Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien

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Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
1   Ana Hoffner ex-Prvulovic*

             Ana Hoffner
            ex-Prvulovic*

kunst
halle
wien
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
Ana Hoffner ex-Prvulovic*   Freud Film (Videostill), 2017/2021
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
3     Ana Hoffner ex-Prvulovic*    Einführung

3    EINFÜHRUNG

     WERKBESCHREIBUNGEN
                                                                  Einführung
6    After the Transformation
                                                                  Die Kunsthalle Wien widmet den in Wien lebenden Künstlerin-
8    Future Anterior – Illustrations of War                       nen* Ana Hoffner ex-Prvulovic* und Belinda Kazeem-Kamiński
10   Fifty-One Pieces – Believing in Art                          zwei Einzelausstellungen, die vom 22. Oktober 2021 bis zum 6.
                                                                  Februar 2022 gleichzeitig in der oberen Halle der Kunsthalle Wien
12   Freud Film                                                   Museums­quartier zu sehen sind.

14   PRIVATE VIEW (Serie)                                         Unsere Einladung an Ana Hoffner ex-Prvulovic* und Belinda
15   Private View – Blue Blood                                    Kazeem-Kamiński folgt dem Grundsatz der Kunsthalle Wien, Künst-
                                                                  lerinnen* zu zeigen, die das Erbe von Imperialismus, Kolonialismus
16   Private View – Modern Members                                und Versklavung hinterfragen und in ihren Praktiken Rassismus
17   Private View – Big Safari                                    und Heteronormativität als politische Instrumente betrachten, die
                                                                  historisch entwickelt wurden (und bis heute verwendet werden),
22   Private View – Special Gift                                  um bestimmte Gebiete und bestimmte Körper zu unterwerfen und
23   Private View – Silent Weapon                                 auszubeuten.

24   NON-ALIGNED RELATIVES (Serie)                                Die beiden Einzelausstellungen finden gleichzeitig in der oberen
                                                                  Halle statt, sind jedoch durch zwei verschiedene Eingänge zugäng-
25   Non-aligned Relatives                                        lich und durch eine Trennwand separiert. Der Ort, die Architektur
26   Simultaneous Contrast                                        und die Dramaturgie wurden dazu entwickelt, die ungeteilte Auf-
                                                                  merksamkeit auf die jeweilige künstlerische Praxis zu lenken, dem
27   The Queer Family Album – Non-aligned Relatives
                                                                  Publikum jedoch zugleich die Gelegenheit zu bieten, sich zwischen
30   Disavowals or Cancelled Confessions                          diesen beiden Universen hin- und herzubewegen und ausgewählte
                                                                  Momente der Begegnung zu ermöglichen.
34   Double Still Lives & Speech Objects #1, #2, #3, #4
                                                                  Die Einladung der beiden Künstlerinnen* zu Einzelausstellungen in
36   Духовна Деколонизација (Spiritual Decolonization) – Part I
                                                                  der Kunsthalle Wien geht auf das Jahr 2019 zurück, und die Aus-
37   The Bacha Posh Project                                       stellungen waren ursprünglich für das Frühjahr 2020 geplant. Doch
44   Active Intolerance                                           aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde dieses Vorhaben zweimal
                                                                  verschoben. Einerseits hat diese lange Vorbereitungszeit neue
                                                                  Entwicklungen ermöglicht; andererseits waren die Künstlerinnen*
32   AUSSTELLUNGSPLAN                                             gezwungen, mit dem unvorhersehbaren Rhythmus und der (kon-
                                                                  tinuierlichen) Überarbeitung des Projekts umzugehen. Die finalen
48   INTERVIEW:                                                   Ausstellungen sind das Ergebnis eines intensiven Dialogs, einer
     ANA HOFFNER EX-PRVULOVIC*                                    ständigen Selbstreflexion und teils auch von Kompromissen. Die
     IM GESPRÄCH MIT ANNE FAUCHERET                               beiden Präsentationen umfassen sowohl bereits bestehende, für
                                                                  die Räume der Kunsthalle Wien neu interpretierte und bearbeitete
57   BIOGRAFIE                                                    Werke als auch Neuproduktionen, die eigens für diesen Anlass ent-
                                                                  standen sind.
58   VERANSTALTUNGS- UND
     VERMITTLUNGSPROGRAMM                                         Die Werke von Ana Hoffner ex-Prvulovic* sind multimediale In-
                                                                  stallationen, die Film, Fotografie, Objekte und Text miteinander
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
4      Ana Hoffner ex-Prvulovic*       Einführung                         5     Ana Hoffner ex-Prvulovic*    Einführung

                                                                          Belinda Kazeem-Kamiński schafft in ihren Arbeiten – seien es Foto-
                                                                          serien, Filme oder Installationen – Raum für Begegnungen, Gesprä-
                                                                          che und gelegentlich auch Auseinandersetzungen zwischen ihr und
                                                                          dem Publikum, vor allem jedoch zwischen ihr und den Menschen,
                                                                          die ihre Arbeiten, ihre Erinnerungen und ihre Vorstellungen beleben:
                                                                          jene, die zum Verschwinden gebracht wurden und die verstorben
                                                                          sind, jene, die hier sind, und jene, die kommen werden. Die Künst-
                                                                          lerin verknüpft kritische Schwarze feministische Theorie, konzep-
                                                                          tuelle visuelle Strategien und fiktionale Narration (einschließlich
                                                                          Science-Fiction), und erforscht verschiedene Methoden, um über
                                                                          Zeiten und Räume hinweg zu kommunizieren. Sie unterzieht Blick-
                                                                          regimes einer kritischen Untersuchung und dekodiert den rassis-
                                                                          tischen kulturellen Apparat, der dem fortdauernden System der
                                                                          Unterjochung und Ausbeutung Schwarzer Leben zugrunde liegt;
                                                                          gleichzeitig überwindet sie die Gewalt, die in Archiven, in Museen
                                                                          oder in Büchern enthalten ist, indem sie Wege des gegenseitigen
                                                                          Austauschs, der Fürsorge und des Imaginierens erschließt. Belinda
                                                                          Kazeem-Kamińskis Kunstwerke wählen stets Minimalismus statt
                                                                          Opulenz, Verstreuung statt Monumentalität, Flüchtigkeit statt Fi-
                                                                          xierung und Offenheit statt Geschlossenheit, und sie begrüßen Lü-
Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Speech Object #3, 2018,                        cken und Leerstellen. Sie befinden sich in einem ständigen Prozess,
Foto: WEST. Fotostudio                                                    in ständiger Selbstreflexion, „in the wake“ (Christina Sharpe), und
                                                                          sie widmen sich ernsthaft ihrer politischen Aufgabe, Bedingungen
                                                                          zu stellen und die – realen und imaginierten – Räume zu schaffen,
verbinden. Die Künstlerin* beschäftigt sich eingehend mit der Fa-         um die Vergangenheit zu bearbeiten, die Zukunft zu erfinden und
brikation von Geschichte, Erinnerung und Subjektivität, wobei sie*        die Gegenwart in ihrem jetzigen Zustand aufzulösen.
unterstreicht, dass bei diesen Prozessen das Unbewusste am Werk
ist. Entlang welcher Linien von Herrschaft und Ausschluss finden          Da wir in einem Land verortet sind, in dem der (wissenschaftliche)
solche Prozesse statt? Welche Geschichten und Praktiken werden            Kolonialismus kaum diskutiert wird, in dem die „weiße Unschuld“
weggewischt und ausradiert? Wie könnten wir die misogynen und             (Gloria Wekker) ein unhinterfragtes gesellschaftliches Paradigma
rassistischen Vorurteile entschärfen, die in offizielle (westliche) Ge-   ist und in dem die historische Migration und kulturelle Kreoli-
schichten und Darstellungen eingebettet sind? In der Ausstellung          sierung immer noch zugunsten der Vorstellung von einer einzig-
erzählt die Künstlerin* Geschichten von Queerness als Überlebens-         artigen, ausschließlichen Verankerung im Westen ausgeblendet
strategie, von non-alignment als Ethik (und nicht nur als Geopolitik)     werden, erschien es uns wichtig, diese beiden Künstlerinnen* zu
und von Familie als Raum für selbstgewählte Verwandtschaft. Sie*          präsentieren, die in Wien leben und international tätig sind. Beide
inszeniert Momente der Subversion, der Krise und des Widerstands          erforschen unermüdlich rassistische Blickregime und Praktiken
und versucht so herauszufinden, wie ein zeitgenössisches Subjekt          des Fremd­machens, und beide nutzen ästhetische Strategien
verborgene Geschichten ausgraben und sich aneignen kann, um               des Widerstands. Gleichzeitig spricht jede der Künstlerinnen* aus
kulturellen, gesellschaftlichen und psychologischen Zuschreibun-          einer unterschiedlich verorteten Perspektive, die auf unterschied-
gen zu entkommen. In ihrer* eingehenden Untersuchung der Rolle            lichen Erfahrungen beruht, was in zwei eigenständigen Praktiken
von schmutzigem Kapital bei der Finanzierung von Kunstinstitu-            resultiert.
tionen hinterfragt die Künstlerin* zudem in einer selbstreflexiven
Bewegung, inwiefern das Kunstfeld in der Lage ist, minoritäre Alter-      — Anne Faucheret
nativen und unangepasste Denkweisen zu begrüßen, zu fördern und             Kuratorin
für sie einzustehen.
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
6      Ana Hoffner ex-Prvulovic*         Werkbeschreibungen                 7      Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen

AFTER THE TRANSFORMATION, 2013
Videoinstallation, Farbe und Ton, 16:9, 15 min 52 sek

Was bleibt zurück, wenn Trans-           die mit der Beherrschung der
formation bedeutet, Erinnerun-           Stimme und ihren Effekten
gen zu löschen und Verhalten zu          zusammenhängen, kommt das
normieren? Wie kann in einem             Gespräch – durch die Texte,
Akt des Widerstands gegen die            mit denen das Stimmtraining
Linearität der Geschichtsschrei-         erfolgt – auf die umfassenden
bung queerend in Erinnerung              politischen Veränderungen in
eingegriffen werden? In After            Europa nach 1989. Die Künst-
the Transformation (2013)                lerin* verbindet auf subtile und
geht Ana Hoffner ex-Prvulovic*           nahtlose Weise mehrere Ebenen
diesen Fragen nach, indem sie*           und unterschiedliche Geschich-
über ihre* eigene körperliche            ten – den persönlichen Körper
Transformation nachdenkt,                und den Körper von politischen
über die Veränderungen ihrer*            Gebilden. Der Filmschnitt sowie
Stimme, die nach der Einnahme            die Arbeit an Ton und Rhythmus
von Testosteron eingetreten              erzeugen Effekte der Streuung
sind. Der Film basiert auf einem         und Diffraktion in Bezug darauf,
Stimmtraining zwischen einer             wer die Erzähler*in ist und was
Trainer*in und einer Teilneh-            erzählt wird, und verwischen
merin* (der Künstlerin* selbst),         die Distanz zwischen „ich“ und
dicht an beiden Körpern und Ge-          „sie“, zwischen Individuum und
sichtern gefilmt. Der Austausch          Kollektiv, zwischen dem Persön-
betont weniger die Materialisie-         lichen und dem Politischen.
rung einer Transformation von
Geschlecht durch die Stimme
als vielmehr die Materialität des
Klangs, die Verkörperung der
Stimme sowie die technische
Leistung, die hinter den Effek-
ten und Variationen steht, die
sie hervorbringt. Zwischen den
gefilmten Sequenzen wird in
schwarzen Rahmen ein weißer
Text eingeblendet, der die Posi-
tion der Erzähler*in umkehrt:
Zu lesen ist ein beschreibender
Monolog aus der Perspektive
der Trainer*in. Je weiter der
Film fortschreitet, desto mehr
scheint sich das Thema des
Austauschs zu verschieben:
Von technischen Überlegungen,                                               Ana Hoffner ex-Prvulovic*, After the Transformation (Videostills), 2013
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
8      Ana Hoffner ex-Prvulovic*      Werkbeschreibungen                   9      Ana Hoffner ex-Prvulovic*         Werkbeschreibungen

FUTURE ANTERIOR – ILLUSTRATIONS OF WAR, 2013
Fotocollage, 14 A4-Tintenstrahldrucke auf handgeschöpftem Papier,
7 Holzplatten, je 48 x 33,8 cm

Die Fotoinstallation Future           Polizisten und Soldaten in Uni-
Anterior – Illustrations of War       formen gegenüber weiblichen
besteht aus einer Reihe von           Models stehen in scharfem Kon-
Schwarz-Weiß-Fotodrucken, die         trast zum einfachen Layout der
auf Holzplatten montiert sind.        Installation und dem trockenen
Die Fotos sind einer Serie des        analytischen und theoretischen
Modefotografen Steven Meisel          Ton der kurzen Texte. Das Werk
entnommen, die zwischen 2000          thematisiert den untrennbaren
und 2016 in der Vogue veröf-          Zusammenhang zwischen Sexu-
fentlicht wurde und futuristi-        alität, Gewalt und Geschlecht als
sche Szenen von sexualisierter        Grundlage für die systemische
(und scheinbar institutioneller)      Ausbeutung weiblicher Körper
Gewalt zeigt. Ana Hoffner ex-         in einem heteropatriarchalen
Prvulovic* rekontextualisiert         System. Vermeintlich gegen-
die Bilder in einem minima-           sätzliche Regime beginnen
listischen Layout mit großen          plötzlich zu kollidieren. Wenn es
Leerräumen. Diese werden von          um sexualisierte Gewalt geht,
einem Text durchbrochen, den          scheinen sich Mode und Be-
sie* geschrieben hat und der die      richterstattung, Realität und
sexualisierte Gewalt zwischen         Repräsentation, Erinnerung und
Verbrechen und Waffe, zwischen        Fantasie, Vergangenheit und
Repräsentation und Realität           Gegenwart und sogar Frieden
fiktional und kulturell neu rahmt.    und Krieg zu überschneiden. Die
Wie die Künstlerin* es be-            Serie behandelt sexualisierte
schreibt: „Ein neues Webjournal       Gewalt und ihre Erotisierung in
illustriert das future anterior des   der visuellen Kultur und setzt
Krieges. Es verlagert institutio-     ein subtiles Wechselspiel zwi-       Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Future Anterior – Illustrations of War (Detail), 2013
nalisierte Gewalt in ein Bühnen-      schen Fotografie und Text ein:
bild, in dem das Kriegsereignis       so steht sie in der Tradition der
noch nicht stattgefunden hat,         konzeptuellen feministischen
aber in der Zukunft in ähnlicher      Arbeiten von Sanja Iveković. Die
Weise geschehen könnte. An            Zeitlichkeit des future anterior     Zeitform, die die Durchlässig-
diesem Punkt wird die Ver-            (auf Deutsch vollendete Zu-          keit zwischen den Zeitlichkeiten
letzung zu Friedenszeiten zu          kunft oder Futur II), auf die der    unterstreicht. Indem sie* ihre*
einem Kriegsschaden, und das          Titel der Arbeit verweist, bezieht   Serie in dieser „Vergangenheit
Szenario zeigt, wie es hätte sein     sich auf etwas, das irgendwann       der Zukunft“ ansiedelt, verbin-
können, während das Bild weder        in der Zukunft geschehen oder        det Ana Hoffner ex-Prvulovic*
Krieg noch Frieden darstellt“.        abgeschlossen sein wird, und         Vergangenheit und Zukunft im
                                      das mit einem Ereignis in Bezie-     Akt des Betrachtens neu und
Die (über-)inszenierten Ge-           hung gesetzt wird, das danach        verleiht Letzterem das Potenzial
waltszenen von männlichen             kommt. Es handelt sich um eine       zur (reflexiven) Transformation.
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
10    Ana Hoffner ex-Prvulovic*      Werkbeschreibungen                   11     Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen

FIFTY-ONE PIECES – BELIEVING IN ART, 2016
Greenbox-Farbe, Wandtext, Maße variabel

Das mysteriöse Verschwinden          zu einem Raum der Fantasie
von einundfünfzig Kunstwerken        und der Repräsentation wird.
aus der Nationalgalerie von Bos-     Die Unterschiedlichkeit des
nien und Herzegowina (B&H)           Settings der Arbeit je nach
in Sarajevo während der Jugo-        Ausstellungsraum unterstreicht
slawienkriege ist der Ausgangs-      die Redundanz der Geschich-
punkt für diese konzeptuelle In-     te, die sie erzählt: Kunstwerke
tervention, die die Verflechtung     werden ständig aus politischen
zwischen Kunst und Politik, die      und wirtschaftlichen Gründen
Verweigerung kultureller Am-         zerstört, gestohlen und verein-
nesie und die Magie der Kunst        nahmt, oft unter Beteiligung von
beleuchtet. „Während des Krie-       Kulturinstitutionen. Die Wand
ges (1992–1995) verschwanden         ist in genau demselben Grün
einundfünfzig Kunstwerke unter       gestrichen, das auf Filmsets
ungeklärten Umständen aus            verwendet wird, um Green-
der Sammlung der Kunstgalerie        screen-Szenen zu drehen – als
von Bosnien und Herzegowina.         ob die Magie des Kinos die ver-
Dies geschah wahrscheinlich zu       schwundenen Kunstwerke, als
Beginn der Angriffe, wurde aber      ob Kunst die Dinge, seien es die
1993 durch eine außerordent-         tatsächlichen Objekte oder ihre
liche Kontrolle des Inventars        Erinnerungen, zurückbringen
[der Galerie] bestätigt. Interpol    könnte. Jede Institution soll ihre
wurde informiert. Die Kunstwer-      grüne Wand haben, um uns an
ke sind immer noch verschwun-        all die Kunstwerke zu erinnern,
den“ (B&H Website).                  die in jedem ideologischen,
                                     geopolitischen oder wirtschaft-      Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Speech Object #1 (Installationsansicht), 2018,
Seit 2016 inszeniert Ana Hoffner     lichen Spiel zur Ware gemacht        Ausstellung The Bacha Posh Project, kuratiert von Karolina Radenkovic,
ex-Prvulovic* diese Arbeit in        werden.                              Galerie 5020, Salzburg, 2018. Foto: WEST. Fotostudio
vielen der Institutionen, in
denen sie* ausgestellt hat, und
folgt dabei einer bestimmten
Anleitung, die an den jeweiligen
Ausstellungsraum angepasst
wird: Eine Wand wird mit grüner
Farbe bestrichen, und an einer
angrenzenden Wand wird ein
Text angebracht, der die farbige
Intervention kontextualisiert.
Die einundfünfzig abwesenden
(gestohlenen) Werke erhalten
auf diese Weise eine Präsenz,
da die grüne Wand gleichzeitig
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
12     Ana Hoffner ex-Prvulovic*      Werkbeschreibungen                   13     Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen

FREUD FILM, 2017/2021
Video, Farbe und Ton, 16:9, 15 min 23 sek; Zementfliesen;
3 Vitrinen mit ausgewählten Ausgaben der Zenit-Zeitung, Reprintausgabe
von Ranko Horetsky, 2008

In Freud Film (2017/2021)             Identität basiert. Der großforma-
dienen Sequenzen, die die             tigere Film im Hintergrund folgt
Künstlerin* im Sigmund Freud          der offiziellen Darstellung von
Museum in Wien gefilmt hat, als       Freuds Universum und verweilt
Hintergrund für verschiedene          auf Objekten aus seiner Antiken-
darübergelegte, aus Archiven          Sammlung. Doch die überlager-
stammende Film- und Textma-           ten Aufnahmen – die die Bilder
terialien. Die gefundenen Auf-        dahinter fast auslöschen –
nahmen reichen bis zum Beginn         scheinen dieser Erzählung zu
des 20. Jahrhunderts zurück           widersprechen und rücken das
und stammen hauptsächlich aus         Unbewusste der Psychoanaly-
dem Filmarchiv Austria. Sie zei-      se selbst in den Vordergrund:
gen belebte Straßen in Sarajevo,      rassistische und patriarchale
den Aufmarsch eines Infante-          ­Vorurteile. Die dritte Ebene in
rieregiments, die Ankündigung          Freud Film besteht aus Aus-
der Ermordung des Erzherzogs           schnitten aus Man Rays surrea-
von Österreich und Porträts von        listischem Film Les Mystères
Personen wie einem „türkischen         du Château de Dé [Die Geheim-
Bettler“ und einer Gruppe              nisse des Würfelschlosses]
„jüdischer Klempner*innen“ –           (1929) sowie aus Einblendungen
alles aus der Perspektive der          aus der Avantgarde-Zeitschrift
Monarchie. Diese Szenen fügen          Zenit, einer jugoslawischen Zeit-
die politische Geschichte des          schrift aus den 1920er-Jahren –
Ersten Weltkriegs in die Innen-        aus der einige Doppelseiten
räume der Psychoanalyse ein            auch in drei Vitrinen in der Nähe
und enthüllen dabei die ver-           der Videoprojektion zu sehen
drängte Rolle ethnografischer          sind. Anhand dieser Referenzen
Erkundungen – die in diesen            untersucht dieser Teil des Films
vorurteilsbehafteten Darstel-          die Rolle des Unbewussten in
lungen Bosniens zum Ausdruck           verschiedenen historischen
kommen – bei der Entstehung            Avantgarde-Bewegungen.
und Entwicklung des „kollekti-
ven Unbewussten“ gemäß der
psychoanalytischen Theorie. Die
Montage mittels Überlagerun-
gen umreißt die Konturen einer
(west-)europäischen Identität
und wie diese auf der Konstruk-
tion eines Gegensatzes zu einer
exotisierten „orientalischen“                                              Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Freud Film (Videostills), 2017/2021
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
14    Ana Hoffner ex-Prvulovic*     Werkbeschreibungen                    15     Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen

PRIVATE VIEW, 2018–2021                                                   PRIVATE VIEW – BLUE BLOOD, 2021
Werkserie                                                                 2 Drucke, gerahmt, je 40 x 60 cm; 4 Drucke, Acrylglas, je 30 x 40 cm;
                                                                          2 Drucke, gerahmt, je 21 x 29 cm; Horten-Fliesen, Ohrringe
Ana Hoffner ex-Prvulovics* Serie Private View thematisiert zwie-
lichtige Investitionen in Kunstinstitutionen aus der Waffenindustrie,     Die künstlerische Forschung             als „entartete Kunst“ stigma-
von Hedgefonds-Firmen oder von Investor*innen mit Nazi-Erbe.              Private View – Blue Blood setzt         tisiert wurden – und plant, in
Jede Arbeit der Serie offenbart und zeigt Informationen und Objek-        sich mit zwei Wiener Persön-            Wien ein eigenes Privatmuseum
te, die im Internet verfügbar und somit für jede*n zugänglich sind.       lichkeiten auseinander. Heidi           zu eröffnen. Ihr zur Seite steht
Der Ausgangspunkt der Installation ähnelt Hans Haackes Der Pra-           Goëss-Horten ist eine Milliar-          Agnes Husslein-Arco, ehemalige
linenmeister (1982). Die sieben Diptychen kombinieren gefundene           därin, Sammlerin moderner und           Leiterin der Auktionshausfilia-
Bilder und Texte und stellen Porträts von Peter Ludwig Bilder seiner      zeitgenössischer Kunst und die          le von Sotheby’s in Österreich
Angestellten bei der Arbeit gegenüber. So legte Hans Haacke offen,        Witwe von Helmut Horten, von            und Osteuropa und ehemalige
wie sich die geschäftlichen Aktivitäten des deutschen Sammlers in         dem sie ihr gesamtes Vermögen           Direktorin des Wiener Belve-
seinem Schokoladenkonglomerat mit seiner Kunstsammlertätig-               geerbt hat. Helmut Horten war           dere. Husslein-Arco, die durch
keit überschnitten (z.B. Steuervermeidung durch Kunstspenden)             ein deutscher Kaufhaus-Tycoon,          ihre Nähe zu rechten (bzw.
und wie er die Arbeiter*innen in seinen Fabriken behandelte. Jedes        der in den 1930er-Jahren reich          rechtsextremen) Politiker*innen
Objekt aus dieser Serie von Ana Hoffner ex-Prvulovic* ist eine Fall-      wurde, indem er im Rahmen der           sowie durch die Gerichtsver-
studie eines spezifischen Beispiels der Verflechtung von Kapital          NS-Arisierung jüdische Unter-           fahren um ihre umstrittenen
und Kunst. Alle Objekte haben eine ähnliche Struktur: zwei (billige)      nehmen zu niedrigen Preisen             Pflichtverletzungen als Leiterin
goldene oder silberne Rahmen in der Mitte enthalten eine verglei-         aufkaufte. Heidi Göess-Horten           des Belvedere bekannt ist, ist
chende Chronologie von zwei Themen (Personen, Unternehmen                 hat vor einigen Jahren ihre Pri-        eine langjährige Freundin von
oder Institutionen); auf Acryltafeln finden sich Zitate der beteiligten   vatsammlung im Leopold Muse-            Heidi Goëss-Horten und be-
Personen; und schließlich sind ausgewählte Bilder und Objekte um          um ausgestellt – vor allem Werke        rät sie seit den 1990-er Jahren.
die zentralen Elemente herum platziert.                                   prominenter Künstler*innen, von         Sie ist auch die mutmaßliche
                                                                          Marc Chagall bis Ernst Ludwig           neue Direktorin des künftigen
Private View – Special Gift (2019) und Private View – Silent Weapon       Kirchner, die vom NS-Regime             Heidi-Horten-Museums.
(2018) befassen sich mit der Beziehung zwischen dem Waffenindus-
triellen Karl Diehl und der Diehl Stiftung bzw. mit der parallelen Ent-
wicklung zwischen der TBA21 und ThyssenKrupp Marine Systems
anhand der Figur von Francesca Habsburg. Dabei thematisieren sie
die Verflechtung von Industriekapital und Kunstinvestitionen. Pri-
vate View – Modern Members (2021) und Private View – Big Safari
(2021), zwei neu geschaffene Werke der Serie, befassen sich mit
der Beziehung zwischen dem Museum of Modern Art in New York
und Larry Fink, CEO von BlackRock, bzw. zwischen dem Whitney
Museum of American Art, ebenfalls in New York, und Warren Kan-
ders, CEO von Safariland. Mit diesen beiden neuen Arbeiten zieht die
Künstlerin* Verbindungen zwischen Industriekapital und neoliberalen
Wirtschaftsimperien sowie den undurchsichtigen Strukturen euro-
päischer und US-amerikanischer Kunstfinanzierung. Das letzte Werk
der Serie und das erste, das im Ausstellungsraum zu sehen ist, Priva-
te View – Blue Blood, präsentiert einige Ergebnisse von Ana Hoffner
ex-Prvulovics* künstlerischer Forschung zur lokalen Geschichte der
Verstrickung von nationalistischer Politik mit dem Kunstbetrieb
anhand der Beziehung zwischen der Miliardärin Heidi Goëss-Horten          Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Private View – Silent Weapon
und der Kunstmanagerin Agnes Husslein-Arco.                               (Installationsansicht), 2018, Foto: Georg Oberlechner
Ana Hoffner ex-Prvulovic* - kunst halle wien - Kunsthalle Wien
16     Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen                  17     Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen

PRIVATE VIEW – MODERN MEMBERS, 2021                                         PRIVATE VIEW – BIG SAFARI, 2021
2 Drucke, gerahmt, je 40 x 60 cm; 4 Drucke, Acrylglas, je 30 x 40 cm;       2 Drucke, gerahmt, je 40 x 60 cm; 4 Drucke, Acrylglas, je 30 x 40 cm;
2 Drucke, gerahmt, je 21 x 29 cm; MoMA-Shop-Produkte,                       2 Nachdrucke, gerahmt, je 21 x 29 cm; grüne Plastikhandschuhe,
gravierte Acrylblöcke                                                       Schutzausrüstung

Larry Fink, Vorstandsmitglied           private Spender*innen. Die Ins-     Im Zentrum von Private View –           Werke der Serie: vergleichende,
des Museum of Modern Art                titutionen, die sich zunehmend      Big Safari (2021) steht Warren          in Silber gerahmte Chronolo-
(MoMA) in New York, steht               auf private Geldgeber*innen         Kanders, ehemaliger stellvertre-        gien, Zitate in Großbuchstaben
im Fokus von Private View –             stützen, beginnen auch, in er-      tender Vorsitzender des Whit-           auf farbigem Papier unter einer
Modern Members. Larry Fink              heblichem Umfang Gelder von         ney Museum of Art in New York           Plexiglasplatte, an der Wand
ist CEO von BlackRock, einer            Spender*innen anzunehmen,           und CEO von Safariland, einem           befestigte Körperpanzerung
amerikanischen multinationalen          die nicht mit den Interessen der    Unternehmen, das Militär- und           und Protektoren der Anti-Riot-
Investment-Management-Ge-               Künstler*innen oder mit grund-      Polizeiausrüstung herstellt.            Polizei. Das Whitney wurde 1931
sellschaft, und war auch als            legenden ethischen Leitlinien       Warren Kanders trat 2019 als            von der Bildhauerin und Mäze-
Investmentberater für mehrere           übereinstimmen; und so ist es       stellvertretender Vorsitzender          nin Gertrude Vanderbilt Whit-
Regierungen tätig, wobei er sich        weniger klar geworden, ob die       des Whitney zurück, nachdem             ney gegründet, nachdem das
unermüdlich für die Privati-            Institutionen wirklich für die      es zu Protesten (und einer Be-          Metropolitan Museum of Art ein
sierung und Umwandlung von              „Öffentlichkeit“ da sind. Neben     setzung der Lobby des Whitney)          Angebot zur Schenkung ameri-
Rentensystemen in Investment-           den beiden zentralen Chrono-        wegen des Verkaufs von Tränen-          kanischer Kunst, die sie in den
fonds einsetzte. Die Künstlerin*        logien und den stark neolibera-     gas durch sein Unternehmen              Jahren zuvor gesammelt hatte,
zieht eine Parallele zwischen           len Zitaten von Larry Fink sind     gekommen war – Tränengas,               abgelehnt hatte. Das Whitney
der Gründung, Ausstellungs-             dicke, schwere Plexiglasplatten     das nach den Morden an Freddie          ist mit einem grundlegenden
politik und Erweiterung des             zu sehen, in die die Künstlerin*    Gray in Baltimore, Maryland,            nationalistischen Anspruch und
MoMA und der Ausweitung und             die Charts einiger BlackRock-       und Michael Brown in Ferguson,          Figuren des (rechten) Neolibe-
Diversifizierung der Geschäfts-         Aktien eingraviert hat, um          Missouri, gegen Demonstrie-             ralismus verbunden, zu denen
aktivitäten von Larry Fink. Das         deren extreme Rentabilität (und     rende eingesetzt wurde. Die             Warren Kanders gehört. Es ist
MoMA wurde 1929 von Abby                Volatilität) zu zeigen. Außerdem    Demonstrant*innen lenkten die           Teil einer größeren Gruppe von
Aldrich Rockefeller, der Ehe-           vervollständigen MoMA-Mer-          Aufmerksamkeit auf die Treu-            Kunstinstitutionen, die wegen
frau von John D. Rockefeller            chandise-Artikel, die auf der       händerschaft von Mäzen*innen,           der Annahme von „schmutzi-
Jr. gegründet, als eine Welle           Aneignung und unendlichen           deren politische Positionen             gem Geld“ ins Visier geraten
amerikanischer Institutionen            Wiederholung von Piet Mond-         sich drastisch von denen der            sind.
(einschließlich des Whitney             rians abstrakten geometrischen      Institutionen unterscheiden, die
Museum of American Art in New           Mustern basieren, die Auswahl       sie finanzieren, sowie auf die
York) ins Leben gerufen wurden,         an Marktprodukten, materiellen      Notwendigkeit, Vorstandsposi-
die ihre Gründung wohlhaben-            und immateriellen, lustigen und     tionen an Künstler*innen der
den Mäzen*innen verdankten,             schrecklichen, die alle eines der   Gemeinschaften abzutreten, in
auch wenn sie von Stadt- und            berühmtesten Museen der Welt        denen das Museum existiert. Die
Bundesregierungen unterstützt           finanzieren.                        Kontroverse um Warren Kanders
wurden. Die Gründung solcher                                                offenbart die Trennung zwi-
Institutionen bedeutete eine                                                schen öffentlichen Interessen
Verlagerung von der staatlichen                                             und der Struktur der Institution.
Finanzierung hin zur Finan-                                                 Ana Hoffner ex-Prvulovic* ver-
zierung durch Eintrittskarten-                                              anschaulicht dies mit ihrer* In­
und Mitgliedschaftsverkäufe,                                                stallation – wieder nach der glei-
Unternehmenssponsoring und                                                  chen Struktur wie die anderen
18   Ana Hoffner ex-Prvulovic*   Private View – Big Safari (Detail), 2021
20   Ana Hoffner ex-Prvulovic*   Private View – Big Safari (Detail), 2021
22     Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen                     23     Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen

PRIVATE VIEW – SPECIAL GIFT, 2019                                              PRIVATE VIEW – SILENT WEAPON, 2018
2 Drucke, gerahmt, je 40 x 60 cm; 1 Druck, gerahmt, 40 x 57 cm; 4 Drucke,      2 Drucke, gerahmt, je 60 x 40 cm; 4 Drucke, Acrylglas, je 30 x 40 cm;
Acrylglas, je 30 x 40 cm; gefundene Bilder, gerahmt, je 21 x 29 cm; Wanduhr,   gefundene Bilder, gerahmt, je 21 x 29 cm; Buchseite, Plastik-U-Boot,
Winkelmesser, 2 Münzen                                                         Strohhalme

Private View – Special Gift             Uhren und Rechenmaschinen              Private View – Silent Weapon            Werbeslogans, die die Unauf-
(2019) widmet sich Karl Diehl           und drang so in private Haushal-       (2018) erzählt vom Aufstieg der         spürbarkeit des U-Boots an-
und der Diehl Stiftung. Der             te ein, während es gleichzeitig        Stiftung für zeitgenössische            preisen, sind neben einer Liste
Waffenproduzent sammelte die            in neue Militärtechnologien, ins-      Kunst und Kunstsammlung                 von Ausstellungen angeordnet,
Radierungen Albrecht Dürers.            besondere Munition und Flug-           TBA21 (Thyssen-Bornemisza               die ThyssenKrupp auf inter-
Nach Diehls Tod wurde seine             zeugabwehr, investierte. Da sie        Art Contemporary) und stellt            nationalen Militärausstellungen
Sammlung im Wert von meh-               Waffen direkt an den deutschen         ihn der gleichzeitigen Pro-             organisiert hat. Zitate von Fran-
reren Millionen Euro an die             Staat lieferte, stand die Diehl        duktion von U-Booten durch              cesca Habsburg über den neu
Stadt Nürnberg geschenkt. Die           Stiftung in engem Kontakt mit          das deutsche Unternehmen                eingerichteten Ocean Space in
Geschichte des Unternehmens,            Politiker*innen wie Franz Josef        ThyssenKrupp Marine Sys-                Venedig sowie das Engagement
insbesondere seine Verwicklung          Strauß. Die Installation besteht       tems gegenüber. Die Stiftung            der Stiftung in Klimafragen
in den Zweiten Weltkrieg als            auch aus Zitaten aus einem             entstand 2002 und ist ein               sind ebenso Teil der Installation
deutscher NS-Waffenproduzent,           Bericht über den Steuerbetrug          finanzielles Nebenprojekt einer         wie zwei gefundene Bilder aus
wird der Geschichte der Kunst-          des Unternehmens, in den der           Holding im Besitz von Francesca         einem Home-Interior-Magazin,
geschenke an die Sammlungen             bayerische Staat verwickelt war.       Habsburg (geborene Thyssen-             in denen Francesca Habsburg
in Nürnberg gegenübergestellt.          Artefakte wie eine Gedenkmün-          Bornemisza), die das Vermögen           Werke aus ihrer Kunstsamm-
Die Diehl Stiftung wurde 1902           ze von Karl Diehl, eine Diehl-         geerbt hat, das von der Familie         lung präsentiert. Eine Beson-
gegründet und ist bis heute ein         Wanduhr und ein gefundenes             Thyssen über die Thyssen AG,            derheit der Installation ist die
patriarchales Familienunterneh-         Bild einer Rechenmaschine sind         die Muttergesellschaft von              erste Seite des Theaterstücks
men geblieben. In der Nach-             neben einer Reproduktion von           ThyssenKrupp Marine Systems,            Rechnitz (Der Würgeengel)
kriegszeit begann das Unter-            Albrecht Dürers Der Zeichner           aufgebaut wurde. Vollständige           von Elfriede Jelinek. Das Stück
nehmen mit der Produktion von           des liegenden Weibes platziert.        finanzielle Transparenz über            basiert auf dem Massaker an
                                                                               die Holding oder die Stiftung           jüdischen Zwangsarbeiter*innen
                                                                               ist der Öffentlichkeit nicht zu-        im Schloss Rechnitz, an dem
                                                                               gänglich, aber die Spuren der           Margit von Batthyány (geb.
                                                                               undurchsichtigen Finanzkanäle           Thyssen-Bornemisza), die Tante
                                                                               zwischen TBA21 und Thyssen-             von Francesca Habsburg, be-
                                                                               Krupp deuten auf eine tiefe Ver-        teiligt war.
                                                                               flechtung von Krieg, Reichtum
                                                                               und zeitgenössischer Kunst hin.
                                                                               Private View – Silent Weapon
                                                                               entschlüsselt die Zeichen dieser
                                                                               Verflechtung: Die institutionel-
                                                                               len Kooperationen der Stiftung
                                                                               werden den Geschäftsdaten
                                                                               zum U-Boot Typ 214 gegen-
                                                                               übergestellt, das von Thys-
                                                                               senKrupp gebaut und an die
                                                                               Türkei, Griechenland, Portugal
                                                                               und Südkorea verkauft wurde.
24    Ana Hoffner ex-Prvulovic*   Werkbeschreibungen                  25     Ana Hoffner ex-Prvulovic*         Werkbeschreibungen

NON-ALIGNED RELATIVES, 2016–2021                                      NON-ALIGNED RELATIVES, 2021
Werkserie                                                             Videoinstallation, Farbe und Ton, 16:9

Der Begriff „non-aligned“ (auf Deutsch sowohl „blockfrei“ als auch    Non-aligned Relatives ist eine           betontes Singen von Liedern und
„nicht angepasst“) bezieht sich sowohl auf die politische Bewegung    neue Version einer Performance           Gedichten unterstreicht sie die
der Blockfreien Staaten („Non-Aligned Movement”) als auch auf         der Künstlerin*, die während des         Materialität und die Körperlich-
eine politische und kulturelle Verweigerung, sich an normativen       Aufbaus im Ausstellungsraum              keit der Prozesse des Erinnerns,
Modellen und Verhaltensweisen zu orientieren. Die 1961 auf der        gedreht wurde, mit denselben             des Zusammenstellens und des
Belgrader Konferenz im Geiste und in der Kontinuität der Bandung-     Requisiten, aber in einem leicht         Sammelns. Durch Materialität
Konferenz von 1955 gegründete Bewegung der Blockfreien Staaten        veränderten Setting. Aus dem             und Verkörperung setzt sie*
brachte Länder zusammen, die sich nicht an der Ost-West-Konfron-      kollektiven und ihrem persön-            Erinnerungen an die Familie neu
tation beteiligen, sondern im Gegenteil die tatsächliche Unabhän-     lichen Gedächtnis eignet sich            zusammen und stellt Verbin-
gigkeit der Länder des globalen Südens im Rahmen der Dekoloni-        die Künstlerin* Geschichten an,          dungen zwischen ihren* imagi-
sierung fördern wollten. An der Gründung der Bewegung beteiligten     stellt Szenen oder Bilder nach,          nierten Verwandten und histori-
sich neben Jugoslawien fünfundzwanzig Länder aus Asien, Afrika        ordnet Objekte neu und führt so          schen Künstler*innen über Raum
und dem Nahen Osten. Seit 2016 gibt es 120 Mitgliedsländer. Nach      Sequenzen auf, in denen sie* die         und Zeit hinweg her. Auf diese
dem Ende des Kalten Krieges hat die Gruppe zwar an politischem        Persönlichkeiten ihres* queeren          Weise schafft sie* ein lebendiges
Einfluss verloren, spielt aber weiterhin eine wichtige Rolle, indem   Familienalbums und ihrer* „non-          Archiv queerer Vertrautheit, eine
sie beispielsweise die vom Washington Consensus befürworteten         aligned“ Wahl-Verwandtschaft             Sammlung jenseits von Hete-
Standardmaßnahmen zur Lösung von Staatsverschuldung ablehnt.          verkörpert sowie ihre* Samm-             ronormativität und Linearität,
Neue Bewegungen, die im Zuge der Antiglobalisierungsbewegung          lung ausgewählter Avantgarde-            und fragt schließlich, was ein
entstanden sind, lassen sich von den Grundsätzen der Bewegung         Künstler*innen aktiviert. Durch          familiäres Gefüge jenseits von
der Blockfreien Staaten und den von ihr verkörperten Kämpfen          ihr* Manipulieren von symboli-           Reproduktion ausmacht.
inspirieren und setzen sich weiterhin für eine Form der Globalisie-   schen Objekten und durch ihr*
rung ein, die die Interessen der Länder des Globalen Südens stärker
berücksichtigt.

In der Werkserie Non-aligned Relatives befragt Ana Hoffner
ex-Prvulovic* das kulturpolitische Erbe der blockfreien Länder,
allerdings nicht in historischer Hinsicht, sondern um das Konzept
des non-alignment auf die Politik von Kunstsammlungen und auf
Sammeln als Praxis auszuweiten. Welche Art von künstlerischer
Praxis kann aus non-alignment entstehen, wenn non-alignment als
Infragestellung von Eigentumsverhältnissen, Besitz und Vererbung
verstanden wird? Welche Art von Verwandtschaftsformationen ent-
stehen aus non-alignment, wenn non-alignment auch bedeutet, die
heteronormative Familie von ihrem konstitutiven Recht auf Privat-
eigentum zu entkoppeln?

                                                                      Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Non-aligned Relatives (Performance-
                                                                      Dokumentation), 2019, Ausstellung Queer Stories, kuratiert von Christiane
                                                                      Erharter, tranzit.sk, Bratislava, 2018. Foto: Judith Stehlik
26     Ana Hoffner ex-Prvulovic*       Werkbeschreibungen                 27     Ana Hoffner ex-Prvulovic*       Werkbeschreibungen

SIMULTANEOUS CONTRAST, 2018                                               THE QUEER FAMILY ALBUM
Verschiedene Textilien, 160 x 220 cm                                      – NON-ALIGNED RELATIVES, 2018
                                                                          C-Print und Silbergelatineabzüge in 2 Rahmen, je 29,7 x 21 cm
Simultaneous Contrast ist ein          auf dem Konzept der „Gleich-
fragiles textiles Patchwork, das       zeitigkeit“, nach dem Farben ein   Zwei schwarze rechteckige              nach Kabul als Mann durch-
von der Künstlerin* selbst aus         eigenständiges Leben haben,        Rahmen, mit schwarzen Passe-           gehen konnte. Ganz links auf
Stücken von recyceltem Klei-           das sie erlangen, wenn sie von     partouts ausgekleidet. In der          dem Diptychon befindet sich
dungsfutter (aus Seide, Samt           Gegenständen gelöst oder mit       Mitte angeordnet drei Bilder           ein Porträt der Großmutter der
oder Chiffon) von Hand genäht          anderen Farben kombiniert wer-     in jedem Rahmen. Dies ist die          Künstlerin* in ihrem selbst ge-
wurde und an der Wand hängt.           den, und sie erfand Räume, in      formale Struktur von The Queer         bauten Haus in Südserbien. 1927
Die Textilien, die ursprünglich        denen Form, Farbe und Rhyth-       Family Album (2018), einer fort-       geboren, erlebte sie mehrere
in Kleidungsstücke eingenäht           mus miteinander kommunizier-       laufenden fotografischen Serie,        Kriege und verschiedene politi-
wurden, um sie weicher zu ma-          ten. Sonia Delaunay erforschte     die Porträts aus verschiedenen         sche Systeme, von der Monar-
chen oder ihre Form zu struk-          die Möglichkeiten des Simul-       Kontexten zusammenbringt und           chie bis zum Sozialismus, sowie
turieren, werden zu einer Decke        tankontrasts in einer Reihe von    sie in eine queere und bewusst         die Regierungen des ersten
zusammengefügt, die sich wie           Medien, von der Malerei bis hin    gewählte familiäre Beziehung           und zweiten Jugoslawiens. In-
ein Gemälde präsentiert und            zu Kostümen und Modedesign,        setzt. Die Arbeit betont Ver-          dem Ana Hoffner ex-Prvulovic*
Abstraktion und angewandte             Buchbinderei, Haushaltsgegen-      wandtschaft gegenüber Ge-              familiäre Herkunft und gewählte
Kunst miteinander verbindet.           ständen oder Plakaten, und         nealogie, multipolare Familien         Verwandtschaft vermischt,
Das Muster, die Farben und             schuf ein Werk, das gleichzeitig   gegenüber der heterosexuellen          individuelle Psyche und kollek-
der Titel erinnern an das Werk         ästhetisch ansprechend und         Kernfamilie und Selbstbestim-          tive Erinnerungen zusammen-
der ukrainisch-französischen           philosophisch utopisch war. Ana    mung gegenüber Abstammung.             führt und ererbte Strukturen
Malerin und Modedesignerin             Hoffner ex-Prvulovic* würdigt                                             und Fluchttaktiken miteinander
Sonia Delaunay (1885–1979),            diese bedeutende Künstlerin        Ein Bild, das in The Queer             verknüpft, erforscht sie* ihr*
einer Vertreterin der geomet-          und hinterfragt gleichzeitig die   Family Album – Non-aligned             eigenes Selbst, sowohl als Pro-
rischen Abstraktion und einer          Stellung von Künstlerinnen in      Relatives bekannt vorkommen            dukt von als auch als Person im
Schlüsselfigur der europäischen        den dominanten Erzählungen         könnte, ist das ikonische Porträt      ständigen Widerstand gegen he-
Avantgarde. Ihr Ansatz basierte        der westlichen Avantgarde.         des geflüchteten afghanischen          teropatriarchale Regime. Indem
                                                                          Mädchens Sharbat Gula, das             sie* alle abgebildeten Menschen
                                                                          1985 auf dem Titelblatt von            als ihre* „non-aligned relatives“
                                                                          National Geographic zu sehen           begreift, ruft sie* kulturelle
                                                                          war und dann auf dem Cover             Nähe und historische Bindungen
                                                                          von Deborah Ellis Bestseller,          wach, die als Teil einer utopi-
                                                                          The Breadwinner (2000). Die            schen Vision eines alternativen
                                                                          anderen Bilder sind Porträts von       geopolitischen Szenarios für die
                                                                          Menschen, die Gender-Identi-           Welt entstanden (das allerdings
                                                                          täten auf unterschiedliche Arten       an der hegemonialen Kraft des
                                                                          ausdrücken: ein*e Bacha Posh           internationalen Kapitalismus
                                                                          (eine junge afghanische Frau,          scheiterte), und verweigert sich
                                                                          die als Junge lebt, hauptsächlich      der Mystifizierung eines west-
                                                                          um der patriarchalen Unter-            lich konzipierten, monolithi-
                                                                          drückung zu entgehen) und              schen Europas.
                                                                          die Schweizer Schriftstellerin
                                                                          Annemarie Schwarzenbach, die
Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Non-aligned Relatives (Performance-            1939 auf ihrer Fahrt von Genf
Dokumentation), 2019, Ausstellung Queer Stories. Foto: Judith Stehlik
28   Ana Hoffner ex-Prvulovic*   The Queer Family Album – Non-aligned Relatives, 2018
30     Ana Hoffner ex-Prvulovic*      Werkbeschreibungen                   31     Ana Hoffner ex-Prvulovic*        Werkbeschreibungen

DISAVOWALS OR CANCELLED CONFESSIONS, 2016
5 Rahmen mit Silbergelatinabzügen auf Barytpapier, je 60 x 40 cm

Disavowals or Cancelled Con-          Hoffner ex-Prvulovic*, die den-
fessions (Originaltitel Aveux non     selben Titel wie Claude Cahuns
avenus, 1930) ist die englische       Buch trägt, stellen mit zwei
Übersetzung eines Buchs der           Modellen einige der berühm-
Künstler*in, Dichter*in, Perfor-      testen fotografischen Porträts
mer*in, Fotograf*in und Wider-        der Avantgardekünstler*in
standskämpfer*in Claude Cahun         nach. In ihnen verbinden sich
(1894–1954, geboren Lucy              Verspieltheit, Ironie und Camp,
Schwob). Das Buch ist eine anti-      und Geschlecht wirkt beliebig
realistische Autobiografie, eine      und flüchtig. Claude Cahun
Art Antimémoire, bestehend aus        gehört zur Wahlfamilie der
einer Sammlung von Gedichten,         Künstlerin*, die sie durch dieses
aphoristischen philosophischen        Werk würdigt. Ihr kontinuier-
Fragmenten und erinnerten             liches linksradikales politisches
Träumen. Es ist mit surrealisti-      Engagement, das 1944 mit
schen Fotomontagen – Selbst-          ihrer Inhaftierung endete, hatte
porträts, Körper verschiebungen       immer einen explizit feminis-
und -umstellungen, Objekt-            tisch-queeren Subtext, der Ana
assemblagen – illustriert, die        Hoffner ex-Prvulovic* sowohl
Claude Cahun (oft zusammen            persönlich als auch politisch ins-
mit ihrer Lebensgefährt*in und        piriert. Disavowals or Cancelled
Mitarbeiter*in Marcel Moore,          Confessions (2016) bringt durch
geboren Suzanne Malherbe) an-         die allgegenwärtige Figur des
gefertigt hat. In den Bildern wie     double noch eine weitere Ebene
in den Texten setzt sich Claude       ins Spiel: Dualität und Ambiva-
Cahun mit gängigen Darstellun-        lenz. Durch Verdoppelungen,
gen von Identität, Geschlecht         Wiederholungen, Spiegelun-
und Subjektivität auseinander         gen und Körperspaltungen ist
und präsentiert das Selbst als        Claude Cahun ihrem Unterfan-
eine Sammlung verschiedener           gen gefolgt, jeder ästhetischen,
Identitäten oder als immer ver-       sozialen oder moralischen
änderbare soziale Beziehungen,        Bestimmung zu entkommen.
mit denen gespielt werden kann.       Jedoch scheint sie ihr eigenes
„Mischen Sie die Karten neu.          double, Marcel Moore, verges-
Männlich? Weiblich? Das hängt         sen zu haben. Obwohl Claude
von der jeweiligen Situation          Cahun und Marcel Moore beide
ab. Neutrum ist das einzige           wesentliche Teile von Claude
Geschlecht, das zu mir passt.“        Cahuns surrealistischen Selbst-
(„Shuffle the cards. Masculine?       porträts schufen, wurden sie nie
Feminine? It depends on the           als Co-Autor*innen genannt –
situation. Neuter is the only         so blieb Marcel Moore unerin-
gender that suits me.“) Die fünf      nert, Claude Cahuns vergessene       Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Disavowals or Cancelled Confessions (Details), 2016,
Exponate der Serie von Ana            Doppelgänger*in.                     Foto: WEST. Fotostudio
32     Ana Hoffner ex-Prvulovic*               Ausstellungsplan

                                                                                                                                                                                 Ana Hoffner ex-Prvulovic*
                                                                                                                                                                                 EINGANG

                                                                                                                                                                                 EINGANG
                                                                                                                                                                                 Belinda Kazeem-Kamiński

Belinda Kazeem-Kamiński         (Weitere Informationen zu diesen Werken: s. Ausstellungsguide „Belinda Kazeem-Kamiński“)   Ana Hoffner ex-Prvulovic*

1    In Search of Red, Black,           7   In Remembrance to the                Außerhalb des                              1   After the Transformation,     7    Private View – Big Safari,   12 Speech Objects #1, #2,
     and Green, 2021                        Man Who Became Known                 Ausstellungsraums:                             2013, S. 6–7                       2021, S. 17–21                  #3, and #4, 2018–2021,
                                            as Angelo Soliman,                                                                                                                                     S. 34–35
2    To let them know what                  (Ante Mortem) I &                    Ashantee, edited,                         2    Future Anterior –             8    Private View – Special
     we think about them,                   (Post Mortem) II, 2015               2017–2021                                      Illustrations of War, 2013,        Gift, 2019, S. 22            13 Духовна
     2021                                                                        (Kunsthalle Wien Shop)                         S. 8–9                                                             Деколонизација
                                        8   You are awaited, but                                                                                              9    Private View – Silent           (Spiritual Decolonization)
3    Schebestas Schatten,                   never as equals, 2021                Yaarborley Domeïs Brief, 2021             3    Fifty-One Pieces                   Weapon, 2018, S. 23             – Part I, 2021, S. 36
     2017/2021                                                                   (in der Tageszeitung                           – Believing in Art, 2016,
                                        9   Ashantee, edited &                   Der Standard)                                  S. 10                         10 Non-aligned Relatives,         14 The Bacha Posh Project,
4    Fleshbacks, 2021                       annotated, 2021                                                                                                      2021, S. 25                       2016/2021, S. 37–43
                                                                                                                           4    Freud Film, 2017/2021,
5    The Letter, 2019                  10 Strike a Pose, 2017–2021                                                              S. 12–13                      11   (from left to right)         15 Active Intolerance
                                          & In Remembrance to                                                                                                      Simultaneous Contrast,          – Part II, 2021, S. 44–47
6    In Remembrance to                    Ella Williams, 2021                                                              5    Private View                       2018, S. 26
     the Man Who Became                                                                                                         – Blue Blood, 2021,                The Queer Family Album,
     Etched into History as            11   Unearthing. In                                                                      S. 15                              2018, S. 27–29               Außerhalb des
     „Der Aschanti an der                   Conversation, 2017                                                                                                     Disavowals or Cancelled      Ausstellungsraums:
     Akademie“, 2021                                                                                                       6    Private View                       Confessions, 2016,
                                                                                                                                – Modern Members,                  S. 30–31                     Active Intolerance – Part I,
                                                                                                                                2021, S. 16                        Double Still Lives, 2016,    2021, S. 44–45
                                                                                                                                                                   S. 34–35                     (Museumsquartier,
                                                                                                                                                                                                Eingang Halle E+G)
34     Ana Hoffner ex-Prvulovic*       Werkbeschreibungen                  35     Ana Hoffner ex-Prvulovic*         Werkbeschreibungen

DOUBLE STILL LIVES, 2016
3 Rahmen mit Silbergelatineabzügen auf Barytpapier, je 50 x 40 cm

SPEECH OBJECT #1, 2018
Federn, Schreibfedern, Äste, Maße variabel

SPEECH OBJECT #2, 2018
Glockengläser, Empfangsglocken, Maße variabel

SPEECH OBJECT #3, 2018
Vergrößerungslinse, konvexer Spiegel, Draht, Maße variabel

SPEECH OBJECT #4, 2021
2 Urinale, Maße variabel

Im Werk von Ana Hoffner ex-            von Freytag-Loringhoven – die
Prvulovic* ist das double allge-       das erste Readymade herstellte,
genwärtig. Als zentrale Figur des      das fälschlicherweise Marcel
Unbewussten in Avantgarde-Be-          Duchamp zugeschrieben wurde.
wegungen wie dem Surrealismus          Speech Object #2 besteht
oder dem Dadaismus hinterfragt         aus sechs Glockengläsern, die
das double (manchmal auch als          sechs silberne Empfangsglo-         Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Double Still Lives (Detail), 2016,
Doppelgänger*in verkörpert)            cken bedecken, und spielt mit       Foto: WEST. Fotostudio
nicht nur die Trennung zwischen        Homonymien (also Wörtern,
Bewusstem und Unbewusstem,             die gleich klingen, aber unter-
sondern auch das Verhältnis            schiedliches bedeuten). Das
zwischen Sein und Sprache,             gilt auch für Speech Object
zwischen Sein und Denken, zwi-         #1, dessen Schreibfedern an
schen Projektion und Erkennen –        Zweigen befestigt sind, die auf
und auch zwischen Erschaffen           kleinen Federhügeln gepflanzt
und Nachbilden. Und so ist in          sind. Speech Object #3, das aus
den drei Bildern von Double Still      zwei konvexen Objekten besteht
Lives (2016) wie auch in den vier      – einem runden Spiegel und
Speech Objects (2018/2021) das         einer Vergrößerungslinse – stellt
double auf kompositorischer wie        die Frage nach dem Verhältnis
symbolischer Ebene zentral. Die        zwischen Reflexion und Absorp-
schwarz-weiße Serie Double Still       tion. Speech Object #4 schließ-
Lives evoziert die Ästhetik der        lich besteht aus zwei Pissoirs.
avantgardistischen Objektfoto-         Speech Objects dekliniert einige
grafie und spielt mit Wiederho-        Formen des double (komple-
lung, Variation, Indexierung und       mentäres double, dialektisches
Maßstab. Die Speech Objects            double, bipolares double ...)
funktionieren nach einer ähnlich       durch, um Fragen zu Alterität
binären Komposition. Sie zitieren      und Identität, Sprache und Per-
wiederum einige Assemblagen            formativität zu stellen.            Ana Hoffner ex-Prvulovic*, Speech Object #2 (Installationsansicht), 2018,
von Claude Cahun oder von Elsa                                             Foto: WEST. Fotostudio
36     Ana Hoffner ex-Prvulovic*       Werkbeschreibungen                   37     Ana Hoffner ex-Prvulovic*       Werkbeschreibungen

ДУХОВНА ДЕКОЛОНИЗАЦИЈА                                                      THE BACHA POSH PROJECT, 2016/2021
(SPIRITUAL DECOLONIZATION) – PART I, 2021                                   12 Drucke auf Archivkartons, je 25,4 x 20,4 x 3 cm; 2 Leinwände,
5 Zeichnungen, 2 hängende Skulpturen, metallisches Gestell, Maße variabel   je 180 x 100 cm mit Green-Screen-Stoff; 2 durchsichtige Glasplatten mit
                                                                            Fotografien, je 60 x 40 cm; Glasplatten, Maße variabel
Духовна Деколонизација (Spi-           von drei von ihnen entstanden:
ritual Decolonization) – Part I        Ankica Oprešnik (1919–2005),         „Bacha posh“ ist die englische         Schreibens von Geschichte
(2021) ist eine Hommage an             Zdenka Golob (1928–2019) und          Übersetzung eines Begriffs aus        und Fiktion, von der Künstlerin*
die wenigen Frauen aus Jugo-           Tinca Stegovec (1927–2019).           dem Dari, der sich auf eine kul-      selbst verfasst.
slawien, die an den Ausstellun-        Ana Hoffner ex-Prvulovic* fand        turelle Praxis in Afghanistan und
gen der Bewegung der Block-            Archivmaterial, auf dem die           Teilen Pakistans bezieht. Dabei
freien Staaten teilgenommen            Werke abgebildet sind, und            wählen einige Familien, die
haben, und gleichzeitig eine           fertigte in ihrem* Atelier Kopien     keine Söhne haben, eine Tochter
allgemeinere Reflexion über die        an. Dabei versuchte sie* nicht,       aus, die als Junge leben und
Stellung von Künstlerinnen in          die ursprüngliche Technik, den        sich entsprechend verhalten
utopischen künstlerischen oder         Stil oder das Format exakt nach-      soll – was es dem Kind ermög-
politischen Bewegungen des             zubilden, sondern versetzte           licht, die Schule zu besuchen,
20. Jahrhunderts. In der Bewe-         sich vielmehr in eine andere          sich allein in der Öffentlichkeit
gung der Blockfreien Staaten           Tradition als jene, in der sie*       zu bewegen und allgemein
spielten Kultur und Kunst eine         ausgebildet worden war. Auf           freier zu leben. Dieser Brauch
große Rolle, da die Anerkennung        diese Weise hinterfragt sie* das      ist seit mindestens einem
der kulturellen Gleichheit, der        dominante westliche Kunstsys-         Jahrhundert dokumentiert,
Kampf gegen den Kulturim-              tem (einschließlich des Systems       ist aber wahrscheinlich noch
perialismus und der Anspruch           der künstlerischen Ausbildung)        viel älter und wird heute noch
eines kulturellen Erbes, das sich      und dessen Ignoranz gegenüber         praktiziert. The Bacha Posh
von der klassischen westlichen         Geschichten und Praktiken, die        Project (2016/2021) erwächst
Moderne unterscheidet, von An-         die westlich-zentrierte Kunst-        aus Ana Hoffner ex-Prvulovic*s
fang an starke Prinzipien waren.       geschichte dezentrieren oder          Erkundung von verschiedenen
Die Unsichtbarkeit von Künst-          sogar umgehen. Außerdem               Formen von Queerness, zu
lerinnen in den Archiven zeigt         würdigt sie* Künstlerinnen, die       verschiedenen Zeiten, an ver-
jedoch, dass die Gleichstellung        in der Kunstgeschichte mar-           schiedenen Orten und mit ver-
der Geschlechter immer noch            ginalisiert wurden oder als un-       schiedenen sozialen Funktionen.
vernachlässigt wurde, obwohl           wichtig für die zeitgenössische       Mit dieser Arbeit – verankert in
die Frauen in den Unabhängig-          Kunstwelt gelten. Die hängen-         einem Raum zwischen Ge-
keitskämpfen und in der Be-            den Skulpturen aus Draht und          schichte und Gegenwart, Erfin-
wegung der Blockfreien Staaten         Wollfäden, die zugleich zart und      dung und Erkundung – schlägt
eine wichtige Rolle spielten.          locker sind, bestehen aus wie-        die Künstlerin* vor, den gegen-
                                       dergewonnenem Material –              wärtigen Status von Queerness
Nur sieben Frauen aus Jugosla-         industriell hergestellt, aber ver-    zu überdenken, aus der Pers-
wien nahmen an den Ausstellun-         knüpft mit häuslicher Arbeit,         pektive des gesellschaftlichen
gen der Blockfreien Staaten teil,      Reparaturen oder Instandhal-          Überlebens, der erweiterten
die während der gesamten akti-         tung, wie Draht oder Gummi-           Möglichkeiten und der kulturel-
ven Zeit der Bewegung organi-          ringe. Indem sie modernistische       len Nähe jenseits geopolitischer
siert wurden. Die Zeichnungen          Formen nachbilden und einen           Trennungen.
von Духовна Деколонизација             DIY-Trash-Aspekt kultivieren,
(Spiritual Decolonization) –           schweben sie zwischen Zuord-         Die folgenden „Bacha Texte“
Part I sind nach den Werken            nungen und Genres.                   sind Experimente eines solchen
44     Ana Hoffner ex-Prvulovic*       Werkbeschreibungen                     45    Ana Hoffner ex-Prvulovic*      Werkbeschreibungen

ACTIVE INTOLERANCE, 2021                                                      Heimatstadt Paraćin in Serbien.      während des gesamten Videos
Zweiteilige Installation                                                      Die überbelichteten Ränder auf       am unteren Rand des Bild-
                                                                              einigen Bildern sowie das Spiel      schirms läuft, enthält schließlich
PART I
                                                                              mit Überlagerungen, Transpa-         eine übersetzte und leicht ge-
9 Messingplatten, je 60 x 90 cm, Maße variabel (außerhalb des Ausstellungs-
raums, im Museumsquartier am Eingang zur Halle E+G)                           renzen und Spiegelungen und          kürzte Version eines investiga-
                                                                              die intensiven Farben des Dru-       tiven Artikels über den illegalen
PART II                                                                       ckes verhindern, dass die Serie      und unmenschlichen Einsatz
5 A0-Plakate, je 118,2 x 168 cm; 10 Fine-Art-Drucke auf Hahnemühle-Papier,    in Nostalgie verfällt. Einst eine    von Gefängnisarbeiter*innen auf
je 50 x 40 cm; Video, Farbe, 16:9, 11 min 50 sek                              typische sozialistische Stadt mit    Autobahnbaustellen, neben an-
                                                                              ihren vier Fabriken (für Glas-,      deren illegalen Verstrickungen.
In Active Intolerance (2021)           erzwungen wird, darf nicht länger      Textil-, Zucker- und Zementpro-
thematisiert Ana Hoffner ex-­          hingenommen werden“ und                duktion) und ihren sozialen und      Active Intolerance – Part I ist
Prvulovics* künstlerische For-         „Lasst uns zu Menschen werden,         kulturellen Einrichtungen, gibt      außerhalb des Ausstellungs-
schung verschiedene Formen             die Gefängnisse, das Rechtssys-        es in Paraćin jetzt nur noch eine    raums, am Eingang zur Halle
der Ausbeutung von (billiger)          tem, das Krankenhaussystem, die        einzige Fabrik. Um zu überleben,     E+G im Museumsquartier aus-
Arbeit in geschlossenen Milieus,       Psychiatrie, das Militär usw. nicht    musste die Zementfabrik mit          gestellt. Das Werk befasst sich
wie der Fabrik und dem Gefäng-         tolerieren“. Die 1970 von dem          der Strabag zusammenarbei-           speziell mit der lokalen Situation
nis, und deckt die Unsichtbar-         Philosophen Michel Foucault,           ten – einem österreichischen         von Gefängnisarbeiter*innen in
keit auf, der Arbeiter*innen und       dem Schriftsteller Jean-Marie          Bauunternehmen, das massiv           Österreich. Viele Produkte des
Gefangene unterworfen sind.            Domenach und dem Historiker Pi-        in Südosteuropa investiert und       Alltags werden von Häftlingen
Dieses Thema gehört zur Aus-           erre Vidal-Naquet (später kamen        die lokalen Arbeitskräfte durch      hergestellt, die niedrige Löhne
einandersetzung der Künstlerin*        noch die Intellektuellen Gilles        Gefängnisarbeit ausbeutet. Dies      erhalten und keine Möglichkeit
mit dem westlichen kapitalis-          Deleuze, Jean Genet und Jean-          ist die Verbindung zum letzten       haben, sich gewerkschaftlich zu
tischen und imperialistischen          Paul Sartre dazu) gegründete           Teil der Arbeit, einem Video         organisieren. So bleiben sie auf
politischen Projekt und dessen         Prisons Information Group hatte        ohne Ton, das zwei Arten von         unerträgliche Weise unsichtbar.
unerbittlichen Bestreben, auf          zum Ziel, Informationen über die       Bildern miteinander verschmilzt.     Ana Hoffner ex-Prvulovic* setzt
der einen Seite arbeitende,            Zustände in den französischen          Eine Ebene zeigt Werbeclips          sich mit dieser Unsichtbarkeit
konsumierende, gehorchende             Gefängnissen zu verbreiten, um         der Strabag, von allgemeinen         auseinander, indem sie* eine
Körper zu schaffen und auf             eine öffentliche Reaktion gegen        Mitteilungen bis hin zu Werbung      vollständige Liste der öster-
der anderen Seite „Andere“             die unerträglichen Bedingungen,        für eines ihrer Entwicklungspro-     reichischen Unternehmen, die
zu kontrollieren und auszu-            unter denen die Gefangenen             jekte (eigentlich ein Gentrifizie-   Gefängnisarbeit nutzen, offen-
beuten, sowohl innerhalb als           leben (und arbeiten) mussten,          rungsprojekt): Belgrade Water-       legt. Die Liste wurde 2018 in
auch außerhalb der (nationalen)        auszulösen und schließlich eine        front. Diese Bilder werden mit       einem vom Justizministerium
Gesellschaften.                        Veränderung zu fordern. Die            tonlosen Videoclips von EKV          herausgegebenen Dokument
                                       Gruppe führte intensive Feldfor-       (für Ekatarina Velika, Katharina     veröffentlicht und nur wenige
Der zweite Teil der Arbeit, Active     schungen durch, indem sie Ge-          die Große), einer berühmten          Monate später von der Web-
Intolerance – Part II, besteht         fangene, deren Partner*innen und       alternativen Punkrockband aus        site des Ministeriums zurück-
aus drei Komponenten. Eine             Gefängniswärter befragte und die       Belgrad, verwoben. Durch die         gezogen. Die Außeninstallation,
Serie von sechs Plakaten zeigt         gesammelten Informationen in           Verflechtung dieser Bilder zeigt     bestehend aus neun bedruckten
in blauer Schrift auf rotem Hin-       Form von Samisdat-Flugblättern         die Künstlerin* die Diskrepanz       Messingplatten kann als (Anti-)
tergrund ausgewählte Sätze aus         verteilte.                             zwischen dem sozialistischen         Mahnmal im Negativen gesehen
dem Manifest der Prisons Infor-                                               Modell der selbstorganisierten       werden, das die Betrachter*in-
mation Group, wie zum Beispiel         Neben den sechs Plakaten do-           (Kunst-)Produktion und neolibe-      nen an die stillschweigende und
„Das Unerträgliche, das mit            kumentiert eine Fotoserie von          ralen, imperialistischen Produk-     umfangreiche Nutzung von Ge-
Gewalt und durch Schweigen             Ana Hoffner ex-Prvulovic* deren        tionsformen. Eine Textzeile, die     fängnisarbeit erinnert.
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