ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN
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ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 213 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 2005, 26. JG. (2), 213 - 238 ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN HARALD C. TRAUE, MANFRED KESSLER, RUSSELL M. DEIGHTON UND CHRISTA ECKENFELS Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Ulm ZUSAMMENFASSUNG. In einer Längsschnittstudie wurden die Zusammen- hänge zwischen Kopfschmerzsymptomatik, subjektiv empfundener Alltagsbe- lastung, Befindlichkeit und emotionaler Hemmung über die Dauer von 84 Tage untersucht. Es wurden die Verlaufsdaten von 31 Patienten mit Migräne und chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp täglich mit Hilfe eines Tagebuches erfasst. Die Auswertung der Daten erfolgte mittels zeitreihenana- lytischer Methoden. Insgesamt zeichnete sich die Stichprobe durch eine auffallend geringe Stressbelastung aus. Patienten mit niedrigen Stresswerten gaben eine signifi- kant höhere Beeinträchtigung durch ihre Kopfschmerzen an. Der Anteil an Patienten mit stressabhängiger Symptomatik (Stressresponder) betrug in der untersuchten Stichprobe 35,5 %. Es fanden sich ausschließlich zeitgleiche Zusammenhänge zwischen den Variablen Alltagsstress und Kopfschmerz. Stressresponder unterschieden sich nicht signifikant in ihren Stressbewälti- gungsstrategien von Nonrespondern. Bei der Mehrzahl der Patienten fanden sich hohe, fast ausschließlich zeitgleiche Korrelationen (bis zu r = .79) zwi- schen Kopfschmerz und verschiedenen Parametern der emotionalen Befind- lichkeit und der emotionalen Hemmung. SCHLÜSSELWÖRTER: Alltagsstress, emotionale Hemmung, Kopfschmerz, Zeitreihenanalyse
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 214 DAILY STRESS, EMOTIONAL STATE AND INHIBITION, AND CHRONIC HEADACHE: TIME SERIES ANALYSIS OF 31 SINGLE CASES ABSTRACT. In a longitudinal study over a period of 84 days, the relationship of headache symptoms to daily hassles, emotional state, and emotional inhibi- tion was examined. The data of 31 patients with migraine and chronic tension type headache were collected using a dairy and evaluated using time series analysis. Overall, the sample revealed a remarkably low level of daily hassles, and patients with low daily stress values reported more impairment due to their headaches. 35.5% of patients had stress dependent symptoms (stress re- sponders), and exclusively simultaneous relationships between the variables daily hassles and headache were found. Stress responders did not differ sig- nificantly in their stress coping strategies from stress non-responders. Most patients showed high, almost exclusively simultaneous correlations (up to r=.79) between headache and various parameters concerning emotional state and emotional inhibition. KEY WORDS: daily stress, emotion, inhibition, headache, time series analy- sis Eher überraschend erscheint es EINFÜHRUNG daher, dass bis heute nur wenige prospektive Tagebuchstudien vorlie- Bei der Entstehung und Aufrecht- gen, in denen die Zusammenhänge erhaltung chronischer Kopfschmer- zwischen Alltagsstress und Kopf- zen wird Stress als bedeutsame Ein- schmerzen differenzierter untersucht flussgröße betrachtet (Gerber et al. wurde (Köhler & Haimerl, 1990; Mos- 1989, Bischoff et al., 2003, 2004). ley et al. 1991; Spierings et al., 1996; Verhaltenstherapeutische Maßnah- Holm et al., 1997). Die im klinischen men zur Stressreduktion werden Bereich unbestrittene Bedeutung von sowohl bei Migräne als auch beim Stress bei der Aufrechterhaltung Kopfschmerz vom Spannungstyp chronischer Kopfschmerzen ist empi- empfohlen (Bischoff und Traue, risch nicht sehr gut belegt und die 2004). Die Effektivität dieser Thera- vorliegenden Daten sind eher wider- pieform ist empirisch gut belegt sprüchlich. Bisher liegen zu dieser (Andrasik, 1996; Holroyd et al., Fragestellung nur sehr wenige me- 2001). In Patientenbefragungen ge- thodisch gut fundierte Untersuchun- ben 60 – 70% der Betroffenen Stress gen vor, insbesondere fehlt es an als Triggerfaktor ihrer Kopfschmer- Tagebuchstudien, in denen die Ver- zen an (Scharff et al., 1995; Fernan- laufsdaten über einen längeren Zeit- dez & Sheffield, 1996). raum systematisch erhoben und
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 215 zeitreihenstatistisch ausgewertet menspiel der aufrechterhaltender wurden. Faktoren individuell sehr unter- De Benedettis et al. (1990) konn- schiedlich ausgeprägt sein. Dies ist ten in einer dreimonatigen Tage- auch von anderen chronischen Er- buchstudie belegen, dass bei der krankungen bekannt: In Studien mit Erstmanifestation chronischer Kopf- einem prospektiven Forschungsde- schmerzen kritische Lebensereignis- sign, deren Daten auf Einzelfallebe- se eine gewisse Rolle spielen, wäh- ne ausgewertet wurden, variiert das rend an der Aufrechterhaltung der Ausmaß an Stressrespondern zwi- Symptomatik vorrangig Alltagsbelas- schen 20 – 80%. Untersucht wurden tungen (Daily Hassles oder Minor die Zusammenhänge zwischen All- Life Events) beteiligt sind (De Bene- tagsbelastung (gemessen mit dem dettis & Lorenzetti, 1992). Allerdings Daily Stress Inventory (DSI) nach liegen divergierende Ergebnisse über Brantley et al., 1987) und Asthma das Ausmaß an Stressbelastung von (Goreczny et al., 1988), Diabetes Kopfschmerzpatienten im Vergleich (Halford et al., 1990) und chroni- zu Gesunden vor. In der Studie von schen Darmerkrankungen (Kosarz & De Benedettis u. Lorenzetti (1992) Traue, 1996, Traue & Kosarz, 1999). schilderte die Kopfschmerzgruppe (n Für die Kopfschmerzforschung = 83) signifikant mehr beeinträchti- wurde zwar empfohlen, sich ver- gende Alltagsbelastungen als die mehrt auf die Gruppe der Stress- Kontrollgruppe (n = 51). In einer an- responder zu konzentrieren (Pass- deren Tagebuchstudie fanden Mos- chier, 1994), aber bislang liegen ley et al. (1991) keine Unterschiede jedoch noch keine Studien zu dieser in der Stressbelastung zwischen Fragestellung vor. Bei anderen chro- Kopfschmerz- (n = 46) und Kontroll- nischen Erkrankungen (Morbus gruppe (n = 46). Crohn) fanden sich unterschiedliche In den genannten Tagebuchstu- Stressverarbeitungsstrategien zwi- dien zeigte sich eine hohe interindi- schen Stressresponder und Non- viduelle Varianz der Beziehung zwi- respondern (Kosarz & Traue, 1996). schen Stress und Kopfschmerz. Der Morbus Crohn-Patienten mit stress- Anteil an Patienten mit stressabhän- abhängiger Symptomatik gaben sigi- giger Symptomatik (Stressresponder) nifikant geringere Bedürfnisse nach betrug in den vorliegenden prospek- sozialer Unterstützung und nach tiven Untersuchungen zwischen 35% Ersatzbefriedigung an, ihre Flucht- - 70%, d.h. nicht bei allen Kopf- tendenz im Umgang mit Stress war schmerzpatienten konnte eine zudem weniger ausgeprägt als bei Stressabhängigkeit der Symptomatik Patienten mit einer stressunabhängi- identifiziert werden. Dies bedeutet, gen Symptomatik. dass der Einfluss von Stress auf die Ebenfalls nur wenige und teils wi- Aufrechterhaltung der Symptomatik dersprüchliche Daten liegen über die im Einzelfall sehr unterschiedlich zeitlichen Beziehungsmuster zwi- sein kann, und gerade im Verlauf der schen Stress und Kopfschmerz vor. Chronifizierung kann das Zusam- Bei Migräne wurden neben zeitglei-
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 216 chen Beziehungen auch zeitversetz- Tagebuchstudie erhebliche methodi- te Zusammenhänge bis zu vier Ta- sche Vorteile: Die interindividuellen gen nachgewiesen (Köhler & Hai- Unterschiede in der Stress-Kopf- merl, 1990; Levor et al., 1986). Bei schmerz Beziehung können so an- Kopfschmerz vom Spannungstyp gemessen berücksichtigt werden. liegt lediglich eine Untersuchung von Auch die zeitliche Dimension der Mosley et al. (1991) vor, in der zeit- Zusammenhänge lässt sich nur im gleiche Beziehungen zwischen All- Rahmen einer zeitreihenstatistisch tagsbelastung und Symptomatik ausgewerteten Tagebuchstudie er- gefunden wurden. Holm et al. (1997) fassen. Ein weiterer Vorteil von Ta- konnten in einer 8-wöchigen, auf gebuchstudien ist die Erhebung der Einzelfallebene ausgewerteten Ta- zu untersuchenden Variablen im gebuchstudie nachweisen, dass bei Alltag der Patienten und nicht in ei- den n = 20 untersuchen Migränepa- ner punktuellen Diagnosesituation. tientinnen ausgeprägte interindividu- Retrograde Gedächtnisverfälschun- elle Unterschiede in den zeitlichen gen werden gering gehalten, weil die Beziehungsmustern zwischen Stress Schmerzereignisse nur maximal 24 und Kopfschmerz bestanden. Stunden zurückliegen, vorausgesetzt In einigen Studien konnten enge die Instruktionen werden befolgt. Zusammenhänge zwischen emotio- In der hier vorgestellten Untersu- nalen Parametern und Kopfschmerz- chung wurde ein solcher For- symptomatik identifiziert werden, schungsansatz gewählt. Folgende vermutlich variieren sie ebenfalls in Fragestellungen wurden untersucht: Abhängigkeit vom zeitlichen Verlauf. Beschrieben wurden ein Anstieg an • Wie hoch ist die subjektiv emp- Depressivität, Anspannung, Irritation fundene Stressbelastung von und eine erhöhte vegetative Erre- Kopfschmerzpatienten im Ver- gung (Arousal) in den Tagen vor gleich zu Gesunden? Migräneattacken (Spierings et al., • Welche Zusammenhänge beste- 1996). Dem Auftreten von Span- hen zwischen Alltagsbelastung, nungskopfschmerzen scheinen ver- Kopfschmerz und emotionalen mehrte Gefühle von Ärger vorauszu- Variablen? gehen (Dalkvist et al., 1984). • Welche zeitliche Kovariation Bei der Untersuchung der Frage- besteht zwischen diesen Variab- stellung muss unter methodischen len? Gesichtspunkten zwischen Quer- • Wie hoch ist der Anteil an schnittsuntersuchungen und pro- Stressrespondern in der unter- spektiv angelegten sowie zeitreihen- suchten Stichprobe? analytisch ausgewerteten Tagebuch- • Welche Unterschiede bestehen studien unterschieden werden. Zur zwischen Stressrespondern und Erforschung der vorliegenden Frage- Nonrespondern? stellung – dem Einfluss von Alltags- • In welchen Variablen unterschei- stress auf die Symptomatik chroni- den sich Kopfschmerzpatienten scher Kopfschmerzen – bietet eine mit hoher Stressbelastung von
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 217 Patienten mit niedriger Belas- belle 1 dargestellt. 9 der 31 Patienten tung? litten unter einer, 22 Teilnehmer un- ter zwei Kopfschmerzformen. STICHPROBE METHODEN An der Studie nahmen insgesamt 35 Patienten teil, 4 Teilnehmer bra- Die für die Zeitreihenanalysen re- chen die Tagebuchphase vorzeitig levanten Variablen Kopfschmerz- ab, so dass die Daten von 31 Patien- symptomatik, Alltagsstress, emotio- ten in die endgültige Auswertung nale Befindlichkeit und emotionale gelangten. Bei den Studienteilneh- Hemmung wurden mit dem Ulmer mern handelte es sich um Patienten, Schmerztagebuch für Kopfschmer- welche die Schmerzambulanz der zen und Alltagsstress© (Hrabal et al., Universitätsklinik für Anästhesiologie 1991; Jacob et al, 1995) erfasst. Es Ulm zur Behandlung ihrer Kopf- ermöglicht die tägliche Protokollie- schmerzen aufsuchten. Die Kopf- rung verschiedener Parameter der schmerzdiagnosen wurden nach Kopfschmerzsymptomatik wie Loka- IHS-Kriterien gestellt (Göbel et al., lisation, Intensität (Visuelle Analog- 1991). Einschlussdiagnosen für die skala 0 bis 5), Begleitsymptomatik, Studienteilnahme waren: Migräne mit Medikamenteneinnahme etc. und ohne Aura, chronischer und Integriert in das Tagebuch ist der episodischer Kopfschmerz vom Alltagsbelastungsfragebogen (ABF) Spannungstyp sowie posttraumati- von Traue et al. (2000). Bei diesem scher Kopfschmerz ohne somatische Messinstrument handelt es sich um Befunde. Als Ausschlusskriterien die übersetzte deutsche Version des galten: Vorliegen einer psychiatri- Daily Stress Inventory (DSI) von schen Erkrankung, Medikamenten- Brantley et al. (1987), welches spe- missbrauch, mangelnde Compliance ziell zur täglichen Messung von All- für das Führen des Tagebuches. Die tagsstress konzipiert wurde. Sowohl Zusammensetzung der Untersu- DSI wie auch ABF umfassen 58 po- chungsstichprobe (N = 31) ist in Ta- tentiell belastende Alltagsereignisse Tabelle 1: Beschreibung der Untersuchungsstichprobe (N = 31) Erstdiagnose Migräne n = 22 Erstdiagnose KST n= 7 Erstdiagnose chronischer posttraumatischer KS (ohne somatische Befunde) n= 2 Anzahl Frauen n = 24 Anzahl Männer n= 7 Alter in Jahren M = 39.7 SD = 14,2 Erkrankungsdauer in Jahren M = 20.1 SD = 11.5 KS = Kopfschmerz ; KST = Kopfschmerz vom Spannungstyp
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 218 (z.B. "Ich musste hetzen, um einen Diagnostik noch folgende Fragebö- Termin einzuhalten."). Die Angaben gen eingesetzt: beziehen sich stets auf die vergan- genen 24 Stunden. Für jedes aufge- • Allgemeine Depressionsskala tretene Ereignis ist die subjektiv (ADS) nach Hautzinger & Bailer empfundene Belastung auf einer (1993): Depressivität siebenstufigen Skala einzuschätzen. • Beschwerdeliste (B-L) nach Der Wert 1 bedeutet keine Belas- Zerssen (1976): Subjektive Be- tung, der Wert 7 steht für unerträgli- einträchtigung durch somatische che Belastung. und allgemeine Beschwerden: Als weiteren Bestandteil enthält • Pain Disability Index (PDI), das Tagebuch den Befindlichkeits- Deutsche Version nach Dillmann fragebogen nach Becker (1988), der et al. (1994): Ausmaß schmerz- verschiedene Dimensionen emotio- bedingter Beeinträchtigung und naler Befindlichkeit erfasst. Die drei subjektiver Behinderungsein- Skalen Aktiviertheit, Gedrückte vs. schätzung Gehobene Stimmung und Gereiztheit • Stressverarbeitungsfragebogen decken weite Bereiche der emotiona- (SVF) nach Janke et al. (1985): len Reaktionsebene ab. Dieses Stressbewältigungsstrategien1 Messinstrument wurde speziell für • Ambivalence over Emotional Verlaufsstudien entwickelt und ist für Expressiveness (AEQ-618, den täglichen Einsatz sehr gut ge- Deighton & Traue, eingereicht): eignet sind. Ambivalenz gegenüber eigenen Ambivalente Einstellungen ge- Emotionen genüber der eigenen emotionalen Expressivität wurden mit dem Ta- gesprofil zur Emotionskontrolle UNTERSUCHUNGSDESIGN (TEMKO) erfasst. Bei diesem In- strument handelt es sich um die für Der Untersuchungsablauf glieder- die tägliche Einschätzung überarbei- te sich in drei Abschnitte, die insge- tete Fassung des Fragebogens zur samt sechs Monate pro Teilnehmer Ambivalence over Emotional Expres- betrugen. Die einzelnen Phasen sind siveness (AEQ-618, Deighton & in Abbildung 1 dargestellt. Traue, eingereicht). Die Items dieses In der Diagnostikphase fanden Bogens enthalten Situationen des die medizinischen und psychologi- emotionalen Ausdrucks (Ich hätte schen Untersuchungen statt. Die heute gerne Gefühle ehrlicher ge- Kopfschmerzdiagnose(n) wurden zeigt,…) und der Ambivalenz oder gestellt und die Ein- und Ausschluss- Hemmung sie zu zeigen (….fürchte kriterien für die Teilnahme überprüft. mich aber vor Peinlichkeit und Ver- Patienten, welche die Kriterien erfüll- letzung.) ten und nach ausführlicher Informati- Vor Beginn der Tagebuchphase on ihre Bereitschaft zur Studie erklär- wurden zur Vervollständigung der ten, füllten dann die entsprechenden Fragebögen aus.
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 219 Abbildung 1: Graphische Darstellung des Versuchsablaufs anhand der ein- zelnen Abschnitte (Diagnostik, Datenerhebung, Schmerz- und Stressbewältigungstraining) In den folgenden 84 Tagen der einem speziell für die Studienteil- Datenerhebungsphase führten die nehmern angebotenen, kognitiv- Teilnehmer das Ulmer Schmerztage- verhaltenstherapeutisch orientier- buch für Kopfschmerzen und Alltags- ten Schmerz- und Stressbewälti- stress©. Dieser Zeitraum wurde ge- gungstraining teilzunehmen. Dieses wählt, da für die Durchführung von Behandlungsprogramm umfasste Zeitreihenanalysen ein Minimum von jeweils 12 Termine à 1,5 Stunden. 50 Erhebungszeitpunkten erforder- Inhaltlich erfolgte die Durchführung in lich ist. Das jeweils für eine Woche Anlehnung an das Trainingsmanual konzipierte Tagebuch wurde von den zur Schmerzbewältigung für Kopf- Patienten dann täglich jeweils zwi- und Rückenschmerzpatienten von schen 17.00 und 19.00 Uhr ausge- Basler & Kröner-Herwig (1995). In- füllt. Dem Tagebuch der ersten Wo- tegriert in dieses Konzept wurden che lag eine genaue Anleitung zur einzelne Behandlungsbausteine zur Durchführung bei. Alle Teilnehmer Stressbewältigung nach Kessler erhielten in dieser Zeit zweiwöchent- (1993). 19 Studienteilnehmer nah- lich einen Termin bei der betreuen- men an diesem Behandlungspro- den Psychologin, so dass ggf. anste- gramm teil. Nach Beendigung dieser hende Probleme bei der Durchfüh- Gruppentherapie wurde der Verän- rung besprochen werden konnten. derungsfragebogen der Schmerzam- In der dritten Phase bestand für bulanz Ulm, ein Fragebogen zur alle Probanden die Möglichkeit, an Behandlungsbewertung, eingesetzt.
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 220 DATENAUSWERTUNG Folgende Aussagen sind mittels Zeitreihen möglich (Revenstorf 1979, ZEITREIHENANALYSEN S.18): Die Daten lagen in Form von Zeit- • Die serielle Abhängigkeit der reihen mit jeweils 84 Messzeitpunk- Daten kann bestimmt werden, ten vor. Bei diesen Daten handelt es das Abhängigkeitsmodell ermög- sich somit um Messwertzeitreihen licht Aussagen über die Dynamik mit individuellen Verläufen. Für die des Prozesses. Interpretation solcher Verände- • Periodizitäten können identifiziert rungsmessungen sind die klassi- und bestimmt werden. schen testtheoretischen Methoden • Interventionseffekte können auch wenig geeignet, denn diese statisti- im Einzelfall geprüft werden. schen Verfahren gehen von zeitlich • Die zeitliche Verschiebung der konstanten Merkmalen aus, d.h. Variablen gegeneinander kann Veränderungen im Beobachtungs- mit Hilfe eines Kreuzkorre- zeitraum werden als Messfehler in- logramms überprüft werden, so terpretiert. Für die vorliegende Arbeit dass Aussagen mit kausalem waren jedoch gerade Veränderungen Charakter möglich sind. der beobachteten Variablen von Interesse. Eine weitere Vorausset- Eine der wichtigsten Zeitreihen- zung bei der Anwendung klassischer modelle sind die ARIMA-Modelle. statistischer Verfahren ist die Unab- Der Begriff ARIMA steht für die drei hängigkeit der Mess- und Fehlerwer- verschiedenen Anteile: Autoregressi- te. Bei Verlaufsdaten korrelieren die ve (AR) Integrierte (I) Moving- Werte der Zeitreihe jedoch häufig Average (MA) Modelle. zeitverzögert mit sich selbst, es be- Die Modellentwicklung einer Zeit- stehen Zusammenhänge zwischen reihe verläuft in mehreren Stufen den zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Box & Jenkins, 1976). Im ersten registrierten Werten. Allgemeiner: Schritt der zeitreihenstatistischen Der Messwert zum Zeitpunkt t ist Auswertung wurden in dieser Studie vom Wert t-1 abhängig. Es besteht die ARIMA-Modelle der Unabhängi- eine Autokorrelation erster Ordnung, gen Variablen Alltagsstress (AS) wenn ein Zusammenhang zwischen bestimmt. Vor der automatischen unmittelbar aufeinander folgenden Modellerkennung wurde die Zeitreihe Werten / Beobachtungen vorliegt. Alltagsstress zunächst auf Ausreißer, Autokorrelationen höherer Ordnung Trends, Periodizitäten und Phasen, liegen bei Zusammenhängen zwi- sowie bzgl. Autokorrelation und Par- schen Werten mit größerer Zeitver- tialautokorrelationen überprüft. zögerung vor. Als geeignete Metho- Exemplarisch für diesen Rechen- de zur Erfassung solcher Verlaufsda- schritt sind die Verläufe der Zeitrei- ten gilt die Zeitreihenanalyse. hen Alltagsstress (Leadvariable) und Kopfschmerz bei Versuchsperson 6 in Abbildung 2 dargestellt. Dieser
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 221 Vp 6 Abbildung 2: Verlauf der Zeitreihen Alltagsstress und Kopfschmerz bei Vp 6 Patient litt unter chronischem Kopf- tensität mit dem identifizierten ARI- schmerz vom Spannungstyp. MA-Modell nach der Methode pre- Deutlich sichtbar ist ein Trend in whitening gefiltert. Vereinfacht ge- der Leadvariable Alltagsstress des sagt, werden für die Berechnungen Patienten, eine Zunahme der Stress- der Zeitreihen die statistischen Pa- belastung im Untersuchungszeit- rameter PHI und THETA aus den raum. Ein Zusammenhang zwischen unabhängigen Variablen berechnet den beiden Variablen Alltagsstress und auf die abhängige Zeitreihe an- und Schmerzintensität kann aufgrund gewendet. Von den unabhängigen der graphischen Darstellung bereits und abhängigen Variablen bleiben vermutet werden. dann nur definitionsgemäß die Resi- Nach der Identifikation des Mo- duen übrig, die dann über alle Zeit- dells Alltagsstress und der Schät- punkte kreuzkorreliert werden. Aus zung der Parameter wurde eine Di- der so gewonnenen Kreuzkorrelati- agnose hinsichtlich einer Überprü- onsfunktion lassen sich die signifi- fung der Angemessenheit des Mo- kanten Korrelationen und deren Zeit- dells durchgeführt. Diese Diagnose struktur ablesen. erfolgte mit Hilfe der Residuen, die Die Korrelationswerte der oben auf ihre Eigenschaft - auf White Noi- dargestellten Versuchsperson sind se - überprüft wurde. Danach wurde der Abbildung 3 zu entnehmen. Wie die abhängige Zeitreihe Schmerzin- an diesem Beispiel gut zu erkennen
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 222 Zusammenhang Alltagsstreß und Schmerz VP6 Abbildung 3: Kreuzkorrelationsfunktion Vp 6 ist, liegt zeitgleich, d.h. zum Zeit- Stressresponder und die Non- punkt lag = 0, mit r = .35 eine signifi- responder der Stichprobe identifi- kante Korrelationen vor. ziert werden. Stressresponder waren Für alle Studienteilnehmer wur- definitionsgemäß diejenigen Perso- den die Berechnungen auf diese Art nen, deren Kopfschmerzsymptomatik und Weise durchgeführt. Weitere in einem signifikantem Zusammen- detaillierte Informationen über die hang (r>.23, p
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 223 ten Untersuchungstages der Kopf- Für die Auswertung der Variablen schmerzpatienten mit den von Traue Alltagsstress können drei Messwerte et al. (2000) publizierten Daten zur gebildet werden: Alltagsbelastung von psychosoma- tisch erkrankten Patienten (n = 451) • Frequenz (FREQ) der Alltagsbe- und von gesunden Versuchsperso- lastung = Anzahl der genannten nen (n = 115) mittels t-Test auf signi- Ereignisse fikante Unterschiede überprüft. Hier- • Summe (SUM) der Bewertungen bei handelt es sich nicht um Zeitrei- aller genannten Ereignisse pro hendaten. Tag Ergänzend zur Definition der bei- • Durchschnittliche Stressbelas- den Gruppen Stressresponder vs. tung pro Tag (DB) = Summe / Nonresponder wurden Extremgrup- Frequenz pen bezüglich der Belastung durch Alltagsstress gebildet. Diese Grup- Um eine Konfundierung mit dem penbildung ist vom Konzept der Krankheitsgeschehen zu verhindern, Stressresponder und Nonresponder wurden bei der Auswertung des ABF unabhängig. Anhand des Stressin- zwei Items ("ich hatte Angst vor dex wurden zwei Extremgruppen (25 Krankheit oder Schwangerschaft" und 75 Perzentile) definiert, welche und "mir ging es körperlich nicht gut die hoch bzw. niedrig belasteten bzw. ich war krank") nicht in die Kopfschmerzpatienten repräsentie- Auswertung mit einbezogen. ren: Die Angaben im Tagebuch zur High Stress Gruppe: Schmerzintensität (0 = keine Stressindex ≥ 75 % (2,55) Schmerzen, 5 = unerträgliche Low Stress Gruppe: Schmerzen) gemittelt über den Tag Stressindex ≤ 25 % (1,75) gingen als Score für die tägliche Schmerzintensität in die Auswertung AUFBEREITUNG DER DATEN ein. Maximal möglich war ein Score von 45. Missing Values werden in Von den Tagebuchdaten wurden der Zeitreihensoftware ebenso be- folgende Variablen zeitreihenanaly- rücksichtigt wie bei der gruppensta- tisch ausgewertet: tistischen Auswertung mit SPSS. • Alltagsstress (AS) • Schmerzintensität (SI) ERGEBNISSE • Tagesprofil zur Emotionskontrol- le (TEMKO) SUBJEKTIV EMPFUNDENE • Befindlichkeitsfragebogen BELASTUNG DURCH ALLTAGSSTRESS UND KOPFSCHMERZ - Gereiztheit - Aktiviertheit Die subjektiv empfundene All- - (gedrückte vs. gehobene) tagsbelastung der Untersuchungs- Stimmung stichprobe war in allen drei Stress-
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 224 Parametern signifikant geringer als tung. Dies bedeutet, dass die Pro- die von psychosomatischen Patien- banden die (wenigen) auftretenden ten angegebenen Belastungswerte Ereignisse im Durchschnitt als signi- (Tabelle 1). Selbst im Vergleich zu fikant belastender erlebten als Ge- gesunden Probanden (Tabelle 2) sunde. schilderten die Kopfschmerzpatien- Im Gegensatz zu der geringen ten im Mittel signifikant weniger be- subjektiven Alltagsbelastung ergaben lastende Stressereignisse, allerdings die Tagebuchaufzeichnungen eine gab es keine Unterschiede zwischen verhältnismäßig hohe Belastung Kopfschmerzpatienten und Gesun- durch Kopfschmerzen. Es zeigte sich den in der Summe der Stressbelas- eine durchschnittliche Kopfschmerz- Tabelle 1: Vergleich der Stressbelastung zwischen Untersuchungsstichprobe und psychosomatischen Patienten (Traue et al., 2000) Stichprobe N M SD t-Wert p Stress-Parameter FREQ KS 31 8.97 4.63 13.35 < 0.01 PS 451 25.07 18.10 SUM KS 31 27.58 22.89 11.70 < 0.01 PS 451 94.01 81.50 DB KS 31 2.86 1.15 2.57 < 0.05 PS 451 3.48 1.19 M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; FREQ = Anzahl der aufgetretenen Stress- ereignisse; SUM = Summe der Ereignisbewertung; DB = durchschnittliche Stressbe- lastung (SUM / FREQ); KS = Kopfschmerzstichprobe; PS = psychosomatische Pati- enten Tabelle 2: Vergleich der Stressbelastung zwischen Untersuchungsstichprobe und gesunden Probanden (aus Traue et al., 2000) Stichprobe N M SD t-Wert p Stress-Parameter FREQ KS 31 8.97 4.63 3.81 < 0.01 GES 115 14.18 11.20 SUM KS 31 27.58 22.89 1.08 n.s. GES 115 33.43 37.15 DB KS 31 2.86 1.15 3.35 < 0.01 GES 115 2.11 0.82 M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; FREQ = Anzahl der aufgetretenen Stress- ereignisse; SUM = Summe der Ereignisbewertung; DB = durchschnittliche Stressbe- lastung (SUM / FREQ); KS = Kopfschmerzen = Untersuchungsstichprobe; GES = Gesunde
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 225 frequenz von 13,1 Kopfschmerzta- trächtigung (Erholung, Sexualität und gen pro Monat. Durch ihre Kopf- Selbstversorgung). Überraschender- schmerzen fühlten sich die Proban- weise fühlten sich Personen der Low den subjektiv sehr beeinträchtigt. Stress-Gruppe durch ihre Kopf- Diese subjektive kopfschmerzbeding- schmerzen in allen diesen drei Be- te Beeinträchtigung (disability) der reichen stärker beeinträchtigt als die Stichprobe – eingeschätzt anhand Patienten mit hohen Stressscores. einer 10er Skala (PDI) – ist Tabelle 3 Die Niedrigbelasteten zeigten auch in zu entnehmen. Die Gesamtsumme anderen Variablen höhere Werte, der Beeinträchtigung beträgt im z.B. gaben sie auch mehr körperliche Mittel 30,07 (SD 17,60) und ist Beschwerden an und hatten niedri- damit vergleichbar mit chronischen gere Depressionswerte. Allerdings Schmerzpatienten im Chronifizie- waren diese Unterschiede, mögli- rungsstadiums II (M = 29,7) (Wurm- cherweise aufgrund der geringen thaler et al., 1996). Fallzahl, nicht signifikant. Es lässt sich jedoch festhalten, dass sich VERGLEICH ZWISCHEN HOCH UND diejenigen Kopfschmerzpatienten mit NIEDRIG BELASTETEN PATIENTEN hohen Stressangaben weniger durch ihre Kopfschmerzen beeinträchtigt Probanden mit einer sehr hohen fühlten. Stressbelastung (High Stress) wur- den mittels t-Tests mit Probanden ALLTAGSSTRESS UND KOPFSCHMERZ verglichen, die eine sehr niedrige Belastung durch Alltagsstress (Low Als erster zeitreihenstatistischer Stress) im Tagebuch angaben. Die Auswertungsschritt wurden für alle Ergebnisse sind in Tabelle 4 abge- Versuchspersonen die Zeitreihen- bildet. analysen der Variablen Alltagsstress Es zeigten sich signifikante Un- (AS) anhand der Tagebuchdaten terschiede zwischen den beiden durchgeführt und die ARIMA-Modelle Gruppen in drei Skalen der Beein- identifiziert. Die Ergebnisse der Mo- Tabelle 3: Beeinträchtigung durch die Kopfschmerzen in den verschiedenen Lebensbereichen (0 = keine; 10 = max. Beeinträchtigung) Subjektive Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen (VAS 0 – 10) Lebensbereiche N M SD Familie 31 6.5 2.7 Erholung 31 6.9 2.6 Soziale Aktivitäten 31 6.5 3.0 Beruf 31 6.3 2.7 Sexualität 31 5.1 3.4 Selbstversorgung 31 2.9 3.1 Lebensnotwendige Tätigkeiten 31 2.2 3.2
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 226 Tabelle 4: t-Test zwischen High- und Low Stress-Subgruppen Gruppen N M SD t – Wert p Variable Erkrankungsdauer in Jahren LS 8 22.1250 15.0943 .204 n.s. HS 7 20.7143 10.9196 Beschwerdeliste LS 7 31.4286 7.6780 .983 n.s. HS 6 25.8333 12.6241 Allgemeine Depressionsskala LS 7 14.7143 12.2163 -.710 n.s. HS 6 18.6667 6.4083 PDI Familie LS 8 7.5000 1.7728 1.246 n.s. HS 6 5.5000 3.6194 PDI Erholung LS 8 8.3750 1.5059 3.619 < 0.01 HS 6 4.6667 2.3381 PDI Soziale Aktivitäten LS 8 7.2500 3.3274 1.012 n.s. HS 6 5.5000 3.0166 PDI Beruf LS 7 6.1429 3.2878 .482 n.s. HS 6 5.3333 2.6583 PDI Sexualität LS 8 7.2500 2.6049 2.931 < 0.05 HS 5 2.4000 3.3615 PDI Selbstversorgung LS 8 4.3750 2.6693 2.447 < 0.05 HS 6 1.1667 2.0412 PDI Lebensnotwendige Tätigkeiten LS 8 3.3750 4.3732 1.923 n.s. HS 6 .3333 .8165 PDI Körperliche Belastbarkeit LS 7 5.4286 3.1547 1.606 n.s. HS 6 2.6667 3.0111 Femko Gesamtsummenwert LS 6 39.1667 11.9234 -2.128 n.s. HS 5 53.2000 9.4446 HS = High Stress-Gruppe; LS = Low Stress-Gruppe dellbildungen sind in Tabelle 14 dar- Bei acht Versuchspersonen (Vpn gestellt (Vp 12, 19, 26 und 31 = Ab- 4, 5, 8, 9, 13, 14, 18 und 35) folgten brecher / unvollständige Daten, diese die Zeitreihen weder einem auto- Vpn werden daher im Folgenden regressiven noch einem moving- nicht mehr aufgeführt). average-Prozess (0.0.0 Modell). Sie Wie den Modellen (Tab. 5) zu besaßen weder ein „Gedächtnis“ für entnehmen ist, verfügten die Zeitrei- den vorangegangenen Messwert hen der Variablen AS bei den meis- noch für den Fehlerwert des vorheri- ten Probanden über jeweils einen gen Tages. „Gedächtnisspeicher“ für den voran- Vier Versuchspersonen (Vpn 25, gegangenen Messwert und/oder den 28, 30 und 32) wiesen in ihren Mo- Fehlerwert zum Zeitpunkt t = -1 (p dellen zwei Gedächtnisspeicher für und/oder q). Alltagsstress auf und bei einem Teil-
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 227 Tabelle 5: ARIMA-Modelle und Werte der Parameter für die Variable Alltags- stress Modell (p.d.q) C(T) Phi(T) Theta (T) Vp 1 001 1.45 (8.01) -.27 (-2.54) 2 011 .82 (12.83) 3 011 .82 (13.17) 4 000 4.57 (37.03) 5 000 2.40 (36.97) 6 011 .02 (4.73) .86 (13.72) 7 001 19.24 (19.25) -.25 (-2.34) 8 000 1.16 (14.49) 9 000 2.93 (33.25) 10 001 1.01 (4.39) -.33 (-3.16) 11 011 .65 (7.93) 13 000 3.44 (27.98) 14 000 2.50 (16.81) 15 011 .90 (17.74) 16 011 .76 (10.74) 17 300 2.32 (24.05) .30 (2.80) 18 000 1.83 (12.34) 20 001 3.30 (32.23) -.25 (-2.30) 21 001 1.75 (24.85) -0.24 (-2.22) 22 011 .53 (5.75) 23 100 2.46 (31.64) .49 (5.34) 24 101 2.03 (36.90) -.40 (-3.07) -.69 (-5.46) 25 012 .37 (3.62) 27 011 .65 (7.72) 28 210 -.43 (-4.30) 29 001 1.75 (17.25) -.35 (-3.36) 30 002 1.36 (26.47) -.24 (-2.20) 32 002 2.14 (30.66) -.23 (-2.15) 33 100 2.02 (45.40) .32 (3.21) 34 101 2.47 (9.64) .70 (3.26) .49 (1.83) 35 000 2.31 (17.18) Modell (p.d.q) = identifiziertes ARIMA-Modell; C = Wert der Konstanten in der Glei- chung; Phi = Parameter des AR-Prozesses; Theta = Parameter des MA-Prozesses. Der signifikante T-Wert der Parameter wurde jeweils in Klammer gesetzt. nehmer (Vp 17) konnte ein (3.0.0) Nach der Identifikation der ARI- Modell identifiziert werden. Dies be- MA-Modelle wurden im nächsten deutet, dass der Messwert dieser Auswertungsschritt die Korrelationen Versuchsperson zum Zeitpunkt t der Zeitreihe AS (Leadvariable) mit abhängig war vom Messwert zum der Variablen Schmerzintensität für Zeitpunkt t = - 3. jede Versuchsperson bestimmt. Die
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 228 Tabelle 6: Signifikante Korrelationen der Zeitreihe Alltagsstress (Leadvari- able) mit der Variablen Schmerzintensität zu den Zeitpunkten t = - 1, t = 0, t = + 1 Alltagsstress und Kopfschmerz Alltagsstress und Kopfschmerz t–1 0 t+1 t–1 0 t+1 Vp Vp 1 - 0.23 - 18 - - - 2 - - - 20 - 0.24 - 3 - - - 21 - - - 4 - 0.26 - 22 - - - 5 - - - 23 - - - 6 - 0.34 - 24 - - - 7 - - - 25 - - - 8 - 0.23 - 27 - 0.32 - 9 - 0.34 - 28 - - - 10 - - - 29 - 0.23 - 11 - 0.30 - 30 - - - 13 - - - 32 - - - 14 - 0.23 - 33 - - - 15 - - - 34 - - - 16 - 0.40 - 35 - - - 17 - - - Ergebnisse2 sind in Tabelle 5 abge- anderen Autoren berichtet wurde, bildet. fanden sich bei keinem der unter- Bei insgesamt 11 von 31 Patien- suchten Patienten. Die signifikanten ten korrelierten Alltagsstress und Korrelationen der Responder zwi- Schmerzintensität zum gleichen schen den Variablen Alltagsstress Zeitpunkt, d.h. am selben Tag. Diese und Schmerzintensität sind insge- Probanden bildeten die Gruppe der samt eher niedrig und liegen im Be- Stressresponder. Dies bedeutet, reich zwischen r = .23 bis r = .40. dass der Anteil der Stressresponder Die Gruppe der Stressresponder in der untersuchten Stichprobe 35.5 (n = 11) wurde mittels t-Test mit der % betrug. Die Ergebnisse dieser Gruppe der Nonresponder (n = 20) Untersuchung liegen somit im unte- hinsichtlich einer Vielzahl von Variab- ren Bereich der bisher publizierten len verglichen. Mit Ausnahme des Befunde. Signifikante zeitversetzte Alters (Stressresponder waren signi- Korrelationen zwischen Alltagsstress fikant älter als die Nonresponder, 46 und Schmerzintensität, wie dies von vs. 36 Jahre) zeigten sich keine sig-
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 229 Tabelle 7: Korrelationen der Zeitreihe Schmerzintensität (Leadvariable) mit der Variablen (gedrückte) Stimmung zu den Zeitpunkten t = - 1, t = 0, t = +1. Kopfschmerz und (gedrückte) Kopfschmerz und (gedrückte) Stimmung Stimmung T–1 0 t+1 t–1 0 t+1 Vp Vp 1 - 0.47 - 18 - 0.62 - 2 - - - 20 0.23 0.32 - 3 - 0.24 - 21 - 0.60 - 4 - 0.31 - 22 - - - 5 - - - 23 - 0.38 - 6 - 0.35 - 24 - - - 7 - 0.59 - 25 - 0.24 - 8 - 0.52 - 27 - 0.33 - 9 - 0.58 - 28 - - - 10 - 0.24 - 29 - 0.32 - 11 - - - 30 - 0.69 - 13 - 0.39 - 32 - 0.28 - 14 - 0.79 - 33 - 0.67 - 15 - - - 34 - 0.23 - 16 - 0.51 - 35 - 0.27 - 17 - 0.23 - nifikanten Unterschiede in den fol- KOPFSCHMERZ UND DEPRESSIVE genden untersuchten Variablen: STIMMUNG • Stressfrequenz und -intensität Zur Berechnung der Korrelationen (ABF) zwischen Kopfschmerz und depres- • Stressverarbeitung (SVF) siver Stimmung wurde die Variable • Kopfschmerzart SI als Leadvariable eingesetzt. Fol- • Kopfschmerzfrequenz und gende Ergebnisse wurden erhalten: -intensität Bei 77.42 % der Probanden (n = • Soziodemographische Variablen 24) bestanden signifikante Zusam- • Subjektiv empfundener Behand- menhänge zwischen gedrückter Stimmung und Kopfschmerzsym- lungserfolg der Gruppentherapie ptomatik. Die erhaltenen Korrelatio- nen waren alle zeitgleich (t = 0) und positiv. Es fällt auf, dass bei einigen
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 230 Tabelle 8: Korrelationen der Zeitreihe Schmerzintensität (Leadvariable) mit den Variablen Gereiztheit zu den Zeitpunkten t = - 1, t = 0, t = +1. Kopfschmerz und Gereiztheit T–1 0 t+1 t–1 0 t+1 Vp Vp 1 - 0.29 - 17 - 0.47 - 2 - - - 18 - 0.52 0.24 3 - 0.22 - 20 - - - 4 - - - 21 - 0.32 - 5 - - - 22 - 0.23 - 6 - 0.46 - 23 - - - 7 - 0.29 - 24 - 0.37 - 8 - 0.21 0.25 25 - 0.26 - 9 - - - 27 - - - 10 - - - 28 - - - 11 - - - 29 - 0.43 - 13 - 0.33 - 30 - 0.46 - 14 - 0.56 - 32 - 0.31 - 15 - - - 33 - 0.25 0.24 16 - - - 34 - - - 17 - 0.47 - 35 - - - Patienten sehr hohe Korrelationen KOPFSCHMERZ UND GEREIZTHEIT bis r = .79 vorlagen. Eine einzige zeitversetzte Korrelation wurde bei Die Korrelationen der Leadvari- Vp 20 zum Zeitpunkt lag = - 1 beob- able SI mit der Variablen Gereiztheit achtet. Zu betonen ist, dass die De- für die einzelnen Patienten findet pressivität der Probanden (erfasst man in Tabelle 8. mit der Allgemeinen Depressionsska- Auch bei dieser Stimmungsvari- la) im Normbereich lag, so dass die ablen wies die Mehrzahl der unter- hier dargestellten Ergebnisse nicht suchten Kopfschmerzpatienten, näm- auf eine generell erhöhte Depressivi- lich 54.84 % signifikante positive tät zurückzuführen sind. Sie spiegeln Korrelationen zu der Variablen ausschließlich den hohen Zusam- Schmerzintensität auf. Bei allen die- menhang zwischen Kopfschmerz- sen 17 Probanden waren die gefun- symptomatik und emotionaler Stim- denen Zusammenhänge zeitgleich, mung der Probanden wider. bei drei Personen bestanden zusätz- lich zum Zeitpunkt t = + 1 signifikante positive Zusammenhänge. Insge-
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 231 Tabelle 9: Korrelationen der Zeitreihe Schmerzintensität (Leadvariable) mit der Variablen Emotionskontrolle zu den Zeitpunkten t = - 1, t = 0, t = +1. Kopfschmerz und Emotionskontrolle T–1 0 t+1 t–1 0 t+1 Vp Vp 1 18 - 0.41 - 2 20 - - 0.29 3 21 - 0.27 - TEMKO nicht erfasst 4 22 - - - 5 23 - 0.29 - 6 24 - - - 7 - - - 25 - - - 8 - - - 27 - - - 9 0.25 - - 28 - - - 10 - - - 29 - 0.33 - 11 - 0.33 - 30 - 0.51 - 13 - 0.21 - 32 - - - 14 - 0.63 - 33 - - - 15 - - - 34 - - - 16 - - 0.21 35 - - - 17 - - - samt lagen die Korrelationen im un- 44 % (n = 11) der untersuchten teren bis mittleren Bereich zwischen Personen (N = 25) wiesen signifikan- r = .21 bis r = .56. te Korrelationen zwischen Schmerz- intensität und Emotionskontrolle auf. KOPFSCHMERZ UND Alle beobachteten Zusammenhänge EMOTIONSKONTROLLE waren positiv und bei n = 8 Proban- den zeitgleich. n = 3 Personen wie- Wie bei den vorhergehenden Be- sen zeitversetzte Zusammenhänge rechnungen wurde auch hier als um einen Tag auf. Die höchste Kor- Leadvariable Alltagstress eingesetzt. relation wurde bei Vp 14 mit r = .63 Die Korrelationen zwischen den Va- beobachtet, d.h. dass die Kopf- riablen Schmerzintensität und Emoti- schmerzsymptomatik dieses Patien- onskontrolle (TEMKO) auf Einzelfall- ten mit einer deutlich erhöhten emo- ebene sind in der Tabelle 9 abgebil- tionalen Ambivalenz in sozialen Be- det. ziehungen einhergeht.
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 232 DISKUSSION eher unterschätzt werden. Die mit dieser Methode identifizierten Korre- Bisher lagen nur sehr wenige, lationen können deshalb als sehr prospektiv angelegte und zeitreihen- stabil angesehen werden, weil die statistisch ausgewertete Tagebuch- Korrelationen nach der Filterung nur studien zum Einfluss von Alltags- noch auf Variation von Tag zu Tag stress auf chronische Kopfschmer- basierten (Residuen). Dieses sehr zen vor. In der vorliegenden Arbeit konservative Vorgehen bei der Da- wurde diese Fragestellung durch ein tenerhebung und -auswertung könn- methodisch aufwendiges For- te erklären, weshalb in Untersuchun- schungsdesign untersucht. Die Er- gen mit anderen statistischen Analy- gebnisse basieren auf einer dreimo- severfahren ein höherer Anteil an natigen Datenerhebung unter All- Stressrespondern und / oder höhere tagsbedingungen der untersuchten Korrelationen zwischen Alltagsstress KS-Patienten. und Kopfschmerzsymptomatik ge- Es wurde ein Anteil von 35.5 % funden wurden. Stressresponder in der Patienten- Bei der Interpretation dieser Da- stichprobe gefunden. Bei diesen ten müssen zudem die auffallend Patienten lagen signifikante Korrela- niedrigen Angaben zur subjektiv tionen zwischen Alltagsstress und empfundenen Alltagsbelastung der Kopfschmerz vor. Die Zusammen- hier untersuchten Stichprobe berück- hänge zwischen den beiden Variab- sichtigt werden. Die Patienten fühlten len waren insgesamt eher niedrig sich weniger als psychosomatische ausgeprägt. Im Vergleich mit ande- Patienten durch Stress belastet – ren Daten zu diesem Forschungsge- selbst im Vergleich zu Gesunden. genstand liegen die vorliegenden Die niedrigen Angaben zur Stressbe- Ergebnisse im unteren Bereich bis- lastung der hier untersuchten KS- her publizierter Befunde, in denen Patienten stehen in deutlichem Kon- eine Stressabhängigkeit der Kopf- trast zu der als sehr ausgeprägt schmerzsymptomatik zwischen 35% empfundenen subjektiven Beein- (Spierings et al., 1996) und 70% trächtigung durch die Kopfschmerz- (Mosley et al., 1991) berichtet wird. symptomatik und einer damit einher- Aus methodischer Sicht ist bei der gehenden starken emotionalen Be- Interpretation der vorliegenden Er- einträchtigung. In den Tagebüchern gebnisse zu berücksichtigen, dass es gaben die Probanden eine verhält- sich bei Zeitreihenanalysen um sta- nismäßig hohe Kopfschmerzbelas- tistisch konservative Verfahren han- tung mit durchschnittlich 13 Kopf- delt. Durch den Prozess der Filterung schmerztagen pro Monat an. Zu be- werden beispielsweise gemeinsame tonen ist, dass Medikamentenmiss- Trends als Fehlerquelle der gesam- brauch ein Ausschlusskriterium für ten Zeitreihe betrachtet und elimi- die Studie war. Allerdings litten sehr niert, so dass durch dieses Verfahren viele der Patienten mit der Erstdiag- signifikante Korrelationen, die auf nose Migräne noch zusätzlich unter Trends oder Interventionen beruhen, Kopfschmerz vom Spannungstyp.
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 233 Innerhalb der hier untersuchten schmerzfreie Kontrollgruppe schilder- Stichprobe fällt auf, dass sich Patien- te mehr Stress als Personen mit ten mit einer niedrigen Stressbelas- Kopfschmerzen. Schlote stellte die tung (LS) in verschiedenen Lebens- Hypothese auf, dass Kopfschmerz- bereichen mehr durch Kopfschmer- patienten Wahrnehmungsdefizite zen beeinträchtigt fühlen als Perso- sowohl in der Einschätzung ihrer nen mit viel Stress (HS). Personen Stressbelastung als auch ihrer Mus- mit hohen Stressangaben weisen kelspannung aufweisen und daher außerdem eine Tendenz zu höherer zur Unterschätzung von Stress nei- emotionaler Ambivalenz auf. Es stellt gen. sich die Frage, ob diese Subgruppe Bei Migränepatienten werden zu einer differenzierteren Wahrneh- ebenfalls Defizite in der Stresswahr- mung von Belastungen und inneren nehmung vermutet (Gerber & Kropp. Ambivalenzen fähig ist als Proban- 1999). Für Migräniker wird ein ver- den, die nur wenig Alltagsstress be- haltenstherapeutisches Reizverarbei- richteten. Dieser Befund stützt die in tungstraining mit Schulung der Dis- der Vergangenheit wiederholt disku- kriminations- und Wahrnehmungsfä- tierte Theorie, nach der Kopf- higkeit für Alltagsbelastungen emp- schmerzpatienten, sowohl Migräniker fohlen. Die Ergebnisse der vorlie- wie auch Patienten mit Kopfschmerz genden Untersuchung stützen die vom Spannungstyp, Defizite in der Hypothesen von Schlote (1989) und Wahrnehmung und Diskriminierung Kropp & Gerber (1993) über Defizite von Alltagsbelastungen aufweisen. in der Wahrnehmung von Stresso- So zeigte sich in experimentellen ren. Untersuchungen der Arbeitsgruppe Ein weiteres wichtiges Ergebnis um Traue et al. (1985), dass Span- der Arbeit sind die mittels Zeitreihen- nungskopfschmerzpatienten unter analysen identifizierten hohen Korre- sozialem Stress (im kopfschmerz- lationen zwischen Kopfschmerzsym- freien Intervall) mehr dysfunktionale ptomatik und emotionalen Parame- Muskelanspannung, weniger emotio- tern bei den meisten Patienten. Ins- nales Ausdrucksverhalten und eine besondere bei den Items der Skala geringere subjektive Stressbelastung gedrückte vs. gehobene Stimmung aufwiesen als Personen der Kontroll- (froh, gut gelaunt, betrübt, gedrückt gruppe. Auch in einer Feldstudie mit etc.) bestehen bei 77.4 % der Stich- tragbaren EMG-Messgeräten bei probe hohe und fast ausschließlich Kopfschmerzpatienten vom Span- zeitgleich Korrelationen bis zu r = nungstyp wiesen Personen mit SKS .79. Dieses Ergebnis lässt sich nicht nahezu doppelt so viel Trapeziusak- auf eine höhere Depressivität in der tivität auf wie Kontrollpersonen Untersuchungsstichprobe zurückfüh- (Schlote, 1989). Wie in der vorlie- ren. Die von Spierings et al. (1996) genden Untersuchung gaben die beschriebene Zunahme an Anspan- Kopfschmerzpatienten eine signif- nung, Irritation und Depression zwei kant geringere Stressbelastung als Tage vor dem Auftreten von Migräne die Kontrollgruppe an, d.h. die
VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 26/2 (2005) 234 konnte in der vorliegenden Studie schiede in den Copingstrategien nicht bestätigt werden. zwischen Stressrespondern und Die hohen Korrelationen lassen Nonrespondern. vermuten, dass mit dem Kopf- Die hier untersuchte Stichprobe schmerzindex und den beiden emo- kann im Hinblick auf Frequenz und tionalen Parametern depressive Beeinträchtigung durch ihre Kopf- Stimmung und Gereiztheit verschie- schmerzsymptomatik nicht als reprä- dene Dimensionen des Kopf- sentativ für alle Kopfschmerzpatien- schmerzgeschehens erfasst wurden. ten gelten, wohl aber für Patienten, Hinweise für eine solche Interpretati- die eine schmerztherapeutische Ein- on der Daten liefert die Arbeit von richtung zur Behandlung ihrer Kopf- Holroyd et al. (1999). Dabei wurde schmerzen aufsuchen. Es ist denk- eine Testbatterie mit 22 Messinstru- bar, dass auf diese Weise ein Selek- menten, die verschiedene Aspekte tionseffekt wirksam wurde, der Pati- des Kopfschmerzgeschehens (head- enten in die Stichprobe brachte, die ache impact) erfassten, einer Fakto- Stress unter- und ihre Kopfschmerz- renanalyse unterzogen. Die Auswer- symptomatik überschätzten. tung ergab drei Faktoren: Pain Den- Insgesamt werden durch die Er- sity, Affective Distress und Disability. gebnisse der vorliegenden Arbeit Die Autoren sehen emotionale Be- verhaltenstherapeutische Modellvor- einträchtigung (affective distress) als stellungen und Therapieansätze bei eine Dimension des Konstruktes chronischen Kopfschmerzen ge- headache impact an. Für die hier stützt. Zum einen wird die Individuali- untersuchte Stichprobe scheint dies tät aufrechterhaltender Bedingungen zuzutreffen. Die meisten Probanden - wie sie von der Verhaltenstherapie hatten hohe zeitgleiche Korrelationen postuliert wird - durch die vorliegen- zwischen den Variablen Kopf- den Befunde bestätigt. Alltagsstress schmerz und den emotionalen Pa- kann demnach als aufrechterhalten- rametern depressive Stimmung und der Faktor der Kopfschmerzsympto- Gereiztheit. Und sie fühlten sich matik bei manchen - aber nicht bei durch die Kopfschmerzen in vielen allen - Patienten angesehen werden. Lebensbereichen stark beeinträchtigt Denkbar wäre, dass bei Patienten (disability). mit stressunabhängiger Symptomatik Beim Vergleich der beiden Sub- somatische Faktoren, operante Be- gruppen Stressresponder und Non- dingungen oder ungünstige Bewälti- responder fanden sich – entgegen gungsstrategien eine bedeutendere der Annahme – keine unterschiedli- Rolle als Alltagsstress spielen. Die chen Stressbewältigungsstrategien. Ergebnisse stützen auch Behand- Vergleichbare empirische Studien lungskonzepte bei chronischen Kopf- liegen von Kopfschmerzpatienten schmerzen, die eine Schulung der nicht vor. Traue und Kosarz (1999) Stresswahrnehmung, d.h. der geziel- untersuchten diese Fragestellung bei ten Identifikation von Stressoren, bei Morbus Crohn Patienten und fanden diesen Patienten empfehlen (Traue & ebenfalls nur geringfügige Unter- Bischoff, 2004; Gerber u. Kropp,
ALLTAGSSTRESS, BEFINDLICHKEIT, EMOTIONALE HEMMUNG UND CHRONISCHE KOPFSCHMERZEN: ZEITREIHENSTATISTISCHE ANALYSE VON 31 EINZELFÄLLEN 235 1999). Auch die ausgeprägte emoti- haltenstherapeutischen Stressbewäl- onale Beteiligung, die bei der Mehr- tigungstraining. Insbesondere der zahl der Patienten vorzufinden ist, prä-post Vergleich der Stresswahr- lässt sich aus verhaltenstherapeuti- nehmung der Teilnehmer sollte diffe- scher Sicht gut interpretieren, denn renziert untersucht werden. das Kopfschmerzgeschehen wird als Prozess auf mehreren Ebenen ange- sehen. Schmerzintensität und emoti- LITERATUR onale Beeinträchtigung werden als wichtige Dimensionen in diesem Andrasik, F. (1996). Behavioral ma- Geschehen betrachtet. In dieser nagement of migraine. Biomedi- Arbeit bestätigte sich eine enge Be- cal Pharmacotherapy, 50, 52–57. ziehung zwischen den beiden Vari- Basler, H. D. & Kröner-Herwig, B. ablen. Bei der hier untersuchten (1995). Psychologische Therapie Stichprobe scheint eine hohe emoti- bei Kopf- und Rückenschmerzen. onale Beteiligung und eine subjektiv Ein Schmerzbewältigungspro- stark erlebte Beeinträchtigung durch gramm zur Gruppen- und Einzel- Kopfschmerzen vorzuliegen. Die therapie. München: Quintessenz. vorliegenden Ergebnisse bestätigen Becker, P. (1988). Skalen für Ver- verhaltenstherapeutische Therapie- laufsstudien der emotionalen Be- ansätze, die eine Reduzierung der findlichkeit. Experimentelle und emotionalen Beteiligung und eine Angewandte Psychologie, 35, Schulung der Stresswahrnehmung 345–369. bei chronischen Kopfschmerzen anstreben (Bischoff und Traue, Bischoff, C., Zenz, H. & Traue, H. C. 2004). (2003). Kopfschmerzen. In Uex- Das aufwändige methodische küll von Th. et al. (Hrsg.), Lehr- Vorgehen erscheint angesichts der buch der Pychosomatischen Me- Komplexität der Beziehung zwischen dizin (5.Auflage). München: Ur- Stress, emotionalen Variablen und ban & Fischer. Kopfschmerzen angemessen. Auf- Bischoff, C., Traue, H. C. & Zenz, H. grund der kleinen Fallzahlen sind (2004). Kopfschmerz vom Span- Aussagen über Subgruppen jedoch nungstyp. In H. D. Basler, C. nur begrenzt möglich. Es wäre daher Franz, B. Kröner-Herwig, H. P. wünschenswert die Ergebnisse der Rehfisch & H. Seemann (Hrsg.), gruppenstatistischen Vergleiche an Psychologische Schmerzthera- einer größeren Fallzahl noch genau- pie: Grundlagen, Krankheitsbil- er zu untersuchen. Von Interesse der, Behandlung. Berlin: Sprin- wäre zudem ein Vergleich zwischen ger. reinen Migräne- bzw. Spannungs- Bischoff, C. & Traue, H. C. (2004). kopfschmerzgruppen. Gleichfalls Kopfschmerzen. Göttingen: Ho- empfohlen wird für zukünftige Stu- grefe. dien die Erfassung der relevanten Variablen vor und nach einem ver-
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