wir konzentrieren uns dabei auf Bildung, da sie die wesentliche Voraussetzung für gelingende Integration und Partizipation ist: Sozialer Aufstieg setzt fast immer eine Verbesserung im Bildungsniveau voraus. Bildungseinrichtungen sind somit die Orte, an denen sozialer Aufstieg außerhalb und unabhängig von der Familie ermöglicht oder aber Ungleichheit verfestigt wird. Allerdings ist im Bereich Bildung die genannte Diversität in Deutschland derzeit mit sozialer Ungleichheit verbunden: So fehlt Migranten dreimal häufiger als Deutschen ohne Migrationshintergrund jeglicher Schulabschluss. Sie machen dreimal seltener Abitur, haben dreimal häufiger keinen Berufsabschluss und erreichen seltener einen Hochschulabschluss. Die Bildungsbenachteiligung betrifft auch die in Deutschland geborene zweite Generation. INTEGRATION Zielgruppe Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene Bei der Zielgruppe im Bereich Bildung konzentriert sich die Stiftung Mercator auf Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene mit Migrationshintergrund aus sozial benachteiligten Haushalten. Damit fokussieren wir unser Engagement auf eine potenziell besonders benachteiligte Gruppe. Die von uns angestrebte reale Chancengleichheit im Bildungsbereich unterscheidet sich dabei sowohl von formaler Chancengleichheit als auch von einer Gleichheit der Ergebnisse. Ein Bildungssystem, das zwar gleiche Leistungen gleich bewertet, aber ungleiche Ausgangslagen unzureichend beachtet, zementiert soziale Ungleichheiten. Umgekehrt ist mit Bildung keine Erfolgsgarantie verbunden; sie gelingt selbst bei optimaler Förderung keineswegs für alle. Um reale Chancengleichheit zwischen Zuwanderungs- und Mehrheitsbevölkerung im Bildungs- bereich zu erzielen, setzt die Stiftung Mercator vor allem auf einen systemischen Ansatz. Er soll es im Sinne einer präventiven Handlungsweise allen am Bildungssystem Beteiligten (Schülern, Lehrern, Eltern) ermöglichen, kompetent mit den Anforderungen umzugehen, die sich aus zunehmen- der Diversität ergeben, und so die individuellen Bildungsergebnisse von Kindern und Jugendlichen sowie die Leistungsfähigkeit des Systems insgesamt verbessern. Kompensatorische Ansätze werden gewählt, wenn ein akuter Handlungsbedarf besteht. Hebelwirkung durch fokussierte Intervention Private Stiftungen können auf dem Feld der Bildung deutlich mehr bewegen als auf anderen Feldern, auf denen Chancenungleichheit zwischen Menschen mit und Menschen ohne Migrationshintergrund besteht. Nach Jahrzehnten unzureichender Integrationspolitik zeichnet sich der Bildungsbereich heute im Umgang mit Migration und Diversität durch dynamischen Wandel sowie große Komplexität aus. Für Stiftungen bietet sich damit die Chance, durch fokussierte Intervention eine besonders große Hebelwirkung zu erzielen. Zudem ist Bildung im föderalen System der Bundesrepublik Ländersache. Innovationen brauchen starke Initiatoren vor Ort, die über die Sektoren hinweg Partner einbinden. Zugleich müssen Bildungsinnovationen für mehr Chancengleichheit über die verschiedenen Ebenen hinweg (Kommune, Land, Bund) kommuniziert werden. Private Stiftungen haben die Möglichkeit, über ihre
14 / 15 Netzwerke und ihre Reputation diese unterschiedlichen Ebenen miteinander zu verknüpfen und Entscheidungsträger aus den verschiedenen Bereichen miteinander ins Gespräch zu bringen. Eine solch grundsätzliche und strategische Beeinflussung des Bildungsbereichs braucht auch den internationalen Dialog, um von den guten Beispielen in anderen Ländern zu lernen. Die Stiftung Mercator bringt dazu die hierfür notwendigen Kontakte aus ihren internationalen Netzwerken ein. Unsere Handlungsfelder Um mehr Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund zu höheren Bildungsabschlüssen zu verhelfen, wollen wir bei den Kerninstitutionen von Bildung ansetzen: Schulen und Hochschulen. Wir wollen die Struktur des Bildungssystems, den Bildungsprozess und die Qualifizierung von Schlüsselpersonen im Bildungssystem weiterentwickeln. // Strukturen von Schule und Hochschule: Die Struktur und das Umfeld, in dem gelernt wird, spielen für eine erfolgreiche Vermittlung von Lerninhalten und für das Erreichen guter Ab- schlüsse eine große Rolle. Hier setzen wir uns dafür ein, optimale institutionelle Rahmen bedingungen zu entwickeln, die das Lernen in und mit Vielfalt unterstützen. // Bildungsprozesse in Schule und Hochschule: Wir wollen die Bildungsprozesse besser auf die immer heterogenere Gruppe der Bildungsempfänger ausrichten. Dabei steht für uns, neben einer anregenden und kultursensiblen Lehr- und Lernkultur, die Gestaltung von Curricula in Schule und Hochschule im Mittelpunkt. Insbesondere die Berücksichtigung der individuellen Potenziale muss zum Grundsatz bei der Neugestaltung von Bildungsprozessen werden. // Qualifizierung der Schlüsselpersonen: Wir wollen nachhaltig mehr und höhere Abschlüsse von Schülern und Studierenden mit Migrationshintergrund ermöglichen. Dafür müssen die Schlüsselpersonen, die die Entwicklung dieser Zielgruppe beeinflussen, lernen, mit den Bedürfnissen einer heterogenen Schüler- und Studierendenschaft umzugehen und ihre Förderbedarfe zu befriedigen. Alle Akteure – Lehrer, Schulleiter, Eltern sowie Professoren, Dozenten und Studienberater, aber auch Bildungsdezernenten und Mitarbeiter der Kultusministerien – sollen darin aus- und fortgebildet werden, hochwertige Förderangebote entwickeln sowie individuell fördern, partizipativ und kultursensibel arbeiten zu können. Thematische Schwerpunkte setzen wir in den Bereichen Sprachförderung und Begleitung von Bildungsbiografien, da wir diese als Schlüsselthemen der Integrationsarbeit in Schule und Hochschule ansehen. Darüber hinaus können weitere thematische Schwerpunkte im Zusammenhang mit den genannten Handlungsfeldern verfolgt werden. Da Migration und Integration in einem transnationalen Kontext stehen und somit neben den lokalen Ansätzen auch europäische Normen und Kooperation brauchen, unterstützen wir Initiativen in unseren Handlungsfeldern, die die deutsche Integrationspolitik in den europäischen Kontext stellen und wirkungsvolle sowie gerechte Ansätze und rechtliche Normen für Europa entwickeln. Beispiele aus der Praxis Chance2 Mit Chance² werden erstmalig in Deutschland Jugendliche mit Migrationshintergrund und aus Nicht-Akademikerfamilien ab der Klassenstufe 9 und 10 bis zum Bachelorabschluss gezielt gefördert. Das Programm ist an der Universität Duisburg-Essen im deutschlandweit ersten Prorektorat für Diversity Management angesiedelt. In den vier Jahren bis zum Abitur werden vier Bereiche besonders gefördert: Schreiben & Reden, Studienwahl, Uni auf Probe sowie Mentoring. Den Teilnehmern entstehen keine Kosten, sie erhalten sogar ein zusätzliches Bildungsgeld für Ausgaben wie Bücher. Wenn sich die Programmteilnehmer
nach dem Abitur für ein Studium an der Universität Duisburg-Essen entscheiden, werden sie bis zum Bachelor-Abschluss in einer zweiten Förderphase weiter ideell und finanziell unterstützt. Während der beiden Stufen haben sie feste Ansprechpersonen und werden kontinuierlich begleitet. Zugleich werden auch die Eltern und Schulen mit gezielten Informationsveranstaltungen einbezogen. Ganz In – Mit Ganztag mehr Zukunft. Das neue Ganztagsgymnasium NRW „Ganz In – Mit Ganztag mehr Zukunft. Das neue Ganztagsgymnasium NRW“ ist ein gemeinsames Projekt der Stiftung Mercator, des Instituts für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund (IFS) – stellvertretend für die drei am Projekt ebenfalls beteiligten Hochschulen der Universitätsallianz Metropole Ruhr (UAMR) – und des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. In diesem Projekt arbeiten 31 ausgewählte Gymnasien des Landes NRW mit. Ganz In optimiert nachhaltig die organisatorische Struktur von Ganztagsgymnasien und baut durch die Unterrichts entwicklung eine besondere Kultur der individuellen Förderung aus. Das Projekt besteht aus mehreren Phasen. Zu Beginn wird gemeinsam mit den teilnehmenden Gymnasien ein individuelles Ganztagskonzept entwickelt, das die organisatorischen und inhaltlichen Rahmenbedingungen festlegt. In Form von neu entwickelten Modulen arbeiten die Schulen dann sowohl organisatorisch als auch inhaltlich an einer Weiterentwicklung ihrer Institution. Den Aspekten Deutsch als Zweitsprache (DaZ) sowie Sprachverstehen wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt. proDaZ – Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern INTEGRATION Die Universität Duisburg-Essen entwickelt und erprobt eine neue Lehrerausbildungsstruktur, die erstmals in Deutschland in einem besonderen Maße den Umgang mit „Deutsch als Zweitsprache“ sowie die fachverbundene Sprachförderung in die Ausbildung von Lehrern für alle Schulformen und -fächer integriert. Damit geht das Modellprojekt deutlich über die Vorgaben des Lehrerausbildungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen von 2009 hinaus. Alle Lehramtsstudenten sollen verstärkt für die Förderung in „Deutsch als Zweitsprache“ ausgebildet und sensibilisiert werden, um zu gewährleisten, dass die zukünftigen Lehrer die Lernbedürfnisse der steigenden Anzahl von Schülern mit Migrationshintergrund berücksichtigen und sie angemessen sprachlich fördern können. Die Stiftung Mercator unterstützt das Projekt bis 2016. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration Die Stiftung Mercator, VolkswagenStiftung, Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Körber-Stiftung, Vodafone Stiftung und ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius haben als Gemeinschaftsprojekt mit dem Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) ein unabhängiges und wissenschaftliches Expertengremium ins Leben gerufen, das jährlich in einem Jahresbericht und Gutachten zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht. Ziel ist es, die Politik in Bund, Ländern und Gemeinden sowie die Zivilgesellschaft mit wissenschaftlich fundierten und handlungsorientierten Gutachten und Empfehlungen zu begleiten sowie die entsprechenden Maßnahmen zu evaluieren. Weitere Informationen zum Themencluster Integration und unseren Projekten finden Sie unter: www.stiftung-mercator.de/integration www.svr-migration.de
16 / 17 Die klügsten Köpfe nach Deutschland holen Deutschland braucht eine gesteuerte Zuwanderung an Fachkräften aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland von Armin Laschet Die Stiftung Mercator hatte gemeinsam mit einem Konsortium großer deutscher Stiftungen im April 2011 als Antwort auf den sich verschärfenden Fachkräftebedarf ein in der Stiftungslandschaft neues Projekt initiiert. Sie rief die unabhängige und parteiübergreifende Hochrangige Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung ins Leben, die ihren Endbericht im November 2011 der Öffentlichkeit vorgelegt hat. Die Wirtschaft in Deutschland erholt sich von der schweren Krise in raschem Tempo, und auch der Arbeitsmarkt sendet positive Signale. Knapp 41 Millionen Menschen sind in Deutschland erwerbstätig. Immer mehr Unternehmen wollen in den kommenden Monaten neue Mitarbeiter einstellen. Zugleich berichten schon heute viele Unternehmen, dass sie trotz einer Arbeitslosenquote von sieben Prozent einen Teil ihrer offenen Stellen nicht besetzen können. Es treten bereits erste Engpässe bei Ingenieuren, Naturwissenschaftlern, Informatikern und Technikern auf. Im sogenannten MINT-Bereich, also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, fehlten nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft selbst im Krisenjahr 2009 im Durchschnitt 63.000 Fachkräfte. Unverkennbar sind Fachkräfteengpässe zudem vor allem im Pflegebereich, wo Mitte 2010 bereits 20.000 Fachkräfte fehlten, sowie bei einzelnen Facharbeiterberufen insbesondere in der Metall- und Elektroindustrie. Inländische Potenziale besser nutzen Durch den demografischen Wandel wird sich das Fachkräfteproblem in Zukunft deutlich verschärfen. Die linear ansteigende Lebenserwartung der Bevölkerung und die niedrige Geburtenrate führen dazu, dass die Bevölkerung in Deutschland dramatisch schrumpfen und das durchschnittliche Alter der Bevölkerung deutlich steigen wird. Zudem sinkt die Zahl der Personen im Alter von 20 bis 65 Jahren in den nächsten 20 Jahren von heute ca. 50 Millionen um fast ein Fünftel, und dadurch werden Fachkräfteengpässe künftig verstärkt auftreten. In unserer älter werdenden Gesellschaft müssen wir zunächst die Potenziale der Menschen im Lande besser nutzen. Ältere Arbeitnehmer mit ihrer Erfahrung brauchen neue Chancen, die Frauenerwerbsquote ist immer noch niedriger als in vielen EU-Ländern und unsere Schulen verlassen noch zu viele Jugendliche ohne Abschluss. Im Inland sind besonders Gewerkschaften und Arbeitgeber gefordert, durch Weiterbildung und Qualifizierung lebenslang Potenziale zu fördern. Wir brauchen eine neue Anwerbekultur Aber bei allen Anstrengungen im Inland sind die demografischen Grunddaten offenkundig: Heute leben in Deutschland 13,1 Millionen Menschen zwischen 45 und 54 Jahren. Bei den Kindern zwischen fünf und 14 Jahren sind es 7,6 Millionen. Dass fünf Millionen Menschen in absehbarer Zeit zur Erarbeitung des Bruttoinlandsprodukts fehlen werden, ist keine Prognose, sondern statistische Realität.
Der Blick in die Zukunft ist es also, der uns heute Sorgen bereiten muss. Deutschland muss deshalb „Unternehmen und jetzt seine kollektive Körpersprache ändern. Wir strahlen immer noch aus, Zuwanderung eher Experten sind sich einig: abzuwehren als um die besten Köpfe der Welt zu werben. Deutschland braucht Was wir aber brauchen, ist eine neue Anwerbekultur, in der jede deutsche Auslandsvertretung, dringend mehr Fachkräfte jede Visaabteilung, jede Auslandshandelskammer, jedes Goethe-Institut, jede Ausländerbehörde es und eine mutigere als wichtigste Aufgabe ansieht, den klügsten Köpfen der Welt den Weg nach Deutschland zu ebnen. Zuwanderungspolitik. INTEGRATION Verschiedene deutsche Fachkräftebedarf durch gezielte Zuwanderung decken Stiftungen haben daher Dringend muss das deutsche Zuwanderungsrecht klar an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes gemeinsam eine partei- ausgerichtet werden. Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften aus dem euro- übergreifende ,Hochrangige päischen und außereuropäischen Ausland nach Deutschland. Hierzu sollte ein an Qualifikationen, Konsensgruppe Fachkräfte- Berufserfahrungen und Sprachkenntnisse anknüpfendes, kriterienorientiertes Zuwanderungs bedarf und Zuwanderung‘ verfahren eingeführt werden. ins Leben gerufen.“ Die Erfahrung zeigt, dass die Abschottung des Arbeitsmarktes gegen ausländische Fachkräfte (Hamburger Abendblatt) nicht zu mehr Beschäftigung von Inländern führt. Das Gegenteil ist richtig: Eine Zuwanderungspolitik, die sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiert, führt zu mehr wirtschaftlicher Dynamik insgesamt und damit auch zu mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Inländer. Es kann Deutschland nur nutzen, sich auch mit Themen von großer Bedeutung für Industrie, mittelständische Wirtschaft und Arbeitsplätze der Zukunft zu befassen. Wenn es uns nicht gelingt, qualifizierte Fachkräfte im Ausland für uns zu gewinnen, verliert der Industriestandort Deutschland an Attraktivität. Irgendwann wird die Industrie dorthin gehen, wo die Arbeitsplätze sind, und abwandern. Moderne Standortpolitik heißt auch, weltweit um die klügsten Köpfe zu werben. Wer qualifizierte Zuwanderung verweigert, schwächt angesichts unserer älter werdenden Gesellschaft den Standort Deutschland. Dass die Hochrangige Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung über Parteigrenzen hinweg einen Konsensvorschlag mit Persönlichkeiten aus CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen sowie Ar- beitgebern und Gewerkschaften erzielt hat, ist ein Verdienst der Stiftungen, der nachahmenswert ist. Armin Laschet ist Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtages und war Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam mit Dr. Peter Struck war er Vorsitzender der Hochrangigen Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung.
18 / 19 Der Normalfall Heterogenität an deutschen Schulen Chancen und Herausforderungen für einen gerechten Bildungszugang von Christine Langenfeld In der Antrittsrede von Bundespräsident Joachim Gauck heißt es: „Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten sind, auch andere Sprachen, andere Traditionen und Kulturen, in dem der Staat sich immer weniger durch die nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt, sondern durch ihre Zugehörigkeit zu einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft (…).“ In der Schule zeigt sich diese Verschiedenheit im Religiösen, Sprachlichen und Kulturellen, in den unterschied- lichen Traditionen und Alltagspraktiken in besonderer Weise. Schüler aus aller Herren Länder kommen hier zusammen, lernen zusammen. In der Schule entfaltet sich die Ein- wanderungsgesellschaft. Heterogenität ist also heute – regional unterschiedlich stark ausgeprägt – der Normalfall an deutschen Schulen; damit verbunden sind gleichermaßen Chancen und Herausforderungen, für diejenigen, die in der Schule Verantwortung tragen, und für die, die in ihr lehren und lernen. Die Leitidee, unter der die Schule steht, ist die von der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes, von der gezielten Förderung von individuellen Gaben und Fähigkeiten. In unmittelbarer Verbindung dazu steht ein weiterer zentraler Aspekt staatlicher Erziehungsverantwortung, die Chancengleichheit. Es geht darum sicherzustellen, dass jedermann – unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht – gleichen Zugang zu Bildung und damit die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten erhält. Dies entspricht dem teilhabeorientierten Begriff von Integration, von dem der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) ausgeht: „Als Integration gilt die möglichst chancengleiche Partizipation an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Diese reichen von Erziehung und früher Bildung in der Familie und in vorschulischen Einrichtungen über schulische Bildung, berufliche Ausbildung und ein durch Arbeit und deren Ertrag selbstbestimmtes, nicht transferabhängiges Leben bis hin zur – statusabhängigen – politischen Partizipation und zur Teilhabe an den verschiedensten Schutz- und Fürsorgesystemen im Rechts- und Wohlfahrtsstaat.“ (SVR-Jahresgutachten 2010, „Einwanderungsgesellschaft 2010“, Kernbotschaft Nr. 8) Dass der Schule bei der Umsetzung dieses Konzepts von Integration eine Schlüsselrolle zukommt, ist allen Beteiligten seit langem klar. Gleichwohl bleibt die Schule trotz mancher positiver Trends der jüngeren Zeit eine schwierige integrationspolitische Baustelle, gerade auch wegen der wachsenden Heterogenität der Schülerschaft. Bei der Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen sollte sich die Schule an den folgenden Leitplanken orientieren.
Heterogenität darf nicht zur Bildungsfalle werden Ethnisch gemischte Schulen werden gerade von bildungsaffinen, einkommensstarken Eltern mit und ohne Migrationshintergrund gemieden. Dahinter steht ein Paradox, das im Integrationsbarometer 2010 des Sachverständigenrates zutage getreten ist: Denn obwohl Zuwanderer- wie Mehr heitsbevölkerung die eigenen Erfahrungen im Umgang mit ethnischer Heterogenität in den Institutionen des Bildungssystems durchaus für „gut“ halten, sind sie in weiten Teilen nicht bereit, ihre eigenen Kinder in solche Schulen zu schicken. Das Ergebnis ist schulische Segregation, sind erschwerte Lernbedingungen, die negativ zurückwirken auf die Lern- und Entwicklungsmilieus der Kinder. Die Folgen sind bekannt. Ein Patentrezept gegen die ethnische und die damit verbundene soziale Segregation in der Schule gibt es nicht. Was bleibt, ist: Schulen mit einem hohen Zuwandereranteil müssen attraktiver, das heißt sie müssen besser ausgestattet werden, insbesondere auch personell! Das verbessert nicht nur die Leistung der Schüler, sondern beeinflusst mit zunehmender Sogwirkung auch die Entscheidung von Eltern zugunsten dieser Schulen. INTEGRATION Heterogenität und Integration sind keine Gegensätze Es kann nicht genug hervorgehoben werden, dass den jungen Zuwanderern ohne ausreichende Integration und namentlich ohne sichere Beherrschung der deutschen Sprache der Weg in die qualifizierten Berufe – vom Facharbeiter bis zum Hochschulabsolventen – versperrt ist. Eine Voraussetzung dafür besteht in der Schaffung von Lebensbedingungen, bei denen eine Person mit ihrer Umwelt interagieren kann, sich als Mitglied der Gesellschaft fühlt. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung des kulturellen, religiösen und sprachlichen Hintergrundes der Zuwandererkinder innerhalb der Schule. Denn Schulen müssen sich immer mit den heterogenen Lebensverhältnissen ihrer Schüler auseinandersetzen, wollen sie ihre auf das einzelne Kind bezogene Bildungs- und Erziehungsaufgabe erfüllen. Schule darf nicht ausgrenzen, sondern muss einbeziehen, sie darf nicht Entwicklungsmöglichkeiten nehmen, sondern muss sie bieten, kurz, sie muss eine Schule der Freiheit und der Chancen sein. Ergebnisgleichheit garantieren kann sie nicht. Heterogenität als Normallage und Differenz im besten Sinne ertragen lernen und zugleich Gemeinsamkeit vermitteln Die Schule muss die Schüler, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, in die Lage versetzen, mit Menschen aus anderen Kulturen zusammenzuleben, Vielfalt als Bereicherung und Ressource in einer vernetzten Welt zu begreifen. Die damit auch verbundenen Probleme dürfen nicht verdrängt, sondern müssen angepackt werden. Gleichzeitig muss es darum gehen, sich des gemeinsamen Fundaments von Werten und Normen zu versichern, auf die die immer vielgestaltigere Gesellschaft mehr denn je angewiesen ist, und zu erkennen, was uns, die wir hier leben, miteinander und mit unserem Land verbindet. Prof. Dr. Christine Langenfeld ist Professorin für Öffentliches Recht und Direktorin der Abteilung für Kulturverfassungs- und Kulturverwaltungsrecht des Instituts für Öffentliches Recht an der Georg-August-Universität Göttingen. Ihre Forschungsfelder sind das Recht der Europäischen Union sowie das Zuwanderungs-, Bildungs- und Erziehungsrecht. Seit 2008 gehört sie dem Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration an.
20 / 21 Integration und Kultur Über die irrtümliche Verknüpfung beider Begriffe von Naika Foroutan Der Integrationsbegriff wird in den Debatten, die diesbezüglich im letzten Jahrzehnt und besonders seit der Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes geführt werden, vor allem als eine Debatte um Zugehörigkeit zu einem bestimmten kulturellen Kontext verstanden. Dabei wird jedoch nicht formuliert, was man sich unter der viel beschworenen deutschen Leitkultur tatsächlich vorzustellen habe. Während „die“ deutsche Kultur noch in den 1960er Jahren eher mit Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Sauberkeit oder Ehrlichkeit in Verbindung gebracht wurde, versteht sich ein in einen europäischen und globalen Kontext eingebettetes Deutschland eher einem vermeintlich europäischen Wertekanon zugehörig. Dieser Wertekanon wird heute mit „abendländisch- aufklärerisch“ umschrieben und mit Attributen wie „demokratisch“, „weltoffen“ und „tolerant“ besetzt. Interessant ist, dass mit diesen sich wandelnden eigenen Werten auch die vermeintlich Anderen, die es zu integrieren gilt, ihre angestammten Wertezuschreibungen verlieren und anpasst werden: Während diejenigen, die sich nach gesellschaftlichen Maßstäben nicht integrieren können, in den 1960er Jahren als unehrlich, schmutzig und immer zu spät kommend wahrgenommen wurden, werden sie heute als undemokratisch, verschlossen und intolerant bezeichnet. Die dadurch entstehende Inkompatibilität zur deutschen/europäischen Kultur wird dann damit erklärt, dass sie die Aufklärung nicht durchlaufen hätten. Diese wirkt hierbei wie eine Impfung, die einmal verabreicht vor antidemokratischen und intoleranten Grundzügen grundsätzlich schütze – so als habe es Kolonialverbrechen, Weltkriege und den Holocaust nicht nach der Aufklärung gegeben. Kultur als Begründung für Integrationsunfähigkeit Kultur wird somit zum Erklärungspunkt sämtlicher als sozialisationsrelevant anerkannten gesellschaftlichen Probleme: Dass junge Muslime häufiger die Schule abbrechen, weniger stark auf dem Arbeitsmarkt vertreten sind, teilweise schlechter die deutsche Sprache sprechen oder prozentual kriminell auffälliger sind als herkunftsdeutsche Jugendliche, wird ebenso mit ihrer kulturellen Disposition erklärt wie die für viele dieser Missstände relevante soziale Segregation in sogenannte Parallelgesellschaften. Ursachen wie soziale Ungleichheit, Armut, Diskriminierungserfahrungen bei der Bewerbung um Arbeitsplätze oder bei der Empfehlung auf weitergehende Schulen werden hier ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass die segregierten Stadtteile in vielen deutschen Großstädten deswegen entstanden sind, weil den (muslimischen) Migranten beim Zuzug in die Stadt per Stempel im Pass zugewiesen wurde, wo sie leben durften und mussten.
INTEGRATION Gesellschaften ändern sich – Kulturen auch Kultur ist aber kein statischer Begriff, sondern ein fließender, der sich durch Kontakt, Reflexion, Geschichtsdeutung und Zukunftsausblick immerfort verändert. Kultur und damit gekoppelt Integration als ein Rollengefüge oder Wertekorsett zu deuten, in das man sich zu fügen habe und auf dessen Veränderung kein Anrecht bestehe, wenn man nicht aus diesem kulturellen Kanon stamme – dies ist eine vormoderne Idee, die an Zeiten erinnert, in denen Menschen in bestimmte Gruppen und Rollen hineingeboren wurden – als Adelige, Bauern oder Leibeigene – und sich auch niemals in eine andere Gruppe „integrieren“ konnten. Wir aber leben in der Postmoderne – Patchwork-Identitäten sind alltäglich geworden: Man kann als Frau den gewachsenen kulturellen Wertekanon verwei- gern und kinderlos bleiben und muss sich nicht den Vorwurf der Integrationsverweigerung gefallen lassen, genauso wenig wie ein homosexueller Mann im gewachsenen kulturellen Wertekonsens des diplomatischen Parketts. Die deutsche Gesellschaft spiegelt diesen selbstverständlichen Umgang mit sozialer Veränderung tagtäglich wider. Aber diese Offenheit scheint geringer zu sein, wenn es um das Thema der Integration von Muslimen geht. Integration ist und bleibt ein beidseitiger Prozess, und es kann nach 50 Jahren Zuwanderung von Muslimen nach Deutschland keine einseitig formulierte Bringschuld geben. Nur die beidseitige Übernahme von Verantwortung erlaubt es uns, Deutschland als post-migrantische Gesellschaft zu erfassen, in der man dem Märchen von der Abstammung, durch die Gemeinschaften strukturiert und Zugehörigkeiten etabliert werden, keinen Glauben mehr schenkt. Dr. Naika Foroutan leitet seit 2008 das an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelte Forschungsprojekt „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle (HEYMAT)“.
22 / 23 Die Rolle von Stiftungen in der US-amerikanischen Integrationspolitik Wie Stiftungen in vielen Bereichen Denkgewohnheiten ändern können von David C. Hammack Der vielleicht wichtigste Teil der Stiftungsarbeit im Bereich der Integration konzentriert sich darauf, Denkgewohnheiten sowohl in der allgemeinen Öffentlichkeit als auch bei Gesetzgebern, Behörden, Lehrern, Polizisten, Richtern und anderen zu hinterfragen. Die Förderung von Gunnar Myrdals Studie „An American Dilemma. The Negro Problem and Modern Democracy“ (1944) durch die Carnegie Corporation of New York ist eines der bekanntesten Beispiele für diese Art von Engagement. Es ist jedoch nicht ganz einfach, den Einfluss von Stiftungen in den genannten Bereichen einzuschätzen: Stiftungen haben sehr begrenzte finanzielle Mittel, und obwohl einige von ihnen über ein beachtliches Ansehen und daher über die Möglichkeit verfügen, Einfluss zu nehmen, sehen sich alle Stiftungen auch mit Kritikern konfrontiert. Stiftungsinitiativen, die Wissen und Informationen sammeln, dem Nachdenken über Fakten einen Rahmen geben, Modellprogramme unterstützen oder Lehrer und Sozialarbeiter ausbilden, waren aber bisweilen sehr effektiv, besonders wenn dies in der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren erfolgte. Integration durch Toleranz und Informationen Stiftungen – wie die Ford Foundation, aber auch die Taconic Foundation und andere kleinere sowie Familienstiftungen – haben zum Beispiel sehr viel für die Unterstützung des NAACP Legal Defense and Educational Fund und des Mexican American Legal Defense and Educational Fund getan, zweier gemeinnütziger Organisationen, die eine entscheidende Rolle in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gespielt haben. Ich bewundere besonders die Arbeit von „Facing History and
Ourselves“, einer Organisation, die vor allem Schulmaterialien zu den Themen Rassismus und Toleranz erstellt. Vergleichbare Initiativen sind unter anderem „Teaching Tolerance“ sowie das Konzept der „Kulturdiplomatie“ und die Bildungsprogramme von B’nai B’rith International. Ein wichtiger Beitrag von Stiftungen besteht außerdem in der Aufbereitung und Veröffentlichung von Informationen. Ein herausragendes aktuelles Beispiel dafür ist die Initiative der Annie E. Casey Foundation, die wertvolle Daten zum Wohlergehen US-amerikanischer Kinder auf nationaler und bundesstaatlicher Basis erhebt und diese bereits im 22. Jahrgang des „Kids Count Data Book“ veröffentlicht hat. Die Kaiser Family Foundation und die Robert Wood Johnson Foundation engagieren sich in ähnlichen Bereichen und setzen sich für eine allen zugängliche Gesundheitsversorgung ein. Der Begriff der Integration in den USA In den USA verwendet man den Begriff Integration in Bezug auf nationale Herkunft und Ethnizität („Amerikanisierung“ im offiziellen Sprachgebrauch), in Bezug auf die amerikanischen Ureinwohner INTEGRATION (als Volksgruppen und Individuen), aber auch in Bezug auf den Arbeitsmarkt, auf die Religion – was die Beziehung zwischen Staat und Kirche und auch die staatliche und private ökonomische und soziale Diskriminierung von Katholiken, Juden und Muslimen anbelangt – und in Bezug auf Genderfragen und Fragen sexueller Ausrichtung sowie in Bezug auf physische und geistige Behinderung. Stiftungen setzen sich für alle Aspekte der hier genannten Themen ein. Sowohl weiße als auch afroamerikanische Forscher haben zurückliegende und neueste Stiftungsbestrebungen im Bereich der Bildung jedoch als Bevormundung kritisiert. In seinem Buch „Identifying Talent, Institutionalizing Diversity. Race and Philanthropy in Post-Civil Rights America“ (2004) attestiert der Autor Jiannbin Lee Shiao den Stiftungen einen wesentlichen Einfluss, was die Einführung und Neuausrichtung der Antidiskriminierungspolitik angeht. Jedoch misst er ihnen meiner Meinung nach zu viel Bedeutung bei. Alice O’Connor hingegen kritisiert in ihrer Studie „Poverty Knowledge. Social Science, Social Policy, and the Poor in Twentieth-Century U. S. History“ (2001) einige Stiftungsinitiativen zur Armutsbekämpfung als zu wenig durchdacht, ineffektiv und nicht anspruchsvoll genug. Konservative und christliche Stiftungen haben sich aber in gewissem Maße auch an der Förderung religionsgebundener privater Schulen, Krankenhäuser und anderer Einrichtungen be teiligt und mit darauf gedrängt, dass diesbezüglich Ausnahmen von den bundesstaatlichen Anti diskriminierungsgesetzen gemacht werden, was unlängst durch das Oberste Bundesgericht ge nehmigt wurde. Prof. Dr. David C. Hammack ist Professor für Geschichte an der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, und veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu den Themen Zivilgesellschaft und Nonprofit-Sektor in den Vereinigten Staaten.
24 / 25 Kompetenzzentrum Wissenschaft Während der Einfluss der Wissenschaften auf fast alle Lebensbereiche der Menschen beständig steigt, wachsen auch unsere Erwartungen an sie in weiter zunehmendem Maße. Denn nicht nur generiert die Wissenschaft gesamtgesellschaftlich einen hohen Nutzen, vielmehr hängt auch die Fähigkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe jedes Einzelnen mehr und mehr davon ab, dass Menschen über eine auf Wissenschaft beruhende (Aus-)Bildung verfügen. Der Gewinn für die Gesellschaft und eine Verbesserung der Teilhabe an ihr sind die übergreifenden Ziele der Stiftung Mercator bei der Förderung der Wissenschaften. Wir verfolgen daher im Kompetenzzentrum Wissenschaft zum einen mit wissenschaftlichen Projekten die Ziele der Stiftung in den übergreifenden Themenclustern: die Verhinderung gefährlichen Klimawandels, eine bessere Integration und die Stärkung kultureller Bildung. Diese gesellschaftspolitischen Ziele verfolgt die Stiftung Mercator aus den besonderen und sich wandelnden Bedingungen von Wissenschaft, Bildung und Internationaler Verständigung heraus. Zum anderen haben wir aus der Wissenschaft und ihren institutionellen Bedingungen heraus drei Handlungsfelder bestimmt: // die Unterstützung der institutionellen Entwicklung von Hochschulen und des Hochschulsystems: Ein Prozess wachsender Differenzierung von Profilen und Aufgaben bestimmt in Deutschland die Weiterentwicklung der Universitäten. Er stellt jede einzelne Institution vor Herausforderungen und schafft zudem große Dynamiken im Gesamtsystem. Durch exemplarische Projekte wirken wir auf beiden Ebenen. // die Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre: Der Prozess der Differenzierung verlangt unter anderem eine bessere Würdigung und Förderung der vielfältigen Aufgaben und Leistungen von Hochschulen. Dazu gehört für uns vor allem das Engagement für eine bessere Qualität und einen höheren Stellenwert der Lehre. // die Erschließung perspektivenreicher, „explorativer“ Forschungsfelder: Hier setzen wir gemeinsam mit Wissenschaftlern eigeninitiativ und risikobereit Akzente für neue Forschungsthemen. Dr. Wolfgang Rohe leitet das Kompetenzzentrum Wissenschaft der Stiftung Mercator.
Wissen- schaft WISSENSCHAFT
26 / 27 Landkarten des Wissens Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) will Optionen zur nachhaltigen Bewirtschaftung globaler Gemeinschaftsgüter aufzeigen von Ottmar Edenhofer Wettbewerb und private Eigentumsrechte haben den Kapitalismus des 19. und 20. Jahrhunderts entfesselt und damit ein nie dagewesenes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum ermöglicht. Im Zuge dieses anhaltenden Wachstums steigt der weltweite Ressourcenverbrauch und es entstehen neue Knappheiten. Die knappe Deponie Atmosphäre füllt sich mit Treibhausgasen und gefährlicher Klimawandel droht. Auch auf der Ressourcenseite entstehen Engpässe. Die global steigende Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten und der zunehmende Zersiedlungstrend erhöhen den Druck auf Landflächen und führen zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und zur Zerstörung der Regenwälder. Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) will daher Möglichkeiten zur nachhaltigen Bewirtschaftung globaler Gemeinschaftsgüter aufzeigen. Um im 21. Jahrhundert und darüber hinaus globalen Wohlstand zu gewährleisten, wird ein technischer und politischer Wandel zu einer nachhaltigen globalen Ordnungspolitik für globale „Maßvolles Wachstum statt Gemeinschaftsgüter entscheidend sein. Voraussetzung für die demokratische Gestaltung einer rücksichtslosem Raubbau: solchen globalen Nachhaltigkeitstransformation ist ein verbessertes Verständnis der grundlegenden Wie sich nachhaltiger systemischen Zusammenhänge. Das MCC wird diese untersuchen und dabei einen interdisziplinären Wohlstand für die ganze Ansatz verfolgen, der die natürlichen Dynamiken der miteinander gekoppelten Ressourcen und Weltbevölkerung sichern Senken berücksichtigt und auf die sozioökonomischen Dynamiken fokussiert. Entscheidend ist ein lässt, will ab 2012 ein verbessertes Verständnis ökonomischer Wachstumsmuster in einer durch Güter-, Ressourcenhandel neues Institut in Berlin und Wissenstransfer globalisierten Weltwirtschaft und die Verknüpfung dieser Dynamiken mit den erforschen.“ (taz) Mustern von Landnutzung, dem Auf- und Umbau von Infrastrukturen und Transportsystemen. Das Beispiel der Biomassenutzung etwa zeigt exemplarisch, dass eine integrierte Analyse von Klima- und Agrarpolitiken, internationalem Handel, Landnutzungsdynamiken und unterschiedlicher Regime für Eigentums- und Nutzungsrechte erforderlich ist. Sonst können wohlgemeinte Politiken zur Erhöhung des Biomasseanteils in den Energiesystemen zu ungewünschten Risiken und Nebenwirkungen wie etwa einer verstärkten Abholzung der Regenwälder führen. Alternative Handlungsoptionen Das MCC hat zum Ziel, in einem gesellschaftlichen Lernprozess „Landkarten des Wissens“ über gangbare Optionen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erstellen. Dabei werden die Dynamiken und Risiken verschiedener Handlungspfade einander gegenübergestellt, um robuste gesellschaftliche Entscheidungen unter Unsicherheit zu ermöglichen. Damit soll das etwa im Weltklimarat IPCC praktizierte Format von „Assessment Reports“ weiterentwickelt werden, in denen der Stand des wissenschaftlichen Wissens zusammengefasst, kritische Abwägungen (trade-offs) aufgezeigt und konsistente alternative Handlungsoptionen dargestellt werden. Als unabhängiges Forschungsinstitut will das MCC damit eine Form des Austauschs zwischen Wissenschaft und Politik
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