60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL - FÜR EINE BAYERISCHE ASYLPOLITIK MIT ZUKUNFT UND ANSTAND - Refugio München
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2 Orten so lange wie möglich zentral unterge- ZUSAMMENFASSUNG IN bracht werden. In Bayern heißen diese Orte NEUN FORDERUNGEN Transit- und Ausreisezentren. Das gesamte Asylverfahren wird dort nach Möglichkeit ge- bündelt an Ort und Stelle durchgeführt. Ge- 1. GLEICHBEHANDLUNG VON ALLEN flüchtete erhalten so wenig Kontakt wie mög- ASYLBEWERBER*INNEN lich mit der Aufnahmegesellschaft und Bera- Die Unterscheidung von Asylbewerber*innen tungspersonen. Zustehende Leistungen werden nach der angeblichen Bleibeperspektive oder in den Megazentren auf das Mindeste redu- einem „sicheren“ bzw. „unsicheren“ Herkunfts- ziert. Der „Verfestigung des Aufenthalts“ wird land“ ist abzulehnen. Egal, woher eine schutz- durch die gezielte Desintegration und einge- suchende Person stammt: Sobald sie in schränkte Sozialleistungen entgegengewirkt. Deutschland Asyl beantragt, stehen ihr unge- Der Versuch, die Asylverfahren zu beschleuni- achtet ihrer Herkunft unterschiedslos alle Integ- gen, darf nicht auf Kosten einer menschenwür- rationsleistungen zu. Andernfalls würde das digen Unterbringung und Versorgung gehen. Recht auf Asyl von Vornherein für eine erhebli- Transit- und Ausreisezentren sind daher strikt che Personengruppe faktisch abgeschafft. We- abzulehnen. der bei der Unterbringung, noch bei der Ertei- lung von Arbeitserlaubnissen und sonstigen 3. WER ARBEITEN WILL, M USS ARBEI- Leistungen ist eine Ungleichbehandlung daher TEN DÜRFEN legitim. Statistische Prognosen dürfen keine Der Fachkräftemangel in Bayern ist offenkun- Auswirkungen auf das Einzelschicksal haben. dig. Der Wunsch von Arbeitgeberverbänden Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsver- und -kammern ebenso, Geflüchtete auszubil- bot gem. Art. 3 III des Grundgesetztes verbietet den und in den Arbeitsmarkt zu integrieren. die Benachteiligung von Menschen aufgrund ih- Doch gerade in Bayern wird es aufgrund fakti- rer Herkunft. Dieser Grundsatz muss auch im scher Arbeits- und Ausbildungsverbote für Asyl- Umgang mit Asylbewerber*innen gelten. Die bewerber*innen und Geduldete immer schwie- Staatsangehörigkeit eines Jugendlichen darf riger, trotz Ausbildungsvertrags oder Stellenzu- deshalb bei der Erteilung von Leistungen der sage eine Arbeit aufnehmen zu dürfen. Die De- Kinder- und Jugendhilfe – insb. bei umF - vise der Bayerischen Regierung lautet: Aufent- ebenso keine Rolle spielen. haltsbeendigung sticht Integration. Auf diese Weise liegen die Potentiale der Geflüchteten 2. DEZENTRALISIERUNG STATT K ASER- für die bayerische Wirtschaft brach. Anstelle NIERUNG Steuern abzuführen und Abgaben in die Sozial- Eine dezentrale und bevorzugt private Unter- versicherung einzuzahlen, sitzen die Geflüchte- bringung vereinfacht die Integration von Ge- ten tatenlos und frustriert in den Asylbewerbe- flüchteten erheblich. Kleinere Unterkünfte er- runterkünften herum. Niemandem ist mit die- zeugen zudem weniger Stress und Konflikte. Sie ser Politik geholfen: Nicht den Arbeitgebern, die sind damit auch für psychisch belastete Bewoh- händeringend nach Auszubildenden und Fach- ner*innen geeigneter – diese Erkenntnis teilt kräften suchen. Nicht den Kommunen, die sich auch die integrationspolitische Enquete-Kom- mit Problemen konfrontiert sehen, die aus der mission des Bayerischen Landtages, welche ein- Untätigkeit der Geflüchteten erwachsen. Nicht hellig „kleinere Gemeinschaftsunterkünfte“ den Ehrenamtlichen, die vor den Kopf gestoßen empfiehlt. Dieser Erkenntnis zum Trotz zeichnet sind, weil all ihr Einsatz durch politischen Unwil- sich in Bayern aktuell eine klare Tendenz ab: Im- len zunichtegemacht wird. Nicht den Geflüchte- mer mehr Geflüchtete sollen an immer weniger ten, die demotiviert, verzweifelt, und immer 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
3 häufiger psychisch krank werden. Und auch 5. FAIRE ASYLVERFAHREN nicht der bayerischen Regierung selbst, weil Das Asylverfahren ist der Lackmustest der De- ihre Rechnung schlicht nicht aufgeht: Die frus- mokratie. Am Umgang mit politisch Verfolgten, trierten Asylbewerber*innen und Geduldeten Kriegsflüchtlingen und lebensbedrohlicher Ar- bleiben zum allergrößten Teil über Jahre in mut Entflohenen zeigt sich, welchen Stellen- Deutschland – weil sie einfach keine andere wert die Achtung der Menschenwürde und der Wahl haben. Asylbewerber*innen, die arbeiten Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit in einem wollen, müssen arbeiten dürfen. Und wer arbei- Staat haben. Das individuelle Recht auf Asyl ge- tet oder eine Ausbildung macht, muss hierblei- bietet es, dass staatliche Behörden gewissen- ben dürfen. haft, nachvollziehbar und transparent arbeiten – und eigene Fehler eingestehen und die richti- 4. DEUTSCH- UND ALPHABE TISIE- gen Lehren daraus ziehen. Es erfordert, dass al- RUNGSKURSE FÜR ALLE UND SO leine das individuelle Schicksal und nicht politi- FRÜH WIE MÖGLICH sche Stimmungslagen darüber entscheiden, Das Sprechen der deutschen Sprache ist ein we- wer Schutz erhält und wer nicht. Es erfordert, sentlicher Baustein für die gelingende Integra- dass Asylbewerber*innen angemessen beraten tion in Deutschland. Wer Deutsch spricht, kann und rechtlich vertreten werden, damit sie den sich mit Einheimischen verständigen und an- staatlichen Organen auf Augenhöhe begegnen freunden, seinen Alltag eigenverantwortlich können. Es erfordert, dass Beamt*innen und meistern und eine Arbeit aufnehmen. Deutsch- Verwaltungsmitarbeitende gut geschult und kurse müssen daher so früh wie möglich nach unvoreingenommen auf die Klärung des Sach- der Einreise und für alle Asylbewerber*innen verhalts und einer interessengerechten Lösung angeboten werden. Doch auch für bereits viele hinwirken. Es gebietet, Menschen nicht in Monate bis Jahre in Deutschland lebende Ge- Kriegs- und Krisengebiete abzuschieben oder flüchtete müssen kostenlose Kurse angeboten wie Verbrecher einzusperren. Leider sind in werden, falls es mit der deutschen Sprache Bayern all diese Selbstverständlichkeiten in Ge- noch hapert. Bei den Kursen muss auf den indi- fahr. Das muss sich ändern. viduellen Lernfortschritt geachtet und die Bil- dung von Kleingruppen ermöglicht werden. Für 6. BESONDERS VULNERABLE PERSO- Analphabet*innen braucht es flächendeckende NEN BESSER IDENTIFIZIEREN, Angebote, die den regulären Deutschkursen SCHÜTZEN UND UNTERST ÜTZEN vorgeschaltet sind. Wer erfolgreich einen Kurs Frauen, Kinder, Familien, traumatisierte Perso- abgeschlossen hat, sollte bei Bedarf die Mög- nen, LGBTQI, Alte, Gebrechliche, Kranke, unbe- lichkeit eines nahtlos anknüpfenden weiterfüh- gleitete Minderjährige, Opfer rassistischer oder renden Kurses haben. Dabei sind vor allem be- sexueller Gewalt und sonstige Personen mit be- rufsfachbezogene Sprachkurse wichtig für in sonderen Schutzbedürfnissen müssen im Asyl- der Ausbildung oder Arbeit stehende Geflüch- verfahren und bei der Versorgung besser iden- tete. Kinderbetreuungsangebote müssen für El- tifiziert und unterstützt werden. Zahlreiche völ- tern mit Kindern zur Verfügung stehen, damit ker- und unionsrechtliche Vorgaben wie auch gerade auch weibliche Geflüchtete Deutsch ler- einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung nen können. gebieten dies. Es muss daher sichergestellt sein, dass die besondere Schutzbedürftigkeit recht- zeitig erkannt wird. Außerdem müssen effektive Maßnahmen ergriffen werden, um eine opti- 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
4 male Unterstützung während des Asylverfah- 8. STRUKTUREN VERSTETIGE N UND ZU- rens und den bedürfnisgerechten Zugang zu In- GANGSBARRIEREN ABBAU EN tegrationsmaßnahmen zu gewährleisten. Der Im Zuge der stark angestiegenen Asylbewerber- Schutz vulnerabler Personen muss oberste Pri- zahlen seit 2014 wurden zahlreiche neue Asyl- orität haben, eine Abschiebung dieser Personen bewerberunterkünfte gebaut, Integrations- darf nur in absoluten Ausnahmefällen und nach maßnahmen erdacht, Flüchtlingsinitiativen ge- sorgfältiger und unabhängiger Prüfung der Rei- gründet und neues Personal eingestellt. Viele sefähigkeit erfolgen. Ferner muss im Heimat- der privaten und öffentlichen Initiativen, Pro- land eine angemessene und tatsächlich zugäng- jekte und Maßnahmen haben sich in den ver- liche medizinische Versorgung gewährleistet gangenen Jahren bewährt und einen wichtigen sein und es dürfen keine sonstigen Gefahren Beitrag zur gelingenden Integration von Ge- durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure flüchteten geleistet. Sie gilt es beizubehalten drohen. Zweifel an der Reisefähigkeit oder Si- und langfristig zu fördern. Die gewachsenen cherheit im Heimatland müssen zugunsten der Strukturen dürfen trotz der aktuell sinkenden betroffenen Person gewertet werden. Asylbewerberzahlen nicht einfach aufgelöst werden. Vielmehr erlauben sie nun eine bes- 7. PERSPEKTIVEN FÜR GEDULDETE sere und individuellere Unterstützung der be- Auch nach erfolglosem Asylantrag bleibt der reits in Deutschland befindlichen Geflüchteten. Großteil der abgelehnten Geflüchteten erfah- Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass rungsgemäß noch mehrere Jahre in Deutsch- die geschaffenen Angebote auch tatsächlich für land. Eine Rückkehr ist aus gesundheitlichen, alle Geflüchteten zugänglich sind: Insbesondere rechtlichen oder Gründen der persönlichen Si- bei der medizinischen Versorgung fehlen nie- cherheit auf unabsehbare Zeit häufig nicht derschwellige Angebote in den Gemeinden, wo möglich. Diese Realität muss die Politik aner- Geflüchtete ohne vorherige Terminvereinba- kennen. Sie muss geduldeten Personen deshalb rung hingehen können. Bei Sprach- und Integra- von Anfang an und für die Dauer ihres voraus- tionskursen muss mehr Rücksicht auf die Be- sichtlichen Aufenthalts in Deutschland eine Per- lange von bereits arbeitenden Geflüchteten spektive eröffnen. Die systematische Ausgren- oder Geflüchteten mit Kindern genommen wer- zung von geduldeten Personen in den vergan- den. Bei der Bildung müssen Geflüchtete unter- genen Jahren hat nicht zu der erhofften Zu- stützt werden, die einen höheren Bildungsab- nahme „freiwilliger“ Ausreisen geführt. Sie hat schluss an einem Gymnasium oder einer Uni- nur tausende von entwurzelten und völlig pre- versität anstreben. kär lebenden Menschen zusätzlich verunsi- chert, desillusioniert und krankgemacht. Gedul- 9. KEIN BAYERISCHER SON DERWEG dete Menschen müssen das Recht haben, frei Asylpolitik ist vorrangig eigentlich Bundespoli- ihren Wohnsitz zu bestimmen, zu arbeiten, tik. Eigentlich, denn auf Verwaltungsebene wird Deutsch zu lernen und ihren Beitrag für die Auf- in Bayern das Bundesrecht so restriktiv wie in nahmegesellschaft zu leisten. Sie müssen die keinem anderen Bundesland angewendet. Viele Chance bekommen, trotz des abgelehnten Asyl- asylrechtliche Verschärfungen werden in Bay- antrages einen Aufenthaltstitel zu erhalten, ern durch besonders rigorose Durchführungs- wenn sie über viele Jahre hinweg in Deutsch- anweisungen an die bayerischen Asylbehörden land gelebt haben und hier ihre neue Heimat nochmals verschärft – und an und für sich gefunden haben. flüchtlingsfreundliches und integrationsför- derndes Bundesrecht läuft durch entspre- 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
5 chende Anweisungen durch die bayerische Re- gierung vielfach ins Leere. Bayern hat innerhalb 103 BAYERISCHE ORGANI- Deutschlands einen Sonderweg bei dem Um- SATIONEN, DIE MIT GE- gang mit Asylbewerber*innen, anerkannten Flüchtlingen und Geduldeten eingeschlagen. FLÜCHTETEN ARBEITEN, Dieser Sonderweg ist aber leider eine Sackgasse für die Integration von Geflüchteten. Er muss UNTERSTÜTZEN DIESE daher beendet werden. NEUN FORDERUNGEN Erstunterzeichner*innen: Alveno e.V., Regens- burg * Bayerischer Flüchtlingsrat, München und Nürnberg * Förderkreis Don Bosco Berufsschule e.V., Würzburg * Freiwilligenagentur Sonnen- Zeit e.V., Ansbach * Haus International e.V., Landshut * IMEDANA e.V. /Internationales Frauencafé, Nürnberg * Initiativgruppe e.V., München * Refugio München * Tür an Tür – In- AWO Arzberg tegrationsprojekte gGmbH, Augsburg * Träger- kreis Junge Flüchtlinge e.V., München *** AGABY e.V. - Arbeitsgemeinschaft der Auslän- der-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bay- erns, Nürnberg * AK Flüchtlingshilfe Feucht- wangen * AK-Asyl Gröbenzell * AK-Asyl Otto- beuern * AKA- Aktiv für interKulturellen Aus- tausch e.V, München * Akademischen Aus- landsamt der Otto-Friedrich-Universität Bam- berg * Arbeitskreis Asyl, Höhenkirchen-Sie- gertsbrunn * Arbeitskreis Asyl Dachau * Arbeits- kreis Asyl Freising * Arrival Aid gUG, Bayern * Asylhelferkreis Puchheim * Asylhelferkreis Bo- denmais-Böbrach * Asyl in Ostbayern - Ostbay- erische Asylgipfel * Asylhelferkreis Olching * Asylhelferkreis Steingaden * Asylhelferkreis Wolfratshausen * Asylhelferkreis Eichenau * Asyl Helferkreis Forstern * Asylhelferkreis Grö- benzell * Asylhelferkreis Puchheim * Asylhelfer- kreis Roth * Asylhelferkreis Türkenfeld * „Aus- bildung statt Abschiebung!“ e.V., Regensburg * AWO Arzberg * Bamberger Mahnwache Asyl * Bayerische Ärzteinitiative für Flüchtlingsrechte * Bildungszentrum Berufseinstieg (BzB), Mün- chen * Bündnis für Illegalisierte, München * CHANGE Chancen.Nachhaltig.Gestalten e.V., Bamberg * Evangelische Jugend Nürnberg * Flüchtlingsrat Niedersachen, Hannover * 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
6 Flüchtlingsrat Würzburg * Flüchtlingsrat Augs- Stay Welcome e.V., München * unserVeto Bay- burg * Freundeskreis Asyl Elching * FsF- ern – Verband der ehrenamtlichen Flüchtlings- Freunde statt Fremde e.V., Asylkontaktgruppe helfer * Unterstützergruppe Asyl/Migration Westallgäu * Gemeinnützige Gesellschaft zur e.V., Dillingen an der Donau * Unterstützer- Betreuung unbegleiteter Flüchtlinge mbH * Ge- gruppe Hohenpeißenberg * Unterstützerkreis meinWohlWohnen e.V., München * Gewerk- Schwaig-Solidarisch * Verband binationaler Fa- schaft Erziehung und Wissenschaft, Stadtver- milien und Partnerschaften, iaf, e.V, München * band München * Gewerkschaft Erziehung und V!VOVOLOV e.V, Halsheim * Wir in Neuried e.V. Wissenschaft, Landesverband Bayern * Hand in (WIN), Neuried * YouthNet, München * ZU- Hand Baiersdorf e.V. * Helferbund Asyl e.V., FLUCHT IN Selb e.V. * (Stand 24.09.2018). Buchloe * Helferkreis Asyl Fürstenfeldbruck * Helferkreis 2, Neu-Ulm * Helferkreis 2, Otterfing * Helferkreis Alling * Helferkreis Gauting-West * Helferkreis Asyl, Irschenberg * Helferkreis Eggstätt * Helferkreis Asyl Gundelfingen/Donau * Helferkreis Asyl, Hohenlinden * Helferkreis Asyl, Obergünzburg * Helferkreis Landsberied * Helferkreis Moorenweis * Helferkreis Asyl, Mammendorf * Helferkreis Asyl Kirchheim bei München e.V. * Helferkreis Asyl Ottobrunn/Ho- henbrunn * Helferkreis Katharina-Mair-Str. 12, Freising * Helferkreis Vierkirchen * Helferkreis Wilburgstetten * Hilfe von Mensch zu Mensch e.V., München * Initiative-Forum für interkultu- relle Vielfalt e.V., Marktoberdorf * Integrations- kreis Mindelheim * Interkulturelles Forum e.V., München * IPPNW Oberbayern * IN VIA Mün- chen e.V., Fachbereich Migration * Katholische Jugendsozialarbeit Bayern (KJS) * Kolping-Bil- dungswerk München und Oberbayern e.V * „Landshut schafft das!“ * Lichterkette e.V., München * matteo – Kirche und Asyl e.V., Nürn- berg * Migrationsbeirat München * Miteinan- der leben in Hadern e.V., München-Hadern * mitnand e.V., Bad Grönenbach * Mobile Flücht- lingshilfe Würzburg e.V. * MORGEN e.V. * münchner mentoren e.V. * Münchner Flücht- lingsrat * Netzwerk Bildung & Asyl, Bamberg * Nürnberger Rat für Integration und Zuwande- rung Projekt "Bleib in Nürnberg" * PAHN – Poli- tische Arbeitskreise Helferkreise Region Nürn- berg * PRO ASYL* Rechtshilfe für Ausländer*in- nen München e.V. * REFUDOCS, München * Seite an Seite e.V., Markt Schwaben * Seebrü- cke München * Social-Bee gGmbh, München * 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
7 Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Stadtverband München 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
8 19. Hilfe für die Arbeitgeber DIE 60 FORDERUNGEN 20. Bessere Verzahnung und Abstimmung der IM EINZELNEN Angebote WOHNEN & UNTERBRINGUNG SEITE 17 Grußwort Forderungen zu den Themenfeldern 21. Keine dauerhafte Kasernierung von Asylbe- werber*innen SPRACHE & BILDUNG SEITE 11 22. Dezentrale und gut erreichbare Asylbewer- 1. Kostenlose Sprach- und Orientierungskurse berunterkünfte für alle Asylbewerber*innen 23. Umverteilungen und Auszug erleichtern 2. Keine Einschränkungen der Schulpflicht in 24. Sachleistungsprinzip abschaffen den Erstaufnahmeeinrichtungen, Ausreise- 25. Überbelegung verhindern und Raum zum und Transitzentren Leben schaffen 3. Mehr DaZ-Lehrkräfte an den Schulen und 26. Schutz vulnerabler Gruppen gewährleisten in den Übergangsklassen 27. Abschiebehaft verbieten 4. Mehr Sprachangebote für Analphabeten und Fortgeschrittene 28. Mehr Wohnungen für anerkannte Flücht- linge 5. Lernräume in den Unterkünften 29. Einheitliche Qualitätsstandards für Asylbe- 6. Bessere Binnendifferenzierung in den Kur- werberunterkünfte sen und Klassen 30. Hilfe bei der Wohnungssuche 7. Mobilität erhöhen und unbürokratische Fahrtkostenerstattung GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE & 8. Zugang zu Gymnasien und Universitäten INTEGRATION SEITE 20 erleichtern 31. Langjährigen Geduldeten eine Perspektive 9. Flächendeckende Angebote der frühkindli- eröffnen chen Erziehung und Betreuung 32. Anerkannten Flüchtlingen Sicherheit geben 10. Mehr Sprachangebote für Erwachsene 33. Ehrenamt stärken und fördern ARBEIT & AUSBILDUNG SEITE 14 34. Vergünstigte Tickets für Kultur- und Frei- 11. Faktische und rechtliche Arbeitsverbote zeitveranstaltungen sowie den Nahverkehr abschaffen 35. Einheitliche Kinder- und Jugendhilfe: Keine 12. Aufenthaltssicherheit während der Ausbil- „Jugendhilfe light“ für umF dung 36. Rassismus benennen und politisch moti- 13. Transparente Vergabe von Arbeitserlaub- vierte Gewalt verfolgen nissen 37. Dezentrale und private Unterbringung fo- 14. Beschleunigung der Genehmigungsverfah- kussieren ren 38. Neuen Umgangston finden 15. Mehr Zeit für die Berufsorientierung und 39. Flüchtlinge politisch ermächtigen den Spracherwerb 40. Keine Leitkultur, sondern eine gemein- 16. Kontinuierliche Unterstützung während same Kultur entdecken der Ausbildung GESUNDHEIT SEITE 23 17. Vereinfachte Anerkennung von Berufs- und Bildungsabschlüssen 41. Vollwertige medizinische Versorgung von 18. Mehr Unterstützung für arbeitende Flücht- Asylbewerber*innen und Geduldeten linge 42. Gesundheitskarte für Asylbewerber*innen 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
9 43. Niederschwellige Gesundheitsangebote in den Unterkünften und Gemeinden schaf- fen 44. Zugang zu ärztlichen Gutachten erleichtern 45. Psychische Erkrankungen ernstnehmen und mehr Therapieplätze schaffen 46. Kosten für Sprachmittler*innen erstatten 47. Unsicherheiten bei der Kostenerstattung beheben 48. Schwangere und vulnerable Gruppen bes- ser schützen 49. Stressfaktoren minimieren 50. Ärzt*innen unterstützen ASYLVERFAHREN SEITE 26 51. Ergebnisoffenes und faires Asylverfahren 52. Ausreichend viele und unabhängige Asylso- zialarbeiter*ìnnen 53. Kostenlose Asylverfahrensberatung für alle LESEHINWEIS 54. Kompetente Sprachmittler*innen und BAMF-Mitarbeiter*innen Die 60 Forderungen zur Landtagswahl 2018 55. Personengleichheit von anhörender und richten sich an alle in Bayern zur Wahl ste- entscheidender Person henden Parteien, alle Landtagsabgeord- 56. Schutz des Kirchenasyls nete, politischen Mandatsträger*innen und alle Entscheidungsträger*innen in bayeri- 57. Keine Dublin-Überstellungen in die Unge- wissheit schen Asylbehörden. Sie beruhen auf den jahrelangen Erfahrungen bayerischer Asyl- 58. Keine Abschiebungen nach Afghanistan organisationen, privater Initiativen und Hel- und in sonstige Kriegs- und Krisengebiete ferkreise. Nicht alle Forderungen können 59. Schutz von vulnerablen Gruppen ohne Zustimmung des Bundesgesetzgebers 60. Familien schützen umgesetzt werden. Doch alle Forderungen kann die bayerische Regierung im Bundes- rat und Bundestag unterstützen. Ein Um- denken im Umgang mit Geflüchteten fängt außerdem nicht erst bei der Gesetzgebung an – sie beginnt bei jedem Einzelnen, in der behördlichen Entscheidungspraxis und bei der konkreten Umsetzung der asylrechtli- chen Vorgaben. Die genannten Unterstützerorganisationen unterstützen die in der Zusammenfassung genannten neun Forderungen. Sie unter- stützen nicht notwendigerweise jede der 60 Einzelforderungen. 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
10 GRUSSWORT Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, zwei Jahre lang war ich Zeuge einer einzigartigen Farce: ich war ständiges Mitglied der integrationspoliti- schen Enquete-Kommission des Bayerischen Landtags, von den Grünen als „Experte“ berufen. Ich kürze ab: nach 2 Jahren (das kostete die Steuerzahler*innen viel Geld) wurde der Bericht im Bayerischen Landtag vorgestellt. Eine zentrale „Errungenschaft“ war, dass die zehn Abgeordneten (6 CSU) und die neun stän- digen Expert*innen + sehr viele eingeladene Expert*innen, die jeweils nur an einer Sitzung teilnahmen, dass wir alle die Erkenntnis gewannen, dass nur eine dezentrale Form der Unterbringung im Kleinen sinn- voll, menschenwürdig und gesellschaftlich verträglich sei. Doch mit der Veröffentlichung des Abschlussberichts im Juli war die heftige Phase des Wahlkampfes an- gebrochen und die zweijährige (gute) Arbeit wurde in den Mülleimer gestampft! Nicht dezentral war und ist die Maßgabe für Unterbringung, sondern abgeschottete und immer größere Unterbringungs-, Aus- reise-, Transit- und sonstige „Zentren“ sollen entstehen und sind schon entstanden. Gleichzeitig verbündet sich unser ehemaliger Ministerpräsident und jetziger Bundesinnenminister Seehofer im Geiste mit den dubiosen und für überwunden gehofften Kräften aus Ungarn, Italien und Österreich, propagiert Abwei- sungen an den Grenzen als Allheilmittel, obwohl sie in krassem Gegensatz zur Gesetzeslage stehen, ver- hindert mit aller Gewalt Familienzusammenführungen, ein Pfeiler der Jahrzehnte langen Asylpolitik und ein so wichtiger Grundsatz gelingender Integration. Zu allem Überfluss verkündet er voller Stolz und Zy- nismus dann an seinem 69. Geburtstag, wie stolz und glücklich er ist, dass 69 Flüchtlinge abgeschoben wurden. Und Söder und Dobrindt gesellen sich auf der CSU-Klausur applaudierend daneben. Liebe Freundinnen und Freunde! Bei allen Rückschlägen, die ich in den letzten 29 Jahren hinnehmen musste, ist mir eine wunderbare Sache stets geblieben: dass es sich lohnt, für mehr Gerechtigkeit und Menschenwürde einzustehen und das ist ein unschätzbares Gut! Was uns auch immer widerfährt, wir sollten und wir werden uns niemals unter- kriegen lassen. Ist es denn nicht erhebend, zu sehen, wie viel Gutes alle positiven Integrationsbemühun- gen in den letzten Jahren bewirken konnten, zwischenmenschlich und gesamtgesellschaftlich? Mit einem mutigen JA! in die Zukunft! Menschlichkeit lohnt sich! Ihr Michael Stenger Bambi-Preisträger für Integration Gründer der Münchner „SchlaU-Schule“ für Flüchtlinge 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
11 1. KOSTENLOSE SPRACH - UND ORIEN- SPRACHE & BILDUNG TIERUNGSKURSE FÜR ALLE ASYLBE- WERBER*INNEN „Bayern hat nahezu flächendeckend Sprach- und Integrationskurse leisten für nicht schulpflich- Schulangebote für Geflüchtete geschaffen. Das ist tige Asylbewerber*innen einen wichtigen Bei- im Vergleich mit anderen Bundesländern vorbildlich. trag bei der Vermittlung von Deutschkenntnis- In Bayern lautet die schulpolitische Devise, die schul- sen und zur ersten Orientierung in Deutschland. pflichtigen Flüchtlinge in das bestehende System zu integrieren. Das passiert dann über sogenannte Während des Asylverfahrens können die Kurse Übergangs- oder Vorbereitungsklassen, welche dem allerdings nur von Asylbewerber*innen mit ei- gewöhnlichen Unterricht vorgeschaltet sind. Proble- ner sog. „guten Bleibeperspektive“ besucht matisch ist jedoch, dass die Regelschulen und die werden. Alle anderen Asylbewerber*innen dortigen Lehrkräfte meist wenige Erfahrungen mit müssen den Ausgang ihres teilweise viele Mo- Menschen haben, die über keinerlei Deutschkennt- nate bis Jahre dauernden Asylverfahrens ab- nisse verfügen oder teilweise noch nicht einmal warten – eine Zeit, in welcher die Personen viel- schreiben können. Außerdem sitzen in den Vorberei- fach zum Nichtstun verdammt sind. Damit alle tungs- und Übergangsklassen Schüler mit ganz un- Asylbewerber*innen so früh wie möglich terschiedlichen Vorkenntnissen in einem einzigen Deutsch lernen können, müssen die Integrati- Raum zusammen: Manche haben im Heimatland bereits studiert, andere noch nie in ihrem Leben eine ons- und Orientierungskurse für alle nicht schul- Schulbank gedrückt. Für die über 16jährigen Asylbe- pflichtigen Asylbewerber*innen von Anfang werber ist das Modell der zweijährigen Berufsinteg- und kostenlos geöffnet werden - egal, aus wel- rationsklassen an den Berufsschulen geschaffen chem Land sie stammen. worden. Allerdings sind zwei Jahre selten ausrei- chend, um angemessen Deutsch zu lernen und eine 2. KEINE EINSCHRÄNKUNG DER SCHUL- fundierte berufliche und persönliche Perspektive zu PFLICHT IN DEN ERSTAUFNAHME- entwickeln. Das gilt sowohl für die fortgeschrittenen EINRICHTUNGEN, AUSREISE- UND wie auch die noch ganz am Anfang stehenden Schü- TRANSITZENTREN ler. Häufig besuchen die Abgänger im Anschluss da- her weitere Sprachkurse oder Vorbereitungsmaß- Die Beschulung von schulpflichtigen Asylbewer- nahmen. Naheliegend wäre es deshalb, von Anfang ber*innen in den bayerischen Erstaufnahme- an die garantierte Zeit an den Regelschulen auf min- einrichtungen, Ausreise- und Transitzentren ist destens drei oder vier Jahre hochzusetzen, vor- und auf das Mindeste reduziert. Sie entspricht im nachgeschaltete Angebote sinnvoll aufeinander ab- Hinblick auf Umfang und Qualität nicht den zustimmen, sowie Lehrkräfte gezielt darin zu qualifi- Übergangs- und Vorbereitungsklassen an den zieren, Schüler individuell zu fördern. So würde man öffentlichen Regelschulen. Das Menschenrecht einiges von dem Druck nehmen, der heute auf den auf Bildung kennt keine Abstufungen: Unabhän- Geflüchteten lastet. Und vermutlich würden dann gig vom individuellen Herkunftsland muss Asyl- auch nicht so viele Ausbildungen abgebrochen wer- bewerber*innen der Besuch einer öffentlichen den. Konzepte, die in den vergangenen Jahren ent- standen sind, um Geflüchtete in Schulen zu integrie- Schule tatsächlich und so früh wie möglich nach ren, sollten nun sorgfältig evaluiert werden, um die der Ankunft ermöglicht werden – egal, ob sich Unterrichtsangebote kontinuierlich weiterzuentwi- die Person aktuell in einer Erstaufnahmeein- ckeln. Tatsächlich habe ich aber aktuell den Ein- richtung oder einem der grundsätzlich abzu- druck, dass infolge der rückläufigen Flüchtlingszah- lehnenden Transit- oder Ausreisezentren befin- len die mühsam aufgebauten Strukturen einfach det. wieder eingestampft werden – und all das gewon- nene Wissen verloren geht.“ (Melanie Weber, Leite- rin der Münchner SchlaU-Werkstatt für Migrations- pädagogik) 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
12 3. MEHR DAZ-LEHRKRÄFTE AN DEN nen Integrationskurs oder sonstige Bildungsan- SCHULEN UND IN DEN ÜBERGANGS- gebote besuchen. Konzentriertes Lernen ist in KLASSEN den häufig mehrfachbelegten Schlafräumen in Lehrkräfte mit einem DaZ-Studium sind beson- den Asylbewerberunterkünften nicht möglich. ders geeignet, geflüchteten Schüler*innen Erforderlich ist daher grundsätzlich eine dezent- Deutsch als Zweitsprache zu unterrichten. For- rale und bevorzugt private Unterbringung von male und bürokratische Hürden erschweren al- Geflüchteten, welche ein konzentrierteres Ler- lerdings DaZ-Absolvent*innen den Zugang zu nen fördert. Solange dies nicht möglich ist, müs- öffentlichen Schulen. Da auch in Zukunft Schü- sen in den Asylbewerberunterkünften ausrei- ler*innen mit Migrations- und Fluchthinter- chend Lern- und Ruheräume für die Asylbewe- grund in allen bayerischen Klassen sitzen wer- ber*innen mitsamt ausreichend Schreibtischen den, muss die Aufnahme von DaZ-Lehrkräften und Sitzgelegenheiten zur Verfügung gestellt in den öffentlichen Dienst erleichtert werden. werden. DaZ-Lehrkräfte, die weiterhin in befristeten Ar- beitsverhältnissen oder auf Honorarbasis an 6. BESSERE BINNENDIFFERENZIERUNG Schulen und in Integrationskursen arbeiten, IN DEN KURSEN UND KLASSEN sind wie vergleichbare Lehrkräfte an den öffent- Die Vorbildung von Geflüchteten ist äußerst he- lichen Schulen zu bezahlen. terogen. Trotzdem werden Geflüchtete in den staatlichen Bildungsangeboten in der Regel ge- 4. MEHR SPRACHANGEBOTE FÜR AN- meinsam unterrichtet, ohne auf individuelle ALPHABET*INNEN UND FORTGE- Vorkenntnisse ausreichend Rücksicht zu neh- SCHRITTENE men. Um vorzeitige Kursabbrüche und die Un- Für nicht alphabetisierte Asylbewerber*innen ter- oder Überforderung der Geflüchteten zu bedarf es zusätzlicher flächendeckender Alpha- verhindern, ist eine stärkere Binnendifferenzie- bethisierungsangebote, da Analphabet*innen rung innerhalb der Integrationskurse, den Über- auch nach Besuch der staatlichen Angebote gangsklassen und den Berufsintegrationsklas- häufig weiteren Förderbedarf haben und der sen notwendig. Wo pädagogisch erforderlich, Wechsel in die allgemeinen Deutschkurse ver- müssen Kleingruppen angeboten werden kön- früht ist. Gleichzeitig müssen für erfolgreiche nen. Einheitliche Kompetenzfeststellungsver- Absolvent*innen der Integrationskurse zusätzli- fahren können dabei helfen, eine leistungsge- che Anschlussangebote geschaffen werden, um rechte Einordnung zu Beginn des Bildungsange- die erworbenen Deutschkenntnisse auszu- bots zu ermöglichen. bauen und zu vertiefen. Insbesondere bedarf es zusätzlicher berufsfachbezogener Sprachkurse, 7. MOBILITÄT ERHÖHEN UN D UNBÜ- welche ohne zeitliche Verzögerung und unab- ROKRATISCHE FAHRTKOS TENER- hängig von der individuellen Bleibeperspektive STATTUNG an die vorhergegangenen Kurse anschließen. Das Gros der Geflüchteten gelangt mit öffentli- chen Verkehrsmitteln zu den Bildungseinrich- 5. LERNRÄUME IN DEN UNT ERKÜNF- tungen. Damit Bildung nicht am Geld scheitert, TEN ZUR VERFÜGUNG STELLEN müssen alle Geflüchteten in Schule und Betrieb Für den schulischen Erfolg wichtig sind ruhige Anspruch auf Ersatz ihrer Fahrtkosten haben – Räume, in welchen (berufs-)schulpflichtige Ge- schnell und unbürokratisch. Ebenso sollten die flüchtete den Unterricht vor- und nachbereiten Fahrtkosten für ehrenamtliche oder kommu- können. Gleiches gilt für diejenigen, welchen ei- nale Integrationsmaßnahmen erstattet werden. 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
13 Wo wiederum eine öffentliche Anbindung gänz- 10. MEHR SPRACHANGEBOTE FÜR ER- lich fehlt oder sehr lückenhaft ist, müssen die WACHSENE Gemeinden und Städte dafür Sorge tragen, dass Asylbewerber*innen über 21 Jahre sind nicht Asylbewerber*innen rechtzeitig und zuverlässig mehr berufsschulpflichtig und dürfen daher in zu den Bildungsangeboten gelangen. der Regel nicht mehr eine Berufsintegrations- klasse besuchen. Deutsch können sie nur im 8. ZUGANG ZU GYMNASIEN UND UNI- Rahmen der staatlichen Integrationskurse ler- VERSITÄTEN ERLEICHTE RN nen, falls sie eine sog. „gute Bleibeperspektive“ Die Mehrheit der (berufs-)schulpflichtigen Asyl- haben. Für alle anderen Asylbewerber gibt es bewerber*innen besucht aktuell eine Mittel- auf staatlicher Ebene nur wenige Programme schule oder eine Berufsintegrationsklasse. Im für den Spracherwerb. Doch auch über 21jäh- Schuljahr 2016/2017 befanden sich beispiels- rige Asylbewerber*innen benötigen eine Per- weise 7.285 Personen in den Übergangsklassen spektive in Deutschland. Auch für sie müssen an den bayerischen Mittelschulen. Nur wenige bereits während des Asylverfahrens und da- hingegen gingen auf eine Realschule (292) oder nach Angebote für den Deutscherwerb geschaf- auf das Gymnasium (205). Der Staat muss Men- fen werden – unabhängig von der Bleibeper- schen mit Fluchthintergrund durch Stipendien spektive oder dem Aufenthaltsstatus. und zusätzliche Unterstützungsangebote ge- zielt fördern, damit diese auch die Chance auf einen höheren Bildungsabschluss haben. Um insb. den Zugang zu Universitäten zu erleich- tern, müssen zügige, kostenlose und tatsächlich zugängliche Anerkennungsverfahren bestehen- der Qualifikationen eingeführt werden: Denn für Geflüchtete ist es häufig schwer, die erfor- derlichen Zeugnisse für die Studienaufnahme vorzulegen, da diese auf der Flucht verlorenge- gangen sind oder sich noch im Heimatland be- finden. 9. FLÄCHENDECKENDE ANGE BOTE DER FRÜHKINDLICHEN ERZIE HUNG UND BETREUUNG Geflüchtete mit Kleinkindern können nicht an Integrations- und Bildungsmaßnahmen teilneh- men, wenn es keine Betreuungsangebote für ihre Kinder zwischen 0 und 6 Jahren gibt. Erfor- derlich sind daher flächendeckende und effek- tiv durchgesetzte Betreuungsangebote für Flüchtlingskinder. Ergänzend dazu muss es mehr familienfreundliche Bildungsangebote für Mütter und Väter geben, damit Integration und Familie Hand in Hand gehen können. 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
14 Kampf um das Recht, arbeiten zu dürfen. Wer hinge- ARBEIT & AUSBILDUNG gen bereits eine Duldung hat, braucht schon sehr viel Glück und viel Unterstützung vom Arbeitgeber, um noch eine Ausbildung machen zu dürfen. Ein „Seitdem das bayerische Innenministerium 2016 die krasses Beispiel ist auch die 3plus2 Regelung: Ur- Ausländerbehörden angewiesen hat, wie die asyl- sprünglich stammte die Idee dafür aus Bayern: rechtlichen Bestimmungen zur Arbeitsmarktintegra- Wenn eine geduldete Person eine Ausbildung tion anzuwenden sind, ist meine Arbeit als Anwältin macht, soll sie und der Arbeitgeber Planungssicher- deutlich schwieriger geworden. Davor war es ver- heit haben. Doch heute wird das entsprechende gleichsweise leicht, eine Arbeitsgenehmigung für ei- Bundesgesetz in Bayern so restriktiv ausgelegt, dass nen Asylbewerber zu erhalten, wenn der Arbeits- es nahezu unmöglich ist, eine derartige Duldung zu oder Ausbildungsvertrag vorlagen. Heute wird meis- erhalten. Unterm Strich muss ich heute einfach für tens verlangt, dass der Asylbewerber außerdem Kleinigkeiten kämpfen, die früher selbstverständlich Identitätspapiere vorlegt. Das ist aber aus prakti- waren.“ (Anna Toth, Rechtsanwältin aus München) schen Gründen oft nicht möglich. Ohnehin regelt das Gesetz klar, welche Mitwirkungspflichten ein Asyl- bewerber hat. Da heißt es, man müsse die vorhan- 11. FAKTISCHE UND RECHTLICHE AR- denen Papiere abgeben. Nicht heißt es allerdings, BEITSVERBOTE ABSCHAFFEN man müsse neue beschaffen. Man verlangt also von Die sog. „Bleibeperspektive“ darf bei der den Asylbewerbern, zur Botschaft von jenem Land Vergabe von Arbeitserlaubnissen, beruflichen zu gehen, aus welchem man gerade geflohen ist. Maßnahmen und sonstigen Förderleistungen Überhaupt hat man das Gefühl, dass jede bayeri- keine Rolle spielen. Arbeitsverbote für Perso- sche Ausländerbehörde die Gesetze nach eigenem Gusto auslegt. Das ist auch kein Wunder, denn die nen aus sicheren Herkunftsländern und sol- Weisungen des Innenministeriums sind selbst für er- chen, die ihre Identifikationspapiere nicht bei- fahrene Asylrechtsanwälte nicht ohne Weiteres zu bringen können, sind ebenso abzulehnen. Die verstehen. Vor allem auf dem Land können die Land- Investition in die berufliche Bildung ist stets räte ihre politischen Vorstellungen und Ambitionen sinnvoll – unabhängig davon, wie lange eine besonders deutlich den nachgeordneten Ausländer- Person tatsächlich in Deutschland bleibt. Spä- behörden diktieren. In den Städten ist es oft etwas testens bei der Rückkehr profitieren das Hei- besser, weil die Wirtschaft dort stärkeren Einfluss matland und die zurückkehrende Person von ih- hat und ja händeringend Arbeitskräfte sucht. Ein of- ren in Deutschland erworbenen Qualifikatio- fensichtliches Beispiel für eine rechtswidrige Praxis nen. Wer daher arbeiten möchte und eine Ar- ist das reihenweise Einkassieren von Arbeitserlaub- nissen, wenn ein Asylbewerber vom BAMF abge- beit oder Ausbildung in Aussicht hat, soll tat- lehnt wurde und nun dagegen vor Gericht klagt. Die sächlich die Möglichkeit dazu haben. Um den Rücknahme der Arbeitserlaubnis ist eigentlich noch Arbeitgebern und Geflüchteten Planungssicher- nicht möglich, da das Asylverfahren bis zum Ge- heit zu geben, müssen erteilte Arbeits- und Aus- richtsurteil noch nicht rechtskräftig beendet ist. Die bildungsgenehmigungen auch dann noch gel- Ausländerbehörden interessiert das aber wenig. Kla- ten, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde. gen müssen die Behörden nicht befürchten, dazu Denn auch nach der Ablehnung bleiben Ge- fehlt es an ausreichend Anwälten und Geld bei den flüchtete in der Regel noch viele Monate bis Asylbewerbern. Wird mal eine Dienstaufsichtsbe- Jahre in Deutschland. Diese Zeit gilt es zu nut- schwerde gegen einzelne Beamte eingelegt, bleibt zen – für die Zeit in Deutschland oder für das das folgenlos. Selbst bei Asylbewerbern aus den TOP-five Herkunftsländern mit guter Bleibeperspek- spätere Fußfassen im Heimatland. tive ist es mittlerweile nicht mehr sicher, dass diese eine Arbeitserlaubnis erhalten. Eigentlich sind es nur 12. AUFENTHALTSSICHERHEI T WÄH- noch Syrer und Menschen aus Eritrea, wo man ver- REND DER AUSBILDUNG gleichsweise sicher eine Arbeitserlaubnis erhält. Bei Wer nicht weiß, was morgen passiert, kann sich allen anderen ist es ein immer häufiger erfolgloser nicht auf die Ausbildung konzentrieren. Und ein 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
15 Arbeitgeber, der nicht weiß, wo der Azubi oder 14. BESCHLEUNIGUNG DER G ENEHMI- Angestellte in vier Wochen ist, schreckt vor ei- GUNGSVERFAHREN ner Anstellung zurück. Geflüchtete in der Aus- Arbeitgeber benötigen eine schnelle Rückmel- bildung und in beruflichen Qualifizierungsmaß- dung, ob die geflüchtete Person eine Arbeit nahmen brauchen daher eine sichere Aufent- oder Ausbildung aufnehmen darf. Häufig ist die haltsperspektive. Ein wichtiger Schritt dorthin Arbeitsstelle bereits besetzt, wenn endlich die ist die effektive Durchsetzung der sog. 3plus2 Arbeitserlaubnis vorliegt. Ebenso kann eine Regelung: Diese sollte Geduldeten und Ausbil- Ausbildungserlaubnis erst dann beantragt wer- dungsbetrieben ursprünglich Planungs- und den, wenn der fertige Ausbildungsvertrag be- Aufenthaltssicherheit geben. Tatsächlich wird reits vorliegt – ein für die Ausbildungsbetriebe die Regelung in Bayern so restriktiv angewendet mit großer Unsicherheit behaftetes Vorgehen. wie in keinem anderen deutschen Bundesland. Die Genehmigungsverfahren müssen beschleu- Die Folge: Nur wenige Geduldete konnten die nigt werden und unnötige Hürden wie die Vor- Regelung bisher in Anspruch nehmen. Das ar- rangprüfung vollständig und flächendeckend beitgeber- und flüchtlingsfreundliche Gesetz abgeschafft werden. Für die Beantragung einer muss deshalb so ausgelegt werden, wie der Arbeits- oder Ausbildungserlaubnis muss die Bundesgesetzgeber es ursprünglich im Sinn formlose Zusage des zukünftigen Arbeitsgebers hatte – und nicht wie die bayerische Landespo- ausreichend sein. Ansonsten scheitern Chancen litik es sich wünscht. Grundsätzlich sollen Ge- an Formalien. flüchtete mit einer begonnenen oder in Aus- sicht stehenden Ausbildung in Deutschland blei- 15. MEHR ZEIT FÜR DIE BE RUFSORIEN- ben dürfen. TIERUNG UND DEN SPRA CHERWERB Nach zweijährigem Besuch der Berufsintegrati- 13. TRANSPARENTE VERGABE VON AR- onsklassen sind nicht alle Geflüchtete im glei- BEITSERLAUBNISSEN chen Maße ausbildungsreif. Die Sorge um den Zwischen den bayerischen Ausländerbehörden eigenen Aufenthalt, eine falsche Selbstein- gibt es große Unterschiede bei der Vergabe von schätzung oder finanzieller Druck drängen Ge- Arbeits- und Ausbildungserlaubnissen. Un- flüchtete manchmal in eine Ausbildung, die durchsichtige Vergabekriterien, lange Wartezei- nach kurzer Zeit wieder abgebrochen wird. Ge- ten, unklare Zuständigkeiten und willkürlich an- flüchtete brauchen mehr Zeit und weniger mutende Behördenentscheidungen entmuti- Druck bei der Ausbildung und Jobsuche. Eine gen und frustrieren Asylbewerber*innen, Ar- dreijährige Regelbeschulung in den Vorberei- beitgeber und ehrenamtliche wie hauptamtli- tungsklassen an den Berufsschulen ist daher er- che Unterstützer*innen. Der Rechtsstaat gebie- forderlich. Nur so werden zukünftig mehr Aus- tet nachvollziehbare und sachgerechte Ent- bildungen begonnen, die tatsächlich zu den Ge- scheidungen – und keine Entscheidungen ge- flüchteten passen und dann auch abgeschlos- mäß der politischen Einstellung des verantwort- sen werden. lichen Beamten. Regelmäßige Stichprobenkon- trollen von Einzelentscheidungen können be- 16. KONTINUIERLICHE UNTE RSTÜTZUNG hördlicher Willkür Einhalt gebieten. WÄHREND DER AUSBILDU NG Zahlreiche erfolgreiche Praxisbeispiele belegen, dass Geflüchtete mit der erforderlichen Unter- stützung während der Ausbildung diese eher abschließen als ohne zusätzliche Angebote. 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
16 Häufig fehlen vor allem berufsbezogene Sprach- tion von Geflüchteten geleistet, indem sie die- kenntnisse und begleitende Nachhilfeange- sen eine Chance boten. Doch nicht wenige Ar- bote. Ausbildungsbegleitende Hilfen und finan- beitgeber sind mit den rechtlichen Vorgaben zielle Unterstützung müssen daher flächende- bei der Anstellung von Asylbewerber*innen ckend und für alle Geflüchtete unabhängig vom und Geduldeten überfordert. Außerdem wissen Aufenthaltsstatus und der Bleibeperspektive viele Arbeitgeber nicht, wie sie reagieren müs- gewährt werden. sen, wenn der geflüchtete Auszubildende plötz- lich von einer Abschiebung bedroht ist. Beste- 17. VEREINFACHTE ANERKEN NUNG VON hende Beratungsangebote für Arbeitgeber BERUFS- UND BILDUNGSABSCHLÜS- etwa der Wirtschaftskammern müssen daher SEN erhalten und flächendeckend ausgebaut wer- Die Anerkennung von bestehenden Schul-, Aus- den. Arbeitgeber dürfen bei der Einstellung und bildungs- und Berufszeugnissen ist langwierig Beschäftigung von Geflüchteten nicht alleine und vielfach können bestehende Kenntnisse gelassen werden. und Fähigkeiten nicht angemessen erfasst wer- den. Die fehlende Wertschätzung vorhandener 20. BESSERE VERZAHNUNG U ND AB- Qualifikationen demotiviert Geflüchtete und STIMMUNG DER ANGEBOTE lässt Potentiale brachliegen. Bestehende Aner- Unterschiedliche Träger bieten mittlerweile kennungsverfahren müssen daher für alle Ge- eine Vielzahl an kommunalen, staatlichen und flüchtete kostenlos sein und ausgeweitet, be- privaten Maßnahmen der Arbeitsmarktintegra- schleunigt, entbürokratisiert und vereinfacht tion an. Wünschenswert sind eine bessere Ver- werden. zahnung der Einzelmaßnahen und der stetige Erfahrungsaustausch zwischen den lokalen und 18. MEHR UNTERSTÜTZUNG F ÜR BE- regionalen Maßnahmenträgern. Eine verbes- REITS ARBEITENDE FLÜ CHTLINGE serte Abstimmung verhindert das Entstehen Arbeitende Geflüchtete haben regelmäßig kei- von langen Wartezeiten zwischen den Einzel- nen Anspruch auf weiterführende Deutsch- maßnahmen, erleichtert die Auswahl geeigne- kurse. Gerade für Geflüchtete in einfachen Hel- ter Integrationsinstrumente für die Geflüchte- fertätigkeiten sind aber kostenlose und flexible ten, vermeidet Bürokratie und doppelte Wege. Sprachkurse in den Abendstunden wichtig, um Außerdem hilft der gemeinsame Erfahrungs- den Aufstieg in Fachberufe zu schaffen. Außer- austausch, die Angebote stetig zu verbessern dem müssen ältere Flüchtlinge gezielt gefördert und aus Fehlern zu lernen. Erforderlich sind da- werden, um den Anschluss an den Arbeitsmarkt her Foren und Netzwerke, in welchen die unter- nicht zu verpassen. Spezielle Bildungs- und För- schiedlichen Akteure sich regelmäßig austau- derangebote für arbeitende Geflüchtete müs- schen können und ggf. gemeinsame Strukturen sen entwickelt werden, die mit der Berufstätig- entwickeln. Die öffentliche Hand muss das Ent- keit vereinbar sind und den beruflichen Aufstieg stehen und die Aufrechterhaltung entsprechen- ermöglichen. der Netzwerke unterstützen und fördern. 19. HILFE FÜR DIE ARBEITGEBER In den vergangenen Jahren haben mehrere tau- send Geflüchtete in Bayern eine Arbeit oder Ausbildung gefunden. Unzählige Arbeitgeber haben so einen wichtigen Beitrag zur Integra- 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
17 Stadt verteilte kleinere Unterkünfte haben. Meist le- WOHNEN & ben dort zwischen 20 und 30 Flüchtlinge in einem Haus. Die Akzeptanz in der Umgebung ist dann deut- UNTERBRINGUNG lich höher und selten gibt es – auch nach anfängli- chen Bedenken – Probleme mit den Nachbarn. Mas- „Ich bin Integrationslotsin in Augsburg. Hauptsäch- senunterkünfte mit mehreren hundert bis tausend lich unterstütze und koordiniere ich Ehrenamtliche, Flüchtlingen sehe ich sehr, sehr kritisch. Alleine auf- die anerkannten Flüchtlingen helfen, eine private grund der schieren Größe und der aufgezwungenen Wohnung in der Stadt oder Umgebung zu finden. Tatenlosigkeit sind Konflikte dort vorprogram- Für Flüchtlinge sind die eigenen vier Wände sehr miert.“ (Corinna Höckesfeld, Integrationslotsin aus wichtig. Viele klagen über den Lärm und die feh- Augsburg) lende Privatsphäre in den Gemeinschaftsunterkünf- ten. Immer wieder erlebe ich dann, wie Flüchtlinge 21. KEINE DAUERHAFTE KASERNIERUNG nach dem Auszug aus den Gemeinschaftsunterkünf- VON ASYLBEWERBER*INN EN ten aufblühen: Die schulischen Leistungen der Kin- Die aktuellen bayerischen Transit- und Ausrei- der werden plötzlich besser, die lange geplante Aus- sezentren sowie die geplanten bundesweiten bildung endlich angepackt. Eigene Möbel, es sich so einzurichten, wie es einem gefällt, kein ständiges Ankerzentren sind Orte der Ausgrenzung, Ent- Kommen und Gehen am Tag und in der Nacht – viele mündigung und persönlichen Erniedrigung. In- Flüchtlinge kommen erst dann wirklich in Deutsch- tegration kann nicht gelingen, wenn hunderte land an, sobald sie selbstbestimmt wohnen dürfen. von Menschen über Monate hinweg in von der Doch leider ist es nicht einfach, geeignete Wohnun- Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft abgekapsel- gen zu finden. Nicht nur in München, auch in Augs- ten Lagern leben. Sprachunterricht und Beschu- burg ist Wohnraum mittlerweile knapp und teuer. lung sind dort auf ein Minimum reduziert. An- Zusammen mit ehrenamtlichen Mitarbeitern ver- waltliche Betreuung und sonstige Unterstüt- mitteln wir im Monat im Schnitt zwischen zwei und zungsangebote sind fast nicht oder nur sehr ein- vier Wohnungen an Geflüchtete. Die meisten Ver- geschränkt vorhanden. Ein friedliches Miteinan- mieter wünschen sich Mieter mit einem geregelten Einkommen. Bei vielen Flüchtlingen würde das Job- der kann nicht funktionieren, wenn eine sprich- center an und für sich die Miete bezahlen. Doch den wörtliche Mauer zwischen Asylbewerber*innen Vermietern ist das trotzdem zu unsicher. Und außer- und der Aufnahmegesellschaft gebaut wird. dem trifft es bei Vermietern und den potentiellen Vielmehr sind Konflikte vorprogrammiert. Der- Nachbarn häufig auf Unverständnis, wenn eine ge- artige Lager sind daher strikt abzulehnen. In den flüchtete Familie zu fünft in eine Drei-Zimmer-Woh- sonstigen Erstaufnahmeeinrichtungen ist die nung einziehen möchte. Ohne die tatkräftige Hilfe maximale Verweildauer von derzeit maximal von Ehrenamtlichen, die bei Wohnungsbesichtigun- sechs Monate auf vier Wochen zu begrenzen, gen und sonstigen Formalien zwischen dem Vermie- um Asylbewerber*innen nicht unnötig lange in ter und den Geflüchteten vermitteln, könnte ich Massenunterkünften unterzubringen. meine Arbeit nicht machen. Besonders schwer ha- ben es Geduldete, eine eigene Wohnung zu finden. Vermieter wünschen sich in der Regel eine langfris- 22. DEZENTRALE UND GUT E RREICH- tige Vermietung. Da Geduldete aber immer ein auf BARE ASYLBEWERBERUNT ERKÜNFTE einige Monate befristetes Aufenthaltsrecht haben, Zahlreiche Asylbewerberunterkünfte befinden ist die Vermittlung besonders schwer. Und um geför- sich in abgelegenen ländlichen Regionen. Selbst derten städtischen Wohnraum in Augsburg in An- wenn es öffentliche Verkehrsmittel gibt, fehlt spruch nehmen zu dürfen, muss der Bewerber einen oft das erforderliche Geld für die Fahrtickets. mindestens einjährigen Aufenthaltstitel besitzen. Geduldete haben daher von Vornherein keine Gleichzeitig werden Asylbewerber*innen in den Chance auf Sozialwohnungen. Positiv an Augsburg Städten regelmäßig zentral und geballt in gro- ist jedoch, dass wir hier viele dezentrale und über die ßen Gemeinschaftsunterkünften einquartiert. 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
18 Das Ziel muss die gleichmäßige, dezentrale und durch zentral verteilte Sachleistungen. Immer gut an den öffentlichen Verkehr angebundene häufiger wird auch in den Anschlussunterkünf- Verteilung der Asylbewerber*innen sein. So ten ein Teil der den Asylbewerbern zustehen- werden Konflikte mit der Nachbarschaft ver- den Leistungen in Form von Sachleistungen er- mieden und die Asylbewerber*innen können bracht. Essens- und Hygienepakete sind aber sich besser in ihre Umgebung integrieren. Die nicht nur teuer – sie sind auch ineffizient, men- Regelunterbringung darf also nicht die Gemein- schenunwürdig und bevormundend. Asylbe- schaftsunterkunft sein, sondern eine dezentrale werber*innen sollen das Recht haben, frei dar- Unterbringung. über zu entscheiden, was sie essen möchten und wofür sie ihr weniges Geld ausgeben. Das 23. UMVERTEILUNGEN UND A USZUG ER- Sachleistungsprinzip ist daher grundsätzlich ab- LEICHTERN zulehnen, sowohl in den Erstaufnahmeeinrich- Aus familiären, gesundheitlichen oder berufli- tungen wie auch in den Anschlussunterbringun- chen Gründen kann es erforderlich sein, dass gen. Asylbewerber*innen die Unterkunft wechseln. Manchmal finden Asylbewerber*innen aber 25. ÜBERBELEGUNGEN VERHI NDERN auch zwischenzeitlich bei Freunden oder ehren- UND RAUM ZUM LEBEN S CHAFFEN amtlichen Unterstützern eine Bleibe. Umvertei- Obschon die Zeiten von zu Notquartieren um- lungs- und Auszugsanträge sind aber während funktionierten Sporthallen vorbei sind: Immer des laufenden Asylverfahrens häufig langwierig noch leben viele Asylbewerber*innen zu dritt, und selten von Erfolg gekrönt. Bürokratische viert oder deutlich mehreren in einem einzigen Hürden verhindern so, dass Asylbewerber*in- Zimmer. Mehrköpfige Familien teilen sich nicht nen sich um ihre Familienmitglieder kümmern, selten lediglich einen Raum. Es fehlt an Pri- einer Arbeit nachgehen oder schlichtweg bei vatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten. Viele Freunden leben können. Abgelehnte Asylbe- Asylbewerber*innen klagen über Schlaflosig- werber*innen wiederum müssen weiterhin in keit. Geflüchtete brauchen wie alle anderen einer Asylbewerberunterkunft leben. Sie haben Menschen ausreichenden Raum für Schlaf, kein Recht darüber zu entscheiden, wo sie le- Rückzug und Ruhe. Zu Notzeiten eröffnete Asyl- ben möchten. Für die Betroffenen heißt das bewerberunterkünfte sollten daher grundsätz- konkret: Über Jahre hinweg kein eigenes Zim- lich nicht geschlossen werden. Stattdessen soll- mer, gemeinsame sanitäre Anlagen, keine eige- ten die in Bayern lebenden Geflüchteten groß- nen Kochgelegenheiten und ständig wech- zügiger auf die bestehenden Unterkünfte ver- selnde Mitbewohner*innen. Gerade für lang- teilt werden. Außerdem müssen in den Asylbe- jährige Geduldete, die mittlerweile arbeiten, werberunterkünften ausreichend Kochgelegen- Freunde gefunden haben und genug Geld für heiten geschaffen werden, damit Geflüchtete eine eigene Wohnung haben, ist das eine unbil- problemlos und in Ruhe ihr eigenes Essen ko- lige Härte. Geduldeten Personen muss daher chen können. der Auszug grundsätzlich und nicht nur in Aus- nahmefällen erlaubt werden. 26. SCHUTZ VULNERABLER G RUPPEN GEWÄHRLEISTEN 24. SACHLEISTUNGSPRINZIP ABSCHAF- Nur in wenigen Asylbewerberunterkünften gibt FEN es ein tatsächlich funktionierendes Schutzkon- In den Erstaufnahmeeinrichtungen erhalten zept für vulnerable Gruppen. Gerade für Fami- Asylbewerber nur ein geringes Taschengeld. Die lien, alleinstehende Frauen und Kinder sollte die Deckung des Lebensbedarfs erfolgt größtenteils 60 FORDERUNGEN ZUR LANDTAGSWAHL|Für eine bayerische Asylpolitik mit Zukunft und Anstand
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