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akzente Das Magazin der GIZ 4/2018 Gesunde Zukunft Medizinische Versorgung im Kongo Saubere Sache Textilwirtschaft in Bangladesch Mehr Wissen Jugendförderung in Costa Rica Frauen Gender. Macht. Politik.
Gesichter und Geschichten Fachkraft fü r D e u t s c h l a n d DEWI RIZKY OCTARINA Die Frau aus Indonesien kam, sah und blieb: zuerst für ein Praktikum, nun ist sie fest angestellte Bauingenieurin. Diese und weitere „Gesichter und Geschichten“ finden Sie online auf www.giz.de/geschichten Code mit Smartphone einscannen und Video ansehen
Editorial FRAUENPOWER – KLAR, ABER WIE? Über gleichberechtigte Teilhabe und den (kleinen) Unterschied ES IST ZEIT FÜR EIN FRAUENHEFT, über- rikanische Wissenschaftlerin Malliga Och, legten wir im vergangenen Sommer in der mit einer forschenden Gender-Brille auf die akzente-Redaktion. Rund um den Tisch sa- Welt zu schauen. In der Titelgeschichte die- ßen: ausschließlich Frauen. 100 Jahre Frau- ser Ausgabe zeigt sie, wo Frauen heute über- enwahlrecht in Deutschland am 12. Novem- all regieren und warum sie in den Ländern ber schienen uns Anlass genug, der Frage Westeuropas die vergleichsweise größten nachzugehen, wie es um die Gleichberechti- Chancen haben, politisch Karriere zu ma- gung steht, und zwar weltweit. Was hat sich chen. Die Autorin geht dabei auch der Frage getan in Sachen Emanzipation in diesem nach, ob Frauen denn nun anders regieren dramatischen Zeitraum, in dem so viel pas- oder nicht. Eine, die es wissen muss, ist die siert ist – zwei verheerende Weltkriege, aber frühere chilenische Präsidentin Michelle Ba- auch eine bis dahin nie gekannte internati- chelet. Im Interview verrät sie, welche Zu- onale Zusammenarbeit; große Armut, aber taten Frauen auf ihrem Weg an die Macht auch beispielloser Wohlstandsgewinn und brauchen: vor allem einen wachen Geist ein gigantischer Technologiesprung. Wo und ein offenes Ohr. zwischen all diesen großen Ereignissen wa- ren da die Frauen, fragten wir uns? GANZ IM SINNE GRÖSSERER OFFENHEIT haben wir bei der Gelegenheit auch unseren UND KAMEN SCHNELL ÜBEREIN, dass die Umgang mit Sprache in akzente noch ein- SABINE TONSCHEIDT, Frauenfrage mitten hinein gehört in die mal kritisch beleuchtet. Das Ziel lautet, und Leiterin Unternehmenskommunikation Analyse der jüngeren Geschichte und Ge- darin herrschte dann wieder großer Gleich- sabine.tonscheidt@giz.de genwart. Denn nicht zuletzt in der Ent- klang in der Redaktion, eine moderne, in- wicklungspolitik wissen wir: ohne Frauen klusive Sprache zu pflegen, aber dabei auch weniger Fortschritt. Ohne weibliche Betei- nicht in Korrektheit zu erstarren – eine ligung an Entscheidungsprozessen weniger schwierige Gratwanderung. In diesem Heft Entwicklung. Aber danach hörten die Ge- haben wir zum ersten Mal alles „gegendert“, meinsamkeiten innerhalb der weiblichen das heißt, die Texte sind geschlechtsneutral akzente-Redaktion dann auch schon auf. gehalten, greifen zwei Formen auf oder ent- Gleichberechtigte Teilhabe sei ein Grund- halten den Genderstar *. Wir sehen diese fotoS: Tristan Vostry (S. 2), DIE HOFFOTOGRAFEN/MARIA VOGEL (S. 3) recht, meinten die einen, und deshalb schon Ausgabe sprachlich als Experiment und sind per se erstrebenswert. Frauen in Machtpo- deshalb auf Ihre Meinung dazu gespannt. sitionen seien kein Wert an sich, meinten die anderen. Sie müssten einen Unterschied Zunächst aber hoffen wir, dass das Thema machen, sozialer, gerechter, „moralischer“ gefällt – sowohl Männern als auch Frauen. handeln. Machen sie das? Und wenn ja, wo? Ihre JE LÄNGER WIR DISKUTIERTEN, desto spannender und relevanter fanden wir das Thema. Umso mehr rangen wir auch mit- einander. Zumal sich schnell zeigte, dass es dazu wenig aus internationaler Perspektive gibt. Deshalb baten wir die deutsch-ame- akzente 4/18 3
REP ORTAGE Gemeinsam aufbrechen Weibliche Abgeordnete in Jordanien S. 18 ÜBERBLICK Politische Teilhabe Was ist und was wird. S. 22 ES SAY Der Aufstieg der Frauen Beitrag von Malliga Och S. 24 INFOGR AF Ik Luft nach oben Ungleichheit in vielen Facetten S. 30 IN T ERVIE W „Nicht Superwoman spielen“ Schwerpunkt: Frauen Michelle Bachelet, UN-Kommissarin S. 32 Gender. Macht. Politik. ERKL ÄRT Der Schlüssel zum Erfolg Bis zu gleichberechtigter Teilhabe gibt es noch viele Hürden zu Gleichberechtigung in der Praxis S. 34 überwinden. Die großen Herausforderungen der Zukunft können Aus der Arbeit der GIZ Frauen und Männer nur gemeinsam bewältigen. Editorial Für Würde und Freiheit Fünf Gender-Projekte im Kurzprofil S. 35 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 Meldungen Auf einen Blick Ein Netzwerker-Jubiläum, ein Drohnen-Test, neue Projekte sowie interessante Zahlen und Fakten im Überblick S. 6 Reportage Gesunde Zukunft Im Osten Kongos wird das Gesundheitssystem wiederbelebt. Ein Besuch in Süd-Kivu. S. 10 4 akzente 4/18
Inhalt PersPEktiveN Mehr Wissen Eine Initiative erleichtert Jugendlichen Nachgehalten, Impressum MOMEN TAUF NAHME in Zentralamerika den Berufsstart. S. 42 Bunte Sonnenanbeter Blick von oben auf ein farbenfrohes Teppich-Mosaik in der Türkei S. 36 Service 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 Vorgestellt Hallo aus Kinshasa Magali Mander leitet ein Projekt im Kongo zur guten Regierungsführung im Bergbausektor. S. 50 fotoS: Lucy Wanjiku Mutinda (s. 4, links unten), Reuters/Umit Bektas (S. 5, links oben) Reportage Saubere Sache Frau [fʀaʊ̯] bezeichnet einen weiblichen, erwach senen Menschen. Das geschlechtliche Pendant akzente Das Magazin der GIZ 4/2018 TitelGESCHICHTE zur Frau ist der Mann. Die Bezeichnungen unter Wie Arbeiter*innen und Unternehmen in Das Motiv der Ausgabe scheiden das biologische Geschlecht, die soziale Rolle oder beides. „Frau“ wird in der deutschen Gesunde Sprache auch als übliche Anrede für Frauen Zukunft verwendet, gefolgt vom Familiennamen der Bangladesch durch den besseren Um- zeigt Aida Al Khattab, Medizinische Versorgung im Kongo Angesprochenen. Saubere Sache gang mit Chemikalien profitieren. S. 38 Abgeordnete aus Jordanien. Textilwirtschaft in Bangladesch Mehr Wissen Ihre Geschichte finden Jugendförderung in Costa Rica Als weltweit tätiger Dienstleister der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung und internationalen Bildungsarbeit entwickelt die GIZ mit ihren Partnern wirksame Lösungen, die Menschen Perspektiven bieten und ihre Lebensbedingungen dauerhaft verbessern. Als gemeinnüt- Frauen Gender. Macht. Politik. Sie ab Seite 18 und auf akzente.giz.de ziges Bundesunternehmen unterstützt sie die Bundesregierung und viele weitere öffentliche und private Auftraggeber in unterschiedlichen Themen- feldern – von der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung über Energie und Umweltthemen bis hin zur Förderung von Frieden und Sicherheit. \GIZ\1_Produktion\5_Freigabe\GIZ_18-04_Cover_D_DEU 52-54 19.11.2018 14:38:42 akzente 4/18 5
Meldungen IN ZAHLEN 133 Millionen neue Jobs bis 2022 – Verände- rungen der Arbeitswelt durch den Einsatz von Maschinen könnten das ermöglichen. Gleichzeitig könnte dieser Fortschritt 75 Millionen traditionelle Jobs kosten. www.weforum.org 1 Billion US-Dollar jährlich – eine Simulation der Weltbank zeigt, dass diese Summe ab 2030 dem globalen Bruttoinlandspro- dukt verloren geht. Und zwar allein als Folge der zunehmenden Resistenz gegen Zehn Jahre „Afrika kommt!“ antimikrobielle Wirkstoffe wie Antibiotika. www.worldbank.org Management-Trainings INITIATIVE DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT und ganz viel Praxiserfahrung für Nachwuchsfüh- 2,5 rungskräfte aus Afrika: Das sind nur zwei der Inhalte von „Afrika kommt!“, einer Initiative füh- render deutscher Unternehmen. Seit ihrer Grün- dung 2008 haben mehr als 120 hoch qualifizierte Personen aus mehr als 20 afrikanischen Ländern das einjährige Programm durchlaufen. Die Unter- Milliarden mehr Menschen werden 2050 voraussichtlich in Städten leben. Bis 2030 nehmen erweitern im Gegenzug ihre Netzwerke in wird es mehr als 400 Megacitys – Städte mit mehr als zehn Millionen Afrika. Die GIZ führt das Programm im Auftrag Einwohner*innen – geben. Damit steigt die der Unternehmensinitiative durch. Bedeutung von nachhaltiger Stadtplanung. www.un.org www.giz.de/de/mit_der_giz_arbeiten/9611.html 6 akzente 4/18
DREI FRAGEN AN „Durch die stärkere Einbindung von Frauen profitiert die Wirtschaft von ihren Talenten, Fähig keiten, einzigartigen Sichtweisen und Ideen.“ CHRISTINE LAGARDE, Chefin des Internationalen Währungsfonds, am Esenam Nyador 17. September 2018 in London in einer Rede zu Ehren der britischen Geschäftsfrau Dame Helen Alexander Die Taxiunternehmerin und Gender-Aktivistin aus Ghana war das Herz der Kampagne „Women moving the city“, mit der Busfahrerinnen für ein neues Schnellbussystem Smarter überweisen in Ghanas Hauptstadt Accra rekrutiert wurden. Ausbil- dungsort ist die neue West African Transport Academy. Die GIZ unterstützt die Lehrstätte in einer Entwicklungs- partnerschaft mit dem Bushersteller Scania. Ermöglicht wird dies durch das develoPPP.de-Programm, mit dem das Bundesentwicklungsministerium entwicklungspoli- tisches Engagement der Privatwirtschaft fördert. Wie viele Taxi- und Busfahrerinnen gibt es in Ghana? Wir sind nur vier Taxifahrerinnen. Busfahrerinnen gab es bis zu der Kampagne null. Wie schwierig war es, Interessentinnen zu finden? Ich habe auf allen Kanälen für die Ausbildung ge- worben, in den sozialen Medien, im Fernsehen und Radio. Dabei war es wichtig, auch Frauen ohne jeg- liche Fahrkenntnisse anzusprechen, denn nur we- nige Frauen in Ghana haben einen Führerschein. Am FOTO: Lucy Wanjiku Mutinda (S. 6), Illustration: Julian Rentzsch (S. 7) Ende meldeten sich rund 400 Frauen aus dem ganzen Land – ein enormer Erfolg. vergleichsp o rtal Viele Kosten, Überweisungsdauer und an- Welche Bedeutung hat es für Ghana, dass auch Frauen Migrant*innen schicken ihren Fami- dere Kriterien prüfen. Das Ver- Busse fahren? lien in den Heimatländern Geld. Da- gleichsportal geldtransfair.de ermög Zum einen ist es wichtig, dass Frauen im öffentli- mit leisten sie auch einen Beitrag für licht nun einen transparenten und chen Raum vertreten sind. Zum anderen zeigen Stu- die langfristige Entwicklung dieser schnellen Vergleich – derzeit für 27 dien, dass Frauen sicherer fahren, sie sind einfach Länder. Allein 2017 wurden 466 Mil- Länder. Das Portal wird vom Centrum nicht so aggressiv am Steuer wie Männer. Die ers liarden US-Dollar von Privatleuten in für internationale Migration und Ent- ten rund 50 Absolventinnen des Trainings sind be- Entwicklungsländer überwiesen. wicklung betrieben, Auftraggeber ist reits auf der Straße, momentan noch unter Super Doch die besten Anbieter*innen zu das Bundesentwicklungsministerium. vision, aber bald übernehmen sie ganz das Steuer. finden, war bisher schwierig. Nutze- rinnen und Nutzer mussten einzeln die www.geldtransfair.de www.develoPPP.de akzente 4/18 7
Meldungen Ausgezeichnete Lösungen INTERNATIONALER WETTBEWERB Men- sonen. Die eingereichten Lösungen sollten schen auf der Flucht stehen vor vielfältigen bereits erprobt sein und ihre Wirksamkeit Herausforderungen. Eine der größten ist ihre demonstriert haben. Dabei war es egal, ob es wirtschaftliche Situation: Häufig können sie sich um ein Produkt, eine Dienstleistung in aufnehmenden Gemeinden nicht arbei- oder ein Geschäftsmodell handelt. ten, obwohl sie auf eigenen Beinen stehen Im November wählte eine internationa- und einen gesellschaftlichen Beitrag leisten le Jury aus über hundert Ideen die drei bes wollen. Auch die Bewohnerinnen und Be- ten aus. Durchsetzen konnten sich das Nutz- wohner der Gastgemeinden leben oft unter fahrzeug AgRover, die Biogasproduktion schwierigen wirtschaftlichen Umständen. (B)energy und eine Initiative, die Seife aus Das führt häufig zu einem sozial angespann- Obst und Gemüse herstellt. Im Januar 2019 ten Miteinander. entwickeln die Gewinner*innen ihre Lö- Um Lösungen für die Situation dieser sungen während eines einwöchigen Aufent- Menschen zu finden, startete die GIZ 2018 halts in Ruanda weiter. Darauf folgt eine einen internationalen Wettbewerb. Gesucht mehrmonatige Testphase, in der die Ideen wurden Vorschläge für Verbesserungen – für kontinuierlich verbessert und in der Praxis die Geflüchteten, die aufnehmenden Ge- erprobt werden. Ziel ist es, die Siegerideen zu meinden und den Austausch zwischen bei- tragfähigen Lösungen weiterzuentwickeln, den Gruppen. Aufgerufen waren Start-ups, Nichtregierungsorganisationen, wissen- die sich auf größere Bereiche oder auch ganz andere Regionen ausweiten lassen. Kampf dem Klimawandel schaftliche Institute, öffentliche Einrich- tungen, Unternehmen ebenso wie Privatper- solutions.giz.de Vanille: Gold der Gewürze KOOPERATION Das Klimasekretariat der Vereinten Nationen (UNFCCC) und die GIZ wollen in Zukunft intensiver zusammenarbeiten, wenn es darum TREND Bäuerinnenund Bauern profitieren kaum von den geht, den Klimaschutz und die Anpas- Rekordpreisen für Vanille. Diese lagen 2017 bei mehr sung an die Folgen des Klimawandels als 500 US-Dollar pro Kilogramm. Im Hauptanbauland zu stärken. Dazu unterschrieben Patricia Espinosa, Generalsekretärin Madagaskar arbeitet die GIZ daran, die Lebensbedin- des Klimasekretariats, und GIZ- gungen der Produzent*innen zu verbessern. Vorstandssprecherin Tanja Gönner 2018 in Bonn eine Absichtserklärung. Damit 600 USD ist die GIZ die erste Organisation außerhalb der Vereinten Nationen, die 500 USD ein sogenanntes Memorandum of Understanding mit dem Klimasekreta- 400 USD riat vereinbart hat. Durch die Koopera- tion wollen die beiden Organisationen 300 USD zum Beispiel Staaten besser dabei unterstützen, ihre im Pariser Klimaab- 200 USD kommen festgelegten Klimaschutzbei- träge zu leisten. Auch Unternehmen 100 USD und öffentliche Einrichtungen stehen im Fokus: Sie sollen dabei unterstützt werden, ihren Kohlendioxidausstoß zu 2005 2010 2015 2017 verringern. Quellen: GIZ, Financial Times www.giz.de/de/mediathek/67399.html 8 akzente 4/18
Zukunft im Anflug: TANSANIA-WIKI Tansania testet Drohnen Landessprache: Kisuaheli / Hauptstadt: Dodoma / Regierungsform: Präsidialsystem / Staatsoberhaupt und Regierungschef: John Pombe Joseph Magufuli / Fläche: 947.300 km² / Einwohnerzahl: rund 57,3 Mil Neue Technologien Die medizinische Versorgung von Menschen in ent- lionen (1) / Bevölkerungsdichte: 64,7 pro km² (2) / legenen Gegenden ist logistisch enorm schwierig. Ein gutes Beispiel da- Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 910 US-Dollar (3) für sind die 400.000 Einwohner*innen der Insel Ukerewe im Viktoriasee in Tansania. Eine Lieferung von Medikamenten auf die Insel dauert sechs Stunden. Kurz haltbare, kühlpflichtige Medikamente können deshalb Ukerewe kaum geliefert werden. Nun verspricht eine neue Technologie Abhilfe: Eine speziell angefertigte Drohne benötigt nur noch 40 Minuten bis zur Insel. Sechs Monate lang flog sie testweise mehr als 2.200 Kilometer in Dodoma rund 2.000 Flugminuten. Neben der besseren Versorgung von Kranken- TANSANIA häusern und Apotheken kann die Drohne noch mehr: zum Beispiel auf dem Rückweg Blut- und Laborproben mitnehmen. Die Drohne ist ein Pro- jekt des Paketdienstes DHL, des Drohnenherstellers Wingcopter und der GIZ, die im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums handelt. www.giz.de/medikamentendrohne Quellen: (1, 2) UN Data 2017, (3) Weltbank 2017 Neue Projekte Glaubwürdigere Polizei Wilder Kaffee Grüne Städte AUFBAU Sicherheit, Stabilität, Rechts- WIRTSCHAFT In den Regenwäldern Äthi- KLIMA Ein Radschnellweg in Bogotá, staatlichkeit – gute Polizeiarbeit trägt opiens wächst wertvoller wilder Kaffee. Elektrobusse in Mexiko-Stadt: Das sind fotos: dpa (s. 8), Getty Images/Moment RF (s. 9 RECHTS) dazu bei. Damit diese in Afghanistan Gleichzeitig sind die Bäume von Abhol- nur zwei Ergebnisse einer Kooperation gelingt, unterstützt die GIZ seit Mai zung bedroht. Ein Projekt des Bera- zwischen der GIZ und dem internationa- 2018 das afghanische Innenministe- tungsunternehmens Palladium Interna- len Verband der Groß- und Megastädte rium und die Polizei bei einer umfas- tional und der GIZ im Auftrag der bri- C40. Unter dem Titel „C40 Cities Finance senden Reform. Auftraggeberin des tischen Regierung und des britischen Facility“ wollen sie in Städten Infrastruk- Projekts ist die Europäische Union. Ein Ministeriums für internationale Ent- turprojekte voranbringen, die dem Klima- wichtiges Ziel ist es, die Glaubwürdig- wicklung verbindet beides: Zum einen schutz dienen. Auftraggebende sind das keit der Polizei zu erhöhen. Dazu sollen wird der Markt für wilden Kaffee ge- Bundesentwicklungsministerium, die US- unter anderem das Informationsma- stärkt. Dadurch und durch weitere Maß- amerikanische Entwicklungsbehörde und nagement und das interne Monitoring nahmen wird als zweite Wirkung die das britische Wirtschafts- und Energie- verbessert werden. nachhaltige Forstwirtschaft verbessert. ministerium. akzente 4/18 9
Reportage GESUNDE ZUKUNFT Im Osten Kongos wird das Gesundheitssystem wieder- belebt. Wie Rezepte dafür aussehen können, zeigt die arme Provinz Süd-Kivu. Besuche in einer Klinik und einem medizinischen Zentrum voller Mütter und Babys. TEXT Bettina Rühl Fotos Rudy Kimvuidi Nkombo 10 akzente 4/18
Gesunde Zukunft ESTER ZAWADI MWACHIGABO Die Kongolesin ist mit der drei Monate alten Chishesa Zihindula in das Gesund- heitszentrum der Gemeinde Kasihe gekommen. Die Mut- ter lässt ihre Tochter imp- fen: „Die Impfung ist hier sogar kostenlos. Da ist es doch klar, dass wir kom- men.“ Für alle anderen Fälle hat die Bäuerin eine Kran- kenversicherung für sich und ihre neun Kinder abge- schlossen. » akzente 4/18 11
Reportage D Die drei Monate alte Chishesa Zihindula lutscht zu- frieden an ihren Fingern, ungerührt von dem Trubel um sie herum. Ihre Mutter Ester Zawadi Mwachiga- bo ist mit ihrer jüngsten Tochter schon früh am Mor- gen ins Gesundheitszentrum der ostkongolesischen Gemeinde Kasihe aufgebrochen. Chishesa soll gegen Tuberkulose und Diphtherie geimpft werden. „Mir ist wichtig, dass meine Tochter gut gegen Krankhei- ten geschützt ist“, sagt Zawadi, „und die Impfung ist hier sogar kostenlos. Da ist es doch klar, dass wir kommen.“ Nicht nur Zawadi denkt so. Wegen der Impfkampagne sind an diesem Morgen fast 90 Frau- en mit ihren Säuglingen in das neue Gesundheitszen- trum von Kasihe gekommen. Auf den großen An- drang ist Kandanda Namuho fast ein bisschen stolz. „Offenbar erreichen wir die Bevölkerung mit unse- ren Aufklärungskampagnen, und die Menschen ver- trauen uns“, sagt der leitende Krankenpfleger des Gesundheitszentrums. In der Demokratischen Republik Kongo ist das keine Selbstverständlichkeit: In manchen Regi- onen im Osten des Landes lässt sich nicht einmal ein Viertel der Bevölkerung in Gesundheitszentren oder Krankenhäusern behandeln. Denn nach Jah- ren, in denen die Zentralregierung in Kinshasa das Gut versorgt: Alice Bulambo Kulilwa, leitende Gesundheitssystem vernachlässigt hat, ist die medi- Krankenschwester in der Geburtsstation der Klinik zinische Versorgung schlecht. Gleichzeitig haben viele Menschen nicht von Nyangezi, hält neugeborene Zwillinge in das Geld, selbst ein mangelhaftes medizinisches Angebot zu bezahlen. den Armen. Zudem ist das Personal oft wenig motiviert, weil die Regierung faktisch nur zehn Prozent der Angestellten bezahlt. Die übrigen sind auf die spärlichen und nicht verlässlichen Einnahmen der Einrichtungen ange- wiesen. Damit Menschen in der kongolesischen Provinz Süd-Kivu bessere Zusätzlich auf der akzente-Website: medizinische Hilfe bekommen, arbeitet die GIZ im Auftrag der Schweizer Im Video erzählt Säuglingsschwester Alice Bulambo Kulilwa über ihren Alltag. Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in acht Gesundheitszo- akzente.giz.de nen der Region. Das Programm zur Unterstützung des Gesundheits systems in Süd-Kivu kooperiert eng mit dem Gesundheitsministerium der Provinz, dessen Gesundheitsabteilung und Behörden. Dadurch erhalten 1,5 Millionen Menschen einen besseren Zugang zu dezentralen und soli- den Gesundheitsdienstleistungen. 12 akzente 4/18
Gesunde Zukunft Impftag im neuen Gesundheitszentrum von Kasihe: Fast 90 Mütter sind mit ihren Säuglingen gekommen, um die Kinder vor Tuberkulose und Diphtherie zu schützen. Der zuständige Minister der Provinz, Vincent Cibanvunya Murhega, be- wertet die Unterstützung positiv, denn die Situation muss sich dringend DEMOKRATISCHE verändern. „Die Kinder- und die Müttersterblichkeit in Süd-Kivu sind REPUBLIK KONGO die höchsten in der ganzen Demokratischen Republik Kongo“, betont er. Hauptstadt: Kinshasa / Einwohner: rund 81 Millionen / Von 1.000 Neugeborenen sterben in Süd-Kivu 139 – in Deutschland Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: 458 US-Dollar / sind es drei. In Süd-Kivu sind mit gut 40 Prozent außerdem mehr Men- Wirtschaftswachstum: 3,4 Prozent / schen unterernährt als im gesamten Rest des Landes. Dabei ist die Situa- Rang im Human Development Index: 176 (von 189) tion der Bevölkerung auch landesweit kritisch. Im Entwicklungsindex Quelle: Weltbank 2017 der Vereinten Nationen liegt der Kongo auf Platz 176 von 189. Und das, obwohl das Land theoretisch reich sein könnte, da es über Rohstoffe wie etwa das in der Computerindustrie begehrte Erz Coltan und fruchtbare Böden verfügt. Kasihe Kinshasa DEMOKRATISCHE Früher wurde in einer Lehmhütte behandelt REPUBLIK KONGO Zu den Gründen für den besonders schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung in Süd-Kivu gehören auch die Konflikte in der rohstoffrei- chen Provinz, die seit fast 25 Jahren andauern. Dutzende Milizen kämpfen gegeneinander um die Kontrolle über die wertvollen Boden- Das Gesundheitsprogramm im Auftrag der Schweizer schätze. Seit Jahren sind Hunderttausende Menschen immer wieder auf Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit bringt der Flucht, können ihre Felder nicht bestellen und sich selbst kaum die medizinische Versorgung in Süd-Kivu voran. versorgen. Fast 85 Prozent der Menschen gelten als arm, das heißt, sie Kooperiert wird mit zwölf lokalen Organisationen. müssen mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag überleben. Geld für Be- www.giz.de/de/weltweit/23922.html handlungen ist daher knapp. Und die ohnehin geringen Einnahmen in Kontakt: Antonio Lozito, antonio.lozito@giz.de akzente 4/18 13
Reportage Links oben: Ein Baby wird in der Neugeborenenstation des Krankenhauses der Stadt Nyangezi versorgt. Unten: Strahlende Mutter mit Zwillingen. Rechts: Pfleger Kandanda Namuho vor der alten Lehmhütte, in der früher die Menschen rund um die Gemeinde Kasihe notdürftig behandelt wurden. „Wir erreichen die den medizinischen Einrichtungen werden zudem durch schlechtes Menschen, sie Management auch noch unzureichend genutzt. Nun soll das Gesund- heitssystem effizienter werden. „Wir wollen erreichen, dass jeder in der Provinz Zugang hat zu medizinischer Behandlung“, betont Gesund- vertrauen uns.“ heitsminister Cibanvunya. In Kasihe hat sich die Situation seit dem Beginn des Programms Kandanda Namuho, Pflegeleiter im Medizinzentrum von Kasihe schon deutlich verbessert. Kandanda Namuho führt gerne durch „sein“ Gesundheitszentrum. Es wurde neu errichtet und ausgestattet, seit Janu- ar 2018 ist es in Betrieb. Inzwischen werden dort jeden Monat 16 bis 20 Kinder geboren und durchschnittlich 180 Patientinnen und Patienten behandelt. „In dem alten Gesundheitszentrum wären diese Zahlen un- Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszie- denkbar gewesen“, sagt Kandanda Namuho. Er geht die kurze Strecke len (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das zum alten Gebäude voraus. Vor einem kleinen Lehmhaus, dessen Dach Vorhaben bei: schon eingefallen und mit einer blauen Plane gedeckt ist, bleibt er stehen. Das also war bis vor wenigen Monaten die medizinische Einrichtung der GESUNDHEIT UND MENSCHENWÜRDIGE INDUSTRIE, WOHLERGEHEN ARBEIT UND INNOVATION UND Region, war Kreißsaal, Behandlungsraum und Besprechungszimmer. WIRTSCHAFTS- INFRASTRUKTUR WACHSTUM Weil viele Gesundheitszentren und Krankenhäuser ähnlich baufällig oder viel zu klein sind, gehört die Verbesserung der medizinischen Infra- struktur zu der Gesundheitsinitiative. Insgesamt wurden in Süd-Kuvu 14 akzente 4/18
Gesunde Zukunft sechs dieser lokalen Einrichtungen instand gesetzt oder neu gebaut. Zu- sammengearbeitet wird mit insgesamt 123 Gesundheitszentren und acht INTERVIEW Krankenhäusern. Seit Kandanda Namuho seine Patientinnen und Patienten in einem hellen und stabilen Gebäude behandeln kann, geht er auch lieber zur Ar- beit. Außerdem erhält er inzwischen leistungsbasierte Prämien. Dadurch hat er deutlich mehr Geld zum Leben als vorher. Nämlich rund 15 US- Dollar im Monat an Boni, zusätzlich zu den durchschnittlich 25 US- Dollar aus den Einnahmen des Zentrums. Von der Zentralregierung be- kommen er und seine Kollegen nichts. „Wegen der ständigen Geldsorgen waren wir früher oft mit den Gedanken nicht bei der Arbeit“, erklärt der ANTONIO LOZITO 32-jährige Familienvater. Die Finanzen sind für alle ein großes Thema. Das Geld für die Leiter des Programms zur Unterstützung des Gesundheitssystems in Süd-Kivu Medikamente und die Behandlungen einzutreiben, stellt viele Einrich- tungen vor riesige Probleme. Auch das Gesundheitszentrum von Kasi- he. Nur ein Drittel seiner Patientinnen und Patienten zahlt komplett Herr Lozito, warum ist der Ge- gen der Größe des Landes nicht und unmittelbar nach der Behandlung, sagt Namuho. Die übrigen sundheitszustand der Bevölkerung funktioniert. Seit 2015 wird die 70 Prozent zahlen verspätet, nur teilweise oder gar nicht. In der Ge- in Süd-Kivu so schlecht? schon länger geplante Dezentra- gend von Kasihe haben drei bis vier Prozent der Patient*innen eine Die Gründe sind vielschichtig. lisierung in Süd-Kivu umgesetzt, Krankenversicherung. Das ist immerhin noch etwas mehr als im Die Konflikte zwischen Milizen auch im Gesundheitssystem. Durchschnitt der gesamten Provinz. Da sind es nur zwei Prozent. und der Armee haben ihren An- Dass wir die Provinzregierung „Viele Menschen haben nach schlechten Erfahrungen in der Vergan- teil daran. Und Auseinanderset- dabei unterstützen, ist ein As- genheit kein Vertrauen mehr in die Versicherungen“, erklärt Antonio zungen zwischen Volksgruppen pekt unseres Programms. Lozito, der Leiter des Gesundheitsprogramms. Das Programm unter- um die Verteilung des Landes stützt die bestehenden Versicherungsanbieter deshalb bei der Verbesse- sowie zwischen Bauern und Hir- Gab es Fortschritte? rung von Management und Effizienz. Eingeführt wird auch ein Tarif- ten. Felder werden nicht bestellt, Ja, sehr viele. Es wurden neue system, das medizinische Leistungen bezahlbar macht und für stabile die Menschen haben kaum Ein- Kontrollstrukturen aufgebaut, Preise sorgt. Dazu soll auch der Einsatz von kontrolliert hergestellten kommen und viele hungern. der technische Dienst wurde neu Generika beitragen. strukturiert. Insofern kann man Ester Zawadi Mwachigabo, die mit der kleinen Chishesa auf die Welche Rolle übernimmt der sagen: Ja, der Zentralstaat hatte Impfung wartet, muss vom Sinn einer Krankenversicherung nicht Staat beim Gesundheitssystem? das Gesundheitssystem sich mehr überzeugt werden. Sie ist mitsamt ihren inzwischen neun Kin- Der Kongo ist riesig. Noch vor selbst überlassen, aber die Pro- dern schon seit 2016 versichert. „Es fällt uns nicht leicht, die 55 US- fünf Jahren wurde das Gesund- vinzregierung stellt sich dieser Dollar zu verdienen, die wir im Jahr dafür bezahlen müssen“, sagt die heitssystem ganz zentralistisch Verantwortung sehr viel stärker. Bäuerin. „Aber es lohnt sich.“ So musste eins ihrer Kinder im vergange- von der Hauptstadt Kinshasa Trotzdem bleibt noch sehr viel nen Jahr operiert werden, von den 150 US-Dollar Behandlungskosten aus verwaltet, aber das hat we- zu tun. — übernahm ihre Versicherung die Hälfte. Und die Kosten ihrer letzten beiden, jeweils sehr komplizierten Entbindungen wurden überwiegend von ihrer Versicherung bezahlt. „Ich habe jetzt weniger Angst vor der DAS PROJEKT IN ZAHLEN Zukunft“, sagt Zawadi. Denn eine Krankheit bedeutet nicht mehr zwangsläufig den finanziellen Ruin ihrer Familie. — 1,5 Millionen Menschen BETTINA RÜHL berichtet seit in Süd-Kivu erhalten einen besseren Zugang zu drei Jahrzehnten aus Afrika. Sie Gesundheitsdienstleistungen. sucht die Nähe zu den Menschen, gibt ihnen eine Stimme. Dafür ist sie mehrfach ausgezeichnet 1.000 Angestellte worden. Zusammen mit RUDY im Gesundheitssektor (Ärztinnen und Ärzte, KIMVUIDI NKOMBO war sie im Geburtshelfer*innen, Pfleger*innen) werden zuver- Ostkongo unterwegs, der Heimat des Fotografen und Filmemachers. Dort lässig bezahlt, auch mit leistungsbasierten Prämien. erlebten sie berührende Augenblicke in einer Neugeborenenstation. akzente 4/18 15
Schwerpunk t FRAUEN Bis zu gleichberechtigter Teilhabe gibt es noch viele Hürden zu überwinden. Die großen Herausforderungen der Zukunft können Frauen und Männer nur gemeinsam bewältigen.
REPORTAGE Gemeinsam aufbrechen Sie trotzen Stereotypen, überzeugen Männer und sind Vorbilder: unterwegs mit weiblichen Abgeordneten der regionalen Räte von Jordanien. S. 18 ÜBERBLICK Politische Teilhabe Was hat sich schon verändert, was muss sich noch tun und wo liegen die größten Hindernisse für Frauen? Ein Blick auf die Welt in fünf Beispielen. S. 22 ESSAY Der Aufstieg der Frauen Wird das 21. Jahrhundert zum „Jahrhundert der Frauen“? Die amerikanische Wissenschaftlerin Malliga Och beschreibt den langen Weg zur Macht. S. 24 INFOGRAFIk Luft nach oben Ob Wirtschaft, Kunst oder Kultur, der Blick in die Statistiken belegt: Von Gleichberechtigung ist die Welt weit entfernt. S. 30 INTERVIEW „Nicht Superwoman spielen“ Michelle Bachelet, UN-Kommissarin für Menschenrech- te, spricht über Perfektionismus, Ungleichbehandlung und die Kunst, den Humor nicht zu verlieren. S. 32 ErKL ÄRT Der Schlüssel zum Erfolg Gleichberechtigung der Geschlechter ist unabdingbare Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung, erklärt Gender-Ansprechpartnerin Angela Langenkamp. S. 34 Aus der Arbeit der GIZ Für Würde und Freiheit Die Geschlechtergerechtigkeit gehört zum Leitbild und zu den Unternehmenswerten der GIZ. Fünf Projekte im Kurzprofil S. 35
Schwerpunkt: Frauen 18 akzente 4/18
Reportage Gemeinsam aufbrechen Sie trotzen Stereotypen, überzeugen Männer und sind Vorbilder: unterwegs mit weiblichen Abgeordneten der regionalen Räte von Jordanien. Text Brigitte Spitz Fotos Rajiv Raman E s dauert keine Minute, um ihre reden sie bei einem Glas Tee über die Ju- inzwischen 9,5 Millionen Menschen zäh- ansteckende Energie zu spüren. gendarbeitslosigkeit, eines der größten Pro- lenden Land Zuflucht gesucht. Dadurch Aida Al Khattab steht im glei- bleme in der ärmsten Region des Landes. steht Jordanien vor großen wirtschaft ßenden Sonnenschein am Ein- Aida Al Khattabs Hände halten nicht still: lichen, sozialen und politischen Herausfor- gang des Provinzgebäudes der „Wir müssen Wege finden, damit hier inves derungen. südjordanischen Stadt Ma’an. Als die Besu- tiert wird. Wir müssen etwas tun.“ Vorhaben wie LEAD sollen dazu bei- cher aus der Hauptstadt ankommen, stürmt Die quirlige Jordanierin sucht dafür tragen, Frauen im Nahen Osten im öffent- sie sofort auf sie zu. Den Männern nickt sie jetzt auch politische Lösungen. Das nötige lichen Leben zu unterstützen, damit auch zu, die Frauen umarmt und küsst sie. Aida Wissen und das Handwerkszeug hat sie die weibliche Hälfte der Bevölkerung ange- Al Khattab ist die Vizepräsidentin im Rat durch Schulungen erworben. „Mein Akti- messen vertreten wird. Und ihr Wissen ein- des größten Gouvernements von Jordanien. vismus hat durch die Trainings von LEAD bringt. Frauen sind in Jordanien inzwischen Sie ist die einzige Frau in diesem Amt lan- eine neue Dimension bekommen“, sagt gut ausgebildet, doch nur rund 13 Prozent desweit. Im August 2017 wurde sie in den Aida Al Khattab. „LEAD“, auf Deutsch arbeiten außerhalb ihres Hauses. In den neuen Rat gewählt. Er ist, wie in den ande- „führen“, steht für ein Programm zur Stär- kommunalen und regionalen Räten liegt ren elf Provinzen auch, Teil einer Dezentra- kung von Frauen in führenden Positionen der Frauenanteil im Schnitt bei 29 Prozent. lisierungsinitiative im Königreich. in der Verwaltung und Zivilgesellschaft im Im jordanischen Parlament sind es 15 Pro- Aida Al Khattab engagiert sich sozial, so Nahen Osten. Es wird von der Deutschen zent. lange sie denken kann. Erst als Lehrerin für Gesellschaft für Internationale Zusammen- Geschichte, Erdkunde und Politik, dann als arbeit (GIZ) GmbH durchgeführt und ist Die Vizepräsidentin von Ma’an Schulleiterin und ehrenamtlich bei verschie- Teil der „Sonderinitiative zur Stabilisierung denen Organisationen. Doch den Schritt in und Entwicklung in Nordafrika, Nahost“ gibt ihr neues Wissen weiter die aktive Politik hat die 56-Jährige erst des Bundesministeriums für wirtschaft- In Ma’an hat die Vizepräsidentin ihr neues 2017 gewagt. Die Gegend von Ma’an, drei liche Zusammenarbeit und Entwicklung. Wissen an ihre Kolleginnen und Kollegen Autostunden von der Hauptstadt Amman Dadurch sollen Länder wie Jordanien unter aus dem Rat und der Verwaltung weitergege- entfernt, gilt als sehr konservativ. Gleich- anderem dabei unterstützt werden, die de- ben. „Aida ist ein so witziger und engagierter wohl hatten sie Menschen aus der Gegend mokratische Entwicklung voranzutreiben. Mensch, sie vermittelt ihre Kenntnisse le- aufgefordert, bei den Wahlen zu kandidie- Das politisch relativ stabile Königreich hat bensnah“, sagt einer ihrer Mitarbeiter: „Als ren – auch der Scheich des wichtigsten im Verhältnis zur eigenen Bevölkerung sehr es um das Erstellen von Prioritäten ging, hat Beduinenstamms. Als sie ihn später im Zen- viele Flüchtlinge aufgenommen, allein sie einfach gesagt, stellt euch vor, wir gehen trum von Ma’an in der Basarstraße trifft, rund 700.000 Syrer*innen haben in dem auf den Markt, den Souk, und haben alle akzente 4/18 19
Schwerpunkt: Frauen eine Einkaufsliste dabei. Jetzt vergleichen wir unsere Listen und finden heraus, was bei allen draufsteht. So finden wir die wich- tigsten Ziele.“ Wie Aida Al Khattab wurden in Jordanien, im Libanon und in den Palä- stinensischen Gebieten mehr als 2.400 Links: Gelebte Gleichberechtigung – Fawaz Al Khattab unterstützt die Karriere seiner Frau Aida. Frauen aus Gemeinderäten, Verwaltungen Rechts oben: Khaldoun Shawabkeh wirbt für ein neues Männer- und Frauenbild in Jordanien. und Frauenorganisationen geschult: in Se- Rechts unten: Unterwegs bei den Menschen – Manar abu Rumman im Basar der Stadt Salt. minaren zu politischer Bildung, in Mento- renprogrammen für Führung und Manage- ment oder in öffentlichen Debatten. Sie wiederum geben ihr Wissen weiter. Zusätzlich auf der akzente-Website: 2017 erreichte in Jordanien zudem eine Im Video berichtet die Abgeordnete Manar abu Rumman, wie das GIZ-Programm sie bei ihrem Medienkampagne in Fernsehen und Radio politischen Engagement bestärkt. vier Millionen Menschen. Dabei erklärten akzente.giz.de bekannte Persönlichkeiten vor den Wahlen zu den Gouvernementsräten, weshalb sie sich für mehr Frauen in den Stadt-, Gemein- de- und Provinzräten und damit für Gleich- GESCHLECHTER- FRIEDEN, berechtigung einsetzen. GLEICHHEIT GERECHTIGKEIT UND STARKE Auf die Frage, warum er seine Frau im- INSTITUTIONEN Zu den nebenstehenden Nachhaltigen Entwick- mer unterstützt hat, auch in ihrem politi- lungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt schen Amt, antwortet Aida Al Khattabs das Vorhaben bei. Mann Fawaz: „Ich wollte, dass sie sich diesen 20 akzente 4/18
Reportage Traum verwirklichen kann. Das sollten doch rechtigung für sich reklamieren, gibt es Be- Eheleute füreinander tun, oder?“ Ihre sieben IN ZAHLEN richte und Studien über konservative Ein- Kinder, sechs Töchter und ein Sohn, sind stellungen bei jungen Männern. Diese Rich- inzwischen groß. Alle haben studiert und 2.400 Frauen wurden in Jordanien, tung ist für Khaldoun Shawabkeh allerdings arbeiten. Die Aufgaben, etwa mit den sieben im Libanon und in den Palästinen- völlig unvorstellbar. Der 20-Jährige lebt in Enkeln, teilt sich das Ehepaar. Sie leben sischen Gebieten geschult. einem Dorf südlich von Amman und gehört Gleichberechtigung. Das scheint auch auf zu einem Jugendnetzwerk, das sich für Frau- den Rest der Familie abzufärben. Der Sohn 180.000 Bürger*innen enrechte einsetzt. „Ja, das erstaunt vor allem ist in der Mittagspause vorbeigekommen profitierten von der Umsetzung auch Frauen“, sagt er, „aber Stereotypen än- und serviert das Brot zum traditionellen Ge- von bisher 26 Kleinprojekten. dern sich.“ In einem Jugendzentrum habe er richt Mansaf mit Reis und Lamm. interessante Leute kennengelernt, berichtet Familien haben einen hohen Stellen- 250 Jugendliche setzen er. Sie hätten sein Interesse für das Thema wert in der jordanischen Gesellschaft und sich in einem Netzwerk für Gleichberechtigung geweckt. In Kursen hat konservative Kräfte sehen durch das Streben Gleichberechtigung ein. er gelernt, wie soziale Medien in Kampa- nach Gleichberechtigung die Einheit der Fa- gnen eingebunden werden. „Ja, ich sehe milien gefährdet. Keine Spur davon bei den mich als Feminist“, sagt er zur Überraschung Al Khattabs. Im Miteinander sieht Aida Al der Reporter, „denn wenn Frauen die glei- Khattab die Zukunft: „Frauen sollen für sich chen Chancen haben und sich einbringen kämpfen, aber das bedeutet nicht gegen die können, dann haben wir doch alle etwas da- Männer. Gemeinsam sollen sie sich zu Amman von, dann profitiert die ganze Gesellschaft.“ starken Persönlichkeiten entwickeln.“ Ein Khaldoun ist im letzten Schuljahr. Als langer Weg – nicht nur in Jordanien. „Jeder JORDANIEN er von Aida und Fawaz Al Khattab hört, die Wechsel braucht Zeit, aber es gibt Verände- seit 31 Jahren verheiratet sind und sich bei rungen und Frauen wollen mehr erreichen“, der Verwirklichung ihrer Träume unter- meint sie. Ma’an stützten, strahlt der junge Mann: So etwas wünsche er sich auch für seine Zukunft. Ei- Jubel über den Wahlsieg nen starken Menschen an seiner Seite. — der Mutter Das findet auch Manar abu Rumman in der 250 Kilometer nördlich gelegenen, histo- IN WORTEN rischen Stadt Salt. Die 32-Jährige hat 2017 bei den Gouvernementswahlen ein gutes Ergebnis eingefahren. Jetzt sitzt sie im Rat der Provinz Al-Balqa. Zuvor hat sie als Mit- „Weibliches arbeiterin für das jordanische Parlament ge- arbeitet und so schon etwas politische Luft Führen ist eher BRIGITTE SPITZ ist freie Journalistin. Sie war langjährige geschnuppert. Die Trainings von LEAD hät- ten sie darin bestärkt zu kandidieren. „Das inklusiv und leitende Außenpolitik-Redakteurin der Frankfur- ter Rundschau. Das Thema Gleichberechtigung hat mir Selbstbewusstsein gegeben und das nötige Wissen für den Wahlkampf“, sagt die partizipatorisch, begleitet sie seit gut drei Jahrzehnten, die Frauen in Jordanien haben sie neu inspiriert. studierte Bankmanagerin. Auch ihre Tochter hat sie angesteckt. Am Wahltag hängte sich fördert die die Neunjährige eine bunte Schärpe um, da- rauf der klare Appell: „Wählt Manar“. Der positive Jubel nach dem guten Wahlergebnis der Mutter war groß. Zusammenarbeit.“ Eine Selbstverständlichkeit ist Chan- cengleichheit allerdings noch lange nicht, Oldoz Moradiafkan, RAJIV RAMAN weiß Manar abu Rumman. Auch nicht bei LEAD-Projektmanagerin in Jordanien arbeitet mit Begeisterung in seiner Wahlheimat der jungen Generation. Fehlende Lebens- oldoz.moradiafkan@giz.de Jordanien. Der Fotograf und Videojournalist perspektiven und Einflüsse extremistischer überzeugt nicht nur durch Elan und Talent, Gruppen in der Region zeigen ihre Spuren. Ein Interview mit ihr lesen sie sondern überrascht auch mit seiner Gender- Während junge Frauen häufiger Gleichbe- auf akzente.giz.de Erfahrung aus der Zeit bei der indischen Armee. akzente 4/18 21
Schwerpunkt: Frauen Wie steht’s mit der politischen Teilhabe? Gleichberechtigter Zugang zu Politik, Wirtschaft und dem öffentlichen Leben ist Teil der Nachhaltigen Entwicklungsziele. Ein Blick auf die Welt 2018 zeigt, dass noch viel zu tun ist. Es gilt, strukturelle Hindernisse zu überwinden und Vereinbarungen mit Leben zu füllen. Fünf Beispiele verdeutlichen dies. Plakat der Frauenbewegung aus dem Jahr 1914 27 Prozent FRAUENQUOTE Obwohl die Staatengemeinschaft in Der letzte vielen Übereinkünften, nicht zuletzt in den Nach- haltigen Entwicklungszielen (SDGs), die Gleichheit der Geschlechter einfordert, hinken die Vereinten blinde Fleck Nationen selbst in der Erreichung deutlich hinterher. Zwar liegt der Frauenanteil im UN-System insge- samt bei 43 Prozent, aber er sinkt mit den Hie- rarchiestufen stetig ab. Auf der obersten Ebene GLOBAL In Deutschland erlangten Frauen vor 100 Jahren das Wahlrecht. arbeiten knapp 27 Prozent Frauen, eine UN-Gene- Neuseeland oder Finnland waren früher dran, zahlreiche andere Staa- ralsekretärin gab es in der fast 75-jährigen Ge- ten folgten. Zuletzt Saudi-Arabien, wo Frauen 2015 zum ersten Mal wählen schichte der Weltorganisation noch nie. Das soll durften. Mittlerweile gibt es nur noch einen Flecken Erde, wo das weibliche sich in den nächsten zehn Jahren ändern: Im Jahr Geschlecht von allen Voten ausgeschlossen ist: den Staat der Vatikanstadt. 2028, so lautet ein internes Ziel, müssen Frauen Dieses Privileg bleibt den Kardinälen vorbehalten. Da dieser Kreis rein überall in der Weltorganisation in gleicher Zahl männlich ist, können Frauen nicht an der Wahl des Papstes teilnehmen. — vertreten sein. — 22 akzente 4/18
Überblick Internationale Powerfrauen RANKING Unter den 50 mächtigsten Personen der Welt befinden sich laut einer Auflistung des US-Wirtschafts magazins Forbes nur drei Frauen. Bun- deskanzlerin Angela Merkel steht auf Platz vier, nach den Präsidenten Chi- nas, Russlands und der USA: Xi Jinping, Wladimir Putin und Donald Trump. Die britische Premierministerin Theresa May folgt als zweite Frau auf Rang 14. Da- zwischen liegen Firmenbosse wie Jeff Bezos (Amazon), Larry Page (Alphabet) oder Mark Zuckerberg (Facebook), aber Entwicklungsländer auch Papst Franziskus oder Indiens Premierminister Narendra Modi. Nach einer weiteren Lücke folgt auf Rang 22 liegen vorn Christine Lagarde, die Chefin des Inter- nationalen Währungsfonds. Und das war es dann auch schon mit der Frauen präsenz im Club der 50 weltweit Mäch- VERTRETUNG In drei Ländern dieser Welt sitzen im Parlament mehr Frauen als tigsten. — Männer: in Ruanda, Kuba und Bolivien. Immerhin fast ausgeglichen ist das Verhält- nis in Grenada, Namibia, Nicaragua und Costa Rica. Bei der Anzahl weiblicher Re- www.forbes.com/powerful-people/list gierungsmitglieder liegt Spanien vorn, mit einem Verhältnis von elf Ministerinnen zu sechs Ministern. Die spanische Regierung hat damit den höchsten Frauenan- teil weltweit, auch wenn der Ministerpräsident mit Pedro Sánchez ein Mann ist. Eine ähnliche Konstellation gab es dort zum ersten Mal im Jahr 2006: Damals ver- sammelte Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero neun Ministerinnen und acht Minister um sich – seinerzeit eine Weltneuheit. — Was Frauen von der Macht fernhält Fotos: Espen Eichhöfer/Ostkreuz (S. 23, LINKS), dpa (S. 23, RECHTS) ANALYSE Nach Erkenntnissen der „European Women’s Lobby“, eines europaweiten Frauenverbands, sind es vor allem fünf Faktoren, die Frauen an stärkerer Präsenz in der Politik hindern. Zunächst mangele es ihnen an Selbstvertrauen beziehungsweise sie beurteilten ihre Arbeit zu selbstkritisch. Die Selektion der Kandidatinnen und Kan- didaten liefe zudem ihren Neigungen und Gewohnheiten zuwider – Kungeln in Hin- terzimmern sei nicht ihr Ding –, deshalb ergatterten sie auf Wahllisten häufig kei- nen oder nur einen aussichtslosen Platz. Drittens sei politische Kultur immer noch männlich geprägt, Frauen falle es in dieser Atmosphäre schwer, sich durchzusetzen. Dazu komme ein Mangel an Wahlkampfgeldern und schließlich die Familienarbeit, die Frauen von politischen Aktivitäten fernhalte. — akzente 4/18 23
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Essay Der Aufstieg der Frauen Vor einem halben Jahrhundert wurde Sirimavo Bandaranaike in Sri Lanka zur ersten Premierministerin weltweit gewählt. Frauen steigen seitdem mehr und mehr in politische Spitzenpositionen auf. Zwar ist die gleichberechtigte Teilhabe noch fern, aber in historischen Dimensionen vollzieht sich ein echter Um- bruch. Wird das 21. Jahrhundert zum „Jahrhundert der Frauen“? Die amerika- nische Wissenschaftlerin Malliga Och beschreibt den langen Weg zur Macht. A die gläserne Decke, die sie bisher von politi- IN DIESEM schen Spitzenpositionen abgehalten hat, m 21. Juni 2018 kam ein BEITRAG nach und nach zu durchbrechen. Bis 2018 Mädchen namens Neve Te waren insgesamt 122 Frauen Premierminis- Aroha Ardern Gayford zur 1. in der Theorie terin, Kanzlerin, Ministerpräsidentin oder Welt. Es ahnte natürlich nicht, dass seine Welche vier Muster den Präsidentin ihres Landes, wie Gender-For- Geburt international Furore machen würde. Weg von Frauen an die scherin Farida Jalalzai von der Oklahoma Denn die Mutter, Jacinda Ardern, ist die Spitze begünstigen. State University berechnet hat. 77 Länder amtierende Premierministerin von Neusee- hatten in ihrer Geschichte mindestens eine land und erst die zweite Regierungschefin 2. In Der Praxis politische Anführerin, derzeit gibt es 20 überhaupt – nach Benazir Bhutto 1990 in Wie sich weiblicher Staats- oder Regierungschefinnen. Pakistan –, die während ihrer Amtszeit ein Führungsstil auf das Aber der Fortschritt variiert nach Regi- Baby zur Welt brachte. Auf der anderen Regieren auswirkt. onen: Im Nahen Osten gab es bisher erst Seite der Erdkugel haben Angela Merkel zwei weibliche Staatschefs und in Nordame- ALLE IllustrationEN: Florian Bayer und Theresa May jeweils mit heftigen Kri- 3. In der Krise rika liegt die Zahl bei drei. Dagegen ist Eu- sen zu kämpfen, die eine in ihrer Partei, die Warum Frauen immer noch ropa der Kontinent mit den bisher meisten andere rund um den Brexit. In Afrika kan- einer schärferen Prüfung Frauen an der Spitze von Staat und Politik didierten kürzlich vier Frauen für das Präsi- und Kritik unterzogen (52), gefolgt von Afrika (20), Asien (19) und dentenamt in Simbabwe und fünf bewerben werden als Männer. Lateinamerika (14). Offenbar gibt es vier sich für die Präsidentschaftswahl in Nigeria Muster für den Weg an die Spitze: eine Krise; 2019. Rund um die Welt scheinen Frauen vorheriges Engagement als Aktivistin; Pro- akzente 4/18 25
Schwerpunkt: Frauen tektion; und Familienbande. Angela Merkel etwa kam in Deutschland nach einer schwe- „Auch wenn land zum Beispiel, Yingluck Shinawatra (2011–2014), ist die Schwester eines frühe- ren politischen Krise ihrer Partei nach oben, wurde erst zur Parteivorsitzenden, 2005 Frauen die ren Premierministers. Und die südkoreani- sche Präsidentin Park Geun-hye (2013– schließlich zur Kanzlerin gewählt. Ganz an- gläserne Decke 2017) ist die Tochter des früheren Präsiden- ders verlief der Aufstieg von Aung San Suu ten Park Chung-hee. Es gibt aber auch Kyi in Myanmar: Nach Jahren als Ikone der durchbrechen, Frauen, die sich die politische Leiter hinauf- Freiheitsbewegung wurde sie 2016 zur „Staatsberaterin“ ihres Heimatlandes – eine finden sie sich arbeiten. Zum Beispiel Devi Bhandari, die erste Präsidentin Nepals, die davor über 30 Position, die einer Premierministerin gleicht. Auch wenn sie heute umstritten sein mag, eher in Regie- Jahre lang Erfahrung in der Politik sam- melte, unter anderem als Parlamentsabge- ihr Weg an die Macht ist eindeutig auf ihre rungsposten mit ordnete und zweifache Ministerin. frühere Rolle als Aktivistin zurückzuführen. Viele der Präsidentinnen Lateinameri- weniger Macht Gläserne Decke durchbrochen, kas wurden wie Dilma Rousseff in Brasilien (2011 bis 2016) von ihren Vorgängern per- und Prestige trotzdem weniger Prestige sönlich ausgewählt. In Asien dagegen gelingt den politischen Führerinnen der Aufstieg wieder.“ Doch selbst wenn Frauen es an die Spitze schaffen, landen sie meist in Ämtern mit häufig mit Hilfe von familiären Beziehun- weniger Machtfülle. Auch gelangen sie eher gen. Die erste Premierministerin von Thai- nach oben in Konsens- als in Mehrheitsde- mokratien, weil erstere eher weiblich kon- notierte Führungseigenschaften belohnen, Sirimavo Bandaranaike in Sri Lanka war etwa das Herbeiführen von Beschlüssen die erste frei gewählte Regierungschefin nach aushandelnden und übergreifenden der Welt. Diskussionsprozessen. Dagegen erkennen Mehrheitsdemokratien eher exklusives, wettbewerbsbetontes Handeln an – allge- mein mit Männern assoziierte Führungsei- genschaften. In parlamentarischen Regie- rungssystemen ist es auch einfacher, eine Regierungschefin des Amtes zu entheben, da sie nur so lange bleiben kann, wie die parlamentarische Mehrheit sie trägt. In Präsidialsystemen haben Staatsfüh- rer eine große Machtfülle und können nicht einfach durch Gesetzgebung ihres Amtes enthoben werden. Insofern überrascht es kaum, dass Frauen eher zur Premierministe- rin oder Kanzlerin als zur Präsidentin gewählt werden. Bisher gab es 52 Präsiden- tinnen und 70 Premierministerinnen. In Staaten mit zwei hohen Staatsämtern wer- den Frauen tendenziell in das Amt mit we- niger Macht gewählt. Nepal ist ein gutes Beispiel: Zwar wurde Bidya Devi Bhandari als erste Präsidentin gefeiert, tatsächlich sind mit dem Amt des Präsidenten in Nepal aber vor allem zeremonielle Aufgaben ver- bunden, die eigentliche Macht liegt beim Premierminister. Das bedeutet, auch wenn Frauen die gläserne Decke durchbrechen, finden sie sich eher in Regierungsposten mit weniger Macht und Prestige wieder. 26 akzente 4/18
Essay Erst einmal im Amt – machen Frauen einen Unterschied? Setzen sie sich für mehr Gleichberechtigung ein? Vertreten sie die Interessen von Frauen? Die Antwort lautet: Das hängt von der Person ab. Die ehemalige Präsidentin von Liberia, Ellen Johnson Sirleaf, ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Staatschefin Frauenrechte stärken kann. Sie wurde 2005 zur Präsiden- tin gewählt. Bei ihrer Amtseinführung 2006 versprach sie, „den Frauen in unserem Land auf allen Gebieten Geltung zu verschaffen. Meine Regierung wird die Frauen Liberias in allen Bereichen unseres Landes ermächti- gen. (...) Wir werden ohne Angst ein Gesetz gegen Vergewaltigung verabschieden (...). Wir werden Familien dazu ermutigen, alle Kinder, aber vor allem Mädchen, auszubil- den. Und wir werden versuchen, Wirt- schaftsprogramme aufzulegen, die es den li- berianischen Frauen ermöglichen, (...) den Angela Merkel wurde 2005 zur ersten Kanzlerin der ihnen zustehenden Platz in der wirtschaftli- Bundesrepublik Deutschland gewählt. chen Entwicklung unseres Landes einzu- nehmen.“ Und tatsächlich hat Sirleafs Regierung große Anstrengungen unternommen, die Rechte der Frau im Familien- und Straf- „Im vergangenen Das Vergewaltigungsgesetz etwa wurde ab- geschwächt und vor allem kaum durchge- recht zu verbessern: Ein Gesetz aus dem Jahr 2005, noch von der Übergangsregierung Jahrzehnt haben setzt. Die weibliche Genitalverstümmelung ist in Liberia weiter legal. Warum? verabschiedet, erkannte Vergewaltigung als Verbrechen an und erhöhte die Strafen für Frauen eindeutig Positive Veränderungen können nicht allein von einer Regierung durchgesetzt Vergewaltiger. Sirleafs Regierung führte mehr politische werden, sondern brauchen die Unterstüt- auch einen Nationalen Aktionsplan gegen geschlechtsbasierte Gewalt ein und lancierte Macht erlangt, zung der Legislative. Leider belegt Liberia beim Frauenanteil im Parlament nur Platz eine Aufklärungskampagne darüber, dass se- xuelle Gewalt ein Verbrechen ist und gesetz- aber sie scheinen 161 (9,9 Prozent). Es fehlten also die Für- sprecherinnen im Parlament. lich bestraft wird. Reproduktive Gesund- heitsdienste und Verhütungsmittel wurden auch härter und kostenlos. Schließlich zielten das Gesetz schneller zu fallen, Starke Symbolkraft, bessere Zukunft? zum kostenlosen und verpflichtenden Grundschulbesuch sowie die Bildungspoli- wenn ihre Regie- Auch die nepalesische Präsidentin Bhan- tik darauf ab, dass mehr Mädchen die Schule besuchen, während das „Economic rungen in eine dari gilt als Verfechterin von Frauenrech- ten. Dafür hat sie sich in ihrer langen poli- Empowerment of Adolescent Girls and Young Women Project“ Frauen für die Ar- Krise kommen.“ tischen Karriere einen Namen gemacht. So hat sie sich erfolgreich für eine 30-Prozent- beit in der Privatwirtschaft ausbildete. Das Frauenquote bei den Kandidat*innen fürs „National Rural Women Program“ sowie Parlament durchgesetzt. Auch befürwor- der „Sirleaf Market Women Fund“ unter- tete sie – ebenfalls erfolgreich – einen Ver- stützten lokale Marktfrauen. fassungszusatz, der besagt, dass entweder Liberia hat unter Präsidentin Sirleaf das Präsidenten- oder das Vizepräsidenten- große Fortschritte in Sachen Gleichstellung amt weiblich besetzt sein muss. Kritiker gemacht. Aber viele der neuen Gesetze sind werfen ihr allerdings vor, zwar mehr politi- ineffektiv oder lassen wichtige Aspekte aus: sche Rechte für privilegierte Frauen zu for- akzente 4/18 27
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