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AKTIV.IST.IN FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE NETZWERK FRAUENRECHTE AMNESTY-INFO 4/ DEZEMBER 2021 AFGHANISTAN Bildung für Mädchen Richterinnen in Gefahr SLOWAKEI Gerechtigkeit für Romafrauen SETZ DICH EIN für Atena Daemi für Janna Jihad NETZWERK FRAUENRECHTE
AKTIV.IST.IN NR. 160 Liebe Unterstützer*innen! AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE DEZEMBER 2021 Liebe Amnesty-Freund*innen! NETZWERK FRAUENRECHTE Auch in diese Ausgabe blicken wir wieder nach Afghanistan. Seit der Machtübernah- me der Taliban hat sich das Leben von Frauen und Mädchen in Afghanistan schlag- artig geändert, wie der Artikel über Richterinnen zeigt, die seither gezwungen sind unterzutauchen. Vielen Frauen und Mädchen wird bereits der Zugang zu Schulen WEB verboten, das Recht auf Bildung verwehrt, die Zukunft genommen. Das zeigt eine frauenrechte.amnesty.at Untersuchung von Amnesty International. E-MAIL Zusätzlich werfen wir einen Blick auf das Versagen der Bewältigung der Klimaerhit- frauenrechte@amnesty.at zung und die damit verbundenen Auswirkungen auf Menschenrechte, wie das Recht auf Bildung und Frauenrechte, die Menschen bereits jetzt spüren. FACEBOOK @amnestynetzwerkfrauenrechte Eine Aktivistin aus der Slowakei berichtet uns über Zwangssterilisierungen von Romaf- rauen im Land, die unter anderem ihre Rechte auf reproduktive Selbstbestimmung, TWITTER Privatleben und Unversehrtheit des Körpers verletzen. @AIFrauenrechte Bei Redaktionsschluss liegen die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen noch vor uns und INSTAGRAM es freut mich, dass wir in dieser Ausgabe den Kerzenschein auf einen Verein werfen, amnesty_frauenrechte der in Österreich seit 1985 Pionier*innenarbeit mit Betroffenen von Frauenhandel leistet. Österreich spielt als Transit- und Zielland des Menschenhandels eine entschei- dende Rolle, und es sind Aktivist*innen von LEFÖ, die einen großen Beitrag in seiner SPENDENKONTO Bekämpfung leisten. BIC: GIBAATWWXXX In unserer Reihe „Vorkämpferinnen für Frauenrechte“ erfahren wir mehr über eine IBAN: AT14 2011 1000 0031 6326 Pionierin aus der Vergangenheit: Die weltweit erste Dip- lautend auf lomatin Alexandra Kollontai. AMNESTY INTERNATIONAL Wie in jeder AKTIV.IST.IN haben wir auch in dieser Ap- ÖSTERREICH pelle, die du unterschreiben und abschicken kannst. Verwendungszweck: Danke, dass du uns unterstützt und dich für diese Frau- NETZWERK FRAUENRECHTE enrechtsverteidigerinnen einsetzt. Spenden an Amnesty sind Ich wünschen dir und deiner Familie im Namen des steuerlich absetzbar. Netzwerks Frauenrechte einen frohen Jahresabschluss und viel Gesundheit fürs neue Jahr! Flora Bachmann, Sprecherin des Amnesty-Netzwerks Frauenrechte INHALT 3 AFGHANISTAN Mädchen müssen wieder in die Schule gehen dürfen 5 AFGHANISTAN Richterinnen in Gefahr 17 ERFOLGE Dein Einsatz hilft 18 IRAN Atena Daemi nicht vergessen 6 16 TAGE GEGEN GEWALT „Wir hatten 19 CHINA Zhang Zhans Leben ist in Gefahr viele Freiheiten“ 8 PAKISTAN Heißer als ein Mensch erträgt 20 ISRAEL Todesdrohungen gegen Janna Jihad 10 COVID-19 zwei Milliarden Impfdosen in 21 THAILAND Anklage wegen Majestätsbeleidigung 100 Tagen 12 SLOWAKEI Zwangssterilisierungen von 22 DIES & DAS Kurzmeldungen Romafrauen 23 APPELLBRIEFE Bitte absenden! 14 ÖSTERREICH Frauenhandel ist moderne 31 ALEXANDRA KOLLONTAI Die erste Sklaverei Diplomatin 16 ÖSTERREICH Gewaltschutz braucht Geld 32 DEINE SPENDE HILFT Impressum 2
AFGHANISTAN MÄDCHEN MÜSSEN WIEDER IN DIE SCHULE GEHEN DÜRFEN Gegenwärtig wird Mädchen in Afghanistan der Besuch von Sekundarschulen faktisch verwehrt. Die von den Taliban verfolgte Politik ist diskriminierend, ungerecht und verstößt gegen das Völkerrecht. Während Buben landesweit am 17. Septem- sagte Amnesty International: „Werde ich zur ber in die weiterführenden Schulen zurück- Schule gehen können oder nicht? Dies ist kehren konnten, bestanden die Taliban dar- meine größte Sorge. Ich möchte alles lernen, auf, dass erst ein „Lernumfeld“ geschaffen von den einfachsten bis zu den schwierigsten werden müsse, bevor Mädchen zurückkehren Fächern. Ich möchte Astronautin, Ingenieu- dürften. rin oder Architektin werden... Das ist mein Schüler*innen, Lehrer*innen und Schulver- Traum...“ waltungen berichteten gegenüber Amnesty Khalida*, eine 16-jährige Schülerin aus International, dass Einschüchterungen und Kabul, sagte: „Was sollen wir mit einer Aus- Schikanen durch die Taliban dazu führen, bildung anfangen, wenn wir unsere Wünsche dass die Schulbesuchsquote auf allen Ebe- nicht leben können? Ich will Politikerin wer- nen niedrig bleibt, insbesondere bei Mäd- den... Ich will keinen Abschluss machen und chen. dann zu Hause sitzen... Mädchen wie ich „Gegenwärtig wird Mädchen in Afghanis- wollen führende Positionen einnehmen ... tan der Besuch von Sekundarschulen fak- Wir können alles werden, aber sie lassen uns tisch verwehrt. Im gesamten Land werden nicht.“ die Rechte und das Streben einer ganzen Mehrere Sekundarschülerinnen sagten, sie Generation von Mädchen missachtet und hätten ihre Lernmotivation verloren, weil die unterdrückt“, sagte Agnès Callamard, in- Taliban sie wahrscheinlich nur in einigen ternationale Generalsekretärin von Amnesty wenigen, spezifischen Bereichen wie dem Die Forderung von 2002 „Zu- rück in die Schule“ ist heute International. „Das Recht auf Bildung ist Bildungs- oder Gesundheitswesen arbeiten wieder traurige Realität. ein grundlegendes Menschenrecht, zu des- lassen würden. © Amnesty International sen Einhaltung die Taliban als die de-facto Lehrer*innen, Schüler*innen und Aktivist*in- Behörden des Landes verpflichtet sind. Die derzeit von den Taliban verfolgte Politik ist diskriminierend, ungerecht und verstößt gegen das Völkerrecht.“ APPELL AN DIE INTERNATIONALE GEMEINSCHAFT. Amnesty International appelliert an die in- ternationale Gemeinschaft, angemessene Finanzmittel für den afghanischen Bildungs- sektor bereitzustellen, damit die Schulen weiterarbeiten können. Andernfalls könnte Millionen von afghanischen Schüler*innen das Recht auf Bildung vorenthalten werden. Einige Sekundarschulen haben die Rückkehr von Mädchen erlaubt, aber die große Mehr- heit der weiterführenden Schulen in Afgha- nistan bleibt den Mädchen verschlossen. Die 14-jährige Schülerin Asma* aus Kabul, 3
Viele Familien haben jetzt Angst, ihre Töchter zur Schule nen in ganz Afghanistan berichteten Amnesty Taliban, „in dem hieß es: ‚Wenn die Taliban zu schicken. © pixabay International, dass der Grundschulbesuch in dich erwischen, werden sie dir die Ohren ab- vielen Gebieten erheblich nachgelassen hat, schneiden, und das wird für andere in [dei- vor allem der der Mädchen. Viele Familien ner] Provinz eine Lehre sein‘. Jetzt bin ich haben nach wie vor Angst vor den Taliban untergetaucht. Sogar meine Familie denkt, und trauen sich nicht, ihre Kinder, insbeson- dass ich außer Landes bin.“ dere Mädchen, zur Schule zu schicken. Die 22-jährige Efat*, und Naveed*, ihr Die schwierige wirtschaftliche Lage hat viele 16-jähriger Bruder, berichteten, dass sie Familien dazu gezwungen, ihre Kinder aus am 18. August von zwei Taliban-Mitgliedern der Schule zu nehmen und sie zur Arbeit zu bewusstlos geschlagen worden seien. Sie METHODIK: Vom 16. September bis 8. schicken. Millionen von Afghan*innen wur- seien auf dem Weg zu einem Englischkurs Oktober 2021 führte Amnesty den während und nach der Übernahme des angegriffen worden, den die Taliban als „die International Telefoninterviews Landes durch die Taliban aus ihren Heimat- Sprache der Ungläubigen“ bezeichneten. mit elf Lehrer*innen und Schul- orten vertrieben, und viele der vertriebenen Eine andere Sekundarschullehrerin gab an, verwaltungen sowie zehn Schü- Kinder gehen nicht zur Schule. dass die Taliban sie als Vergeltung für ein ler*innen und Studierenden im Die Befragten sagten auch, dass viele Leh- Medieninterview, in dem sie sich über Leh- Alter von 14 bis 22 Jahren in rer*innen keinen Unterricht geben, was vor rer*innengehälter und den Zugang von Mäd- Provinzen in ganz Afghanistan, allem darauf zurückzuführen sei, dass die chen zur Sekundarschulbildung beschwert darunter Badakhshan, Farah, Taliban ihre Gehälter nicht zahlen. hatte, eingeschüchtert hätten. Helmand, Kabul, Kandahar, An den Hochschulen berichteten die Studie- Laghman, Nangahar, Samangan renden, dass einige Universitäten zwar wie- SCHULEN FÜR MILITÄRISCHE ZWECKE GENUTZT. und Sar-e Pul. der geöffnet hätten, die Anwesenheitsquote Zeug*innen berichteten Amnesty außerdem, Amnesty International befragte außerdem zwölf lokale Akti- aber gesunken sei, insbesondere unter den dass die Taliban während der Kämpfe vor vist*innen, Vertreter*innen von jungen Frauen. der Übernahme des Landes vier Schulen für Nichtregierungsorganisationen militärische Zwecke nutzten: Eine solche und den Vereinten Nationen EINSCHÜCHTERUNG UND SCHIKANEN DER TALIBAN Nutzung von Schulen setzt die Schüler*in- sowie weitere Bildungsfachleute GEGEN LEHRER*INNEN. Pashtana*, eine Gymna- nen und Lehrer*innen dem Risiko möglicher in Afghanistan. siallehrerin, berichtete Amnesty Internatio- militärischer Angriffe aus und dürfte es ex- Amnesty International hat am 6. nal, dass sie Morddrohungen von den Taliban trem erschweren, Bildung angemessen zu und 12. Oktober versucht, mit erhalten habe und vor das örtliche Gericht vermitteln. Diese Handlungen stehen auch Taliban-Vertreter*innen Kontakt geladen worden sei, um sie strafrechtlich zu im Widerspruch zu der globalen Erklärung zu aufzunehmen, hat aber bis zum sicheren Schulen, der die afghanische Regie- verfolgen, weil sie zuvor koedukativen Sport- Zeitpunkt der Veröffentlichung unterricht gegeben habe. Anfang des Jahres rung 2015 zustimmte. keine Antwort erhalten. erhielt sie einen Brief von Angehörigen der * Namen zum Schutz der Betroffenen geändert 4
AFGHANISTAN RICHTERINNEN IN GEFAHR Alle 270 Richterinnen sind seit der Machtübernahme durch die Taliban mit ihren Familien untergetaucht, weil sie verfolgt und bedroht werden. Nach der Machtübernahme der Taliban versi- Journalistinnen, Lehrerinnen und Sportlerinnen Von Teresa Elser, Amnesty- cherten diese im August, dass sie die Rechte sind sie aktuell von massiver Gewalt bedroht. Netzwerk Frauenrechte von Frauen respektieren würden. Soweit es die Alle Richterinnen sind seit der Machtüber- Vorgaben der Scharia erlauben, könnten Frauen nahme mit ihren Familien untergetaucht, weil weiterhin arbeiten, zur Schule und in die Uni- sie verfolgt und bedroht werden. Ihre Konten versität gehen, sagte ein Sprecher der Taliban. wurden eingefroren und sie können sich nicht Wie befürchtet, wurden hart erkämpfte Frau- mehr frei bewegen. enrechte innerhalb weniger Wochen zunichte In Afghanistan wird durchschnittlich jedes gemacht. dritte Mädchen vor dem 18. Geburtstag Im Februar 2020 unterschrieben Vertreter zwangsverheiratet und sechzig Prozent leben der USA und der radikalislamischen Taliban in erzwungenen Ehen. Richterinnen führten ein Friedensabkommen, das den Abzug der Scheidungen durch, sprachen Männer, die internationalen Truppen bis April 2021 festle- Frauen folterten, entführten, vergewaltigten gen sollte. Der Abzug der Truppen war eine der oder ermordeten, schuldig. Sie kämpften Hauptbedingungen der Taliban, um mit der af- dafür, dass Gewalt gegen Frauen als Straftaten ghanischen Regierung an einem Friedensab- verurteilt wurden und Täter nicht länger von kommen zu arbeiten. Die 10.000 internationa- einer patriarchalen, korrupten Rechtsprechung len Soldat*innen und die Einsatzkräfte der NA- profitieren konnten. TO verließen bis September 2021 Afghanistan. Im Zuge des Friedensabkommens zwischen GEZIELTE ANGRIFFE AUF RICHTERINNEN. Bereits vor den Taliban und der afghanischen Regierung der Machtübernahme gab es gezielte Angrif- wurde die Gefangenenfreilassung von Seiten fe auf Richter*innen und Anwält*innen. Im FAWZIA AMINI, ehemalige der Taliban gefordert und es wurden hunderte Jänner 2021 wurden etwa zwei Richterinnen Richterin am Obersten Ge- Gefangene entlassen. Im August eroberten die des Obersten Gerichtshof auf ihrem Weg zur richtshof: „Seit die Taliban die Taliban das Land und nahmen eine Stadt nach Arbeit in Kabul erschossen. Stunden nachdem Kontrolle übernommen haben, der anderen gewaltsam ein, bis sie nach der Inhaftierte aus Gefängnissen befreit wurden, scheinen Kriminelle frei her- Eroberung Kabuls den Krieg für beendet erklär- berichteten Richterinnen von Morddrohungen, umzulaufen und Richterinnen ten. Mit der Machtübernahme öffneten die Tali- die sie über ihre privaten Telefonnummern er- wie Gefangene zu leben... Sie ban die afghanischen Gefängnisse und entlie- hielten. Ihre Arbeitsplätze wurden durchsucht, wollen die Frauen aus der Ge- ßen Gefängnisinsassen. Sie befreiten Männer, ihre persönlichen Daten wurden weitergegeben, sellschaft auslöschen und uns die wegen Terrorismus, Vergewaltigung, Mord, um sie aufzuspüren. Viele der ehemaligen alle zu Gefangenen in unseren Folter und Entführung inhaftiert waren. Richterinnen waren Personen des öffentlichen eigenen Häusern machen.“ Lebens, da sie einen einflussreichen Beruf 20 JAHRE ERFOLGE ZUNICHTE. In den letzten 20 ausübten. Auch die Männer, die sie zu Gefäng- Jahren haben Organisationen und Aktivist*in- nisstrafen verurteilt haben, können sich an nen im Bereich der Frauenrechte wichtige ihre Namen erinnern. Richterinnen waren viele Erfolge erzielt. Der Zugang zu Bildung hat Jahre Repräsentantinnen der Hoffnung auf ein sich für Mädchen und Frauen stark verbes- gerechteres Justizsystem, das sowohl durch sert und immer mehr Frauen konnten Berufe Gesetze als auch bei der Rechtsprechung ein in der Politik und im Justizsystem ausüben. gleichberechtigtes Leben ermöglichen sollte. Im letzten Jahr haben landesweit rund 270 Aktuell versuchen die meisten ehemaligen Weitere Berichte über die Men- Richterinnen gearbeitet und 21 Prozent aller Richterinnen Afghanistan zu verlassen, da sie schenrechtskrise in Afghanis- Strafverteidiger*innen waren Frauen. So wie ihren Beruf nicht länger ausüben können. tan findest du auf amnesty.at 5
AFGHANISTAN „WIR HATTEN VIELE FREIHEITEN...“ Anlässlich der 16 Tage gegen geschlechtsspezifische Gewalt 2021 hob Amnesty International die Leistungen von 16 bemerkens- werten afghanischen Frauen hervor. In einer Zeit, in der den Afghaninnen fast Rechten und die Möglichkeit haben, unein- über Nacht ein ganzes Spektrum von Rech- geschränkt am öffentlichen Leben teilzuneh- ten genommen wurde, erinnern diese 16 Ge- men. Angesichts der enormen humanitären schichten daran, wie viel afghanische Frauen und politischen Krise in Afghanistan ist es in den letzten 20 Jahren trotz politischer erstaunlich, dass eine Regierung diese und Instabilität und Konflikten und den erhöhten viele andere afghanische Frauen aktiv von Risiken, denen sie unter dem derzeitigen der Teilnahme am öffentlichen Leben aus- Regime ausgesetzt sind, erreicht haben. schließt und ihnen ihre Menschenrechte Vor allem aber verdeutlichen diese Geschich- vorenthält. Wir bringen kurze Zitate einiger ten, wie viel Frauen zu ihren Gemeinschaf- Frauen. ten, zur Gesellschaft und zu ihrem Land Mehr dazu, ausführliche Interviews und Forde- beitragen können, wenn sie Zugang zu ihren rungen auf amnesty.at ELAHA SAHEL, JOURNALISTIN UND AKTIVISTIN FÜR FRAUENRECHTE Obwohl afghanische Journalistinnen in den ersten Tagen nach der Machtergreifung der Taliban Interviews mit deren Vertretern führen konnten, verschlechterte sich die Situation schnell. Die Moderatorinnen des staatlichen Fernsehsenders wurden aus dem Programm genommen, und die Journalistinnen erhielten Drohungen, die sie aufforderten, ihre Arbeit einzustellen. Im Jahr vor der Machtübernahme der Taliban in Kabul wurden mehrere Medienmitarbeiterinnen getötet. Nach Recherchen von Reporter ohne Grenzen wurden seit der Machtübernahme durch die Taliban hun- derte Journalistinnen gezwungen, ihre Arbeit aufzugeben. Dutzende Medienunternehmen haben ihre Tätigkeit eingestellt. Viele hochrangige Journalistinnen sind aus dem Land geflohen oder halten sich derzeit versteckt und suchen nach einer Möglichkeit zu entkommen. „Es ist sehr traurig und schmerzhaft für mich, an die Situation zurückzudenken, als ich ein 10-jähriges Mädchen war und die Taliban zum ersten Mal erlebte. Es war der schmerzhafteste Moment meines Lebens, zu sehen, wie sich die Geschichte für die Frauen hier wiederholt.“ ROSHAN SIRRAN, EHEMALIGE PARLAMENTSABGEORDNETE UND AKTIVISTIN Roshan Sirran ist eine langjährige Frauenrechtsaktivistin und Geschäftsführerin der Training Human Rights Association for Afghan Women. Sie hat sich intensiv mit der Wahlrechtsreform befasst und sich für den Schutz der Frauenrechte im Friedensprozess eingesetzt. Sie war Mitglied des afghanischen Parlaments und gehörte in den 1980er Jahren der afghanischen Friedensdele- gation an. Seit der zweiten Machtergreifung der Taliban sehen sich Aktivistinnen - insbesondere diejenigen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen - mit einem äußerst feindseligen Umfeld konfrontiert. „Wäre ich unter den Taliban jung gewesen, hätte ich nicht einmal einen Bruchteil dessen erreichen können, was ich bisher erreicht habe. Die Taliban stellen das Konzept der sozialen Gerechtigkeit in Frage, und es gibt überhaupt keine soziale oder ethnische Gerechtigkeit.“ 6
ZALA ZAZAI, LEITERIN DER KRIMINALPOLIZEI DER PROVINZ KHOST Zala Zazai ist eine Polizeibeamtin, die als Leiterin der Kriminalpolizei der Provinz Khost und später als Er- mittlerin für Verbrechen gegen Frauen tätig war. Mindestens vier afghanische Polizistinnen, darunter eine im achten Monat schwangere Frau, wurden Berichten zufolge seit der Machtübernahme durch die „Gottes- krieger“ von Taliban-Kämpfern getötet. Afghanische Polizistinnen laufen Gefahr, von denjenigen, die sie zuvor verhaftet haben - von denen viele in den Wirren der Taliban-Übernahme freigelassen wurden - sowie von konservativen Familien- oder Gemeindemitgliedern, die ihre Berufswahl missbilligen, bestraft zu werden. „Die internationale Gemeinschaft muss Druck auf die Taliban ausüben, um die Rechte der Frauen zu gewährleisten. Sie müssen alles tun um sicherzustellen, dass Frauen an der neuen Regierung beteiligt werden. Die Taliban können nicht die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans beseitigen. Frauen werden da sein und sollten da sein. Die Taliban haben keine andere Wahl, als die Frauen einzubeziehen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit fortzusetzen und aktiv am sozialen, wirtschaftlichen und politi- schen Leben teilzunehmen.“ MASOUDA FAIZ, GYNÄKOLOGIN Dr.in Masouda Faizi ist eine erfahrene Medizinerin, die bereits mehrere hochrangige Positionen in medizini- schen Einrichtungen innehatte. Sie ist auch im Vorstand des Afghan Women‘s Network. Ärztinnen gehören zu den wenigen Frauen, denen die Taliban erlauben zu arbeiten, aber sie sind jetzt in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt. Sie dürfen nur mit weiblichen Patienten arbeiten und scheinen von der Ausübung von Führungsaufgaben weitgehend ausgeschlossen zu sein. Ihre Aussichten auf Fortbildung oder beruflichen Aufstieg sind äußerst begrenzt oder gar nicht vorhanden. „Vor dem August 2021 war ich eine unabhängige Ärztin, die frei reisen und ihrer Arbeit nachgehen konnte, aber nach dem 15. August war ich von männlichen Familienmitgliedern abhängig, die mich auf Reisen und sogar zur Arbeit begleiten mussten. Innerhalb eines Tages wurde ich von einer völlig unab- hängigen Frau zu einer völlig abhängigen Frau, die ihr Haus nicht ohne ein männliches Familienmitglied verlassen konnte.“ MARIA KABIRI, SCHULLEITERIN UND PROFESSORIN Maria Kabiri ist eine erfahrene Pädagogin, Professorin und Schulleiterin. Nach der Machtübernahme durch die Taliban wurde sie, wie viele andere Lehrerinnen im ganzen Land, aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Der Ausschluss von Lehrerinnen aus dem Berufsleben bedeutet nicht nur, dass viele Frauen ihre Karriere und ihren Lebensunterhalt verlieren, sondern wird auch zu einem enormen Mangel an Lehrpersonal führen und den Zugang der Kinder zur Bildung beeinträchtigen. „Nach der Machtübernahme der Taliban erhielten meine Kolleginnen und ich ein Arbeitsverbot. Selbst Frauen, die an Mädchengymnasien arbeiteten, durften nicht zu ihrer Arbeit gehen. In der gegenwärti- gen Situation ist es Mädchen ab der sechsten Klasse verboten, zur Schule zu gehen, und auch Studen- tinnen an der Universität werden ihrer Ausbildung beraubt. Dies ist ein grober Verstoß gegen die Rechte der Frauen.“ NAHID RAHIMI, MITGLIED DES AGHANISCHEN ROBOTIC-TEAMS Nahid Rahimi studiert und arbeitet auf dem Gebiet der Robotik. Seit dem Taliban-Regime wurden Mäd- chen wie Nahid enorme Beschränkungen auferlegt, ihr Studium fortzusetzen, geschweige denn im Bereich der Wissenschaft und Technologie zu arbeiten. Die Taliban erklärten, dass Mädchen erst dann wieder ein Hochschulstudium aufnehmen können, wenn getrennte Klassen für Männer und Frauen eingerichtet werden. Darüber hinaus haben hochrangige Taliban-Führer das Konzept der akademischen Ausbildung kritisiert und erklärt, dass das Land keine Menschen mit Master-Abschlüssen oder Doktortiteln brauche und dass eine Ausbildungan an religiösen Schulen vorzuziehen ist. „Wir hatten viele Freiheiten, das Recht auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe, das Recht auf Eigentum und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Unsere Regierung war eine demokratische Regierung. Afghanische Frauen und Mädchen konnten ihre Rechte verteidigen.“ 7
PAKISTAN HEISSER ALS EIN MENSCH ERTRAGEN KANN xxxx © Shakil Adil/Amnesty International Im Vorfeld der Weltklimakonferenz COP26 VERZWEIFELTE VERSUCHE, DER SENGENDEN HITZE ZU in Glasgow zeigte ein neuer Fotoessay von ENTKOMMEN, PRÄGEN DEN ALLTAG DER MENSCHEN. Amnesty International die menschenrecht- Das Leben in Jacobabad wird von dem lichen Auswirkungen der Klimakrise. Die Versuch beherrscht, der Hitze zu entkom- Sammlung Unliveable for Humans (Für Menschen men. Dafür setzen die Bewohner*innen alle unbewohnbar) dokumentiert auf eindring- verfügbaren Hilfsmittel ein, angefangen von liche Weise den Alltag in Jacobabad, einer Ventilatoren, die von Eseln angetrieben wer- der heißesten Städte der Welt. Die Bilder den, bis zu riesigen Eisblöcken zur Kühlung und Erfahrungsberichte machen deutlich, der Böden. Um während des Arbeitstages wie unmittelbar sich das kollektive Versagen einen kühlen Kopf zu bewahren, stellen sich bei der Bewältigung der Klimakrise auf die Landarbeiter*innen häufig kurz unter Hand- Menschenrechte der Bewohner*innen von pumpen, oder sie springen in schmutzige Jacobabad auswirkt. Abwässer, die sich auf den Feldern sammeln. Hautinfektionen sind nicht selten. Ein Be- JACOBABAD IN PAKISTAN IST HEISSER, ALS DER wohner von Jacobabad, Shah Bux, berichtete MENSCHLICHE KÖRPER VERKRAFTEN KANN. Ja- Amnesty International, dass „die Kinder in cobabad ist eine Stadt mit rund 200.000 nassen Kleidern ins Bett gehen, um die Hitze Einwohner*innen in der pakistanischen Pro- zu bekämpfen. Nur so können sie schlafen.“ vinz Sindh, in der die Temperaturen in den Die Bevölkerung von Jacobabad lebt in letzten vier Sommern regelmäßig 50 Grad Armut und ausbeuterischen Arbeitsverhält- Celsius überschritten haben. Mindestens nissen, die durch die sengende Hitze noch viermal seit 1987 haben die Temperaturen verschlimmert werden. Zu den am stärks- und die Luftfeuchtigkeit einen Schwellen- ten gefährdeten Bewohner*innen der Stadt Mehr Bilder aus Jacobabad und die Forderungen an die Staaten- wert erreicht, der von Expert*innen als „hei- gehören die rund 5.000 Ziegelarbeiter: unter gemeinschaft auf amnesty.at ßer als ein menschlicher Körper verkraften freiem Himmel, oft ohne Schutz vor der kann“ beschrieben wird. Damit ist Jaco- Hitze, stellen sie an glühenden Öfen täglich babad eine von nur zwei Städten weltweit, etwa 1.000 Ziegel her – für weniger als 5 die diesen wenig beneidenswerten Status US-Dollar pro Tag. erreicht haben. Die Frauen in der Stadt sind der extremen 8
Mit Bildern aus Jacobabad mahnte Amnesty International die Staaten der Weltklimakonferenz, sich zu menschenrechtskonformen Emissions- reduktionszielen zu verpflichten. Ein von einem Esel angetrie- Hitze besonders ausgesetzt, da sie nicht Die vollständige Liste der Forderungen von bener „Ventilator“ den gleichen Zugang zu Kühlmöglichkeiten Amnesty International enthält fünf zentrale © Shakil Adil/Amnesty International haben wie andere. Die gesellschaftliche Positionen zum Thema Menschenrechte und Konvention verbietet es ihnen, in der Öffent- Klimakrise. lichkeit ein schnelles Bad zu nehmen oder Pakistan wird voraussichtlich zu den Ländern in nahe gelegene Gewässer zu springen. Sie gehören, die in den kommenden Jahrzehnten sind oft gezwungen, in stickigen Häusern zu am stärksten von den steigenden Temperatu- schlafen, da sie im Freien geschlechtsspezi- ren betroffen sein werden. Jüngste gemein- fischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt same Erkenntnisse der Asiatischen Entwick- sind. lungsbank und der Weltbank unterstreichen das erhöhte Risiko extremer Klimaereignisse KINDER GEHEN NICHT MEHR ZUR SCHULE. Die fort- und der Ernährungsunsicherheit. schreitende Abholzung der Wälder, Energie- Die pakistanische Regierung hat aktiv Maß- versorgungsschwierigkeiten sowie der man- nahmen zum Umgang mit der Klimakrise gelnde Zugang zu Wasser und angemessenen ergriffen. Dabei hat sie immer wieder auf Unterkünften machen es den Menschen in ihre Anfälligkeit für die Klimakrise hingewie- Jacobabad schwer, mit den extremen Wetter- sen. Eine Reihe von neuen Maßnahmen im bedingungen zurechtzukommen. Die meis- Zuge des Klimawandels wurde angekündigt, ten Schulen haben keinen Strom und sind aber bisher konnten die Einwohner*innen aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrs- von Jacobabad nicht davon profitieren. Die mittel kaum erreichbar. Viele Kinder haben geplanten Aufforstungsprogramme sind noch ihre Ausbildung abgebrochen, da sie in der nicht angelaufen und es gibt noch keine Hitze weite Strecken zu ihren Schulen laufen erneuerbaren und verlässlichen Energiequel- Kinder füllen Wasserflaschen müssten – die wiederum nur unzureichend len. Auch Hilfs- und Informationsangebote vor einer geschlossenen ausgestattet sind, um sie vor den steigenden zur Bewältigung von Hitzewellen sind nach Schule. Temperaturen schützen zu können. wie vor nicht verfügbar. © Shakil Adil/Amnesty International Amnesty International fordert außerdem die pakistanischen Behörden auf, angemessene Maßnahmen zur Anpassung an die Klimakri- se zu ergreifen, um die Rechte der Menschen in Jacobabad vor dem Hintergrund steigender Temperaturen und immer häufigerer Tage mit unerträglicher Hitze wirksam zu schützen. MENSCHENRECHTE UND KLIMAKRISE. Vor der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow rief Amnesty International die teilnehmenden Staaten dazu auf, sich zu ehrgeizigen und menschenrechtskonformen Emissionsreduk- tionszielen zu verpflichten, um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen. 9
COVID-19 2 MILLIARDEN IMPFDOSEN IN 100 TAGEN! Mit der 100-Tage-Countdown-Kampagne unterstützt Amnesty International das Ziel der Weltgesundheitsorganisation, bis Ende 2021 40 Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen gegen Corona zu impfen. Die COVID-19-Impfung kann den Unter- Länder mit niedrigem und mittlerem Einkom- schied zwischen Leben und Tod bedeuten. men abgegeben. Trotzdem wird derzeit Millionen von Men- AstraZeneca lieferte die meisten Impfstoffe schen auf der ganzen Welt der Zugang zu an Länder mit niedrigem Einkommen, ver- lebensrettenden Impfungen verwehrt. Phar- kaufte sie zum Selbstkostenpreis und hatte maunternehmen wie Pfizer, Moderna und einige freiwillige Lizenzen an andere Herstel- Johnson & Johnson verhindern aktiv, dass ler vergeben. AstraZeneca hat sich jedoch andere Herstellerfirmen die dringend benö- geweigert, sein Wissen und seine Technologie tigten Impfstoffe produzieren und verkaufen mit WHO-Initiativen zu teilen, und hat sich ihre Impfstoffe weiterhin vorwiegend an gegen Bemühungen gewehrt, die eine Aus- reiche Staaten. weitung der Produktion ermöglichen würden. Pfizer und BioNTech hatten bisher allein an Schweden neunmal mehr Impfstoffe geliefert MILLIARDEN-PROFITE. Der US-Pharmakonzern als an alle Länder mit niedrigem Einkommen Pfizer hat im dritten Quartal 14 Milliarden zusammen. US-Dollar Umsatz mit Impfstoffen gemacht Moderna hatte noch keine einzige Impfstoff- und wird aufgrund der Einführung des Coro- dosis an ein Land mit niedrigem Einkommen na-Impfstoffs bis zum Ende des Jahres 36 geliefert und nur 12 % seiner Impfstoffe an Milliarden US-Dollar mit dem Verkauf von Lichtinstallation für Impfgerechtigkeit in Berlin © Amnesty Deutschland 10
„Der scheinbar unstillbare Profitdurst großer Pharmaunternehmen wie Pfizer führt zu einer beispiellosen Menschenrechtskrise. “ Patrick Wilcken, Leiter der Abteilung Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International Impfstoffen verdienen. Gleichzeitig behindert damit die weltweite Produktion angekurbelt er die Impfung von Millionen von Menschen und diversifiziert werden kann und jeder weltweit. Mensch auf der Welt eine Chance auf den Patrick Wilcken, Leiter der Abteilung Wirt- lebensrettenden Impfstoff erhält.“ schaft und Menschenrechte von Amnesty Globale Organisationen wie die Weltgesund- International, sagt dazu: „Dass Pfizer in der heitsorganisation (WHO), die Welthandel- Lage war, allein in den letzten drei Monaten sorganisation (WTO), die Weltbank und der Milliarden US-Dollar Umsatz zu machen, Weltwährungsfonds (IMF) haben sich das aber Milliarden von Menschen keinen Impf- Ziel gesetzt, dass bis Ende des Jahres 2021 stoff zur Verfügung gestellt hat, ist ein Versa- 40% der Bevölkerung in Staaten mit gerin- gen von katastrophalem Ausmaß. Nicht nur gem Einkommen geimpft sein sollen. Um ging der überwiegende Teil des Pfizer-Impf- dieses Ziel zu erreichen, braucht es zusätzli- stoffs an Länder mit hohen und mittleren che 2 Milliarden Impfstoffdosen. Einkommen, der Konzern hat sich auch ge- Amnesty fordert die Pharmafirmen auf, die weigert, auf seine geistigen Eigentumsrechte Zeit bis zum Ende des Jahres zu nutzen, um zu verzichten und seine Impfstofftechnologie ihren Teil dazu beizutragen, 2 Milliarden mit anderen zu teilen. Gleichzeitig erhielt er Impfstoffdosen für Menschen in ärmeren Vorbestellungen aus wohlhabenden Ländern Ländern zur Verfügung zu stellen. Dies kann und staatliche Gelder in Milliardenhöhe.“ nur dann gelingen, wenn die Firmen min- destens 50% der produzierten Impfstoffe an PETITION! REICHE STAATEN SITZEN AUF IMPFDOSEN. Mit der ärmere Länder liefern. 100-Tage-Countdown-Kampagne unterstützt Auf amnesty.at Amnesty International das Ziel der Weltge- G20-GIPFEL BLIEB VAGE. Die Abschlusserklä- findest du eine sundheitsorganisation, bis Ende 2021 40 rung des G20-Gipfels Ende Oktober zur Petition für eine % der Menschen in Ländern mit niedrigem Verbesserung des weltweiten Zugangs zu und mittlerem Einkommen gegen Corona zu Covid-19-Impfstoffen ist bedauerlicherweise gerechte Verteilung impfen. Es sind nur noch wenige Tage bis wenig detailliert, kritisierte Amnesty Interna- von Covid- zum Ende des Jahres. Für die Staaten sind tional. Nach der Veröffentlichung der Erklä- Impfstoffen. das wichtige Tage, um dringend Hunderte rung der G20-Staats- und Regierungschefs, von Millionen überschüssiger Impfdosen, in der versprochen wird, „Wege zu finden, auf denen sie sitzen, zu verteilen und für die um die weltweite Impfung zu beschleunigen“ Impfstoffentwickler, um sicherzustellen, dass und dem Ziel der WHO näher zu kommen, mindestens die Hälfte der Dosen, die sie sagte Tamaryn Nelson, Beraterin von Amnes- produzieren, an die weniger wohlhabenden ty International für das Recht auf Gesund- Länder geht. heit: „Die Staats- und Regierungschefs der Patrick Wilcken: „Es ist noch nicht zu spät G20 scheinen die richtigen Dinge zu sagen für Pfizer und andere große Pharmafirmen, - aber nach fünf Millionen Todesfällen ist das das Richtige für die Menschheit zu tun und nicht gut genug. Diese vagen Versprechen ihre Menschenrechtsverpflichtungen zu er- sind ein Affront gegenüber denjenigen, die füllen. Die Pharmaindustrie muss aufhören, gestorben sind, und gegenüber allen, die gegen die Ausnahmeregelung zu lobbyieren, immer noch in Angst vor Covid-19 leben. 11
Zwangssterilisierte Romafrauen warteten seit Jahren auf Entschädigung und die Anerkennung des Unrechts, das ihnen angetan wurde SLOWAKEI DER LANGE LEIDENSWEG ZWANGSSTERILISIERTER ROMAFRAUEN Von Lucia Zrnová, Mitglied des Amnesty-Netzwerks Flucht & Eines der schlimmsten Kapitel der Ras- tion, Fehlinformationen in Einrichtungen für Migration. Lucia ist Juristin und sen- und Geschlechterdiskriminierung von reproduktive Gesundheit und ein rassistisch lebt in Bratislava. Sie hat auch Roma-Frauen in der Slowakei ist die er- diskriminierender Zugang zu Gesundheits- die Roma-Flagge gemalt. zwungene und illegale Sterilisation von Ro- und Behandlungsdiensten gehören; physi- Das Blau und das Grün stehen ma-Frauen, eine Praxis, die gegen das Recht sche und verbale Angriffe von Gesundheits- für Himmel und Erde. Das auf körperliche Unversehrtheit, das Recht dienstleister*innen und Verweigerung des Chakra oder Speichenrad auf Gesundheitsversorgung und die Gesund- Zugangs zur medizinischer Dokumentation. bezieht sich auf die indische heit verstößt. Herkunft der Roma. Die erzwungenen Sterilisierungen waren EINSCHÜCHTERUNG UND FALSCHE INFORMATIONEN. nicht nur in der Nazi-Zeit präsent, als sie als Diese Praxis wurde ohne qualifizierte Einwil- Instrument zur Verfolgung der Roma-Bevöl- ligung nach Aufklärung durchgeführt, oder kerung eingesetzt wurden, sondern blieben es wurde Druck durch das medizinisches auch während des kommunistischen Regi- Personal ausgeübt, um eine Unterschrift und mes in der ehemaligen Tschechoslowakei in Zustimmung zur Sterilisation zu erhalten. den 1970er und 1980er Jahren erhalten. Das Gesundheitspersonal gab zum Beispiel Frauen, die sich freiwillig steriliseren ließen, einschüchternde Informationen, um die erhielten eine finanzielle Entschädigung. Das Frauen dazu zu bringen, zu unterschreiben. waren vor allem Frauen der Roma. Man warnte sie vor angeblichen Risiken ei- ner weiteren Schwangerschaft oder dass sie SCHWERE MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN. Die an der nächsten Geburt sterben könnten. In Praxis der Zwangssterilisationen verschwand manchen Fällen erhielten die Behörden die auch nach dem Sturz des kommunistischen benötigte Unterschrift erst nach der Steri- Regimes 1989 nicht. Eine Forschungs- lisation oder die Frauen wurden überhaupt arbeit der Menschenrechts-NGO Poradňa nicht informiert. pre občianske a ľudské práva (Bürger- und Die betroffenen Frauen, die vor den nati- Menschenrechtsberatungstelle) aus dem onalen Gerichten eine Zivilklage auf Wie- Jahr 2003 dokumentierte zahlreiche Men- dergutmachung erhoben hatten, sahen sich schenrechtsverletzungen an Romafrauen langwierigen Verfahren gegenüber und er- im Bereich der reproduktiven Rechte in der hielten am Ende des Gerichtsverfahren keine Ostslowakei, enthält Interviews mit den Frau- Entschädigung oder nur in einem Mindest- en und deckt schwere Menschenrechtsverlet- betrag. zungen auf, zu denen erzwungene Sterilisa- Einige Frauen wandten sich an den Europä- 12
Schon vor Jahren forderte Amnesty ein Ende der Segregation von Romakindern an Schulen Kinderzeichnung © privat ischen Gerichtshof für Menschenrechte. In Regierung, in dem einer der bekanntesten Fälle, V.C vs. Slova- sie einen wirksamen kia, stellte der Gerichtshof einen Verstoß Mechanismus fordert, gegen die Europäische Menschenrechtskon- um eine schnelle und vention, Art. 3 (unmenschliche und ernied- effiziente Umsetzung rigende Behandlung) und Art. 8 (Recht auf für Entschädigungen zu Privat- und Familienleben) fest und sprach gewährleisten. Ein sol- der Beschwerdeführerin eine Entschädigung ches wirksames Mittel in der Höhe von 31.000 Euro zu. könnte die Annahme eines Gesetzes sein. RECHTSMITTEL UND ENTSCHÄDIGUNG. Seit einigen Am 24. November 2021 DISKRIMINIERUNG VON ROMA IN DER SLOWAKEI Jahren kritisieren internationale Organisatio- genehmigte das slowa- Roma-feindliche Vorurteile und Diskriminierung nen die Slowakei für ihre Einstellung zu den kische Kabinett endlich waren nach wie vor weit verbreitet. Das zeigt sich illegalen Sterilisierungen von Romafrauen. eine offizielle Entschul- auch daran, dass die Roma-Gemeinschaften wäh- Die Slowakei soll den Zugang zu wirksa- digung der Regierung rend der COVID-19-Pandemie als Bedrohung der men Rechtsmitteln und zu angemessener für das begangene Un- öffentlichen Gesundheit stigmatisiert wurden. Entschädigung für die betroffenen Frauen recht. Als Reaktion auf das COVID-19-Virus gingen die schaffen und das verantwortliche medizini- Eine weitere gute Nach- Behörden mit unverhältnismäßigen und diskrimi- sche Personal strafrechtlich verfolgen und richt: Nach 15 Jahren nierenden Maßnahmen gegen Roma-Siedlungen bestrafen. Prozess sprach das slo- vor. Die NGO Poradňa pre občianske a ľudské wakische Landesgericht Im April 2020 testeten die Behörden die Bewoh- práva kämpft seit langem für die Rechte einer zwangssterilisier- ner*innen einiger Roma-Siedlungen mit Hilfe der dieser Frauen, dokumentiert diese Praktiken ten Romafrau Schaden- Armee auf COVID-19 und ordneten aus Gründen und vertritt sie in Gerichtsverfahren. Im Juli ersatz zu. der öffentlichen Gesundheit die Zwangsquarantä- 2021 wurde der Ombudsmann (ein Bürger- Es ist klar, dass keine ne von fünf Siedlungen an. Die Rechtsgrundlage beauftragter, der in der slowakischen Rechts- Entschädigung die psy- für diese obligatorischen Quarantänen, die von ordnung für den Schutz der Grundrechte zu- chischen Traumata und der Polizei und der Armee durchgesetzt wurden, ständig ist) in der Causa tätig. Das Komitee Schäden kompensieren war unklar, was den Verdacht einer willkürlichen des Nationalrates für Menschenrechte und kann. Den zwangssterili- Inhaftierung aufkommen ließ. nationale Minderheiten diskutierte in Anwe- sierten Frauen wurde die Im Juli schrieb das Bildungsministerium an die senheit von zwei Romafrauen, einem Vertre- Möglichkeit genommen, Europäische Kommission bezüglich des laufen- ter der NGO Poradňa pre občianske a ľudské frei über ihre reproduk- den Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Slo- práva und des Ombudsmannes erstmals die tive Gesundheit, darüber wakei wegen systematischer Diskriminierung und Frage der Entschädigung für unrechtmäßige schwanger zu werden Segregation von Roma-Kindern in Schulen. In Sterilisationen. Das galt für die Betroffenen und ein weiteres Kind zu dem Schreiben räumte die Regierung das Vorhan- bereits als Fortschritt. bekommen, zu entschei- densein von Rassentrennung im Bildungswesen den. Viele sind nicht in in der Slowakei ein und stellte eine Reihe von ENDLICH ENTSCHULDIGUNG. Die Menschen- der Lage, die Empörung, Maßnahmen vor, darunter die Ausarbeitung einer rechtskommissarin des Europarates, Duna das Trauma und das rechtlichen Definition von Segregation. Mijatovic, sandte daraufhin einen Brief an Leid, das sie seit Jahren Aus dem Amnesty-Report 2020 das Justizministerium und die slowakische erleben, auszudrücken. 13
ÖSTERREICH FRAUENHANDEL IST MODERNE SKLAVEREI Weltweit werden Milliarden Gewinne daraus gezogen, dass Menschen unter sklaverei- ähnlichen Bedingungen leben und arbeiten müssen. In Österreich hilft der Verein LEFÖ-IBF Betroffenen von Frauenhandel. Menschenhandel (human trafficking) stellt handel zu. Je vulnerabler Frauen aufgrund eine mehrfache Menschenrechtsverletzung ihres Alters, ihres Bildungsstatus, ihrer so- dar und betrifft v.a. Frauen und Kinder. zialen oder politischen Teilhabe sind, desto Frauenhandel bedeutet nach LEFÖ-Definiti- eher werden sie Opfer von Ausbeutung. on, dass Frauen aufgrund von Täuschungen Die Täter*innen zwingen die Frauen oftmals und falschen Versprechungen migrieren und aufgrund ihrer unsicheren rechtlichen Si- im Zielland in eine Zwangslage gebracht wer- tuation durch Ausnützung einer Autoritäts- den. Dann werden sie aufgrund ihrer recht- stellung, unter Drohung oder mit Gewalt zu losen Situation zur Ausübung von Dienst- Arbeiten oder zu sexuellen Dienstleistungen, leistungen gezwungen und von Ehemännern um daraus Profit zu schlagen. Oft werden oder Arbeitgeber*innen ihrer persönlichen den Frauen die Dokumente abgenommen oder sexuellen Integrität beraubt. TRANSIT- UND ZIELLAND. Österreich spielt durch seine zentrale Lage in Europa eine Rolle als Transit- und als Zielland für Menschen- handel. Die Betroffenen werden oft mit Aussichten auf Arbeit oder Ausbildung zum Verlassen ihres Landes verleitet und treten in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft eine Reise ins Ungewisse an. Die Herkunftsländer von den in Österreich betroffenen Frauen liegen breit gestreut in Afrika, Osteuropa, Asien. Im Jahr 2020 stammten die Frauen aus 44 verschiedenen Ländern. Überall, wo es Krisen gibt, die Menschen bedrohen oder ihnen die Lebens- und ihr Kontakt zur Außenwelt unterbunden. grundlage entziehen, nimmt der Menschen- Es kann Hausangestellte in Diplomatenhaus- halten ebenso betreffen wie Au-Pairs, Ar- beiterinnen in Landwirtschaft, Gastgewerbe oder Industrie. Frauen, die zur Prostitution oder zur Bettelei gezwungen werden. Menschenhandel ist eine moderne Form der Sklaverei. Traurigerweise werden weltweit Milliarden Gewinne daraus gezogen, dass Menschen unter sklavereiartigen Bedingungen leben und arbeiten müssen. Beim Cybersex-Trafficking stellen Menschen- händler Fotos und Videos ihrer Opfer gegen Bezahlung in einschlägigen Foren aus. 14
BEDINGUNGSLOS UND ANONYM. Es geht um die bedingungslose und anonyme Unterstützung der Frauen – im Unterschied zu rechtlichen Ansprüchen, die meist an Bedingungen geknüpft sind. DER VEREIN LEFÖ (Lateinamerikanische Der Zugang zu staatlichen Rechten ist von emigrierte Frauen in Österreich) hat eine der Glaubwürdigkeit der befragten Personen Interventionsstelle für Betroffene des Frau- abhängig und dadurch erschwert, dass Be- enhandels (IBF) eingerichtet, die eine an- troffene oft keine Identifikationsdaten der Tä- erkannte Opferschutzeinrichtung nach §25 ter haben. Wer nicht an einem Strafverfahren des Sicherheitspolizeigesetzes und Teil der teilnimmt – etwa aus Angst vor Vergeltung, nationalen Taskforce zur Bekämpfung des Menschenhandels ist. LEFÖ arbeitet im Auftrag des Bundesminis- teriums für Inneres und des Bundeskanzler- amts und ist bundesweit tätig. Der Verein LEFÖ wurde 1985 gegründet, in einer Zeit, als vermehrt Frauen aus latein- amerikanischen Ländern nach Österreich migriert bzw. exiliert sind und es hier kein entsprechendes Angebot für sie gab. Ge- meinsam mit der damaligen feministischen Bewegung haben sie um rechtliche Rah- menbedingungen gekämpft, so auch für die Rechte von Migrantinnen, die in Österreich ausgebeutet wurden. Erst im Jahr 2000 wur- de mit dem Palermo Protokoll eine internati- onale Definition für „Menschenhandel“ von den Vereinten Nationen beschlossen. Der gemeinsame Kampf von migrantischen kann nicht den rechtlichen Opferstatus er- und österreichischen Feministinnen hat Ver- halten und hat somit keinen Aufenthaltstitel. besserungen für alle Frauen erwirkt. Oft ist ein langfristiger Aufenthaltstitel daran LEFÖ-IBF bietet Betroffenen psychosoziale gebunden, eine*n Arbeitgeber*in zu haben und rechtliche Beratung an sowie Zugang – was die Abhängigkeit im Arbeitsverhältnis zu medizinischer Versorgung, unterstützt erhöht. bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, kann LEFÖ-IBF ist auch eine Anlaufstelle für Der Artikel von Ruth Schutzwohnungen zur Verfügung stellen und Personen, die in ihrem Umfeld Betroffenheit Strehl ist entstanden auf Prozessbegleitungen durchführen. Beratung Basis eines Gesprächs von Menschenhandel vermuten und Rat und in der Erstsprache, die auch den soziokul- mit Isabella Chen, Stv. Information suchen. turellen Kontext kennt und miteinbezieht, Leiterin von LEFÖ-IBF am ermöglicht einen niederschwelligen Zugang 3.11.2021. Weitere Informationen: lefoe.at/ibf zum Angebot. 15
ÖSTERREICH GEWALTSCHUTZ BRAUCHT MEHR GELD 18,4 Millionen Euro für Frauen und Gleichstellung – ein Budget, das zufriedenstimmt? Mitnichten, meint die Allianz GewaltFREI leben. Gespannt hatte die Allianz GewaltFREI le- ihren (Ex-)Partnern ermordet, und weit über Die Allianz GewaltFREI leben ben den Tag im November erwartet, an dem 40 Frauen beinahe getötet wurden, sehen ist ein Zusammenschluss im Parlament das Budget für Frauen und sie sich gezwungen, erneut auf ihre Forde- von österreichischen Gleichstellung diskutiert wurde. Die Veran- rung hinzuweisen, die Istanbul-Konvention, Opferschutzeinrichtungen schlagung von 18,4 Millionen Euro ließ die die Österreich schon im Jahr 2013 ratifiziert und Zivilgesellschaftsor- Frauenministerin Susanne Raab geradezu hat, endlich umfassend umzusetzen. ganisationen, die sich der triumphieren, wurde das Budget im Frau- 18,4 Millionen Euro für 2022 scheinen Verbesserung des Gewalt- enressort in Raabs bisheriger Amtszeit von auf den ersten Blick nicht wenig, doch da schutzes in Österreich etwa 10 auf nun circa 18 Millionen Euro diese Summe gerade einmal 0,02 % des widmet. aufgestockt. Gesamtjahresbudgets ausmacht, hält sich Die Mitglieder der Allianz GewaltFREI leben die Begeisterung auf Seiten von Frauen- und sehen die Erhöhung zwar als wichtigen Opferschutzeinrichtungen zwangsläufig in Schritt, doch angesichts der Tatsache, dass Grenzen. im heurigen Jahr bereits 25 Frauen von DER GEFÄHRLICHSTE ORT FÜR FRAUEN ist das eigene Zuhause und was nützt ein Budget von 2,7 Milliarden Euro für die Landesver- teidigung, wenn der Feind im eigenen Bett liegt? Anlässlich der Budgetverhandlungen erinnerte die Allianz GewaltFREI leben an ihre Forderung nach einer Erhöhung des Budgets auf 228 Millionen Euro jährlich plus 3.000 zusätzliche Vollzeitarbeitsstellen für Gewalt- prävention. Auch die Lohnschere zwischen Frauen und Männern klafft in Österreich nach wie vor ge- waltig auseinander – der Equal Pay Day fiel heuer auf den 25. Oktober 2021. Seit die- sem Tag arbeiten Frauen bis zum Jahresende Rosa Logar, Pionierin gratis, und ökonomische Abhängigkeiten be- der Frauenhäuser und günstigen zwangsläufig Gewaltbeziehungen. Geschäftsführerin der Das anberaumte Budget für Frauen und Wiener Interventions- Gleichstellung beläuft sich auf etwa vier stelle gegen Gewalt in Euro pro Frau und Mädchen in Österreich – der Familie bei einem Protest zu den unzu- in Wien reicht dies in etwa für eine Hin- und reichenden Mitteln für Rückfahrt ins Frauenhaus. Gewaltschutz Seit Jahren bleibt zudem der Hilfeschrei © Bettina Frenzel nach einem Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen ungehört. Aus einer Presseaussendung der Allianz GewaltFREI leben vom 11.11. 2021 16
ERFOLGE DEIN EINSATZ WIRKT Danke für Deine Unterstützung! TÜRKEI. Ein Gericht in der türkischen Haupt- status in Russland entzogen worden war. Ihr stadt Ankara hat im Oktober 18 Studierende drohte die Abschiebung nach Usbekistan, wo und ein Mitglied des Lehrpersonals freige- sie der Gefahr von Menschenrechtsverletzun- sprochen. Sie standen unter Anklage, weil gen ausgesetzt gewesen wäre. sie an einer Pride-Parade auf dem Campus ihrer Uni im Mai 2019 teilgenommen hatten. SCHWEIZ. Das Schweizer Parlament hat im Mit Pfefferspray, Gummigeschossen und Oktober eine wichtige Entscheidung über die Tränengas reagierte die Polizei im Mai 2019, Regeln zur Ausfuhr von Waffen getroffen und als Melike Balkan und Özgür Gün und wei- damit eine von Amnesty International seit tere Mitglieder der LGBTI-Solidaritätsgruppe langem geforderte Korrektur vorgenommen. der Middle East Technical University (METU) in Ankara ihre jährliche Kundgebung abhal- ten wollten. Die Polizei nahm mindestens 23 Studierende sowie ein Mitglied des Lehrpersonals fest. Gegen 18 Studierende und die Lehrperson wurde anschließend Anklage erhoben, ob- wohl diese lediglich ihr Recht auf friedlichen Protest wahrgenommen hatten. Ein Gericht in Ankara hat schließlich alle Angeklagten freigesprochen. RUSSLAND. Die Menschenrechtsverteidigerin Valentina Chupik wurde aus der Haft am In Zukunft sind Waffenexporte in Länder, welche die Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzen oder in einen Bürgerkrieg verwickelt sind, ohne Ausnahme verboten. ÄGYPTEN. Seit Jahrzehnten vertritt und berät die Menschenrechtsanwältin Azza Soliman © RFE/RL Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, Folter oder willkürlicher Haft wurden. Nur aufgrund ihrer Arbeit wird sie Moskauer Flughafen Scheremetjewo entlas- von den ägyptischen Behörden eingeschüch- sen und konnte am 2. Oktober nach Armeni- tert und schikaniert und zuletzt wegen Steu- en fliegen. erhinterziehung und Verleumdung des ägyp- © IN-LIGHTING Die russischen Behörden hatten sie seit dem tischen Staats angeklagt. 25. September in der Transithalle des Flug- Im September wurden die Ermittlungen ge- hafens festgehalten, weil ihr der Flüchtlings- gen Azza Soliman endlich eingestellt. 17
IRAN ATENA DAEMI NICHT VERGESSEN Die Menschenrechtsverteidigerinnen Atena Daemi und Golrokh Ebrahimi Iraee müssen eine ungerechte Strafe weitab von ihrem Heimatort abbüßen. © privat Atena Daemi verbüßt nach einem unfairen lich von Teheran, wo Atena Daemis Familie Verfahren wegen konstruierter Vorwürfe, lebt. Sie und Golrokh Ebrahimi Iraee waren SETZ DICH EIN! wie „Versammlung und Konspiration zu Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“ am 17. Juni 2019 wegen „Beleidigung des Obersten Religionsführers“ und „Verbrei- Bitte schick eine siebenjährige Haftstrafe. Grund sind tung von Propaganda gegen das System“ zu den Appellbrief ihre friedlichen Menschenrechtsaktivitäten. weiteren drei Jahren und sieben Monaten möglichst sofort Atena Daemi wurde am 16. März 2021 in Gefängnis verurteilt worden. Grund dafür Handschellen und Fußfesseln vom Evin-Ge- war, dass sie im Evin-Gefängnis die Revolu- ab. fängnis in Teheran ins Lakan-Gefängnis in tionshymne „Oh martyrs“ gesungen hatten, Rascht gebracht. um gegen die Hinrichtung der Kurden Za- Sie war zuvor weder über ihre Verlegung nyiar Moradi, Loghman Moradi und Ramin informiert worden, noch durfte sie ihrer Hossein Panahi zu protestieren. Zudem Familie telefonisch Bescheid geben. Rascht hatten sie offene Briefe zu den Hinrichtun- ist die Hauptstadt der iranischen Provinz gen und auch zu ihren Haftbedingungen an Gilan und befindet sich 330 Kilometer nörd- die Behörden geschrieben. IRANISCHE BEHÖRDEN VERHÖHNEN DIE JUSTIZ Die iranischen Behörden machen die Jugendgerichts- Arman Abdolali der Galgen droht, weil iranische Gerichte barkeit zur Farce und führen die Öffentlichkeit und die ihn - unter eklatanter Verletzung des Völkerrechts und ihrer internationale Gemeinschaft in die Irre, indem sie öffent- Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über die Rechte lich behaupten, dass die endgültige Entscheidung über des Kindes und dem Internationalen Pakt über bürgerliche die Vollstreckung oder den Aufschub der Hinrichtung von und politische Rechte - zum Tode verurteilt haben. Im Sep- Arman Abdolali, der zur Tatzeit noch minderjährig war, tember 2020 verurteilte das Strafgericht der Provinz Teher- nicht in ihren Händen liege und dass sie ihr Bestes getan an Arman Abdolali zum Tode, nachdem es zu dem Schluss hätten, um zu vermitteln, damit die Familie des Opfers gekommen war, dass er zur Tatzeit „geistig reif“ gewesen im Austausch gegen „Blutgeld“ (diyah) begnadigt wird. sei. Amnesty International unterstreicht, dass diese offiziellen Nach einem weltweiten Aufschrei verschoben die Behörden Behauptungen unehrlich sind und einen grundlegenden seine Hinrichtung im Oktober 2021 mehrfach. Amnesty Mangel an Respekt für die Rechte von Kindern durch die fordert ein faires Wiederaufnahmeverfahren in Übereinstim- iranischen Behörden widerspiegeln. Tatsache ist, dass mung mit den Grundsätzen der Jugendgerichtsbarkeit. 18
CHINA ZHANG ZHANS LEBEN IST IN GEFAHR Die Bürgerjournalistin Zhang Zhan kritisierte den Umgang der chinesischen Behörden mit dem Coronavirus und wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Als im Februar 2020 das Coronavirus in Nachdem sie im Juni 2020 aus Protest Wuhan wütet, ist die Bürgerjournalistin gegen ihre Inhaftierung in den Hunger- Zhang Zhan eine der wenigen unabhängigen streik getreten ist, soll sie von Beamt*innen Stimmen, die von dort berichten. Für diese zwangsernährt worden sein. Sie muss Fuß- SETZ DICH EIN! Berichterstattung ist sie zu vier Jahren Haft fesseln tragen, auch ihre Hände waren mehr Bitte schick den verurteilt worden. Um gegen das Urteil zu als drei Monate pausenlos gefesselt. protestieren und zu zeigen, dass sie unschul- Zhang Zhan ist Ende Juli 2021 wegen star- Appellbrief im dig ist, trat Zhang Zhan in einen Hunger- ker Mangelernährung in ein Krankenhaus Dezember ab. streik, der lebensbedrohlich ist. eingeliefert worden. Ihr Gewicht liegt unter Im Februar 2020 reist sie nach Wuhan, weil 40 kg. Die Behörden verweigern ihr Besu- sie unbedingt in Erfahrung bringen möchte, che ihrer Familie und den Zugang zu einem was dort wirklich passiert. „Wir sollten die Rechtsbeistand ihrer Wahl – so bleibt sie Wahrheit herausfinden – um jeden Preis“, so dem Risiko weiterer Folter und anderer Miss- Zhang Zhan. handlungen ausgesetzt. Zhan Zhan muss Fußfesseln tragen. Auch ihre Hände waren ZENSUR UND STRAFEN. Die Behörden hatten ver- DU KANNST ZHANG ZHAN AUCH EINE BOTSCHAFT monatelang gefesselt. sucht, die Informationen über den Ausbruch SCHICKEN, die ihr zeigt, dass sie nicht allein © privat des Coronavirus in Wuhan von Anfang an ist. Du kannst ihr zum Beispiel schreiben: zu zensieren. Dr. Li Wenliang, der als Erster „Zhang Zhan, your versucht hatte, andere vor dem Virus zu war- tireless work for the nen, wurde sofort zum Schweigen gebracht truth is an inspirati- und von den Behörden wegen „Verbreitung on to many people. von Gerüchten“ bestraft. Er starb im Februar We will continue to 2020 an Covid-19. support you and look Seit dem Ausbruch der Pandemie in China forward to the day wurden zahlreiche Artikel über das Virus when you regain your zensiert. Kritische Beiträge in den sozialen freedom. Do not lose Medien, sensible Hashtags und Forderungen hope!” nach Meinungsfreiheit werden schnell ge- Schicke Deine Nach- löscht oder zensiert. richt an: Zhang Zhan veröffentlichte ihre Berichte Zhang Zhan, No über die Inhaftierung unabhängiger Repor- 1601, Zhangjing ter*innen und darüber, wie Staatsbedienstete Road, Sijing Zhen, Familienangehörige von Corona-Patient*in- Songjiang Qu, nen schikanieren, auf Social Media-Plattfor- Shanghai 201601, men. Volksrepublik China. IN WUHAN VERSCHWUNDEN. Im Mai 2020 ver- Amnesty International schwindet Zhang Zhan in Wuhan. Die chine- solltest Du auf keinen sischen Behörden bestätigen später, sie sei Fall erwähnen. in Shanghai in Haft. 19
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