AKTIV.IST.IN FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE - NETZWERK FRAUENRECHTE - Amnesty ...

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AKTIV.IST.IN
FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE
NETZWERK FRAUENRECHTE         AMNESTY-INFO 4/ DEZEMBER 2021

  AFGHANISTAN
  Bildung für Mädchen
  Richterinnen in Gefahr

  SLOWAKEI
  Gerechtigkeit für
  Romafrauen

  SETZ DICH EIN
  für Atena Daemi
  für Janna Jihad

                               NETZWERK FRAUENRECHTE
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AKTIV.IST.IN NR. 160

                                    Liebe Unterstützer*innen!
AMNESTY-NETZWERK
FRAUENRECHTE
DEZEMBER 2021

                                    Liebe Amnesty-Freund*innen!
       NETZWERK FRAUENRECHTE
                                    Auch in diese Ausgabe blicken wir wieder nach Afghanistan. Seit der Machtübernah-
                                    me der Taliban hat sich das Leben von Frauen und Mädchen in Afghanistan schlag-
                                    artig geändert, wie der Artikel über Richterinnen zeigt, die seither gezwungen sind
                                    unterzutauchen. Vielen Frauen und Mädchen wird bereits der Zugang zu Schulen
              WEB                   verboten, das Recht auf Bildung verwehrt, die Zukunft genommen. Das zeigt eine
     frauenrechte.amnesty.at        Untersuchung von Amnesty International.
              E-MAIL                Zusätzlich werfen wir einen Blick auf das Versagen der Bewältigung der Klimaerhit-
     frauenrechte@amnesty.at        zung und die damit verbundenen Auswirkungen auf Menschenrechte, wie das Recht
                                    auf Bildung und Frauenrechte, die Menschen bereits jetzt spüren.
         FACEBOOK
@amnestynetzwerkfrauenrechte        Eine Aktivistin aus der Slowakei berichtet uns über Zwangssterilisierungen von Romaf-
                                    rauen im Land, die unter anderem ihre Rechte auf reproduktive Selbstbestimmung,
            TWITTER                 Privatleben und Unversehrtheit des Körpers verletzen.
         @AIFrauenrechte
                                    Bei Redaktionsschluss liegen die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen noch vor uns und
          INSTAGRAM                 es freut mich, dass wir in dieser Ausgabe den Kerzenschein auf einen Verein werfen,
      amnesty_frauenrechte          der in Österreich seit 1985 Pionier*innenarbeit mit Betroffenen von Frauenhandel
                                    leistet. Österreich spielt als Transit- und Zielland des Menschenhandels eine entschei-
                                    dende Rolle, und es sind Aktivist*innen von LEFÖ, die einen großen Beitrag in seiner
        SPENDENKONTO                Bekämpfung leisten.
      BIC: GIBAATWWXXX              In unserer Reihe „Vorkämpferinnen für Frauenrechte“ erfahren wir mehr über eine
IBAN: AT14 2011 1000 0031 6326      Pionierin aus der Vergangenheit: Die weltweit erste Dip-
          lautend auf               lomatin Alexandra Kollontai.
   AMNESTY INTERNATIONAL
                                    Wie in jeder AKTIV.IST.IN haben wir auch in dieser Ap-
         ÖSTERREICH
                                    pelle, die du unterschreiben und abschicken kannst.
      Verwendungszweck:             Danke, dass du uns unterstützt und dich für diese Frau-
  NETZWERK FRAUENRECHTE
                                    enrechtsverteidigerinnen einsetzt.
     Spenden an Amnesty sind        Ich wünschen dir und deiner Familie im Namen des
       steuerlich absetzbar.        Netzwerks Frauenrechte einen frohen Jahresabschluss
                                    und viel Gesundheit fürs neue Jahr!
                                                                               Flora Bachmann,
                                                  Sprecherin des Amnesty-Netzwerks Frauenrechte

INHALT                           3 AFGHANISTAN Mädchen müssen wieder in
                                   die Schule gehen dürfen
                                 5 AFGHANISTAN Richterinnen in Gefahr
                                                                                17 ERFOLGE Dein Einsatz hilft
                                                                                18 IRAN Atena Daemi nicht vergessen
                                 6 16 TAGE GEGEN GEWALT „Wir hatten             19 CHINA Zhang Zhans Leben ist in Gefahr
                                    viele Freiheiten“

                                 8 PAKISTAN Heißer als ein Mensch erträgt       20 ISRAEL Todesdrohungen gegen Janna Jihad
                                 10 COVID-19 zwei Milliarden Impfdosen in       21 THAILAND Anklage wegen
                                                                                     Majestätsbeleidigung
                                    100 Tagen

                                 12 SLOWAKEI Zwangssterilisierungen von         22 DIES & DAS Kurzmeldungen
                                     Romafrauen                                 23 APPELLBRIEFE Bitte absenden!
                                 14 ÖSTERREICH Frauenhandel ist moderne         31 ALEXANDRA KOLLONTAI Die erste
                                     Sklaverei                                       Diplomatin
                                 16 ÖSTERREICH Gewaltschutz braucht Geld 32 DEINE SPENDE HILFT Impressum
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AFGHANISTAN

MÄDCHEN MÜSSEN WIEDER IN DIE SCHULE
GEHEN DÜRFEN
Gegenwärtig wird Mädchen in Afghanistan der Besuch von Sekundarschulen faktisch
verwehrt. Die von den Taliban verfolgte Politik ist diskriminierend, ungerecht und verstößt
gegen das Völkerrecht.

Während Buben landesweit am 17. Septem-         sagte Amnesty International: „Werde ich zur
ber in die weiterführenden Schulen zurück-      Schule gehen können oder nicht? Dies ist
kehren konnten, bestanden die Taliban dar-      meine größte Sorge. Ich möchte alles lernen,
auf, dass erst ein „Lernumfeld“ geschaffen      von den einfachsten bis zu den schwierigsten
werden müsse, bevor Mädchen zurückkehren        Fächern. Ich möchte Astronautin, Ingenieu-
dürften.                                        rin oder Architektin werden... Das ist mein
Schüler*innen, Lehrer*innen und Schulver-       Traum...“
waltungen berichteten gegenüber Amnesty         Khalida*, eine 16-jährige Schülerin aus
International, dass Einschüchterungen und       Kabul, sagte: „Was sollen wir mit einer Aus-
Schikanen durch die Taliban dazu führen,        bildung anfangen, wenn wir unsere Wünsche
dass die Schulbesuchsquote auf allen Ebe-       nicht leben können? Ich will Politikerin wer-
nen niedrig bleibt, insbesondere bei Mäd-       den... Ich will keinen Abschluss machen und
chen.                                           dann zu Hause sitzen... Mädchen wie ich
„Gegenwärtig wird Mädchen in Afghanis-          wollen führende Positionen einnehmen ...
tan der Besuch von Sekundarschulen fak-         Wir können alles werden, aber sie lassen uns
tisch verwehrt. Im gesamten Land werden         nicht.“
die Rechte und das Streben einer ganzen         Mehrere Sekundarschülerinnen sagten, sie
Generation von Mädchen missachtet und           hätten ihre Lernmotivation verloren, weil die
unterdrückt“, sagte Agnès Callamard, in-        Taliban sie wahrscheinlich nur in einigen
ternationale Generalsekretärin von Amnesty      wenigen, spezifischen Bereichen wie dem         Die Forderung von 2002 „Zu-
                                                                                                rück in die Schule“ ist heute
International. „Das Recht auf Bildung ist       Bildungs- oder Gesundheitswesen arbeiten
                                                                                                wieder traurige Realität.
ein grundlegendes Menschenrecht, zu des-        lassen würden.
                                                                                                © Amnesty International
sen Einhaltung die Taliban als die de-facto     Lehrer*innen, Schüler*innen und Aktivist*in-
Behörden des Landes verpflichtet sind. Die
derzeit von den Taliban verfolgte Politik ist
diskriminierend, ungerecht und verstößt
gegen das Völkerrecht.“

APPELL AN DIE INTERNATIONALE GEMEINSCHAFT.
Amnesty International appelliert an die in-
ternationale Gemeinschaft, angemessene
Finanzmittel für den afghanischen Bildungs-
sektor bereitzustellen, damit die Schulen
weiterarbeiten können. Andernfalls könnte
Millionen von afghanischen Schüler*innen
das Recht auf Bildung vorenthalten werden.
Einige Sekundarschulen haben die Rückkehr
von Mädchen erlaubt, aber die große Mehr-
heit der weiterführenden Schulen in Afgha-
nistan bleibt den Mädchen verschlossen.
Die 14-jährige Schülerin Asma* aus Kabul,

                                                                                                                           3
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Viele Familien haben jetzt
Angst, ihre Töchter zur Schule       nen in ganz Afghanistan berichteten Amnesty     Taliban, „in dem hieß es: ‚Wenn die Taliban
zu schicken.         © pixabay
                                     International, dass der Grundschulbesuch in     dich erwischen, werden sie dir die Ohren ab-
                                     vielen Gebieten erheblich nachgelassen hat,     schneiden, und das wird für andere in [dei-
                                     vor allem der der Mädchen. Viele Familien       ner] Provinz eine Lehre sein‘. Jetzt bin ich
                                     haben nach wie vor Angst vor den Taliban        untergetaucht. Sogar meine Familie denkt,
                                     und trauen sich nicht, ihre Kinder, insbeson-   dass ich außer Landes bin.“
                                     dere Mädchen, zur Schule zu schicken.           Die 22-jährige Efat*, und Naveed*, ihr
                                     Die schwierige wirtschaftliche Lage hat viele   16-jähriger Bruder, berichteten, dass sie
                                     Familien dazu gezwungen, ihre Kinder aus        am 18. August von zwei Taliban-Mitgliedern
                                     der Schule zu nehmen und sie zur Arbeit zu      bewusstlos geschlagen worden seien. Sie
                       METHODIK:
        Vom 16. September bis 8.     schicken. Millionen von Afghan*innen wur-       seien auf dem Weg zu einem Englischkurs
     Oktober 2021 führte Amnesty     den während und nach der Übernahme des          angegriffen worden, den die Taliban als „die
  International Telefoninterviews    Landes durch die Taliban aus ihren Heimat-      Sprache der Ungläubigen“ bezeichneten.
 mit elf Lehrer*innen und Schul-     orten vertrieben, und viele der vertriebenen    Eine andere Sekundarschullehrerin gab an,
 verwaltungen sowie zehn Schü-       Kinder gehen nicht zur Schule.                  dass die Taliban sie als Vergeltung für ein
  ler*innen und Studierenden im      Die Befragten sagten auch, dass viele Leh-      Medieninterview, in dem sie sich über Leh-
     Alter von 14 bis 22 Jahren in   rer*innen keinen Unterricht geben, was vor      rer*innengehälter und den Zugang von Mäd-
  Provinzen in ganz Afghanistan,     allem darauf zurückzuführen sei, dass die       chen zur Sekundarschulbildung beschwert
    darunter Badakhshan, Farah,      Taliban ihre Gehälter nicht zahlen.             hatte, eingeschüchtert hätten.
      Helmand, Kabul, Kandahar,
                                     An den Hochschulen berichteten die Studie-
Laghman, Nangahar, Samangan
                                     renden, dass einige Universitäten zwar wie-     SCHULEN FÜR MILITÄRISCHE ZWECKE GENUTZT.
                    und Sar-e Pul.
                                     der geöffnet hätten, die Anwesenheitsquote      Zeug*innen berichteten Amnesty außerdem,
  Amnesty International befragte
      außerdem zwölf lokale Akti-    aber gesunken sei, insbesondere unter den       dass die Taliban während der Kämpfe vor
  vist*innen, Vertreter*innen von    jungen Frauen.                                  der Übernahme des Landes vier Schulen für
  Nichtregierungsorganisationen                                                      militärische Zwecke nutzten: Eine solche
      und den Vereinten Nationen     EINSCHÜCHTERUNG UND SCHIKANEN DER TALIBAN       Nutzung von Schulen setzt die Schüler*in-
sowie weitere Bildungsfachleute      GEGEN LEHRER*INNEN. Pashtana*, eine Gymna-      nen und Lehrer*innen dem Risiko möglicher
                  in Afghanistan.    siallehrerin, berichtete Amnesty Internatio-    militärischer Angriffe aus und dürfte es ex-
Amnesty International hat am 6.      nal, dass sie Morddrohungen von den Taliban     trem erschweren, Bildung angemessen zu
    und 12. Oktober versucht, mit    erhalten habe und vor das örtliche Gericht      vermitteln. Diese Handlungen stehen auch
 Taliban-Vertreter*innen Kontakt     geladen worden sei, um sie strafrechtlich zu    im Widerspruch zu der globalen Erklärung zu
 aufzunehmen, hat aber bis zum                                                       sicheren Schulen, der die afghanische Regie-
                                     verfolgen, weil sie zuvor koedukativen Sport-
   Zeitpunkt der Veröffentlichung
                                     unterricht gegeben habe. Anfang des Jahres      rung 2015 zustimmte.
           keine Antwort erhalten.
                                     erhielt sie einen Brief von Angehörigen der     * Namen zum Schutz der Betroffenen geändert

  4
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AFGHANISTAN

RICHTERINNEN IN GEFAHR

Alle 270 Richterinnen sind seit der Machtübernahme durch die Taliban mit ihren
Familien untergetaucht, weil sie verfolgt und bedroht werden.

Nach der Machtübernahme der Taliban versi-        Journalistinnen, Lehrerinnen und Sportlerinnen    Von Teresa Elser, Amnesty-
cherten diese im August, dass sie die Rechte      sind sie aktuell von massiver Gewalt bedroht.     Netzwerk Frauenrechte
von Frauen respektieren würden. Soweit es die     Alle Richterinnen sind seit der Machtüber-
Vorgaben der Scharia erlauben, könnten Frauen     nahme mit ihren Familien untergetaucht, weil
weiterhin arbeiten, zur Schule und in die Uni-    sie verfolgt und bedroht werden. Ihre Konten
versität gehen, sagte ein Sprecher der Taliban.   wurden eingefroren und sie können sich nicht
Wie befürchtet, wurden hart erkämpfte Frau-       mehr frei bewegen.
enrechte innerhalb weniger Wochen zunichte        In Afghanistan wird durchschnittlich jedes
gemacht.                                          dritte Mädchen vor dem 18. Geburtstag
Im Februar 2020 unterschrieben Vertreter          zwangsverheiratet und sechzig Prozent leben
der USA und der radikalislamischen Taliban        in erzwungenen Ehen. Richterinnen führten
ein Friedensabkommen, das den Abzug der           Scheidungen durch, sprachen Männer, die
internationalen Truppen bis April 2021 festle-    Frauen folterten, entführten, vergewaltigten
gen sollte. Der Abzug der Truppen war eine der    oder ermordeten, schuldig. Sie kämpften
Hauptbedingungen der Taliban, um mit der af-      dafür, dass Gewalt gegen Frauen als Straftaten
ghanischen Regierung an einem Friedensab-         verurteilt wurden und Täter nicht länger von
kommen zu arbeiten. Die 10.000 internationa-      einer patriarchalen, korrupten Rechtsprechung
len Soldat*innen und die Einsatzkräfte der NA-    profitieren konnten.
TO verließen bis September 2021 Afghanistan.
Im Zuge des Friedensabkommens zwischen            GEZIELTE ANGRIFFE AUF RICHTERINNEN. Bereits vor
den Taliban und der afghanischen Regierung        der Machtübernahme gab es gezielte Angrif-
wurde die Gefangenenfreilassung von Seiten        fe auf Richter*innen und Anwält*innen. Im         FAWZIA AMINI, ehemalige
der Taliban gefordert und es wurden hunderte      Jänner 2021 wurden etwa zwei Richterinnen         Richterin am Obersten Ge-
Gefangene entlassen. Im August eroberten die      des Obersten Gerichtshof auf ihrem Weg zur        richtshof: „Seit die Taliban die
Taliban das Land und nahmen eine Stadt nach       Arbeit in Kabul erschossen. Stunden nachdem       Kontrolle übernommen haben,
der anderen gewaltsam ein, bis sie nach der       Inhaftierte aus Gefängnissen befreit wurden,      scheinen Kriminelle frei her-
Eroberung Kabuls den Krieg für beendet erklär-    berichteten Richterinnen von Morddrohungen,       umzulaufen und Richterinnen
ten. Mit der Machtübernahme öffneten die Tali-    die sie über ihre privaten Telefonnummern er-     wie Gefangene zu leben... Sie
ban die afghanischen Gefängnisse und entlie-      hielten. Ihre Arbeitsplätze wurden durchsucht,    wollen die Frauen aus der Ge-
ßen Gefängnisinsassen. Sie befreiten Männer,      ihre persönlichen Daten wurden weitergegeben,     sellschaft auslöschen und uns
die wegen Terrorismus, Vergewaltigung, Mord,      um sie aufzuspüren. Viele der ehemaligen          alle zu Gefangenen in unseren
Folter und Entführung inhaftiert waren.           Richterinnen waren Personen des öffentlichen      eigenen Häusern machen.“
                                                  Lebens, da sie einen einflussreichen Beruf
20 JAHRE ERFOLGE ZUNICHTE. In den letzten 20      ausübten. Auch die Männer, die sie zu Gefäng-
Jahren haben Organisationen und Aktivist*in-      nisstrafen verurteilt haben, können sich an
nen im Bereich der Frauenrechte wichtige          ihre Namen erinnern. Richterinnen waren viele
Erfolge erzielt. Der Zugang zu Bildung hat        Jahre Repräsentantinnen der Hoffnung auf ein
sich für Mädchen und Frauen stark verbes-         gerechteres Justizsystem, das sowohl durch
sert und immer mehr Frauen konnten Berufe         Gesetze als auch bei der Rechtsprechung ein
in der Politik und im Justizsystem ausüben.       gleichberechtigtes Leben ermöglichen sollte.
Im letzten Jahr haben landesweit rund 270         Aktuell versuchen die meisten ehemaligen          Weitere Berichte über die Men-
Richterinnen gearbeitet und 21 Prozent aller      Richterinnen Afghanistan zu verlassen, da sie     schenrechtskrise in Afghanis-
Strafverteidiger*innen waren Frauen. So wie       ihren Beruf nicht länger ausüben können.          tan findest du auf amnesty.at

                                                                                                                                 5
AKTIV.IST.IN FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE - NETZWERK FRAUENRECHTE - Amnesty ...
AFGHANISTAN

„WIR HATTEN VIELE FREIHEITEN...“
Anlässlich der 16 Tage gegen geschlechtsspezifische Gewalt 2021
hob Amnesty International die Leistungen von 16 bemerkens-
werten afghanischen Frauen hervor.

                        In einer Zeit, in der den Afghaninnen fast             Rechten und die Möglichkeit haben, unein-
                        über Nacht ein ganzes Spektrum von Rech-               geschränkt am öffentlichen Leben teilzuneh-
                        ten genommen wurde, erinnern diese 16 Ge-              men. Angesichts der enormen humanitären
                        schichten daran, wie viel afghanische Frauen           und politischen Krise in Afghanistan ist es
                        in den letzten 20 Jahren trotz politischer             erstaunlich, dass eine Regierung diese und
                        Instabilität und Konflikten und den erhöhten           viele andere afghanische Frauen aktiv von
                        Risiken, denen sie unter dem derzeitigen               der Teilnahme am öffentlichen Leben aus-
                        Regime ausgesetzt sind, erreicht haben.                schließt und ihnen ihre Menschenrechte
                        Vor allem aber verdeutlichen diese Geschich-           vorenthält. Wir bringen kurze Zitate einiger
                        ten, wie viel Frauen zu ihren Gemeinschaf-             Frauen.
                        ten, zur Gesellschaft und zu ihrem Land                Mehr dazu, ausführliche Interviews und Forde-
                        beitragen können, wenn sie Zugang zu ihren             rungen auf amnesty.at

ELAHA SAHEL, JOURNALISTIN UND AKTIVISTIN FÜR FRAUENRECHTE
                                   Obwohl afghanische Journalistinnen in den ersten Tagen nach der Machtergreifung der Taliban
                                   Interviews mit deren Vertretern führen konnten, verschlechterte sich die Situation schnell. Die
                                   Moderatorinnen des staatlichen Fernsehsenders wurden aus dem Programm genommen, und die
                                   Journalistinnen erhielten Drohungen, die sie aufforderten, ihre Arbeit einzustellen. Im Jahr vor der
                                   Machtübernahme der Taliban in Kabul wurden mehrere Medienmitarbeiterinnen getötet. Nach
                                   Recherchen von Reporter ohne Grenzen wurden seit der Machtübernahme durch die Taliban hun-
                                   derte Journalistinnen gezwungen, ihre Arbeit aufzugeben. Dutzende Medienunternehmen haben ihre
                                   Tätigkeit eingestellt. Viele hochrangige Journalistinnen sind aus dem Land geflohen oder halten sich
                                   derzeit versteckt und suchen nach einer Möglichkeit zu entkommen.

                                   „Es ist sehr traurig und schmerzhaft für mich, an die Situation zurückzudenken, als ich ein
                                   10-jähriges Mädchen war und die Taliban zum ersten Mal erlebte. Es war der schmerzhafteste
                                   Moment meines Lebens, zu sehen, wie sich die Geschichte für die Frauen hier wiederholt.“

ROSHAN SIRRAN, EHEMALIGE PARLAMENTSABGEORDNETE UND AKTIVISTIN
                                   Roshan Sirran ist eine langjährige Frauenrechtsaktivistin und Geschäftsführerin der Training
                                   Human Rights Association for Afghan Women. Sie hat sich intensiv mit der Wahlrechtsreform
                                   befasst und sich für den Schutz der Frauenrechte im Friedensprozess eingesetzt. Sie war Mitglied
                                   des afghanischen Parlaments und gehörte in den 1980er Jahren der afghanischen Friedensdele-
                                   gation an. Seit der zweiten Machtergreifung der Taliban sehen sich Aktivistinnen - insbesondere
                                   diejenigen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen - mit einem äußerst feindseligen Umfeld
                                   konfrontiert.
                                   „Wäre ich unter den Taliban jung gewesen, hätte ich nicht einmal einen Bruchteil dessen
                                   erreichen können, was ich bisher erreicht habe. Die Taliban stellen das Konzept der sozialen
                                   Gerechtigkeit in Frage, und es gibt überhaupt keine soziale oder ethnische Gerechtigkeit.“

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AKTIV.IST.IN FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE - NETZWERK FRAUENRECHTE - Amnesty ...
ZALA ZAZAI, LEITERIN DER KRIMINALPOLIZEI DER PROVINZ KHOST
Zala Zazai ist eine Polizeibeamtin, die als Leiterin der Kriminalpolizei der Provinz Khost und später als Er-
mittlerin für Verbrechen gegen Frauen tätig war. Mindestens vier afghanische Polizistinnen, darunter eine im
achten Monat schwangere Frau, wurden Berichten zufolge seit der Machtübernahme durch die „Gottes-
krieger“ von Taliban-Kämpfern getötet. Afghanische Polizistinnen laufen Gefahr, von denjenigen, die sie
zuvor verhaftet haben - von denen viele in den Wirren der Taliban-Übernahme freigelassen wurden - sowie
von konservativen Familien- oder Gemeindemitgliedern, die ihre Berufswahl missbilligen, bestraft zu werden.

„Die internationale Gemeinschaft muss Druck auf die Taliban ausüben, um die Rechte der Frauen zu
gewährleisten. Sie müssen alles tun um sicherzustellen, dass Frauen an der neuen Regierung beteiligt
werden. Die Taliban können nicht die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans beseitigen. Frauen werden da
sein und sollten da sein. Die Taliban haben keine andere Wahl, als die Frauen einzubeziehen und ihnen
die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit fortzusetzen und aktiv am sozialen, wirtschaftlichen und politi-
schen Leben teilzunehmen.“

MASOUDA FAIZ, GYNÄKOLOGIN
Dr.in Masouda Faizi ist eine erfahrene Medizinerin, die bereits mehrere hochrangige Positionen in medizini-
schen Einrichtungen innehatte. Sie ist auch im Vorstand des Afghan Women‘s Network. Ärztinnen gehören
zu den wenigen Frauen, denen die Taliban erlauben zu arbeiten, aber sie sind jetzt in ihren Möglichkeiten
stark eingeschränkt. Sie dürfen nur mit weiblichen Patienten arbeiten und scheinen von der Ausübung von
Führungsaufgaben weitgehend ausgeschlossen zu sein. Ihre Aussichten auf Fortbildung oder beruflichen
Aufstieg sind äußerst begrenzt oder gar nicht vorhanden.
„Vor dem August 2021 war ich eine unabhängige Ärztin, die frei reisen und ihrer Arbeit nachgehen
konnte, aber nach dem 15. August war ich von männlichen Familienmitgliedern abhängig, die mich auf
Reisen und sogar zur Arbeit begleiten mussten. Innerhalb eines Tages wurde ich von einer völlig unab-
hängigen Frau zu einer völlig abhängigen Frau, die ihr Haus nicht ohne ein männliches Familienmitglied
verlassen konnte.“

MARIA KABIRI, SCHULLEITERIN UND PROFESSORIN
Maria Kabiri ist eine erfahrene Pädagogin, Professorin und Schulleiterin. Nach der Machtübernahme durch
die Taliban wurde sie, wie viele andere Lehrerinnen im ganzen Land, aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Der
Ausschluss von Lehrerinnen aus dem Berufsleben bedeutet nicht nur, dass viele Frauen ihre Karriere und
ihren Lebensunterhalt verlieren, sondern wird auch zu einem enormen Mangel an Lehrpersonal führen und
den Zugang der Kinder zur Bildung beeinträchtigen.
„Nach der Machtübernahme der Taliban erhielten meine Kolleginnen und ich ein Arbeitsverbot. Selbst
Frauen, die an Mädchengymnasien arbeiteten, durften nicht zu ihrer Arbeit gehen. In der gegenwärti-
gen Situation ist es Mädchen ab der sechsten Klasse verboten, zur Schule zu gehen, und auch Studen-
tinnen an der Universität werden ihrer Ausbildung beraubt. Dies ist ein grober Verstoß gegen die Rechte
der Frauen.“

NAHID RAHIMI, MITGLIED DES AGHANISCHEN ROBOTIC-TEAMS
Nahid Rahimi studiert und arbeitet auf dem Gebiet der Robotik. Seit dem Taliban-Regime wurden Mäd-
chen wie Nahid enorme Beschränkungen auferlegt, ihr Studium fortzusetzen, geschweige denn im Bereich
der Wissenschaft und Technologie zu arbeiten. Die Taliban erklärten, dass Mädchen erst dann wieder
ein Hochschulstudium aufnehmen können, wenn getrennte Klassen für Männer und Frauen eingerichtet
werden. Darüber hinaus haben hochrangige Taliban-Führer das Konzept der akademischen Ausbildung
kritisiert und erklärt, dass das Land keine Menschen mit Master-Abschlüssen oder Doktortiteln brauche
und dass eine Ausbildungan an religiösen Schulen vorzuziehen ist.
„Wir hatten viele Freiheiten, das Recht auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe, das Recht auf
Eigentum und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Unsere Regierung war eine demokratische
Regierung. Afghanische Frauen und Mädchen konnten ihre Rechte verteidigen.“

                                                                                                                7
AKTIV.IST.IN FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE - NETZWERK FRAUENRECHTE - Amnesty ...
PAKISTAN

HEISSER ALS EIN MENSCH ERTRAGEN KANN

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                                  Im Vorfeld der Weltklimakonferenz COP26         VERZWEIFELTE VERSUCHE, DER SENGENDEN HITZE ZU
                                  in Glasgow zeigte ein neuer Fotoessay von       ENTKOMMEN, PRÄGEN DEN ALLTAG DER MENSCHEN.
                                  Amnesty International die menschenrecht-        Das Leben in Jacobabad wird von dem
                                  lichen Auswirkungen der Klimakrise. Die         Versuch beherrscht, der Hitze zu entkom-
                                  Sammlung Unliveable for Humans (Für Menschen    men. Dafür setzen die Bewohner*innen alle
                                  unbewohnbar) dokumentiert auf eindring-         verfügbaren Hilfsmittel ein, angefangen von
                                  liche Weise den Alltag in Jacobabad, einer      Ventilatoren, die von Eseln angetrieben wer-
                                  der heißesten Städte der Welt. Die Bilder       den, bis zu riesigen Eisblöcken zur Kühlung
                                  und Erfahrungsberichte machen deutlich,         der Böden. Um während des Arbeitstages
                                  wie unmittelbar sich das kollektive Versagen    einen kühlen Kopf zu bewahren, stellen sich
                                  bei der Bewältigung der Klimakrise auf die      Landarbeiter*innen häufig kurz unter Hand-
                                  Menschenrechte der Bewohner*innen von           pumpen, oder sie springen in schmutzige
                                  Jacobabad auswirkt.                             Abwässer, die sich auf den Feldern sammeln.
                                                                                  Hautinfektionen sind nicht selten. Ein Be-
                                  JACOBABAD IN PAKISTAN IST HEISSER, ALS DER      wohner von Jacobabad, Shah Bux, berichtete
                                  MENSCHLICHE KÖRPER VERKRAFTEN KANN. Ja-         Amnesty International, dass „die Kinder in
                                  cobabad ist eine Stadt mit rund 200.000         nassen Kleidern ins Bett gehen, um die Hitze
                                  Einwohner*innen in der pakistanischen Pro-      zu bekämpfen. Nur so können sie schlafen.“
                                  vinz Sindh, in der die Temperaturen in den      Die Bevölkerung von Jacobabad lebt in
                                  letzten vier Sommern regelmäßig 50 Grad         Armut und ausbeuterischen Arbeitsverhält-
                                  Celsius überschritten haben. Mindestens         nissen, die durch die sengende Hitze noch
                                  viermal seit 1987 haben die Temperaturen        verschlimmert werden. Zu den am stärks-
                                  und die Luftfeuchtigkeit einen Schwellen-       ten gefährdeten Bewohner*innen der Stadt
 Mehr Bilder aus Jacobabad und
die Forderungen an die Staaten-   wert erreicht, der von Expert*innen als „hei-   gehören die rund 5.000 Ziegelarbeiter: unter
   gemeinschaft auf amnesty.at    ßer als ein menschlicher Körper verkraften      freiem Himmel, oft ohne Schutz vor der
                                  kann“ beschrieben wird. Damit ist Jaco-         Hitze, stellen sie an glühenden Öfen täglich
                                  babad eine von nur zwei Städten weltweit,       etwa 1.000 Ziegel her – für weniger als 5
                                  die diesen wenig beneidenswerten Status         US-Dollar pro Tag.
                                  erreicht haben.                                 Die Frauen in der Stadt sind der extremen

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AKTIV.IST.IN FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE - NETZWERK FRAUENRECHTE - Amnesty ...
Mit Bildern aus Jacobabad mahnte
Amnesty International die Staaten der
Weltklimakonferenz, sich zu
menschenrechtskonformen Emissions-
reduktionszielen zu verpflichten.

                                                                                                 Ein von einem Esel angetrie-
Hitze besonders ausgesetzt, da sie nicht        Die vollständige Liste der Forderungen von       bener „Ventilator“
den gleichen Zugang zu Kühlmöglichkeiten        Amnesty International enthält fünf zentrale      © Shakil Adil/Amnesty International
haben wie andere. Die gesellschaftliche         Positionen zum Thema Menschenrechte und
Konvention verbietet es ihnen, in der Öffent-   Klimakrise.
lichkeit ein schnelles Bad zu nehmen oder       Pakistan wird voraussichtlich zu den Ländern
in nahe gelegene Gewässer zu springen. Sie      gehören, die in den kommenden Jahrzehnten
sind oft gezwungen, in stickigen Häusern zu     am stärksten von den steigenden Temperatu-
schlafen, da sie im Freien geschlechtsspezi-    ren betroffen sein werden. Jüngste gemein-
fischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt    same Erkenntnisse der Asiatischen Entwick-
sind.                                           lungsbank und der Weltbank unterstreichen
                                                das erhöhte Risiko extremer Klimaereignisse
KINDER GEHEN NICHT MEHR ZUR SCHULE. Die fort-   und der Ernährungsunsicherheit.
schreitende Abholzung der Wälder, Energie-      Die pakistanische Regierung hat aktiv Maß-
versorgungsschwierigkeiten sowie der man-       nahmen zum Umgang mit der Klimakrise
gelnde Zugang zu Wasser und angemessenen        ergriffen. Dabei hat sie immer wieder auf
Unterkünften machen es den Menschen in          ihre Anfälligkeit für die Klimakrise hingewie-
Jacobabad schwer, mit den extremen Wetter-      sen. Eine Reihe von neuen Maßnahmen im
bedingungen zurechtzukommen. Die meis-          Zuge des Klimawandels wurde angekündigt,
ten Schulen haben keinen Strom und sind         aber bisher konnten die Einwohner*innen
aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrs-       von Jacobabad nicht davon profitieren. Die
mittel kaum erreichbar. Viele Kinder haben      geplanten Aufforstungsprogramme sind noch
ihre Ausbildung abgebrochen, da sie in der      nicht angelaufen und es gibt noch keine
Hitze weite Strecken zu ihren Schulen laufen    erneuerbaren und verlässlichen Energiequel-      Kinder füllen Wasserflaschen
müssten – die wiederum nur unzureichend         len. Auch Hilfs- und Informationsangebote        vor einer geschlossenen
ausgestattet sind, um sie vor den steigenden    zur Bewältigung von Hitzewellen sind nach        Schule.
Temperaturen schützen zu können.                wie vor nicht verfügbar.                         © Shakil Adil/Amnesty International
Amnesty International fordert außerdem die
pakistanischen Behörden auf, angemessene
Maßnahmen zur Anpassung an die Klimakri-
se zu ergreifen, um die Rechte der Menschen
in Jacobabad vor dem Hintergrund steigender
Temperaturen und immer häufigerer Tage mit
unerträglicher Hitze wirksam zu schützen.

MENSCHENRECHTE UND KLIMAKRISE. Vor der
Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow rief
Amnesty International die teilnehmenden
Staaten dazu auf, sich zu ehrgeizigen und
menschenrechtskonformen Emissionsreduk-
tionszielen zu verpflichten, um den globalen
Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen.

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AKTIV.IST.IN FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE - NETZWERK FRAUENRECHTE - Amnesty ...
COVID-19

2 MILLIARDEN IMPFDOSEN IN 100 TAGEN!
Mit der 100-Tage-Countdown-Kampagne unterstützt Amnesty International das Ziel
der Weltgesundheitsorganisation, bis Ende 2021 40 Prozent der Menschen in Ländern
mit niedrigem und mittlerem Einkommen gegen Corona zu impfen.

                                   Die COVID-19-Impfung kann den Unter-          Länder mit niedrigem und mittlerem Einkom-
                                   schied zwischen Leben und Tod bedeuten.       men abgegeben.
                                   Trotzdem wird derzeit Millionen von Men-      AstraZeneca lieferte die meisten Impfstoffe
                                   schen auf der ganzen Welt der Zugang zu       an Länder mit niedrigem Einkommen, ver-
                                   lebensrettenden Impfungen verwehrt. Phar-     kaufte sie zum Selbstkostenpreis und hatte
                                   maunternehmen wie Pfizer, Moderna und         einige freiwillige Lizenzen an andere Herstel-
                                   Johnson & Johnson verhindern aktiv, dass      ler vergeben. AstraZeneca hat sich jedoch
                                   andere Herstellerfirmen die dringend benö-    geweigert, sein Wissen und seine Technologie
                                   tigten Impfstoffe produzieren und verkaufen   mit WHO-Initiativen zu teilen, und hat sich
                                   ihre Impfstoffe weiterhin vorwiegend an       gegen Bemühungen gewehrt, die eine Aus-
                                   reiche Staaten.                               weitung der Produktion ermöglichen würden.
                                   Pfizer und BioNTech hatten bisher allein an
                                   Schweden neunmal mehr Impfstoffe geliefert    MILLIARDEN-PROFITE. Der US-Pharmakonzern
                                   als an alle Länder mit niedrigem Einkommen    Pfizer hat im dritten Quartal 14 Milliarden
                                   zusammen.                                     US-Dollar Umsatz mit Impfstoffen gemacht
                                   Moderna hatte noch keine einzige Impfstoff-   und wird aufgrund der Einführung des Coro-
                                   dosis an ein Land mit niedrigem Einkommen     na-Impfstoffs bis zum Ende des Jahres 36
                                   geliefert und nur 12 % seiner Impfstoffe an   Milliarden US-Dollar mit dem Verkauf von

           Lichtinstallation für
     Impfgerechtigkeit in Berlin
         © Amnesty Deutschland

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„Der scheinbar unstillbare Profitdurst großer
                                                                      Pharmaunternehmen wie Pfizer führt zu einer
                                                                      beispiellosen Menschenrechtskrise. “
                                                                      Patrick Wilcken, Leiter der Abteilung Wirtschaft
                                                                      und Menschenrechte bei Amnesty International

Impfstoffen verdienen. Gleichzeitig behindert      damit die weltweite Produktion angekurbelt
er die Impfung von Millionen von Menschen          und diversifiziert werden kann und jeder
weltweit.                                          Mensch auf der Welt eine Chance auf den
Patrick Wilcken, Leiter der Abteilung Wirt-        lebensrettenden Impfstoff erhält.“
schaft und Menschenrechte von Amnesty              Globale Organisationen wie die Weltgesund-
International, sagt dazu: „Dass Pfizer in der      heitsorganisation (WHO), die Welthandel-
Lage war, allein in den letzten drei Monaten       sorganisation (WTO), die Weltbank und der
Milliarden US-Dollar Umsatz zu machen,             Weltwährungsfonds (IMF) haben sich das
aber Milliarden von Menschen keinen Impf-          Ziel gesetzt, dass bis Ende des Jahres 2021
stoff zur Verfügung gestellt hat, ist ein Versa-   40% der Bevölkerung in Staaten mit gerin-
gen von katastrophalem Ausmaß. Nicht nur           gem Einkommen geimpft sein sollen. Um
ging der überwiegende Teil des Pfizer-Impf-        dieses Ziel zu erreichen, braucht es zusätzli-
stoffs an Länder mit hohen und mittleren           che 2 Milliarden Impfstoffdosen.
Einkommen, der Konzern hat sich auch ge-           Amnesty fordert die Pharmafirmen auf, die
weigert, auf seine geistigen Eigentumsrechte       Zeit bis zum Ende des Jahres zu nutzen, um
zu verzichten und seine Impfstofftechnologie       ihren Teil dazu beizutragen, 2 Milliarden
mit anderen zu teilen. Gleichzeitig erhielt er     Impfstoffdosen für Menschen in ärmeren
Vorbestellungen aus wohlhabenden Ländern           Ländern zur Verfügung zu stellen. Dies kann
und staatliche Gelder in Milliardenhöhe.“          nur dann gelingen, wenn die Firmen min-
                                                   destens 50% der produzierten Impfstoffe an        PETITION!
REICHE STAATEN SITZEN AUF IMPFDOSEN. Mit der       ärmere Länder liefern.
100-Tage-Countdown-Kampagne unterstützt
                                                                                                     Auf amnesty.at
Amnesty International das Ziel der Weltge-         G20-GIPFEL BLIEB VAGE. Die Abschlusserklä-        findest du eine
sundheitsorganisation, bis Ende 2021 40            rung des G20-Gipfels Ende Oktober zur             Petition für eine
% der Menschen in Ländern mit niedrigem            Verbesserung des weltweiten Zugangs zu
und mittlerem Einkommen gegen Corona zu            Covid-19-Impfstoffen ist bedauerlicherweise
                                                                                                     gerechte Verteilung
impfen. Es sind nur noch wenige Tage bis           wenig detailliert, kritisierte Amnesty Interna-   von Covid-
zum Ende des Jahres. Für die Staaten sind          tional. Nach der Veröffentlichung der Erklä-      Impfstoffen.
das wichtige Tage, um dringend Hunderte            rung der G20-Staats- und Regierungschefs,
von Millionen überschüssiger Impfdosen,            in der versprochen wird, „Wege zu finden,
auf denen sie sitzen, zu verteilen und für die     um die weltweite Impfung zu beschleunigen“
Impfstoffentwickler, um sicherzustellen, dass      und dem Ziel der WHO näher zu kommen,
mindestens die Hälfte der Dosen, die sie           sagte Tamaryn Nelson, Beraterin von Amnes-
produzieren, an die weniger wohlhabenden           ty International für das Recht auf Gesund-
Länder geht.                                       heit: „Die Staats- und Regierungschefs der
Patrick Wilcken: „Es ist noch nicht zu spät        G20 scheinen die richtigen Dinge zu sagen
für Pfizer und andere große Pharmafirmen,          - aber nach fünf Millionen Todesfällen ist das
das Richtige für die Menschheit zu tun und         nicht gut genug. Diese vagen Versprechen
ihre Menschenrechtsverpflichtungen zu er-          sind ein Affront gegenüber denjenigen, die
füllen. Die Pharmaindustrie muss aufhören,         gestorben sind, und gegenüber allen, die
gegen die Ausnahmeregelung zu lobbyieren,          immer noch in Angst vor Covid-19 leben.

                                                                                                                         11
Zwangssterilisierte Romafrauen
                                                                                       warteten seit Jahren auf
                                                                                       Entschädigung und die Anerkennung
                                                                                       des Unrechts, das ihnen
                                                                                       angetan wurde

 SLOWAKEI

DER LANGE LEIDENSWEG
ZWANGSSTERILISIERTER ROMAFRAUEN
Von Lucia Zrnová, Mitglied des
Amnesty-Netzwerks Flucht &          Eines der schlimmsten Kapitel der Ras-             tion, Fehlinformationen in Einrichtungen für
Migration. Lucia ist Juristin und   sen- und Geschlechterdiskriminierung von           reproduktive Gesundheit und ein rassistisch
lebt in Bratislava. Sie hat auch    Roma-Frauen in der Slowakei ist die er-            diskriminierender Zugang zu Gesundheits-
die Roma-Flagge gemalt.             zwungene und illegale Sterilisation von Ro-        und Behandlungsdiensten gehören; physi-
Das Blau und das Grün stehen        ma-Frauen, eine Praxis, die gegen das Recht        sche und verbale Angriffe von Gesundheits-
für Himmel und Erde. Das            auf körperliche Unversehrtheit, das Recht          dienstleister*innen und Verweigerung des
Chakra oder Speichenrad             auf Gesundheitsversorgung und die Gesund-          Zugangs zur medizinischer Dokumentation.
bezieht sich auf die indische       heit verstößt.
Herkunft der Roma.                  Die erzwungenen Sterilisierungen waren             EINSCHÜCHTERUNG UND FALSCHE INFORMATIONEN.
                                    nicht nur in der Nazi-Zeit präsent, als sie als    Diese Praxis wurde ohne qualifizierte Einwil-
                                    Instrument zur Verfolgung der Roma-Bevöl-          ligung nach Aufklärung durchgeführt, oder
                                    kerung eingesetzt wurden, sondern blieben          es wurde Druck durch das medizinisches
                                    auch während des kommunistischen Regi-             Personal ausgeübt, um eine Unterschrift und
                                    mes in der ehemaligen Tschechoslowakei in          Zustimmung zur Sterilisation zu erhalten.
                                    den 1970er und 1980er Jahren erhalten.             Das Gesundheitspersonal gab zum Beispiel
                                    Frauen, die sich freiwillig steriliseren ließen,   einschüchternde Informationen, um die
                                    erhielten eine finanzielle Entschädigung. Das      Frauen dazu zu bringen, zu unterschreiben.
                                    waren vor allem Frauen der Roma.                   Man warnte sie vor angeblichen Risiken ei-
                                                                                       ner weiteren Schwangerschaft oder dass sie
                                    SCHWERE MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN. Die            an der nächsten Geburt sterben könnten. In
                                    Praxis der Zwangssterilisationen verschwand        manchen Fällen erhielten die Behörden die
                                    auch nach dem Sturz des kommunistischen            benötigte Unterschrift erst nach der Steri-
                                    Regimes 1989 nicht. Eine Forschungs-               lisation oder die Frauen wurden überhaupt
                                    arbeit der Menschenrechts-NGO Poradňa              nicht informiert.
                                    pre občianske a ľudské práva (Bürger- und          Die betroffenen Frauen, die vor den nati-
                                    Menschenrechtsberatungstelle) aus dem              onalen Gerichten eine Zivilklage auf Wie-
                                    Jahr 2003 dokumentierte zahlreiche Men-            dergutmachung erhoben hatten, sahen sich
                                    schenrechtsverletzungen an Romafrauen              langwierigen Verfahren gegenüber und er-
                                    im Bereich der reproduktiven Rechte in der         hielten am Ende des Gerichtsverfahren keine
                                    Ostslowakei, enthält Interviews mit den Frau-      Entschädigung oder nur in einem Mindest-
                                    en und deckt schwere Menschenrechtsverlet-         betrag.
                                    zungen auf, zu denen erzwungene Sterilisa-         Einige Frauen wandten sich an den Europä-

 12
Schon vor Jahren forderte Amnesty ein Ende
                                 der Segregation von Romakindern an Schulen
                                                      Kinderzeichnung © privat

ischen Gerichtshof für Menschenrechte. In          Regierung, in dem
einer der bekanntesten Fälle, V.C vs. Slova-       sie einen wirksamen
kia, stellte der Gerichtshof einen Verstoß         Mechanismus fordert,
gegen die Europäische Menschenrechtskon-           um eine schnelle und
vention, Art. 3 (unmenschliche und ernied-         effiziente Umsetzung
rigende Behandlung) und Art. 8 (Recht auf          für Entschädigungen zu
Privat- und Familienleben) fest und sprach         gewährleisten. Ein sol-
der Beschwerdeführerin eine Entschädigung          ches wirksames Mittel
in der Höhe von 31.000 Euro zu.                    könnte die Annahme
                                                   eines Gesetzes sein.
RECHTSMITTEL UND ENTSCHÄDIGUNG. Seit einigen       Am 24. November 2021          DISKRIMINIERUNG VON ROMA IN DER SLOWAKEI
Jahren kritisieren internationale Organisatio-     genehmigte das slowa-
                                                                                 Roma-feindliche Vorurteile und Diskriminierung
nen die Slowakei für ihre Einstellung zu den       kische Kabinett endlich
                                                                                 waren nach wie vor weit verbreitet. Das zeigt sich
illegalen Sterilisierungen von Romafrauen.         eine offizielle Entschul-
                                                                                 auch daran, dass die Roma-Gemeinschaften wäh-
Die Slowakei soll den Zugang zu wirksa-            digung der Regierung
                                                                                 rend der COVID-19-Pandemie als Bedrohung der
men Rechtsmitteln und zu angemessener              für das begangene Un-
                                                                                 öffentlichen Gesundheit stigmatisiert wurden.
Entschädigung für die betroffenen Frauen           recht.
                                                                                 Als Reaktion auf das COVID-19-Virus gingen die
schaffen und das verantwortliche medizini-         Eine weitere gute Nach-
                                                                                 Behörden mit unverhältnismäßigen und diskrimi-
sche Personal strafrechtlich verfolgen und         richt: Nach 15 Jahren
                                                                                 nierenden Maßnahmen gegen Roma-Siedlungen
bestrafen.                                         Prozess sprach das slo-
                                                                                 vor.
Die NGO Poradňa pre občianske a ľudské             wakische Landesgericht
                                                                                 Im April 2020 testeten die Behörden die Bewoh-
práva kämpft seit langem für die Rechte            einer zwangssterilisier-
                                                                                 ner*innen einiger Roma-Siedlungen mit Hilfe der
dieser Frauen, dokumentiert diese Praktiken        ten Romafrau Schaden-
                                                                                 Armee auf COVID-19 und ordneten aus Gründen
und vertritt sie in Gerichtsverfahren. Im Juli     ersatz zu.
                                                                                 der öffentlichen Gesundheit die Zwangsquarantä-
2021 wurde der Ombudsmann (ein Bürger-             Es ist klar, dass keine
                                                                                 ne von fünf Siedlungen an. Die Rechtsgrundlage
beauftragter, der in der slowakischen Rechts-      Entschädigung die psy-
                                                                                 für diese obligatorischen Quarantänen, die von
ordnung für den Schutz der Grundrechte zu-         chischen Traumata und
                                                                                 der Polizei und der Armee durchgesetzt wurden,
ständig ist) in der Causa tätig. Das Komitee       Schäden kompensieren
                                                                                 war unklar, was den Verdacht einer willkürlichen
des Nationalrates für Menschenrechte und           kann. Den zwangssterili-
                                                                                 Inhaftierung aufkommen ließ.
nationale Minderheiten diskutierte in Anwe-        sierten Frauen wurde die
                                                                                 Im Juli schrieb das Bildungsministerium an die
senheit von zwei Romafrauen, einem Vertre-         Möglichkeit genommen,
                                                                                 Europäische Kommission bezüglich des laufen-
ter der NGO Poradňa pre občianske a ľudské         frei über ihre reproduk-
                                                                                 den Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Slo-
práva und des Ombudsmannes erstmals die            tive Gesundheit, darüber
                                                                                 wakei wegen systematischer Diskriminierung und
Frage der Entschädigung für unrechtmäßige          schwanger zu werden
                                                                                 Segregation von Roma-Kindern in Schulen. In
Sterilisationen. Das galt für die Betroffenen      und ein weiteres Kind zu
                                                                                 dem Schreiben räumte die Regierung das Vorhan-
bereits als Fortschritt.                           bekommen, zu entschei-
                                                                                 densein von Rassentrennung im Bildungswesen
                                                   den. Viele sind nicht in
                                                                                 in der Slowakei ein und stellte eine Reihe von
ENDLICH ENTSCHULDIGUNG. Die Menschen-              der Lage, die Empörung,
                                                                                 Maßnahmen vor, darunter die Ausarbeitung einer
rechtskommissarin des Europarates, Duna            das Trauma und das
                                                                                 rechtlichen Definition von Segregation.
Mijatovic, sandte daraufhin einen Brief an         Leid, das sie seit Jahren
                                                                                 Aus dem Amnesty-Report 2020
das Justizministerium und die slowakische          erleben, auszudrücken.

                                                                                                                             13
ÖSTERREICH

FRAUENHANDEL IST MODERNE SKLAVEREI
Weltweit werden Milliarden Gewinne daraus gezogen, dass Menschen unter sklaverei-
ähnlichen Bedingungen leben und arbeiten müssen. In Österreich hilft der Verein
LEFÖ-IBF Betroffenen von Frauenhandel.

                       Menschenhandel (human trafficking) stellt        handel zu. Je vulnerabler Frauen aufgrund
                       eine mehrfache Menschenrechtsverletzung          ihres Alters, ihres Bildungsstatus, ihrer so-
                       dar und betrifft v.a. Frauen und Kinder.         zialen oder politischen Teilhabe sind, desto
                       Frauenhandel bedeutet nach LEFÖ-Definiti-        eher werden sie Opfer von Ausbeutung.
                       on, dass Frauen aufgrund von Täuschungen         Die Täter*innen zwingen die Frauen oftmals
                       und falschen Versprechungen migrieren und        aufgrund ihrer unsicheren rechtlichen Si-
                       im Zielland in eine Zwangslage gebracht wer-     tuation durch Ausnützung einer Autoritäts-
                       den. Dann werden sie aufgrund ihrer recht-       stellung, unter Drohung oder mit Gewalt zu
                       losen Situation zur Ausübung von Dienst-         Arbeiten oder zu sexuellen Dienstleistungen,
                       leistungen gezwungen und von Ehemännern          um daraus Profit zu schlagen. Oft werden
                       oder Arbeitgeber*innen ihrer persönlichen        den Frauen die Dokumente abgenommen
                       oder sexuellen Integrität beraubt.

                       TRANSIT- UND ZIELLAND. Österreich spielt durch
                       seine zentrale Lage in Europa eine Rolle
                       als Transit- und als Zielland für Menschen-
                       handel. Die Betroffenen werden oft mit
                       Aussichten auf Arbeit oder Ausbildung zum
                       Verlassen ihres Landes verleitet und treten in
                       der Hoffnung auf eine bessere Zukunft eine
                       Reise ins Ungewisse an.
                       Die Herkunftsländer von den in Österreich
                       betroffenen Frauen liegen breit gestreut
                       in Afrika, Osteuropa, Asien. Im Jahr 2020
                       stammten die Frauen aus 44 verschiedenen
                       Ländern. Überall, wo es Krisen gibt, die
                       Menschen bedrohen oder ihnen die Lebens-         und ihr Kontakt zur Außenwelt unterbunden.
                       grundlage entziehen, nimmt der Menschen-         Es kann Hausangestellte in Diplomatenhaus-
                                                                        halten ebenso betreffen wie Au-Pairs, Ar-
                                                                        beiterinnen in Landwirtschaft, Gastgewerbe
                                                                        oder Industrie. Frauen, die zur Prostitution
                                                                        oder zur Bettelei gezwungen werden.
                                                                        Menschenhandel ist eine moderne Form der
                                                                        Sklaverei.
                                                                        Traurigerweise werden weltweit Milliarden
                                                                        Gewinne daraus gezogen, dass Menschen
                                                                        unter sklavereiartigen Bedingungen leben
                                                                        und arbeiten müssen.
                                                                        Beim Cybersex-Trafficking stellen Menschen-
                                                                        händler Fotos und Videos ihrer Opfer gegen
                                                                        Bezahlung in einschlägigen Foren aus.

14
BEDINGUNGSLOS UND ANONYM. Es geht um die
                                               bedingungslose und anonyme Unterstützung
                                               der Frauen – im Unterschied zu rechtlichen
                                               Ansprüchen, die meist an Bedingungen
                                               geknüpft sind.
DER VEREIN LEFÖ (Lateinamerikanische
                                               Der Zugang zu staatlichen Rechten ist von
emigrierte Frauen in Österreich) hat eine
                                               der Glaubwürdigkeit der befragten Personen
Interventionsstelle für Betroffene des Frau-
                                               abhängig und dadurch erschwert, dass Be-
enhandels (IBF) eingerichtet, die eine an-
                                               troffene oft keine Identifikationsdaten der Tä-
erkannte Opferschutzeinrichtung nach §25
                                               ter haben. Wer nicht an einem Strafverfahren
des Sicherheitspolizeigesetzes und Teil der
                                               teilnimmt – etwa aus Angst vor Vergeltung,
nationalen Taskforce zur Bekämpfung des
Menschenhandels ist.
LEFÖ arbeitet im Auftrag des Bundesminis-
teriums für Inneres und des Bundeskanzler-
amts und ist bundesweit tätig.
Der Verein LEFÖ wurde 1985 gegründet, in
einer Zeit, als vermehrt Frauen aus latein-
amerikanischen Ländern nach Österreich
migriert bzw. exiliert sind und es hier kein
entsprechendes Angebot für sie gab. Ge-
meinsam mit der damaligen feministischen
Bewegung haben sie um rechtliche Rah-
menbedingungen gekämpft, so auch für die
Rechte von Migrantinnen, die in Österreich
ausgebeutet wurden. Erst im Jahr 2000 wur-
de mit dem Palermo Protokoll eine internati-
onale Definition für „Menschenhandel“ von
den Vereinten Nationen beschlossen.
Der gemeinsame Kampf von migrantischen
                                               kann nicht den rechtlichen Opferstatus er-
und österreichischen Feministinnen hat Ver-
                                               halten und hat somit keinen Aufenthaltstitel.
besserungen für alle Frauen erwirkt.
                                               Oft ist ein langfristiger Aufenthaltstitel daran
LEFÖ-IBF bietet Betroffenen psychosoziale
                                               gebunden, eine*n Arbeitgeber*in zu haben
und rechtliche Beratung an sowie Zugang
                                               – was die Abhängigkeit im Arbeitsverhältnis
zu medizinischer Versorgung, unterstützt
                                               erhöht.
bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, kann
                                               LEFÖ-IBF ist auch eine Anlaufstelle für                Der Artikel von Ruth
Schutzwohnungen zur Verfügung stellen und
                                               Personen, die in ihrem Umfeld Betroffenheit            Strehl ist entstanden auf
Prozessbegleitungen durchführen. Beratung                                                             Basis eines Gesprächs
                                               von Menschenhandel vermuten und Rat und
in der Erstsprache, die auch den soziokul-                                                            mit Isabella Chen, Stv.
                                               Information suchen.
turellen Kontext kennt und miteinbezieht,                                                             Leiterin von LEFÖ-IBF am
ermöglicht einen niederschwelligen Zugang                                                             3.11.2021.
                                                                Weitere Informationen: lefoe.at/ibf
zum Angebot.

                                                                                                                            15
ÖSTERREICH

GEWALTSCHUTZ BRAUCHT MEHR GELD

18,4 Millionen Euro für Frauen und Gleichstellung – ein Budget, das
zufriedenstimmt? Mitnichten, meint die Allianz GewaltFREI leben.

                               Gespannt hatte die Allianz GewaltFREI le-     ihren (Ex-)Partnern ermordet, und weit über
Die Allianz GewaltFREI leben
                               ben den Tag im November erwartet, an dem      40 Frauen beinahe getötet wurden, sehen
ist ein Zusammenschluss
                               im Parlament das Budget für Frauen und        sie sich gezwungen, erneut auf ihre Forde-
von österreichischen
                               Gleichstellung diskutiert wurde. Die Veran-   rung hinzuweisen, die Istanbul-Konvention,
Opferschutzeinrichtungen
                               schlagung von 18,4 Millionen Euro ließ die    die Österreich schon im Jahr 2013 ratifiziert
und Zivilgesellschaftsor-
                               Frauenministerin Susanne Raab geradezu        hat, endlich umfassend umzusetzen.
ganisationen, die sich der
                               triumphieren, wurde das Budget im Frau-       18,4 Millionen Euro für 2022 scheinen
Verbesserung des Gewalt-
                               enressort in Raabs bisheriger Amtszeit von    auf den ersten Blick nicht wenig, doch da
schutzes in Österreich
                               etwa 10 auf nun circa 18 Millionen Euro       diese Summe gerade einmal 0,02 % des
widmet.
                               aufgestockt.                                  Gesamtjahresbudgets ausmacht, hält sich
                               Die Mitglieder der Allianz GewaltFREI leben   die Begeisterung auf Seiten von Frauen- und
                               sehen die Erhöhung zwar als wichtigen         Opferschutzeinrichtungen zwangsläufig in
                               Schritt, doch angesichts der Tatsache, dass   Grenzen.
                               im heurigen Jahr bereits 25 Frauen von
                                                                             DER GEFÄHRLICHSTE ORT FÜR FRAUEN ist das
                                                                             eigene Zuhause und was nützt ein Budget
                                                                             von 2,7 Milliarden Euro für die Landesver-
                                                                             teidigung, wenn der Feind im eigenen Bett
                                                                             liegt? Anlässlich der Budgetverhandlungen
                                                                             erinnerte die Allianz GewaltFREI leben an ihre
                                                                             Forderung nach einer Erhöhung des Budgets
                                                                             auf 228 Millionen Euro jährlich plus 3.000
                                                                             zusätzliche Vollzeitarbeitsstellen für Gewalt-
                                                                             prävention.
                                                                             Auch die Lohnschere zwischen Frauen und
                                                                             Männern klafft in Österreich nach wie vor ge-
                                                                             waltig auseinander – der Equal Pay Day fiel
                                                                             heuer auf den 25. Oktober 2021. Seit die-
                                                                             sem Tag arbeiten Frauen bis zum Jahresende
    Rosa Logar, Pionierin                                                    gratis, und ökonomische Abhängigkeiten be-
   der Frauenhäuser und                                                      günstigen zwangsläufig Gewaltbeziehungen.
   Geschäftsführerin der                                                     Das anberaumte Budget für Frauen und
   Wiener Interventions-
                                                                             Gleichstellung beläuft sich auf etwa vier
   stelle gegen Gewalt in
                                                                             Euro pro Frau und Mädchen in Österreich –
    der Familie bei einem
     Protest zu den unzu-                                                    in Wien reicht dies in etwa für eine Hin- und
   reichenden Mitteln für                                                    Rückfahrt ins Frauenhaus.
            Gewaltschutz                                                     Seit Jahren bleibt zudem der Hilfeschrei
           © Bettina Frenzel                                                 nach einem Nationalen Aktionsplan gegen
                                                                             Gewalt an Frauen ungehört.
                                                                             Aus einer Presseaussendung der Allianz GewaltFREI
                                                                             leben vom 11.11. 2021

 16
ERFOLGE

           DEIN EINSATZ WIRKT
                                                                                                  Danke für Deine Unterstützung!

           TÜRKEI. Ein Gericht in der türkischen Haupt-     status in Russland entzogen worden war. Ihr
           stadt Ankara hat im Oktober 18 Studierende       drohte die Abschiebung nach Usbekistan, wo
           und ein Mitglied des Lehrpersonals freige-       sie der Gefahr von Menschenrechtsverletzun-
           sprochen. Sie standen unter Anklage, weil        gen ausgesetzt gewesen wäre.
           sie an einer Pride-Parade auf dem Campus
           ihrer Uni im Mai 2019 teilgenommen hatten.       SCHWEIZ. Das Schweizer Parlament hat im
           Mit Pfefferspray, Gummigeschossen und            Oktober eine wichtige Entscheidung über die
           Tränengas reagierte die Polizei im Mai 2019,     Regeln zur Ausfuhr von Waffen getroffen und
           als Melike Balkan und Özgür Gün und wei-         damit eine von Amnesty International seit
           tere Mitglieder der LGBTI-Solidaritätsgruppe     langem geforderte Korrektur vorgenommen.
           der Middle East Technical University (METU)
           in Ankara ihre jährliche Kundgebung abhal-
           ten wollten.
           Die Polizei nahm mindestens 23 Studierende
           sowie ein Mitglied des Lehrpersonals fest.
           Gegen 18 Studierende und die Lehrperson
           wurde anschließend Anklage erhoben, ob-
           wohl diese lediglich ihr Recht auf friedlichen
           Protest wahrgenommen hatten. Ein Gericht
           in Ankara hat schließlich alle Angeklagten
           freigesprochen.

           RUSSLAND. Die Menschenrechtsverteidigerin
           Valentina Chupik wurde aus der Haft am
                                                            In Zukunft sind Waffenexporte in Länder,
                                                            welche die Menschenrechte schwerwiegend
                                                            und systematisch verletzen oder in einen
                                                            Bürgerkrieg verwickelt sind, ohne Ausnahme
                                                            verboten.

                                                            ÄGYPTEN. Seit Jahrzehnten vertritt und berät
                                                            die Menschenrechtsanwältin Azza Soliman
© RFE/RL

                                                            Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt,
                                                            Vergewaltigung, Folter oder willkürlicher Haft
                                                            wurden. Nur aufgrund ihrer Arbeit wird sie
           Moskauer Flughafen Scheremetjewo entlas-         von den ägyptischen Behörden eingeschüch-
           sen und konnte am 2. Oktober nach Armeni-        tert und schikaniert und zuletzt wegen Steu-
           en fliegen.                                      erhinterziehung und Verleumdung des ägyp-
                                                                                                             © IN-LIGHTING

           Die russischen Behörden hatten sie seit dem      tischen Staats angeklagt.
           25. September in der Transithalle des Flug-      Im September wurden die Ermittlungen ge-
           hafens festgehalten, weil ihr der Flüchtlings-   gen Azza Soliman endlich eingestellt.

                                                                                                                             17
IRAN

ATENA DAEMI NICHT VERGESSEN

                                                                         Die Menschenrechtsverteidigerinnen Atena
                                                                         Daemi und Golrokh Ebrahimi Iraee müssen
                                                                         eine ungerechte Strafe weitab von ihrem
                                                                         Heimatort abbüßen.

                                                              © privat

                             Atena Daemi verbüßt nach einem unfairen            lich von Teheran, wo Atena Daemis Familie
                             Verfahren wegen konstruierter Vorwürfe,            lebt. Sie und Golrokh Ebrahimi Iraee waren
SETZ DICH EIN!               wie „Versammlung und Konspiration zu
                             Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“
                                                                                am 17. Juni 2019 wegen „Beleidigung des
                                                                                Obersten Religionsführers“ und „Verbrei-
Bitte schick                 eine siebenjährige Haftstrafe. Grund sind          tung von Propaganda gegen das System“ zu
den Appellbrief              ihre friedlichen Menschenrechtsaktivitäten.        weiteren drei Jahren und sieben Monaten
möglichst sofort             Atena Daemi wurde am 16. März 2021 in              Gefängnis verurteilt worden. Grund dafür
                             Handschellen und Fußfesseln vom Evin-Ge-           war, dass sie im Evin-Gefängnis die Revolu-
ab.                          fängnis in Teheran ins Lakan-Gefängnis in          tionshymne „Oh martyrs“ gesungen hatten,
                             Rascht gebracht.                                   um gegen die Hinrichtung der Kurden Za-
                             Sie war zuvor weder über ihre Verlegung            nyiar Moradi, Loghman Moradi und Ramin
                             informiert worden, noch durfte sie ihrer           Hossein Panahi zu protestieren. Zudem
                             Familie telefonisch Bescheid geben. Rascht         hatten sie offene Briefe zu den Hinrichtun-
                             ist die Hauptstadt der iranischen Provinz          gen und auch zu ihren Haftbedingungen an
                             Gilan und befindet sich 330 Kilometer nörd-        die Behörden geschrieben.

IRANISCHE BEHÖRDEN VERHÖHNEN DIE JUSTIZ
Die iranischen Behörden machen die Jugendgerichts-               Arman Abdolali der Galgen droht, weil iranische Gerichte
barkeit zur Farce und führen die Öffentlichkeit und die          ihn - unter eklatanter Verletzung des Völkerrechts und ihrer
internationale Gemeinschaft in die Irre, indem sie öffent-       Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über die Rechte
lich behaupten, dass die endgültige Entscheidung über            des Kindes und dem Internationalen Pakt über bürgerliche
die Vollstreckung oder den Aufschub der Hinrichtung von          und politische Rechte - zum Tode verurteilt haben. Im Sep-
Arman Abdolali, der zur Tatzeit noch minderjährig war,           tember 2020 verurteilte das Strafgericht der Provinz Teher-
nicht in ihren Händen liege und dass sie ihr Bestes getan        an Arman Abdolali zum Tode, nachdem es zu dem Schluss
hätten, um zu vermitteln, damit die Familie des Opfers           gekommen war, dass er zur Tatzeit „geistig reif“ gewesen
im Austausch gegen „Blutgeld“ (diyah) begnadigt wird.            sei.
Amnesty International unterstreicht, dass diese offiziellen      Nach einem weltweiten Aufschrei verschoben die Behörden
Behauptungen unehrlich sind und einen grundlegenden              seine Hinrichtung im Oktober 2021 mehrfach. Amnesty
Mangel an Respekt für die Rechte von Kindern durch die           fordert ein faires Wiederaufnahmeverfahren in Übereinstim-
iranischen Behörden widerspiegeln. Tatsache ist, dass            mung mit den Grundsätzen der Jugendgerichtsbarkeit.

 18
CHINA

ZHANG ZHANS LEBEN IST IN GEFAHR

                                     Die Bürgerjournalistin Zhang Zhan kritisierte
                                     den Umgang der chinesischen Behörden mit
                                       dem Coronavirus und wurde zu vier Jahren
                                                                   Haft verurteilt.

Als im Februar 2020 das Coronavirus in          Nachdem sie im Juni 2020 aus Protest
Wuhan wütet, ist die Bürgerjournalistin         gegen ihre Inhaftierung in den Hunger-
Zhang Zhan eine der wenigen unabhängigen        streik getreten ist, soll sie von Beamt*innen
Stimmen, die von dort berichten. Für diese      zwangsernährt worden sein. Sie muss Fuß-         SETZ DICH EIN!
Berichterstattung ist sie zu vier Jahren Haft   fesseln tragen, auch ihre Hände waren mehr       Bitte schick den
verurteilt worden. Um gegen das Urteil zu       als drei Monate pausenlos gefesselt.
protestieren und zu zeigen, dass sie unschul-   Zhang Zhan ist Ende Juli 2021 wegen star-
                                                                                                 Appellbrief im
dig ist, trat Zhang Zhan in einen Hunger-       ker Mangelernährung in ein Krankenhaus           Dezember ab.
streik, der lebensbedrohlich ist.               eingeliefert worden. Ihr Gewicht liegt unter
Im Februar 2020 reist sie nach Wuhan, weil      40 kg. Die Behörden verweigern ihr Besu-
sie unbedingt in Erfahrung bringen möchte,      che ihrer Familie und den Zugang zu einem
was dort wirklich passiert. „Wir sollten die    Rechtsbeistand ihrer Wahl – so bleibt sie
Wahrheit herausfinden – um jeden Preis“, so     dem Risiko weiterer Folter und anderer Miss-
Zhang Zhan.                                     handlungen ausgesetzt.
                                                                                                 Zhan Zhan muss Fußfesseln
                                                                                                 tragen. Auch ihre Hände waren
ZENSUR UND STRAFEN. Die Behörden hatten ver-    DU KANNST ZHANG ZHAN AUCH EINE BOTSCHAFT
                                                                                                 monatelang gefesselt.
sucht, die Informationen über den Ausbruch      SCHICKEN, die ihr zeigt, dass sie nicht allein   © privat
des Coronavirus in Wuhan von Anfang an          ist. Du kannst ihr zum Beispiel schreiben:
zu zensieren. Dr. Li Wenliang, der als Erster   „Zhang Zhan, your
versucht hatte, andere vor dem Virus zu war-    tireless work for the
nen, wurde sofort zum Schweigen gebracht        truth is an inspirati-
und von den Behörden wegen „Verbreitung         on to many people.
von Gerüchten“ bestraft. Er starb im Februar    We will continue to
2020 an Covid-19.                               support you and look
Seit dem Ausbruch der Pandemie in China         forward to the day
wurden zahlreiche Artikel über das Virus        when you regain your
zensiert. Kritische Beiträge in den sozialen    freedom. Do not lose
Medien, sensible Hashtags und Forderungen       hope!”
nach Meinungsfreiheit werden schnell ge-        Schicke Deine Nach-
löscht oder zensiert.                           richt an:
Zhang Zhan veröffentlichte ihre Berichte        Zhang Zhan, No
über die Inhaftierung unabhängiger Repor-       1601, Zhangjing
ter*innen und darüber, wie Staatsbedienstete    Road, Sijing Zhen,
Familienangehörige von Corona-Patient*in-       Songjiang Qu,
nen schikanieren, auf Social Media-Plattfor-    Shanghai 201601,
men.                                            Volksrepublik China.

IN WUHAN VERSCHWUNDEN. Im Mai 2020 ver-         Amnesty International
schwindet Zhang Zhan in Wuhan. Die chine-       solltest Du auf keinen
sischen Behörden bestätigen später, sie sei     Fall erwähnen.
in Shanghai in Haft.

                                                                                                                           19
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