Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021
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Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021 DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND GESAMTVERBAND e. V. | www.paritaet.org
Inhalt Grundsicherung und Hartz IV .......................................................................................................................................... 4 Hartz IV hinter uns lassen .................................................................................................................................................................. 4 Die Grundsicherung betroffenenorientiert neu ausrichten .................................................................................................. 4 Sanktionen abschaffen ....................................................................................................................................................................... 5 Kosten der Unterkunft und Heizung realitätsgerecht abbilden .......................................................................................... 5 Einkommensarme Mietende schützen, Wohnraum sichern ................................................................................................. 5 Umgangsmehrbedarf im SGB II einführen .................................................................................................................................. 5 Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung ............................................................................................................... 6 Prekäre Beschäftigung begrenzen ................................................................................................................................................. 6 Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung stärken .......................................................................................................... 6 Kurzarbeitergeld erhöhen ................................................................................................................................................................. 6 Vertrauen in Arbeitslose setzen und ihre Wunsch- und Wahlrechte stärken ................................................................. 7 Sozialen Arbeitsmarkt entfristen und ausbauen ....................................................................................................................... 7 Weiterbildung für Beschäftigte und Arbeitslose intensivieren ............................................................................................ 7 Digitalisierung der Arbeitsförderung vorantreiben ................................................................................................................. 8 Gleichberechtigte Chancen am Arbeitsmarkt für Migrant*innen schaffen .................................................................... 8 Schulische und betriebliche Berufsausbildungen gleichstellen ........................................................................................ 8 Alterssicherung ................................................................................................................................................................... 9 Altersarmut verhindern, die gesetzliche Rente stärken ......................................................................................................... 9 Die Riester-Förderung beenden, Geringverdienende gezielter fördern .......................................................................... 9 Die Situation der Erwerbsgeminderten verbessern ................................................................................................................ 9 Altenhilfe und Pflege ........................................................................................................................................................ 10 Pflege solidarisch finanzieren .......................................................................................................................................................... 10 Mehr Personal in der Pflege gesetzlich verankern ................................................................................................................... 10 Pflegende Angehörige und vergleichbar Nahestehende stärken ............................................................................................... 10 Pflegeausbildung weiter stärken .................................................................................................................................................... 11 Seniorenpolitik und kommunale Alten- und Seniorenarbeit fördern ............................................................................... 11 Gesundheit ......................................................................................................................................................................... 12 Gute Gesundheitsversorgung für alle realisieren ..................................................................................................................... 12 Beteiligung von Patient*innen stärken ........................................................................................................................................ 12 Prävention stärken ............................................................................................................................................................................... 12 Sexuelle und reproduktive Rechte sichern ................................................................................................................................. 12 LSBTI-Gesundheitsbericht erstellen ............................................................................................................................................... 12 Kinder und Jugendliche ................................................................................................................................................... 13 Rechtsanspruch auf Bildung und Teilhabe einführen ............................................................................................................. 13 Eine existenzsichernde Kindergrundsicherung schaffen ....................................................................................................... 13 Ausbildung für alle sicherstellen ..................................................................................................................................................... 14 Kinderrechte ins Grundgesetz ................................................................................................................... 14 Inklusion im SGB VIII umsetzen ................................................................................................................ 14 Engagement und Freiwilligendienste ........................................................................................................................... 15 Inklusion und Diversität in Freiwilligendiensten stärken ....................................................................................................... 15 Freiwillige anerkennen und wertschätzen .................................................................................................................................. 15 Flucht und Migration ........................................................................................................................................................ 16 Dezentrales Wohnen für geflüchtete Menschen garantieren .............................................................................................. 16 Asylverfahrensberatung ausbauen und flächendeckend finanzieren .............................................................................. 16 Familiennachzug erleichtern ............................................................................................................................................................ 17 Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen ................................................................................................................................... 17 2 Wohnsitzregelung abschaffen ......................................................................................................................................................... 17
Bleiberechtsregelungen verbessern .............................................................................................................................................. 17 Recht auf individuelles Asyl in Europa sicherstellen ................................................................................................................ 18 Einbürgerungsrecht und Praxis verbessern ................................................................................................................................ 18 Leistungsausschlüsse für EU-Bürger*innen streichen ............................................................................................................ 18 Zugangsbarrieren zu Integrationskursen abbauen ................................................................................................................. 19 Migrations- und Flüchtlingssozialarbeit sicherstellen ............................................................................................................ 19 Gesundheitliche Versorgung ohne Aufdeckung des Aufenthaltsstatus ermöglichen ................................................ 20 Anspruch auf Sprachmittlung schaffen ........................................................................................................................................ 20 Für LSBTI-Themen im Asylverfahren sensibilisieren ................................................................................................................ 20 Europäische und internationale Zusammenarbeit ..................................................................................................... 21 Soziales und nachhaltiges Europa fördern .................................................................................................................................. 21 Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe aufstocken ................................................................. 21 Behindertenpolitik und Soziale Psychiatrie ................................................................................................................. 22 Wunsch- und Wahlrecht umsetzen ................................................................................................................................................ 22 Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben für alle Menschen umsetzen ..................................................................................... 22 Eingliederungshilfe unabhängig von Einkommen und Vermögen gewähren .............................................................. 23 Freie Wahl des Wohnortes garantieren ......................................................................................................................................... 23 Barrierefreiheit schaffen ..................................................................................................................................................................... 23 Flächendeckende, integrierte Versorgung vorantreiben ....................................................................................................... 24 Psychiatrieerfahrene in Beratung und Behandlung einbeziehen ....................................................................................... 24 Früherkennung und Frühförderung sicherstellen .................................................................................................................... 24 Antidiskriminierung und Antirassismus ....................................................................................................................... 25 Beratung für Betroffene von rassistischer Diskriminierung ausbauen ............................................................................. 25 Schutz vor Diskriminierung stärken, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz novellieren ....................................... 25 Diversity-Mainstreaming in Bundesministerien einführen ................................................................................................... 25 Queer ................................................................................................................................................................................... 26 Strafvorschriften zur Hasskriminalität ergänzen ....................................................................................................................... 26 Regelung zum Geschlechtseintrag vereinheitlichen ............................................................................................................... 26 Gewaltschutz ...................................................................................................................................................................... 26 Gewaltschutz bundeseinheitlich finanzieren ............................................................................................................................. 26 Istanbul Konvention umsetzen ....................................................................................................................................................... 26 Wohnen ............................................................................................................................................................................... 27 Schutz von sozialen Einrichtungen stärken ................................................................................................................................ 27 Neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen ........................................................................................................................... 27 Sozialen Wohnungsbau stärken ...................................................................................................................................................... 28 Barrierefreien Wohnraum schaffen ................................................................................................................................................ 28 Wohngeld anpassen ............................................................................................................................................................................ 28 Energetische Modernisierungen sozial ausgestalten ............................................................................................................ 28 Heilungsmöglichkeit auf ordentliche Kündigung erweitern ............................................................................................... 29 Mietpreise wirksam eindämmen .................................................................................................................................................... 29 Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen eingrenzen ......................................................................................... 29 Umwelt und Klima ............................................................................................................................................................. 30 CO2-Preis sozial ausgestalten – Klimaprämie einführen ......................................................................................................... 30 Soziale Einrichtungen ........................................................................................................................................................................ 30 Klimafreundliche Alternativen ermöglichen – Anreize richtig setzen .............................................................................. 30 Steuerpolitik ....................................................................................................................................................................... 31 Reichtum umverteilen, Soziales finanzieren ............................................................................................................................... 31 3
Armut abschaffen! Grundsicherung und Hartz IV D Hartz IV hinter uns lassen Das Hartz IV-System muss überwunden werden, weil es Hartz IV-Bezieher*innen nicht vor Armut schützt. Es pas- siert zu wenig vertrauensvolle Förderung und zu viel Kon- trolle und Androhung von Sanktionen. Der Paritätische setzt sich für eine menschenwürdige Neuausrichtung der D Die Grundsicherung Grundsicherung für Arbeitsuchende ein. Dafür ist eine Neuberechnung der Regelsätze von elementarer Bedeu- betroffenenorientiert tung. Die Regelsätze sind künstlich klein gerechnet und neu ausrichten halten die Betroffenen in Armut. Es fehlt insbesondere an Geld für eine ausgewogene, gesunde Ernährung sowie Die in Zeiten der Corona-Pandemie befristet geschaf- ein Mindestmaß an sozialer, politischer und kultureller fenen Regelungen für den erleichterten Bezug von Teilhabe. Der Paritätische fordert auf der Grundlage von Hartz IV-Leistungen haben sich im Grundsatz bewährt. Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle eine Der Paritätische spricht sich deshalb für ein höheres zügige Anhebung des Regelsatzes für alleinlebende Er- Schonvermögen für Hartz IV-Bezieher*innen aus, das wachsene auf 644 Euro und darüber hinaus so genann- zudem altersunabhängig gestaltet werden soll. Die be- te „weiße Ware“ (Kühlschrank, Waschmaschine etc.) und stehenden altersabhängigen Freibetragsregelungen Strom nicht mehr im Regelsatz pauschaliert zu erfassen, gehen u. a. zulasten von jungen Familien. Der Paritä- sondern als einmalige Leistung bzw. als Bestandteil der tische fordert einen einheitlichen Grundfreibetrag in Kosten der Unterkunft zu gewähren. Um die gleichbe- Höhe von 20.000 Euro pro leistungsberechtigter Per- rechtigte digitale Teilhabe sicherzustellen, müssen die son in der Bedarfsgemeinschaft. Altersvermögen und Kosten für die technische Ausstattung, z.B. mit mobilen selbstgenutztes Wohneigentum sollen zusätzlich und Endgeräten, als einmalige Leistung übernommen wer- wie bisher geschützt sein. den. Die neue Bundesregierung wird aufgefordert, eine Kommission aus Expert*innen zu der Frage einzusetzen: Was braucht ein Mensch zum Leben und für gesellschaft- liche Teilhabe? In dieser Kommission sollen auch Wege zu einer sachgerechten Ermittlung der Bedarfe von Kindern und Jugendlichen erörtert werden. 4
D Sanktionen abschaffen D Einkommensarme Mietende Als essentiell für eine menschenwürdige Neuausrich- schützen, Wohnraum sichern tung des Hartz-IV-Systems sieht der Paritätische die Ab- Deutschland ist ein Land der Mieter*innen. Steigende schaffung der Sanktionen an. Das staatliche gewährte Mieten, wachsende Risiken für Einkommensverluste Existenzminimum im SGB II leitet sich aus dem grund- und das Renditestreben großer Konzerne gefährden legenden Prinzip der Menschenwürde und dem Sozial- bestehende Mietverträge. Das darf nicht sein. Zukünf- staatsgebot im Grundgesetz ab. Dieses Grundrecht darf tig soll dauerhaft geregelt werden, dass niemand die nicht durch Sanktionen unterschritten werden. Die Wohnung verlassen muss, nur weil sie*er neu Hartz Sanktionen sind zudem weder geeignet, noch erforder- IV-Leistungen bezieht. In den ersten zwei Jahren nach lich oder verhältnismäßig, um Vermittlungen in Arbeit zu dem Eintritt in die Grundsicherung soll es deshalb keine befördern. Die in Zeiten der Corona-Pandemie zeitweilig Prüfung der Angemessenheit der Wohnung geben. geltende Aussetzung der Sanktionen hat in der Praxis gezeigt, dass Hartz IV-Beziehende in hohem Maße bereit sind, an für sie sinnvollen Maßnahmen der Arbeitsförde- rung teilzunehmen, auch ohne Sanktionsdruck. D Umgangsmehrbedarf im SGB II einführen Einelternfamilien waren 2019 zu 35 Prozent auf Leistun- D Kosten der Unterkunft und gen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) ange- wiesen. Diese sind insbesondere für Kinder zu knapp Heizung realitätsgerecht abbilden bemessen, um ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen. Der Paritätische tritt für eine Anpassung der Kosten der Kindern von Alleinerziehenden kann der SGB II-Regel- Unterkunft an die realen Mietpreisentwicklungen auf satz zudem noch um Umgangstage gekürzt werden. dem Wohnungsmarkt ein. Leistungsbeziehende dürfen Dann fehlt am Lebensmittelpunkt des Kindes sogar nicht in die Situation kommen, Aufwendungen für die das Geld fürs Notwendigste, denn seine Abwesenheit Unterkunft teilweise aus dem Regelbedarf begleichen zu geht nicht zwangsläufig mit Einsparungen einher: Der müssen. Insbesondere in Wachstumsregionen, die von Internetanschluss muss für den ganzen Monat bezahlt erheblichen Mietpreissteigerungen geprägt sind, ist es werden und das Kind wird die angebrochene Milchpa- schwierig eine den Angemessenheitsanforderungen ent- ckung nicht mitnehmen. Gleichzeitig benötigt auch der sprechende Wohnung zu finden. Insbesondere bei der andere Elternteil zusätzliche Mittel um das Kind wäh- Wohnfläche sollte eine Mindestgröße nicht unterschrit- rend des Umgangs zu versorgen, wenn er*sie im SGB II ten werden. Gleichfalls muss der Wohnraum den individu- ist. Die Betreuung eines Kindes in zwei Haushalten ist ellen Bedarfen der Leistungsberechtigten entsprechen. mit höheren Kosten verbunden. Der Paritätische fordert Um Rechtssicherheit zu schaffen, ist der Rechtsbegriff der deshalb, einen gestaffelten Umgangsmehrbedarf für Angemessenheit durch konkrete Angaben zu ersetzen. einen Umgangselternteil im SGB II einzuführen bei Dazu müssen Vorgaben für ein einheitliches und transpa- vollem Regelsatz im Haushalt der Alleinerziehenden. rentes Verfahren zur Berechnung der Unterkunftskosten gelten. Dabei können sich die Angaben zur Größe und Ausstattung der Wohnung an den Förderrichtlinien für den sozialen Wohnungsbau orientieren. 5
Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung D Prekäre Beschäftigung begrenzen Einführung eines Mindestarbeitslosengeldes würden Niedriglohnbeschäftigte davor geschützt, ins Hartz-IV Ein großer Anteil der Arbeitnehmer*innen hierzulande System zu fallen, obwohl sie mitunter jahrelang Ver- ist im Niedriglohnsektor und in prekärer Beschäftigung sicherungsbeiträge in die Arbeitslosenversicherung tätig. Jede*r Fünfte erhält lediglich einen Niedriglohn. eingezahlt haben. Für ehemals vollzeiterwerbstätige In Zeiten der Pandemie haben diese Beschäftigten zu- Arbeitslosengeldbezieher würde das Mindestarbeitslo- sätzliche Nachteile zu verkraften. Insbesondere gering- sengeld oberhalb des Hartz IV Niveaus für einen 1-Per- fügig Beschäftigte sind nicht durch Kurzarbeit abgesi- sonen-Haushalt festgesetzt werden. chert. Ihre Jobs sind in massivem Umfang weggefallen. Der Paritätische spricht sich dafür aus, prekäre Beschäf- tigung zu begrenzen und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu stärken. Dafür sollen geringfügige D Kurzarbeitergeld erhöhen Beschäftigungsverhältnisse in weiten Teilen in sozial- versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse Dem Kurzarbeitergeld kommt in wirtschaftlichen Kri- umgewandelt werden. Zeitarbeit soll auf ihre Kern- sen, wie beispielsweise durch die Covid-19-Pandemie funktion zurückgeführt werden, die darin besteht, Auf- verursacht, eine besonders wichtige Funktion zur Si- tragsspitzen und Arbeitsausfälle in den Unternehmen cherung von Beschäftigung zu. Im Bedarfsfall muss die abzufangen. Das Prinzip „Gleicher Lohn und gleiche Inanspruchnahme ausreichend verlängert werden. Be- Arbeitsbedingungen bei gleicher Arbeit“ ist dafür ab triebe, die für ihre Beschäftigten Kurzarbeitergeld bean- dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme gesetzlich fest- tragen, sind zu verpflichten, auf Bonuszahlungen und zuschreiben. Die sachgrundlose Befristung soll entfal- Dividendenausschüttungen zu verzichten. Die aktu- len. Der Verband setzt sich dafür ein, dass auch in den elle Höhe des Kurzarbeitergeldes stellt sich für die von sozialen Diensten und Einrichtungen Tariflöhne gezahlt der Corona-Pandemie besonders negativ betroffenen werden und diese durch die Kostenträger refinanziert Beschäftigtengruppen mit kleineren Einkommen als zu werden. Der geltende Mindestlohn in Höhe von aktuell gering dar, um ihren Lebensunterhalt verlässlich abzu- 9,50 Euro ist nicht armutsfest. Menschen, die ihr Leben sichern. Der Paritätische fordert daher eine Anhebung lang gearbeitet haben, sollen im Alter einen Rentenan- des Kurzarbeitergeldes auf mindestens 80 bzw. 87 Pro- spruch erworben haben, der sie vor dem Gang zum So- zent des Nettoeinkommens (aktuell 60 Prozent des Net- zialamt bewahrt. Um das sicherzustellen, muss der Min- to-Entgelts bzw. 67 Prozent für Beschäftigte mit minde- destlohn mindestens auf 13 Euro angehoben werden. stens einem Kind). Jedenfalls ist sicherzustellen, dass zusammen mit einem eventuell verbleibenden Netto- einkommen aus Erwerbstätigkeit eine Aufstockung auf insgesamt mindestens 1.250 Euro netto erfolgt (Min- D Schutzfunktion der Arbeitslosen- destkurzarbeitergeld). Das Mindestkurzarbeitergeld entspricht in etwa dem Betrag, der sich aus einem be- versicherung stärken darfsgerechten Regelsatz, den durchschnittlichen Ko- Bisher hat nur jede*r dritte Arbeitslose Anspruch auf Ar- sten der Unterkunft für einen Ein-Personen-Haushalt beitslosengeld. Der Paritätische setzt sich daher für eine und einem erhöhten Freibetrag für Erwerbseinkommen Stärkung der Arbeitslosenversicherung ein. Dies soll er- in der Grundsicherung ergibt. reicht werden durch ein Bündel an Maßnahmen: eine Verlängerung der Rahmenfrist auf drei Jahre, eine Ver- kürzung der Anwartschaftszeiten, eine Verlängerung der maximalen Bezugszeit des Arbeitslosengeldes und die Einführung eines Mindestarbeitslosengeldes. Von einer Verlängerung der maximalen Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes von zwei auf bis zu drei Jahren kön- nen vor allem langjährig Versicherte profitieren. Mit der 6
D Vertrauen in Arbeitslose setzen D Weiterbildung für Beschäftigte und ihre Wunsch- und Wahlrechte und Arbeitslose intensivieren stärken Weiterbildung und Qualifizierung sind wesentlich zur Deckung des Fachkräftebedarfs, zur Förderung der Vermittlung und aktive Arbeitsförderung für arbeitslose Aufwärtsmobilität von Arbeitslosen sowie von prekär Menschen müssen individueller und passgenauer ange- Beschäftigten, zum Umgang mit Strukturwandel auf boten werden. Dafür ist es entscheidend, Vertrauen in dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt zur Sicherung von ihre Fähigkeiten und Wünsche zu setzen. Die Wunsch- Beschäftigung in der aktuellen Rezession. Vor allem Ar- und Wahlrechte der Menschen, ein für sie passendes beitslose im Hartz IV-Bezug dürfen dabei nicht länger Angebot der aktiven Arbeitsförderung selbst auszuwäh- hintangestellt werden. Weiterbildung bzw. Qualifizie- len, sind konsequent zu stärken. Die Organisation und rung muss dafür gleichermaßen für Beschäftigte wie Finanzierung der Maßnahmen der Arbeitsförderung ist auch für Arbeitslose ausgebaut werden. Die Weiter- dafür in weiten Teilen auf das Gutscheinsystem umzu- bildungsförderung der Bundesagentur für Arbeit auf stellen, wonach Arbeitslose einen Berechtigungsschein Seiten der Beschäftigten ist zu erweitern durch eine be- für Maßnahmen erhalten und ihn bei einem Träger ihrer sondere Berücksichtigung des Erzieherberufs als Eng- Wahl einlösen können. passberuf. Das neu geschaffene Recht auf Nachholen eines Berufs- abschlusses mittels Fort- und Weiterbildung soll mit D Sozialen Arbeitsmarkt entfristen weiteren gesetzlichen Regelungen flankiert werden, die es gering qualifizierten Beschäftigten und Arbeits- und ausbauen losen erleichtern, eine abschlussbezogene Nachqua- Die erneut steigende und zunehmend verfestigte Lang- lifizierung zu erlangen: die Einführung eines anrech- zeitarbeitslosigkeit muss reduziert werden. Es ist sehr nungsfreien monatlichen Weiterbildungsbonus und positiv, dass der Soziale Arbeitsmarkt eingeführt wurde, die Möglichkeit, auch dreijährige Umschulungen im der langzeitarbeitslosen Menschen eine Perspektive auf Bedarfsfall vollständig finanzieren zu können. Der Ver- sozialversicherungspflichtige Arbeit und Teilhabe an mittlungsvorrang in der Grundsicherung für Arbeitsu- der Gesellschaft verschafft. Es hilft ihnen, ihren Lebens- chende hat zukünftig zurückzustehen, wenn eine nach- unterhalt (zumindest großteils) durch Erwerbsarbeit zu haltige Erwerbsintegration voraussichtlich erst nach finanzieren, sie erleben mehr gesellschaftliche Teilhabe Absolvierung einer beruflichen Weiterbildung erreicht und erhalten bessere Zukunftschancen. Zuletzt haben werden kann. von der entsprechenden Förderung allerdings nur rund 41.000 Menschen profitiert, gerade einmal rund 1,5 Pro- zent der Langzeitleistungsbeziehenden im Hartz IV-Sys- tem. Der Paritätische fordert, die Förderung in einem ersten Schritt auf mindestens 100.000 Arbeitsplätze auszubauen, damit mehr Menschen von ihr profitieren können, und das nur bis Ende 2024 geltende Förderins- trument zur „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zu entfristen. 7
D Digitalisierung der liche Angebot einer Sprachmittlung ist für den Zugang zur Arbeitsförderung und anderen Sozialleistungen Arbeitsförderung vorantreiben unerläßlich und bedarf daher einer gesetzlich verbind- Die fortschreitende Digitalisierung muss sich zukünf- lichen Grundlage. Berufs- und ausbildungsbegleitende tig stärker in den Angeboten der Arbeitsförderung Angebote zur Sprachförderung müssen bedarfsde- niederschlagen, damit Teilnehmende ihre digitalen ckend zur Verfügung stehen und als Regelleistungen Kompetenzen entsprechend den Anforderungen des im SGB II und III verankert werden. Asylsuchende sollten Arbeitsmarkts verbessern und ihr Lernpotential mithil- zukünftig unabhängig von ihrer Unterbringung und an- fe digitaler Lerntechniken besser ausschöpfen können. genommenen Bleibeperspektive spätestens nach drei Besondere Unterstützung benötigen arbeitslose Men- Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Alle Asyl- schen, die im Unterschied zu Arbeitnehmer*innen kei- suchenden und Geduldete sollen außerdem so schnell ne Möglichkeit haben, am Arbeitsplatz qualifikatorisch wie möglich und umfassend Zugang zur Arbeits- und Anschluss an die veränderten Bedingungen der Arbeits- Ausbildungsförderung erhalten. welt zu halten. Eine weitergehende Digitalisierung hilft, Förderung im ländlichen Raum oder im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser zugänglich zu machen. Die bestehende teilnehmerbezogene Fi- D Schulische und betriebliche Berufs- nanzierung in der Arbeitsförderung weist bei der not- wendigen Infrastrukturausstattung für diese Angebote ausbildungen gleichstellen eine Leerstelle auf und ist insgesamt unzureichend, Über 700.000 Jugendliche beginnen jährlich eine Be- um den notwendigen Entwicklungsschub der Förder- rufsausbildung, darunter befinden sich mehr als 67 angebote einzuleiten. Vor diesem Hintergrund soll ein Prozent betriebliche Ausbildungsverhältnisse und Förderprogramm des Bundes zur Digitalisierung der mehr als 25 Prozent schulische Berufsausbildungen im Angebote der Arbeitsförderung aufgelegt werden für Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesen. Im Unter- die notwendige Infrastrukturausstattung, zur Konzept- schied zu den Jugendlichen in den Betrieben erhalten entwicklung und zur Qualifizierung des Lehrpersonals. die jungen Menschen in der schulischen Berufsausbil- dung keine Mindestausbildungsvergütung (und auch kein bedarfsunabhängiges BaFöG) und auch keine finanzielle Hilfe zur Ausstattung. In manchen schu- D Gleichberechtigte Chancen am lischen Ausbildungsgängen wird sogar ein Schulgeld erhoben. Die rentenrechtliche Anerkennung von Arbeitsmarkt für Migrant*innen schulischen Berufsausbildungszeiten ist mit Ausnahme schaffen der Pflegeberufe ebenfalls wesentlich schlechter als die einer sozialversicherungspflichtigen betrieblichen Aus- Erwerbsarbeit hat große Bedeutung für die gleich- bildung. Die Bundesagentur für Arbeit beschränkt ihre berechtigte Teilhabe in unserer Einwanderungs- Förderleistungen im Bereich der Ausbildungshinfüh- gesellschaft. Vorhandene Benachteiligungen von rung und -begleitung auf die Unterstützung der be- Migrant*innen etwa durch Zugangsbarrieren zum Ar- trieblichen Ausbildungsverhältnisse. Doch auch Auszu- beitsmarkt oder Hürden beim Zugang zur Betreuung bildende in schulischen Berufsausbildungen benötigen und Arbeitsförderung müssen überwunden werden. Die bisweilen Förder- und Stützunterricht und sozialpäda- Beseitigung von migrationsbedingten Vermittlungs- gogische Hilfen. Der Paritätische fordert die Gleichstel- hemmnissen soll in den Katalog grundlegender Ziele lung von schulischer und betrieblicher Ausbildung in des SGB II und III aufgenommen werden. Das verläss- den genannten Bereichen. 8
Alterssicherung D Altersarmut verhindern, leisten können. Die Riester-Verträge sind wegen der Abschlusshonorare kostenaufwändig, sie sind intrans- die gesetzliche Rente stärken parent und ermöglichen keine verlässliche Planung für Armut im Alter ist das am schnellsten wachsende Ar- das Alter. Sie sind kapitalmarktabhängig, einmal abge- mutsrisiko – und es ist das unterschätzteste. Dass nur schlossene Verträge können nur unter großen Verlusten drei Prozent der Älteren auf Grundsicherung angewie- gewechselt werden, und ein dauerhaft niedriges Zinsni- sen sind, täuscht über die wahre Not älterer Menschen veau und hohe Abgaben auf die Auszahlungen schmä- hinweg. Fast drei Viertel der älteren Leistungsberech- lern die Leistungen zusätzlich. Der Paritätische fordert tigten nehmen ihre bestehenden Ansprüche nicht war, deshalb, die steuerliche Förderung einzustellen und häufig aus Scham oder Unwissenheit. Auch die Daten die frei werdenden Milliarden gezielt zur Stärkung sozi- der amtlichen Statistik zeigen, dass das Armutsrisiko im aler Elemente in der Gesetzlichen Rentenversicherung Alter zwischen 2005 bis 2018 von 10,7 auf 16,1 Prozent einzusetzen. Gleichzeitig soll die Rentenversicherung zu angestiegen ist. Betrachtet man nur die Rentner*innen, einer Alterssicherung für alle Erwerbstätigen, auch für ohne Pensionär*innen, so ist schon jetzt jede*r Fünfte die Beamt*innen, ausgebaut werden. von Armut betroffen. Dabei ist Altersarmut eine beson- ders schwerwiegende Form von Armut: Wer im Alter arm ist, der ist es in der Regel buchstäblich lebenslänglich, über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Grundsätzlich gilt: D Die Situation der Erwerbs- Die Rentenversicherung allein kann langfristig nicht aus- gleichen, was an wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozial- geminderten verbessern politischen Defiziten über Jahrzehnte hinweg verursacht Etwa 1,8 Millionen Menschen sind in Deutschland er- wurde. Möglichst hohe Löhne und Mindestlöhne, die werbsgemindert. Sie sind gesundheitlich in einer Si- nicht nur existenzsichernd sind, sondern auch eine ei- tuation, die sie schicksalhaft trifft. Niemand sucht sich gene, auskömmliche Alterssicherung ermöglichen, sind seine Erwerbsminderung aus. Durchschnittlich trifft sie deshalb notwendig. Menschen, die bereits in Rente sind die Erwerbsminderung mit 52 Jahren. Die bis dahin er- oder deren Renteneintritt bevorsteht, profitieren davon worbenen Leistungsansprüche in der Rentenversiche- nicht. Soziale Reformen müssen deshalb noch grund- rung reichen damit regelmäßig nicht, um für den Rest legender ansetzen. Wir brauchen in Deutschland eine des Lebens frei von Armut zu leben. 2019 waren deshalb Mindestrente, die das soziokulturelle Existenzminimum 523.000 Menschen auf Grundsicherung bei Erwerbsmin- bedarfsgerecht sichert. Gleichzeitig muss die Rentenver- derung angewiesen, zusätzlich zu den nahezu ebenso sicherung gestärkt werden, damit sie wieder der Lebens- zahlreichen Menschen, die auf Grundsicherung im Alter standardsicherung dienen kann. Der Paritätische fordert angewiesen sind. Der Gesetzgeber hat seit 2014 viel ge- deshalb eine Rückkehr zu einem Rentenniveau von 53 tan, um die Situation von Erwerbsgeminderten zu verbes- Prozent. sern. Dreimal hat er die Zurechnungszeiten, mit denen Er- werbsgeminderte so gestellt werden, als ob sie weiter mit ihrem durchschnittlichen Beitragsaufkommen erwerbs- tätig gewesen wären, verlängert. Doch während etwa die D Die Riester-Förderung beenden, verbesserten Erziehungszeiten oder die neue Grundrente selbstverständlich auch für Menschen gelten, die bereits Geringverdienende gezielter fördern in Rente sind, wurden die Verbesserungen für Erwerbsge- Die staatlich geförderte private Vorsorge hat die Erwar- minderte jeweils nur für die beschlossen, die künftig neu tungen nie erfüllt. Sie erreicht gerade einkommensarme in Rente gehen. Das muss sich ändern: Erwerbsgeminder- Menschen nicht. Von etwa 39 Millionen Förderberech- te, darunter viele Menschen mit Behinderungen, müssen tigten sind nur etwa 10,5 Millionen zusätzlich durch einen ebenfalls in vollem Umfang von den beschlossenen oder mehrere Riester-Verträge abgesichert. Gleichzeitig Verbesserungen profitieren. Bis dahin müssen die unge- sind etwa ein Fünftel der Verträge „ruhend“ gestellt, häu- rechten Abschläge entfallen, die Erwerbsgeminderte bei fig weil sich die Versicherten die Zahlungen nicht mehr vorzeitigem Renteneintritt derzeit hinnehmen müssen. 9
Gute Pflege und Gesundheits- versorgung für alle Altenhilfe und Pflege D Pflege solidarisch finanzieren D Mehr Personal in der Pflege Im Durchschnitt fallen derzeit monatlich rund 2.000 gesetzlich verankern Euro Eigenanteil für Pflegebedürftige in einem Heim an. Der Paritätische fordert ein bundesgesetzlich festge- Die Rente reicht meist nicht, um dies zu finanzieren. Ein legtes Verfahren zur Personalbemessung für die stati- Drittel der Bewohner*innen in Pflegeheimen ist bereits onäre und Verbesserungen für die ambulante Pflege. heute auf Sozialhilfe angewiesen. Um Pflegebedürftige Diese müssen hinreichend Zeit für Pflegebedürftige vor Armut zu schützen, fordert der Paritätische den beinhalten und die Anerkennung der für die gesetzlich Ausbau der Pflegeversicherung zu einer einheitlichen und fachlich vorgesehenen Aufgaben erforderlichen solidarischen Vollkaskoversicherung. Übergangswei- quantitativen und qualitativen Personalausstattung in se muss kurzfristig der Eigenanteil bei den pflegebe- den Landesrahmenverträgen, aber auch in den Pfle- dingten Kosten bei 15 Prozent gedeckelt werden (sta- gesatz- bzw. Vergütungsverhandlungen berücksichti- tionär). Im ambulanten Bereich sollte das Prinzip nach gen. Die Refinanzierung dieser personellen Ressourcen Ausschöpfung der geltenden Sachleistungsbeträge muss gesichert sein. umgesetzt werden. Krankenkassen müssen für die Ko- sten der medizinischen Behandlungspflege in statio- nären Einrichtungen aufkommen und die Länder ihren Verpflichtungen bei der Übernahme der Investitionsko- D Pflegende Angehörige und sten nachkommen. Der Pflegevorsorgefonds muss auf- gelöst werden und die frei werdenden Mittel müssen vergleichbar Nahestehende stärken in die Gestaltung des Umbaus der Pflegeversicherung Als während der Corona-Krise Versorgungssettings wie und in die Versorgung investiert werden. Steuermittel Kurz- und Tagespflege wegbrachen, sprangen in der können die Finanzierung der Pflege sinnvoll ergänzen. Häuslichkeit Angehörige und Ehrenamtliche bei Betreu- ung und Pflege ein. Dies geschah in einer Zeit des hohen Informations- und Beratungsbedarfs gepaart mit weite- ren Herausforderungen, wie der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege. Es hat sich abermals gezeigt, dass eine 10
grundsätzliche Reform des Pflegegelds mehr als überfällig Ob die Ziele der Ausbildungsoffensive Pflege erreicht ist. Wir brauchen in Anlehnung an Elternzeit und Eltern- werden können, hängt auch maßgeblich davon ab, dass geld eine bezahlte Auszeit für Menschen, die Angehörige, in ambulanten Pflegediensten mehr ausgebildet wird. Freund*innen oder Nachbar*innen pflegen. Der Paritä- Die Praxisanleitung und Tourenbegleitung der Auszu- tische fordert einen Rechtsanspruch auf eine befriste- bildenden durch Pflegefachkräfte muss zusätzlich fi- te Familienpflegezeit. Die Höhe der Lohnersatzleistung nanziell unterstützt werden. sollte wie beim Elterngeld im Regelfall 65 Prozent des letz- ten Nettoeinkommens betragen, höchstens jedoch 1.800 Es braucht für die nach Landesrecht geregelte Helfer- Euro. Darüber hinaus fordert der Paritätische die Stärkung ausbildung eine Ausbildungsoffensive, damit bis 2030 von Angeboten zur Entlastung pflegender Angehöriger, die zusätzlich benötigten 100.000 Pflegekräfte (über- wie Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege. wiegend im Hilfskraftbereich) zur Verfügung stehen. Der Paritätische fordert zudem einer Vereinheitlichung dieser Ausbildungen durch einen Rahmenlehrplan, ent- worfen durch die Fachkommission nach § 53 PflBG. D Pflegeausbildung weiter stärken Das Pflegeberufegesetz muss in Bezug auf bisher un- gelöste Problembereiche überarbeitet werden: D Seniorenpolitik und kommunale • Die Anrechnung der Wertschöpfung von Aus- Alten- und Seniorenarbeit fördern zubildenden in stationären oder ambulanten Zur Verwirklichung von Teilhabe und Vermeidung von Altenpflegeeinrichtungen beeinträchtigt die Einsamkeit bedarf es vielfältiger Angebote der Senio- Ausbildungsbereitschaft und widerspricht dem renarbeit sowie Maßnahmen der Gesundheitsförde- Ausbildungscharakter. Die Anrechnung im zweiten rung und Prävention in der Kommune. Die kommunalen und dritten Ausbildungsjahr ist zu streichen. Aufgaben der Sozialplanung, Koordination, Vernetzung und Steuerung brauchen einen verlässlichen finanzi- • Die nicht an Krankenhäuser angeschlossenen Pfle- ellen Rahmen. Der Paritätische fordert, Altenhilfe wie- geschulen müssen hinsichtlich der Investitionsko- der gesetzlich als Pflichtaufgabe festzulegen und sten den an Krankenhäuser angeschlossenen Pfle- Pflege verbindlich in die Sozialplanung zu integrieren. geschulen gleichgestellt werden. Hierzu ist der § 71 SGB XII von einer “Kann-Bestimmung” in eine verpflichtende Bestimmung zu überführen. Die • Die Bereitstellung der erforderlichen Praxisein- Leistungen sind mit einem kommunalen Basisbud- sätze – insbesondere in den Nadelöhrbereichen – get für Bürger*innen über 65 Jahre zu unterlegen. Die muss gewährleistet werden. Förderung der Versorgungsstrukturen, des Ehrenamts und der Selbsthilfe nach § 45c und d SGB XI wird in den • Die Absenkung des Kompetenzniveaus in der Ländern sehr unterschiedlich und häufig mangelhaft Spezialisierung zur Altenpflege im dritten Ausbil- umgesetzt. Die gesetzlichen Vorgaben sind auf Praxis- dungsjahr ist zurückzunehmen (Anlage 4 zur Aus- tauglichkeit zu überprüfen und es sind für die Länder bildungs- und Prüfungsordnung). verbindliche Fristen zur Umsetzung vorzusehen. 11
Gesundheit D Gute Gesundheitsversorgung für D Sexuelle und reproduktive Rechte alle realisieren sichern Um Gesundheit als Menschenrecht zu realisieren, be- Viele Menschen mit wenig Geld können sich die Verhü- darf es einer allgemeinen Gesundheitsabsicherung für tung ihrer Wahl nicht leisten. Der Paritätische fordert die alle (Universal Health Coverage). Der Paritätische setzt Kostenfreiheit von Verhütungsmitteln für Menschen sich deshalb für eine soziale und solidarische Bürger- mit geringem Einkommen oder im Transferleistungs- versicherung als Pflichtversicherungssystem für alle ein. bezug, um eine selbstbestimmte Verhütung und Fami- Aufsuchende Versorgungsangebote müssen als Teil der lienplanung zu ermöglichen. Kostenübernahme-Fonds Regelversorgung gesetzlich festgeschrieben werden. von Kommunen sind zwar ein erster Schritt, doch sie er- reichen nicht alle Menschen und wirken nicht bundes- weit. Daher sollte die Kostenübernahme für alle Verhü- tungsmittel und -methoden zur Familienplanung und D Beteiligung von Patient*innen die hierfür ggf. notwendigen ärztlichen Leistungen für Menschen mit geringem Einkommen oder im Transfer- stärken leistungsbezug über die Krankenkassen sichergestellt Damit bei Reformen und Beschlüssen im Gesund- werden. heitswesen die Bedürfnisse und Interessen von Patient*innen in den Mittelpunkt rücken, gilt es ihre Be- Der Zugang zu Schwangerschaftsberatungsstellen teiligung nachhaltig und intensiv zu stärken. Hierfür be- muss für alle Menschen flächendeckend, wohnortnah darf es einer Verankerung der Patientenvertretung als und barrierefrei möglich sein. Es muss bundesgesetz- Grundprinzip im SGB V. Der Koordinierungsausschuss lich sichergestellt werden, dass Schwangere ohne Be- Patientenbeteiligung im G-BA ist damit zu beauftragen lästigung, Störung und Beeinflussung die gesetzlich Patientenvertreter*innen zu benennen, wenn es zu vorgeschriebene Schwangerschaftskonfliktberatung Vertragsverhandlungen auf Bundesebene kommt. Die aufsuchen können. Unabhängige Patientenberatung ist auf eine gemein- nützige dauerhafte Grundlage zu stellen und als Regel- leistung zu etablieren. D LSBTI-Gesundheitsbericht erstellen Diskriminierung kann krank machen und hat insbeson- D Prävention stärken dere Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, den Selbstwert und damit auch auf ein etwaiges gesund- Nicht nur in Zeiten der Pandemie gilt es Präventionsmaß- heitsschädigendes Risikoverhalten. So zeigen interna- nahmen auszuweiten und nicht zurückzufahren. Die Rol- tionale Studien, dass LSBTI häufiger depressive Erkran- le der Freien Wohlfahrtspflege, der Landesvereinigungen kungen erleben und suizidales Verhalten zeigen. Für für Gesundheit und der Gesundheitswissenschaften Deutschland gibt es kaum Daten zur gesundheitlichen muss im Rahmen einer Reform des Präventionsge- Lage von LSBTI. Der Paritätische fordert die Erstellung setzes gestärkt werden. Da Prävention eine gesamtge- eines LSBTI-Gesundheitsberichts, eine spezifische Be- sellschaftliche Aufgabe ist, ist der Präventionsauftrag rücksichtigung von LSBTI in bevölkerungsrepräsenta- aller Sozialversicherungsträger zu erweitern. Die Pfle- tiven Studien und Monitoringsystemen sowie verstär- geversicherung soll einen Präventionsauftrag auch in der kte Forschung über das Gesundheitsverhalten und die ambulanten Pflege erhalten. Die Rentenversicherung gilt Gesundheitsversorgung von LSBTI. es zur Durchführung auch nicht-medizinischer, d. h. auch beruflicher und sozialer Rehabilitation zu ermächtigen. Die Arbeitslosenversicherung gilt es zu verpflichten, eine aktive Rolle in der Prävention zu übernehmen. 12
Kinder verdienen mehr Kinder und Jugendliche D Rechtsanspruch auf Bildung und Teilhabe einführen Das 2011 eingeführt Bildungs- und Teilhabepaket sollte die Integration armer Kinder und Jugendlicher in die D Eine existenzsichernde Kinder- Gemeinschaft fördern und mehr Chancengerechtigkeit herstellen. Doch diesen Anspruch löst das Bildungs- grundsicherung schaffen und Teilhabepaket trotz erfolgter Reformen immer Die Sicherstellung des Existenzminimums für Kinder noch nicht ein. Fast ein Jahrzehnt nach Inkrafttreten kann keine Aufgabe der Arbeitsverwaltung oder der der Regelungen erreicht die Teilhabeleistung höch- Sozialämter sein. Kinder sind keine kleinen Arbeitslo- stens 15 Prozent der Leistungsberechtigten Kinder und sen. Statt Hartz IV-Leistungen bedarf es für Kinder einer Jugendlichen, wie die Paritätische Forschungsstelle existenzsichernden Kindergrundsicherung, wie sie seit nachgewiesen hat. Der Paritätische spricht sich für eine Jahren von einer Vielzahl von Verbänden eingefordert konsequente Stärkung der Rechte von Kindern und wird. Der Paritätische setzt sich dafür ein, die Vielzahl Jugendlichen auf Förderung ihrer Entwicklung und für von kinderbezogenen Leistungen so weit wie mög- einen Rechtsanspruch auf Angebote der Kinder- und lich in einer integrierten Leistung zusammenzufassen Jugendarbeit im Rahmen des SGB VIII ein. Statt auf und unbürokratisch zu organisieren und auszuzahlen. kleinteilige Maßnahmenpakete zu setzen, geht es da- Diese Leistung muss allen Kindern und Jugendlichen rum, eine Infrastruktur für alle Kinder und Jugend- ein menschenwürdiges Leben erlauben. Mit wachsen- lichen zu ermöglichen, die sie in ihrer Entwicklung dem Einkommen der Eltern wird die Kindergrundsi- fördert und Chancengerechtigkeit herstellt. cherung abgeschmolzen auf einen Mindestbetrag, der der derzeitigen maximalen Entlastung durch die steuerlichen Kinderfreibeträge entspricht. Der Famili- enleistungsausgleich wäre endlich „vom Kopf auf die Füße gestellt“. Wer am wenigsten hat, bekommt die meiste Unterstützung, wer am meisten hat, „lediglich“ das verfassungsrechtlich Gebotene. 13
D Ausbildung für alle sicherstellen D Inklusion im SGB VIII umsetzen Die angebotenen betrieblichen und schulischen Aus- Das reformierte SGB VIII legt eine Gesamtzuständigkeit bildungsplätze reichen nicht aus, um allen jungen für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen Menschen eine Ausbildungsmöglichkeit nach ihren unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe für das Fähigkeiten und Interessen zu ermöglichen. Die Ausbil- Jahr 2028 fest. Im Jahr 2027 soll ein Bundesgesetz die dungsbilanz zeigt zwar rechnerisch einen Überhang an Gesamtzuständigkeit näher definieren. Der Bund ist unbesetzten Ausbildungsplätzen. Zählt man jedoch die aufgefordert, ab sofort zur Klärung der Bedingungen Jugendlichen hinzu, die im Übergangssektor gefördert der Gesamtzuständigkeit und zur Umsetzung eines werden und ebenfalls einen Ausbildungsplatz suchen, inklusiven SGB VIII tätig zu werden. Die Erkenntnisse gibt es längst mehr Anwärter*innen als angebotene des Prozesses müssen in das zu schaffende Bundesge- Stellen. 2020 gab es 18.000 mehr Ausbildungssuchende setz einfließen. Dabei müssen auch die Verbände der für eine betriebliche Berufsausbildung als unbesetzte Kinder- und Jugendhilfe und der Behindertenhilfe ak- Ausbildungsstellen. Um die Berufswahlfreiheit zu ge- tiv einbezogen werden. Ziel muss es sein, das SGB VIII währleisten, müsste die Anzahl der angebotenen Ausbil- konkret inklusiv weiterzuentwickeln und allen Kindern dungsstellen um mindestens 12,5 Prozent höher liegen und Jugendlichen mit und ohne Behinderung Teilhabe als die Anzahl der Ausbildungsplatzbewerber*innen. zu ermöglichen. Der Paritätische fordert daher die bedarfsdeckende Erhöhung sowohl der Zahl öffentlich geförderter Aus- bildungsplätze über die Bundesagentur für Arbeit, als auch – zusammen mit den Ländern – den Ausbau der schulischen Ausbildungsplätze. D Kinderrechte ins Grundgesetz Kinderrechte müssen bei allen Gerichtsverfahren, Ver- waltungsakten und politischen Entscheidungen eine verpflichtende Maßgabe werden. Der Paritätische setzt sich daher für eine Verankerung der Kinderrechte ins Grundgesetz ein und fordert umfassende Regelungen, die die Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonventi- on insbesondere den Kindeswohlvorrang (gemäß Arti- kel 3 UN-KRK) und das Beteiligungsrecht (gemäß Artikel 12 UN-KRK) berücksichtigen. Kinderrechte können so auch eine Strahlwirkung auf einfaches Gesetz erlangen und die Rechtssicherheit würde durch die frühzeitige Heranziehung der Kinderrechte als Entscheidungs- grundlage gestärkt. 14
Engagement und Freiwilligendienste D Inklusion und Diversität in Freiwilli- Um den Zugang für alle Interessierten zu gewährlei- sten, ist eine intensive Unterstützung und Beratung der gendiensten stärken Träger und Einsatzstellen notwendig. Dazu ist umfang- Inklusion ist ein Menschenrecht, das auch im Freiwilli- reiches Fachwissen notwendig, das zentralstellenüber- gendienstgesetz verankert ist. Freiwilligendienste müs- greifend verortet werden sollte. Dies sollte durch den sen daher allen Menschen offenstehen, die sich in einer Aufbau und die Finanzierung einer Koordinierungs- gemeinnützigen Einrichtung unter Beachtung der ge- stelle „Diversität und Inklusion in Freiwilligendiens- setzlichen Rahmenbedingungen engagieren wollen. In ten“ bei einer zivilgesellschaftlichen Zentralstelle für diesem Sinne muss die Einbindung unterschiedlichster Freiwilligendienste erfolgen. Zielgruppen (Vielfalt und Diversität), die die Heteroge- nität der Gesellschaft abbilden, gewollt und von der Po- litik aktiv gefördert werden. D Freiwillige anerkennen und wert- Freiwilligen mit Unterstützungsbedarfen müssen die notwendigen Assistenzen und/oder Unterstützungen schätzen zur Ausübung von Freiwilligendiensten zur Verfügung Menschen, die sich für das Allgemeinwohl engagieren, gestellt werden. müssen gesellschaftliche Anerkennung für dieses En- gagement erfahren, die materielle wie immaterielle As- Darüber hinaus sollte ein Trägerbudget zur eigenverant- pekte beinhaltet: wortlichen inklusiven Ausgestaltung von Freiwilligen- diensten zur Verfügung gestellt werden, mit dem u.a. • Freie Fahrt für Freiwillige im Öffentlichen Personen Nah- und Fernverkehr • ein abgesenkter und entsprechend finanzierter Per- sonalschlüssel vorgehalten werden kann, der eine • Befreiung der Freiwilligen von der Haushaltsabga- bedarfsorientierte Begleitung der unterschiedlichs- be beim Rundfunkbeitrag ten Zielgruppen ermöglicht, • Bonusregelungen für Freiwillige bei der Berech- • Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte und für nung von Wartesemestern Einsatzstellen finanziert werden, • Einheitliche Anerkennung von Freiwilligendiensten • bedarfsorientierte Unterstützungen ohne stigmati- als Pflichtpraktika im Rahmen des Studiums sierende Förderkriterien für die Freiwilligen ermög- licht werden und • Gleichstellung eines Freiwilligendienstes mit dem Berufsvorbereitungsjahr • Einsatzstellen gefördert werden, die inklusive Frei- willigendienste ermöglichen. • Taschengeld für die Freiwilligendienste sind eine Form der Anerkennung. Das Taschengeld ist nicht als Einkommen anzurechnen und muss daher an- rechnungsfrei sein. SGB II und SGB VIII sind entspre- chend zu ändern. 15
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