Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021

 
WEITER LESEN
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
Paritätische Forderungen
zur Bundestagswahl 2021
DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND GESAMTVERBAND e. V. | www.paritaet.org
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
Inhalt
  Grundsicherung und Hartz IV .......................................................................................................................................... 4
     Hartz IV hinter uns lassen .................................................................................................................................................................. 4
     Die Grundsicherung betroffenenorientiert neu ausrichten .................................................................................................. 4
     Sanktionen abschaffen ....................................................................................................................................................................... 5
     Kosten der Unterkunft und Heizung realitätsgerecht abbilden .......................................................................................... 5
     Einkommensarme Mietende schützen, Wohnraum sichern ................................................................................................. 5
     Umgangsmehrbedarf im SGB II einführen .................................................................................................................................. 5
  Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung ............................................................................................................... 6
     Prekäre Beschäftigung begrenzen ................................................................................................................................................. 6
     Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung stärken .......................................................................................................... 6
     Kurzarbeitergeld erhöhen ................................................................................................................................................................. 6
     Vertrauen in Arbeitslose setzen und ihre Wunsch- und Wahlrechte stärken ................................................................. 7
     Sozialen Arbeitsmarkt entfristen und ausbauen ....................................................................................................................... 7
     Weiterbildung für Beschäftigte und Arbeitslose intensivieren ............................................................................................ 7
     Digitalisierung der Arbeitsförderung vorantreiben ................................................................................................................. 8
     Gleichberechtigte Chancen am Arbeitsmarkt für Migrant*innen schaffen .................................................................... 8
     Schulische und betriebliche Berufsausbildungen gleichstellen ........................................................................................ 8
  Alterssicherung ................................................................................................................................................................... 9
     Altersarmut verhindern, die gesetzliche Rente stärken ......................................................................................................... 9
     Die Riester-Förderung beenden, Geringverdienende gezielter fördern .......................................................................... 9
     Die Situation der Erwerbsgeminderten verbessern ................................................................................................................ 9
  Altenhilfe und Pflege ........................................................................................................................................................ 10
     Pflege solidarisch finanzieren .......................................................................................................................................................... 10
     Mehr Personal in der Pflege gesetzlich verankern ................................................................................................................... 10
     Pflegende Angehörige und vergleichbar Nahestehende stärken ............................................................................................... 10
     Pflegeausbildung weiter stärken .................................................................................................................................................... 11
     Seniorenpolitik und kommunale Alten- und Seniorenarbeit fördern ............................................................................... 11
  Gesundheit ......................................................................................................................................................................... 12
     Gute Gesundheitsversorgung für alle realisieren ..................................................................................................................... 12
     Beteiligung von Patient*innen stärken ........................................................................................................................................ 12
     Prävention stärken ............................................................................................................................................................................... 12
     Sexuelle und reproduktive Rechte sichern ................................................................................................................................. 12
     LSBTI-Gesundheitsbericht erstellen ............................................................................................................................................... 12
  Kinder und Jugendliche ................................................................................................................................................... 13
     Rechtsanspruch auf Bildung und Teilhabe einführen ............................................................................................................. 13
     Eine existenzsichernde Kindergrundsicherung schaffen ....................................................................................................... 13
     Ausbildung für alle sicherstellen ..................................................................................................................................................... 14
     Kinderrechte ins Grundgesetz ................................................................................................................... 14
     Inklusion im SGB VIII umsetzen ................................................................................................................ 14
  Engagement und Freiwilligendienste ........................................................................................................................... 15
     Inklusion und Diversität in Freiwilligendiensten stärken ....................................................................................................... 15
     Freiwillige anerkennen und wertschätzen .................................................................................................................................. 15
  Flucht und Migration ........................................................................................................................................................ 16
     Dezentrales Wohnen für geflüchtete Menschen garantieren .............................................................................................. 16
     Asylverfahrensberatung ausbauen und flächendeckend finanzieren .............................................................................. 16
     Familiennachzug erleichtern ............................................................................................................................................................ 17
     Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen ................................................................................................................................... 17
2    Wohnsitzregelung abschaffen ......................................................................................................................................................... 17
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
Bleiberechtsregelungen verbessern ..............................................................................................................................................                  17
  Recht auf individuelles Asyl in Europa sicherstellen ................................................................................................................                             18
  Einbürgerungsrecht und Praxis verbessern ................................................................................................................................                         18
  Leistungsausschlüsse für EU-Bürger*innen streichen ............................................................................................................                                   18
  Zugangsbarrieren zu Integrationskursen abbauen .................................................................................................................                                  19
  Migrations- und Flüchtlingssozialarbeit sicherstellen ............................................................................................................                                19
  Gesundheitliche Versorgung ohne Aufdeckung des Aufenthaltsstatus ermöglichen ................................................                                                                     20
  Anspruch auf Sprachmittlung schaffen ........................................................................................................................................                     20
  Für LSBTI-Themen im Asylverfahren sensibilisieren ................................................................................................................                                20
Europäische und internationale Zusammenarbeit .....................................................................................................                                                 21
  Soziales und nachhaltiges Europa fördern ..................................................................................................................................                       21
  Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe aufstocken .................................................................                                                           21
Behindertenpolitik und Soziale Psychiatrie .................................................................................................................                                        22
  Wunsch- und Wahlrecht umsetzen ................................................................................................................................................                   22
  Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben für alle Menschen umsetzen .....................................................................................                                               22
  Eingliederungshilfe unabhängig von Einkommen und Vermögen gewähren ..............................................................                                                                 23
  Freie Wahl des Wohnortes garantieren .........................................................................................................................................                    23
  Barrierefreiheit schaffen .....................................................................................................................................................................   23
  Flächendeckende, integrierte Versorgung vorantreiben .......................................................................................................                                      24
  Psychiatrieerfahrene in Beratung und Behandlung einbeziehen .......................................................................................                                               24
  Früherkennung und Frühförderung sicherstellen ....................................................................................................................                                24
Antidiskriminierung und Antirassismus .......................................................................................................................                                       25
  Beratung für Betroffene von rassistischer Diskriminierung ausbauen .............................................................................                                                  25
  Schutz vor Diskriminierung stärken, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz novellieren .......................................                                                                       25
  Diversity-Mainstreaming in Bundesministerien einführen ...................................................................................................                                        25
Queer ...................................................................................................................................................................................           26
  Strafvorschriften zur Hasskriminalität ergänzen .......................................................................................................................                           26
  Regelung zum Geschlechtseintrag vereinheitlichen ...............................................................................................................                                  26
Gewaltschutz ......................................................................................................................................................................                 26
  Gewaltschutz bundeseinheitlich finanzieren .............................................................................................................................                          26
  Istanbul Konvention umsetzen .......................................................................................................................................................              26
Wohnen ...............................................................................................................................................................................              27
  Schutz von sozialen Einrichtungen stärken ................................................................................................................................                        27
  Neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen ...........................................................................................................................                               27
  Sozialen Wohnungsbau stärken ......................................................................................................................................................               28
  Barrierefreien Wohnraum schaffen ................................................................................................................................................                 28
  Wohngeld anpassen ............................................................................................................................................................................    28
  Energetische Modernisierungen sozial ausgestalten ............................................................................................................                                    28
  Heilungsmöglichkeit auf ordentliche Kündigung erweitern ...............................................................................................                                           29
  Mietpreise wirksam eindämmen ....................................................................................................................................................                 29
  Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen eingrenzen .........................................................................................                                                   29
Umwelt und Klima .............................................................................................................................................................                      30
  CO2-Preis sozial ausgestalten – Klimaprämie einführen .........................................................................................................                                   30
  Soziale Einrichtungen ........................................................................................................................................................................    30
  Klimafreundliche Alternativen ermöglichen – Anreize richtig setzen ..............................................................................                                                 30
Steuerpolitik .......................................................................................................................................................................               31
  Reichtum umverteilen, Soziales finanzieren ...............................................................................................................................                        31   3
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
Armut abschaffen!

    Grundsicherung und Hartz IV
    D   Hartz IV hinter uns lassen
    Das Hartz IV-System muss überwunden werden, weil es
    Hartz IV-Bezieher*innen nicht vor Armut schützt. Es pas-
    siert zu wenig vertrauensvolle Förderung und zu viel Kon-
    trolle und Androhung von Sanktionen. Der Paritätische
    setzt sich für eine menschenwürdige Neuausrichtung der      D   Die Grundsicherung
    Grundsicherung für Arbeitsuchende ein. Dafür ist eine
    Neuberechnung der Regelsätze von elementarer Bedeu-
                                                                    betroffenenorientiert
    tung. Die Regelsätze sind künstlich klein gerechnet und         neu ausrichten
    halten die Betroffenen in Armut. Es fehlt insbesondere an
    Geld für eine ausgewogene, gesunde Ernährung sowie          Die in Zeiten der Corona-Pandemie befristet geschaf-
    ein Mindestmaß an sozialer, politischer und kultureller     fenen Regelungen für den erleichterten Bezug von
    Teilhabe. Der Paritätische fordert auf der Grundlage von    Hartz IV-Leistungen haben sich im Grundsatz bewährt.
    Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle eine        Der Paritätische spricht sich deshalb für ein höheres
    zügige Anhebung des Regelsatzes für alleinlebende Er-       Schonvermögen für Hartz IV-Bezieher*innen aus, das
    wachsene auf 644 Euro und darüber hinaus so genann-         zudem altersunabhängig gestaltet werden soll. Die be-
    te „weiße Ware“ (Kühlschrank, Waschmaschine etc.) und       stehenden altersabhängigen Freibetragsregelungen
    Strom nicht mehr im Regelsatz pauschaliert zu erfassen,     gehen u. a. zulasten von jungen Familien. Der Paritä-
    sondern als einmalige Leistung bzw. als Bestandteil der     tische fordert einen einheitlichen Grundfreibetrag in
    Kosten der Unterkunft zu gewähren. Um die gleichbe-         Höhe von 20.000 Euro pro leistungsberechtigter Per-
    rechtigte digitale Teilhabe sicherzustellen, müssen die     son in der Bedarfsgemeinschaft. Altersvermögen und
    Kosten für die technische Ausstattung, z.B. mit mobilen     selbstgenutztes Wohneigentum sollen zusätzlich und
    Endgeräten, als einmalige Leistung übernommen wer-          wie bisher geschützt sein.
    den. Die neue Bundesregierung wird aufgefordert, eine
    Kommission aus Expert*innen zu der Frage einzusetzen:
    Was braucht ein Mensch zum Leben und für gesellschaft-
    liche Teilhabe? In dieser Kommission sollen auch Wege zu
    einer sachgerechten Ermittlung der Bedarfe von Kindern
    und Jugendlichen erörtert werden.
4
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
D   Sanktionen abschaffen                                    D   Einkommensarme Mietende
Als essentiell für eine menschenwürdige Neuausrich-
                                                                 schützen, Wohnraum sichern
tung des Hartz-IV-Systems sieht der Paritätische die Ab-     Deutschland ist ein Land der Mieter*innen. Steigende
schaffung der Sanktionen an. Das staatliche gewährte         Mieten, wachsende Risiken für Einkommensverluste
Existenzminimum im SGB II leitet sich aus dem grund-         und das Renditestreben großer Konzerne gefährden
legenden Prinzip der Menschenwürde und dem Sozial-           bestehende Mietverträge. Das darf nicht sein. Zukünf-
staatsgebot im Grundgesetz ab. Dieses Grundrecht darf        tig soll dauerhaft geregelt werden, dass niemand die
nicht durch Sanktionen unterschritten werden. Die            Wohnung verlassen muss, nur weil sie*er neu Hartz
Sanktionen sind zudem weder geeignet, noch erforder-         IV-Leistungen bezieht. In den ersten zwei Jahren nach
lich oder verhältnismäßig, um Vermittlungen in Arbeit zu     dem Eintritt in die Grundsicherung soll es deshalb keine
befördern. Die in Zeiten der Corona-Pandemie zeitweilig      Prüfung der Angemessenheit der Wohnung geben.
geltende Aussetzung der Sanktionen hat in der Praxis
gezeigt, dass Hartz IV-Beziehende in hohem Maße bereit
sind, an für sie sinnvollen Maßnahmen der Arbeitsförde-
rung teilzunehmen, auch ohne Sanktionsdruck.                 D   Umgangsmehrbedarf im SGB II
                                                                 einführen
                                                             Einelternfamilien waren 2019 zu 35 Prozent auf Leistun-
D   Kosten der Unterkunft und                                gen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) ange-
                                                             wiesen. Diese sind insbesondere für Kinder zu knapp
    Heizung realitätsgerecht abbilden                        bemessen, um ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen.
Der Paritätische tritt für eine Anpassung der Kosten der     Kindern von Alleinerziehenden kann der SGB II-Regel-
Unterkunft an die realen Mietpreisentwicklungen auf          satz zudem noch um Umgangstage gekürzt werden.
dem Wohnungsmarkt ein. Leistungsbeziehende dürfen            Dann fehlt am Lebensmittelpunkt des Kindes sogar
nicht in die Situation kommen, Aufwendungen für die          das Geld fürs Notwendigste, denn seine Abwesenheit
Unterkunft teilweise aus dem Regelbedarf begleichen zu       geht nicht zwangsläufig mit Einsparungen einher: Der
müssen. Insbesondere in Wachstumsregionen, die von           Internetanschluss muss für den ganzen Monat bezahlt
erheblichen Mietpreissteigerungen geprägt sind, ist es       werden und das Kind wird die angebrochene Milchpa-
schwierig eine den Angemessenheitsanforderungen ent-         ckung nicht mitnehmen. Gleichzeitig benötigt auch der
sprechende Wohnung zu finden. Insbesondere bei der           andere Elternteil zusätzliche Mittel um das Kind wäh-
Wohnfläche sollte eine Mindestgröße nicht unterschrit-       rend des Umgangs zu versorgen, wenn er*sie im SGB II
ten werden. Gleichfalls muss der Wohnraum den individu-      ist. Die Betreuung eines Kindes in zwei Haushalten ist
ellen Bedarfen der Leistungsberechtigten entsprechen.        mit höheren Kosten verbunden. Der Paritätische fordert
Um Rechtssicherheit zu schaffen, ist der Rechtsbegriff der   deshalb, einen gestaffelten Umgangsmehrbedarf für
Angemessenheit durch konkrete Angaben zu ersetzen.           einen Umgangselternteil im SGB II einzuführen bei
Dazu müssen Vorgaben für ein einheitliches und transpa-      vollem Regelsatz im Haushalt der Alleinerziehenden.
rentes Verfahren zur Berechnung der Unterkunftskosten
gelten. Dabei können sich die Angaben zur Größe und
Ausstattung der Wohnung an den Förderrichtlinien für
den sozialen Wohnungsbau orientieren.

                                                                                                                        5
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung
    D   Prekäre Beschäftigung begrenzen                          Einführung eines Mindestarbeitslosengeldes würden
                                                                 Niedriglohnbeschäftigte davor geschützt, ins Hartz-IV
    Ein großer Anteil der Arbeitnehmer*innen hierzulande         System zu fallen, obwohl sie mitunter jahrelang Ver-
    ist im Niedriglohnsektor und in prekärer Beschäftigung       sicherungsbeiträge in die Arbeitslosenversicherung
    tätig. Jede*r Fünfte erhält lediglich einen Niedriglohn.     eingezahlt haben. Für ehemals vollzeiterwerbstätige
    In Zeiten der Pandemie haben diese Beschäftigten zu-         Arbeitslosengeldbezieher würde das Mindestarbeitslo-
    sätzliche Nachteile zu verkraften. Insbesondere gering-      sengeld oberhalb des Hartz IV Niveaus für einen 1-Per-
    fügig Beschäftigte sind nicht durch Kurzarbeit abgesi-       sonen-Haushalt festgesetzt werden.
    chert. Ihre Jobs sind in massivem Umfang weggefallen.
    Der Paritätische spricht sich dafür aus, prekäre Beschäf-
    tigung zu begrenzen und sozialversicherungspflichtige
    Beschäftigung zu stärken. Dafür sollen geringfügige          D   Kurzarbeitergeld erhöhen
    Beschäftigungsverhältnisse in weiten Teilen in sozial-
    versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse           Dem Kurzarbeitergeld kommt in wirtschaftlichen Kri-
    umgewandelt werden. Zeitarbeit soll auf ihre Kern-           sen, wie beispielsweise durch die Covid-19-Pandemie
    funktion zurückgeführt werden, die darin besteht, Auf-       verursacht, eine besonders wichtige Funktion zur Si-
    tragsspitzen und Arbeitsausfälle in den Unternehmen          cherung von Beschäftigung zu. Im Bedarfsfall muss die
    abzufangen. Das Prinzip „Gleicher Lohn und gleiche           Inanspruchnahme ausreichend verlängert werden. Be-
    Arbeitsbedingungen bei gleicher Arbeit“ ist dafür ab         triebe, die für ihre Beschäftigten Kurzarbeitergeld bean-
    dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme gesetzlich fest-         tragen, sind zu verpflichten, auf Bonuszahlungen und
    zuschreiben. Die sachgrundlose Befristung soll entfal-       Dividendenausschüttungen zu verzichten. Die aktu-
    len. Der Verband setzt sich dafür ein, dass auch in den      elle Höhe des Kurzarbeitergeldes stellt sich für die von
    sozialen Diensten und Einrichtungen Tariflöhne gezahlt       der Corona-Pandemie besonders negativ betroffenen
    werden und diese durch die Kostenträger refinanziert         Beschäftigtengruppen mit kleineren Einkommen als zu
    werden. Der geltende Mindestlohn in Höhe von aktuell         gering dar, um ihren Lebensunterhalt verlässlich abzu-
    9,50 Euro ist nicht armutsfest. Menschen, die ihr Leben      sichern. Der Paritätische fordert daher eine Anhebung
    lang gearbeitet haben, sollen im Alter einen Rentenan-       des Kurzarbeitergeldes auf mindestens 80 bzw. 87 Pro-
    spruch erworben haben, der sie vor dem Gang zum So-          zent des Nettoeinkommens (aktuell 60 Prozent des Net-
    zialamt bewahrt. Um das sicherzustellen, muss der Min-       to-Entgelts bzw. 67 Prozent für Beschäftigte mit minde-
    destlohn mindestens auf 13 Euro angehoben werden.            stens einem Kind). Jedenfalls ist sicherzustellen, dass
                                                                 zusammen mit einem eventuell verbleibenden Netto-
                                                                 einkommen aus Erwerbstätigkeit eine Aufstockung auf
                                                                 insgesamt mindestens 1.250 Euro netto erfolgt (Min-
    D   Schutzfunktion der Arbeitslosen-                         destkurzarbeitergeld). Das Mindestkurzarbeitergeld
                                                                 entspricht in etwa dem Betrag, der sich aus einem be-
        versicherung stärken                                     darfsgerechten Regelsatz, den durchschnittlichen Ko-
    Bisher hat nur jede*r dritte Arbeitslose Anspruch auf Ar-    sten der Unterkunft für einen Ein-Personen-Haushalt
    beitslosengeld. Der Paritätische setzt sich daher für eine   und einem erhöhten Freibetrag für Erwerbseinkommen
    Stärkung der Arbeitslosenversicherung ein. Dies soll er-     in der Grundsicherung ergibt.
    reicht werden durch ein Bündel an Maßnahmen: eine
    Verlängerung der Rahmenfrist auf drei Jahre, eine Ver-
    kürzung der Anwartschaftszeiten, eine Verlängerung
    der maximalen Bezugszeit des Arbeitslosengeldes und
    die Einführung eines Mindestarbeitslosengeldes. Von
    einer Verlängerung der maximalen Bezugszeiten des
    Arbeitslosengeldes von zwei auf bis zu drei Jahren kön-
    nen vor allem langjährig Versicherte profitieren. Mit der

6
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
D   Vertrauen in Arbeitslose setzen                          D   Weiterbildung für Beschäftigte
    und ihre Wunsch- und Wahlrechte                              und Arbeitslose intensivieren
    stärken                                                  Weiterbildung und Qualifizierung sind wesentlich zur
                                                             Deckung des Fachkräftebedarfs, zur Förderung der
Vermittlung und aktive Arbeitsförderung für arbeitslose      Aufwärtsmobilität von Arbeitslosen sowie von prekär
Menschen müssen individueller und passgenauer ange-          Beschäftigten, zum Umgang mit Strukturwandel auf
boten werden. Dafür ist es entscheidend, Vertrauen in        dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt zur Sicherung von
ihre Fähigkeiten und Wünsche zu setzen. Die Wunsch-          Beschäftigung in der aktuellen Rezession. Vor allem Ar-
und Wahlrechte der Menschen, ein für sie passendes           beitslose im Hartz IV-Bezug dürfen dabei nicht länger
Angebot der aktiven Arbeitsförderung selbst auszuwäh-        hintangestellt werden. Weiterbildung bzw. Qualifizie-
len, sind konsequent zu stärken. Die Organisation und        rung muss dafür gleichermaßen für Beschäftigte wie
Finanzierung der Maßnahmen der Arbeitsförderung ist          auch für Arbeitslose ausgebaut werden. Die Weiter-
dafür in weiten Teilen auf das Gutscheinsystem umzu-         bildungsförderung der Bundesagentur für Arbeit auf
stellen, wonach Arbeitslose einen Berechtigungsschein        Seiten der Beschäftigten ist zu erweitern durch eine be-
für Maßnahmen erhalten und ihn bei einem Träger ihrer        sondere Berücksichtigung des Erzieherberufs als Eng-
Wahl einlösen können.                                        passberuf.

                                                             Das neu geschaffene Recht auf Nachholen eines Berufs-
                                                             abschlusses mittels Fort- und Weiterbildung soll mit
D   Sozialen Arbeitsmarkt entfristen                         weiteren gesetzlichen Regelungen flankiert werden,
                                                             die es gering qualifizierten Beschäftigten und Arbeits-
    und ausbauen                                             losen erleichtern, eine abschlussbezogene Nachqua-
Die erneut steigende und zunehmend verfestigte Lang-         lifizierung zu erlangen: die Einführung eines anrech-
zeitarbeitslosigkeit muss reduziert werden. Es ist sehr      nungsfreien monatlichen Weiterbildungsbonus und
positiv, dass der Soziale Arbeitsmarkt eingeführt wurde,     die Möglichkeit, auch dreijährige Umschulungen im
der langzeitarbeitslosen Menschen eine Perspektive auf       Bedarfsfall vollständig finanzieren zu können. Der Ver-
sozialversicherungspflichtige Arbeit und Teilhabe an         mittlungsvorrang in der Grundsicherung für Arbeitsu-
der Gesellschaft verschafft. Es hilft ihnen, ihren Lebens-   chende hat zukünftig zurückzustehen, wenn eine nach-
unterhalt (zumindest großteils) durch Erwerbsarbeit zu       haltige Erwerbsintegration voraussichtlich erst nach
finanzieren, sie erleben mehr gesellschaftliche Teilhabe     Absolvierung einer beruflichen Weiterbildung erreicht
und erhalten bessere Zukunftschancen. Zuletzt haben          werden kann.
von der entsprechenden Förderung allerdings nur rund
41.000 Menschen profitiert, gerade einmal rund 1,5 Pro-
zent der Langzeitleistungsbeziehenden im Hartz IV-Sys-
tem. Der Paritätische fordert, die Förderung in einem
ersten Schritt auf mindestens 100.000 Arbeitsplätze
auszubauen, damit mehr Menschen von ihr profitieren
können, und das nur bis Ende 2024 geltende Förderins-
trument zur „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zu entfristen.

                                                                                                                        7
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
D   Digitalisierung der                                     liche Angebot einer Sprachmittlung ist für den Zugang
                                                                zur Arbeitsförderung und anderen Sozialleistungen
        Arbeitsförderung vorantreiben                           unerläßlich und bedarf daher einer gesetzlich verbind-
    Die fortschreitende Digitalisierung muss sich zukünf-       lichen Grundlage. Berufs- und ausbildungsbegleitende
    tig stärker in den Angeboten der Arbeitsförderung           Angebote zur Sprachförderung müssen bedarfsde-
    niederschlagen, damit Teilnehmende ihre digitalen           ckend zur Verfügung stehen und als Regelleistungen
    Kompetenzen entsprechend den Anforderungen des              im SGB II und III verankert werden. Asylsuchende sollten
    Arbeitsmarkts verbessern und ihr Lernpotential mithil-      zukünftig unabhängig von ihrer Unterbringung und an-
    fe digitaler Lerntechniken besser ausschöpfen können.       genommenen Bleibeperspektive spätestens nach drei
    Besondere Unterstützung benötigen arbeitslose Men-          Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Alle Asyl-
    schen, die im Unterschied zu Arbeitnehmer*innen kei-        suchenden und Geduldete sollen außerdem so schnell
    ne Möglichkeit haben, am Arbeitsplatz qualifikatorisch      wie möglich und umfassend Zugang zur Arbeits- und
    Anschluss an die veränderten Bedingungen der Arbeits-       Ausbildungsförderung erhalten.
    welt zu halten. Eine weitergehende Digitalisierung hilft,
    Förderung im ländlichen Raum oder im Hinblick auf die
    Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser zugänglich
    zu machen. Die bestehende teilnehmerbezogene Fi-            D   Schulische und betriebliche Berufs-
    nanzierung in der Arbeitsförderung weist bei der not-
    wendigen Infrastrukturausstattung für diese Angebote
                                                                    ausbildungen gleichstellen
    eine Leerstelle auf und ist insgesamt unzureichend,         Über 700.000 Jugendliche beginnen jährlich eine Be-
    um den notwendigen Entwicklungsschub der Förder-            rufsausbildung, darunter befinden sich mehr als 67
    angebote einzuleiten. Vor diesem Hintergrund soll ein       Prozent betriebliche Ausbildungsverhältnisse und
    Förderprogramm des Bundes zur Digitalisierung der           mehr als 25 Prozent schulische Berufsausbildungen im
    Angebote der Arbeitsförderung aufgelegt werden für          Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesen. Im Unter-
    die notwendige Infrastrukturausstattung, zur Konzept-       schied zu den Jugendlichen in den Betrieben erhalten
    entwicklung und zur Qualifizierung des Lehrpersonals.       die jungen Menschen in der schulischen Berufsausbil-
                                                                dung keine Mindestausbildungsvergütung (und auch
                                                                kein bedarfsunabhängiges BaFöG) und auch keine
                                                                finanzielle Hilfe zur Ausstattung. In manchen schu-
    D   Gleichberechtigte Chancen am                            lischen Ausbildungsgängen wird sogar ein Schulgeld
                                                                erhoben. Die rentenrechtliche Anerkennung von
        Arbeitsmarkt für Migrant*innen                          schulischen Berufsausbildungszeiten ist mit Ausnahme
        schaffen                                                der Pflegeberufe ebenfalls wesentlich schlechter als die
                                                                einer sozialversicherungspflichtigen betrieblichen Aus-
    Erwerbsarbeit hat große Bedeutung für die gleich-           bildung. Die Bundesagentur für Arbeit beschränkt ihre
    berechtigte Teilhabe in unserer Einwanderungs-              Förderleistungen im Bereich der Ausbildungshinfüh-
    gesellschaft. Vorhandene Benachteiligungen von              rung und -begleitung auf die Unterstützung der be-
    Migrant*innen etwa durch Zugangsbarrieren zum Ar-           trieblichen Ausbildungsverhältnisse. Doch auch Auszu-
    beitsmarkt oder Hürden beim Zugang zur Betreuung            bildende in schulischen Berufsausbildungen benötigen
    und Arbeitsförderung müssen überwunden werden. Die          bisweilen Förder- und Stützunterricht und sozialpäda-
    Beseitigung von migrationsbedingten Vermittlungs-           gogische Hilfen. Der Paritätische fordert die Gleichstel-
    hemmnissen soll in den Katalog grundlegender Ziele          lung von schulischer und betrieblicher Ausbildung in
    des SGB II und III aufgenommen werden. Das verläss-         den genannten Bereichen.

8
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
Alterssicherung
D   Altersarmut verhindern,                                  leisten können. Die Riester-Verträge sind wegen der
                                                             Abschlusshonorare kostenaufwändig, sie sind intrans-
    die gesetzliche Rente stärken                            parent und ermöglichen keine verlässliche Planung für
Armut im Alter ist das am schnellsten wachsende Ar-          das Alter. Sie sind kapitalmarktabhängig, einmal abge-
mutsrisiko – und es ist das unterschätzteste. Dass nur       schlossene Verträge können nur unter großen Verlusten
drei Prozent der Älteren auf Grundsicherung angewie-         gewechselt werden, und ein dauerhaft niedriges Zinsni-
sen sind, täuscht über die wahre Not älterer Menschen        veau und hohe Abgaben auf die Auszahlungen schmä-
hinweg. Fast drei Viertel der älteren Leistungsberech-       lern die Leistungen zusätzlich. Der Paritätische fordert
tigten nehmen ihre bestehenden Ansprüche nicht war,          deshalb, die steuerliche Förderung einzustellen und
häufig aus Scham oder Unwissenheit. Auch die Daten           die frei werdenden Milliarden gezielt zur Stärkung sozi-
der amtlichen Statistik zeigen, dass das Armutsrisiko im     aler Elemente in der Gesetzlichen Rentenversicherung
Alter zwischen 2005 bis 2018 von 10,7 auf 16,1 Prozent       einzusetzen. Gleichzeitig soll die Rentenversicherung zu
angestiegen ist. Betrachtet man nur die Rentner*innen,       einer Alterssicherung für alle Erwerbstätigen, auch für
ohne Pensionär*innen, so ist schon jetzt jede*r Fünfte       die Beamt*innen, ausgebaut werden.
von Armut betroffen. Dabei ist Altersarmut eine beson-
ders schwerwiegende Form von Armut: Wer im Alter arm
ist, der ist es in der Regel buchstäblich lebenslänglich,
über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Grundsätzlich gilt:        D   Die Situation der Erwerbs-
Die Rentenversicherung allein kann langfristig nicht aus-
gleichen, was an wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozial-
                                                                 geminderten verbessern
politischen Defiziten über Jahrzehnte hinweg verursacht      Etwa 1,8 Millionen Menschen sind in Deutschland er-
wurde. Möglichst hohe Löhne und Mindestlöhne, die            werbsgemindert. Sie sind gesundheitlich in einer Si-
nicht nur existenzsichernd sind, sondern auch eine ei-       tuation, die sie schicksalhaft trifft. Niemand sucht sich
gene, auskömmliche Alterssicherung ermöglichen, sind         seine Erwerbsminderung aus. Durchschnittlich trifft sie
deshalb notwendig. Menschen, die bereits in Rente sind       die Erwerbsminderung mit 52 Jahren. Die bis dahin er-
oder deren Renteneintritt bevorsteht, profitieren davon      worbenen Leistungsansprüche in der Rentenversiche-
nicht. Soziale Reformen müssen deshalb noch grund-           rung reichen damit regelmäßig nicht, um für den Rest
legender ansetzen. Wir brauchen in Deutschland eine          des Lebens frei von Armut zu leben. 2019 waren deshalb
Mindestrente, die das soziokulturelle Existenzminimum        523.000 Menschen auf Grundsicherung bei Erwerbsmin-
bedarfsgerecht sichert. Gleichzeitig muss die Rentenver-     derung angewiesen, zusätzlich zu den nahezu ebenso
sicherung gestärkt werden, damit sie wieder der Lebens-      zahlreichen Menschen, die auf Grundsicherung im Alter
standardsicherung dienen kann. Der Paritätische fordert      angewiesen sind. Der Gesetzgeber hat seit 2014 viel ge-
deshalb eine Rückkehr zu einem Rentenniveau von 53           tan, um die Situation von Erwerbsgeminderten zu verbes-
Prozent.                                                     sern. Dreimal hat er die Zurechnungszeiten, mit denen Er-
                                                             werbsgeminderte so gestellt werden, als ob sie weiter mit
                                                             ihrem durchschnittlichen Beitragsaufkommen erwerbs-
                                                             tätig gewesen wären, verlängert. Doch während etwa die
D   Die Riester-Förderung beenden,                           verbesserten Erziehungszeiten oder die neue Grundrente
                                                             selbstverständlich auch für Menschen gelten, die bereits
    Geringverdienende gezielter fördern                      in Rente sind, wurden die Verbesserungen für Erwerbsge-
Die staatlich geförderte private Vorsorge hat die Erwar-     minderte jeweils nur für die beschlossen, die künftig neu
tungen nie erfüllt. Sie erreicht gerade einkommensarme       in Rente gehen. Das muss sich ändern: Erwerbsgeminder-
Menschen nicht. Von etwa 39 Millionen Förderberech-          te, darunter viele Menschen mit Behinderungen, müssen
tigten sind nur etwa 10,5 Millionen zusätzlich durch einen   ebenfalls in vollem Umfang von den beschlossenen
oder mehrere Riester-Verträge abgesichert. Gleichzeitig      Verbesserungen profitieren. Bis dahin müssen die unge-
sind etwa ein Fünftel der Verträge „ruhend“ gestellt, häu-   rechten Abschläge entfallen, die Erwerbsgeminderte bei
fig weil sich die Versicherten die Zahlungen nicht mehr      vorzeitigem Renteneintritt derzeit hinnehmen müssen.

                                                                                                                         9
Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
Gute Pflege und
                                                              Gesundheits-
                                                               versorgung
                                                                 für alle

     Altenhilfe und Pflege
     D   Pflege solidarisch finanzieren                          D   Mehr Personal in der Pflege
     Im Durchschnitt fallen derzeit monatlich rund 2.000
                                                                     gesetzlich verankern
     Euro Eigenanteil für Pflegebedürftige in einem Heim an.     Der Paritätische fordert ein bundesgesetzlich festge-
     Die Rente reicht meist nicht, um dies zu finanzieren. Ein   legtes Verfahren zur Personalbemessung für die stati-
     Drittel der Bewohner*innen in Pflegeheimen ist bereits      onäre und Verbesserungen für die ambulante Pflege.
     heute auf Sozialhilfe angewiesen. Um Pflegebedürftige       Diese müssen hinreichend Zeit für Pflegebedürftige
     vor Armut zu schützen, fordert der Paritätische den         beinhalten und die Anerkennung der für die gesetzlich
     Ausbau der Pflegeversicherung zu einer einheitlichen        und fachlich vorgesehenen Aufgaben erforderlichen
     solidarischen Vollkaskoversicherung. Übergangswei-          quantitativen und qualitativen Personalausstattung in
     se muss kurzfristig der Eigenanteil bei den pflegebe-       den Landesrahmenverträgen, aber auch in den Pfle-
     dingten Kosten bei 15 Prozent gedeckelt werden (sta-        gesatz- bzw. Vergütungsverhandlungen berücksichti-
     tionär). Im ambulanten Bereich sollte das Prinzip nach      gen. Die Refinanzierung dieser personellen Ressourcen
     Ausschöpfung der geltenden Sachleistungsbeträge             muss gesichert sein.
     umgesetzt werden. Krankenkassen müssen für die Ko-
     sten der medizinischen Behandlungspflege in statio-
     nären Einrichtungen aufkommen und die Länder ihren
     Verpflichtungen bei der Übernahme der Investitionsko-       D   Pflegende Angehörige und
     sten nachkommen. Der Pflegevorsorgefonds muss auf-
     gelöst werden und die frei werdenden Mittel müssen
                                                                     vergleichbar Nahestehende stärken
     in die Gestaltung des Umbaus der Pflegeversicherung         Als während der Corona-Krise Versorgungssettings wie
     und in die Versorgung investiert werden. Steuermittel       Kurz- und Tagespflege wegbrachen, sprangen in der
     können die Finanzierung der Pflege sinnvoll ergänzen.       Häuslichkeit Angehörige und Ehrenamtliche bei Betreu-
                                                                 ung und Pflege ein. Dies geschah in einer Zeit des hohen
                                                                 Informations- und Beratungsbedarfs gepaart mit weite-
                                                                 ren Herausforderungen, wie der Vereinbarkeit von Familie,
                                                                 Beruf und Pflege. Es hat sich abermals gezeigt, dass eine

10
grundsätzliche Reform des Pflegegelds mehr als überfällig      Ob die Ziele der Ausbildungsoffensive Pflege erreicht
ist. Wir brauchen in Anlehnung an Elternzeit und Eltern-       werden können, hängt auch maßgeblich davon ab, dass
geld eine bezahlte Auszeit für Menschen, die Angehörige,       in ambulanten Pflegediensten mehr ausgebildet wird.
Freund*innen oder Nachbar*innen pflegen. Der Paritä-           Die Praxisanleitung und Tourenbegleitung der Auszu-
tische fordert einen Rechtsanspruch auf eine befriste-         bildenden durch Pflegefachkräfte muss zusätzlich fi-
te Familienpflegezeit. Die Höhe der Lohnersatzleistung         nanziell unterstützt werden.
sollte wie beim Elterngeld im Regelfall 65 Prozent des letz-
ten Nettoeinkommens betragen, höchstens jedoch 1.800           Es braucht für die nach Landesrecht geregelte Helfer-
Euro. Darüber hinaus fordert der Paritätische die Stärkung     ausbildung eine Ausbildungsoffensive, damit bis 2030
von Angeboten zur Entlastung pflegender Angehöriger,           die zusätzlich benötigten 100.000 Pflegekräfte (über-
wie Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege.          wiegend im Hilfskraftbereich) zur Verfügung stehen.
                                                               Der Paritätische fordert zudem einer Vereinheitlichung
                                                               dieser Ausbildungen durch einen Rahmenlehrplan, ent-
                                                               worfen durch die Fachkommission nach § 53 PflBG.
D   Pflegeausbildung weiter stärken
Das Pflegeberufegesetz muss in Bezug auf bisher un-
gelöste Problembereiche überarbeitet werden:                   D   Seniorenpolitik und kommunale
•   Die Anrechnung der Wertschöpfung von Aus-
                                                                   Alten- und Seniorenarbeit fördern
    zubildenden in stationären oder ambulanten                 Zur Verwirklichung von Teilhabe und Vermeidung von
    Altenpflegeeinrichtungen      beeinträchtigt  die          Einsamkeit bedarf es vielfältiger Angebote der Senio-
    Ausbildungsbereitschaft und widerspricht dem               renarbeit sowie Maßnahmen der Gesundheitsförde-
    Ausbildungscharakter. Die Anrechnung im zweiten            rung und Prävention in der Kommune. Die kommunalen
    und dritten Ausbildungsjahr ist zu streichen.              Aufgaben der Sozialplanung, Koordination, Vernetzung
                                                               und Steuerung brauchen einen verlässlichen finanzi-
•   Die nicht an Krankenhäuser angeschlossenen Pfle-           ellen Rahmen. Der Paritätische fordert, Altenhilfe wie-
    geschulen müssen hinsichtlich der Investitionsko-          der gesetzlich als Pflichtaufgabe festzulegen und
    sten den an Krankenhäuser angeschlossenen Pfle-            Pflege verbindlich in die Sozialplanung zu integrieren.
    geschulen gleichgestellt werden.                           Hierzu ist der § 71 SGB XII von einer “Kann-Bestimmung”
                                                               in eine verpflichtende Bestimmung zu überführen. Die
•   Die Bereitstellung der erforderlichen Praxisein-           Leistungen sind mit einem kommunalen Basisbud-
    sätze – insbesondere in den Nadelöhrbereichen –            get für Bürger*innen über 65 Jahre zu unterlegen. Die
    muss gewährleistet werden.                                 Förderung der Versorgungsstrukturen, des Ehrenamts
                                                               und der Selbsthilfe nach § 45c und d SGB XI wird in den
•   Die Absenkung des Kompetenzniveaus in der                  Ländern sehr unterschiedlich und häufig mangelhaft
    Spezialisierung zur Altenpflege im dritten Ausbil-         umgesetzt. Die gesetzlichen Vorgaben sind auf Praxis-
    dungsjahr ist zurückzunehmen (Anlage 4 zur Aus-            tauglichkeit zu überprüfen und es sind für die Länder
    bildungs- und Prüfungsordnung).                            verbindliche Fristen zur Umsetzung vorzusehen.

                                                                                                                         11
Gesundheit
     D   Gute Gesundheitsversorgung für                           D   Sexuelle und reproduktive Rechte
         alle realisieren                                             sichern
     Um Gesundheit als Menschenrecht zu realisieren, be-          Viele Menschen mit wenig Geld können sich die Verhü-
     darf es einer allgemeinen Gesundheitsabsicherung für         tung ihrer Wahl nicht leisten. Der Paritätische fordert die
     alle (Universal Health Coverage). Der Paritätische setzt     Kostenfreiheit von Verhütungsmitteln für Menschen
     sich deshalb für eine soziale und solidarische Bürger-       mit geringem Einkommen oder im Transferleistungs-
     versicherung als Pflichtversicherungssystem für alle ein.    bezug, um eine selbstbestimmte Verhütung und Fami-
     Aufsuchende Versorgungsangebote müssen als Teil der          lienplanung zu ermöglichen. Kostenübernahme-Fonds
     Regelversorgung gesetzlich festgeschrieben werden.           von Kommunen sind zwar ein erster Schritt, doch sie er-
                                                                  reichen nicht alle Menschen und wirken nicht bundes-
                                                                  weit. Daher sollte die Kostenübernahme für alle Verhü-
                                                                  tungsmittel und -methoden zur Familienplanung und
     D   Beteiligung von Patient*innen                            die hierfür ggf. notwendigen ärztlichen Leistungen für
                                                                  Menschen mit geringem Einkommen oder im Transfer-
         stärken                                                  leistungsbezug über die Krankenkassen sichergestellt
     Damit bei Reformen und Beschlüssen im Gesund-                werden.
     heitswesen die Bedürfnisse und Interessen von
     Patient*innen in den Mittelpunkt rücken, gilt es ihre Be-    Der Zugang zu Schwangerschaftsberatungsstellen
     teiligung nachhaltig und intensiv zu stärken. Hierfür be-    muss für alle Menschen flächendeckend, wohnortnah
     darf es einer Verankerung der Patientenvertretung als        und barrierefrei möglich sein. Es muss bundesgesetz-
     Grundprinzip im SGB V. Der Koordinierungsausschuss           lich sichergestellt werden, dass Schwangere ohne Be-
     Patientenbeteiligung im G-BA ist damit zu beauftragen        lästigung, Störung und Beeinflussung die gesetzlich
     Patientenvertreter*innen zu benennen, wenn es zu             vorgeschriebene Schwangerschaftskonfliktberatung
     Vertragsverhandlungen auf Bundesebene kommt. Die             aufsuchen können.
     Unabhängige Patientenberatung ist auf eine gemein-
     nützige dauerhafte Grundlage zu stellen und als Regel-
     leistung zu etablieren.
                                                                  D   LSBTI-Gesundheitsbericht erstellen
                                                                  Diskriminierung kann krank machen und hat insbeson-
     D   Prävention stärken                                       dere Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, den
                                                                  Selbstwert und damit auch auf ein etwaiges gesund-
     Nicht nur in Zeiten der Pandemie gilt es Präventionsmaß-     heitsschädigendes Risikoverhalten. So zeigen interna-
     nahmen auszuweiten und nicht zurückzufahren. Die Rol-        tionale Studien, dass LSBTI häufiger depressive Erkran-
     le der Freien Wohlfahrtspflege, der Landesvereinigungen      kungen erleben und suizidales Verhalten zeigen. Für
     für Gesundheit und der Gesundheitswissenschaften             Deutschland gibt es kaum Daten zur gesundheitlichen
     muss im Rahmen einer Reform des Präventionsge-               Lage von LSBTI. Der Paritätische fordert die Erstellung
     setzes gestärkt werden. Da Prävention eine gesamtge-         eines LSBTI-Gesundheitsberichts, eine spezifische Be-
     sellschaftliche Aufgabe ist, ist der Präventionsauftrag      rücksichtigung von LSBTI in bevölkerungsrepräsenta-
     aller Sozialversicherungsträger zu erweitern. Die Pfle-      tiven Studien und Monitoringsystemen sowie verstär-
     geversicherung soll einen Präventionsauftrag auch in der     kte Forschung über das Gesundheitsverhalten und die
     ambulanten Pflege erhalten. Die Rentenversicherung gilt      Gesundheitsversorgung von LSBTI.
     es zur Durchführung auch nicht-medizinischer, d. h. auch
     beruflicher und sozialer Rehabilitation zu ermächtigen.
     Die Arbeitslosenversicherung gilt es zu verpflichten, eine
     aktive Rolle in der Prävention zu übernehmen.

12
Kinder verdienen mehr

Kinder und Jugendliche
D   Rechtsanspruch auf Bildung und
    Teilhabe einführen
Das 2011 eingeführt Bildungs- und Teilhabepaket sollte
die Integration armer Kinder und Jugendlicher in die       D   Eine existenzsichernde Kinder-
Gemeinschaft fördern und mehr Chancengerechtigkeit
herstellen. Doch diesen Anspruch löst das Bildungs-
                                                               grundsicherung schaffen
und Teilhabepaket trotz erfolgter Reformen immer           Die Sicherstellung des Existenzminimums für Kinder
noch nicht ein. Fast ein Jahrzehnt nach Inkrafttreten      kann keine Aufgabe der Arbeitsverwaltung oder der
der Regelungen erreicht die Teilhabeleistung höch-         Sozialämter sein. Kinder sind keine kleinen Arbeitslo-
stens 15 Prozent der Leistungsberechtigten Kinder und      sen. Statt Hartz IV-Leistungen bedarf es für Kinder einer
Jugendlichen, wie die Paritätische Forschungsstelle        existenzsichernden Kindergrundsicherung, wie sie seit
nachgewiesen hat. Der Paritätische spricht sich für eine   Jahren von einer Vielzahl von Verbänden eingefordert
konsequente Stärkung der Rechte von Kindern und            wird. Der Paritätische setzt sich dafür ein, die Vielzahl
Jugendlichen auf Förderung ihrer Entwicklung und für       von kinderbezogenen Leistungen so weit wie mög-
einen Rechtsanspruch auf Angebote der Kinder- und          lich in einer integrierten Leistung zusammenzufassen
Jugendarbeit im Rahmen des SGB VIII ein. Statt auf         und unbürokratisch zu organisieren und auszuzahlen.
kleinteilige Maßnahmenpakete zu setzen, geht es da-        Diese Leistung muss allen Kindern und Jugendlichen
rum, eine Infrastruktur für alle Kinder und Jugend-        ein menschenwürdiges Leben erlauben. Mit wachsen-
lichen zu ermöglichen, die sie in ihrer Entwicklung        dem Einkommen der Eltern wird die Kindergrundsi-
fördert und Chancengerechtigkeit herstellt.                cherung abgeschmolzen auf einen Mindestbetrag,
                                                           der der derzeitigen maximalen Entlastung durch die
                                                           steuerlichen Kinderfreibeträge entspricht. Der Famili-
                                                           enleistungsausgleich wäre endlich „vom Kopf auf die
                                                           Füße gestellt“. Wer am wenigsten hat, bekommt die
                                                           meiste Unterstützung, wer am meisten hat, „lediglich“
                                                           das verfassungsrechtlich Gebotene.

                                                                                                                       13
D   Ausbildung für alle sicherstellen                    D   Inklusion im SGB VIII umsetzen
     Die angebotenen betrieblichen und schulischen Aus-       Das reformierte SGB VIII legt eine Gesamtzuständigkeit
     bildungsplätze reichen nicht aus, um allen jungen        für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen
     Menschen eine Ausbildungsmöglichkeit nach ihren          unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe für das
     Fähigkeiten und Interessen zu ermöglichen. Die Ausbil-   Jahr 2028 fest. Im Jahr 2027 soll ein Bundesgesetz die
     dungsbilanz zeigt zwar rechnerisch einen Überhang an     Gesamtzuständigkeit näher definieren. Der Bund ist
     unbesetzten Ausbildungsplätzen. Zählt man jedoch die     aufgefordert, ab sofort zur Klärung der Bedingungen
     Jugendlichen hinzu, die im Übergangssektor gefördert     der Gesamtzuständigkeit und zur Umsetzung eines
     werden und ebenfalls einen Ausbildungsplatz suchen,      inklusiven SGB VIII tätig zu werden. Die Erkenntnisse
     gibt es längst mehr Anwärter*innen als angebotene        des Prozesses müssen in das zu schaffende Bundesge-
     Stellen. 2020 gab es 18.000 mehr Ausbildungssuchende     setz einfließen. Dabei müssen auch die Verbände der
     für eine betriebliche Berufsausbildung als unbesetzte    Kinder- und Jugendhilfe und der Behindertenhilfe ak-
     Ausbildungsstellen. Um die Berufswahlfreiheit zu ge-     tiv einbezogen werden. Ziel muss es sein, das SGB VIII
     währleisten, müsste die Anzahl der angebotenen Ausbil-   konkret inklusiv weiterzuentwickeln und allen Kindern
     dungsstellen um mindestens 12,5 Prozent höher liegen     und Jugendlichen mit und ohne Behinderung Teilhabe
     als die Anzahl der Ausbildungsplatzbewerber*innen.       zu ermöglichen.
     Der Paritätische fordert daher die bedarfsdeckende
     Erhöhung sowohl der Zahl öffentlich geförderter Aus-
     bildungsplätze über die Bundesagentur für Arbeit, als
     auch – zusammen mit den Ländern – den Ausbau der
     schulischen Ausbildungsplätze.

     D   Kinderrechte ins Grundgesetz
     Kinderrechte müssen bei allen Gerichtsverfahren, Ver-
     waltungsakten und politischen Entscheidungen eine
     verpflichtende Maßgabe werden. Der Paritätische setzt
     sich daher für eine Verankerung der Kinderrechte ins
     Grundgesetz ein und fordert umfassende Regelungen,
     die die Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonventi-
     on insbesondere den Kindeswohlvorrang (gemäß Arti-
     kel 3 UN-KRK) und das Beteiligungsrecht (gemäß Artikel
     12 UN-KRK) berücksichtigen. Kinderrechte können so
     auch eine Strahlwirkung auf einfaches Gesetz erlangen
     und die Rechtssicherheit würde durch die frühzeitige
     Heranziehung der Kinderrechte als Entscheidungs-
     grundlage gestärkt.

14
Engagement und Freiwilligendienste
D   Inklusion und Diversität in Freiwilli-                 Um den Zugang für alle Interessierten zu gewährlei-
                                                           sten, ist eine intensive Unterstützung und Beratung der
    gendiensten stärken                                    Träger und Einsatzstellen notwendig. Dazu ist umfang-
Inklusion ist ein Menschenrecht, das auch im Freiwilli-    reiches Fachwissen notwendig, das zentralstellenüber-
gendienstgesetz verankert ist. Freiwilligendienste müs-    greifend verortet werden sollte. Dies sollte durch den
sen daher allen Menschen offenstehen, die sich in einer    Aufbau und die Finanzierung einer Koordinierungs-
gemeinnützigen Einrichtung unter Beachtung der ge-         stelle „Diversität und Inklusion in Freiwilligendiens-
setzlichen Rahmenbedingungen engagieren wollen. In         ten“ bei einer zivilgesellschaftlichen Zentralstelle für
diesem Sinne muss die Einbindung unterschiedlichster       Freiwilligendienste erfolgen.
Zielgruppen (Vielfalt und Diversität), die die Heteroge-
nität der Gesellschaft abbilden, gewollt und von der Po-
litik aktiv gefördert werden.
                                                           D   Freiwillige anerkennen und wert-
Freiwilligen mit Unterstützungsbedarfen müssen die
notwendigen Assistenzen und/oder Unterstützungen
                                                               schätzen
zur Ausübung von Freiwilligendiensten zur Verfügung        Menschen, die sich für das Allgemeinwohl engagieren,
gestellt werden.                                           müssen gesellschaftliche Anerkennung für dieses En-
                                                           gagement erfahren, die materielle wie immaterielle As-
Darüber hinaus sollte ein Trägerbudget zur eigenverant-    pekte beinhaltet:
wortlichen inklusiven Ausgestaltung von Freiwilligen-
diensten zur Verfügung gestellt werden, mit dem u.a.       •   Freie Fahrt für Freiwillige im Öffentlichen Personen
                                                               Nah- und Fernverkehr
•   ein abgesenkter und entsprechend finanzierter Per-
    sonalschlüssel vorgehalten werden kann, der eine       •   Befreiung der Freiwilligen von der Haushaltsabga-
    bedarfsorientierte Begleitung der unterschiedlichs-        be beim Rundfunkbeitrag
    ten Zielgruppen ermöglicht,
                                                           •   Bonusregelungen für Freiwillige bei der Berech-
•   Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte und für          nung von Wartesemestern
    Einsatzstellen finanziert werden,
                                                           •   Einheitliche Anerkennung von Freiwilligendiensten
•   bedarfsorientierte Unterstützungen ohne stigmati-          als Pflichtpraktika im Rahmen des Studiums
    sierende Förderkriterien für die Freiwilligen ermög-
    licht werden und                                       •   Gleichstellung eines Freiwilligendienstes mit dem
                                                               Berufsvorbereitungsjahr
•   Einsatzstellen gefördert werden, die inklusive Frei-
    willigendienste ermöglichen.                           •   Taschengeld für die Freiwilligendienste sind eine
                                                               Form der Anerkennung. Das Taschengeld ist nicht
                                                               als Einkommen anzurechnen und muss daher an-
                                                               rechnungsfrei sein. SGB II und SGB VIII sind entspre-
                                                               chend zu ändern.

                                                                                                                       15
Sie können auch lesen