3/20 Titelstory Klimawandel und Wasserwirtschaft Mit Sonnenwärme Klärschlamm trocknen - Emschergenossenschaft

 
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Titelstory
Klimawandel und
Wasserwirtschaft

Mit Sonnenwärme
Klärschlamm trocknen

Wie zufrieden lebt
man an der Emscher?
3/20 Titelstory Klimawandel und Wasserwirtschaft Mit Sonnenwärme Klärschlamm trocknen - Emschergenossenschaft
2   WASSERSTANDPUNKT

     3
       Editorial

    		Schwerpunktthema
    		 Klimawandel und
       Wasserwirtschaft

     4		Extremwetter im
                                          4
        Emscher-Lippe-Raum

     8		Interview mit Maude Barlow

    10 Die Seseke
                                         		Programm                        		Kurzmeldungen/
    14		IT-Sicherheit                      Lebendige Lippe                 		News
                                         30		 Aue in Sicht!                42		 Dr. Frank Dudda: Mein Lieblings-
    15		Interview mit Dr. Emanuel Grün                                          platz an der Emscher
                                                                           43		 Eröffnung Blaues Klassenzimmer
    16 Klima-Anpassungsprojekte                                                 in Haltern
                                         		EGLV-Thema                      43		 Nabu-Kooperation
    18 Standpunkt: Ludger Wilde          34		 Nachhaltige Gewerbegebiete

    20		Müllverbrennung Oberhausen

                                         		Städtebau
                                         36		 Sozialraumanalyse entlang
    		Emscher-Umbau                           der Emscher
    24		Renaturierungsstart der Boye

    26		Umbau-Stand in Bochum:           		Forschung   und
        Hüller Bach,                         Entwicklung
        Wattenscheider Bach              38		 Klärschlammtrocknung mit
                                              Sonnenenergie

                                                                                                  38

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EDITORIAL                                                                                                                 3

„In Zeiten des Klimawandels
 steht die Wasserwirtschaft vor
 neuen Herausforderungen.
 Deshalb brauchen wir eine
 nationale Wasserstrategie!“
   Prof. Dr. Uli Paetzel

                                                                       Foto Klaus Baumers

   die Verfügbarkeit von Wasser ist in
   Deutschland eine Selbstverständlich-
   keit. Knappheit wie in Südeuropa
   war in unseren Breiten praktisch un-    priorisieren können. Emschergenos-       unsere Branche in Zeiten des Klima-
   bekannt. Diese Wahrnehmung hat          senschaft und Lippeverband sind in       wandels beschäftigen. Darüber hinaus
   sich seit dem Dürresommer 2018 stark    diesen Prozess direkt und über unsere    berichten wir von unseren Renaturie-
   gewandelt. Fehlende Niederschläge       Interessenverbände eingebunden.          rungsprojekten in Essen, Bochum und
   ließen Böden austrocknen, setzten                                                Werne und stellen Ihnen Ergebnisse
   Wälder unter Trockenstress und erste    Ein besonderer Schwerpunkt liegt für     einer Sozialraumanalyse des Emscher-
   Gemeinden haben im Hochsommer           uns – neben der Verbesserung der         gebiets vor.
   Engpässe bei den Wasserreserven         Reinigungsverfahren, dem Schutz
   angemeldet.                             von Flora und Fauna an den Gewäs-     Besonders freuen wir uns, dass Maude
                                           sern und der Digitalisierung unserer  Barlow uns ein Interview gegeben
   Beispiele, die verdeutlichen, dass die  Prozesse – bei der Frage der Klimafol-hat. Die bekannte Bürgerrechts- und
   Herausforderungen an die Bewirt-        genanpassung in den Städten.          Wasseraktivistin tritt seit vielen Jahren
   schaftung unserer Wasserressourcen                                            für das Menschenrecht auf Wasser ein.
   steigen werden. Vor diesem Hinter-     Im Projekt „Klimaresiliente Region mit Sie ist Trägerin des alternativen Nobel-
   grund führte das Bundesumweltminis- internationaler Strahlkraft“, das wir im preises, berät Politik und Nicht-Re-
   terium gemeinsam mit Akteuren aus      Rahmen der Ruhr-Konferenz gemein- gierungsorganisationen und bietet uns
   Naturschutzverbänden, Landwirtschaft, sam mit dem Landesumweltministe-        noch einmal einen breiten Blick auf die
   Pharmaindustrie und Wasserwirtschaft rium, den Revier-Kommunen, weiteren kommenden Herausforderungen bei
   einen nationalen Wasserdialog durch    Wasserverbänden und dem NABU           der Sicherung der Ressource Wasser.
   mit dem Ziel, eine Wasserstrategie für NRW entwickelt haben, werden wir
   die nächsten Jahrzehnte vorzubereiten. Maßnahmen wie Gründächer, Fassa-       Wir wünschen Ihnen, wie immer, viel
                                          denbegrünungen, Flächenentsiege-       Freude bei der Lektüre.
   Im Fokus standen dabei Fragen, wie     lungen oder Baumrigolen finanziell
   wir die Wasserressourcen effektiver    fördern und umsetzen. So sorgen wir Mit besten Grüßen und einem
   nutzen können, wie wir sie vor Ver-    für mehr Schutz bei Starkregen und für herzlichen Glückauf!
   schmutzung schützen, wie wir sicher-   ein besseres Mikroklima im Quartier.
   stellen, dass das Wasser auch dort
   zur Verfügung steht, wo es gebraucht Mit dieser Ausgabe möchten wir Ihnen
   wird und wie wir Nutzungskonflikte     somit einige Aspekte vorstellen, die   Prof. Dr. Uli Paetzel
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extrem w
Schwerpunktthema

im emsch
lippe-
raum
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wwetter
                                                                                                      EGLV.de

c her-
 Trockenheit und Dürre gepaart
 mit Überflutungen
 Text Angela Pfister | Foto Andreas Fritsche

 Trockenheit, Dürre und Starkregen             Während in einem Stadtteil Straßen und Keller unter Was-
                                               ser standen, setzte sich nur wenige Kilometer entfernt die
 sind derzeit in aller Munde. Obschon
                                               Trockenheit fort. Dieser Gegensatz ist in den Sommermo-
 scheinbar gegensätzlich, schließen            naten nicht ungewöhnlich, da Starkregenereignisse häufig
 sie sich nicht aus. Gerade der August         sehr lokal auftreten. Demgegenüber außergewöhnlich ist
                                               jedoch die Kombination mit ausgeprägter Trockenheit, die
 2020 hat die ganze Bandbreite von
                                               sich schon im dritten Jahr in Folge einstellte.
 extremen Wetterlagen in den Einzugs-
 gebieten von Emscher und Lippe noch           Emschergenossenschaft und Lippeverband erfassen seit
                                               mehr als hundert Jahren den Niederschlag und weitere
 einmal deutlich vor Augen geführt.            Klimaparameter. Dieser langjährige Datenschatz ermög-
                                               licht erst Trendanalysen sowie Untersuchungen zur Zu-
                                               nahme von Starkregenereignissen. So lässt sich beispiels-
                                               weise feststellen, dass die mittlere Anzahl von Starkregen
                                               seit 1931 von 3,5 Ereignissen pro Jahr auf 4,5 Ereignisse
                                               pro Jahr gestiegen ist. Oder, dass die mittlere Jahrestem-
                                               peratur in unserer Region in den hinter uns liegenden
                                               rund hundert Jahren deutlich zugenommen hat und zwar
                                               um 1,6 Grad Celsius. Zudem wurden die zehn wärmsten
                                               Jahre in den vergangenen 20 Jahren registriert.

                                               Ein detaillierter Vergleich der letzten drei Jahre zeigt be-
                                               sonders außergewöhnliche Entwicklungen.
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6   WASSERSTANDPUNKT       Schwerpunktthema
    Die Emscher-Mündung in den Rhein bei Dinslaken/Voerde –
    oben bei Niedrigwasser, im unteren Bild sind bei Hochwasser
    linksrheinisch weite Gebiete überschwemmt, die künftige,
    noch nicht angeschlossene Emscher-Mündung (rechts)
    erscheint als „See“.
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                                                                                          1,6 °C
                                                           Zunahme der mittleren Jahrestemperatur
                                                                    in den letzten hundert Jahren

                                              41 °C
                           Höhepunkt der Hitzewelle des Jahres 2018
                                                         am 25. Juli

                                                                 3,5                                4,5
                                                                Anstieg extremer Starkregen-Ereignisse
                                                                                      pro Jahr seit 1931

In 2018 begann eine der längsten und gewaltigsten Hitze-    Das Jahr 2020 begann zunächst überdurchschnittlich
perioden kombiniert mit einer der größten Trockenhei-       nass, mit Hochwasser an Emscher und Lippe im Februar.
ten der deutschen Klimageschichte. Die Konsequenzen         Jedoch pünktlich zum April stellte sich wieder eine Tro-
daraus auf Ökonomie, Ökologie und Gesundheit sind           ckenperiode ein. Diesmal zeigt sich das Wetter im August
vielschichtig und hinlänglich bekannt.                      extrem wechselhaft mit heftigen Unwettern im Zeitraum
                                                            vom 9. bis 17. August. Charakteristisch war dabei eine ex-
Ab April stellte sich eine außergewöhnliche Trockenheit     trem lokale Bildung und wenig Verlagerung von Gewitter-
ein, die erst im September ihr Ende fand. Den Höhepunkt     zellen. Dies führte zu sehr hohen Niederschlagsmengen
bildete der Juli – mit nur 14 mm Niederschlag und 322       in kurzer Zeit und lokalen Überflutungen z. B. in Essen,
Sonnenscheinstunden der trockenste und sonnenschein-        Hamm und Dortmund, begleitet von heißen Temperatu-
reichste Monat überhaupt seit Aufzeichnungsbeginn im        ren, die teilweise 36 Grad überschritten.
Jahr 1891. Die entsprechend flächendeckende Dürre
bleibt sicher vielen in Erinnerung.                         All diese Entwicklungen können die sondergesetzlichen
                                                            Wasserwirtschaftsverbände nur dank ihres langjährigen
Solche Entwicklungen setzten sich in 2019 eindrucks-        Messnetzes bzw. darauf basierenden Datenschatzes
voll fort. Analog zum Vorjahr begann ab April eine Phase    analysieren – ergänzt um fundierte Auswertungen des
ausgeprägter Trockenheit, die von hohen Temperaturen        radargemessenen flächenhaften Niederschlags.
begleitet war und zu einer weiteren Dürreperiode führte.
Der Juni ging als wärmster Juni seit Aufzeichnungsbeginn
in die Annalen ein. Der Höhepunkt der Hitzewelle wurde
im Juli erreicht, am 25.7. wurden an den Messstationen        Ansprechpartnerin: Angela Pfister
                                                              Abteilungsleiterin Wasserwirtschaft
Maximaltemperaturen über 41° C gemessen.                      Pfister.angela@eglv.de
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8   WASSERSTANDPUNKT         Schwerpunktthema

    Interview
    mit Maude Barlow,
    kanadische Umweltaktivistin und Publizistin

    Autor Alexander Knickmeier
    Illustration Julian Rentsch

    In Zeiten der Corona-Pandemie
    beginnen wir hier in Deutschland
    erneut die Rolle des Staates für die
    Wirtschaft zu diskutieren. Seit vielen
    Jahren kämpfen Sie gegen die
    Privatisierung von Wasser. Warum?
    Maude Barlow: Eine wassersichere
    und wassergerechte Zukunft hängt
    von unserer Annahme ab, dass Was-
    ser ein Menschenrecht ist und eine
    Frage der Gerechtigkeit und nicht
    der Nächstenliebe; dass Wasser ein
    gemeinsames Erbe und öffentliche
    Daseinsvorsorge ist und daher der
    Zugang zu Wasser nicht von privaten,
    gewinnorientierten Interessen ent-
    schieden werden darf; dass Wasser
    Rechte hat, die über seinen Dienst am    In 2010 erkannte die Generalver-        Welche Schritte sind das?
    Menschen hinausgehen und für das         sammlung der Vereinten Nationen         Mehr als vier Dutzend Länder haben
    Ökosystem und andere Lebewesen           das Menschenrecht auf Wasser            inzwischen entweder das Recht auf
    respektiert und geschützt werden         und sanitäre Einrichtungen an.          Wasser in ihren Verfassungen ver-
    müssen; und dass Wasser keine Quel-      Was wurde seitdem verändert?            ankert oder das Recht in die nationale
    le von Konflikten und Spaltungen          Die Anerkennung des Menschen-          Gesetzgebung aufgenommen. Die
    ist, sondern ein Geschenk der Natur,     rechts auf Wasser durch die Ver-        Verpflichtung, das Menschenrecht auf
    um uns zu lehren, wie wir lernen kön-    einten Nationen hat zwar das Leben      Wasser zu achten, wird jedoch sowohl
    nen, leichter auf dem Planeten und       von Menschen und den Zugang zu          durch den Mangel an von den Regie-
    in Harmonie miteinander zu leben.        Wasser und sanitären Einrichtungen      rungen bereitgestellten Mitteln als
                                             nicht sofort verändert, Regierungen     auch durch die Verschmutzung und
                                             und Hilfsorganisationen haben jedoch    das Missmanagement der Wasserres-
                                             begonnen, wichtige Schritte zu unter-   sourcen des Planeten stark unter-
                                             nehmen.                                 graben. Alle Menschenrechte auf der
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                              „Während wir mit aller Kraft gegen
                               COVID-19 kämpfen, müssen wir dringend
                               auch Wassereinzugsgebiete schützen
                               und wiederherstellen und allen Menschen
                               Zugang zu sauberem, öffentlich bereitge-
                               stelltem Wasser gewähren.“
                               Maude Barlow

Welt werden kein sauberes Wasser           trophale Überschwemmungen. Auch          und warmem Wasser waschen können.
sichern, wo es keines gibt. Während        unser aktiver, kollektiver Wassermiss-   Drei Viertel der Haushalte sowie fast
wir mit aller Kraft gegen COVID-19         brauch ist eine Hauptursache für die     die Hälfte der Gesundheitseinrichtun-
kämpfen, müssen wir dringend auch          wachsende Wasserkrise der Welt,          gen in Entwicklungsländern haben
Wassereinzugsgebiete schützen und          und dies ist sogar beim Klimawan-        vor Ort keinen Zugang zu sauberem
wiederherstellen und allen Menschen        del von entscheidender Bedeutung.        Wasser. Die Wohltätigkeitsorganisation
Zugang zu sauberem, öffentlich             Gemeinden, die aufgrund von Armut,       WaterAid sagt, dass die Coronavirus-
bereitgestelltem Wasser gewähren.          Ungleichheit und Diskriminierung         Pandemie die Verwundbarkeit von
Das World Resources Institute schätzt,     bereits ohne sauberes Wasser leben,      Menschen ohne Zugang zu Wasser
dass es nur ein Prozent des globalen       sind jetzt einer weiteren Gefahr aus-    aufdeckt und warnt davor, dass wir uns
BIP kosten würde, in die Infrastruktur     gesetzt, da lokale Wasserquellen aus-    vor der Zukunft in Afrika und Teilen
zu investieren, die erforderlich ist, um   trocknen oder für gewinnorientierte      Asiens fürchten sollten.
bis 2030 sauberes Wasser für alle          Zwecke beansprucht werden.
bereitzustellen.                                                                    Können Sie das an einem konkreten
                                           Glauben Sie, dass die Corona-Pan-        Beispiel darstellen?
Welchen Einfluss wird der Klima-           demie die Art und Weise verändern        Achtzig Prozent der sieben Millio-
wandel auf die Art und Weise haben,        wird, wie wir über die Rolle des         nen Einwohner von Dharavi, Asiens
wie wir unsere Wasserressourcen            Staates bei der Wasserversorgung         größtem städtischen Slum im indischen
nutzen?                                    und Abwasserentsorgung sprechen          Mumbai haben kein fließendes Wasser.
Die vom Menschen verursachten              werden?                                  Menschenrechtsgruppen berichten,
Treibhausgas-Emissionen haben den          Sehen wir uns die Pandemie näher         dass 36 Millionen Menschen in Mexiko
Wasserkreislauf und die natürlichen        an. Laut Gesundheitsexperten ist         keinen regelmäßigen Zugang zu
Wasserspeichersysteme beeinflusst,         eines der wichtigsten Dinge, die wir     Wasser haben. Die Menschen im Slum
und wir verändern das Klima um             alle tun können, um die Ausbreitung      von Kibera in Kenia teilen sich eine
uns herum und heizen die Welt auf.         des Coronavirus zu stoppen, unsere       Grubenlatrine mit bis zu 150 anderen.
Wir verschmutzen, erschöpfen, stau-        Hände häufig und gut mit Seife und       Hier kann nur durch staatliche bzw.
en, überextrahieren und leiten die         heißem Wasser zu waschen und             öffentliche Dienste der Städte und
Wassersysteme des Planeten um. Wir         unsere Umgebung sauber zu halten.        Kommunen Abhilfe geschaffen
verändern Landschaften und lokale          Aber mehr als die Hälfte der Welt-       werden. Und diese Notwendigkeit
Wasserkreisläufe, schaffen an einigen      bevölkerung hat keinen Zugang zu         wird gerade durch die Pandemie
Orten Wüsten und an anderen katas-         einem Ort, an dem sie sich mit Seife     deutlicher.
3/20 Titelstory Klimawandel und Wasserwirtschaft Mit Sonnenwärme Klärschlamm trocknen - Emschergenossenschaft
10   WASSERSTANDPUNKT        Schwerpunktthema

     Die Seseke – ein Fluss wird
     wieder zur Lebensader
     Hundert Jahre offener Abwasserlauf – jetzt hat sich
     die Seseke nach der Renaturierung zur lebendigen
     Flusslandschaft mit über 350 Arten entwickelt

     Text Anne-Kathrin Lappe | Foto Kirsten Neumann, Ute Jäger

     Wenn Leni im Kamener Seseke-Park                              Lippeverbandes, aus. Vier moderne Kläranlagen und rund
     spielt und die Füße ins Wasser hält,                          73 Kilometer geschlossene Abwasserkanäle schafften
                                                                   eine neue abwassertechnische Infrastruktur im Einzugsge-
     hat die Vierjährige nicht mehr selbst                         biet. Erfolgreicher Abschluss: 2014.
     erlebt, dass die Seseke noch vor
                                                                   Abwechslungsreiche Ufergestaltung
     20 Jahren eine „Köttelbecke“ war.
                                                                   Heute, nur sechs Jahre später, hat sich die Seseke zu
     Ein Jahrhundert lang diente der Fluss                         einem lebendigen Gewässer entwickelt. Ein „Zurück zum
     als offener Abwassersammler für                               Ursprung des Flusses“ konnte es nicht geben – das war
                                                                   allen Beteiligten von Beginn an klar. Zu gravierend die
     ein 315 Quadratkilometer großes Ein-
                                                                   Einschnitte, die der Bergbau hinterlassen hat. Zu nah die
     zugsgebiet im Kreis Unna.                                     Bebauung, die mittlerweile an den Fluss gerückt ist. Doch
                                                                   was möglich war, wurde umgesetzt: Die Seseke fließt heu-
                                                                   te geschwungen und nur noch flach eingeschnitten der
     Bergsenkungen erlaubten keine unterirdische Abwas-            Lippe entgegen. Unterschiedlich breite Ersatzauen und
     serfortleitung und so formte man den rund 32 Kilometer        abwechslungsreiche Ufergestaltung bieten Möglichkeiten
     langen Fluss zu einem schnurgeraden, mit Betonsohlscha-       für die eigendynamische Entwicklung.
     len ausgekleideten offenen Schmutzwasserlauf. Auenbe-
     reiche fielen trocken, hohe Deiche sorgten für Schutz vor     Und tatsächlich, die Wiederbesiedlung der ehemaligen
     Überflutungen.                                                biologischen Todeszone beginnt sehr schnell. Robuste
                                                                   Pionierarten erobern sich den Fluss bereits in den ersten
     „Nach dem Bergbau-Ende beschloss man 1986 das                 Jahren zurück. Spezialisierte Arten wie der Eisvogel fol-
     Seseke-Programm zum Umbau der Flusslandschaft. Dann           gen, nachdem sich vielfältige Gewässerstrukturen entwi-
     setzte der Lippeverband es als eines der ersten öko-          ckelt haben. Das Monitoring nach dem Umbau der Seseke
     logisch-infrastrukturellen Großprojekte in Deutschland        zeigt: Mit rund 350 Tier- und Pflanzenarten ist der Umbau
     um“, führt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender des   ein Gewinn für Biodiversität und Gewässerqualität.
EGLV.de   11
12   WASSERSTANDPUNKT     Schwerpunktthema

                                                                   Michael Prill, Fischereiberater im Kreis Unna, erfasst im
                                                                   September 2020 in der Mündung der Körne in die Seseke den
                                                                   Fischbestand durch Elektrobefischung (Siehe S. 11). Die auf diese
                                                                   Weise leicht betäubten Fische werden bestimmt und vermessen,
                                                                   bevor sie wieder in die Freiheit entlassen werden.

     Aal, Döbel, Flussbarsch oder Dreistachliger Stichling sind    Hochwassermanagement
     nur einige Beispiele für bereits dokumentierte Arten.         Doch der Umbau der Seseke bewirkt noch mehr: Die
     Auch eine Besatzaktion mit Larven der seltenen Quappe         Hochwassergefahr durch Überflutungen aus der Seseke
     führte zum Erfolg, wie Sichtungen ausgewachsener              und ihren Nebenläufen ist bedeutend zurückgegangen.
     Quappen in der Seseke belegen.                                Zum einen hat der Lippeverband zahlreiche Regen- und
                                                                   Hochwasserrückhaltebecken gebaut. Sie verhindern hohe
     Mittlerweile sogar ein Fischereigewässer                      Abflussspitzen nach Starkregen. Über diese Maßnahmen
     Die Seseke und auch ihr Zufluss Körne haben in Abschnit-      des technischen Hochwasserschutzes hinaus dämpfen na-
     ten sogar wieder eine Bedeutung als Fischereigewäs-           turnahe Gewässerstrukturen mögliche Hochwasserwellen.
     ser. Im Kreis Unna unterhält der Angelsportverein 1946        Durch gut bewachsene Gewässerauen fließt Wasser nicht
     Kamen e.V. für eine Strecke die Hegeverpflichtung und         mehr so schnell ab. So konnte der Hochwasserabfluss um
     unterstützt die Fischereiaufsicht. Kaum zu glauben war        rund ein Drittel reduziert werden. Diese Reduktion des
     es für Michael Prill, als er 2019 eine erste Forelle in der   Hochwasserabflusses ist zugleich auch eine Klimaanpas-
     Seseke fand. Michael Prill ist nicht nur Gewässerwart im      sungsmaßnahme – denn Starkregen werden in Zukunft
     Angelverein, sondern auch Fischereiberater des Kreises        eher noch zunehmen. Durch ein resilientes System – und
     Unna. Regelmäßig führt er mit seinen Vereinskollegen          das ist die Seseke nun – reduziert sich das Hochwasser-
     Elektrobefischungen durch, um die Entwicklung des Ge-         Risiko für die Städte.
     wässersystems im Blick zu behalten. Die Ergebnisse sind
     immer wieder erstaunlich! „Dass wieder Fische und sogar       Wie deutlich Städtebau und Wasserwirtschaft voneinan-
     Forellen in der Seseke leben könnten, hätte ich in meinen     der profitieren können, zeigt der Seseke-Park in Kamen.
     kühnsten Träumen nicht erwartet. Vor 15 Jahren war die        Innenstadtnah hat die Stadt auf etwa zwei Kilometern
     Seseke noch eine trübe Kloake, ein totes Gewässer –           Länge einen Naherholungsort am Fluss für alle Generatio-
     kaum zu glauben, wie toll sich der Fluss entwickelt hat“,     nen geschaffen. Bildungsangebote für Kinder, Parkfeste,
     so Michael Prill.                                             barrierefreie Aufenthaltsbereiche, Freizeit und Sportanla-
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                                                                                      Info
                                                                   Von Bönen bis Lünen hat der Lippeverband
                                                                   einen Fuß- und Fahrradweg angelegt, der dazu
                                                                   einlädt, die Landschaft rund um die Seseke zu
                                                                   erkunden. Der Seseke-Weg bietet eine direkte
                                                                   Verbindung zwischen Bönen über Kamen und
                                                                   Bergkamen bis zur Mündung in die Lippe in
Bis 2010 war die Seseke ein geradliniger, mit Betonschalen tech-
nisch ausgebauter Fluss. Heute ist sie ein abwechslungsreiches,    Lünen. Dort ist der Seseke-Weg zudem mit der
naturnahes Gewässer.                                               Römer-Lippe-Route verknüpft. Entlang der rund
                                                                   25 Kilometer langen Strecke laden Rastplätze
                                                                   zum Verweilen ein. Zahlreiche Kunstwerke ent-
                                                                   lang des Weges, die im Rahmen des Projektes
                                                                   „Über Wasser gehen“ entstanden sind, lassen die
gen – die Menschen nehmen den Fluss heute wieder als               Tour zu einem ganz besonderen Erlebnis werden.
Lebensader und Mittelpunkt ihrer Stadt wahr. Auch Leni.            Die Route stellt eine wichtige neue Städteverbin-
Zusammen mit den „Seseke-Kindern“, einem NRW-För-                  dung dar und bietet damit auch die Möglichkeit
derprojekt, entdeckte sie ein halbes Jahr lang den Fluss           umweltfreundlicher, zukunftsorientierter Mobilität.
aus nächster Nähe. Zwar hat sie nicht mehr selbst erlebt,          www.seseke-weg.de
wie schmutzig die Seseke einmal war, aber sie weiß nun,
wie wertvoll das Ökosystem Wasser ist.
14   WASSERSTANDPUNKT   Schwerpunktthema

     Gut
     gewappnet
     gegen
     cyber-
     angriffe                              Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) erfüllen
                                           als Körperschaften des öffentlichen Rechts die hoheit-
     EGLV haben                            liche Aufgabe der Gebietsentwässerung und Abwasser-
                                           entsorgung im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge.
     IT-Sicherheitsstandard                Die verlässliche und nachhaltige Erbringung der dafür

     maßgeblich mitentwickelt              erforderlichen Dienstleistungen hat höchste Priorität.
                                           EGLV gehören zur sogenannten Kritischen Infrastruktur in
     Text Ilias Abawi                      Deutschland (KRITIS) und unterliegen somit der Kritis-
                                           Verordnung (KRITIS-VO) des Bundesamtes für Sicherheit
                                           in der Informationstechnik (BSI).

                                           Der Bund hat im Rahmen des BSI-Gesetzes und der
                                           KRITIS-Verordnung eindeutige Vorgaben für die Betreiber
                                           Kritischer Infrastrukturen erlassen: IT-Systeme und -Kom-
                                           ponenten, bei denen ein Cyberangriff oder sonstige
                                           Störungen dazu führen, dass die Erbringung der kritischen
                                           Dienstleistung eingeschränkt oder gar unterbunden wird,
                                           sind auf dem Stand der Technik zu halten. Die Einhaltung
                                           dieser Anforderung muss alle zwei Jahre gegenüber dem
                                           BSI nachgewiesen werden.
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Interview
mit Dr. Emanuel Grün,
Technik-Vorstand von Emschergenossenschaft
und Lippeverband

Illustration Julian Rentsch

Was unternehmen EGLV für die IT-
Sicherheit der Abwasserentsorgung?
Wir haben die Möglichkeit frühzeitig
genutzt, um die Mindestanforderun-
gen in Bezug auf den Stand der Tech-
nik durch einen vom BSI als geeignet
anzuerkennenden „Branchenspezi-
fischen Sicherheitsstandard“ - kurz:
B3S - zu definieren. EGLV haben den       scanner. Die Beschäftigten von EGLV      Auch ein Ausfall der Abwasserreini-
B3S WA maßgeblich mitentwickelt           werden in unregelmäßigen Abständen       gung könnte zu Hygieneproblemen in
und stehen in kontinuierlichem Aus-       immer wieder für die IT-Security sensi-  der Region führen. Wichtig: EGLV ha-
tausch mit dem BSI. Der Sicherheits-      bilisiert – unregelmäßig unter anderem   ben für den Fall des Ausfalls zentraler
standard enthält sowohl Maßnahmen-        deshalb, um keine Gewohnheit ein-        Komponenten oder einzelner Kompo-
vorgaben für alle Betreiber, mithin       treten zu lassen!                        nenten Rückfallebenen berücksichtigt,
Basismaßnahmen, die jedes Unter-                                                   die im Zweifel automatisch greifen.
nehmen umsetzen sollte, als auch          Gezielte Angriffe auf EGLV sind jedoch Unabhängig davon ist bei allen unter-
zusätzliche Maßnahmen, die Betreiber      bislang noch nicht aufgetreten, sie sind nehmenskritischen Anlagen im Notfall
Kritischer Infrastrukturen umsetzen       aber grundsätzlich zu erwarten. Dieser ein Vor-Ort-Handbetrieb möglich.
müssen, um den Stand der Technik zu       Angriffsvektor ist grundsätzlich auch
erreichen.                                für die gesamte Abwasserwirtschaft       Ist aus Ihrer Sicht darüber hinaus eine
                                          nicht auszuschließen. Gemeinschaft-      Regulierung Kritischer Infrastrukturen
Kam es bereits zu Hackerangriffen         liche Lösungen sind hier hilfreich.      nötig?
bei EGLV?                                 Deshalb hat zum Beispiel das NRW-        Mit dem Instrument der KRITIS-VO
Unsere hochwertigen Firewall-Syste-       Umweltministerium im August das          und den existierenden branchenspezi-
me zeigen seit Jahren zunehmende          Kompetenzzentrum Digitale Wasser-        fischen Sicherheitsstandards ist die
Angriffszahlen, zuletzt rund 24.000       wirtschaft gegründet, in dem Emscher- Abwasserbranche aus unserer Sicht
Angriffe in 2019. Aufwändige Syste-       genossenschaft und Lippeverband          gut aufgestellt. Inwiefern eine Anpas-
me prüfen zum Beispiel eingehende         Gründungsmitglieder sind.                sung von Schwellenwerten sinnvoll
E-Mails und stufen diese hinsicht-                                                 ist, ist gegebenenfalls zu diskutieren.
lich ihres Schadenspotenzials ein.        Welche Auswirkungen hätte ein            EGLV sind hier bereits einen anderen
Gleichzeitig laufen weiterhin auf allen   Hackerangriff?                           Weg gegangen, indem grundsätzlich
Systemen zentral verwaltete und ak-       Der Hochwasserschutz könnte aus-         für alle Anlagen der gleiche Anspruch
tualisierte End-Point-Protection-Viren-   gehebelt bzw. sabotiert werden.          gestellt wird.
16   WASSERSTANDPUNKT         Schwerpunktthema

     Die Region für
     den Klimawandel stärken
     Zahlreiche Projekte wurden im Rah-                              und Bürogebäudedächern (rund 11.000 Quadratmeter
     men der Zukunftsinitiative „Wasser                              ableitende Fläche). Ein gelungenes Projekt, das verdeut-
                                                                     licht, wie die Region durch die Integration des Regenwas-
     in der Stadt von morgen“ umgesetzt.                             sermanagements an den Klimawandel angepasst werden
     Von den Maßnahmen im Emscher-                                   kann.

     Gebiet können nun die Partner des
                                                                     Straßenentwässerung in Herten
     Ruhr-Konferenz-Projekts „Klimaresi-                             Bis 2040 sollen 25 Prozent der versiegelten Fläche in
     liente Region mit internationaler                               der Region abgekoppelt und die Verdunstungsrate um
                                                                     10 Prozentpunkte gesteigert werden. Dabei bringen auch
     Strahlkraft“ profitieren und die Region
                                                                     Maßnahmen, die auf den ersten Blick klein erscheinen,
     gemeinsam stärken.                                              Emschergenossenschaft und Lippeverband näher ans
                                                                     Ziel. Das Straßenentwässerungssystem auf der Jäger-
                                                                     straße in Herten wirkt eher unscheinbar, hat aber einen
     Text Celina Winter | Foto Rupert Oberhäuser, Diethelm Wulfert   großen Effekt: Durch die Reaktivierung des alten, noch in
                                                                     Teilen erhaltenen Grabensystems können die Straßenab-
     Bergbausiedlung „Stemmersberg“ in Oberhausen                    flüsse zum Teil versickern und zum Teil in das angrenzen-
     Ein gelungenes Beispiel ist die alte Bergbausiedlung            de Waldgebiet abgegeben werden. Rund 8.350 Quadrat-
     „Stemmersberg“ in Oberhausen: Im Zuge der Sanierung             meter Straßenfläche konnten abgekoppelt werden.
     der über 100 Jahre alten Gebäude wurde der Klimawan-
     del direkt mitgedacht und eine neue Regenwasserbewirt-          Gemeinsam die Region stärken
     schaftung umgesetzt. Auf 13.325 Quadratmetern – rund            Ob kleine oder große Maßnahmen: Jede ist wichtig, um
     die Hälfte der gesamten Fläche – wird das Regenwasser           die Region an den Klimawandel anzupassen. Emscherge-
     seitdem durch viele verschiedene Maßnahmen dem na-              nossenschaft und Lippeverband können zusammen mit
     türlichen Wasserkreislauf zugeführt.                            dem Land NRW, den Städten und Wasserwirtschaftsver-
                                                                     bänden von den schon umgesetzten Maßnahmen der Zu-
     Universitätsviertel – Grüne Mitte Essen                         kunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ lernen
     Bei neuen Projekten muss das Thema „Klimawandel“ von            und die Region im Rahmen des Ruhr-Konferenz-Projekts
     vornherein eingeplant werden, wie beispielsweise bei            „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“
     dem Bau des Stadtquartiers „Universitätsviertel – Grüne         stärken.
     Mitte Essen“ im Norden der Essener City. Die Maßnahme
     zeigt, dass eine ausgeklügelte Regenwasserbewirtschaf-
     tung nicht nur Mehrwerteffekte für unser Klima hat: Kern-
     stück des Projekts ist nämlich ein circa vier Hektar großer
     öffentlicher Park, in dem zwei große Wasserbecken im
     Sommer für einen angenehmen Kühlungseffekt sorgen
                                                                     Ansprechpartner: Andreas Giga
     und zum Verweilen einladen. Gespeist werden die Seen            Leiter ZI-Service-Organisation
     über das anfallende Niederschlagswasser von den Wohn-           giga.andreas@eglv.de
Das neue Uni-Viertel in Essen und die Umgestaltungen in der
Stemmersberg-Siedlung in Oberhausen sind gelungene Beispiele
für Klima-Anpassungsmaßnahmen.
18   WASSERSTANDPUNKT       Schwerpunktthema

      Illustration
      Julian Rentsch

               „Mein Ziel ist, eine
                umweltgerechte und klima-
                resiliente Stadtentwicklung
                voranzutreiben …“
                   Ludger Wilde
                   Dezernent für Umwelt, Planen und Wohnen der Stadt Dortmund
EGLV.de   19

Standpunkt
von Ludger Wilde

Dortmund – eine Stadt in einer                              die Maßnahmen allgemein in Politik und Gesellschaft

klimaresilienten Region                                     breiten Rückhalt.

                                                            Unsere Stadtentwässerung betreibt und unterhält ein
                                                            2.000 Kilometer langes, weit verzweigtes Entwässerungs-
Klimawandel wird in den unterschiedlichsten Ausprägun-      netz, welches Abwasser den Kläranlagen der Wasser-
gen deutlich und betrifft Siedlungsräume besonders          verbände zuleitet. Das Niederschlagswasser wird dabei,
hart. Überschwemmungen und Hitzestress sind nur zwei        soweit möglich, dem natürlichen Wasserkreislauf zu-
von zahlreichen Folgen. Um dem zu begegnen, müssen          geführt. Dazu gibt es im Stadtgebiet Versickerungs- und
geeignete Anpassungsmöglichkeiten gefunden werden.          Rückhaltebecken mit einer Flächengröße von 33 Hektar.
                                                            Durch vielfältige Maßnahmen setzt sich die Stadt
Ohne besonderen Blick auf den Klimawandel wurden            Dortmund dafür ein, die Widerstandsfähigkeit der Stadt
in Dortmund bereits in den 1990er-Jahren Maßnahmen          gegenüber Starkregenereignissen zu stärken.
initiiert, die sich noch heute positiv auf das Stadtklima
auswirken. Hierzu zählen die im Rahmen der Internationa-    Eine aktuelle Planung ist das Städtebauliche Entwicklungs-
len Bauausstellung Emscherpark etablierten Grünzüge F       konzept für den Hochschul-, Wissenschafts- und Technolo-
und G, ferner das Projekt zur stadtweiten Regenwasser-      giecampus in Dortmund. Um Aspekte einer vorsorgenden
versickerung, die heute im Landeswassergesetz festge-       Siedlungswasserwirtschaft bereits früh in die Planung
schrieben ist und die Umgestaltung des Emscher-Systems      integrieren zu können, wurde ein Entwässerungskonzept
einschließlich des Phoenix-Sees.                            erarbeitet. Es definiert Maßnahmen zur Rückhaltung von
                                                            Niederschlagswasser und gibt Hinweise zur Gestaltung für
Aber kontinuierlich müssen die bereits vorhandenen Maß-     Dachbegrünung, Rückhaltung und Versickerung, Reten-
nahmen fortgeführt und ergänzt werden. So entwickelt        tionsmulden und offene Ableitungsrinnen. Mit der Umset-
die Koordinierungsstelle Klimaschutz/Klimaanpassung der     zung der Maßnahmen wird im Plangebiet ein wesentlicher
Stadt Dortmund analog zum Handlungsprogramm Klima-          Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung geleistet.
Luft 2030 Strategien zur Anpassung an den Klimawandel.
Dabei wird auf die Mitwirkung der unterschiedlichsten       Und auch mit der Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt
Akteure gesetzt und Bürgerinnen und Bürger frühzeitig       von morgen“ verfolgen Emschergenossenschaft und
einbezogen.                                                 Lippeverband mit ihren Mitglieds-Kommunen eine nachhal-
                                                            tige Regenwasserbewirtschaftung in enger Verknüpfung
Zudem arbeiten wir daran, dass Dachbegrünungen              mit städtebaulicher Entwicklung. Diese wurde im Zuge
als stadtökologischer Beitrag Normalität werden. In         der Ruhr-Konferenz durch die „Klimaresiliente Region
Dortmund enthalten daher die Bebauungspläne für neue        mit internationaler Strahlkraft“ auf weitere Wasserver-
Baugebiete eine Festsetzung zur Dachbegrünung für           bände und Kommunen ausgedehnt und trägt wesentlich
Flachdächer oder flachgeneigte Dächer, da dies aus Grün-    dazu bei, den Herausforderungen des Klimawandels
den des Naturschutzes, Klimaschutzes zur Verbesserung       besser zu begegnen. Die Initiative ist ein Bekenntnis zu
der Stadtgestalt oder der Luftqualität erforderlich ist.    einem gemeinsamen Engagement für eine zukunftsfähige
                                                            und nachhaltige Stadtentwicklung in der Region.
Im Rahmen einer Überplanung von bestehenden Ge-
bieten mit sogenannten Hitzeinseln wurden die bereits       Mein Ziel ist, eine umweltgerechte und klimaresiliente
existierenden Bebauungspläne mit Gründachfestset-           Stadtentwicklung voranzutreiben und in allen neuen
zungen ergänzt. Nach anfänglichen Diskussionen finden       Planungen und Strategien konsequent mitzudenken.
20   WASSERSTANDPUNKT         Schwerpunktthema

     Den Worten folgen Taten
     Emschergenossenschaft setzt
     gemeinsam mit Partnern in der Region
     Projekte zur Klimafolgen-Anpassung um

     Text Ilias Abawi | Foto Klaus Baumers, Jörg Saborowski
     Illustration Oliver Hasselluhn

     Elvis Presley, der King of Rock ʼnʼ Roll,                  sollen in den kommenden zehn Jahren in die Klimaprojek-
     brachte es auf den Punkt: „A little                        te im Ruhrgebiet investiert werden.

     less conversation, a little more action                    Zwei größere Maßnahmen befinden sich bereits in der
     please!“ Im Klartext: Statt Worten                         Umsetzung: Im Juni erfolgte zunächst der Startschuss
                                                                für eine Fassaden- und Dachbegrünung auf der Gemein-
     sollten Taten erfolgen!
                                                                schafts-Müll-Verbrennungsanlage Niederrhein (GMVA)
                                                                in Oberhausen-Lirich. Im September schließlich startete
                                                                das Dachbegrünungsprojekt bei der Energieversorgung
     Ein Appell, den sich auch die Politik zu Herzen nehmen     Oberhausen AG (evo). Mit den beiden von der Emscher-
     sollte. Viel ist geredet worden über den Klimawandel und   genossenschaft unterstützten Projekten wird der „Klima-
     die Klimafolgen-Anpassung. Medienwirksame Aufnahmen        resilienten Region mit internationaler Strahlkraft“ Leben
     der Kanzlerin im Gespräch mit „hochrangigen Klimafach-     eingehaucht. Die Begrünung von Dächern und Fassaden
     leuten“ wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer sind        trägt dazu bei, den Abfluss in die Kanalisation zu reduzie-
     nett, aber was folgt den Worten und Versprechungen?        ren und die Verdunstung zu steigern.
     Den ganz großen Wurf in der Klimaanpassung ist die Bun-
     desregierung nach wie vor schuldig geblieben.                Auf einigen bestehenden Gebäuden der GMVA mit Flach-
                                                                  dächern wird aktuell eine Extensiv-Begrünung realisiert.
     Wir in Nordrhein-Westfalen dagegen belassen es nicht         Als eine weitere Maßnahme werden auf dem Gelände
     bei Worten, sondern lassen längst Taten sprechen. Seit-      zwei Fassaden (Süd- und Westseite) begrünt. Insgesamt
     dem die Ruhr-Konferenz vor einem Jahr das Programm           wird eine rund 300 Quadratmeter große Wandfläche be-
     „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ auf grünt, um ein Biotop zu schaffen. Bei der evo werden die
     den Weg gebracht hat, ist viel passiert: Über 100 Projekte Dachflächen des Kraftwerksmaschinenhauses begrünt.
     befinden sich in der Vorbereitung, rund 250 Millionen Euro Das Gebäude bietet eine Fläche zur extensiven Dachbe-
EGLV.de   21

grünung von rund 1.470 Quadratmetern. Hinzu kommt das
Dach der sogenannten Feuerlöschstation. Die Fläche für
die Begrünung beträgt hier ca. 58 Quadratmeter.

Im Fokus des Projekts „Klimaresiliente Region mit interna-
tionaler Strahlkraft“ stehen Maßnahmen, die alle dem Ziel
dienen, bis 2040 mindestens 25 Prozent der befestigten
Flächen vom Kanalnetz abzukoppeln und den Verduns-
tungsgrad bis 2040 um zehn Prozentpunkte in der Region
zu erhöhen. Die Emschergenossenschaft setzt damit
fort, was bereits seit 2004 erfolgreich mit Kooperationen
wie der „Zukunftsvereinbarung Regenwasser“ sowie             Auf dem Luftbild noch eine Animation: begrünte
der Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“      Dach- und Fassadenflächen der Müllverbrennungsanlage
                                                             in Oberhausen.
begonnen wurde – auch hier arbeiteten das Land, die
                                                             Unten: Einweihung des Klimaprojekts mit
Kommunen sowie die Emschergenossenschaft zusam-              NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser.
men. Das Vorhaben ist mittlerweile deutlich ausgedehnt
worden: Mit dabei ist nun auch der Lippeverband, der mit
der Emschergenossenschaft unter einem Dach arbeitet.
Darüber hinaus werden auch der Ruhrverband, die Links-
niederrheinische Entwässerungs-Genossenschaft, der
Niersverband, der Regionalverband Ruhr sowie alle Ruhr-
gebietsstädte eingebunden.
                                                             Ansprechpartner: Andreas Giga
                                                             Leiter ZI-Service-Organisation
Gemeinsam lassen die Partner nun Taten sprechen!             giga.andreas@eglv.de
Emscher-Umbau

wasser
macht an
stadt-
grenzen
nicht Halt
Ein Großprojekt wie das Generationenvorhaben Emscher-Umbau geht vielleicht auch
nur deshalb so geräuschlos über die Bühne, weil es federführend von einer zentralen
Organisation – von der Emschergenossenschaft – gesteuert wird. Teilmaßnahmen wie
die Boye-Renaturierung in Bottrop, Gladbeck und Essen oder der Umbau des Hüller
Bachs in Bochum, Herne und Gelsenkirchen zeigen, dass der Emscher-Umbau nicht
nur technisch, sondern vor allem auch planerisch eine große Herausforderung ist…
24   WASSERSTANDPUNKT   Emscher-Umbau
EGLV.de   25

Renaturierung
der Boye
nimmt Fahrt auf
Nebenlauf der Emscher verläuft
mitsamt seinen Zuflüssen auf
drei Stadtgebieten
                                                             Ansprechpartner: Hans-Peter Strux
                                                             Gebietsmanager Emscher-Mitte
                                                             strux.hans-peter@eglv.de

Text Ilias Abawi | Fotos Rupert Oberhäuser

Das Boye-Gewässersystem ist ein hervorragendes Bei-          Vor knapp einem Jahr hat die Emschergenossenschaft
spiel dafür, wie wichtig eine interkommunale Zusammen-       bereits gemeinsam mit den Städten Bottrop und Glad-
arbeit – gebündelt und koordiniert unter einem Dach – in     beck die renaturierte Trasse der Boye im Pelkumer Feld
dieser Region ist. Wasser macht an Stadtgrenzen nicht        westlich der B 224 geflutet. Nichts erinnert mehr an die
Halt. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Boye, die als   einstige Köttelbecke. Keine trist-grauen Betonsohlschalen,
der Grenzfluss zwischen den Emscher-Städten Bottrop          die das Gewässerbett wie ein Korsett fesseln. Kein offen
und Gladbeck fließt und auf ihren letzten Metern sogar       fließendes Abwasser. Stattdessen: klares Wasser in einem
Essener Stadtgebiet tangiert. Dies gilt umso mehr auch für   sauberen Fluss, an dessen grünen Ufern sich die Natur
die vielen Nebengewässer der Boye: Der Kirchschemms-         den Raum recht schnell zurückerobert. Ihren geraden Ver-
bach und der Vorthbach münden hier aus Bottrop kom-          lauf hat die Boye an dieser Stelle verlassen und schlängelt
mend, während der Hahnenbach, der Haarbach, der Natt-        sich nun entfesselt durch ihre neue Aue. „Hier hatten wir
bach und der Wittringer Mühlenbach auf Gladbecker Seite      den Platz, um der Boye mehr Raum zu verschaffen – hier
mittlerweile in idyllisch begrünten Kurven in Richtung des   kriegt sie mit dem neuen Lauf nicht nur sprichwörtlich die
Vorfluters fließen.                                          Kurve“, sagt Projektleiter Harry Tiedtke.

Die Zuflüsse der Boye sind bereits seit vielen Jahren vom    Es ist auch ein kleiner Vorgeschmack auf die weiteren
Abwasser befreit und renaturiert. Als federführender Was-    Arbeiten, die nun im September begonnen haben: Die
serverband hat die Emschergenossenschaft im Rahmen           Revitalisierung der einstigen Köttelbecke setzt sich im
ihres Generationenprojekts Emscher-Umbau die Arbeiten        weiteren Verlauf der Strecke auf einer Länge von insge-
in enger Abstimmung mit den anliegenden Kommunen             samt 3,7 Kilometern auf den Gebieten der Städte Glad-
sowie den zuständigen Ämtern und Behörden koordiniert,       beck, Bottrop und Essen fort. Die Arbeiten der Emscher-
geplant und umgesetzt. Allein in den Kanalbau entlang        genossenschaft in diesem Bauabschnitt werden Ende
des Boye-Gewässers sind auf einer Länge von rund acht        2022 abgeschlossen sein. Die Natur und das Leben –
Kilometern knapp 80 Millionen Euro investiert worden.        sie kehren wieder an und vor allem in die Boye zurück!
Weitere 22 Millionen Euro investiert die Emschergenos-       Die stringente Umsetzung der anspruchsvollen und
senschaft insgesamt in die Renaturierung der Boye – die-     komplexen Boye-Planung ist dabei in erster Linie der
se nimmt gerade nicht nur Fahrt auf, sondern kann auch       genossenschaftlichen Organisationsstruktur der Wasser-
schon einiges an Erfolgen vorweisen!                         wirtschaft in unserer Region zu verdanken.
26   WASSERSTANDPUNKT   Emscher-Umbau

                                        Das neue Paradies: Der Dorneburger
                                        Mühlenbach hat sich nach der Renaturierung
                                        hervorragend entwickelt.
EGLV.de   27
Ansprechpartner: Björn Bauckhage
Gebietsmanager Emscher-Ost
bauckhage.bjoern@eglv.de

Eine Herausforderung –
in jeder Hinsicht
Umbau des Hüller Bach-Systems in Bochum,
Herne und Gelsenkirchen

Text Ilias Abawi | Foto Rupert Oberhäuser

Ein Paradebeispiel für grenzüberschreitende Zuständig-       in den drei genannten Städten. Den Anfang macht der
keiten und Kooperationen ist auch das Hüller Bach-           bereits abwasserfreie Marbach, der südlich der Autobahn
System in den Städten Bochum, Herne und Gelsenkirchen.       A40 etwa ab der Bochumer Innenstadt in der Zuständig-
Es ist das größte Nebenlaufgebiet der Emscher und für        keit der Emschergenossenschaft liegt. In seinem weiteren
die Abwasserfreiheit im zentralen Fluss des Ruhrgebietes     Verlauf nimmt er nördlich der A40 den bereits komplett
von essenzieller Bedeutung. Denn: Wenn die neuen             renaturierten Hofsteder Bach auf – hier beginnt der Hüller
unterirdischen Kanäle entlang des Hüller Bach-Systems im     Bach! Aus Bochum-Wattenscheid kommend fließen auch
kommenden Frühjahr an den großen Abwasserkanal Em-           der Ahbach, der Kabeisemannsbach und der Goldham-
scher angeschlossen werden, steuern sie pro Sekunde (!)      mer Bach in den Hüller Bach. Dabei bleibt es nicht: In
3.454 Liter Schmutzwasser bei. Eine stolze Menge, die        Bochum entspringt der Dorneburger Mühlenbach, der
dann nicht mehr offen in die Emscher eingeleitet wird und    wiederum durch Herne und Wanne-Eickel fließt und an
somit erst die Voraussetzungen für die spätere Renaturie-    der Grenze zu Gelsenkirchen in den Hüller Bach mündet.
rung des Flusses schafft.                                    Nördlich des ZOOM, in Gelsenkirchen-Bismarck, erreicht
                                                             der Hüller Bach schließlich die Emscher.
Die sogenannte Entflechtung des Hüller Bach-Systems ist
nicht nur technisch inmitten eng bebauter Stadtteile eine    Wer diesem komplexen Geflecht bereits beim Lesen
große Herausforderung. Auch die Planung der Maßnahme         kaum folgen konnte, stelle sich nur einmal vor, dass ohne
erfordert einiges an Abstimmungen, u. a. mit den Ämtern      die Emschergenossenschaft jede Stadt separat ihre
und Behörden der drei anliegenden Kommunen Bochum,           Abstimmungen mit den anderen Kommunen und den Be-
Herne und Gelsenkirchen – von den Absprachen mit den         zirksregierungen vornehmen müsste…
zwei ebenfalls zuständigen Bezirksregierungen Arnsberg
(für Bochum und Herne) sowie Münster (für Gelsenkirchen)     Obwohl, einen Moment mal – das hatten wir doch bereits:
einmal ganz zu schweigen. Das komplexe Geflecht              In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchten
verdeutlicht die Bedeutung von zentralen öffentlich-recht-   die Emscher-Anrainer zunächst isoliert für sich, die Ab-
lichen Strukturen wie der Emschergenossenschaft, die         wasser-Misere in den Griff zu bekommen. Alle Versuche
sich als Non-Profit-Unternehmen städteübergreifend           scheiterten jedoch, denn Wasser macht eben nicht an
um die Wasserwirtschaft kümmert – von Holzwickede bis        Stadtgrenzen Halt. Das Kirchturmdenken stoppte 1899
Dinslaken.                                                   erst der preußische Staat und zwang die Kommunen
                                                             zur Zusammenarbeit – es war die Geburtsstunde der
Um dieses Geflecht zu verstehen, lohnt sich ein Blick        Emschergenossenschaft und ein großer Schritt für die
auf die nicht weniger komplexen Verläufe der Gewässer        Entwicklung der Region.
alles
Programm Lebendige Lippe

fliesst
Nordrhein-Westfalen ist ein Land der Gewässer: Doch viele der 50.000 Kilometer
Bäche und Flüsse im Land bieten noch zu wenig Lebensraum für Tiere und Pflanzen.
An der Lippe ändert sich dies gerade. Als nächstes wird im Programm „Lebendige
Lippe“ der Bereich Werne/Lünen renaturiert.

                                                                    Rochus-
                                                                    kapelle

                                                                              Übergangs-
                                                                              bauwerk
                                                                                           Oberbodenabtrag

                                                                                                             Verfüllung
                                                                                                             Altverlauf
Lippeaue-Wehr
                                                                  „Schlagt“

                                                           Verfüllung
                                                           Altverlauf
                                                                                           Umbau
                                                                                           Umgehungsgerinne

     Kläranlage
     Werne

    Ablaufgraben
    Kläranlage                                                                             Neuanlage Lippe
    Werne

                                           Laufverlegung
                                           Horne                 Lippe:
     Neuanlage Lippe                                             Sohlanhebung, Aufwei-
     Rieselfelder                                                tung und Ufergestaltung

                                                           Umgestaltung
                                                           Mündung Beverbach
                                          Verfüllung
                                          Altverlauf

       Oberboden-
                       Pumpwerk
       abtrag
                       Bergkamen-Rünthe
Teilverfüllung
Altverlauf

                                                                                                        Foto Andreas Fritsche
30 WASSERSTANDPUNKT   Programm Lebendige Lippe

                                                 Je abwechslungsreicher ein Fluss ist, umso mehr Tiere siedeln
                                                 sich an – sie können Anzeiger für gute Gewässerqualität sein.
                                                 Sand, Steine, Holz oder Wasserpflanzen bieten ihnen
                                                 vielfältige Lebensräume.
EGLV.de   31

Ansprechpartner: Jochen Bauer
Projektleitung Werne/Lünen
bauer.jochen@eglv.de

Die gebänderte Prachtlibelle hat auffällig
gemusterte Flügel und erreicht Geschwindigkeiten
von 15 Metern pro Sekunde.

Aue in Sicht!
Lebendige Lippe: Renaturierung zwischen
Werne und Lünen
Text Anne-Kathrin Lappe | Foto Andreas Fritsche
Illustrationen Eberhard Reimann, Oliver Hasselluhn

Die biologische Vielfalt unseres                           verlängerungen, das Anlegen von Auen und das Anheben
                                                           der Gewässersohle setzt der Wasserverband die EU-weit
Planeten geht in beispielloser                             geltende Wasserrahmenrichtlinie um.
Geschwindigkeit zurück. Dabei ist das
Gefüge zerbrechlich: Stirbt nur eine                       „All unsere Maßnahmen dienen einem Zweck: Die Lippe
                                                           soll lebendiger werden. Mit der Renaturierung stellen wir
Pflanzenart aus, wirkt sich das auf die                    langfristig intakte Fluss-Auen-Ökosysteme wieder her
gesamte folgende Nahrungskette aus.                        oder verbessern sie“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstands-
                                                           vorsitzender des Lippeverbandes.
Dem Ökosystem Wasser fällt dabei
als strukturreichem Lebensraum eine                        Lippe wird 1,2 Kilometer länger
besondere Stellung zu.                                     Die ersten Planungen zur Neugestaltung durch den Lippe-
                                                           verband umfassen das Gebiet zwischen der Rochus-
                                                           kapelle und dem Lippeaue-Wehr „Schlagt“. Dieser Bereich
                                                           ist aktuell etwa 3,5 Kilometer lang – durch die Laufver-
Diesen Lebensraum zu schaffen und zu schützen ist Ziel     längerung könnte die Lippe hier nach Abschluss der Bau-
des Programms „Lebendige Lippe“, das der Lippeverband      arbeiten rund 1.200 Meter länger sein als bisher! Neue
im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen umsetzt.         Kurven im Flussverlauf schaffen mehr Auenbereiche, in
Zwischen Werne, Bergkamen und Lünen sind gleich            denen sich das Wasser kontrolliert ausbreiten darf. So
mehrere Maßnahmen am Gewässer geplant, die neue            könnten langfristig Hochwasserspitzen in anderen Berei-
Lebensräume für Pflanzen und Tiere schaffen. Durch Lauf-   chen abgemildert werden.
32   WASSERSTANDPUNKT        Programm Lebendige Lippe

     Der Mittellauf der Lippe bietet viel Potenzial für Renaturierungsmaßnahmen.

     Erhöhte Flusssohle bietet Vorteile für Flora und Fauna                                        Info
     Auf Höhe der Rochuskapelle soll die Flusssohle der Lippe
     angehoben werden. Ein neu angelegtes Übergangs-
     bauwerk, ähnlicher einer Fischtreppe, wird dann den                       Programm „Lebendige Lippe“
     Übergang zwischen den verschiedenen Sohlhöhen regeln.                     Der Lippeverband übernimmt neben der allgemeinen
     Auch für die Horne ist eine Umgestaltung vorgesehen:                      Pflicht der Gewässerunterhaltung auch die Umsetzung
     Der Nebenlauf soll einen naturnahen Anschluss an die                      der Wasserrahmenrichtlinie an der Lippe. Hierzu hat
                                                                               der Lippeverband im Auftrag des Landes NRW das
     Lippe erhalten.
                                                                               Programm „Lebendige Lippe“ für seinen Zuständig-
                                                                               keitsbereich aufgelegt. Für das Landesgewässer
     Renaturierung könnte Ende 2023 beginnen
                                                                               Lippe werden zu 100 Prozent Landesmittel eingesetzt.
     Die Planung zu diesem ersten Abschnitt soll Ende 2020
     bei der Bezirksregierung Arnsberg eingereicht werden.
     Kann die Bauausführung dann – nach Erteilung der
     Genehmigung – in der zweiten Jahreshälfte 2023 begin-
     nen, dauern die Arbeiten zur Renaturierung der Lippe
     rund zwei Jahre.
EGLV.de   33

Interview
mit Jennifer Schäfer-Sack,
Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft
der Wasserwirtschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen

Warum sind Renaturierungsprojekte      Was ist dabei aus Ihrer Sicht die         Das Landeswassergesetz wird
für die Gewässer in NRW so wichtig?    größte Herausforderung?                   aktuell novelliert. Was darf dabei
Nordrhein-Westfalen ist mit über                                                 nicht außer Acht gelassen werden?
50.000 km Bächen und Flüssen ein       Zeit, Flächenverfügbarkeit und Geld       Es gibt viele Herausforderungen bei
Land der Gewässer. Als Ökosysteme      – von allem haben wir zu wenig.           der Umsetzung der Wasserrahmen-
bieten sie wertvollen Lebensraum,      Ökologische Verbesserungen der            richtlinie, die von unterschiedlichen
der unseren Schutz verdienen. Leider   Gewässer können nur umgesetzt             Interessenslagen zwischen Landwirt-
sind – und das vor allem durch den     werden, wenn den Wasserwirt-              schaft, Kommunen oder Naturschutz-
menschlichen Einfluss – die meisten    schaftsverbänden Flächen zur Ver-         verbänden geprägt sind. Das hemmt
Bäche und Flüsse in unserer Region     fügung stehen. Anders können keine        die fristgerechte Umsetzung. Vor
nicht annähernd so naturnah, wie sie   Randbefestigungen entfernt und            allem in NRW ist aber nach wie vor die
sein sollten. Das müssen wir ändern    wertvolle Auenbereiche geschaffen         fehlende Verfügbarkeit von Flächen
und unsere Gewässer wieder in          werden. Die Umsetzungsprozesse            der entscheidende Punkt. Aus diesem
einen guten Zustand versetzen.         selbst sind häufig von langwierigen       Grund kann eine Streichung des
                                       Planungs- und Genehmigungsver-            gesetzlich verankerten Vorkaufrechts
                                       fahren geprägt, die über Jahre an-        im Landeswassergesetz, wie derzeit
                                       dauern. Wenn man bedenkt, dass            im Rahmen der Novelle vom Umwelt-
                                       die Zielerreichung bereits im Jahre       ministerium vorgeschlagen, nicht
                                       2027 zu erfolgen hat, müssen wir          nachvollzogen werden. Im Sinne des
                                       hier gemeinsam aufs Tempo drücken         Gewässer- und Artenschutzes sollte
                                       und Lösungen finden.                      zudem die Gewässerrandstreifenrege-
                                                                                 lung nicht aufgegeben werden.

                                                 Der Name ist Programm: Die Krawattenköcherfliege
                                                 erinnert nach der Landung an einen kleinen,
                                                 schwarzen Schlips.
34 WASSERSTANDPUNKT         Position EGLV

                          Wirtschaftlich stark, ökologisch sinnvoll

    Text Alexander Knickmeier                   Dennoch besteht auch weiterhin eine Wachstumslücke
                                                zu Boom-Regionen wie München oder Berlin. Zentraler
    Nachdem das Ruhrgebiet lange Zeit           Engpass für die Ansiedlung neuer Unternehmen ist die
                                                Verfügbarkeit von Flächen. So hat sich die Gesamtgröße
    in seiner wirtschaftlichen Entwick-
                                                der planerisch gesicherten Flächenpotenziale im Ruhr-
    lung hinter vergleichbaren Regionen         gebiet zwischen 2012 und 2017 um rund 740 Hektar bzw.
    in Deutschland zurückgeblieben              rund 27 Prozent verringert, sodass hier perspektivisch
                                                eine Knappheit zu befürchten ist.
    war, konnte die Region in den letzten
    Jahren aufholen. Mittlerweile liegt         Neben dem Thema Altlasten, die aufwendige Sanierungs-
    das Ruhrgebiet zum Beispiel in den          maßnahmen nötig machen, sind zu erwartende Anwoh-
                                                nerproteste und Probleme des Artenschutzes zentrale
    Bereichen Wirtschafts- und Beschäftig-
                                                Hürden. Um diese Gegensätze zwischen ökonomischer
    tenwachstum über dem Landes-                und ökologischer Notwendigkeit sowie gesellschaftlicher
    und Bundesschnitt.                          Akzeptanz aufzulösen, ist ein neues Planungsverständnis
                                                bei der Flächenentwicklung notwendig.

                                                Unter dem Stichwort „Nachhaltige Gewerbegebiete“ wird
                                                daher seit einigen Jahren ein breites Bündel an Instrumen-
                                                ten für die Gestaltung von Neuansiedlungen diskutiert.
EGLV.de   35

                                                      Zentraler Engpass für die Ansiedlung
                                                      neuer Unternehmen ist die Verfügbarkeit
                                                      von Flächen.

                für die Gestaltung von
                Neuansiedlungen wird zum
                Beispiel Verdichtung empfohlen

So wird zum Beispiel Verdichtung empfohlen und ins-           es, den negativen Einfluss auf den lokalen Wasser-
besondere von einer eingeschossigen Bauweise, wie             haushalt durch zusätzliche Versiegelungen möglichst
sie insbesondere für die Logistikbranche charakteris-         gering zu halten und zusätzliche Verdunstungsmöglich-
tisch ist, abgeraten. Eine mehrgeschossige Passivbau-         keiten zu schaffen, die das lokale Mikroklima abküh-
weise schont den Flächenverbrauch und erhöht die              len. Dazu gehören dann Maßnahmen für die ortsnahe
Wertschöpfungspotenziale auf den ausgewiesenen                Regenwasserversickerung, der Bau von Gründächern,
Gebieten. Befürchtungen, neue Gewerbeflächen hätten           das Pflanzen von Bäumen, die nachhaltige Gestaltung
einen besonders negativen Einfluss auf die Entwicklung        von Verkehrsflächen und Parkplätzen zum Beispiel mit
der Biodiversität, soll mit einer Strategie für mehr Arten-   Rasengittersteinen.
vielfalt entgegengewirkt werden. Dazu gehören bei-
spielsweise notwendige Ausgleichs- und Ersatzmaßnah-          In der Gesamtschau der Maßnahmen zeigt sich somit:
men vor Ort, die extensive Pflege der Grünflächen, der        Ökologische und nachhaltige Gewerbegebiete sind
Verzicht auf Düngemittel und Pestizide, begrünte Lärm-        möglich, entsprechende Konzepte lange vorhanden.
oder Sichtschutzmauern an den Grundstücksgrenzen als          Angesichts der absehbaren Folgen des Klimawandels,
Trittsteinbiotope, der Bau von Artenschutzhäusern und         des wirtschaftlichen Rückstands des Ruhrgebiets und
ein Beleuchtungskonzept, das Insekten möglichst wenig         der schwindenden Akzeptanz neuer Bauvorhaben in
gefährdet.                                                    der Bevölkerung gilt es, diese Konzepte hier in unserer
                                                              Region endlich in die breite Umsetzung zu bringen.
Darüber hinaus kommt dem Thema Wasser eine be-                Die Entwicklung der Steinkohle-Kraftwerksflächen
sondere Bedeutung zu. In Zeiten des Klimawandels gilt         böten dazu eine passende Gelegenheit.
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