60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL - FÜR EINE BAYERISCHE ASYLPOLITIK MIT ZUKUNFT UND ANSTAND - Refugio München

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60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL - FÜR EINE BAYERISCHE ASYLPOLITIK MIT ZUKUNFT UND ANSTAND - Refugio München
60 FORDERUNGEN
ZUR LANDTAGSWAHL
FÜR EINE BAYERISCHE ASYLPOLITIK
MIT ZUKUNFT UND ANSTAND
60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL - FÜR EINE BAYERISCHE ASYLPOLITIK MIT ZUKUNFT UND ANSTAND - Refugio München
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                                                    Orten so lange wie möglich zentral unterge-
ZUSAMMENFASSUNG IN                                  bracht werden. In Bayern heißen diese Orte
NEUN FORDERUNGEN                                    Transit- und Ausreisezentren. Das gesamte
                                                    Asylverfahren wird dort nach Möglichkeit ge-
                                                    bündelt an Ort und Stelle durchgeführt. Ge-
    1. GLEICHBEHANDLUNG VON ALLEN                   flüchtete erhalten so wenig Kontakt wie mög-
       ASYLBEWERBER*INNEN
                                                    lich mit der Aufnahmegesellschaft und Bera-
Die Unterscheidung von Asylbewerber*innen           tungspersonen. Zustehende Leistungen werden
nach der angeblichen Bleibeperspektive oder         in den Megazentren auf das Mindeste redu-
einem „sicheren“ bzw. „unsicheren“ Herkunfts-       ziert. Der „Verfestigung des Aufenthalts“ wird
land“ ist abzulehnen. Egal, woher eine schutz-      durch die gezielte Desintegration und einge-
suchende Person stammt: Sobald sie in               schränkte Sozialleistungen entgegengewirkt.
Deutschland Asyl beantragt, stehen ihr unge-        Der Versuch, die Asylverfahren zu beschleuni-
achtet ihrer Herkunft unterschiedslos alle Integ-   gen, darf nicht auf Kosten einer menschenwür-
rationsleistungen zu. Andernfalls würde das         digen Unterbringung und Versorgung gehen.
Recht auf Asyl von Vornherein für eine erhebli-     Transit- und Ausreisezentren sind daher strikt
che Personengruppe faktisch abgeschafft. We-        abzulehnen.
der bei der Unterbringung, noch bei der Ertei-
lung von Arbeitserlaubnissen und sonstigen              3. WER ARBEITEN WILL, M USS ARBEI-
Leistungen ist eine Ungleichbehandlung daher               TEN DÜRFEN
legitim. Statistische Prognosen dürfen keine        Der Fachkräftemangel in Bayern ist offenkun-
Auswirkungen auf das Einzelschicksal haben.         dig. Der Wunsch von Arbeitgeberverbänden
Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsver-      und -kammern ebenso, Geflüchtete auszubil-
bot gem. Art. 3 III des Grundgesetztes verbietet    den und in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
die Benachteiligung von Menschen aufgrund ih-       Doch gerade in Bayern wird es aufgrund fakti-
rer Herkunft. Dieser Grundsatz muss auch im         scher Arbeits- und Ausbildungsverbote für Asyl-
Umgang mit Asylbewerber*innen gelten. Die           bewerber*innen und Geduldete immer schwie-
Staatsangehörigkeit eines Jugendlichen darf         riger, trotz Ausbildungsvertrags oder Stellenzu-
deshalb bei der Erteilung von Leistungen der        sage eine Arbeit aufnehmen zu dürfen. Die De-
Kinder- und Jugendhilfe – insb. bei umF -           vise der Bayerischen Regierung lautet: Aufent-
ebenso keine Rolle spielen.                         haltsbeendigung sticht Integration. Auf diese
                                                    Weise liegen die Potentiale der Geflüchteten
    2. DEZENTRALISIERUNG STATT K ASER-              für die bayerische Wirtschaft brach. Anstelle
       NIERUNG
                                                    Steuern abzuführen und Abgaben in die Sozial-
Eine dezentrale und bevorzugt private Unter-        versicherung einzuzahlen, sitzen die Geflüchte-
bringung vereinfacht die Integration von Ge-        ten tatenlos und frustriert in den Asylbewerbe-
flüchteten erheblich. Kleinere Unterkünfte er-      runterkünften herum. Niemandem ist mit die-
zeugen zudem weniger Stress und Konflikte. Sie      ser Politik geholfen: Nicht den Arbeitgebern, die
sind damit auch für psychisch belastete Bewoh-      händeringend nach Auszubildenden und Fach-
ner*innen geeigneter – diese Erkenntnis teilt       kräften suchen. Nicht den Kommunen, die sich
auch die integrationspolitische Enquete-Kom-        mit Problemen konfrontiert sehen, die aus der
mission des Bayerischen Landtages, welche ein-      Untätigkeit der Geflüchteten erwachsen. Nicht
hellig „kleinere Gemeinschaftsunterkünfte“          den Ehrenamtlichen, die vor den Kopf gestoßen
empfiehlt. Dieser Erkenntnis zum Trotz zeichnet     sind, weil all ihr Einsatz durch politischen Unwil-
sich in Bayern aktuell eine klare Tendenz ab: Im-   len zunichtegemacht wird. Nicht den Geflüchte-
mer mehr Geflüchtete sollen an immer weniger        ten, die demotiviert, verzweifelt, und immer

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häufiger psychisch krank werden. Und auch               5. FAIRE ASYLVERFAHREN
nicht der bayerischen Regierung selbst, weil
                                                    Das Asylverfahren ist der Lackmustest der De-
ihre Rechnung schlicht nicht aufgeht: Die frus-
                                                    mokratie. Am Umgang mit politisch Verfolgten,
trierten Asylbewerber*innen und Geduldeten
                                                    Kriegsflüchtlingen und lebensbedrohlicher Ar-
bleiben zum allergrößten Teil über Jahre in
                                                    mut Entflohenen zeigt sich, welchen Stellen-
Deutschland – weil sie einfach keine andere
                                                    wert die Achtung der Menschenwürde und der
Wahl haben. Asylbewerber*innen, die arbeiten
                                                    Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit in einem
wollen, müssen arbeiten dürfen. Und wer arbei-
                                                    Staat haben. Das individuelle Recht auf Asyl ge-
tet oder eine Ausbildung macht, muss hierblei-
                                                    bietet es, dass staatliche Behörden gewissen-
ben dürfen.
                                                    haft, nachvollziehbar und transparent arbeiten
                                                    – und eigene Fehler eingestehen und die richti-
    4. DEUTSCH- UND ALPHABE TISIE-                  gen Lehren daraus ziehen. Es erfordert, dass al-
       RUNGSKURSE FÜR ALLE UND SO
                                                    leine das individuelle Schicksal und nicht politi-
       FRÜH WIE MÖGLICH
                                                    sche Stimmungslagen darüber entscheiden,
Das Sprechen der deutschen Sprache ist ein we-      wer Schutz erhält und wer nicht. Es erfordert,
sentlicher Baustein für die gelingende Integra-     dass Asylbewerber*innen angemessen beraten
tion in Deutschland. Wer Deutsch spricht, kann      und rechtlich vertreten werden, damit sie den
sich mit Einheimischen verständigen und an-         staatlichen Organen auf Augenhöhe begegnen
freunden, seinen Alltag eigenverantwortlich         können. Es erfordert, dass Beamt*innen und
meistern und eine Arbeit aufnehmen. Deutsch-        Verwaltungsmitarbeitende gut geschult und
kurse müssen daher so früh wie möglich nach         unvoreingenommen auf die Klärung des Sach-
der Einreise und für alle Asylbewerber*innen        verhalts und einer interessengerechten Lösung
angeboten werden. Doch auch für bereits viele       hinwirken. Es gebietet, Menschen nicht in
Monate bis Jahre in Deutschland lebende Ge-         Kriegs- und Krisengebiete abzuschieben oder
flüchtete müssen kostenlose Kurse angeboten         wie Verbrecher einzusperren. Leider sind in
werden, falls es mit der deutschen Sprache          Bayern all diese Selbstverständlichkeiten in Ge-
noch hapert. Bei den Kursen muss auf den indi-      fahr. Das muss sich ändern.
viduellen Lernfortschritt geachtet und die Bil-
dung von Kleingruppen ermöglicht werden. Für            6. BESONDERS VULNERABLE PERSO-
Analphabet*innen braucht es flächendeckende                NEN BESSER IDENTIFIZIEREN,
Angebote, die den regulären Deutschkursen                  SCHÜTZEN UND UNTERST ÜTZEN
vorgeschaltet sind. Wer erfolgreich einen Kurs
                                                    Frauen, Kinder, Familien, traumatisierte Perso-
abgeschlossen hat, sollte bei Bedarf die Mög-
                                                    nen, LGBTQI, Alte, Gebrechliche, Kranke, unbe-
lichkeit eines nahtlos anknüpfenden weiterfüh-
                                                    gleitete Minderjährige, Opfer rassistischer oder
renden Kurses haben. Dabei sind vor allem be-
                                                    sexueller Gewalt und sonstige Personen mit be-
rufsfachbezogene Sprachkurse wichtig für in
                                                    sonderen Schutzbedürfnissen müssen im Asyl-
der Ausbildung oder Arbeit stehende Geflüch-
                                                    verfahren und bei der Versorgung besser iden-
tete. Kinderbetreuungsangebote müssen für El-
                                                    tifiziert und unterstützt werden. Zahlreiche völ-
tern mit Kindern zur Verfügung stehen, damit
                                                    ker- und unionsrechtliche Vorgaben wie auch
gerade auch weibliche Geflüchtete Deutsch ler-
                                                    einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung
nen können.
                                                    gebieten dies. Es muss daher sichergestellt sein,
                                                    dass die besondere Schutzbedürftigkeit recht-
                                                    zeitig erkannt wird. Außerdem müssen effektive
                                                    Maßnahmen ergriffen werden, um eine opti-

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male Unterstützung während des Asylverfah-              8. STRUKTUREN VERSTETIGE N UND ZU-
rens und den bedürfnisgerechten Zugang zu In-              GANGSBARRIEREN ABBAU EN
tegrationsmaßnahmen zu gewährleisten. Der           Im Zuge der stark angestiegenen Asylbewerber-
Schutz vulnerabler Personen muss oberste Pri-       zahlen seit 2014 wurden zahlreiche neue Asyl-
orität haben, eine Abschiebung dieser Personen      bewerberunterkünfte gebaut, Integrations-
darf nur in absoluten Ausnahmefällen und nach       maßnahmen erdacht, Flüchtlingsinitiativen ge-
sorgfältiger und unabhängiger Prüfung der Rei-      gründet und neues Personal eingestellt. Viele
sefähigkeit erfolgen. Ferner muss im Heimat-        der privaten und öffentlichen Initiativen, Pro-
land eine angemessene und tatsächlich zugäng-       jekte und Maßnahmen haben sich in den ver-
liche medizinische Versorgung gewährleistet         gangenen Jahren bewährt und einen wichtigen
sein und es dürfen keine sonstigen Gefahren         Beitrag zur gelingenden Integration von Ge-
durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure      flüchteten geleistet. Sie gilt es beizubehalten
drohen. Zweifel an der Reisefähigkeit oder Si-      und langfristig zu fördern. Die gewachsenen
cherheit im Heimatland müssen zugunsten der         Strukturen dürfen trotz der aktuell sinkenden
betroffenen Person gewertet werden.                 Asylbewerberzahlen nicht einfach aufgelöst
                                                    werden. Vielmehr erlauben sie nun eine bes-
    7. PERSPEKTIVEN FÜR GEDULDETE                   sere und individuellere Unterstützung der be-
Auch nach erfolglosem Asylantrag bleibt der         reits in Deutschland befindlichen Geflüchteten.
Großteil der abgelehnten Geflüchteten erfah-        Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass
rungsgemäß noch mehrere Jahre in Deutsch-           die geschaffenen Angebote auch tatsächlich für
land. Eine Rückkehr ist aus gesundheitlichen,       alle Geflüchteten zugänglich sind: Insbesondere
rechtlichen oder Gründen der persönlichen Si-       bei der medizinischen Versorgung fehlen nie-
cherheit auf unabsehbare Zeit häufig nicht          derschwellige Angebote in den Gemeinden, wo
möglich. Diese Realität muss die Politik aner-      Geflüchtete ohne vorherige Terminvereinba-
kennen. Sie muss geduldeten Personen deshalb        rung hingehen können. Bei Sprach- und Integra-
von Anfang an und für die Dauer ihres voraus-       tionskursen muss mehr Rücksicht auf die Be-
sichtlichen Aufenthalts in Deutschland eine Per-    lange von bereits arbeitenden Geflüchteten
spektive eröffnen. Die systematische Ausgren-       oder Geflüchteten mit Kindern genommen wer-
zung von geduldeten Personen in den vergan-         den. Bei der Bildung müssen Geflüchtete unter-
genen Jahren hat nicht zu der erhofften Zu-         stützt werden, die einen höheren Bildungsab-
nahme „freiwilliger“ Ausreisen geführt. Sie hat     schluss an einem Gymnasium oder einer Uni-
nur tausende von entwurzelten und völlig pre-       versität anstreben.
kär lebenden Menschen zusätzlich verunsi-
chert, desillusioniert und krankgemacht. Gedul-         9. KEIN BAYERISCHER SON DERWEG
dete Menschen müssen das Recht haben, frei          Asylpolitik ist vorrangig eigentlich Bundespoli-
ihren Wohnsitz zu bestimmen, zu arbeiten,           tik. Eigentlich, denn auf Verwaltungsebene wird
Deutsch zu lernen und ihren Beitrag für die Auf-    in Bayern das Bundesrecht so restriktiv wie in
nahmegesellschaft zu leisten. Sie müssen die        keinem anderen Bundesland angewendet. Viele
Chance bekommen, trotz des abgelehnten Asyl-        asylrechtliche Verschärfungen werden in Bay-
antrages einen Aufenthaltstitel zu erhalten,        ern durch besonders rigorose Durchführungs-
wenn sie über viele Jahre hinweg in Deutsch-        anweisungen an die bayerischen Asylbehörden
land gelebt haben und hier ihre neue Heimat         nochmals verschärft – und an und für sich
gefunden haben.                                     flüchtlingsfreundliches und integrationsför-
                                                    derndes Bundesrecht läuft durch entspre-

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chende Anweisungen durch die bayerische Re-
gierung vielfach ins Leere. Bayern hat innerhalb
                                                    103 BAYERISCHE ORGANI-
Deutschlands einen Sonderweg bei dem Um-            SATIONEN, DIE MIT GE-
gang mit Asylbewerber*innen, anerkannten
Flüchtlingen und Geduldeten eingeschlagen.          FLÜCHTETEN ARBEITEN,
Dieser Sonderweg ist aber leider eine Sackgasse
für die Integration von Geflüchteten. Er muss
                                                    UNTERSTÜTZEN DIESE
daher beendet werden.                               NEUN FORDERUNGEN
                                                    Erstunterzeichner*innen: Alveno e.V., Regens-
                                                    burg * Bayerischer Flüchtlingsrat, München und
                                                    Nürnberg * Förderkreis Don Bosco Berufsschule
                                                    e.V., Würzburg * Freiwilligenagentur Sonnen-
                                                    Zeit e.V., Ansbach * Haus International e.V.,
                                                    Landshut * IMEDANA e.V. /Internationales
                                                    Frauencafé, Nürnberg * Initiativgruppe e.V.,
                                                    München * Refugio München * Tür an Tür – In-
  AWO Arzberg                                       tegrationsprojekte gGmbH, Augsburg * Träger-
                                                    kreis Junge Flüchtlinge e.V., München ***
                                                    AGABY e.V. - Arbeitsgemeinschaft der Auslän-
                                                    der-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bay-
                                                    erns, Nürnberg * AK Flüchtlingshilfe Feucht-
                                                    wangen * AK-Asyl Gröbenzell * AK-Asyl Otto-
                                                    beuern * AKA- Aktiv für interKulturellen Aus-
                                                    tausch e.V, München * Akademischen Aus-
                                                    landsamt der Otto-Friedrich-Universität Bam-
                                                    berg * Arbeitskreis Asyl, Höhenkirchen-Sie-
                                                    gertsbrunn * Arbeitskreis Asyl Dachau * Arbeits-
                                                    kreis Asyl Freising * Arrival Aid gUG, Bayern *
                                                    Asylhelferkreis Puchheim * Asylhelferkreis Bo-
                                                    denmais-Böbrach * Asyl in Ostbayern - Ostbay-
                                                    erische Asylgipfel * Asylhelferkreis Olching *
                                                    Asylhelferkreis Steingaden * Asylhelferkreis
                                                    Wolfratshausen * Asylhelferkreis Eichenau *
                                                    Asyl Helferkreis Forstern * Asylhelferkreis Grö-
                                                    benzell * Asylhelferkreis Puchheim * Asylhelfer-
                                                    kreis Roth * Asylhelferkreis Türkenfeld * „Aus-
                                                    bildung statt Abschiebung!“ e.V., Regensburg *
                                                    AWO Arzberg * Bamberger Mahnwache Asyl *
                                                    Bayerische Ärzteinitiative für Flüchtlingsrechte
                                                    * Bildungszentrum Berufseinstieg (BzB), Mün-
                                                    chen * Bündnis für Illegalisierte, München *
                                                    CHANGE Chancen.Nachhaltig.Gestalten e.V.,
                                                    Bamberg * Evangelische Jugend Nürnberg *
                                                    Flüchtlingsrat Niedersachen, Hannover *

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Flüchtlingsrat Würzburg * Flüchtlingsrat Augs-       Stay Welcome e.V., München * unserVeto Bay-
burg * Freundeskreis Asyl Elching * FsF-             ern – Verband der ehrenamtlichen Flüchtlings-
Freunde statt Fremde e.V., Asylkontaktgruppe         helfer * Unterstützergruppe Asyl/Migration
Westallgäu * Gemeinnützige Gesellschaft zur          e.V., Dillingen an der Donau * Unterstützer-
Betreuung unbegleiteter Flüchtlinge mbH * Ge-        gruppe Hohenpeißenberg * Unterstützerkreis
meinWohlWohnen e.V., München * Gewerk-               Schwaig-Solidarisch * Verband binationaler Fa-
schaft Erziehung und Wissenschaft, Stadtver-         milien und Partnerschaften, iaf, e.V, München *
band München * Gewerkschaft Erziehung und            V!VOVOLOV e.V, Halsheim * Wir in Neuried e.V.
Wissenschaft, Landesverband Bayern * Hand in         (WIN), Neuried * YouthNet, München * ZU-
Hand Baiersdorf e.V. * Helferbund Asyl e.V.,         FLUCHT IN Selb e.V. * (Stand 24.09.2018).
Buchloe * Helferkreis Asyl Fürstenfeldbruck *
Helferkreis 2, Neu-Ulm * Helferkreis 2, Otterfing
* Helferkreis Alling * Helferkreis Gauting-West
* Helferkreis Asyl, Irschenberg * Helferkreis
Eggstätt * Helferkreis Asyl Gundelfingen/Donau
* Helferkreis Asyl, Hohenlinden * Helferkreis
Asyl, Obergünzburg * Helferkreis Landsberied *
Helferkreis Moorenweis * Helferkreis Asyl,
Mammendorf * Helferkreis Asyl Kirchheim bei
München e.V. * Helferkreis Asyl Ottobrunn/Ho-
henbrunn * Helferkreis Katharina-Mair-Str. 12,
Freising * Helferkreis Vierkirchen * Helferkreis
Wilburgstetten * Hilfe von Mensch zu Mensch
e.V., München * Initiative-Forum für interkultu-
relle Vielfalt e.V., Marktoberdorf * Integrations-
kreis Mindelheim * Interkulturelles Forum e.V.,
München * IPPNW Oberbayern * IN VIA Mün-
chen e.V., Fachbereich Migration * Katholische
Jugendsozialarbeit Bayern (KJS) * Kolping-Bil-
dungswerk München und Oberbayern e.V *
„Landshut schafft das!“ * Lichterkette e.V.,
München * matteo – Kirche und Asyl e.V., Nürn-
berg * Migrationsbeirat München * Miteinan-
der leben in Hadern e.V., München-Hadern *
mitnand e.V., Bad Grönenbach * Mobile Flücht-
lingshilfe Würzburg e.V. * MORGEN e.V. *
münchner mentoren e.V. * Münchner Flücht-
lingsrat * Netzwerk Bildung & Asyl, Bamberg *
Nürnberger Rat für Integration und Zuwande-
rung Projekt "Bleib in Nürnberg" * PAHN – Poli-
tische Arbeitskreise Helferkreise Region Nürn-
berg * PRO ASYL* Rechtshilfe für Ausländer*in-
nen München e.V. * REFUDOCS, München *
Seite an Seite e.V., Markt Schwaben * Seebrü-
cke München * Social-Bee gGmbh, München *

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                                                            Gewerkschaft
                                              Erziehung und Wissenschaft
                                                   Stadtverband München

60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
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                                                   19. Hilfe für die Arbeitgeber
DIE 60 FORDERUNGEN                                 20. Bessere Verzahnung und Abstimmung der
IM EINZELNEN                                           Angebote
                                                   WOHNEN & UNTERBRINGUNG SEITE 17
Grußwort
Forderungen zu den Themenfeldern                   21. Keine dauerhafte Kasernierung von Asylbe-
                                                       werber*innen
SPRACHE & BILDUNG                   SEITE 11
                                                   22. Dezentrale und gut erreichbare Asylbewer-
1. Kostenlose Sprach- und Orientierungskurse           berunterkünfte
   für alle Asylbewerber*innen                     23. Umverteilungen und Auszug erleichtern
2. Keine Einschränkungen der Schulpflicht in       24. Sachleistungsprinzip abschaffen
   den Erstaufnahmeeinrichtungen, Ausreise-
                                                   25. Überbelegung verhindern und Raum zum
   und Transitzentren
                                                       Leben schaffen
3. Mehr DaZ-Lehrkräfte an den Schulen und
                                                   26. Schutz vulnerabler Gruppen gewährleisten
   in den Übergangsklassen
                                                   27. Abschiebehaft verbieten
4. Mehr Sprachangebote für Analphabeten
   und Fortgeschrittene                            28. Mehr Wohnungen für anerkannte Flücht-
                                                       linge
5. Lernräume in den Unterkünften
                                                   29. Einheitliche Qualitätsstandards für Asylbe-
6. Bessere Binnendifferenzierung in den Kur-
                                                       werberunterkünfte
   sen und Klassen
                                                   30. Hilfe bei der Wohnungssuche
7. Mobilität erhöhen und unbürokratische
   Fahrtkostenerstattung                           GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE &
8. Zugang zu Gymnasien und Universitäten           INTEGRATION                 SEITE 20
   erleichtern
                                                   31. Langjährigen Geduldeten eine Perspektive
9. Flächendeckende Angebote der frühkindli-            eröffnen
   chen Erziehung und Betreuung
                                                   32. Anerkannten Flüchtlingen Sicherheit geben
10. Mehr Sprachangebote für Erwachsene
                                                   33. Ehrenamt stärken und fördern
ARBEIT & AUSBILDUNG                 SEITE 14
                                                   34. Vergünstigte Tickets für Kultur- und Frei-
11. Faktische und rechtliche Arbeitsverbote            zeitveranstaltungen sowie den Nahverkehr
    abschaffen                                     35. Einheitliche Kinder- und Jugendhilfe: Keine
12. Aufenthaltssicherheit während der Ausbil-          „Jugendhilfe light“ für umF
    dung                                           36. Rassismus benennen und politisch moti-
13. Transparente Vergabe von Arbeitserlaub-            vierte Gewalt verfolgen
    nissen                                         37. Dezentrale und private Unterbringung fo-
14. Beschleunigung der Genehmigungsverfah-             kussieren
    ren                                            38. Neuen Umgangston finden
15. Mehr Zeit für die Berufsorientierung und       39. Flüchtlinge politisch ermächtigen
    den Spracherwerb
                                                   40. Keine Leitkultur, sondern eine gemein-
16. Kontinuierliche Unterstützung während              same Kultur entdecken
    der Ausbildung
                                                   GESUNDHEIT                              SEITE 23
17. Vereinfachte Anerkennung von Berufs-
    und Bildungsabschlüssen                        41. Vollwertige medizinische Versorgung von
18. Mehr Unterstützung für arbeitende Flücht-          Asylbewerber*innen und Geduldeten
    linge                                          42. Gesundheitskarte für Asylbewerber*innen

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43. Niederschwellige Gesundheitsangebote in
    den Unterkünften und Gemeinden schaf-
    fen
44. Zugang zu ärztlichen Gutachten erleichtern
45. Psychische Erkrankungen ernstnehmen
    und mehr Therapieplätze schaffen
46. Kosten für Sprachmittler*innen erstatten
47. Unsicherheiten bei der Kostenerstattung
    beheben
48. Schwangere und vulnerable Gruppen bes-
    ser schützen
49. Stressfaktoren minimieren
50. Ärzt*innen unterstützen
ASYLVERFAHREN                        SEITE 26

51. Ergebnisoffenes und faires Asylverfahren
52. Ausreichend viele und unabhängige Asylso-
    zialarbeiter*ìnnen
53. Kostenlose Asylverfahrensberatung für alle           LESEHINWEIS
54. Kompetente Sprachmittler*innen und
    BAMF-Mitarbeiter*innen                               Die 60 Forderungen zur Landtagswahl 2018
55. Personengleichheit von anhörender und                richten sich an alle in Bayern zur Wahl ste-
    entscheidender Person                                henden Parteien, alle Landtagsabgeord-
56. Schutz des Kirchenasyls                              nete, politischen Mandatsträger*innen und
                                                         alle Entscheidungsträger*innen in bayeri-
57. Keine Dublin-Überstellungen in die Unge-
    wissheit                                             schen Asylbehörden. Sie beruhen auf den
                                                         jahrelangen Erfahrungen bayerischer Asyl-
58. Keine Abschiebungen nach Afghanistan
                                                         organisationen, privater Initiativen und Hel-
    und in sonstige Kriegs- und Krisengebiete
                                                         ferkreise. Nicht alle Forderungen können
59. Schutz von vulnerablen Gruppen
                                                         ohne Zustimmung des Bundesgesetzgebers
60. Familien schützen                                    umgesetzt werden. Doch alle Forderungen
                                                         kann die bayerische Regierung im Bundes-
                                                         rat und Bundestag unterstützen. Ein Um-
                                                         denken im Umgang mit Geflüchteten fängt
                                                         außerdem nicht erst bei der Gesetzgebung
                                                         an – sie beginnt bei jedem Einzelnen, in der
                                                         behördlichen Entscheidungspraxis und bei
                                                         der konkreten Umsetzung der asylrechtli-
                                                         chen Vorgaben.

                                                         Die genannten Unterstützerorganisationen
                                                         unterstützen die in der Zusammenfassung
                                                         genannten neun Forderungen. Sie unter-
                                                         stützen nicht notwendigerweise jede der 60
                                                         Einzelforderungen.

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GRUSSWORT

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

zwei Jahre lang war ich Zeuge einer einzigartigen Farce: ich war ständiges Mitglied der integrationspoliti-
schen Enquete-Kommission des Bayerischen Landtags, von den Grünen als „Experte“ berufen. Ich kürze
ab: nach 2 Jahren (das kostete die Steuerzahler*innen viel Geld) wurde der Bericht im Bayerischen Landtag
vorgestellt. Eine zentrale „Errungenschaft“ war, dass die zehn Abgeordneten (6 CSU) und die neun stän-
digen Expert*innen + sehr viele eingeladene Expert*innen, die jeweils nur an einer Sitzung teilnahmen,
dass wir alle die Erkenntnis gewannen, dass nur eine dezentrale Form der Unterbringung im Kleinen sinn-
voll, menschenwürdig und gesellschaftlich verträglich sei.

Doch mit der Veröffentlichung des Abschlussberichts im Juli war die heftige Phase des Wahlkampfes an-
gebrochen und die zweijährige (gute) Arbeit wurde in den Mülleimer gestampft! Nicht dezentral war und
ist die Maßgabe für Unterbringung, sondern abgeschottete und immer größere Unterbringungs-, Aus-
reise-, Transit- und sonstige „Zentren“ sollen entstehen und sind schon entstanden. Gleichzeitig verbündet
sich unser ehemaliger Ministerpräsident und jetziger Bundesinnenminister Seehofer im Geiste mit den
dubiosen und für überwunden gehofften Kräften aus Ungarn, Italien und Österreich, propagiert Abwei-
sungen an den Grenzen als Allheilmittel, obwohl sie in krassem Gegensatz zur Gesetzeslage stehen, ver-
hindert mit aller Gewalt Familienzusammenführungen, ein Pfeiler der Jahrzehnte langen Asylpolitik und
ein so wichtiger Grundsatz gelingender Integration. Zu allem Überfluss verkündet er voller Stolz und Zy-
nismus dann an seinem 69. Geburtstag, wie stolz und glücklich er ist, dass 69 Flüchtlinge abgeschoben
wurden. Und Söder und Dobrindt gesellen sich auf der CSU-Klausur applaudierend daneben.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Bei allen Rückschlägen, die ich in den letzten 29 Jahren hinnehmen musste, ist mir eine wunderbare Sache
stets geblieben: dass es sich lohnt, für mehr Gerechtigkeit und Menschenwürde einzustehen und das ist
ein unschätzbares Gut! Was uns auch immer widerfährt, wir sollten und wir werden uns niemals unter-
kriegen lassen. Ist es denn nicht erhebend, zu sehen, wie viel Gutes alle positiven Integrationsbemühun-
gen in den letzten Jahren bewirken konnten, zwischenmenschlich und gesamtgesellschaftlich?

Mit einem mutigen JA! in die Zukunft! Menschlichkeit lohnt sich!

Ihr Michael Stenger
Bambi-Preisträger für Integration
Gründer der Münchner „SchlaU-Schule“ für Flüchtlinge

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                                                              1. KOSTENLOSE SPRACH - UND ORIEN-
SPRACHE & BILDUNG                                                TIERUNGSKURSE FÜR ALLE ASYLBE-
                                                                 WERBER*INNEN
 „Bayern hat nahezu flächendeckend Sprach- und            Integrationskurse leisten für nicht schulpflich-
Schulangebote für Geflüchtete geschaffen. Das ist         tige Asylbewerber*innen einen wichtigen Bei-
im Vergleich mit anderen Bundesländern vorbildlich.
                                                          trag bei der Vermittlung von Deutschkenntnis-
In Bayern lautet die schulpolitische Devise, die schul-
                                                          sen und zur ersten Orientierung in Deutschland.
pflichtigen Flüchtlinge in das bestehende System zu
integrieren. Das passiert dann über sogenannte
                                                          Während des Asylverfahrens können die Kurse
Übergangs- oder Vorbereitungsklassen, welche dem          allerdings nur von Asylbewerber*innen mit ei-
gewöhnlichen Unterricht vorgeschaltet sind. Proble-       ner sog. „guten Bleibeperspektive“ besucht
matisch ist jedoch, dass die Regelschulen und die         werden. Alle anderen Asylbewerber*innen
dortigen Lehrkräfte meist wenige Erfahrungen mit          müssen den Ausgang ihres teilweise viele Mo-
Menschen haben, die über keinerlei Deutschkennt-          nate bis Jahre dauernden Asylverfahrens ab-
nisse verfügen oder teilweise noch nicht einmal           warten – eine Zeit, in welcher die Personen viel-
schreiben können. Außerdem sitzen in den Vorberei-        fach zum Nichtstun verdammt sind. Damit alle
tungs- und Übergangsklassen Schüler mit ganz un-
                                                          Asylbewerber*innen so früh wie möglich
terschiedlichen Vorkenntnissen in einem einzigen
                                                          Deutsch lernen können, müssen die Integrati-
Raum zusammen: Manche haben im Heimatland
bereits studiert, andere noch nie in ihrem Leben eine
                                                          ons- und Orientierungskurse für alle nicht schul-
Schulbank gedrückt. Für die über 16jährigen Asylbe-       pflichtigen Asylbewerber*innen von Anfang
werber ist das Modell der zweijährigen Berufsinteg-       und kostenlos geöffnet werden - egal, aus wel-
rationsklassen an den Berufsschulen geschaffen            chem Land sie stammen.
worden. Allerdings sind zwei Jahre selten ausrei-
chend, um angemessen Deutsch zu lernen und eine               2. KEINE EINSCHRÄNKUNG DER SCHUL-
fundierte berufliche und persönliche Perspektive zu              PFLICHT IN DEN ERSTAUFNAHME-
entwickeln. Das gilt sowohl für die fortgeschrittenen            EINRICHTUNGEN, AUSREISE- UND
wie auch die noch ganz am Anfang stehenden Schü-                 TRANSITZENTREN
ler. Häufig besuchen die Abgänger im Anschluss da-
her weitere Sprachkurse oder Vorbereitungsmaß-
                                                          Die Beschulung von schulpflichtigen Asylbewer-
nahmen. Naheliegend wäre es deshalb, von Anfang           ber*innen in den bayerischen Erstaufnahme-
an die garantierte Zeit an den Regelschulen auf min-      einrichtungen, Ausreise- und Transitzentren ist
destens drei oder vier Jahre hochzusetzen, vor- und       auf das Mindeste reduziert. Sie entspricht im
nachgeschaltete Angebote sinnvoll aufeinander ab-         Hinblick auf Umfang und Qualität nicht den
zustimmen, sowie Lehrkräfte gezielt darin zu qualifi-     Übergangs- und Vorbereitungsklassen an den
zieren, Schüler individuell zu fördern. So würde man      öffentlichen Regelschulen. Das Menschenrecht
einiges von dem Druck nehmen, der heute auf den           auf Bildung kennt keine Abstufungen: Unabhän-
Geflüchteten lastet. Und vermutlich würden dann
                                                          gig vom individuellen Herkunftsland muss Asyl-
auch nicht so viele Ausbildungen abgebrochen wer-
                                                          bewerber*innen der Besuch einer öffentlichen
den. Konzepte, die in den vergangenen Jahren ent-
standen sind, um Geflüchtete in Schulen zu integrie-
                                                          Schule tatsächlich und so früh wie möglich nach
ren, sollten nun sorgfältig evaluiert werden, um die      der Ankunft ermöglicht werden – egal, ob sich
Unterrichtsangebote kontinuierlich weiterzuentwi-         die Person aktuell in einer Erstaufnahmeein-
ckeln. Tatsächlich habe ich aber aktuell den Ein-         richtung oder einem der grundsätzlich abzu-
druck, dass infolge der rückläufigen Flüchtlingszah-      lehnenden Transit- oder Ausreisezentren befin-
len die mühsam aufgebauten Strukturen einfach             det.
wieder eingestampft werden – und all das gewon-
nene Wissen verloren geht.“ (Melanie Weber, Leite-
rin der Münchner SchlaU-Werkstatt für Migrations-
pädagogik)

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    3. MEHR DAZ-LEHRKRÄFTE AN DEN                   nen Integrationskurs oder sonstige Bildungsan-
       SCHULEN UND IN DEN ÜBERGANGS-                gebote besuchen. Konzentriertes Lernen ist in
       KLASSEN                                      den häufig mehrfachbelegten Schlafräumen in
Lehrkräfte mit einem DaZ-Studium sind beson-        den Asylbewerberunterkünften nicht möglich.
ders geeignet, geflüchteten Schüler*innen           Erforderlich ist daher grundsätzlich eine dezent-
Deutsch als Zweitsprache zu unterrichten. For-      rale und bevorzugt private Unterbringung von
male und bürokratische Hürden erschweren al-        Geflüchteten, welche ein konzentrierteres Ler-
lerdings DaZ-Absolvent*innen den Zugang zu          nen fördert. Solange dies nicht möglich ist, müs-
öffentlichen Schulen. Da auch in Zukunft Schü-      sen in den Asylbewerberunterkünften ausrei-
ler*innen mit Migrations- und Fluchthinter-         chend Lern- und Ruheräume für die Asylbewe-
grund in allen bayerischen Klassen sitzen wer-      ber*innen mitsamt ausreichend Schreibtischen
den, muss die Aufnahme von DaZ-Lehrkräften          und Sitzgelegenheiten zur Verfügung gestellt
in den öffentlichen Dienst erleichtert werden.      werden.
DaZ-Lehrkräfte, die weiterhin in befristeten Ar-
beitsverhältnissen oder auf Honorarbasis an             6. BESSERE BINNENDIFFERENZIERUNG
Schulen und in Integrationskursen arbeiten,                IN DEN KURSEN UND KLASSEN
sind wie vergleichbare Lehrkräfte an den öffent-    Die Vorbildung von Geflüchteten ist äußerst he-
lichen Schulen zu bezahlen.                         terogen. Trotzdem werden Geflüchtete in den
                                                    staatlichen Bildungsangeboten in der Regel ge-
    4. MEHR SPRACHANGEBOTE FÜR AN-                  meinsam unterrichtet, ohne auf individuelle
       ALPHABET*INNEN UND FORTGE-                   Vorkenntnisse ausreichend Rücksicht zu neh-
       SCHRITTENE                                   men. Um vorzeitige Kursabbrüche und die Un-
Für nicht alphabetisierte Asylbewerber*innen        ter- oder Überforderung der Geflüchteten zu
bedarf es zusätzlicher flächendeckender Alpha-      verhindern, ist eine stärkere Binnendifferenzie-
bethisierungsangebote, da Analphabet*innen          rung innerhalb der Integrationskurse, den Über-
auch nach Besuch der staatlichen Angebote           gangsklassen und den Berufsintegrationsklas-
häufig weiteren Förderbedarf haben und der          sen notwendig. Wo pädagogisch erforderlich,
Wechsel in die allgemeinen Deutschkurse ver-        müssen Kleingruppen angeboten werden kön-
früht ist. Gleichzeitig müssen für erfolgreiche     nen. Einheitliche Kompetenzfeststellungsver-
Absolvent*innen der Integrationskurse zusätzli-     fahren können dabei helfen, eine leistungsge-
che Anschlussangebote geschaffen werden, um         rechte Einordnung zu Beginn des Bildungsange-
die erworbenen Deutschkenntnisse auszu-             bots zu ermöglichen.
bauen und zu vertiefen. Insbesondere bedarf es
zusätzlicher berufsfachbezogener Sprachkurse,           7. MOBILITÄT ERHÖHEN UN D UNBÜ-
welche ohne zeitliche Verzögerung und unab-                ROKRATISCHE FAHRTKOS TENER-
hängig von der individuellen Bleibeperspektive             STATTUNG
an die vorhergegangenen Kurse anschließen.          Das Gros der Geflüchteten gelangt mit öffentli-
                                                    chen Verkehrsmitteln zu den Bildungseinrich-
    5. LERNRÄUME IN DEN UNT ERKÜNF-                 tungen. Damit Bildung nicht am Geld scheitert,
       TEN ZUR VERFÜGUNG STELLEN                    müssen alle Geflüchteten in Schule und Betrieb
Für den schulischen Erfolg wichtig sind ruhige      Anspruch auf Ersatz ihrer Fahrtkosten haben –
Räume, in welchen (berufs-)schulpflichtige Ge-      schnell und unbürokratisch. Ebenso sollten die
flüchtete den Unterricht vor- und nachbereiten      Fahrtkosten für ehrenamtliche oder kommu-
können. Gleiches gilt für diejenigen, welchen ei-   nale Integrationsmaßnahmen erstattet werden.

                 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
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Wo wiederum eine öffentliche Anbindung gänz-            10. MEHR SPRACHANGEBOTE FÜR ER-
lich fehlt oder sehr lückenhaft ist, müssen die             WACHSENE
Gemeinden und Städte dafür Sorge tragen, dass       Asylbewerber*innen über 21 Jahre sind nicht
Asylbewerber*innen rechtzeitig und zuverlässig      mehr berufsschulpflichtig und dürfen daher in
zu den Bildungsangeboten gelangen.                  der Regel nicht mehr eine Berufsintegrations-
                                                    klasse besuchen. Deutsch können sie nur im
    8. ZUGANG ZU GYMNASIEN UND UNI-                 Rahmen der staatlichen Integrationskurse ler-
       VERSITÄTEN ERLEICHTE RN                      nen, falls sie eine sog. „gute Bleibeperspektive“
Die Mehrheit der (berufs-)schulpflichtigen Asyl-    haben. Für alle anderen Asylbewerber gibt es
bewerber*innen besucht aktuell eine Mittel-         auf staatlicher Ebene nur wenige Programme
schule oder eine Berufsintegrationsklasse. Im       für den Spracherwerb. Doch auch über 21jäh-
Schuljahr 2016/2017 befanden sich beispiels-        rige Asylbewerber*innen benötigen eine Per-
weise 7.285 Personen in den Übergangsklassen        spektive in Deutschland. Auch für sie müssen
an den bayerischen Mittelschulen. Nur wenige        bereits während des Asylverfahrens und da-
hingegen gingen auf eine Realschule (292) oder      nach Angebote für den Deutscherwerb geschaf-
auf das Gymnasium (205). Der Staat muss Men-        fen werden – unabhängig von der Bleibeper-
schen mit Fluchthintergrund durch Stipendien        spektive oder dem Aufenthaltsstatus.
und zusätzliche Unterstützungsangebote ge-
zielt fördern, damit diese auch die Chance auf
einen höheren Bildungsabschluss haben. Um
insb. den Zugang zu Universitäten zu erleich-
tern, müssen zügige, kostenlose und tatsächlich
zugängliche Anerkennungsverfahren bestehen-
der Qualifikationen eingeführt werden: Denn
für Geflüchtete ist es häufig schwer, die erfor-
derlichen Zeugnisse für die Studienaufnahme
vorzulegen, da diese auf der Flucht verlorenge-
gangen sind oder sich noch im Heimatland be-
finden.

    9. FLÄCHENDECKENDE ANGE BOTE DER
       FRÜHKINDLICHEN ERZIE HUNG UND
       BETREUUNG
Geflüchtete mit Kleinkindern können nicht an
Integrations- und Bildungsmaßnahmen teilneh-
men, wenn es keine Betreuungsangebote für
ihre Kinder zwischen 0 und 6 Jahren gibt. Erfor-
derlich sind daher flächendeckende und effek-
tiv durchgesetzte Betreuungsangebote für
Flüchtlingskinder. Ergänzend dazu muss es
mehr familienfreundliche Bildungsangebote für
Mütter und Väter geben, damit Integration und
Familie Hand in Hand gehen können.

                 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
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                                                         Kampf um das Recht, arbeiten zu dürfen. Wer hinge-
ARBEIT & AUSBILDUNG                                      gen bereits eine Duldung hat, braucht schon sehr
                                                         viel Glück und viel Unterstützung vom Arbeitgeber,
                                                         um noch eine Ausbildung machen zu dürfen. Ein
„Seitdem das bayerische Innenministerium 2016 die
                                                         krasses Beispiel ist auch die 3plus2 Regelung: Ur-
Ausländerbehörden angewiesen hat, wie die asyl-
                                                         sprünglich stammte die Idee dafür aus Bayern:
rechtlichen Bestimmungen zur Arbeitsmarktintegra-
                                                         Wenn eine geduldete Person eine Ausbildung
tion anzuwenden sind, ist meine Arbeit als Anwältin
                                                         macht, soll sie und der Arbeitgeber Planungssicher-
deutlich schwieriger geworden. Davor war es ver-
                                                         heit haben. Doch heute wird das entsprechende
gleichsweise leicht, eine Arbeitsgenehmigung für ei-
                                                         Bundesgesetz in Bayern so restriktiv ausgelegt, dass
nen Asylbewerber zu erhalten, wenn der Arbeits-
                                                         es nahezu unmöglich ist, eine derartige Duldung zu
oder Ausbildungsvertrag vorlagen. Heute wird meis-
                                                         erhalten. Unterm Strich muss ich heute einfach für
tens verlangt, dass der Asylbewerber außerdem
                                                         Kleinigkeiten kämpfen, die früher selbstverständlich
Identitätspapiere vorlegt. Das ist aber aus prakti-
                                                         waren.“ (Anna Toth, Rechtsanwältin aus München)
schen Gründen oft nicht möglich. Ohnehin regelt das
Gesetz klar, welche Mitwirkungspflichten ein Asyl-
bewerber hat. Da heißt es, man müsse die vorhan-             11. FAKTISCHE UND RECHTLICHE AR-
denen Papiere abgeben. Nicht heißt es allerdings,                BEITSVERBOTE ABSCHAFFEN
man müsse neue beschaffen. Man verlangt also von         Die sog. „Bleibeperspektive“ darf bei der
den Asylbewerbern, zur Botschaft von jenem Land
                                                         Vergabe von Arbeitserlaubnissen, beruflichen
zu gehen, aus welchem man gerade geflohen ist.
                                                         Maßnahmen und sonstigen Förderleistungen
Überhaupt hat man das Gefühl, dass jede bayeri-
                                                         keine Rolle spielen. Arbeitsverbote für Perso-
sche Ausländerbehörde die Gesetze nach eigenem
Gusto auslegt. Das ist auch kein Wunder, denn die        nen aus sicheren Herkunftsländern und sol-
Weisungen des Innenministeriums sind selbst für er-      chen, die ihre Identifikationspapiere nicht bei-
fahrene Asylrechtsanwälte nicht ohne Weiteres zu         bringen können, sind ebenso abzulehnen. Die
verstehen. Vor allem auf dem Land können die Land-       Investition in die berufliche Bildung ist stets
räte ihre politischen Vorstellungen und Ambitionen       sinnvoll – unabhängig davon, wie lange eine
besonders deutlich den nachgeordneten Ausländer-         Person tatsächlich in Deutschland bleibt. Spä-
behörden diktieren. In den Städten ist es oft etwas      testens bei der Rückkehr profitieren das Hei-
besser, weil die Wirtschaft dort stärkeren Einfluss
                                                         matland und die zurückkehrende Person von ih-
hat und ja händeringend Arbeitskräfte sucht. Ein of-
                                                         ren in Deutschland erworbenen Qualifikatio-
fensichtliches Beispiel für eine rechtswidrige Praxis
                                                         nen. Wer daher arbeiten möchte und eine Ar-
ist das reihenweise Einkassieren von Arbeitserlaub-
nissen, wenn ein Asylbewerber vom BAMF abge-             beit oder Ausbildung in Aussicht hat, soll tat-
lehnt wurde und nun dagegen vor Gericht klagt. Die       sächlich die Möglichkeit dazu haben. Um den
Rücknahme der Arbeitserlaubnis ist eigentlich noch       Arbeitgebern und Geflüchteten Planungssicher-
nicht möglich, da das Asylverfahren bis zum Ge-          heit zu geben, müssen erteilte Arbeits- und Aus-
richtsurteil noch nicht rechtskräftig beendet ist. Die   bildungsgenehmigungen auch dann noch gel-
Ausländerbehörden interessiert das aber wenig. Kla-      ten, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde.
gen müssen die Behörden nicht befürchten, dazu           Denn auch nach der Ablehnung bleiben Ge-
fehlt es an ausreichend Anwälten und Geld bei den
                                                         flüchtete in der Regel noch viele Monate bis
Asylbewerbern. Wird mal eine Dienstaufsichtsbe-
                                                         Jahre in Deutschland. Diese Zeit gilt es zu nut-
schwerde gegen einzelne Beamte eingelegt, bleibt
                                                         zen – für die Zeit in Deutschland oder für das
das folgenlos. Selbst bei Asylbewerbern aus den
TOP-five Herkunftsländern mit guter Bleibeperspek-       spätere Fußfassen im Heimatland.
tive ist es mittlerweile nicht mehr sicher, dass diese
eine Arbeitserlaubnis erhalten. Eigentlich sind es nur       12. AUFENTHALTSSICHERHEI T WÄH-
noch Syrer und Menschen aus Eritrea, wo man ver-                 REND DER AUSBILDUNG
gleichsweise sicher eine Arbeitserlaubnis erhält. Bei
                                                         Wer nicht weiß, was morgen passiert, kann sich
allen anderen ist es ein immer häufiger erfolgloser
                                                         nicht auf die Ausbildung konzentrieren. Und ein

                   60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
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Arbeitgeber, der nicht weiß, wo der Azubi oder          14. BESCHLEUNIGUNG DER G ENEHMI-
Angestellte in vier Wochen ist, schreckt vor ei-            GUNGSVERFAHREN
ner Anstellung zurück. Geflüchtete in der Aus-      Arbeitgeber benötigen eine schnelle Rückmel-
bildung und in beruflichen Qualifizierungsmaß-      dung, ob die geflüchtete Person eine Arbeit
nahmen brauchen daher eine sichere Aufent-          oder Ausbildung aufnehmen darf. Häufig ist die
haltsperspektive. Ein wichtiger Schritt dorthin     Arbeitsstelle bereits besetzt, wenn endlich die
ist die effektive Durchsetzung der sog. 3plus2      Arbeitserlaubnis vorliegt. Ebenso kann eine
Regelung: Diese sollte Geduldeten und Ausbil-       Ausbildungserlaubnis erst dann beantragt wer-
dungsbetrieben ursprünglich Planungs- und           den, wenn der fertige Ausbildungsvertrag be-
Aufenthaltssicherheit geben. Tatsächlich wird       reits vorliegt – ein für die Ausbildungsbetriebe
die Regelung in Bayern so restriktiv angewendet     mit großer Unsicherheit behaftetes Vorgehen.
wie in keinem anderen deutschen Bundesland.         Die Genehmigungsverfahren müssen beschleu-
Die Folge: Nur wenige Geduldete konnten die         nigt werden und unnötige Hürden wie die Vor-
Regelung bisher in Anspruch nehmen. Das ar-         rangprüfung vollständig und flächendeckend
beitgeber- und flüchtlingsfreundliche Gesetz        abgeschafft werden. Für die Beantragung einer
muss deshalb so ausgelegt werden, wie der           Arbeits- oder Ausbildungserlaubnis muss die
Bundesgesetzgeber es ursprünglich im Sinn           formlose Zusage des zukünftigen Arbeitsgebers
hatte – und nicht wie die bayerische Landespo-      ausreichend sein. Ansonsten scheitern Chancen
litik es sich wünscht. Grundsätzlich sollen Ge-     an Formalien.
flüchtete mit einer begonnenen oder in Aus-
sicht stehenden Ausbildung in Deutschland blei-
                                                        15. MEHR ZEIT FÜR DIE BE RUFSORIEN-
ben dürfen.                                                 TIERUNG UND DEN SPRA CHERWERB
                                                    Nach zweijährigem Besuch der Berufsintegrati-
    13. TRANSPARENTE VERGABE VON AR-
                                                    onsklassen sind nicht alle Geflüchtete im glei-
        BEITSERLAUBNISSEN
                                                    chen Maße ausbildungsreif. Die Sorge um den
Zwischen den bayerischen Ausländerbehörden          eigenen Aufenthalt, eine falsche Selbstein-
gibt es große Unterschiede bei der Vergabe von      schätzung oder finanzieller Druck drängen Ge-
Arbeits- und Ausbildungserlaubnissen. Un-           flüchtete manchmal in eine Ausbildung, die
durchsichtige Vergabekriterien, lange Wartezei-     nach kurzer Zeit wieder abgebrochen wird. Ge-
ten, unklare Zuständigkeiten und willkürlich an-    flüchtete brauchen mehr Zeit und weniger
mutende Behördenentscheidungen entmuti-             Druck bei der Ausbildung und Jobsuche. Eine
gen und frustrieren Asylbewerber*innen, Ar-         dreijährige Regelbeschulung in den Vorberei-
beitgeber und ehrenamtliche wie hauptamtli-         tungsklassen an den Berufsschulen ist daher er-
che Unterstützer*innen. Der Rechtsstaat gebie-      forderlich. Nur so werden zukünftig mehr Aus-
tet nachvollziehbare und sachgerechte Ent-          bildungen begonnen, die tatsächlich zu den Ge-
scheidungen – und keine Entscheidungen ge-          flüchteten passen und dann auch abgeschlos-
mäß der politischen Einstellung des verantwort-     sen werden.
lichen Beamten. Regelmäßige Stichprobenkon-
trollen von Einzelentscheidungen können be-
                                                        16. KONTINUIERLICHE UNTE RSTÜTZUNG
hördlicher Willkür Einhalt gebieten.                        WÄHREND DER AUSBILDU NG
                                                    Zahlreiche erfolgreiche Praxisbeispiele belegen,
                                                    dass Geflüchtete mit der erforderlichen Unter-
                                                    stützung während der Ausbildung diese eher
                                                    abschließen als ohne zusätzliche Angebote.

                 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
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Häufig fehlen vor allem berufsbezogene Sprach-      tion von Geflüchteten geleistet, indem sie die-
kenntnisse und begleitende Nachhilfeange-           sen eine Chance boten. Doch nicht wenige Ar-
bote. Ausbildungsbegleitende Hilfen und finan-      beitgeber sind mit den rechtlichen Vorgaben
zielle Unterstützung müssen daher flächende-        bei der Anstellung von Asylbewerber*innen
ckend und für alle Geflüchtete unabhängig vom       und Geduldeten überfordert. Außerdem wissen
Aufenthaltsstatus und der Bleibeperspektive         viele Arbeitgeber nicht, wie sie reagieren müs-
gewährt werden.                                     sen, wenn der geflüchtete Auszubildende plötz-
                                                    lich von einer Abschiebung bedroht ist. Beste-
    17. VEREINFACHTE ANERKEN NUNG VON               hende Beratungsangebote für Arbeitgeber
        BERUFS- UND BILDUNGSABSCHLÜS-               etwa der Wirtschaftskammern müssen daher
        SEN                                         erhalten und flächendeckend ausgebaut wer-
Die Anerkennung von bestehenden Schul-, Aus-        den. Arbeitgeber dürfen bei der Einstellung und
bildungs- und Berufszeugnissen ist langwierig       Beschäftigung von Geflüchteten nicht alleine
und vielfach können bestehende Kenntnisse           gelassen werden.
und Fähigkeiten nicht angemessen erfasst wer-
den. Die fehlende Wertschätzung vorhandener             20. BESSERE VERZAHNUNG U ND AB-
Qualifikationen demotiviert Geflüchtete und                 STIMMUNG DER ANGEBOTE
lässt Potentiale brachliegen. Bestehende Aner-      Unterschiedliche Träger bieten mittlerweile
kennungsverfahren müssen daher für alle Ge-         eine Vielzahl an kommunalen, staatlichen und
flüchtete kostenlos sein und ausgeweitet, be-       privaten Maßnahmen der Arbeitsmarktintegra-
schleunigt, entbürokratisiert und vereinfacht       tion an. Wünschenswert sind eine bessere Ver-
werden.                                             zahnung der Einzelmaßnahen und der stetige
                                                    Erfahrungsaustausch zwischen den lokalen und
    18. MEHR UNTERSTÜTZUNG F ÜR BE-                 regionalen Maßnahmenträgern. Eine verbes-
        REITS ARBEITENDE FLÜ CHTLINGE               serte Abstimmung verhindert das Entstehen
Arbeitende Geflüchtete haben regelmäßig kei-        von langen Wartezeiten zwischen den Einzel-
nen Anspruch auf weiterführende Deutsch-            maßnahmen, erleichtert die Auswahl geeigne-
kurse. Gerade für Geflüchtete in einfachen Hel-     ter Integrationsinstrumente für die Geflüchte-
fertätigkeiten sind aber kostenlose und flexible    ten, vermeidet Bürokratie und doppelte Wege.
Sprachkurse in den Abendstunden wichtig, um         Außerdem hilft der gemeinsame Erfahrungs-
den Aufstieg in Fachberufe zu schaffen. Außer-      austausch, die Angebote stetig zu verbessern
dem müssen ältere Flüchtlinge gezielt gefördert     und aus Fehlern zu lernen. Erforderlich sind da-
werden, um den Anschluss an den Arbeitsmarkt        her Foren und Netzwerke, in welchen die unter-
nicht zu verpassen. Spezielle Bildungs- und För-    schiedlichen Akteure sich regelmäßig austau-
derangebote für arbeitende Geflüchtete müs-         schen können und ggf. gemeinsame Strukturen
sen entwickelt werden, die mit der Berufstätig-     entwickeln. Die öffentliche Hand muss das Ent-
keit vereinbar sind und den beruflichen Aufstieg    stehen und die Aufrechterhaltung entsprechen-
ermöglichen.                                        der Netzwerke unterstützen und fördern.

    19. HILFE FÜR DIE ARBEITGEBER
In den vergangenen Jahren haben mehrere tau-
send Geflüchtete in Bayern eine Arbeit oder
Ausbildung gefunden. Unzählige Arbeitgeber
haben so einen wichtigen Beitrag zur Integra-

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                                                          Stadt verteilte kleinere Unterkünfte haben. Meist le-
WOHNEN &                                                  ben dort zwischen 20 und 30 Flüchtlinge in einem
                                                          Haus. Die Akzeptanz in der Umgebung ist dann deut-
UNTERBRINGUNG                                             lich höher und selten gibt es – auch nach anfängli-
                                                          chen Bedenken – Probleme mit den Nachbarn. Mas-
 „Ich bin Integrationslotsin in Augsburg. Hauptsäch-      senunterkünfte mit mehreren hundert bis tausend
lich unterstütze und koordiniere ich Ehrenamtliche,       Flüchtlingen sehe ich sehr, sehr kritisch. Alleine auf-
die anerkannten Flüchtlingen helfen, eine private         grund der schieren Größe und der aufgezwungenen
Wohnung in der Stadt oder Umgebung zu finden.             Tatenlosigkeit sind Konflikte dort vorprogram-
Für Flüchtlinge sind die eigenen vier Wände sehr          miert.“ (Corinna Höckesfeld, Integrationslotsin aus
wichtig. Viele klagen über den Lärm und die feh-          Augsburg)
lende Privatsphäre in den Gemeinschaftsunterkünf-
ten. Immer wieder erlebe ich dann, wie Flüchtlinge            21. KEINE DAUERHAFTE KASERNIERUNG
nach dem Auszug aus den Gemeinschaftsunterkünf-                   VON ASYLBEWERBER*INN EN
ten aufblühen: Die schulischen Leistungen der Kin-
                                                          Die aktuellen bayerischen Transit- und Ausrei-
der werden plötzlich besser, die lange geplante Aus-
                                                          sezentren sowie die geplanten bundesweiten
bildung endlich angepackt. Eigene Möbel, es sich so
einzurichten, wie es einem gefällt, kein ständiges        Ankerzentren sind Orte der Ausgrenzung, Ent-
Kommen und Gehen am Tag und in der Nacht – viele          mündigung und persönlichen Erniedrigung. In-
Flüchtlinge kommen erst dann wirklich in Deutsch-         tegration kann nicht gelingen, wenn hunderte
land an, sobald sie selbstbestimmt wohnen dürfen.         von Menschen über Monate hinweg in von der
Doch leider ist es nicht einfach, geeignete Wohnun-       Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft abgekapsel-
gen zu finden. Nicht nur in München, auch in Augs-        ten Lagern leben. Sprachunterricht und Beschu-
burg ist Wohnraum mittlerweile knapp und teuer.           lung sind dort auf ein Minimum reduziert. An-
Zusammen mit ehrenamtlichen Mitarbeitern ver-
                                                          waltliche Betreuung und sonstige Unterstüt-
mitteln wir im Monat im Schnitt zwischen zwei und
                                                          zungsangebote sind fast nicht oder nur sehr ein-
vier Wohnungen an Geflüchtete. Die meisten Ver-
                                                          geschränkt vorhanden. Ein friedliches Miteinan-
mieter wünschen sich Mieter mit einem geregelten
Einkommen. Bei vielen Flüchtlingen würde das Job-         der kann nicht funktionieren, wenn eine sprich-
center an und für sich die Miete bezahlen. Doch den       wörtliche Mauer zwischen Asylbewerber*innen
Vermietern ist das trotzdem zu unsicher. Und außer-       und der Aufnahmegesellschaft gebaut wird.
dem trifft es bei Vermietern und den potentiellen         Vielmehr sind Konflikte vorprogrammiert. Der-
Nachbarn häufig auf Unverständnis, wenn eine ge-          artige Lager sind daher strikt abzulehnen. In den
flüchtete Familie zu fünft in eine Drei-Zimmer-Woh-       sonstigen Erstaufnahmeeinrichtungen ist die
nung einziehen möchte. Ohne die tatkräftige Hilfe         maximale Verweildauer von derzeit maximal
von Ehrenamtlichen, die bei Wohnungsbesichtigun-
                                                          sechs Monate auf vier Wochen zu begrenzen,
gen und sonstigen Formalien zwischen dem Vermie-
                                                          um Asylbewerber*innen nicht unnötig lange in
ter und den Geflüchteten vermitteln, könnte ich
                                                          Massenunterkünften unterzubringen.
meine Arbeit nicht machen. Besonders schwer ha-
ben es Geduldete, eine eigene Wohnung zu finden.
Vermieter wünschen sich in der Regel eine langfris-           22. DEZENTRALE UND GUT E RREICH-
tige Vermietung. Da Geduldete aber immer ein auf                  BARE ASYLBEWERBERUNT ERKÜNFTE
einige Monate befristetes Aufenthaltsrecht haben,         Zahlreiche Asylbewerberunterkünfte befinden
ist die Vermittlung besonders schwer. Und um geför-
                                                          sich in abgelegenen ländlichen Regionen. Selbst
derten städtischen Wohnraum in Augsburg in An-
                                                          wenn es öffentliche Verkehrsmittel gibt, fehlt
spruch nehmen zu dürfen, muss der Bewerber einen
                                                          oft das erforderliche Geld für die Fahrtickets.
mindestens einjährigen Aufenthaltstitel besitzen.
Geduldete haben daher von Vornherein keine                Gleichzeitig werden Asylbewerber*innen in den
Chance auf Sozialwohnungen. Positiv an Augsburg           Städten regelmäßig zentral und geballt in gro-
ist jedoch, dass wir hier viele dezentrale und über die   ßen Gemeinschaftsunterkünften einquartiert.

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Das Ziel muss die gleichmäßige, dezentrale und      durch zentral verteilte Sachleistungen. Immer
gut an den öffentlichen Verkehr angebundene         häufiger wird auch in den Anschlussunterkünf-
Verteilung der Asylbewerber*innen sein. So          ten ein Teil der den Asylbewerbern zustehen-
werden Konflikte mit der Nachbarschaft ver-         den Leistungen in Form von Sachleistungen er-
mieden und die Asylbewerber*innen können            bracht. Essens- und Hygienepakete sind aber
sich besser in ihre Umgebung integrieren. Die       nicht nur teuer – sie sind auch ineffizient, men-
Regelunterbringung darf also nicht die Gemein-      schenunwürdig und bevormundend. Asylbe-
schaftsunterkunft sein, sondern eine dezentrale     werber*innen sollen das Recht haben, frei dar-
Unterbringung.                                      über zu entscheiden, was sie essen möchten
                                                    und wofür sie ihr weniges Geld ausgeben. Das
    23. UMVERTEILUNGEN UND A USZUG ER-              Sachleistungsprinzip ist daher grundsätzlich ab-
        LEICHTERN                                   zulehnen, sowohl in den Erstaufnahmeeinrich-
Aus familiären, gesundheitlichen oder berufli-      tungen wie auch in den Anschlussunterbringun-
chen Gründen kann es erforderlich sein, dass        gen.
Asylbewerber*innen die Unterkunft wechseln.
Manchmal finden Asylbewerber*innen aber                 25. ÜBERBELEGUNGEN VERHI NDERN
auch zwischenzeitlich bei Freunden oder ehren-              UND RAUM ZUM LEBEN S CHAFFEN

amtlichen Unterstützern eine Bleibe. Umvertei-      Obschon die Zeiten von zu Notquartieren um-
lungs- und Auszugsanträge sind aber während         funktionierten Sporthallen vorbei sind: Immer
des laufenden Asylverfahrens häufig langwierig      noch leben viele Asylbewerber*innen zu dritt,
und selten von Erfolg gekrönt. Bürokratische        viert oder deutlich mehreren in einem einzigen
Hürden verhindern so, dass Asylbewerber*in-         Zimmer. Mehrköpfige Familien teilen sich nicht
nen sich um ihre Familienmitglieder kümmern,        selten lediglich einen Raum. Es fehlt an Pri-
einer Arbeit nachgehen oder schlichtweg bei         vatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten. Viele
Freunden leben können. Abgelehnte Asylbe-           Asylbewerber*innen klagen über Schlaflosig-
werber*innen wiederum müssen weiterhin in           keit. Geflüchtete brauchen wie alle anderen
einer Asylbewerberunterkunft leben. Sie haben       Menschen ausreichenden Raum für Schlaf,
kein Recht darüber zu entscheiden, wo sie le-       Rückzug und Ruhe. Zu Notzeiten eröffnete Asyl-
ben möchten. Für die Betroffenen heißt das          bewerberunterkünfte sollten daher grundsätz-
konkret: Über Jahre hinweg kein eigenes Zim-        lich nicht geschlossen werden. Stattdessen soll-
mer, gemeinsame sanitäre Anlagen, keine eige-       ten die in Bayern lebenden Geflüchteten groß-
nen Kochgelegenheiten und ständig wech-             zügiger auf die bestehenden Unterkünfte ver-
selnde Mitbewohner*innen. Gerade für lang-          teilt werden. Außerdem müssen in den Asylbe-
jährige Geduldete, die mittlerweile arbeiten,       werberunterkünften ausreichend Kochgelegen-
Freunde gefunden haben und genug Geld für           heiten geschaffen werden, damit Geflüchtete
eine eigene Wohnung haben, ist das eine unbil-      problemlos und in Ruhe ihr eigenes Essen ko-
lige Härte. Geduldeten Personen muss daher          chen können.
der Auszug grundsätzlich und nicht nur in Aus-
nahmefällen erlaubt werden.                             26. SCHUTZ VULNERABLER G RUPPEN
                                                            GEWÄHRLEISTEN
    24. SACHLEISTUNGSPRINZIP ABSCHAF-               Nur in wenigen Asylbewerberunterkünften gibt
        FEN                                         es ein tatsächlich funktionierendes Schutzkon-
In den Erstaufnahmeeinrichtungen erhalten           zept für vulnerable Gruppen. Gerade für Fami-
Asylbewerber nur ein geringes Taschengeld. Die      lien, alleinstehende Frauen und Kinder sollte die
Deckung des Lebensbedarfs erfolgt größtenteils

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