50A ALLES IM GRIFF - Dirigentenforum

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50A ALLES IM GRIFF - Dirigentenforum
ZEITSC H R I FT DES DI R IGENTEN FORUMS
                 DEZEMB ER 2020

          ALLES IM GRIFF
              TROTZ CORONA?
     50
AUSGABE
50A ALLES IM GRIFF - Dirigentenforum
di r igenten forum 50 | dezemb er 2020
Editorial                                                                               Inhalt
                                            verschieben. Nun hoffen wir, dass 2021      Von Tränen in den Augen und großem
                                            wieder Kurse in angepasstem Format          Entwicklungspotenzial – Marcus Bosch
                                            möglich sein werden.                        und Yuval Weinberg im Interview     4

                                            Zur Chor- und Orchesterarbeit in            Konzerte während der Covid
                                            Corona-Zeiten hat Andrea Will Inter-        19-Pandemie – ein Erfahrungsbericht
                                            views geführt mit Yuval Weinberg,           von Judith Mohr                    8
                                            Alumnus des Dirigentenforums und seit
foto: Jann Wilken

                                            Beginn der Saison Chefdirigent des SWR      Dirigierkurs in Heidelberg:
                                            Vokalensembles, und Marcus Bosch,             Generalmusikdirektor Elias Grandy
                                            Chefdirigent der Norddeutschen Phil-          über das Musizieren in Zeiten von
                                            harmonie Rostock und Künstlerischer           Corona10
                                            Leiter der Opernfestspiele Heidenheim.
                                            Ihre Gedanken zum Umgang mit der              Das Wichtigste ist das gemeinsame
Liebe Leserin, lieber Leser,                Situation und Strategie der Zukunfts-         Erleben12
                                            planung lesen Sie auf den Seiten 4 bis 7.
alles im Griff trotz Corona?                                                            Werkstatt mit Cornelius Meister        13
                                            Wie Chorarbeit vor Ort ganz konkret
In den Sommermonaten fühlte sich das        aussehen kann, erzählt Judith Mohr,         Dirigierkurs mit dem WDR Funkhausor-
beinahe so an. Noch vor der Spielzeit-      ehemalige Stipendiatin des Dirigen-         chester:
pause konnten im Dirigentenforum            tenforums und Leiterin des Kölner             Am Pult darf's auch mal Polka sein 14
bereits wieder Kurse mit Orchestern         Kammerchors CONSTANT, auf den
stattfinden, Corona-taugliche Beset-        Seiten 8 und 9.                               „Nochmal ab Takt 39 bitte“          16
zungen wurden erprobt, Hygienekon-
zepte ausgetüftelt und verbessert –         Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit,         Proben mit den Hofer Symphonikern
Unterricht mit Abstand, aber immerhin       Flexibilität im Kopf und in der Planung,    unter Pandemie-Bedingungen       19
live!                                       Kreativität bei der Programmge-
                                            staltung, neue Partnerschaften und          Dirigentenforum hinter den Kulissen 20
Die besondere Situation brachte es          Netzwerke sowie ein hohes Maß an
sogar mit sich, dass sich spontan           Zuversicht und Optimismus – mit             Erfolge trotz Corona                  22
Möglichkeiten für neue Kurse ergaben,       diesen Anforderungen sehen sich alle
indem Orchester ihre frei gewordenen        Musikschaffenden derzeit konfrontiert.      Abschlusskonzert in Nürnberg          23
Dienste für Meisterklassen anboten.         Im Dirigentenforum versuchen wir
So fand im Juli erstmalig ein Kurs          unseren Teil dazu beizutragen, diese        Ricordi Berlin fördert das
mit dem Staatsorchester Stuttgart           besonderen Herausforderungen zu             Dirigentenforum24
und GMD Cornelius Meister statt, im         meistern.
Oktober standen zwei Kurse mit den                                                      Informationen zur Bewerbung 2021
Dortmunder Philharmonikern und dem          In der Hoffnung, dass im kommenden          26
Kursleiter-Doppel Gabriel Feltz und Prof.   Jahr wieder mehr musikalisches Mitei-       Informationen zur Bewerbung 2020
Rüdiger Bohn auf dem Programm. Es           nander möglich sein wird, wünschen          26
zeigte sich, dass musikalische Arbeit       wir Ihnen viel Freude bei der Lektüre
in Zeiten von Kontaktbeschränkungen         sowie eine gute Weihnachtszeit und          Fünf Fragen an...                     27
besonders wichtig und sinnstiftend ist.     hoffen auf ein baldiges Wiedersehen im
                                            neuen Jahr.                                 Bühne frei für Vielfalt - ein Gastbeitrag
Im Chorbereich gestaltet sich die Lage                                                  des Deutschen Musikinformationszen-
nach wie vor deutlich schwieriger.                                                      trums                                  28
Den für Anfang Oktober mit dem
RIAS Kammerchor in Berlin geplanten         Ihre
Wettbewerb um den Deutschen
Chordirigentenpreis mussten wir
schweren Herzens auf November 2021

                                                                                                                            2 | 3
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Von Tränen in den Augen und großem
Entwicklungspotenzial
Wie Prof. Marcus Bosch, Chefdirigent der Norddeutschen Philharmonie Rostock, und Yuval Weinberg, Chefdi-
rigent des SWR Vokalensembles, ihre künstlerische Arbeit in der Coronapandemie erleben. Von An d r ea Wi ll

Marcus Bosch war nach Stationen an         Aufnahmen für Cpo und den SWR mit
verschiedenen Theatern GMD der Stadt       einem quasi mit normalen Abständen

                                                                                                                            fotos: Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz
Aachen und GMD des Staatstheaters          spielenden Orchester machen konnte.
sowie der Staatsphilharmonie Nürn-         Überwältigend war, wie viele Tränen in
berg. Er hat die Künstlerische Leitung     den Augen hatten, als der erste Applaus
der Opernfestspiele Heidenheim inne,       des Publikums wieder im Saal aufbran-
ist Professor an der Hochschule für        dete, wie dankbar jeder jedem war...
Musik und Theater München und              Das erste in der DOV organisierte
Vorsitzender der GMD-Konferenz. Bei        Orchester war dann die Südwestdeut-
der Südwestdeutschen Philharmonie          sche Philharmonie in Konstanz, mit der
Konstanz ist Marcus Bosch Erster           ich im Bodenseestadion eine Operngala
Gastdirigent und steht bei der Nord-       u.a. mit Michael Volle und Barbara
deutschen Philharmonie Rostock als         Fritolli vor erstmals 500 Zuhörern und
Chefdirigent am Pult. Im Dirigenten-       übertragendem KlassikRadio machen
forum war er als künstlerischer Leiter     konnte.
bei Kursen und als Juror aktiv.            Aber auch während des Lockdowns           Dessi Kepenerova, Solo-Schlagzeugerin der
                                           haben wir mit der Norddeutschen           Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz,
Was war Ihr erster Gedanke nach dem        Philharmonie versucht mit einer Reihe     bei der Testung
Lockdown im Frühjahr, als Sie in der       „Klassik für Helden“ in Kooperation
Probe wieder am Pult standen, und wie      mit der OZ (Ostsee-Zeitung) unseren       kritischen Dialog geführt über
hat Ihr Ensemble den Wiedereinstieg in     Kulturauftrag zu retten und zu erfüllen   die Testungen, aber der Wille der
die künstlerische Arbeit gesehen?          und haben kleinere Konzerte aus dem       Musiker*innen gepaart mit einem
Es war ein großer Moment, in dem viele     Supermarkt, dem Gesundheitsamt, der       gewonnenen hohen Maß an Sicher-
Emotionen hochgekommen sind. Mein          Müllabfuhr etc. gespielt und über die     heit hat uns zurück auf die Bühne
erstes Projekt war sehr früh ein Orches­   OZ gestreamt.                             gebracht. Bei uns werden alle Aushilfen,
terkurs mit meinen Student*innen,          Aber mein musikalisches Leben hat mir     Gastdirigent*innen und Solist*innen
nachdem wir ja lange per Zoom              schon die Möglichkeit der Testungen       getestet. Aber nicht die Testmöglichkeit
unterrichten haben. Es war ein Wieder-     durch Centogene zurückgegeben.            alleine, sondern auch die gute Zusam-
einstieg von Null auf Hundert, der                                                   menarbeit mit dem Gesundheitsamt
meine beiden Tätigkeiten vereint hat,      Wie sah dann weiter für Sie und Ihr       und der Dialog um das Vertrauen des
denn einige Wochen später konnte ich       Haus die laufende Proben- und Auffüh-     Publikums waren ausschlaggebend.
das Kursprogramm im Rahmen einer           rungspraxis bis Oktober aus? Wie          Von meinen Kolleg*innen, die nach
„Klangwolke“ mit dem NDR realisieren       haben Sie es empfunden, im schmalen       ähnlichen Modellen gesucht haben,
und noch ein zweites Programm in           Korridor der Coronaschutzverordnung       habe ich viele Anrufe bekommen. Leider
derselben Woche aufnehmen.                 künstlerisch und kreativ zu arbeiten?     haben die meisten anderen testenden
Mein großes Glück war dann Prof. Dr.       Da bin ich sicher einer der glück-        Orchester in Deutschland weniger
Arndt Rolf, CEO der Biotechfirma Cento-    lichsten Dirigenten in Deutschland. Da    Erfolg bei den Behörden gehabt, was
gene in Rostock bei einem Konzert          in Rostock das Infektionsgeschehen        ich sehr bedauere.
kennenzulernen, der mir spontan            niedrig ist und wir Centogene als
Testungen für „meine“ und 15 weitere       Sponsor gewinnen konnten, ist unser       Was sind die besonderen Anforde-
Orchester über die GMD-Konferenz           Spielplan nach dem ersten Lockdown        rungen an die Musiker*innen, unter
zugesagt hat. So war es möglich,           – auf der Konzertbühne – unverändert      den Rahmenbedingungen der großen
dass ich mit der Cappella Aquileia,        weitergelaufen. Im Musiktheater wurde     Abstände zu musizieren?
dem Orchester der Opernfestspiele in       umgeplant. Die Plätze für das Publikum    Meistens hatte ich ja durch die Tests
Heidenheim als Erster in Deutschland       mussten wir natürlich einschränken.       eine normale Aufstellung, aber bei
ein Konzert vor Publikum und mit           Selbstverständlich haben wir einen        einer Aufnahme mit den Stuttgarter

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Philharmonikern hat sich gezeigt,          sind sich einig, dass der Kontaktver-       sind für mich nicht verhältnismäßig;
dass man viel mehr Zeit benötigt, bis      kehr, der sich im Kulturbereich ergibt,     eine Kulturnation wie Deutschland
alle sich neu eingehört und „justiert“     nicht zu den hohen Infektionszahlen         kann Kunst nicht einfach zwischen
haben. Der jahrelange Erfahrungshori-      beigetragen hat. Auf der Basis eines        Bordellen und Fitnessstudios
zont der Musiker*innen stimmt unter        evidenzbasierten Handelns sind dann         einordnen. Es gibt immer noch keine
den großen Abständen nicht mehr.           im Kulturbereich Schnelltests, die sicher   umfassenden Konzepte für Freiberufler
Konnte man sich auf ein bestimmtes         funktionieren und akzeptiert werden,        und Kulturschaffende in Mischformen,
Klangumfeld verlassen, sitzt man jetzt     eine gute Perspektive. Sowohl für die       um diese umfassend finanziell adäquat
vielleicht in einem akustischen Loch. Es   Menschen auf und hinter der Bühne, im       zu unterstützen. Das in Deutschland
bedarf eines anderen Spielgefühls, das     Graben, aber auch für das Publikum.         viel gepriesene Unternehmertum lässt
aber auch einen Trainingseffekt mit sich
bringt: Die aufgelöste Enge führt dazu,    Welche direkten
wieder mehr mit dem Auge zu arbeiten,      Rückmeldungen
den Ohren mehr zu misstrauen und           bekommen Sie von
stärker mit dem Schlag des Dirigenten      „Ihrem“ Publikum?
zu spielen.                                Welches sind seine
                                           Ängste, aber auch
Sehen Sie in der Notwendigkeit der         seine positiven
kleinen Besetzungen auch neue              Rückmeldungen in
Möglichkeiten und künstlerische            einer schwierigen
Formate?                                   Zeit?
Das war ein großes Thema mit meinen        Mir kam
Studierenden im Zoom-Unterricht,           ausnahmslos
coronagerechte Programme zu                unglaublich
„erfinden“ und planen. Welche geeig-       viel Dankbar-
neten Werke gibt es schon, und was         keit entgegen,          Marcus Bosch und die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz im
ist für welchen Raum passend? Viele        Begeisterung und        Konzert nach dem ersten Lockdown
Musiker*innen haben gute Streaming-        auch der Stolz
Angebote produziert, jedoch ist eine       der Besucher dafür, dass wir für das          die Politik hier leider im Regen stehen.
nachhaltige gute Platzierung des Strea-    Spielen gekämpft und das Publikum             Hartz IV kann nicht die Alternative für
mings äußerst schwierig, viele gehen in    nicht der Stille überlassen haben. Es         freischaffende Künstler*innen sein.
der Masse unter und nur wenige profi-      war eine besondere Art der Zuneigung,
tieren auch durch politische Aktionen.     die zu erfahren war. Wir hatten auch          Welche Auswirkungen der Coronakrise
Ich denke, digitale Formate werden sich    das Glück, dass wir eigentlich immer          sehen Sie im Amateurmusikbereich?
weiterentwickeln; in Schweden ist es       nahezu „ausverkauft“ waren, was               Können Laienensembles in der Krise
sogar schon möglich, über besonders        nicht in allen Städten so war. Gerade         von den Profis etwas abschauen oder
schnelles Internet zu proben, da das       im Publikum sind doch viele Ängste            hat andersherum der Profibereich eine
Internet quasi latenzfrei ist.             vorhanden, insofern ist auch nach dem         Art Vorbildfunktion?
                                           zweiten Lockdown wahrscheinlich               Amateurensembles können mitunter
Welche Farbe hat die Brille, mit der Sie   wieder eine vorsichtige Öffnung nötig.        schneller und flexibler handeln. Zum
ins nächste Jahr schauen? Sind Schnell-                                                  Beispiel hat ein Chor in Ulm Schnell-
tests für Ensembles und auch das           Wie sieht bzw. sah der Arbeitsalltag in       tests für Proben organisiert und konnte
Publikum ein wichtiger Bestandteil des     der Zeit des November-Shutdowns für           so ein Konzert auf die Beine stellen.
Kulturlebens in der nächsten Zeit?         Sie aus?                                      Hier steht keine Berufsgenossenschaft
Schnelltests könnten sehr wichtig          Mein Unterricht an der Hochschule für         mit vielen Vorgaben dahinter, die zu
werden in der Zukunft – abhängig           Musik und Theater München ist zum             erfüllen sind. Vorstände und künst-
davon, wie schnell geimpft werden          Glück im Moment als Präsenzunterricht lerische Leiter können mit guten und
kann. Es kommt jedoch darauf an, in        machbar. Wir können auch Konzerte             pfiffigen Ideen einiges bewirken. In
welchem Zusammenhang sie mit dem           streamen, das hat den Vorteil, mit            verschiedenen Altersstufen muss man
politischen Handeln stehen. Ich hoffe,     einem Stream eine Konzertsituation            sich wahrscheinlich allerdings auf
wir lernen mit dem Virus zu leben          mit der entsprechenden Spannung               Austritte einstellen.
und Leben wird ermöglicht, wo gute         kreieren zu können. Ansonsten sind bei        Bei den Profis abschauen ist für die
Konzepte vorliegen und nicht pauschal      mir alle Konzerte weggebrochen.               Amateure sicher in Sachen Hygiene-
verboten werden. Viele Fachleute           Viele Punkte des zweiten Lockdowns            konzepten sinnvoll, die von Fachleuten

                                                                                                                           4 | 5
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erstellt wurden. Das Hauptproblem des       hat Ihr Ensemble den

                                                                      foto: Klaus M ellenthin
Amateurbereichs ist aber die Raum-          Wiedereinstieg in die
frage. So gibt es zwar den Bauern, der      künstlerische Arbeit
für die Chorproben die Scheune zur          gesehen?
Verfügung stellt, aber in der Mehr-         Wir haben im Mai als
zahl werden diese Ensembles ihrer           erster Rundfunkchor
Proberäume beraubt; Schulen sind            sehr früh in einer
abends für Externe geschlossen, um          Kirche angefangen zu
nur ein Beispiel zu nennen. Hier wäre       proben, da waren die
unbedingt ein Wandel in der Hand-           Vorschriften streng:
lungsstrategie nötig, im Sinne von          5 Meter Abstand zur
„Was muss gemacht werden, damit             Seite und 6 Meter
es geht?“ und nicht „Wem muss was           zwischen den Reihen.
verboten werden?“. Eine Reinigung           Die ersten Stunden
durch UV-Strahlung ist z.B. nach dem        waren anstren-
Schulunterricht und ebenso nach der         gend, weil sich die
Chorprobe durchführbar. Ganz wichtig        Sänger*innen fast gar
ist, dass wir uns alle als Ganzes sehen:    nicht gehört haben,
Ein Amateurchor ist genauso wichtig         wodurch natürlich
wie ein Profiorchester, ein Großvater ist   Verunsicherung            Konzert im Juli: Yuval Weinberg mit dem SWR Vokalensemble
gleichermaßen systemrelevant wie ein        entstand. Ich habe
Kindergartenkind.                           mich auf die Proben                            schon lange und war sehr zufrieden,
      ___________________________           unheimlich gefreut, in der Tat war es          dass wir sie alle zusammen so schnell
                                            für mich dann auch sehr schwierig,             umsetzen konnten.
Yuval Weinberg studierte Chordiri-          denn ich kannte das Vokalensemble
gieren bei Jörg-Peter Weigle an der         noch gar nicht so gut und in so einer          Wie sah dann weiter für Sie und Ihr
Hochschule für Musik „Hanns Eisler“         Situation Vertrauen aufzubauen, ist            Haus die laufende Proben- und Auffüh-
Berlin und bei Grete Pedersen an der        nicht selbstverständlich. Aber was             rungspraxis bis Oktober aus? Wie
Norwegischen Musikhochschule.               alle sofort gemerkt haben: Hier liegt          haben Sie es empfunden, im schmalen
Begonnen hatte er seine Ausbildung          großes Entwicklungspotenzial. Und alle         Korridor der Coronaschutzverordnung
an der Buchmann-Mehta Musikhoch-            waren bereit, sich der Herausforderung         künstlerisch und kreativ zu arbeiten?
schule der Universität Tel Aviv. Er ist     zu stellen, die diese ungewohnten              Wir haben den Luxus, dass wir eine
erster Gastdirigent vom „Det Norske         Abstände für die klangliche Perfektion         sehr gute Lüftung haben – die Luft wird
Solistkor“ in Norwegen sowie künstle-       bedeuten. Von der ersten Probe an              immer gemessen, Abstände kontrol-
rischer Leiter des europäischen Ensem-      habe ich ein großes Zusammenge-                liert – und dass wir für den Chor ein
bles EuroChoir und arbeitet regelmäßig      hörigkeitsgefühl empfunden. Unsere             Team von Kolleg*innen nur für die
mit dem Chor des Bayerischen Rund-          Aufgabe ist es ja auch, gemeinsam              Umsetzung der Coronaeinschrän-
funks zusammen. Er war Dirigent des         Musik zu machen, das Publikum für              kungen haben. Bis auf freiberufliche
Osloer Kammerchors NOVA und des             Vokalmusik zu begeistern, und dabei            Aushilfen sind die Sänger*innen
Nationalen Jugendchors in Norwegen.         erfinderisch zu sein. Wir konnten dann         festangestellt. Wir sind in der glück-
Yuval Weinberg ist Preisträger zahl-        bald im SWR-Funkstudio proben, zu              lichen Situation, am Rundfunk vieles
reicher internationaler Wettbewerbe         unserer Erleichterung mit kürzeren             machen zu können, haben aber auch
und war Stipendiat im Dirigentenforum       Abständen. Im Juli konnten wir dann            gemerkt, dass aufgrund dessen, dass
und Finalist beim Deutschen Chor-           zwei Konzerte geben. Gemeinsam                 alle ein anderes Umfeld zu Hause
dirigentenpreis 2018. Mit Beginn der        und spontan haben wir ursprüng-                haben, wir die Situation nur gemei-
Spielzeit 2020/21 ist er Nachfolger von     liche Programme umgeplant und das              stert bekommen, wenn jeder auf sich
Marcus Creed als Chefdirigent des SWR       Konzert mit Einbindung des Publi-              und wir alle aufeinander achten. Als
Vokalensembles und damit jüngster           kums unter die Idee eines Kartenspiels         man ganz am Anfang des Sommers
Künstlerischer Leiter eines ARD-Klang-      gestellt. In kleinen Besetzungen zu 8, 12      noch nichts machen konnte, haben
körpers.                                    und einer Besetzung zu 16 wurde jedes          wir uns auf Aufnahmen beschränkt,
                                            Stück einer Spielkarte zugeteilt, und          wie z.B. die Aufnahme des Werks eines
Was war Ihr erster Gedanke nach dem         eine Person aus dem Publikum hatte             Komponisten, der live zugeschaltet
Lockdown im Frühjahr, als Sie in der        vor jedem Stück eine dieser „Stücke“-          war und unter großem technischen
Probe wieder am Pult standen, und wie       Karten zu ziehen. Diese Idee hatte ich         Aufwand sein Werk so hören konnte

di r igenten forum 50 | dezemb er 2020
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wie unsere Tonmeister. Generell proben     Abstand haben müssen, benötigen            freiberuflichen Musiker*innen – den
wir getrennt in zwei Gruppen zu 16         wir ein Fußballstadion für ein Konzert,    Aushilfssänger*innen bei uns und
Stimmen, was für mich doppelte Arbeit      wenn der ganze Chor singt – das war        insgesamt.
bedeutet. Häufig war viel Verunsi-         aber vor der „2. Welle“, seit einigen
cherung da, weil wir manchmal nicht        Wochen haben wir alles wieder etwas        Welche direkten Rückmeldungen
wussten, ob wir z.B. am nächsten           reduziert.                                 bekommen Sie von „Ihrem“ Publikum?
Tag proben dürfen. Ich musste dann                                                    Welches sind seine Ängste, aber auch
schnell entscheiden, welche Stücke wir     Sehen Sie in der Notwendigkeit der         seine positiven Rückmeldungen in
proben und ich habe die dann nicht         kleinen Besetzungen auch neue              einer schwierigen Zeit?
mehr streng nach Konzept, Thema oder       Möglichkeiten und künstlerische            Die Besucher, die im Juli nach den
einem bestimmten Stil ausgesucht,          Formate?                                   Konzerten zu mir gekommen sind,
sondern einfach gute Werke, die zu uns     Man wird mutiger, weil man weniger         waren ganz begeistert. Sie berichteten,
passen, denn es muss ja alles so schnell   Möglichkeiten hat, und entscheidet         dass sie sich so gefühlt haben, als seien
gehen. Saß ich früher oft lange Zeit an    schneller nach Bauchgefühl. Für mich       sie zum ersten Mal in einem Konzert
der Ausarbeitung von Programmen,           war es ein harter Anfang beim SWR,         gewesen. Trotz einer etwas weltunter-
so mache ich das nun in viel kürzerer      aber auch ein sehr intensiver. Ich kenne   gangsähnlichen Stimmung durch den
Zeit, irgendwie ist es auch befreiend:     durch die kleinen Besetzungen die          Mundschutz für das Publikum waren
Die Einschränkung der Stücke auf eher      Sänger*innen wirklich gut, weil ich sie    viel Freude und Dankbarkeit von Seiten
solistische Werke, die zu den kleineren    alleine hören und schneller korrigieren    des Publikums da.
Besetzungen passen, macht es auch          kann. Hier geht es nicht um richtig oder
leichter, und es sind immer noch viele,    falsch, sondern darum, dass wir alle       Wie sieht bzw. sah der Arbeitsalltag in
die aufführbar sind. Die katastrophale     besser werden und was dazu beige-          der Zeit des November-Shutdowns für
Darstellung der Chöre am Anfang            tragen werden muss. Das alles hat          Sie aus?
der Pandemie hat mich persönlich           dazu geführt, dass wir eine sehr offene    Wir dürfen proben im November und
getroffen, da zum Teil fundierte Unter-    Stimmung haben, und das ist etwas          machen das in zwei Gruppen von 16,
suchungen noch nicht vorlagen. All dies    sehr Schönes.                              die sich nicht treffen und komplett
hat dann zu den Riesenabständen für                                                   unterschiedliches Repertoire erarbeiten.
alle geführt.                              Welche Farbe hat die Brille, mit der Sie   Zurzeit proben wir für das Livestrea­
                                           ins nächste Jahr schauen? Sind Schnell-    ming, worauf ich mich total freue,
Was sind die besonderen Anforde-           tests für Ensembles und auch das           einfach, dass wir irgendetwas machen
rungen an die Musiker*innen, unter         Publikum ein wichtiger Bestandteil des     dürfen.
den Rahmenbedingungen der großen           Kulturlebens in der nächsten Zeit?
Abstände zu musizieren?                    Die Antwort auf die Frage nach den         Welche Auswirkungen der Coronakrise
Man singt mit großen Abständen             Schnelltests lege ich in die Hände der     sehen Sie im Amateurmusikbereich?
anders, da man sich in einem               Experten. Meine Aufgabe ist es, die        Können Laienensembles in der Krise
bestimmten Prozentsatz auf die Ohren       Antwort künstlerisch umzusetzen            von den Profis etwas abschauen oder
verlässt und das nun nicht mehr funk-      und etwas daraus zu machen. Wir            hat andersherum der Profibereich eine
tioniert. Jeder muss etwas solistischer    haben tolle Stücke und Projekte vor,       Art Vorbildfunktion?
singen, was wiederum zu weniger            mit denen wir sehr flexibel umgehen        Da haben wir Profis es sehr gut, weil
Chorklang führt. Dazwischen muss           können. Unser Repertoire ist im            sich viele andere Menschen um alles
man die Balance finden, was nun aber       Moment so, dass wir auf bestimmte          kümmern; so steht für jeden Fach-
super läuft. Insgesamt hört jeder die      Corona-Situationen reagieren und           bereich Personal zu Verfügung. Für
anderen schlechter. Haben zwei Stimm-      mit kurzem Vorlauf auf der Bühne           Amateurensembles ist der Aufwand,
gruppen den gleichen Ton, so üben          stehen können. So wurde aus meinem         Proben und Konzerte zu realisieren,
wir ihn einzeln und langsam so ein,        Antrittskonzert im November kurzfri-       enorm viel höher. Sie nehmen ihn aber
dass er über das innere Gehör dann im      stig ein Streamingkonzert gemacht.         dennoch auf sich, hoffe ich, weil die
Zusammensingen richtig kommt. Auch         Das musste natürlich für das Format        Leidenschaft und das Bedürfnis nach
Vokalausgleiche sind nicht einfach. Wir    kürzer sein, was aber kein Problem ist.    Musikmachen groß genug sind. Gerade
richten uns bei allen Vorgaben immer       Wir müssen uns davon verabschieden         wegen der tollen Möglichkeiten, die
nach den strengsten Regeln der Berufs-     zu denken, dass die Krise bald ganz weg    Profiensembles haben, können oder
genossenschaft, die mit Roll-Ups, also     ist, denn wir haben die Verantwortung      sollten wir Vorbild sein, auch wenn es
Aufstellern mit transparenten Folien,      aus der Musik etwas zu machen, und         um neue Formate geht, analog und
einen Abstand von 1,5 Metern ermög-        wir haben einfach unheimlich große         digital, die nicht nur Streaming sind.
licht haben. Denn wenn wir 3 Meter         Lust dazu. Meine echte Sorge gilt den      Wir arbeiten intensiv daran.

                                                                                                                         6 | 7
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Konzerte während der Covid 19-Pandemie –
ein Erfahrungsbericht                                               Von j u dith Moh r

                                                                                         drei Konzerte an zwei Tagen anzu-
                                                                                         bieten. Außerdem entschieden wir uns,
                                                                                         die Konzertlänge auf 45 Minuten zu
fotos: Lisa Mohns

                                                                                         reduzieren.
                                                                                         Der Kammerchor CONSTANT konzer-
                                                                                         tiert in Köln viel in Kirchen, die für
                                                                                         Kammerchöre attraktiv sind, d.h. die
                                                                                         nicht zu groß sind und über eine gute
                                                                                         Akustik verfügen. Selbst wenn wir auf
                                                                                         diese Räume zurückgreifen wollten,
                                                                                         konnten wir aufgrund der Abstands-
                                                                                         regeln jedoch nicht mit gesamter
                                                                                         Chorstärke auftreten. Es entstand also
                                                                                         die Idee, den Chor in 4 Teile zu teilen,
                                                                                         woraus wiederum 4 Doppelquartette
                                                                                          entstanden. Das Ziel war, dass diese
Probenarbeit des Kammerchors CONSTANT im AntoniterQuartier der Antoniterkirche Köln.      4 Doppelquartette sich ein Konzert
                                                                                          teilen.
Nachdem ich mit dem Kammerchor               Wie wären die Rahmenbedingungen              Gemeinsam mit dem Vorstand nahm
CONSTANT in Köln während der                 für ein solches Konzert und wo könnte       ich Kontakt zu unterschiedlichen
Monate März bis Mai 2020 in die digi-        es stattfinden?                             Kirchen auf und erfragte die Bereit-
tale Welt der Probenmöglichkeiten und        Als sich zu Sommerbeginn zeigte, dass       schaft eines Konzertes bei ihnen.
des Kontaktes abgetaucht war, durften        es wieder möglich sein würde, mehrere       Neben einzelnen Absagen fanden
wir uns im Juni endlich wieder live zum      Wochen am Stück zu proben und auch          sich recht bald zwei evangelische
Proben und Arbeiten treffen. Es wurde        eventuell zu konzertieren, hielten wir      Kirchen in Köln (Christuskirche und
schnell klar, dass wir unbedingt Ziele in    das erste Oktober-Wochenende als            Kartäuserkirche), die sich über kultu-
Form von Konzerten erarbeiten wollten.       Ziel fest. Wir hatten vor, aufgrund der     relle Angebote und Veranstaltungen
Miteinander zu singen und zu proben          reduzierten Zahl an Zuschauer*innen         nach der langen Pause im Frühjahr
war ein erstes
wunderbares
Gefühl, jedoch
wollten wir nach
außen hin auch
wieder präsent
sein und zeigen,
dass Konzerte
in diesen Zeiten
möglich, machbar
und auch gut
sind.
Bis wir am 2.
und 3. Oktober
erstmals wieder
konzertieren
konnten, hatten
wir jedoch einige
Fragen zu klären:
                      Coronagerechte Proben benötigen viel Platz.

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                                                                                     teilte ich die entsprechenden
                                                                                     Programmteile auf. Jedoch gab es hier
                                                                                     auch immer eine Erst- und Zweitbeset-
                                                                                     zung, sodass am Ende der tatsächliche
                                                                                     Ausfall von Sänger*innen kompensiert
                                                                                     werden konnte.

                                                                                     Wie war die Durchführung?
                                                                                     Bis kurz vor den Konzerten waren wir
                                                                                     unsicher, ob nicht noch etwas dazwi-
                                                                                     schen kommt. Jedoch konnte der
                                                                                     Kammerchor CONSTANT am 2. und
                                                                                     3. Oktober jedes Konzert wie geplant
                                                                                     durchführen. Bei den Stellproben wurde
                                                                                     mindestens so viel Zeit für die musika-
                                                                                     lische Vorbereitung wie für den Ablauf
                                                                                     benötigt: Einbahnstraßen-Prinzip,
                                                                                     Lüftungspausen, Masken für die Wege
                                                                                     bis zum Platz und zurück, Vorbereitung
                                                                                     des Zuschauerraums, Aufnahme der
                                                                                     Kontaktdaten etc.
Konzert in der Kölner Christuskirche                                                 Alle drei Konzerte waren mit knapp
                                                                                     40 Zuschauer*innen voll besetzt und
freuten und uns gerne unterstützten.      Das größte Problem war, wie den            mindestens für den Chor war es ein
Zusammen mit den Verantwortlichen         Sänger*innen eine möglichst wöchent-       wunderbares Erlebnis, endlich wieder
vor Ort besprachen wir die Bedin-         liche Arbeit garantiert werden             auf der Bühne zu stehen und live vor
gungen (40 Zuschauer*innen maximal,       konnte, wenn doch längst nicht alle        echtem Publikum musizieren zu dürfen.
Hygiene- und Lüftungsregeln etc.)         Sänger*innen in einen Raum passten.        Die Rückmeldungen aus dem Publikum
und entwarfen ein Konzept für einen       Die Probenmöglichkeiten in Köln sind       waren ebenso positiv und vor allem
Konzertabend. Die Zuhörer*innen           und waren auch nicht zahlreich gesät.      dankbar, dass wir wieder ein Konzert
konnten sich auf der Homepage des         So starteten wir nach den Sommerfe-        angeboten haben.
Chores zu den Konzerten anmelden.         rien den Versuch, parallel in Doppel-
                                          quartetten zu arbeiten, ohne dass ich      Rückblick: Um während der Covid
Wie sähe ein Konzertprogramm aus?         als Chorleitung durchgehend anwesend       19-Pandemie mit einem semiprofessio-
Durch die Reduzierung des Chores auf      war. Der Vorstand des Chores konnte        nellen oder Laien-Chor zu konzertieren,
vier Doppelquartette ergab sich eine      bis zu 3 mittelgroße Räume in Köln         sind enorm viele Handlungsschritte
Optimierung des Konzertprogramms.         finden, in denen wir parallel proben       nötig. Viele Hürden müssen über-
Aus Effizienz-Gründen bot es sich an,     konnten. Ich erstellte Einsing- und        wunden werden und zahlreiche Köpfe
am Juni-Programm festzuhalten, weil       Einstudierungs-Videos, Probenpläne,        sollten mitdenken, damit am Ende
dafür schon geprobt wurde. Da ich vor     Aufgabenkarten etc., damit die             nichts vergessen wird. Es ist bestimmt
Corona aber z.B. zwei Bearbeitungen       Ensembles ohne mich gezielt arbeiten       zu hinterfragen, ob dies immer so
von Clytus Gottwald und weitere viel-     konnten, ohne jedoch eine Person als       umsetzbar ist, da es von Sänger*innen-
stimmige Werke geplant hatte, arbei-      Probenleitung zu benennen. Wir verlän-     Seite eine ungleich höhere Auseinan-
tete ich im Sommer an einer Optimie-      gerten die Probenzeit um eine halbe        dersetzung mit dem eigenen Hobby ist.
rung. Einen Großteil des Programms        Stunde und ich fuhr in Köln mit dem        Aber es gibt mit Sicherheit die unter-
konnten wir behalten (Werke von           Fahrrad von Ort zu Ort und coachte         schiedlichsten Konzepte, die in dieser
Edward Elgar, Jean Sibelius, Nils Lind-   die Ensembles jeweils 30-45min lang.       Zeit zu realisieren sind. Das Ergebnis
berg, Claudio Monteverdi, Owain Park),    Hinzu kam Mitte September ein              jedoch – nämlich das Live-Erlebnis des
die nicht realisierbaren Werke tauschte   Probenwochenende, an dem jedes             Konzertes und des Gesanges – ist für
ich gegen Stücke von Clara Schumann       Ensemble ca. 3-4 Stunden nur mit mir       uns nicht zu ersetzen. Daher sind wir
und Caroline Mallonee.                    arbeiten konnte.                           in der aktuellen Situation unbedingt
                                          Für den Fall von Ausfällen arbeitete ich   bereit, mehr zu investieren, solange es
Wie sahen die Proben für die Konzerte     möglichst lange mit den Ensembles an       überhaupt die realistische Möglichkeit
aus?                                      allen Stücken. Erst Anfang September       gibt zu konzertieren.

                                                                                                                      8 | 9
R h ei n-N ec k ar-Zeitu ng, 16. J u li 2020

Generalmusikdirektor Elias Grandy über das
Musizieren in Zeiten von Corona
Von Mat th i as Roth

Herr Grandy, in Ludwigshafen, Speyer
oder Darmstadt finden seit etwa drei         fotos: Susanne R eichardt
Wochen wieder Live-Konzerte statt. In
Heidelberg wird erst jetzt ein halb-
öffentliches Konzert für besonders
treue Abonnenten gegeben. Warum
brauchte man hier so lange?
Zunächst ist es sehr schön, dass wir
noch vor der Sommerpause überhaupt
wieder mit dem Orchester arbeiten
können. Damit war nicht unbedingt
zu rechnen. Im Zusammenhang mit
Corona ist der deutsche Föderalismus
sehr deutlich geworden: Die Bundes-
länder sind unterschiedliche Regionen
mit unterschiedlichen Bedingungen
und geben sich daher auch unter-
schiedliche Corona-Vorschriften.
Hessen und Rheinland-Pfalz haben mit        Elias Grandy unterrichtet Hangyul Chung unter Pandemie-Bedingungen.
anderen Maßnahmen auf die Pandemie
reagiert als Baden-Württemberg.             Ganz untätig war das Heidelberger           wenn auch leider nur vor kleinem,
Außerdem haben wir den Mitarbeitern         Orchester während des Lockdowns             ausgewähltem Publikum. Das Dirigen-
und auch dem Publikum gegenüber             nicht.                                      tenforum gilt der Förderung junger
die Verpflichtung, ein Hygienekonzept       Das Theater und Orchester Heidelberg        Orchesterleiter und existiert mehrere
auszuarbeiten, das die Gesundheit aller     hat über 30 Auftritte in der ganzen         Jahrzehnte. Die Zusammenarbeit des
Beteiligter sichert. Wir dürfen diesen      Stadt und im Umland organisiert,            Philharmonischen Orchesters mit dem
Virus nicht unterschätzen, der die          die natürlich nicht groß angekündigt        Forum ist ein wichtiger Pfeiler der
ganze Welt erfasst hat und weltweit         werden konnten, um Menschen-                Nachwuchsförderung.
zu Einschnitten führt. Ich bin sehr froh,   ansammlungen zu vermeiden. Die
dass wir jetzt unter anderem in Abstim-     Musiker des Orchesters haben hierbei        Stellen die jetzigen Abstandsrege-
mung mit dem Betriebsärztlichen             in kammermusikalischen Besetzungen          lungen im Orchester die Stipendiaten
Dienst und dem Gesundheitsamt ein           nicht unerheblich mitgewirkt. Wir           vor besondere Herausforderungen?
klares, verantwortungsvolles Konzept        haben also in dem Rahmen, in dem es         Ein Dirigent steht ja immer besonderen
erstellen konnten. Und – das ist meine      möglich war, Live-Musik angeboten.          Herausforderungen gegenüber, und
persönliche Meinung – in Anbetracht         Doch die Lage war schwierig und ist es      man muss lernen, diese zu meistern.
dieser wirklich historischen Situation      immer noch aufgrund der Komplexität         Die Aufgabe ist, Lösungen zu finden.
wird am Ende nicht die Frage stehen,        der ganzen Situation.                       Wir wollten Werke aufführen, bei denen
wer 14 Tage früher oder später wieder                                                   man tatsächlich ein Orchester vor sich
mit Veranstaltungen begonnen hat.           Sprechen wir über die Stipendiaten des      hat und keine Kammermusikbeset-
Man wird höchstens fragen, ob alle          Dirigentenforums im Deutschen Musi-         zung. Die Streicher und vor allem die
ihren Beitrag dazu geleistet haben,         krat, die unter Ihrer Leitung hier einen    Bläser sitzen nun weiter auseinander
das Infektionsgeschehen so gut es           Meisterkurs absolvieren. Das Sommer-        als üblich: Das ist klanglich manchmal
geht – und es gelingt ja in diesem Land     konzert im Rahmen der Schlossfest-          heikel. Auch Timing-Fragen oder das
sehr gut – unter Kontrolle zu halten.       spiele konnte nicht stattfinden.            Zusammenspiel sind durch die aktuelle
Das wird die Frage sein, wenn das mal       … aber das Abschlusskonzert des             Aufstellung etwas erschwert. Aber
überstanden ist.                            Workshops können wir doch machen,           diese Schwierigkeiten sind nicht so

di r igenten forum 50 | dezemb er 2020
R h ei n-N ec k ar-Zeitu ng, 16. J u li 2020

                                                                                       nicht sinnvoll. Zum Beispiel haben
                                                                                       wir im 1. Philharmonischen Konzert
                                                                                       Beethovens Erste Sinfonie und das
                                                                                       Mozart-Klavierkonzert Nr. 27 (B-Dur)
                                                                                       auf dem Programm, die auch mit
                                                                                       größeren Abständen in diesem Raum
                                                                                       gut machbar sind. Das Stück von Karola
                                                                                       Obermüller, die den Künstlerinnenpreis
                                                                                       der Stadt Heidelberg erhält, passt eben-
                                                                                       falls. Das kann so umgesetzt werden,
                                                                                       wie es gedacht war.

                                                                                       Wie ist die Stimmung im Orchester?
                                                                                       Insgesamt ist einfach die Freude sehr
                                                                                       groß, überhaupt wieder zusammen
                                                                                       spielen zu können. Das ist deutlich
                                                                                       spürbar. Der Hunger, der Durst nach
                                                                                       Live-Musik ist sehr hoch, sowohl im
                                                                                       Orchester als auch im Publikum. Diese
Christoph Schäfer im Konzert mit dem Philharmonischen Orchester Heidelberg             Verbindung einer Gemeinschaft
                                                                                       durch den Klang, die ein Live-Konzert
groß, dass man sie nicht bewältigen          Wir freuen uns wahnsinnig, dass           ausmacht und die ich zuhause nicht
könnte. Heute in der Probe ging es in        es uns gelungen ist, ein Konzept zu       herstellen kann, löst große Begeiste-
keinem Moment um solche Corona-              entwickeln, das die Grundlage bietet,     rung aus, und die Vorfreude ist riesig –
bedingten Schwierigkeiten. Also inso-        die Philharmonischen Konzerte in          auf beiden Seiten. Dieser kleine Testlauf
fern ist der Probenablauf wieder relativ     der Neuen Aula fast wie ursprünglich      nun mit dem Stipendiaten-Konzert
normal.                                      geplant stattfinden zu lassen. Wir        wird zeigen, dass es möglich ist und
                                             haben das sehr genau berechnet und        wie es im Herbst weitergehen wird: Es
Vielleicht noch ein Wort zur                 hatten für die Aula von vornherein eher   wird vielleicht alles ein bisschen anders
kommenden Orchestersaison im                 Werke aus dem klassisch-romantischen      ausschauen, aber es wird sich nicht
Herbst: Konnte wenigstens ein kleiner        Repertoire vorgesehen, die der Größe      anders anfühlen. Da bin ich und sind
Teil der eigentlich vorgesehenen             des Raums angemessen sind. Hier den       wir alle im Moment sehr zuversichtlich.
Programmierung auch im Corona-               „Sacre“ von Strawinsky aufzuführen,
Konzept umgesetzt werden?                    wäre auch unter Normalbedingungen

Auf Abstand: David Bui probt mit dem Philharmonischen Orchester Heidelberg.

                                                                                                                        10 | 11
R h ei n-N ec k ar-Zeitu ng, 20. J u li 2020

Das Wichtigste ist das gemeinsame Erleben
Das Philharmonische Orchester Heidelberg spielte erstmals nach vier Monaten wieder live im Theater
Von Mat th i as Roth

Was für ein Klang! Ein volles Orchester
live auf der großen Bühne im Städ-

                                                                                                                                 foto: Susanne R eichardt
tischen Theater – das ist, nach ziemlich
genau vier Monaten Abstinenz, eine
fast wieder neue Erfahrung. Jedenfalls
ist es aber ein gutes Gefühl, sie wieder
zu hören, die Musiker des Philharmo-
nischen Orchesters Heidelberg.
Für ein ausgewähltes Publikum
spielten sie am letzten Freitag erstmals
nach dem Corona-Lockdown wieder
in großer Formation und wurden von
den großzügig im Zuschauerraum
verteilt sitzenden etwa 150 Gästen
überschwänglich und lang anhaltend
begrüßt. In Masken kamen die Musiker
auf die Bühne und nahmen mit gebüh-
rendem Abstand zueinander Platz, die
Bläser noch etwas weiter voneinander
getrennt als die Streicher. Es war die
Generalprobe zur Herbstsaison, die          Nikolaus Henseler leitet das Philharmonische Orchester Heidelberg.
man in der Neuen Aula am 7. Oktober
starten möchte: Ein ausgeklügeltes          zackig. Nikolaus Henseler hat bereits          an: Er begann mit der „Freischütz“-
Hygiene- und Sicherheitskonzept ist         einen Lehrauftrag an seiner Hochschule         Ouvertüre und setzte mit einem
dazu die Voraussetzung.                     in Trossingen, wo er bei Prof. Michael         Zwischenspiel aus Mascagnis „L’amico
Zu hören waren Ouvertüren und Opern-        Alber und Prof. Sebastian Tewinkel             Fritz“ fort. Er formte vor allem einen
Intermezzi von Mozart bis Johann            studierte, und arbeitete bereits mit           guten Streicherklang.
Strauß Sohn, dirigiert von vier Stipendi-   dem SWR-Vokalensemble unter Marcus             Ja, freilich: Ein spezieller „Corona-
aten des Dirigierforums im Deutschen        Creed. Henseler legte aber auch ein            Sound“ war letztlich insgesamt unver-
Musikrat: Der in Deutschland geborene       Studium der Philosophie und Germani-           kennbar. Vor allem für das Blech ist es
David Quang Tho Bui studierte an der        stik in Konstanz ab. Der hochgewach-           nicht leicht, eine gemeinsame Farbe
Hochschule Hanns Eisler, Berlin, und        sene Dirigent wählte die Ouvertüre             zu kreieren, und die Holzbläser haben
arbeitete bereits mit dem Brandenbur-       zur „Zauberflöte“ und ein Intermezzo           gelegentlich Mühe, sich durchzusetzen.
gischen Staatsorchester in Frankfurt        aus Mascagnis „Cavalleria Rusticana“.          Auch das Zusammenspiel des Streicher-
(Oder) und anderen Klangkörpern. Er         Er formte die Musik des Italieners sehr        Apparats ist heikel. Man wird mit
leitete die Ouvertüren zu Verdis „Macht     lyrisch, was bei den weit auseinander          diesen Schwierigkeiten noch eine Weile
des Schicksals“ und Strauß’ „Fleder-        sitzenden Musikern eine klangliche             leben müssen – und können. Denn das
maus“ mit souveräner Zeichengebung          Herausforderung war.                           alles ist nichts gegen die Tatsache, dass
und wienerischen Rubati bei Strauß.         Christoph Schäfer schließlich lernte das       man wieder spielen darf.
Hangyul Chung begann bereits in             Dirigieren in München bei Prof. Michael        Der Heidelberger Generalmusikdirektor
seiner Heimat Korea mit dem Diri-           Gläser und in Wien sowie an der Hoch-          Elias Grandy, der die Stipendiaten in
gieren, bevor er an die Hochschule nach     schule für Katholische Kirchenmusik            einem Meisterkurs coachte, formulierte
Mannheim kam, um bei Prof. Stefan           in Regensburg. Er gründete auch ein            es bei seiner Begrüßung treffend: „Das
Blunier zu studieren. Er dirigierte die     eigenes Vokalensemble und leitet den           gemeinsame Erleben ist das Sinnstif-
Vorspiele zu „Zigeunerbaron“ und            Musikalischen Gesangverein München.            tende in der Musik.“ Wie schön, dass es
„Nabucco“ das erste angemessen              Auch seinem Dirigat merkte man                 wieder stattfinden kann.
elastisch im Tempo, das zweite äußerst      durchaus schon eine gewisse Routine

di r igenten forum 50 | dezemb er 2020
Di r igenten forum

Werkstatt mit Cornelius Meister
Vom 13. bis 16. Juli 2020 fand erstmalig ein Dirigierkurs mit dem Staatsorchester Stuttgart statt. Von Eva Pegel

Cornelius Meister, GMD der Staatsoper
Stuttgart und Alumnus des Diri-
                                                fotos : Matthias Baus

gentenforums, hatte den Workshop
spontan ermöglicht, da das Orchester
bis dato nicht in Kurzarbeit war und
einige Dienste für die Nachwuchs-
förderung zur Verfügung stellen
konnte. Das Orchester hatte die Zeit
des Lockdowns unter anderem dafür
genutzt, um Beethovens Sinfonien
Nr. 1 bis 8 einzustudieren und, sobald
dies wieder möglich war, als Zyklus
in der Stuttgarter Liederhalle aufzu-
führen. Für den Dirigierkurs stand die
6. Sinfonie auf dem Programm. Die vier
Kursteilnehmer*innen Chanmin Chung,
Yura Yang, Julio García Vico und Claudio
Novati durften die Einstudierung der
„Pastorale“ übernehmen. Bei den zu
Kursbeginn üblichen Klavierproben saß
Cornelius Meister persönlich als Korre-
petitor am Klavier – eine Situation, die       GMD Cornelius Meister mit Chanmin Chung, Yura Yang, Benjamin Hartmann, Claudio Novati
ihm aus seinen eigenen Kursen beim             und Julio García Vico (v.l.n.r.)
Dirigentenforum noch wohlbekannt
war. Während der Orchesterproben               Nachbesprechungen. Mehrere Musiker-​        Im Anschluss an den Dirigierkurs über-
beobachtete er die Probenarbeit der            innen und Musiker hatten sich zudem         nahm Cornelius Meister wieder den
jungen Dirigent*innen von der Seite            bereit erklärt, den Stipendiatinnen und     Taktstock und dirigierte die General-
der Bühne aus, griff nur selten ins            Stipendiaten Feedback aus den jewei-        probe sowie das Konzert.
Geschehen ein, notierte vieles für die         ligen Stimmgruppen zu überbringen.

Yura Yang in einer Probe mit dem Staatsorchester Stuttgart

                                                                                                                            12 | 13
Köln isc h e Ru n dsc hau, 2. Oktob er 2020

Am Pult darf's auch mal Polka sein
Blick ins aktuelle „Dirigentenforum“, das zum Mittagskonzert ins WDR-Funkhaus lädt Von Ol af Wei d en

Wenn die Jugend auf dem Dirigierpo-

                                             fotos: Sabine GroSSe-Wortmann
dest zum Stab greift, dann trägt die
Polka manchmal zu Recht den Zusatz
„ohne Bremse“. Im WDR Funkhaus
haben die beliebten Noten von Eduard
Strauss den Weg auf die Pulte des
Funkhausorchesters gefunden, das in
dieser Woche für vier Orchesterproben
fünf junge Dirigenten begrüßte, die mit
ihnen ein tüchtiges Konzertprogramm
erarbeiten durften – eine spezielle Art
von Meisterkurs in der Sparte Orche-
sterdirigieren.
Der Deutsche Musikrat hat für seinen
dirigentischen Spitzennachwuchs
dieses „Dirigentenforum“ geschaffen,
ein aufwendiges Unternehmen.
Anders als bei den Instrumentalisten
besteht das Instrument des Dirigenten
bekanntlich aus einer ganzen Schar von      Harutyun Muradyan in der Generalprobe zum Lunchkonzert
Musikern. In der Ausbildung begegnen
diese dem werdenden Künstler in Form        Von Oper bis Filmmusik                     Ensembles suchen oder gleich ein
der Hochschulorchester, aber meist in       Die Maestri müssen sich oft in der         eigenes Orchester gründen. Das „Diri-
rarer Dosierung.                            Laien- und Semiprofessionellen-Szene       gentenforum“ hilft in dieser Misere,

Christoph Schäfer und das WDR Funkhausorchester

di r igenten forum 50 | dezemb er 2020
Köln isc h e Ru n dsc hau, 2. Oktob er 2020

die durch die legendäre Flexibilität des
zweiten Sinfonieorchesters des WDR
recht kurzfristig gelindert werden
konnte. Die Musiker des Funkhausor-
chesters sind halt nicht nur Spezialisten
für die leichte Muse, sie funktionieren
in allen Belangen großzügig und hilfs-
bereit.
So wurden die jungen Gäste mit
einem freundlich rheinischen Tusch
begrüßt. Konzertmeister Juraj Cizma-
rovic stimmte ein spontanes „Happy
Birthday“ im Orchestertutti für den
Ehrentag einer Geigerin an, die Atmo-
sphäre wurde locker familiär. Nun
wirkten die fünf Herren auch nicht
aufgeregt. Gleich der erste Kandidat,
der dreißigjährige Gabriel Venzago,
hat in Süddeutschland studiert und ist
in der zweiten Spielzeit Erster Kapell-      Gabriel Venzago probt mit dem WDR Funkhausorchester.
meister am Landestheater Salzburg.
Er ist also eigentlich ein Profi, aber ein   Kernrepertoire des am Ende stehenden       – bei allen Kandidaten – nach einigem
Dirigent lernt niemals aus.                  Mittagskonzerts bestimmt Unter-            Nachwürzen durch den Dirigenten
An dieser Stelle trat Enrico Delamboye       haltungsmusik der besseren Art, aus        Feuer, Abwechslung und Leben in die
ins Spiel, ein erfahrener Dozent, seit       Film, Oper, Operette und Tanzmusiken.      Musik.
einer Dekade Chefdirigent in Koblenz         Gabriel wählte einen Tango, eine Musik     Maestro Delamboye rochierte wie ein
und in der dritten Saison Erster             voller Emotion, mit wechselnden Tempi,     Fußballtrainer am Spielfeldrand. Er
Gastdirigent des WDR Funkhausor-             Stauungen und Ausbrüchen. Zunächst         huschte unter das imposante Orgel-
chesters – ein Niederländer, mit allen       lauschte er in einem Durchlauf, was die    prospekt, lugte hinter dem Klavier
musikalischen Wassern gewaschen.             routinierten Allesspieler des Senders      hervor oder beruhigte sich in der ersten
Die Polka deutete es schon an: Das           auf Anhieb anboten. Und dann wuchs         Sitzreihe.
                                                                                        Die Pädagogik erfolgte nicht während
                                                                                        der Probe, sondern vorher als Klavier-
                                                                                        probe und nachher anhand des
                                                                                        Mitschnitts der Einstudierung. Bei
                                                                                        Martijn Dendievel, mit 25 der jüngste
                                                                                        Teilnehmer, mischte er sich nur als Zeit-
                                                                                        organisator ein. „Sortieren wir noch mal
                                                                                        den Schluss“, lautete eine Anweisung,
                                                                                        der der just in Belgien ausgezeichnete
                                                                                        Dirigent gerne nachkam. Da musste
                                                                                        „ohne Bremse“ feinjustiert werden.
                                                                                        Die Gäste im Mittagskonzert erwartet
                                                                                        ein fulminantes Festkonzert mit jungen
                                                                                        Dirigenten, mögliche Damen waren nur
                                                                                        logistisch (im Fest-Engagement) oder
                                                                                        pandemisch (in Kolumbien festgesetzt)
                                                                                        verhindert. Das Programm strahlt in
                                                                                        vielen bunt gemischten Highlights, es
                                                                                        wird moderiert und sogar gesungen.
                                                                                        Das gefällt sicher nicht nur den jungen
                                                                                        Dirigenten.

Martijn Dendievel in der Generalprobe

                                                                                                                         14 | 15
terzwer k.de, 15. Oktob er 2020

„Nochmal ab Takt 39 bitte“
Von Naom i O e lke

Am Theater Dortmund hat Generalmu-
sikdirektor Gabriel Feltz am Wochen-
ende einen Dirigierkurs geleitet. In

                                               fotos: Magdalena Spinn
Zusammenarbeit mit Prof. Rüdiger
Bohn von der Robert-Schumann-
Hochschule Düsseldorf erarbeiteten
dort Studierende und Mitglieder des
Dirigentenforums anspruchsvolle
Orchesterwerke. Mit dabei: eine
15-köpfige Besetzung der Dortmunder
Philharmoniker.
Vor langen blauen Vorhängen,
zwischen Notenpulten und Stühlen im
coronakonformen 2-Meter-Abstand
steht Gabriel Feltz mit Prof. Rüdiger
Bohn und den Workshopteilnehmern             Hankyeol Yoon
mitten im Orchesterprobenraum. Auf
der Galerie sitzen weitere Studierende       Idee, jungen Dirigenten mit einem        Nr. 1 op. 9 und „Verklärte Nacht“ op. 4
Bohns mit ihren Partituren, sie dürfen       sehr schweren Stück eine Plattform zu    von Arnold Schönberg. Für die Teil-
zuschauen. Die Vorfreude auf die Probe       bieten, um sich mit diesem Orchester     nehmer eine Herausforderung.
ist den Musizierenden deutlich anzu-         auszuprobieren und wertvolle Dirigier­   Passend zu den Stücken haben Feltz
merken.                                      erfahrung sammeln zu können”, so         und Bohn aus ihrer Sicht besonders
„Durch diese weltweite Pandemie              Gabriel Feltz.                           gute junge Dirigenten ausgewählt, die
haben wir Freiräume im Spiel- und            Es geht um die Kontrolle und Verbes-     sich laut Bohn im „passenden Abschnitt
Probenplan des Orchesters bekommen,          serung der Schlagtechnik, und vor        des Studiums befinden, und denen die
und diese Zeit wollen wir nutzen. Die        allem um Herausforderungen wie           Werke in ihrer Entwicklung weiter-
Dortmunder Philharmoniker brennen            verschiedene Taktarten. Tempo- und       helfen.“ Schade nur, dass ausschließlich
darauf zu spielen, sie sind ein hoch         Taktwechsel stehen im Zentrum des        Männer in den Genuss kamen – wo es
motiviertes engagiertes Ensemble,            Workshops, was nicht zuletzt den sehr    doch in der Szene und an den Hoch-
das Spitzenleistung gewohnt ist und          anspruchsvoll ausgewählten Stücken       schulen immer mehr junge Dirigen-
einfach arbeiten möchte. So kam die          geschuldet ist: Die „Kammersinfonie“     tinnen gibt.

Hankyeol Yoon leitet die Dortmunder Philharmoniker.

di r igenten forum 50 | dezemb er 2020
terzwer k.de, 15. Oktob er 2020

Vor Ort                                    zu können
Gleich geht es los. Alle Musiker sitzen,   – entspre-
Gabriel Feltz und Rüdiger Bohn             chend stellt
beobachten das Geschehen von der           Feltz immer
Seite. Der erste Teilnehmer, Fernando      wieder konkrete
Palomeque, geht nach vorne und             Fragen, um die
begrüßt die Gäste. Er breitet seine        Teilnehmer
Arme aus und gibt den Einsatz, die         zum eigenen
Musik beginnt. Direkt nach ein paar        Reflektieren
Takten bricht er ab, bearbeitet einzelne   anzuregen.
Stellen sehr genau. Dennoch merkt          Auch in
man, dass das Orchester offensichtlich     schweren
Lust hat. Die Musiker lassen sich auf      Zeiten, so zeigt
den Dirigenten ein, geben Rückmel-         sich, wird die
dungen und fragen nach.                    Kunst durch
Allen Teilnehmern geben die                Aktionen wie
Workshop­leiter konstruktive Kritik.       diese am Leben
Besonders wichtig ist ihnen, so betonen    gehalten – was
sie immer wieder, dass die jungen Diri-    aber allerdings
genten selbstständig ihre Arbeit hinter-   nur gelingt,
fragen und Verbesserungspotenzial          wenn es genü-
erkennen. Nur stumpf verbessern Feltz      gend Akteure
und Bohn die Teilnehmer nicht. Ganz        gibt, die daran
im Gegenteil: die lebendige Interaktion    mitwirken. Dazu
zwischen Orchester und Dirigenten          zählen nicht
und dazu die Kritik der Dozenten           nur erfahrene       Clemens Mohr und GMD Gabriel Feltz
lassen erkennen, wie anspruchsvoll die     Musiker*innen
Aufgabe ist, die der leitenden Person      und Dirigent*innen, die ihr Wissen        ist Journalismus wichtig, der darüber
vor dem Orchester obliegt. Das Schwie-     vermitteln, sondern auch die jungen       berichtet – und nicht zuletzt ein
rigste dabei sei es, so die Workshop-​     Musiker*innen und Dirigent*innen, die     Publikum, das Konzerte besucht, wenn
leiter, die eigenen Fehler selber hören    die Tradition fortführen. Außerdem        es denn coronakonform möglich ist.

Gabriel Venzago                                                 Martijn Dendievel

                                                                                                                   16 | 17
3
                                                                       subs odip
                                                                           k r   tions-
                                                                          m elle
                                                                                   zur wahl

                 erste neuedition aus einer verlegerhand
                                                               ..
                   textkritisch - praxisorientiert - komplett kauflich
                         herausgeber: christian rudolf riedel

Symphonie Nr. 1                                   Symphonie No. 3               IN VORBEREITUNG

PB 5631 Partitur (Broschur)                       PB 5633 Partitur (Broschur)
PB 5661 Partitur (Leinen)                         PB 5663 Partitur (Leinen)
OB 5631–60 Orchesterstimmen im Set                OB 5633–60 Orchesterstimmen im Set
           Streicher 10.9.8.7.6 + Harmonie                   Streicher 10.9.8.7.6 + Harmonie
                                                  EB 9363 Klavierauszug
Symphonischer Satz
„Blumine“                                         Symphonie No. 4
PB 5642 Partitur (Broschur)                       PB 5634 Partitur (Broschur)
PB 5661 Partitur (Leinen)                         PB 5664 Partitur (Leinen)
OB 5642–60 Orchsterstimmen im Set                 OB 5634–60 Orchesterstimmen im Set
           Streicher 10.9.8.7.6 + Harmonie                   Streicher 10.9.8.7.6 + Harmonie
                                                  EB 8951 Klavierauszug

Weitere Informationen zur Edition aller
Mahler-Symphonien finden Sie auf
www.breitkopf.com/program/highlights/
gustav-mahler-die-symphonien
Di r igenten forum

Proben mit den Hofer Symphonikern unter
Pandemie-Bedingungen
Trotz der November-Beschränkungen war das Dirigentenforum in Hof willkommen. Von lisa Vald ivia

Erfreulicherweise konnte der Diri-
gierkurs des Dirigentenforums mit
den Hofer Symphonikern vom 16. bis
19. November 2020 trotz der Corona-
Beschränkungen stattfinden. Prof.
Ekhart Wycik, übernahm voller Enga-
gement kurzfristig die Leitung des
                                               fotos: Harald Dietz

Dirigierkurses in Hof, wobei ihn sein
Kollege Prof. Nicolás Pasquet von der
HfM Franz Liszt Weimar in einer Probe
vertrat, so dass die Stipendiaten gleich
zwei Lehrer in einem Kurs kennen
lernen durften. Ursprünglich waren
auch zwei Konzerte geplant, auf die           Artem Lonhinov und die Hofer Symphoniker
jedoch verzichtet werden musste. „Wir
hatten ein großes Glück, dass der Kurs        letztes Mittel. Jeder Auftakt, besonders      Das Programm wurde so gewählt, dass
gerade in diesen schwierigen Zeiten           für die Bläser, musste von uns unglaub-       den Hygienevorschriften entsprochen
stattfinden durfte!“, so der Teilnehmer       lich präzise sein, weil das optische          werden konnte: Richard Strauss‘ Suite
Artem Lonhinov. „Das Besondere an             Mitatmen einfach fehlte.“ Auch                B-Dur für dreizehn Blasinstrumente
dem Kurs war, dass wir auch bei den           Hangyul Chung machte eine ähnliche            op. 4 und Antonín Dvořáks Streicher-
Proben Masken tragen mussten. Dies            Erfahrung beim Dirigieren mit Mund-           Serenade E-Dur op. 22. „Durch seine
war für uns eine große Herausfor-             Nasen-Schutz: „Anfangs war es ziemlich        Lebendigkeit sowie sein pädagogisches
derung, da wir noch viel deutlicher           ungewohnt, aber dadurch konnte man            Fachwissen ging Prof. Ekhart Wycik
und lauter sprechen mussten, damit            sich viel mehr auf sein Dirigat und           gezielt auf die dirigentischen Fragen
die Musikerinnen und Musiker uns              seinen Augenkontakt mit den Musi-             ein und arbeitete sehr konzentriert mit
verstehen konnten. Wir Dirigenten             kerinnen und Musikern konzentrieren.          jedem einzelnen Teilnehmer“, erzählt
konnten plötzlich die Musik nicht mit         Sehr deutliche Ansagen und effektives         Christoph Schäfer. „Auch die Dopplung
unserem Gesichtsausdruck zeigen,              Proben waren mehr als gewöhnlich              der dozentischen Kompetenz gegen
nur die Augen waren sozusagen unser           erforderlich.“                                Ende des Kurses durch Prof. Nicolás
                                                                                            Pasquet war eine weitere Bereicherung
                                                                                            der Zeit in Hof.“
                                                                                            Ohne das große Engagement der Hofer
                                                                                            Symphoniker, ihrer Intendantin Ingrid
                                                                                            Schrader sowie der Orchesterdirek-
                                                                                            torin Stefanie Müller-Lietzau wäre
                                                                                            all dies nicht möglich gewesen. „Die
                                                                                            Hofer Symphoniker widmen sich seit
                                                                                            langer Zeit in einzigartiger Weise der
                                                                                            musischen Bildung und auch der Nach-
                                                                                            wuchsförderung im professionellen
                                                                                            Bereich. Deshalb sind wir gerne Gast-
                                                                                            geber für das renommierte Dirigen-
                                                                                            tenforum des Deutschen Musikrates“,
                                                                                            so Ingrid Schrader - und dafür ist das
                                                                                            Dirigentenforum allen Beteilgten sehr
Artem Lonhinov, Hangyul Chung, Christoph Schäfer, Sebastian Schwab und Prof. Ekhart Wycik   dankbar!

                                                                                                                           18 | 19
Di r igenten forum

Dirigentenforum hinter den Kulissen
Im zweiten Halbjahr 2020 hat sich auch hinter den Kulissen beim Dirigentenforum einiges getan.
Von L i sa Va l d ivi a

                                                                                            Chorgesang referierte. Harald Jers ist
                                                                                            Professor für Chorleitung an der Musik-
  fotos: Deutscher Musikrat.

                                                                                            hochschule Mannheim und hat sich
                                                                                            u.a. über die Zusatzqualifikation als
                                                                                            Diplom-Physiker in der musikwissen-
                                                                                            schaftlichen Forschung auf dem Gebiet
                                                                                            der Akustik einen Namen gemacht.
                                                                                            Darüber hinaus lud Alumnus Johannes
                                                                                            Klumpp im November dazu ein, sich
                                                                                            zum Thema „Mozart lesen – Mozart
                                                                                            musizieren“ auszutauschen, einem
                                                                                            Feld, auf das sich der Chefdirigent
                                                                                            und Künstlerische Leiter des Folk-
                                                                                            wang Kammerorchesters Essen sowie
                                                                                            Künstlerische Leiter der Heidelberger
                                                                                            Sinfoniker unter anderem spezialisiert
                                                                                            hat.
Corona-konforme Team-Sitzung im Garten des Bonner Hauses der Kultur: Lisa Valdivia, Eva     Im Februar 2021 wird Professor Lothar
Pegel, Marion Bach, Andrea Will (v.l.n.r.)                                                  Strauß, Erster Konzertmeister der
                                                                                            Staatskapelle Berlin, in der Reihe zu
Wie alle kulturellen Einrichtungen war        Harald Jers für dieses Format                 Gast sein, um mit den Stipendiat*innen
und ist natürlich auch das Dirigen-           gewonnen werden, der im Oktober               über die Aufgaben eines Konzertmei-
tenforum von den Corona-Einschrän-            über das Thema „Intonation im Chor“           sters und die Beziehung zwischen Diri-
kungen betroffen. Zwar waren Kurse            als einen der wichtigsten Aspekte im          gent und Konzertmeister zu sprechen.
wie in Heidelberg, Köln und Dortmund
zwischenzeitlich wieder möglich,
dennoch musste vieles auch wieder
abgesagt werden: der Deutsche Chordi-
rigentenpreis in Berlin, das Auswahldiri-
gieren sowohl für die Chor- als auch für
die Orchesterdirigent*innen. Neben der
Suche nach Lösungen, dem Abwägen
und Umplanen konnten aber immerhin
einige Dinge „hinter den Kulissen“ des
Dirigentenforums stattfinden.

Online-Seminare
Während des ersten „Lockdowns“
haben sich die von den Projekten des
Deutschen Musikrats angebotenen
Online-Angebote so sehr bewährt, dass
das Förderprogramm des Dirigenten-
forums nun durch regelmäßige Online-
Seminare ergänzt wird – unabhängig
von Corona.
Bei der Auswahl der Themen wurden
die Stipendiat*innen um Vorschläge            Rolf Ehlers, Leiter der Landesmusikakademie Rheinland-Pfalz, begrüßt die Teilnehmenden auf
gebeten. Erneut konnte Professor              Schloss Engers in Neuwied.

di r igenten forum 50 | dezemb er 2020
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