2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS

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2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
Bundesverband Industrie Kommunikation e.V.

„CHANGE – TECHNOLOGY – IDENTITY“

                                                2021

FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
                                 Hintergründe und Meinungen von Experten
                                          aus Wissenschaft und B2B-Praxis
2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
VORWORT
                                                  Liebe bvik-Mitglieder, liebe B2B-Interessenten,

                                                  2020 war ein Jahr, das wir alle so schnell nicht vergessen werden. Die
                                                  Corona-Pandemie hat unser Leben von heute auf morgen umgekrempelt –
                                                  im Privaten wie im Beruflichen. Sie hat uns gezeigt, wie schnell sich unsere
                                                  Welt verändern kann und wie wichtig es ist, darauf ebenso schnell reagieren
                                                  zu können. Als Messen und Kunden-Events plötzlich für das B2B-Marketing
                                                  keine Option mehr waren, mussten Alternativen gefunden werden. Um den
                                                  fehlenden persönlichen Kontakt zu ersetzen, wurden Online-Konferenzen,
                                                  Webinare und virtuelle Produktpräsentationen mit atemberaubender Ge-
                                                  schwindigkeit umgesetzt. Auch die interne Zusammenarbeit hat sich ver-
                                                  ändert – mit verstärkter Nutzung digitaler Kommunikationsplattformen und
                                                  einer größeren Akzeptanz für Homeoffice.

                                                  Corona hat die Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt beschleu-
                                                  nigt. Wie tiefgreifend dies ist, zeigt auch die Studie „Digitalisierungsschub
                                                  2020 im B2B-Marketing“ des bvik aus dem Oktober 2020. Sie belegt,
                                                  welch gravierende Auswirkungen die Corona-Krise auf die interne und
                                                  externe Kommunikation hat, aber auch, welche Chancen sich durch den
                                                  Digitalisierungsschub für die Zukunft ergeben: mit neuen Möglichkeiten,
                                                  die Reise des Kunden zu begleiten und die Arbeit der Marketing- und
                                                  Vertriebsmitarbeiter zu erleichtern. Damit einher geht eine neue Rolle für
                                                  Marketing-Verantwortliche als Treiber der Innovation und „Gamechanger“
                                                  im Unternehmen, die es zu nutzen gilt, auch wenn B2B-Marketing-Budgets
                                                  eingefroren werden bzw. zurückgehen, wie die bvik-Studie „B2B-Marketing-
                                                  Budgets 2020“ belegt, die im September veröffentlicht wurde.

                                                  Krisen sind immer auch Chancen. B2B-Unternehmen müssen sie nutzen
                                                  und jetzt die Weichen für die Zukunft stellen. Welche Themen dabei wichtig
                                                  werden könnten, zeigt das vorliegende Trendpaper. In Form von fünf Thesen
                                                  werden mögliche Szenarien beschrieben und diskutiert. Ziel ist es, so einen
                                                  Diskurs über die wichtigsten Themen & Trends für das B2B-Marketing
                                                  anzu­regen. Die Aussagen basieren auf Meinungen von Markt-Experten und
                                                  den Vorträgen der Referenten beim „TAG DER INDUSTRIEKOMMUNIKA-
                                                  TION“– dem jährlichen Leuchtturm-Event des bvik, das 2020 komplett
                                                  digital stattfand.
                                                  Klar ist: Niemand kann die Zukunft vorhersagen. Das hat 2020 wie kein
                                                  anderes Jahr gezeigt. Dennoch müssen wir darüber nachdenken, wohin die
                                                  Reise gehen könnte und darauf vorbereitet sein. In diesem Sinne hoffen wir,
                                                  dass es Ihnen gelingt, die Krise tatsächlich als Chance für eine Neuausrich-
                                                  tung zu begreifen und wünschen viel Inspiration und alles Gute für 2021!

                                                  Ihr bvik-Team

© Bundesverband Industrie Kommunikation e.V. / bvik-Trendpaper 2021: Fünf Thesen zur Zukunft des B2B-Marketings               2
2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
bvik-TRENDPAPER 2021
     »CHANGE – TECHNOLOGY – IDENTITY«

         !              5 THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS

         These 1 Corona zwingt B2B-Marketer zum radikalen Umdenken.
                     • Ein enormer Digitalisierungsschub hat die Spielregeln am Markt nachhaltig verändert.
         		 Jetzt ist die Zeit, um sich neu aufzustellen.
           • Virtuelle (Kunden-)Events werden zukünftig klassische Live-Messen ergänzen. Angesichts
         		 sinkender Budgets setzen Unternehmen verstärkt auf Online-Leadgenerierung sowie Marketing-
         		 und Sales-Automatisierung.

         These 2 Marketing gelangt durch Predictive Intelligence auf neues Level.
           • Daten schnell und zielgerichtet im gesamten Unternehmen zu nutzen, wird ein zentraler
         		 Erfolgsfaktor. Mit Predictive Intelligence (PI) lassen sich Wahrscheinlichkeiten berechnen.
           • Marketing kann zum Treiber von PI werden. Die Einführung muss Schritt für Schritt geschehen
         		 und im gesamten Unternehmen verankert werden.

         These 3 Content wird auf jeden Kunden individuell zugeschnitten.
                     • Personalisierte Kommunikation wird dank digitaler Technologien auch im B2B „State of the Art“.
                     • Account Based Marketing (ABM) ist eine langfristig angelegte Strategie zur Effizienzsteigerung
         		 in enger Zusammenarbeit von Marketing und Vertrieb.

         These 4 Der derzeitige Einsatz von KI schadet der Marke.
                     • Künstliche Intelligenz (KI) rückt zunehmend in den Fokus des B2B-Marketings.
                     • Standardlösungen ohne Markenstrategie schaden dabei der Unternehmenspersönlichkeit,
         		 humanoide Roboter bieten neue Potenziale.

         These 5 Visionen werden wichtiger als reine Fakten.
                     • Der Aufbau einer vertrauensbildenden Markenidentität („Brand Purpose“) wird zum Erfolgsfaktor.
                     • Emotionales Storytelling steigert die Aufmerksamkeit. Kunden erwarten den richtigen Mix aus
         		 Fakten, rationalen Argumenten und emotionalen Botschaften.

         Das bvik-Trendpaper 2021 beleuchtet in fünf provokanten Thesen von renommierten Marketing-Experten
         aus Wissenschaft und B2B-Praxis die Themenfelder, in die Marketer jetzt investieren sollten.

         Das Paper versteht sich nicht als umfassende Komplettdarstellung der aktuellen Zukunftsströmungen im
         B2B, sondern möchte zum gemeinsamen Diskurs anregen. Es sensibilisiert und macht Mut, die Relevanz
         des Marketings in Industrieunternehmen zu steigern sowie die überkommene Silo-Struktur in den Betrieben
         zu überwinden.

© Bundesverband Industrie Kommunikation e.V. / bvik-Trendpaper 2021: Fünf Thesen zur Zukunft des B2B-Marketings         3
2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
THESE                                »CORONA ZWINGT B2B-MARKETER
 1                                                ZUM RADIKALEN UMDENKEN«
                                                  Ob Produktionsbetriebe, Dienstleister oder Agenturen: Die Corona-Pandemie hat
                                                  vieles auf den Kopf gestellt. Messen und Kunden-Events, die bisher zu den wich-
                                                  tigsten Marketing-Instrumenten zählten, wurden von einem Tag auf den anderen
                                                  abgesagt. Die erwarteten Kaufabschlüsse blieben aus, Umsätze gingen zurück,
                                                  hinzu kamen die Belastungen durch Ausgaben, die man beispielsweise schon für
                                                  die Konzeption von Messeständen getätigt hatte. In dieser schwierigen Situation
                                                  galt es, schnell alternative Wege zu finden, um potenzielle Kunden anzusprechen
                                                  und Leads zu generieren. Wer Budgets dafür freimachen konnte, investierte in neue
                                                  Formate wie Webinare, Online-Workshops oder virtuelle Produktpräsentationen.

                                                  Die Spielregeln am Markt sind nun weitgehend digitaldominiert. Aus der Not
                                                  heraus mussten sich die Unternehmen für neue Ideen und Konzepte öffnen und
                                                  agieren nun häufiger als zuvor über digitale Formate mit ihren Zielgruppen. Das
                                                  wird vermutlich auch in Zukunft so bleiben: In der bvik-Befragung „Digitalisierungs-
                                                  schub 2020 im B2B-Marketing“1 gaben 78 Prozent der Unternehmen an, dass
                                                  sie nach der Krise nicht mehr auf Online-Leadgenerierung verzichten möchten.
                                                  Dabei sehen sie vor allem in digitalen Events viel Potenzial: Über 90 Prozent der
                                                  Befragten sind der Meinung, dass virtuelle Events künftig die klassischen Live-
                                                  Messen ergänzen werden. Ganz ersetzen werden sie diese aber vermutlich nicht.
                                                  Viele Marketer halten die Live-Begegnungen nach wie vor für unverzichtbar: Jeweils
                                                  rund zwei Drittel der Besucher von virtuellen Messen bewerteten in der bvik-Studie
                                                  das fehlende haptische Erlebnis der Produkte und die fehlende Kontaktaufnahme
                                                  als negativ. Positiv wahrgenommen wurden dagegen Zeit- und Kostenersparnis.
                                                  So werden Messen wohl nicht verschwinden, sondern eher in veränderter Form
                                                  zurückkommen, beispielsweise als themenbezogene Showrooms. Die Event-Land-
                                                  schaft wird sich dadurch nachhaltig verändern.

                                                  Für B2B-Marketing-Verantwortliche stellt diese Entwicklung eine große Herausfor-
                                                  derung dar. Denn sie werden mit ihren ohnehin Jahr für Jahr sinkenden Budgets
                                                  künftig mehr Kanäle bespielen müssen. Gleichzeitig werden die leeren Auftrags-
                                                  bücher zu noch massiveren Budget-Einschnitten führen: Mehr als die Hälfte aller
                                                  Marketer geht davon aus, dass ihre Budgets aufgrund der Krise drastisch verrin-
                                                  gert werden. „Die fetten Jahre des B2B-Marketings sind nun endgültig vorbei,“
                                                  bestätigt auch Carsten Baumgarth, Professor für Marketing an der HWR Berlin.
                                                  Während B2B-Unternehmen 2017 noch 1,7 Prozent ihres Umsatzes in Marketing
                                                  und Kom­munikation investierten, sind es 2020 gemäß der jährlichen Budget-
                                                  Studie des bvik nur noch 0,6 Prozent.2 „Marketer müssen ohnehin jedes Jahr ihre
                                                  geringen Budgets mit harten Bandagen verteidigen. Die Auswirkungen der Corona-
                                                  Krise werden diese Situation noch verschärfen“, bestätigt auch Ramona Kaden,
                                                  Geschäfts­führerin des bvik. Es wird daher zwangsläufig zu Budget-Verschiebungen
                                                  kommen – wie auch der aktuelle CMO Survey bestätigt: 61 Prozent der Marketing-
                                                  Verantwortlichen in Deutschland wollen demnach aufgrund der Pandemie künftig
                                                  mehr Budget in digitale Kanäle investieren.3

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2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
Sie haben erkannt, dass sich auch über Online-Shops, B2B-Marktplätze, Social
                                                  Media oder Webinare Leads erfolgreich generieren lassen, die dann jedoch – an-
                                                  ders als Messeleads – viel differenzierter weiter für den Vertrieb qualifiziert werden
                                                  müssen.

                                                  Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Unternehmen intern die benötigten Kom-
                                                  petenzen aufbauen und Zuständigkeiten klären. Bereits 2018 zeigte die bvik-Stu-
                                                  die, dass digitale Services nicht mehr so häufig outgesourct werden. Im Krisenjahr
                                                  2020 erweist sich das als großer Vorteil: Wer die Kompetenzen für Online-Marketing
                                                  schon im eigenen Haus hat, konnte flexibel auf die veränderten Anforderungen
                                                  reagieren. Er verfügt damit über die auch in Zukunft so wichtige digitale Resilienz.

                                                  Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung in den Unternehmen stark vorange-
                                                  trieben und die Regelkommunikation grundlegend verändert – allerdings nicht bei
                                                  allen im gleichen Maße. Bei jenen Unternehmen, die bereits vor der Pandemie
                                                  digitalaffin waren, haben 60 Prozent die Digitalisierung weiter vorangebracht. Bei
                                                  den nicht digitalaffinen Unternehmen waren es nur 25 Prozent, aber auch hier
                                                  gab es laut Digitalisierungsschubstudie des bvik eine Sensibilisierung. Im „bvik
                                                  Trendbarometer Industriekommunikation“ vom Dezember 2020 hat die B2B-
                                                  Community die zehn Top-Trends für 2021 identifiziert. 81 Prozent der Befragten
                                                  stimmen der These zu, dass B2B-Kunden der Zukunft eine ähnliche Customer
                                                  Experience wie im B2C erwarten (Top-Trend 1). Dies bedeutet aber, dass sich
                                                  die Tätigkeitsschwerpunkte im B2B-Marketing durch die digitale Transformation
                                                  drastisch ändern werden (Top 2 mit 78 Prozent Zustimmung). Auch der Top-Trend
                                                  3 (Marketing Automation mit 73 Prozent Zustimmung) und der Top-Trend 4 (Social
                                                  Selling mit 71 Prozent Zustimmung) spielen sich komplett im digitalen Raum ab.4

                                                  Diese Chance gilt es nun zu nutzen um Freiräume für den Vertrieb zur persön­­lich­
                                                  en Kundenkontaktepflege zu schaffen. Denn diese werden bei erklärungs­be­dürfti­
                                                  gen Produkten auch nach der Krise wichtig bleiben. Durch eine entsprechende
                                                  IT-Infrastruktur muss dabei sichergestellt sein, dass alle relevanten Anwendungen
                                                  und Daten dort zur Verfügung stehen, wo die Mitarbeiter sie benötigt. Außerdem
                                                  müssen Marketing und Vertrieb enger zusammenrücken. Hier ist durch Corona
                                                  bereits viel in Bewegung geraten, aber es bleibt noch viel zu tun.

FAZIT                                             B2B-Kunden sind nicht erst seit Corona digital unterwegs, auch wenn es in hier
                                                  branchentypisch deutliche Unterschiede gibt. Unternehmen, die das noch nicht
                                                  realisiert hatten, mussten mit Beginn der Pandemie in der Tat radikal umdenken.
                                                  Andere, die Digitalisierung längst als Top-Priorität begriffen hatten, konnten da-
                                                  gegen schnell reagieren. Klar ist: Für alle Unternehmen hat Corona große Heraus­
                                                  forderungen gebracht, aber mit dem Digitalisierungsschub auch eine enorme
                                                  Chance, sich für die Zukunft neu aufzustellen. Dies gilt gleichermaßen für Industrie-
                                                  unternehmen wie auch ihre spezialisierten B2B-Dienstleister. Die digitalen Spiel­
                                                  regeln für erfolgreiche Marketing-Performance zu beherrschen wird zum Prüfstein
                                                  für die Zukunft.

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2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
EXPERTEN-INTERVIEW

                                                     DR. ANDREAS BAUER
                                                     Dr. Andreas Bauer ist Vorstandsmitglied des bvik und seit über 25 Jahren
                                                     fast ausschließlich im Bereich Marketing und Unternehmenssteuerung
                                                     tätig. Der Marketing-Experte verantwortete das Marketing bei namhaften
                                                     B2B-Unternehmen wie zum Beispiel der KUKA AG.

                                                  Herr Dr. Bauer, in der Corona-Krise waren Messen von einem Tag auf den ande-
                                                  ren keine Option mehr. Steht das schon oft totgesagte Instrument nun vor dem
                                                  endgültigen Aus?

                                                  Messen werden im B2B auch weiterhin ihre Berechtigung haben, davon bin ich
                                                  überzeugt. Brands oder erklärungsbedürftige Produkte live erleben, sie anfassen
                                                  und ausprobieren zu können – das ist ein Vorteil, den kein Online-Event bieten
                                                  kann. Ich bin überzeugt, dass nur bei Live-Events alle Sinne angesprochen werden
                                                  und daher werden Beziehungen und Vertrauen schneller und besser aufgebaut,
                                                  als bei allen anderen Kanälen. In der Vergangenheit haben B2B-Unternehmen
                                                  konstant etwa ein Drittel und mehr des Marketing-Budgets für Messen ausgege-
                                                  ben. Das zeigt ihre enorme Bedeutung im Marketing-Mix. Wegen Corona wurden
                                                  viele Messen und Live-Events abgesagt, die Unternehmen mussten neue Wege fin-
                                                  den, um Leads zu generieren. Die digitalen Formate werden nach Corona bleiben,
                                                  aber ich glaube nicht, dass es dadurch viel weniger Messen geben wird. Man hat
                                                  ihr Aus schon so oft vorhergesagt, doch sie haben sich immer wieder behauptet.
                                                  Es gibt heute sogar mehr Messen als früher: Kleinere Events mit regionalem oder
                                                  thematischem Fokus sind hinzugekommen. Live-Erlebnisse werden daher im B2B-
                                                  nach wie vor wichtig bleiben, aber sie werden wohl nicht mehr diese dominierende
                                                  Rolle spielen.

                                                  Wirkt sich das auch auf die Marketing-Budgets aus? In welche Bereiche werden
                                                  B2B-Unternehmen künftig mehr investieren?

                                                  Leider wächst das Marketing-Budget nicht mit der Anzahl der zu bespielenden Ka-
                                                  näle. Daher wird man für Messen in Zukunft vermutlich deutlich weniger ausgeben
                                                  zugunsten anderer Kanäle. Durch Corona hat die Online-Leadgenerierung an Fahrt
                                                  gewonnen, und das wird sich fortsetzen. Hier sind alte Krusten aufgebrochen, die
                                                  Unternehmen beziehungsweise deren Vertriebsbereiche sind offener geworden für
                                                  Alternativen wie Online-Konferenzen, Social Selling, Online-Marketing-Kampagnen,
                                                  virtuelle Produktvorstellungen und hybride Kampagnen. Das wird sich dann auch
                                                  in der Budget-Verwendung niederschlagen.

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2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
Wenn Leadgenerierung über digitale Kanäle an Bedeutung gewinnt, was heißt
                                                  das für das Marketing in der Zukunft?

                                                  Ein großer Knackpunkt für die bestehenden Unternehmensprozesse ist: Online-
                                                  Leads unterscheiden sich deutlich von Messe-Leads. Das gilt es von Sales- und
                                                  Marketingseite zu verstehen und dann die Frage zu beantworten, wer diese Leads
                                                  wie weiter bearbeitet. Je nachdem, wie man das Gleichgewicht tariert, einerseits
                                                  online mit möglichst wenigen Hürden Leads zu generieren und andererseits
                                                  möglichst viel Informationen beim potenziellen Kunden abzufragen, werden die
                                                  Leads unterschiedlich – teils automatisiert über mehrere Stufen – weiter bearbeitet.
                                                  Marketing und Vertrieb müssen hier enger zusammenrücken und gemeinsam Pro-
                                                  zesse definieren, wie mit diesen Leads zu verfahren ist und wer dafür die Verant-
                                                  wortung trägt. Weder die eine noch die andere Abteilung hat meinen Erfahrungen
                                                  nach heute die Kompetenz, das allein zu übernehmen. Darüber hinaus müssen
                                                  sich Marketing-Verantwortliche Gedanken machen, ob ihre Teams richtig aufge-
                                                  stellt sind für die Zukunft. Top-Fachkräfte für Live-Events sind nicht automatisch
                                                  auch qualifiziert, um diese in digitale Kanäle zu transformieren. Hier werden sich
                                                  die Anforderungen auf Industrie- wie auf Agenturseite stark verschieben.

                                                  Wie sollten Marken-Verantwortliche auf diese Herausforderungen reagieren?

                                                  Wir Marketer sollten die Corona-Krise als Chance verstehen, um uns neu aufzustel-
                                                  len, um Prozesse zu vereinfachen, zu digitalisieren und zu automatisieren. Mar-
                                                  keting Automation bietet gezielte Unterstützung im Verkaufsprozess: Über digitale
                                                  Kanäle lassen sich generierte Kontakte bis zum Kaufabschluss weiterentwickeln.
                                                  Der Bereich (automatisierte) Leadqualifizierung wird daher vom Vertriebsbereich
                                                  zum Marketing verschoben. In der jüngeren Vergangenheit wurde viel in CRM-
                                                  Systeme investiert. Die Daten sind nun im Unternehmen vorhanden, jetzt müssen
                                                  sie intelligent genutzt werden – im wahrsten Sinne des Wortes „Customer Rela-
                                                  tions Management“ über alle (digitalen) Touchpoints und passend zur Customer
                                                  Journey. Mit dem Digitalisierungsschub, den wir wegen Corona erleben, ist Auto-
                                                  matisierung zu einem zentralen Thema geworden, das viele Unternehmen beschäf-
                                                  tigt. Das müssen wir jetzt konsequent vorantreiben.

                                                  Hat die Corona-Pandemie dem Marketing also neue Chancen geboten?

                                                  Ganz klar, ja! „Das haben wir erfolgreich schon immer so gemacht, bleiben wir
                                                  auf der sicheren Seite und machen das auch dieses Jahr wieder so.“ – In mei-
                                                  nen über 25 Jahren Berufserfahrung wurde noch nie zuvor dieser „gefürchtete“
                                                  Satz, der jede Innovation im Keim erstickt und jeden Versuchsballon zum Platzen
                                                  bringt, derart ad absurdum geführt, wie heute. Corona war der Auslöser für ein
                                                  radikales Umdenken auf Unternehmens- wie auf Kundenseite. Daher sind unse-
                                                  re Stakeholder wie Geschäftsführung und Vertrieb offener geworden für digitale
                                                  Formate, für neue Ideen und Konzepte. Abschließend möchte ich sagen, die Seele
                                                  des Marketing ist und bleibt die Kreativität. Aber ich bin mir sicher, Digitalisierung
                                                  und Automatisierung sind der Schlüssel für die Zukunft des Marketings.

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Denn erst dadurch werden effizient und im größeren Maßstab zukünftig kundenin-
                                                  dividuelle Inhalte innerhalb der Customer Journey zielgenau über unterschiedlichs-
                                                  te Kanäle konsistent ausgespielt. Und dabei wird das Verhalten der Kunden an den
                                                  digitalen Touchpoints für Predictive Intelligence und KI-Anwendungen zur stän-
                                                  digen Verbesserung des Kundenerlebnisses und des Leistungsangebotes führen.
                                                  Diese Chance für eine Aufwertung und Neupositionierung des Marketings gilt es zu
                                                  nutzen!

 bvik    TRENDBAROMETER
                                                  EXKURS: Welche Top-Trends sieht die
 INDUSTRIEKOMMUNIKATION                           B2B-Community des bvik für 2021?

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THESE
 2                                                »MARKETING GELANGT DURCH
                                                  PREDICTIVE INTELLIGENCE AUF
                                                  NEUES LEVEL«
                                                  Die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden zu verstehen, ist längst schon eine der
                                                  wichtigsten neuen Aufgaben von B2B-Marketern. Künftig wird es jedoch vermehrt
                                                  darauf ankommen zu wissen, was die Kunden wollen, noch bevor sie es selbst
                                                  wissen. Dazu sind keine hellseherischen Fähigkeiten nötig. Unternehmen müssen
                                                  lediglich die richtigen Analyse- und Prognoseinstrumente einsetzen: Mit Predic-
                                                  tive Intelligence (PI) lassen sich intern gesammelte Daten wie Kundenprofile mit
                                                  externen Daten verknüpfen, analysieren, in die Zukunft extrapolieren und Wahr-
                                                  scheinlichkeiten für zukünftige Ereignisse berechnen. So können Unternehmen
                                                  das Kundenverhalten oder Entwicklungen im Markt präzise vorhersagen und ihre
                                                  Produkte, Dienstleistungen oder Marketing-Maßnahmen entsprechend anpassen,
                                                  um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

                                                  Predictive Intelligence ist prinzipiell kein neues Thema. Viele Unternehmen nutzen
                                                  bereits komplexe Datenanalysen, um Ereignisse und Trends vorherzusagen. Das
                                                  bekannteste Beispiel ist sicher Amazon: Ein großer Teil der dort gekauften Waren
                                                  basieren auf Vorschlägen, die von selbstlernenden Empfehlungssystemen erstellt
                                                  werden. Auch in der Finanzbranche wird PI eingesetzt, zum Beispiel um Kredit-
                                                  risikomodelle für bestimmte Kundengruppen zu entwickeln. Und in der Industrie
                                                  lassen sich durch die Analyse von Maschinendaten Wartungen vorausschauend
                                                  planen. Die technologischen Fortschritte insbesondere im Bereich der Künstlichen
                                                  Intelligenz haben jedoch dafür gesorgt, dass der Markt für PI-Anwendungen derzeit
                                                  enorm wächst. Riesige Mengen strukturierter und unstrukturierter Daten können
                                                  nun innerhalb kürzester Zeit analysiert werden. Algorithmen lernen, selbstständig
                                                  Datenmodelle zu erzeugen und sie für Entscheidungen und Vorhersagen zu nut-
                                                  zen. Auch neuartige Visualisierungssoftware-Lösungen befeuern den Markt: Durch
                                                  intuitive, optisch ansprechende und über die Cloud global verfügbare Dashboards
                                                  machen sie Daten für alle Stakeholder jederzeit schnell und einfach zugänglich.

                                                  Das führt dazu, dass auch die Potenziale im Marketing zunehmend ins Blickfeld
                                                  rücken. Hier dient PI vor allem dazu, die Customer Journey besser vorauszusagen
                                                  und auf dieser Grundlage einzigartige Kundenerlebnisse mit hoher Resonanz zu
                                                  schaffen. Im Bereich E-Mail-Marketing beispielsweise kann man, wenn der Kunde
                                                  zweimal Ware bestellt hat, mithilfe von PI berechnen, wann sich sein Warenbe-
                                                  stand wahrscheinlich dem Ende zuneigt und ihn mit einer automatisierten E-Mail
                                                  rechtzeitig an eine Nachbestellung erinnern. So muss er nicht selbst nach Angebo-
                                                  ten suchen, was das Risiko birgt, dass er am Ende bei der Konkurrenz bestellt.
                                                  PI hilft damit, Klickraten und Conversion Rates von E-Mails deutlich zu steigern.

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2021 "CHANGE - TECHNOLOGY - IDENTITY" - FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFT DES B2B-MARKETINGS
Im Vertrieb kann PI genutzt werden, um personelle Ressourcen effizient einzu-
                                                  setzen. Key Account Manager können, statt sich auf historische Daten oder das
                                                  eigene Bauchgefühl zu verlassen, mit PI genau ermitteln, bei welchen Leads die
                                                  Wahrscheinlichkeit für eine Bestellung am höchsten ist. Sie investieren ihre Energie
                                                  in Gespräche mit hoher Erfolgsaussicht und können sich dabei für den einzelnen
                                                  Kundentermin mehr Zeit nehmen.

                                                  Immer mehr Unternehmen erkennen den klaren Mehrwert von Predictive Intelli-
                                                  gence und planen entsprechende Investitionen. Laut einer Studie von IDG Re-
                                                  search Services aus dem Jahr 2018 stuft jedes zweite Unternehmen die Relevanz
                                                  von PI als sehr groß oder groß ein.5 Nur 18 Prozent halten den Bereich für nicht
                                                  oder kaum relevant. Jedes dritte der befragten Unternehmen hat bereits Projekte
                                                  im Bereich PI umgesetzt. Diese scheinen sich auch zu lohnen: 59 Prozent waren
                                                  mit den Ergebnissen zufrieden, nur elf Prozent unzufrieden. Auffallend ist, dass vor
                                                  allem kleine Unternehmen stark von Predictive Intelligence profitieren: 90 Prozent
                                                  unter ihnen äußern sich positiv über ihre PI-Projekte. Offenbar führen hier voraus-
                                                  schauende Auswertungen aufgrund überschaubarer Daten besonders schnell zum
                                                  Erfolg. Auch der Martech-Monitor 2020 attestiert dem Bereich Datenanalyse und
                                                  Business-Intelligence, in dem Predictive Intelligence auch analysiert wird, enormes
                                                  Potenzial. Das Segment wächst so rasant, dass zum MarTech- und SalesTech-
                                                  Stack nun auch ein PITech-Stack hinzukommt. Von allen Marketingtechnologien
                                                  wird ihm in den nächsten Jahren das größte Wachstum zugesprochen.6

                                                  Mit PI stehen B2B-Unternehmen heute Werkzeuge zur Verfügung, die noch vor
                                                  wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Um damit wirklich Mehrwerte schaf-
                                                  fen und die strategische Unternehmensplanung auf ein höheres Niveau heben
                                                  zu können, müssen allerdings auch die nötigen Kompetenzen intern vorhanden
                                                  sein. Experten wie Dr. Uwe Seebacher empfehlen daher, im Unternehmen eine
                                                  eigene PI-Abteilung aufzubauen. So lassen sich Daten schneller auswerten und
                                                  Analysen deutlich besser auf die eigenen Anforderungen zuschneiden als das
                                                  durch den Zukauf von Prognosen möglich ist. Die Marketing-Abteilung ist in seinen
                                                  Augen prädestiniert für diese Aufgabe, da hier über das CRM bereits große Menge
                                                  an relevanten Daten vorliegen. Außerdem besitzen die Mitarbeiter die nötige
                                                  Marktkenntnis, um Analyse-Ergebnisse richtig zu interpretieren. Und sie haben
                                                  Erfahrung in der Nutzung der Daten für Marketing-Maßnahmen. Gelingt es, diese
                                                  Kompetenzen auch für die Unternehmensplanung nutzbar zu machen, kann Mar-
                                                  keting maßgeblich zum Unternehmenserfolg beitragen und damit auch seine Rolle
                                                  innerhalb der Organisation stärken.

FAZIT                                             Daten schnell und zielgerichtet nutzen zu können, wird künftig zum zentralen
                                                  Erfolgsfaktor für Unternehmen. Dabei müssen sie Marktentwicklungen, das Kunden-
                                                  verhalten sowie die eigene Stellung im Markt nicht nur analysieren, sondern auch
                                                  antizipieren können. Auch in B2B-Unternehmen besitzt die Marketing-Abteilung in
                                                  der Regel heute schon Kompetenzen und Erfahrungen in diesem Bereich. Diese gilt
                                                  es auszubauen und im Sinne von „Smart Data“ für das Gesamtunternehmen nutzbar
                                                  zu machen. Das Ergebnis werden neue Dimensionen in Marketing- und Vertriebs-
                                                  strukturen sein, bei dem Silo-Denken keine Rolle mehr spielen darf.

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EXPERTEN-INTERVIEW

                                                     DR. UWE SEEBACHER
                                                     Dr. Uwe Seebacher, Autor des Buches „Predictive Intelligence für Manager“
                                                     (Springer), ist promovierter Volks- und Betriebswirt. Er ist Executive Advisor
                                                     und verfügt über mehr als 25 Jahre Top-Management-Erfahrung als Berater,
                                                     Manager und Unternehmer. Uwe Seebacher ist international bekannt für
                                                     seinen seit 2003 erstmals publizierten innovativen Template-based
                                                     Management (TBM)-Ansatz und das kürzlich veröffentlichte neue Standard-
                                                     werk im Industriegütermarketing, das „Praxishandbuch B2B Marketing“
                                                     (Springer). 7

                                                  Herr Dr. Seebacher, Sie raten Unternehmen, eine eigene Intelligence-Abteilung
                                                  aufzubauen, und halten das Marketing für den idealen Ort. Warum?

                                                  Marketing muss nicht zwingend der Treiber für Predictive Intelligence sein. Auch
                                                  andere Abteilungen, zum Beispiel das Business Development, eignen sich.
                                                  Aber Marketing bringt meist von Haus aus die für PI nötigen Voraussetzungen mit:
                                                  Hier wird strukturiert und methodisch gearbeitet, außerdem liegen bereits CRM-
                                                  Daten vor, die für die Customer Experience genutzt werden. Diese ließen sich leicht
                                                  um externe Daten ergänzen und so zu wertvollen Informationen für die Unterneh-
                                                  mensplanung transformieren.

                                                  Was empfehlen Sie Unternehmen, die ins Predictive Intelligence einsteigen
                                                  wollen?

                                                  Bei der Einführung von PI sind Ruhe und Bedacht entscheidend. Marketer sollten
                                                  nichts überstürzen, sondern zunächst die notwendige Akzeptanz im Unternehmen
                                                  schaffen – und zwar mit kleinen Schritten, die schnell Nutzen stiften. Dafür ist
                                                  die frühe Einbindung des Vertriebs essenziell. Gemeinsam gilt es, die Wertschöp-
                                                  fungskette zu erarbeiten und relevante Märkte, die dem Datenmodell zugrunde
                                                  gelegt werden, zu bestimmen. So vermeidet man, dass die durch PI gewonnenen
                                                  Erkenntnisse später infrage gestellt werden. Wichtig für die Akzeptanz sind au-
                                                  ßerdem einfache Tools, die sich leicht bedienen lassen. Im Kontext der aktuellen
                                                  rasant zunehmenden Anzahl an Produkten und Lösungen im Bereich des Predic-
                                                  tive Intelligence (PI) TechStack sehe ich viele Unternehmen, die nun mehr Gefahr
                                                  laufen, im Glauben mit dem Ankauf einer entsprechenden Lösung das Thema für
                                                  sich erschließen zu können. Das ist gerade im Bereich der PI ein äußerst gefährli-
                                                  cher Trugschluss, denn ähnlich wie Kinder auch zuerst das Kopfrechnen erlernen
                                                  und dann erst zum Taschenrechner wechseln, muss auch dieses für Unternehmen
                                                  und deren nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit so essenzielle Thema zuerst von der
                                                  Pike auf in den Grundzügen erlernt und verstanden werden, um dann in diesem
                                                  Kontext durch eine externe Lösung automatisiert oder eben auch um eine künstli-
                                                  che Intelligenz erweitert zu werden.

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Bedeutet das, dass für Predictive Intelligence gar keine hoch spezialisierten
                                                  Tools benötigt werden?

                                                  Für den Anfang genügt eine Tabellenkalkulation vollkommen. Damit kann man
                                                  schon nach kurzer Zeit mit ersten Analysen und Berichten Quick-Wins realisieren
                                                  und so aufzeigen, welche Mehrwerte sich mit einer datengetriebenen Unterneh-
                                                  mensführung generieren lassen. Anschließend kann man Schritt für Schritt das
                                                  Datenmodell erweitern. Der Umstieg auf fortgeschrittene Systeme und Lösungen
                                                  folgt dann meist automatisch. Ein weiterer Grund ist, dass der Markt für Dash-
                                                  board-Lösungen, Infrastrukturen und KI-Lösungen unübersichtlich ist. Damit man
                                                  hier nicht zum „Beifahrer“ einer Lösung wird, also eine Lösung implementiert,
                                                  die sich später als ungeeignet erweist, sollten Unternehmen die verschiedenen Ent-
                                                  wicklungsschritte im Reifegradmodell für Predictive Intelligence nacheinander ab-
                                                  solvieren, wie wir dies im gleichnamigen Buch beschrieben und diskutiert haben.

                                                  Welche Entwicklungsschritte sind das?

                                                  Der erste Schritt ist Market Intelligence: Externe Marktdaten werden abhängig von
                                                  Bedarf und Situation aus einer oder mehreren Datenquellen bezogen, ausgewertet,
                                                  diskutiert und hinsichtlich einer Unternehmensentscheidung evaluiert. Danach
                                                  kommt die Descriptive Intelligence: Sie erweitert das Datenfeld um unterneh-
                                                  mensinterne Informationen, der Prozess bleibt aber wie im ersten Schritt statisch.
                                                  Die dritte Stufe ist Predictive Intelligence: Hier bedient man sich interner und
                                                  externer Daten, die interaktiv sowie multidimensional aus einem Pool von Quellen
                                                  gezogen und miteinander verknüpft werden, um Prognosen für die Zukunft zu
                                                  erstellen. Erst wenn man diese Schritte gegangen ist, weiß man, welche Datenquel-
                                                  len genau benötigt werden und wie sie strukturiert sein müssen, um sie dann im
                                                  letzten Schritt sinnvoll in einer KI-basierten Lösung einsetzen zu können.

                                                  Sie plädieren dafür, den Begriff Marketing zu ersetzen, weil er vorbelastet sei.
                                                  Was genau meinen Sie damit? Und was wäre Ihrer Ansicht nach ein passende-
                                                  rer Begriff?

                                                  Der Begriff „Marketing“ ist in meinen Augen unpassend, weil er noch immer
                                                  Assoziationen erzeugt von Werbefachleuten, die Hochglanzbroschüren gestalten.
                                                  Das wird der Bedeutung der Marketing-Abteilung für den Unternehmenserfolg
                                                  nicht gerecht. Gerade im Bereich des Industriegütermarketings haben wir es noch
                                                  immer mit einem veralteten Image und einem nicht zu rechtfertigenden geringen
                                                  Stellenwert von B2B-Marketing zu tun. Das hat teilweise auch mit einem überal-
                                                  terten Top-Management zu tun, das mittlerweile zwei bis drei Generationen älter
                                                  ist im Vergleich zu den jeweiligen Einkäufern beziehungsweise den Mitarbeitern in
                                                  den jeweiligen Buying Centern. Jeremy Rifkin hat dies treffend in seinem aktuellen
                                                  Buch „The New Green Deal“ beschrieben. Vor diesem Hintergrund und der Tatsa-
                                                  che, dass der technische Vertrieb de facto tot ist, da der Kauf nur mehr ein Klick
                                                  ist und die Bereitschaft der Käufer auch im Millionenbereich digital einzukaufen
                                                  rasant zunimmt, stehen wir vor einem Paradigmenwechsel.

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In der Symbiose aus einem unnötig negativ belegten Marketing-Begriff in der In-
                                                  dustrie und den Entwicklungen hinsichtlich Marketing- und Sales-Automatisierung,
                                                  ist aus meiner Sicht die Abkehr von Chief Marketing und Chief Sales Officern ein
                                                  logischer Schritt. In Zukunft sehe ich „Chief Success Officers“, „Chief Revenue
                                                  Officers“, „Chief Distribution Officers“ oder „Chief Intelligence Officers“ im Lead,
                                                  die in deren Verantwortungsbereich dann alle für die Distribution relevanten Berei-
                                                  che verantworten und auch daran gemessen werden können. Wichtig ist, dass wir
                                                  wieder zu einer dualen Führung der ersten zwei bis drei Führungsebenen, wie wir
                                                  dies bereits in den 50er- und 60er-Jahren in Europa hatten, zurückkehren, ähnlich
                                                  wie ja auch im Bereich des modernen Krankenhaus-Managements. Ingenieure
                                                  und Techniker sind keine Manager und Manager keine Techniker. Mit einer sol-
                                                  chen dualen Führung und einer übergeordneten Profit-Loss-Verantwortung für die
                                                  Distribution könnte man auch endlich das Silo-Denken und die internen Konkur-
                                                  renzkämpfe auflösen. Es gibt einige Unternehmen, beispielsweise Volkswagen, die
                                                  diesen Schritt schon erfolgreich gegangen sind.

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THESE                                »CONTENT WIRD AUF JEDEN KUNDEN
 3                                                INDIVIDUELL ZUGESCHNITTEN«
                                                  Für den B2B-Vertrieb war es schon immer eine zentrale Aufgabe, potenzielle Groß-
                                                  kunden gezielt anzusprechen und zum Abschluss zu führen. Dem Marketing kam
                                                  dabei bis vor wenigen Jahren allerdings keine klare Rolle zu. Hier ging es weiter
                                                  darum, mit zielgruppengerechtem, aber doch relativ breitem Content möglichst
                                                  viele potenzielle Kunden anzusprechen. Mit dem Aufkommen von Account Based
                                                  Marketing (ABM) hat sich das geändert. Bei diesem Ansatz arbeiten Marketing
                                                  und Vertrieb eng zusammen, um mit personalisierten Kampagnen vorab definier-
                                                  te Zielkunden zu gewinnen. Jeder Key Account, jeder potenzielle Kunde, jedes
                                                  Unternehmen wird dabei mit einer eigenen Kampagne bedacht, die individuell auf
                                                  ihn und seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. ABM steht mit dieser „Hyperpersona-
                                                  lisierung“ im klaren Gegensatz zum traditionellen Massen-Marketing, aber auch im
                                                  Gegensatz zum Inbound Marketing: Statt zu warten, bis über diverse Kanäle neue
                                                  Leads ins Lead-Nurturing-System gespült werden, und diese dann zu bearbeiten,
                                                  geht man bei ABM aktiv auf bestimmte Unternehmen zu. Das können neben
                                                  Neukunden auch Bestandskunden sein, bei denen sich durch die Kenntnis ihrer
                                                  Bedürfnisse gezielt neue Bedarfe triggern lassen.

                                                  Diverse Studien bestätigen, dass ABM-Maßnahmen wesentlich effizienter sind
                                                  als herkömmliches Marketing und meist auch einen deutlich höheren ROI er-
                                                  wirtschaften.8 Der Ansatz findet daher unter B2B-Unternehmen und Agenturen
                                                  immer mehr Anhänger und gilt als wichtiger B2B-Marketing-Trend. Einer Studie
                                                  von LinkedIn zufolge planen 80 Prozent der Marketer weltweit, ihr Budget für ABM
                                                  im Jahr 2021 zu erhöhen.9 Ein Grund dafür, dass ABM an Fahrt aufgenommen
                                                  hat, ist die Entwicklung neuer Technologien. So existieren heute bessere Analyse-
                                                  Tools und Datengrundlagen als noch vor wenigen Jahren. Damit ist es möglich,
                                                  Kundenbedürfnisse und relevante Themen für einzelne Accounts genau zu
                                                  ermitteln. Mit modernen Marketing-Automation-Tools lassen sich diese Accounts
                                                  dann gezielt und effizient adressieren. Die Fortschritte im Bereich der Künstlichen
                                                  Intelligenz spielen dabei ebenfalls eine Rolle und werden den Trend in den nächs-
                                                  ten Jahren vermutlich zusätzlich befeuern.

                                                  Ein weiterer Grund für die steigende Bedeutung ist, dass sich die Ansprüche von
                                                  B2B-Entscheidern verändert haben: Sie erwarten zunehmend eine personalisierte
                                                  Ansprache, die ihren Bedürfnissen entspricht. Schließlich sind auch die immer
                                                  komplexeren Entscheidungsprozesse in den Unternehmen ein Aspekt, der ABM so
                                                  wertvoll macht. An einer B2B-Einkaufsentscheidung sind heute im Durchschnitt
                                                  6,8 Akteure beteiligt. Vor wenigen Jahren waren es noch 5,4 Personen.10 Dadurch
                                                  gewinnen Fachentscheider im Vergleich zu technischen Spezialisten mehr Gewicht
                                                  und können mit Account Based Marketing gezielt und passgenau angesprochen
                                                  werden.

                                                  ABM zieht keine klare Grenze zwischen der Leadgenerierung im Marketing und
                                                  dem daran anknüpfenden Abschluss im Vertrieb. Vielmehr wird ein Kunde abtei-
                                                  lungsübergreifend von Marketing und Sales bearbeitet.

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Dazu ist eine enge Abstimmung nötig. Das Recherchieren und Analysieren poten-
                                                  zieller Kunden durch den Vertrieb muss Hand in Hand gehen mit dem Aufbereiten,
                                                  Personalisieren und Präsentieren des Contents. Ein reibungsloser Informationsfluss
                                                  ist hier unerlässlich, damit ein Customer Touchpoint auf dem nächsten aufbauen
                                                  kann. Laut Kai Halter, Vorstandsvorsitzender des bvik und Director Marketing der
                                                  ebm-papst GmbH, hat sich 2020 ein signifikanter Gesinnungswandel im eigenen
                                                  Unternehmen gezeigt: „Das Zusammenrücken von Marketing und Vertrieb ist eine
                                                  einmalige Chance. Gemeinsam Leads zu analysieren und weiterzuqualifizieren
                                                  verbessert die Zusammenarbeit und die Herangehensweise im gesamten Unter-
                                                  nehmen. Man bündelt die Kompetenz, die in Marketing und Vertrieb vorhanden
                                                  ist, und versucht damit das optimale Ergebnis für das Unternehmen zu erzielen.
                                                  Dieser neue Ansatz, den das Marketing schon lange gefordert hat, ist eine gute
                                                  Basis für 2021.“

                                                  Zentrale Voraussetzung für erfolgreiches ABM ist jedoch ein gutes Verständ-
                                                  nis für die Kundenbedürfnisse auf Basis eines professionellen Datenmanage-
                                                  ments. Was sind die Anforderungen des Accounts? Welche Gewinnspannen
                                                  sind möglich? Wie wahrscheinlich sind wiederholte Käufe? In welcher Phase des
                                                  Entscheidungsprozesses befindet er sich? Welche Themen sind in dieser Phase für
                                                  die Entscheider relevant? Marketing und Vertrieb müssen diese Punkte regelmäßig
                                                  analysieren und gemeinsam abstimmen, welche Art von Informationen sinnvoll
                                                  sind. Dabei kommt es darauf an, den richtigen Grad der Personalisierung zu wäh-
                                                  len: Soll nach dem Prinzip der „Mass Customization“ der Content einmal erstellt
                                                  und dann immer wieder angepasst werden? Oder will man für einen bestimmten
                                                  Account regelmäßig exklusive Inhalte anbieten?

                                                  Mit immer neuen Technologien werden die Möglichkeiten der Hyperpersonalisie-
                                                  rung weiter steigen. Content aller Art wird sich ganz genau auf Interessen, Vorlie-
                                                  ben und Erfahrungen der Besucher zuschneiden lassen – und zwar nicht nur die
                                                  Inhalte selbst, sondern auch die Art der Darstellung, wie beispielsweise Schreibstil,
                                                  Schriftgröße oder Kontrast auf einer Website. Klar ist jedenfalls, dass sich der Trend
                                                  zu einer immer individuelleren Kundenansprache fortsetzen wird. Unternehmen
                                                  sollten deshalb jetzt die Voraussetzungen schaffen. Zum einen mit Marketing-
                                                  Automation-Lösungen: Sie sind zwingend erforderlich, um personalisierte Inhalte
                                                  überhaupt an fein segmentierte Zielgruppen ausspielen zu können. Zum anderen
                                                  mit einem strategischen Vorgehen: ABM ist keine Kampagne oder kurzfristige Maß-
                                                  nahme, sondern eine auf Accounts ausgerichtete langfristige Strategie. Die Einfüh-
                                                  rung muss gut geplant sein und verlangt auch organisatorische Veränderungen wie
                                                  das Auflösen von Abteilungsgrenzen zwischen Marketing und Vertrieb.

FAZIT                                             Personalisierte Kommunikation und Account Based Marketing stehen in einem en-
                                                  gen Zusammenhang. Denn nur auf Account-Ebene ist eine wirklich individuelle An-
                                                  sprache möglich. Dies geschieht mit hyperpersonalisierten Marketing-Kampagnen,
                                                  die auf die spezifischen Bedürfnisse einzelner Unternehmen zugeschnitten sind.
                                                  Ihre Grundlage sind digitale Technologien, insbesondere Automatisierungstools.
                                                  Sie werden die Entwicklung hin zu immer individuellerem Content vorantreiben. Wie
                                                  weit Unternehmen dabei gehen, ist vor allem eine Frage der Ressourcen: Je höher
                                                  der Personalisierungsgrad der Inhalte, desto größer ist am Ende auch der Aufwand.

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EXPERTEN-INTERVIEW

                                                     MARC HIBSCHENBERGER
                                                     Marc Hibschenberger leitet das Strategic Industries Marketing bei SAP
                                                     Deutschland. Er verfügt über langjährige Vertriebs- und Marketingerfahrung
                                                     in der Software- und IT-Branche. In seinem Vortrag beim TIK DIGITAL 2020
                                                     beschrieb Hibschenberger, wie sich Account Based Marketing zur Identifi-
                                                     kation und Ansprache von Kunden mit hohem Potenzial einsetzen lässt und
                                                     gewährte dabei Einblicke in die Praxis bei SAP.

                                                  Herr Hibschenberger, was sind die Vorteile von Account Based Marketing im
                                                  Vergleich zu „normalem“ Lead Generation und Lead Nurturing?

                                                  Kurz zusammengefasst ist es die Relevanz der eigenen Inhalte: Je mehr Unterneh-
                                                  men über einen Account wissen, desto besser können sie die Inhalte auf dessen
                                                  Interessen zuschneiden.

                                                  Wie hoch ist der zusätzliche Aufwand, um wirklich personalisierten Content zu
                                                  produzieren?

                                                  Das hängt vom Personalisierungsgrad der Inhalte ab. Man kann bestehenden
                                                  Content wie Broschüren oder Infografiken schon mit überschaubarem Aufwand
                                                  individuell anpassen. Das ist sinnvoll, wenn man auf ein Kundeninteresse schnell
                                                  mit einem passenden Asset reagieren muss. Es gibt auch entsprechende Tools,
                                                  die diese Mass Customization unterstützen. Idealerweise kann so etwas für viele
                                                  B2B-Anwender in einigen Jahren sogar automatisiert stattfinden. Deutlich aufwän-
                                                  diger ist es, wenn man exklusiven Content für einen Account auf einer kundenspe-
                                                  zifischen Website anbieten will. Denn hier ist es nicht mit einem Whitepaper getan,
                                                  vielmehr müssen regelmäßig neue Inhalte erarbeitet werden.

                                                  Sie haben beim TIK den Ansatz von SAP im Bereich Account Based Marketing
                                                  vorgestellt. Ist dieser für den Mittelstand adaptierbar?

                                                  Unser Ansatz ist auf Unternehmen jeder Größe und Branche übertragbar, unab-
                                                  hängig davon, welche Systeme im Einsatz sind. Im Grunde geht es darum, histori-
                                                  sche CRM-Daten zu einem Account mit externen, accountspezifischen Marktdaten
                                                  wie bspw. Suchvolumina zu bestimmten Themen zu kombinieren und auf dieser
                                                  Grundlage die Interaktion mit dem Kunden zu individualisieren. Davon kann jedes
                                                  Unternehmen nur profitieren.

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Ist heute eine hinreichende Kundensegmentierung im CRM bereits möglich?
                                                  Wie viele Merkmale je Account sind aus Ihrer Sicht notwendig, damit eine
                                                  Personalisierung sinnvoll funktionieren kann?

                                                  Eine pauschale Aussage lässt sich hier nicht treffen. Die Anzahl der Merkmale
                                                  hängt von vielen Einflussfaktoren ab. Wir arbeiten bei SAP mit den klassischen
                                                  Segmentierungskriterien wie Bestands- oder Neukunden, Branche, Abteilung und
                                                  Funktion und haben darüber hinaus in unserer Cloud-Lösung sogenannte „Items
                                                  of Interest“ definiert. Sie zeigen, an welchen Themen ein Kontakt aus unserer
                                                  Datenbank Interesse hat. Das ist an sich noch nichts Neues, aber zusammen mit
                                                  den anderen Daten können wir bei der Segmentierung sehr einfach und in Echt-
                                                  zeit beispielsweise noch die Teilnehmer eines Events, die Rückläufer der letzten
                                                  Online-Kampagne oder eben alle Kontakte mit Interesse an einem speziellen
                                                  Thema einschließen. Für ein effizientes Targeting beim Account Based Marketing
                                                  ist das unerlässlich.

                                                  Inwieweit beeinflusst Account Based Marketing die Kundenzufriedenheit und
                                                  die Bereitschaft, einen Anbieter weiterzuempfehlen?

                                                  Sowohl der ROMI als auch die Weiterempfehlungsraten sind bei ABM-Maßnahmen
                                                  höher als bei klassischen Maßnahmen. Dies belegen unter anderem Studien des
                                                  Instituts ITSMA, das sich branchen- und plattformübergreifend mit dem Thema
                                                  befasst. Grundsätzlich stellen wir auch in der Praxis fest, dass Kunden mit ABM-
                                                  Maßnahmen häufig auch als Referenzen auftreten und im Bereich der Co-Innovati-
                                                  on verschmelzen diese Grenzen auch.

                                                  Was empfehlen Sie Unternehmen, die ABM einführen wollen?

                                                  Wichtig ist vor allem, dass man eine individuelle Strategie entwickelt mit eindeuti-
                                                  gen Kriterien, für welche Kunden ABM infrage kommt. Unternehmen sollten dabei
                                                  lieber klein anfangen und ihre Aktivitäten schrittweise erweitern. Man muss nicht
                                                  gleich mit einer kompletten ABM-Architektur starten. Wenn man beispielsweise die
                                                  Herausforderungen der Kunden oder die Wahrscheinlichkeiten für einen Kauf noch
                                                  nicht ausreichend beurteilen kann, sollte man mit „Account Listening“ anfangen.
                                                  Kombinieren Sie interne und externe Kundendaten und spielen Sie die passenden
                                                  Inhalte zielgenau auf sozialen Medien und Business Netzwerken aus. Und fangen
                                                  Sie heute damit an, denn die Akzeptanz für digitale Angebote ist in der Krise enorm
                                                  gestiegen und wird sicherlich nicht mehr auf das Ausgangsniveau zurückfallen.

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THESE                                »DER DERZEITIGE EINSATZ VON KI
 4                                                SCHADET DER MARKE«
                                                  Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Spielregeln im Marketing in den
                                                  kommenden Jahren nachhaltig zu verändern. Bereits heute wird die Technologie
                                                  in vielen Marketing-Bereichen genutzt, denn sie bietet die Möglichkeit, die indivi-
                                                  duelle Ansprache in Kommunikation, Produkt und Service zu perfektionieren und
                                                  zu skalieren. So sind KI-basierte Anwendungen zum Beispiel Grundlage für die
                                                  personalisierten Produktempfehlungen bei Amazon und Netflix, für Sprachassis-
                                                  tenten wie Alexa oder für Content in E-Mail-Newslettern und auf Websites, der auf
                                                  einzelne Nutzer zugeschnitten ist. Ein weiterer Einsatzbereich sind Chatbots, die
                                                  auch im B2B zunehmend Verbreitung finden. Die virtuellen Assistenten können
                                                  Fragen von Nutzern – zum Beispiel in sozialen Netzwerken oder Messenger-Apps
                                                  – verstehen und automatisiert beantworten. So ermöglichen sie den Firmen, für
                                                  ihre Kunden jederzeit erreichbar zu sein. Dabei werden die Bots immer besser: Sie
                                                  können Informationen verständlich vermitteln und Kundenfragen adäquat beant-
                                                  worten. Damit wächst die Akzeptanz bei den Nutzern, nicht nur global, sondern
                                                  auch auf den Industriemärkten im DACH-Raum.11

                                                  Dass auch der B2B-Bereich stark von KI-Tools profitieren kann, haben die meisten
                                                  Unternehmen erkannt: 81 Prozent sehen in ihnen die Chance auf höhere Kunden-
                                                  zufriedenheit und bessere Abschlusswahrscheinlichkeiten.12 Das spiegelt sich auch
                                                  in den Budgets nieder: Laut Forrester wollen 57 Prozent der B2B-Vertriebsleiter
                                                  im Jahr 2021 verstärkt in KI-Tools und Automatisierung investieren. Dabei stehen
                                                  Chatbots auf der Wunschliste weit oben.13

                                                  Fest steht daher, dass sich die Interaktionen zwischen Unternehmen und Kunden
                                                  künftig verändern werden. Wo früher Menschen miteinander kommunizierten,
                                                  werden es Kunden immer häufiger mit Robotern zu tun haben. Das bringt neue
                                                  Herausforderungen für die Markenführung mit sich: Unternehmen müssen dafür
                                                  sorgen, dass die neuen technischen Touchpoints die Marke genauso widerspiegeln
                                                  wie andere Kontaktpunkte. Für den Kunden darf kein Bruch entstehen. Nach An-
                                                  sicht des Marken-Experten Prof. Dr. Carsten Baumgarth ist das aber derzeit nicht
                                                  der Fall. Bei den momentan eingesetzten Chatbots handelt es sich meist um Stan-
                                                  dardlösungen, die kaum an die jeweilige Unternehmenspersönlichkeit angepasst
                                                  werden. Vereinzelt versuche man zwar, mit eingestreuten Small-Talk-Elementen,
                                                  beispielsweise dem Senden humorvoller Bilder, den Bots einen persönlichen Touch
                                                  zu geben. Doch von einer markenspezifischen Gestaltung ist das weit entfernt. Wie
                                                  müsste man zum Beispiel Stimme oder Wortwahl eines Chatbots verändern, damit
                                                  er die Unternehmensmarke stützt? Diese Frage stellen sich Unternehmen bisher
                                                  nicht, für sie stehen technische Features im Fokus. Und auch die Forschung be-
                                                  ginnt gerade erst, sich intensiver mit den Auswirkungen auf die Marke zu beschäf-
                                                  tigen. So startet 2021 an der HWR Berlin unter Leitung von Professor Baumgarth
                                                  ein Forschungsprojekt, das den Einsatz von humanoiden Robotern in der Kunden-
                                                  kommunikation genauer untersucht und dabei schwerpunktmäßig auch Möglich-
                                                  keiten der markenspezifischen Gestaltung in den Blick nimmt.

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Unter humanoiden Robotern versteht man Roboter mit einem anthropomorphen
                                                  Körperplan und menschenähnlichen Sinnen. Sie können durch visuelle und taktile
                                                  Sensoren, Mimik- und Emotionserkennung sowie Sprachausgabe und Display mit
                                                  Menschen kommunizieren und interagieren. Experten sind sich einig, dass die
                                                  Mensch-Roboter-Interaktion immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. So pro-
                                                  gnostiziert die International Federation of Robotics bis 2022 zwei Millionen neue In-
                                                  dustrieroboter in den Fabriken weltweit, wobei die enge Zusammenarbeit zwischen
                                                  Mensch und Roboter im Fokus stehe.14 Den humanoiden Robotern wird dabei als
                                                  Kontaktpunkt für Informationen viel Potenzial zugeschrieben. Bei einigen Super-
                                                  märkten und Elektrofachhändlern sind sie für diesen Zweck bereits im Einsatz und
                                                  sorgen dort für einen besseren Kundenservice und eine Entlastung der Mitarbeiter.
                                                  Die Anbieter verzeichnen in der Regel auch positive Effekte auf die Marken-Wahr-
                                                  nehmung. Denn der Einsatz der Roboter gilt als „innovativ“. Doch es gibt auch
                                                  Hinweise auf negative Effekte. So erzeugen Roboter mit sehr menschlichen Zügen
                                                  beim Empfänger oft Ablehnung, was die Kommunikation erschwert. Außerdem
                                                  wird die ethisch-nachhaltige Performance des Anbieters schlechter beurteilt.15 Hier
                                                  ist es vor allem die Angst vor Datenmissbrauch, die die Konsumenten umtreibt und
                                                  die Unternehmen ernst nehmen müssen.

                                                  Neben humanoiden Robotern werden künftig auch Sprachassistenten wie Alexa
                                                  die Spielregeln der Markenführung verändern. Wenn der Kauf eines Produkts nicht
                                                  mehr durch den Kunden selbst erfolgt, sondern automatisiert durch einen Algo-
                                                  rithmus, könnten sie zu Gatekeepern werden, die nur noch wenige und bevorzugt
                                                  die eigenen Marken unterstützen. Das stellt Unternehmen vor große Herausfor-
                                                  derungen, weil sie nicht mehr nur ins Relevant Set potenzieller Kunden gelangen
                                                  müssen, sondern auch ins Relevant Set von Algorithmen.

                                                  Den möglichen negativen Effekten stehen die bereits erwähnten Vorteil KI-basierter
                                                  Systemen gegenüber. Sowohl für die Markenanalyse als auch für das Markenma-
                                                  nagement bieten sich vielfältige neue Möglichkeiten, zum Beispiel um Diskussio-
                                                  nen in Social Media zu beobachten, personalisierten Content zu erstellen, Werbung
                                                  automatisiert auszuspielen oder mit Hilfe von Eye Tracking emotionale Reaktio-
                                                  nen der Zielgruppe zu messen. Routine-Entscheidungen werden damit künftig
                                                  vermehrt von Algorithmen übernommen, sodass mehr Raum für Kreativität und
                                                  Innovation entstehen kann.

FAZIT                                             KI-basierte Systeme verändern, wie Menschen sich informieren und interagieren,
                                                  wie sie Marken wahrnehmen und eine Kaufentscheidung treffen. Ob sie der Unter­
                                                  nehmensmarke dabei schaden oder eher nützen, wird davon abhängen, wie die
                                                  Systeme im Einzelfall gestaltet sind. Unternehmen sind hier gefordert, sich von der
                                                  Faszination für die Technik zu lösen und den Fokus auf die Markenwahrnehmung
                                                  zu legen. Sie müssen verstehen, dass sich in der VUCA*-Welt auch die Spielregeln
                                                  der Markenführung grundlegend verändern werden. Nicht der kurzfristige Profit und
                                                  die nächsten Quartalszahlen dürfen den Ausschlag geben, sondern eine langfristig
                                                  angelegte Markenstrategie auch nach diesem Paradigmenwechsel in die vollends
                                                  digitalisierte Kommunikation.

                                                  * Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität), Ambiguity, (Mehrdeutigkeit)

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EXPERTEN-INTERVIEW

                                                     PROF. DR. CARSTEN BAUMGARTH
                                                     Carsten Baumgarth ist Professor für Marketing, insbesondere Markenfüh-
                                                     rung an der HWR Berlin. Er hat rund 400 Publikationen mit den Schwer-
                                                     punkten Marke, B2B-Marketing, Kulturmarketing und Empirische Forschung
                                                     publiziert. Zudem ist er Verfasser des Standardlehrbuches „Markenpolitik“
                                                     und des Herausgeberwerkes „B-to-B-Markenführung“. Zusammen mit an-
                                                     deren Marken-Experten hat er 2019 das „Brand Work Manifesto“ veröffent-
                                                     licht, in dem er für eine neue Markenführung plädiert.

                                                  Herr Professor Baumgarth, im Vorwort zu Ihrem „Brand Work Manifesto“
                                                  schreiben Sie, die Markenführung befinde sich in einer Midlife-Crisis. Was
                                                  genau meinen Sie damit?

                                                  Markenführung findet heute immer noch sehr technokratisch statt. Viele Unter-
                                                  nehmen glauben, Marken nach wie vor über Corporate Design Manuals „führen“
                                                  zu können. Das ist aber ein Trugschluss. Denn die Welt hat sich radikal gewandelt.
                                                  Wir befinden uns in einer VUCA-Welt, die von schnellen Veränderungen geprägt
                                                  ist. Hinzu kommt, dass Marken heute von vielen Beteiligten mitgestaltet werden:
                                                  Nutzer bewerten Produkte und Marken auf Portalen und werden von Unternehmen
                                                  in die Produktentwicklung mit eingebunden. Das bezeichnet man als Co-Creation.
                                                  Marken werden daher heute eher kuratiert als geführt. Damit befindet sich die
                                                  klassische Markenführung in einer Phase der Umorientierung, die der Midlife-
                                                  Crisis beim Menschen sehr ähnlich ist.

                                                  Wenn die alten Grundsätze der Markenführung nicht mehr gelten, wie sehen
                                                  die neuen aus?

                                                  Um mit den Veränderungen der Umwelt umgehen zu können, müssen Marken
                                                  in Zukunft offener, agiler, digitaler und authentischer agieren. Sie müssen sich
                                                  ethisch und moralisch im Markt bewegen, sie müssen datenbasiert agieren und
                                                  ihre Stakeholder beteiligen – um nur einige Grundsätze der „Neuen Markenfüh-
                                                  rung“ zu nennen. Weitere habe ich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus
                                                  der Forschung sowie Vertreterinnen und Vertretern aus der Markenberatung und
                                                  aus Unternehmen 2019 in einem „Brand Work Manifesto“ beschrieben. Es soll
                                                  als Denkanstoß für eine offene Debatte dienen und Unternehmen die Richtung
                                                  aufzeigen – ohne Anspruch auf wissenschaftliche Richtigkeit.

                                                  Was sind die größten Herausforderungen, die sich für Unternehmen aus dem
                                                  Einsatz von KI-basierten Anwendungen ergeben?

                                                  Eine große Herausforderung sehe ich darin, KI-basierte Systeme markenspezifisch
                                                  zu gestalten.

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