Ankunftsstädte gestalten - Impulse aus den Pilotprojekten - BBSR
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6. Projektaufruf »Stadtentwicklung und Migration« Foto: MarioGuti@gettyimages gestalten Ankunftsstädte Pilotprojekten Impulse aus den
Impressum Herausgeber Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) Deichmanns Aue 31–37, 53179 Bonn Wissenschaftliche Begleitung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Referat RS 2 „Stadtentwicklung“ Stephan Willinger und Katharina Hackenberg Auftragnehmer empirica ag Meike Heckenroth und Timo Heyn Kurfürstendamm 234, 10719 Berlin Telefon (030) 88 47 95-0 www.empirica-institut.de Stand April 2021 Satz und Layout Mia Sedding, Indivisual Berlin Druck Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn Gedruckt auf Recyclingpapier Bestellungen nationale-stadtentwicklungspolitik@bbr.bund.de; Stichwort: Ankunftsstädte Bildnachweis Titelbild: MarioGuti@gettyimages; Mahmoud Dabdoub: S. 25, 26; empirica: S. 4, 31, 38, 40, 41, 43, 44, 49, 70; FatCamera@gettyimages: S. 46; fotografixx@gettyimages: S. 20, 52; Kerstin Hehmann: S. 33; LeoPatrizi@gettyimages: S. 68; Martina Meyer, Stadt Saarbrücken: S. 3; Maskot@gettyimages: S. 14; Thomas Müller, IBA Thüringen: S. 60; olli0815@iStock: S. 65; Stadt Osnabrück: S. 23; Stadt Saarbrücken: S. 8, 11, 28, 62; Martin Schaarschmidt, Plattform e.V.: S. 56; Mia Sedding: S. 18/19, 34/35; City of Toronto: S.22; Urban Catalyst: S. 66; Diana Wetzestein: S. 54 Nachdruck Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet. Bitte schicken Sie uns zwei Belegexemplare zu. Der Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die geäußerten Ansichten und Meinungen müssen nicht mit denen des Herausgebers übereinstimmen. ISBN 978-3-87994-528-3 Bonn 2021 2
Inhalt 05 Einführung 09 Ankunftsstädte und Ankunftsquartiere in Deutschland 15 PatchWorkCity: Teppich der Vielfalt Ankunftsstädte Foto: Martina Meyer, Stadt Saarbrücken und Ankunftsquartiere gestalten 21 „Ankommen“ als Dimension von Stadt- 53 entwicklung Arbeiten in Ankunftsquartieren 29 Dialoge führen – 61 gesamtstädtisch und Nachbarschaft und im Quartier Zusammenleben – Ankommen ermöglichen 39 Wohnen in der 69 Ankunftsstadt Ankunftsquartiere strategisch begleiten 47 Bildung als Schlüssel in 74 Ankunftsquartieren Literatur 3
Anzahl eine besondere Herausforderung dar. Um eine zügige Integration vor Ort zu ermöglichen, sind die Kommunen in sämtlichen Handlungs- feldern gefordert. Wohnraumversorgung und soziale Infrastruktur, Sprache und Bildung, Qualifizierung und Arbeitsmarkt, Partizipation Einführung und bürgerschaftliches Engagement gehören hierbei zu den zentralen Themen. Aber auch der Dialog zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft wird immer wichtiger, ist doch die Haltung gegenüber Geflüchteten in unseren Stadtgesellschaften nicht durchweg von Offenheit und Hilfsbereitschaft bestimmt. Mancherorts fallen rechtspopulistische Stimmungsmache und Stadtgeschichten sind immer auch Migrations Mobilisierung mittlerweile stärker ins Gewicht, geschichten. Von Beginn an haben Wanderungs auch der Zuspruch zu islamfeindlichen und bewegungen zur Entwicklung und Urbanität unserer nationalistischen Positionen wächst. Teile der Städte maßgeblich beigetragen. Und auch heute gehört Mehrheitsbevölkerung kommen mit diesem das Kommen, Gehen und Bleiben selbstverständlich vielfältigen Deutschland nicht zurecht, fühlen zum urbanen Alltag. Mittlerweile leben Menschen sich fremd und schalten auf Abwehr. Für den aus allen Teilen der Welt in unseren Städten. Lokale Zusammenhalt vor Ort ist es daher bedeutend, Kulturen, Lebensstile und Alltagspraktiken, die sonst den Dialog zu suchen, die Stadtgesellschaft für die geografisch und zeitlich weit voneinander entfernt notwendigen Integrationsleistungen zu sensibi- sind, vermischen sich in den städtischen Räumen und lisieren und gemeinsam zu verhandeln, wie ein prägen das Zusammenleben vor Ort. Im Jahr 2015 hat Zusammenleben in Vielfalt gelingen kann. Dabei das nächste Kapitel in den Migrationsgeschichten geht es um Fragen von Teilhabe, Partizipation, unserer Städte begonnen. Seitdem sind über eine Chancengerechtigkeit und Zugehörigkeit. Million Menschen nach Deutschland gekommen, um Zuflucht vor Krieg, Verfolgung und Not zu finden. Perspektiven verändern Diese Zuwanderung hat die deutsche Gesellschaft in Die Bemühungen vor Ort sollten insgesamt Bewegung versetzt und besonders unsere Städte und von einem integrationspolitischen Verständnis Gemeinden vor vielfältige Aufgaben gestellt. geleitet sein, das auf einen gleichberechtigten Zugang zu zentralen Bereichen des gesellschaft- Integration ermöglichen lichen Lebens abzielt. In diesem Verständnis geht Für die Kommunen in Deutschland ist es auch darum, die Kompetenzen und Fertig- Integration keine neue Aufgabe, vor allem nicht keiten der Menschen in den Fokus zu rücken für die größeren Städte, die über langjährige und nicht in eine rein defizitorientierte Haltung Erfahrungen in der Integrationsarbeit verfügen zu verfallen, die Integration ausschließlich auf und grundlegende Strukturen für eine erfolg- den Status einer dauerhaften sozialen Fürsorge reiche Integrationspolitik aufgebaut haben. reduziert. Vielmehr gilt es, die Kompetenzen In zahlreichen Kommunen ist Integration und Fertigkeiten der Menschen in den Fokus zu als Politikfeld verankert. Sie haben eigene rücken und entsprechend nicht nur die Probleme, Integrationskonzepte erarbeitet und ihr Engage- sondern auch Potenziale zum Ausgangspunkt ment in diesem Aufgabenbereich verbindlich und von Maßnahmen zu machen. Genauso braucht nachhaltig gestaltet. Zudem bestehen vielerorts es eine diversitätsbewusste Perspektive. Gruppen bereits etablierte Netzwerke in der Integrations- von Personen mit Migrationshintergrund werden arbeit, in denen Akteure aus Politik, Verwaltung oftmals als eine in sich geschlossene kulturelle und lokaler Zivilgesellschaft gemeinsam aktiv Einheit angesehen. Doch innerhalb dieser sind. Doch wenngleich in vielen Kommunen Gruppen besteht eine außerordentliche Diversität weitreichende Erfahrungen im Umgang mit hinsichtlich sozialer Lage, Bildung, familiärer Foto: empirica Migration vorliegen, so stellt die Integration Situation, Lebensstil, religiöser Bindung, Aufent- der Geflüchteten schon allein aufgrund ihrer haltsstatus oder sonstiger Merkmale. Strategien 5
und Maßnahmen zur Integration müssen dies einzubeziehen, ihre Kompetenzen und Potenziale berücksichtigen und sich an der tatsächlichen für die Gestaltungsprozesse vor Ort zu nutzen und Vielfalt orientieren. Integrationspolitisches somit eine Perspektive einzunehmen, die Migra- Handeln sollte sich zudem nicht nur einseitig auf tion als Ressource der Stadtentwicklung versteht. Migrantinnen und Migranten beziehen, sondern Teilhabemöglichkeiten für alle Bürgerinnen und Ankunftsstadt als Referenz Bürger eröffnen, sodass insgesamt ungleiche Die Idee der „Ankunftsstadt“ geht auf den Zugangschancen und strukturelle Ausschlüsse kanadischen Journalisten Doug Saunders zurück. verringert werden. Er veröffentlichte im Jahr 2013 das Buch „Die neue Völkerwanderung – Arrival City“, sprach 2015 auf Strategien entwickeln dem Bundeskongress der Nationalen Stadtent- Das Thema Migration und Integration bringt wicklungspolitik, prägte den deutschen Beitrag also eine Fülle von Aufgaben für unsere Städte und „Making Heimat. Germany, Arrival Country“ zur Gemeinden mit sich, stellt immer wieder neue Architekturbiennale in Venedig im Jahr 2016 und Anforderungen und verlangt ein fortwährendes wurde in der Folge auch auf stadtpolitischer Ebene Überprüfen bestehender Narrative, Praktiken und von Entscheidungstragenden rezipiert. Strategien. Um die aktuellen Aufgaben zu lösen Anhand von internationalen Beispielen und die sich bietenden Entwicklungsmöglich- aus Istanbul, Shenzhen, Rio de Janeiro, Berlin, keiten auszuschöpfen, gilt es, das Wissen und die Nairobi, Mumbai, Toronto oder Los Angeles Instrumente der integrierten Stadtentwicklung zu beschreibt Saunders was passiert, wenn Men- nutzen, vorhandene Ansätze weiterzuentwickeln, schen migrieren und in Großstädten ankommen. aber auch neue unerprobte Wege zu gehen. Als Gemeinsamkeit dieser Migrationsprozesse Nach einem Projektaufruf zum Thema beschreibt er, dass sich in all diesen Städten „Stadtentwicklung und Migration“ hat die bestimmte Orte des Ankommens herausbilden, Nationale Stadtentwicklungspolitik zehn Pilot- die für die Ankommenden von zentraler projekte ausgewählt, die sich mit der Integration Bedeutung sind. Diese Ankunftsquartiere von Zugewanderten im Rahmen integrierter zeichnen sich nach Saunders vor allem dadurch Stadtentwicklung auseinandersetzen und hier aus, dass niedrige Eintrittsschwellen für den innovative Ansätze erproben. Die Pilotprojekte Zugang zu Erwerbsstrukturen und soziale Netz- waren über ganz Deutschland verteilt und werke bestehen, die ein wirkliches Ankommen umfassten Städte verschiedener Größenordnung – überhaupt erst möglich machen. angefangen von der Metropolregion bis hin Mit seinen Beispielen lädt er dazu ein, diese zum ländlichen Raum. Allen Pilotprojekten war Orte des Ankommens nicht als Problemfälle, gemeinsam, dass sie Stadtentwicklung als eine sondern als dynamische Orte einer Stadt zu ver- Gemeinschaftsaufgabe verstanden. Sie arbeiteten stehen. Durch soziale, ökonomische und politische bei ihren Vorhaben mit verschiedenen Ver- Netzwerke sowie durch Eigeninitiative der waltungseinheiten zusammen, vernetzten sich Ankommenden entstehen dort Innovation und mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, banden die Emanzipation. Dem in seinem Buch als einziges Bürgerschaft über Dialogprozesse ein und regten deutsches Beispiel vertretenen Berlin-Kreuzberg zu Eigeninitiative und Selbstorganisation an. sowie daraus abgeleitet der gesamten bundes- Immer war es das Ziel, die Zugewanderten aktiv deutschen Migrationspolitik stellte Saunders noch 6
2013 ein schlechtes Zeugnis aus: „Die deutsche stehen. So ist die starke Fluchtwanderung in einer Politik schien von Anfang an darauf ausgerichtet, Phase hoher Marktanspannung und Wohnraum- eine gescheiterte Ankunftsstadt hervorzubringen, verknappung in den wachsenden Städten erfolgt. deren Bewohner sich weder am Zielort auf Dies hat preiswerten Wohnraum zu einer Mangel- sinnvolle Weise fest einrichten noch realistische ware gemacht hat. Viele Stadtteile sind zwar gut Erwartungen auf eine endgültige Rückkehr in mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar. ihre Dörfer hegen konnten.“ Doch hat sich dies in Doch für die am Stadtrand gelegenen Gemein- Folge der starken Flucht-Migration ab 2015 schritt- schaftsunterkünfte, in denen viele Geflüchtete weise geändert. Die „Ankunftsstadt“ wird von untergebracht wurden, gilt dies sicher nicht. verschiedenen Akteuren in Deutschland nun als Und der Zugang zu Arbeitsplätzen ist selbst unter ein stadtplanerisches Instrument fokussiert. Von den Bedingungen hohen Fachkräftebedarfs für niedrigschwelligen Zugängen zu Wohnungen und Ankommende mit hohen Hürden versehen, wie zum Arbeitsmarkt sowie von gemischt genutzten das Pilotprojekt Fachwerktriennale schmerzhaft Straßenzügen und der Aneignung öffentlicher erfahren musste. Ganz zu schweigen von den Räume sind viele deutschen Städte jedoch noch (fehlenden) Möglichkeiten für informelle Aktivi- immer weit entfernt. täten und Selbsthilfe am Bau, wie am Standort Auch mehrere der 2016 gestarteten Pilot- Erfurt des Pilotprojekts ArrivalStadtLand augen- projekte aus dem Projektaufruf „Stadtentwicklung fällig wurden. Wenn Saunders feststellt, es helfe, und Migration“ haben den Begriff „Ankunftsstadt“ „wenn es in Städten Gebiete gibt, an denen die als Referenz und zugleich als Herausforderung Flächennutzungsplanung gelockert wird, sodass gewählt und in ihre Projekttitel aufgenommen. die Bewohner solcher Stadtteile selber bestimmen Die Spanne reicht von der Ankunftsstadt Hanau können, ob ein bestimmter Ort als Wohnraum, über die Ankunftsregion Rhein-Main bis zu „Suq“, Einzelhandels- oder Gewerbeeinheit genutzt einem ArrivalStadtLand (IBA Thüringen). In ihren werden soll“ (Nationale Stadtentwicklungspolitik, Projekten haben sie auf ganz unterschiedliche 2017), dann ist er damit zwar nah an den Vor- Weise versucht, die von den Kuratierenden des stellungen des Informellen Urbanismus, aber weit deutschen Biennale-Beitrags gemeinsam mit Doug entfernt von der deutschen Wirklichkeit. Saunders entwickelte „Anleitung zur Ankunfts- Gerade die Überlagerung der von Saunders stadt“ (vgl. Seite 17) kreativ zu interpretieren und formulierten Thesen mit der deutschen Projekt- auf die konkreten Herausforderungen anzu- wirklichkeit zeigt eine Vielzahl von Heraus- wenden – in einer Thüringer Kleinstadt oder in forderungen, vor denen deutsche Städte immer einem Zentrum im Ballungsraum Rhein-Main. noch stehen, wenn sie tatsächlich Ankunftsstädte Auf den ersten Blick mögen einige der hier werden wollen. Die Pilotprojekte haben hier aufgeführten Charakteristika in deutschen Städten durch mutige Experimente eine Vorreiter- als gegeben gelten: Verfügen wir nicht über rolle übernommen und wichtige Erfahrungen gut ausgebaute öffentliche Infrastrukturnetze? gesammelt, aus denen wir lernen sollten. Sind unsere Schulen nicht gut ausgestattet? Bei näherem Hinsehen – und gerade bei der kon- Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre! kreten Erprobung in den Pilotprojekten – zeigte sich recht schnell, warum wir bei der Gestaltung Stephan Willinger und von Ankunftsstädten noch vor großen Aufgaben Katharina Hackenberg 7
Ankunftsstädte und Ankunftsquartiere in Deutschland Deutschland als Einwanderungsland Wanderungsgewinne durch EU-Ost Deutschland ist mit den verschiedenen erweiterung und Fluchtwanderungen Phasen der Zuwanderung in den vergangenen Mit Beginn der vollen Arbeitnehmerfrei- Jahrzehnten zu einem Einwanderungsland zügigkeit im Jahr 2011 für die Staaten der EU-Ost- geworden. Die Auslandszuwanderungen der erweiterung 2004 und im Jahr 2014 für die Staaten 1950er bis Anfang der 1970er Jahre infolge der der EU-Osterweiterung 2007 wuchs die Auslands- Anwerbeabkommen mit den Herkunftsstaaten wanderung wieder an. Hinzu kam ein starker der „Gastarbeiter“ (erstes Anwerbeabkommen Zuzug aus den ökonomischen Krisenstaaten mit Italien 1955) wurde noch als temporäre der EU. Von 2011 bis 2015 ist die Zahl der nach Zuwanderung verstanden. Nach dem Anwerbe- Deutschland gekommenen geflüchteten Personen stopp 1973 war die geringere Zuwanderung aus stark angestiegen, zunächst noch häufig aus den dem Ausland durch nachziehende Familien- Westbalkanländern sowie später überwiegend angehörige der „Gastarbeiter“ geprägt, die aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und Eritrea. letztlich auch zu dem dauerhaften Status der Nach 2015 hat sich die Zahl der nach Deutschland Einwanderung gegenüber der zuvor temporären gekommenen geflüchteten Personen bis auf Zuwanderung geführt hat. unter 150.000 im Jahr 2019 reduziert (Statistisches Ende der 1980er Jahre folgte eine starke Bundesamt 7.8.2020). Phase der Auslandszuwanderung, die durch ausgesiedelte Personen aus den ehemals kommu Ohne Wanderung würde Deutschland nistischen Staaten Ost- und Südosteuropas schrumpfen geprägt war. Parallel erhöhte sich die Zahl der Der Auslandswanderungssaldo liegt im Asylsuchenden bis 1992, insbesondere aus Ost- langjährigen Durchschnitt seit den 1960er Jahren und Südeuropa sowie der Kontingentflüchtlinge bei rd. 245.000 Personen pro Jahr. Ohne die Netto- aus der ehemaligen Sowjetunion. Hinzu kamen auslandszuwanderung wäre die Bevölkerungs- Anfang der 1990er Jahre Kriegsflüchtlinge aus entwicklung aufgrund der Sterbeüberschüsse dem ehemaligen Jugoslawien. In den folgenden in Deutschland bereits seit Jahrzehnten rück- Foto: Stadt Saarbrücken 2000er Jahren sank die Auslandszuwanderung bis läufig. Das Statistische Bundesamt geht in der hin zu einem (statistisch) negativen Wanderungs- 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung saldo 2008 und einem historisch niedrigen Niveau auch langfristig von Wanderungsgewinnen (Statistisches Bundesamt 7.8.2020). der Auslandswanderung aus. Gegenüber der 9
Auslandswanderungssaldo Deutschland nach Kontinenten 1964 bis 2018 1.200.000 1.000.000 800.000 Staatenlos, unbekannt, ungeklärt, 600.000 ohne Angabe Australien und 400.000 Ozeanien Amerika 200.000 Asi en - Afrika -200.000 Europa -400.000 2006 2009 2000 2004 2008 2005 2002 2003 2007 1966 1969 1996 1999 1990 1964 1994 1968 1998 1965 1995 1992 2016 2001 2010 1993 2014 2018 2015 2012 1976 1979 1986 1989 1967 1997 2013 1970 1980 1974 1984 1978 1988 1975 1985 1972 1982 2017 1973 1983 1977 1987 1991 2011 1971 1981 Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2020, eigene Darstellung aktuellen Entwicklung werden etwas geringere Anders als bei der Arbeitsmigration bzw. der Wanderungsgewinne erwartet, die je nach EU-Freizügigkeit erfolgt bei der Fluchtmigration Variante bis 2030 auf etwa 110.000 bis 300.000 die räumliche Wohnortentscheidung gesteuert Personen zurückgehen. Der Anteil der Menschen durch Zuweisungen in Erstaufnahmeein- mit Migrationshintergrund ist im Zeitverlauf richtungen. In den Bundesländern werden gestiegen: mehr als jeder vierte Mensch in geflüchtete Menschen nach festgelegtem Ver- Deutschland hat einen Migrationshintergrund. fahren auf die Kommunen verteilt, sodass sich zunächst in etwa eine bevölkerungsproportionale Zuzüge sind regional nicht gleichverteilt Verteilung geflüchteter Menschen ergibt. Durch Neu zugwanderte Menschen, die etwa im die Wohnsitzregelung 2016 sind Schutz- und Rahmen der EU-Freizügigkeit Deutschland als Bleibeberechtigte unter bestimmten Voraus- Zielland gewählt haben, ziehen nicht gleich- setzungen verpflichtet, für die Dauer von drei mäßig verteilt in alle Städte und Regionen. Jahren nach Schutzanerkennung ihren Wohnsitz Die Zuwanderung erfolgt vielmehr verstärkt in demjenigen Bundesland zu nehmen, in das sie in städtische Zentren mit einem breiteren im Rahmen des Asylverfahrens zugeteilt wurden. Arbeitsplatzangebot sowie dorthin, wo bereits Nach der räumlich zunächst gleichmäßigeren individuelle Kontakte bestehen. Die Chancen, Verteilung ist erkennbar, dass Menschen mit dass bereits Kontakte bestehen, sind wiederum Fluchthintergrund im Zuge weiterer Umzüge, dort höher, wo bereits viele Migrantinnen und der Sekundärmigration, jeweils größere Zentren Migranten wohnen, sodass sich daraus ein Selbst- und Städte bevorzugen. In dem Maße, wie die verstärkungseffekt ergibt. Geflüchteten sich in bestehende Netzwerke 10
Picknick am laufenden Meter – organisiert vom Netzwerk ANKOMMEN, PatchWorkCity- Team und Staatstheater Foto: Stadt Saarbrücken integrieren, suchen sie die Nähe anderer diskriminierende Mechanismen der Wohnungs- Netzwerkmitglieder und Wohnraum in den vergabe) die räumliche Konzentration in weniger bestehenden Ankunftsquartieren der Großstädte. nachgefragten Quartieren. Die Angewiesenheit auf preiswerten Wohnraum trifft sowohl auf Kleinräumige Konzentration mit höheren die Haushalte zu, die im Leistungsbezug des Anforderungen SGB II sind, als auch auf Haushalte mit geringem Kleinräumig werden die Umzugsent- Einkommen und daraus resultierender geringer scheidungen der Migrantinnen und Migranten, Wohnkaufkraft. Die residentielle Segregation geht die auf preiswerten Wohnraum angewiesen somit einher mit einer sozialen Segregation. sind, am stärksten durch die lokalen Wohnungs- Aufgrund der hohen Konzentration an neu märkte gelenkt. Die Konzentration preiswerter hinzuziehenden Migrantinnen und Migranten Mietangebote besteht oft in Quartieren mit erfordern diese Zuzugsquartiere vergleichsweise höheren Anteilen an Wohnungsbeständen der mehr unterstützende Aufmerksamkeit, um die Wiederaufbauphase bis hin zu den größeren Teilhabe der neuen sowie gleichzeitig der alten Siedlungserweiterungen der 1970er Jahre bzw. Bewohnerschaft in allen gesellschaftlichen den Plattenbaugebieten in Ostdeutschland. Bei Bereichen zu ermöglichen. Dazu gehören z. B. der der Suche nach preiswerten Wohnungen in Spracherwerb, Ausbildungs- und Arbeitsmarkt- stärker nachgefragten Stadtlagen stehen neu zugänge, Bildung und Betreuung oder Gesund- zuziehende Migrantinnen und Migranten in Kon- heit. Damit übernehmen diese Quartiere eine kurrenz zu anderen Wohnungssuchenden. Hier wichtige Rolle, wenn es um Teilhabechancen aller verstärken Marktzugangshemmnisse (etwa durch Bevölkerungsgruppen geht. 11
Positive Segregation akzeptieren und Quartiersentwicklung als Schlüssel negative Effekte verhindern Die Quartiersebene als Handlungsebene hat Bislang galt in der Stadtentwicklung das sich in den vergangenen zwanzig Jahren – ins- Ziel, räumliche Konzentrationen von Gruppen besondere durch die Erfahrungen des Städte- von Personen mit Migrationshintergrund bzw. bauförderprogramms Sozialen Stadt – als sehr Segregationsprozesse zu vermeiden. Aufgrund der erfolgreich erwiesen, um Unterstützungsaufgaben bisher damit verbundenen negativen Effekte, etwa vor Ort zu organisieren. Auf Quartiersebene kann der Stigmatisierung, aber auch der Überforderung der Zugang zu Bewohnerinnen und Bewohnern von Kommunen im Umgang mit den konzen- leichter geschaffen werden aber auch Akteure, trierten sozial-integrativen Anforderungen, wie Träger sozialer Arbeit, Einrichtungen der zählt die Vermeidung von Segregationseffekten sozialen Infrastruktur sowie lokale Unter- fast durchgängig zum Zielkanon der Stadtent- nehmen können sich im Quartier zielgerichteter wicklungspolitik. Doch seit Jahrzehnten gelingt vernetzen. Die Initiierung und Moderation es nicht oder nur sehr begrenzt, Segregations- lokaler Netzwerke und Kooperationen in vor- prozesse zu vermeiden. Auch mit der jüngsten handenen Quartiersstrukturen durch Quartiers- Phase der Auslandszuwanderung haben sich nach managements ermöglicht vor Ort integrierte bisherigen empirischen Befunden kleinräumige Herangehensweisen, um die verschiedenen Segregationsprozesse noch verstärkt. Im Zeit Teilhabedimensionen von Sprache über Bildung verlauf ändert sich zudem die Wahrnehmung von und Gesundheit bis Zugang zum Arbeitsmarkt zu Segregation. In den Quartieren, in denen sich bearbeiten. „Communities“ herausgebildet und organisiert haben, werden zunehmend positive Effekte Segregierte Zuwanderungsstadtteile zu wahrgenommen. Ankunftsquartieren formen Es ist nicht die kleinräumige Segregation Wenn auf Quartiersebene die Grundlagen selbst, sondern die bislang fehlenden Konzepte und Kooperationsstrukturen geschaffen werden, für einen konstruktiven Umgang mit diesem bestehende Einrichtungen und Räume qualifiziert Phänomen, die problematisch waren. Segregation werden und Ressourcen und Kapazitäten für die gehört in ihren unterschiedlichen Ausprägungen räumlich konzentrierten Aufgaben bereitgestellt zur Realität der Stadtentwicklung. Und nur wenn werden, können segregierte Zuwanderungs- die positiven Effekte der Segregation erkannt und quartiere systematisch zu Ankunftsquartieren akzeptiert werden, können systematisch Instru- weiterentwickelt werden. Die Bündelung von mente entwickelt werden, Segregation gerade mit Unterstützungsangeboten in Ankunftsquartieren Blick auf die Aufgaben der Integration strategisch sorgt nicht nur dafür, dass negative Effekte der zu nutzen. räumlichen Konzentration vermieden werden. Sie sichert auch einen effizienten Einsatz knapper Ressourcen durch gute Zugänge zu Zielgruppen, Synergieeffekte und Mehrfachnutzungen von Räumen. 12
Doug Saunders: Empfehlungen für Es ist wichtig, Orte der Begegnung zu schaffen. Ankunftsstädte in Deutschland In englischsprachigen Ländern erfüllen Biblio- theken diese Funktion. Manche Menschen Ankunftsstadtteile entstehen organisch, weil mögen zunächst nur wegen des kostenlosen Menschen mit Migrationshintergrund sich an WLANs oder der Nutzung von Computern den Plätzen niederlassen, an denen sie am kommen, nutzen dann die öffentliche Biblio- einfachsten ankommen können. Diese Orte thek aber als Ort, um mit anderen ins Gespräch zeichnen sich durch drei Dinge aus: Es gibt zu kommen. Gerade weil die Wohnsituation bezahlbaren Wohnraum, Beschäftigungs- von Zugewanderten und Geflüchteten oftmals möglichkeiten und Netzwerke von Menschen, isoliert und beengt ist, nutzen sie solche multi- die die gleiche Sprache sprechen und einen funktionellen Orte als Wohnzimmer. ähnlichen kulturellen Hintergrund haben. Bezahlbarer Wohnraum ist noch am ehesten Ankunftsstadtteile zu verhindern, heißt auch zu vernachlässigen, weil Menschen mit Menschen davon abzuhalten, gemeinsam Migrationshintergrund einfach zusammen- zu leben. Bestehende Ängste vor Ankunfts- rücken. Aber wenn ein Stadtteil nicht die stadtteilen können nur überwunden werden, anderen zwei Voraussetzungen erfüllt, wird er wenn sie sich von gefürchteten in attraktive als Ankunftsstadtteil scheitern. Orte verwandeln, die Menschen anziehen. Politik sollte daher Ressourcen für die An diesem Punkt kommt die Stadtplanung Existenzgründung bereitstellen. Ein Großteil ins Spiel. Sie sollte Flucht- und Migrations der Zugewanderten und Geflüchteten wird bewegungen antizipieren und von erfolg- nicht Angestellte oder Angestellter, sondern reichen Integrationsquartieren lernen. Arbeitgeberin oder Arbeitgeber. Sie eröffnen Verwaltung kann z. B. das Ankommen vor Ort kleine Geschäfte oder Restaurants. Menschen erleichtern, wenn es Gebiete gibt, an denen bei der Firmengründung zu unterstützen, z. B. die Planungsvorgaben gelockert werden, durch Kredite – das hilft wirklich. Vielleicht sodass die Bewohnerschaft selbst bestimmen kann auch ein städtisches Budget zur Ver- kann, ob ein bestimmter Raum als Wohnraum fügung gestellt werden, im Sinne von „so oder etwa als „Suq“, Einzelhandels- oder kannst du dein kleines Café in ein Brasserie- Gewerbeeinheit genutzt werden soll. Auch Style Straßencafé umwandeln, sodass es auch Nutzungsmischungen in einem Haus können den europäischen Erwartungen an ein Café helfen. Wenn die Nutzung von Orten organisch entspricht.“ Dann ist auch das Phänomen wie entsteht, kann Integration viel besser funk- in Kreuzberg zu sehen – ein Ankunftsstadtteil tionieren und Stadtteile verwandeln sich in wird zum hippen In-Viertel. (Nationale Stadt- attraktive Orte, die Menschen gerne besuchen. entwicklungspolitik 2017a: 16f) 13
Ankunftsstädte und Ankunftsquartiere gestalten Deutschland ist über die vergangenen Jahrzehnte zu einem Einwanderungsland geworden. Die jüngste Einwanderungsphase mit ihrem Höhepunkt im Jahr 2015 war Anlass für den 6. Projektaufruf der Nationalen Stadtentwicklungspolitik zum Thema „Stadtentwicklung und Migration“. Aus einem breiten Feld an Bewerbungen wurden zehn Pilotprojekte ausgewählt, die zwischen 2016 und 2019 innovative interdisziplinäre Ansätze für Ankunftsstädte und Ankunfts quartiere erprobten. Zwar ist insgesamt unumstritten, dass Ankunfts- • Wie verändern sich die Städte durch quartiere eine wichtige Rolle in unserer Zuwanderung und Vielfalt? Gesellschaft übernehmen und damit auch einer • Wie können Städte und Quartiere gestärkt besonderen Aufmerksamkeit und Unterstützung werden, um ein erfolgreiches Ankommen zu bedürfen. Doch weil sich deutsche Städte erst ermöglichen? Wie kann ein Zusammenleben in nach und nach als Ankunftsstädte verstehen, fehlt Vielfalt gelingen? es an fundiertem Wissen darüber, wie wir diese • Was können Kommunen unternehmen, um Quartiere sowohl für Zuziehende als Durchgangs- innerhalb der Verwaltung und gemeinsam quartiere gestalten können und ihnen Möglich- mit der Stadtgesellschaft offene Dialoge und keiten zum gesellschaftlichen Aufstieg bieten konstruktive Prozesse zur Gestaltung der als auch für die, die bleiben, als qualitätsvolle Ankunftsquartiere zu initiieren? Wohnquartiere mit zufriedenstellenden Lebens- • Welche Themen haben besondere Relevanz bedingungen. Neue Wege im Umgang mit diesen und welche Kooperationen braucht es zu deren Foto: Maskot@gettyimages Herausforderungen zu finden, war die Aufgabe Stärkung, um zum Gelingen einer erfolgreichen der zehn Pilotprojekte. Ankunftsstadt beizutragen, so wie sie von den Die Fragen, die zu dieser Zeit Akteure aus Kuratoren des deutschen Biennale-Beitrags allen gesellschaftlichen Gruppen in den Städten gemeinsam mit Doug Saunders entwickelten beschäftigten, waren: wurden. 15
Anleitung Anleitung zur Ankunftsstadt (Arrival City) aus: Making Heimat. Germany, Arrival Country 1. Die Arrival City ist eine Stadt in der Stadt: Einwandernde Personen suchen ihre Chancen in städtischer Dichte. 2. Die Arrival City ist bezahlbar: Günstige Mieten sind eine Voraussetzung für die Attraktivität einer Stadt. 3. Die Arrival City ist gut erreichbar und bietet Arbeit: Arbeits- plätze entstehen dort, wo es bereits Arbeitsplätze gibt. Ein gutes öffentliches Verkehrsnetz ist unverzichtbar. 4. Die Arrival City ist informell: Die Tolerierung nicht gänzlich rechtskonformer Praktiken kann sinnvoll sein. 5. Die Arrival City ist selbst gebaut: Selbsthilfe beim Bau von Wohnraum wäre nötig und darf nicht durch zu hohe Anforderungen verhindert werden. 6. Die Arrival City ist im Erdgeschoss: Ob kleinteilige Geschäfts- räume im Erdgeschoss verfügbar sind, bestimmt die Qualität des öffentlichen Raums. 7. Die Arrival City ist ein Netzwerk von einwandernden Personen: Keine Angst vor ethnisch homogenen Vierteln: Sie ermöglichen Netzwerke. 8. Die Arrival City braucht die besten Schulen: Die besten Schulen sollten in den schlechtesten Vierteln sein, um die Kinder zu qualifizieren. (Herausgeber: Peter Cachola Schmal et al., 2016) 16
Je nach Maßstab und Konstellationen der Akteure den Ankommenden. Hierzu bedarf es vor allem wurden in den Pilotprojekten unterschiedliche einer zielgerichteten Kommunikation: Austausch- Ansätze erprobt. Diese reichen vom Aufbau eines formate, Dialoge im kleinen Rahmen und parti- Bürgerhauses als Kristallisationsort in einer zipativen Formen können Vertrauen stärken und kleinen Gemeinde bis zur Erarbeitung von Ent- zur Mitgestaltung von Nachbarschaft anregen. wicklungskonzepten, partizipativen Ansätzen und Mehrere Kommunen haben hier beispielhafte Kampagnen auf Quartiers- oder gesamtstädtischer Ansätze entwickelt! Ebene. In den Pilotprojekten trafen unterschied- Die in dieser Publikation dargestellten liche Gruppen aufeinander, Ehrenamtliche und Erfahrungen und erprobten Beispiele zur Hauptamtliche, Alteingesessene und Neubürger- Gestaltung von Ankunftsquartieren sollen schaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft. anregen, mit einem integrierten, kooperativen Die Pilotprojekte zeigen, dass die Gestaltung und partizipativen Ansatz auf die besonderen von Ankunftsstädten und Ankunftsquartieren Herausforderungen in diesen Quartieren zu ein Gemeinschaftswerk ist, das nur mit Hilfe reagieren. Sie soll dazu inspirieren, unter einer integrierten und fachübergreifenden jeweils individuellen Ausgangs- und Rahmen- Herangehensweise zu meistern ist. Dabei wurde bedingungen jeder einzelnen Kommune deutlich, dass in der Praxis noch nicht für alle das Instrumentarium für die Gestaltung von Themen und in allen Handlungsfeldern passende Ankunftsquartieren weiterzuentwickeln. Lösungen bereitstehen. Gänzlich neu war in vielen Nach einem einführenden Kapitel werden Pilotprojekten die intensive Beschäftigung mit in sieben Abschnitten die Ergebnisse der stadtgesellschaftlichen Dialogen, mit neuen Leit- Pilotprojekte bezogen auf verschiedene Hand- bildern und Narrativen zur Vielfalt in der Stadt. lungsfelder vorgestellt. Dabei erfolgte auch der Die Erfahrungen aus den Pilotprojekten Blick über den Tellerrand sowohl auf weitere zeigen auch, dass Stadtentwicklung sehr Kommunen bundesweit als auch international, grundlegend ansetzen muss, um zu nachhaltig u. a. auf Toronto, Kopenhagen oder Wien. Das wirksamen Lösungen zu kommen. So war in Hauptaugenmerk liegt dabei jeweils auf der mög- mehreren Projekten der sensible Umgang mit lichen Übertragbarkeit von Herangehensweisen, inneren Konflikten und Ängsten ein wichtiger Instrumenten und Maßnahmen auf andere Städte, Schritt beim Ankommen in deutschen Städten. um mit viel Ideenreichtum und Innovationskraft Die Fragen der Menschen „Wer zieht in meine den Aspekten zum Gelingen einer erfolgreichen Nachbarschaft? Wie verändert sich mein Quar- Ankunftsstadt, so wie sie von den Kuratierenden tier?“ sind dabei genauso einzubeziehen, wie des deutschen Biennale Beitrags gemeinsam mit der Umgang mit den Traumata der Flucht oder Doug Saunders entwickelten wurden, Rechnung der Hoffnung auf sichere Bleibeperspektiven bei zu tragen. Am Ende der folgenden Kapitel sollen Checks dabei unterstützen, die eigenen Ansätze zu überprüfen und ggf. durch neue Anregungen zu erweitern. Konkrete Fragen sollen Lücken aufzeigen und zur Diskussion über die Möglichkeiten zur Gestaltung von Ankunfts städten anregen. 17
London, Großbritannien Piloten, Satelliten und Sterne Kopenhagen, Das Projekt-Universum Dänemark „Stadtentwicklung und Migration“ Vernetzung gestalten in Bocholt • Willkommenskultur nachhaltig stärken – Ehren amtliches Engagement vor Ort in themenbezogenen Arbeitsgruppen zusammenf ühren • Konkrete Angebote zum Ankommen entwickeln – Fußball Akademie, Begegnungshaus und mehr • Geflüchtete begleiten – von der Erstunterbringung bis zur Integration in Nachbarschaften Toronto, Kanada Arrival Hanau – Ankommen in der Metropolregion Altena gestalten • Planen für die Arrival City – Erarbeitung eines Hand lungskonzeptes „Ankunftsstadt“ • Flexibel reagieren, neue Nutzungskonzepte umsetzen – Pop-up-Wohnen oder urbane Gärten auf Konversionsflächen erproben • Strategische Blaupause für Ankunftsstadt entwickeln – Ansätze aus Hanau in die Region übertragen Kaiserslautern – Integration findet Stadt • Im Dialog zum Erfolg – Bürgerschaft wird durch Frankfurt verschiedene Beteiligungsformate selbst zum Akteur und gestaltet Integration Barcelona, • Grundlagen erarbeiten – Quartierstypen ermitteln Spanien und ihre spezifischen Integrationsbedarfe und -potentiale systematisieren • Nachhaltigkeit garantieren – ein Bündnis für Inte Tübingen – Nachbarschaft und Vielfalt: gration begleitet die Erarbeitung des Integrations • strategische Wohnraumentwicklung für Geflüchtete konzeptes über das Projekt hinaus • Innovative Wohnraumkonzepte – das Modell der Konzeptvergabe auf die Realisierung von Wohnraum für Flüchtlinge erweitern PatchWorkCity – Saarbrücken entwickelt Vielfalt • Lebendige Quartiere schaffen – Einbindung der neuen • Fachkonzepte überprüfen – bestehende Konzepte zu Bauvorhaben und ihrer Bewohner in die jeweiligen Integration und Stadtentwicklung an neue Gegeben Nachbarschaften mit partizipativen Verfahren heiten anpassen • Potenzial „Öffentlicher Raum“ – in Konzepten öffent • Verwaltung sensibilisieren – das Thema Vielfalt liche Räume als Orte für ein integratives Miteinander über verschiedene Formate verwaltungsintern mitdenken diskutieren und implementieren • Erprobung im Quartier – in einem Ankunftsquartier mit der Stadtgesellschaft erarbeitete Maßnahmen Johannesburg, umsetzen Südafrika 18
Gestalte Deine Stadt. Osnabrücks Zukunft kennt Fachwerktriennale 2019: Integration und Qualifika- keine Herkunft tion von Migranten in Fachwerkstädten • Wissen schaffen – von amtlicher Statistik bis • Ressourcen der Flüchtlinge mit Leerstand zur Erfassung von Einstellungen und Wert zusammenbringen – ländliche Fachwerkstädte vorstellungen von Migranten werden zum Lebensraum für Migranten • Begegnung organisieren – Teilhabe eröffnen und • Qualifizierung ermöglichen – im Bau- und das Wissen der Zugewanderten für die zukünftige Zimmerhandwerk sollen Flüchtlinge an „Übungs Stadtentwicklung nutzen immobilien“ qualifiziert werden • Gestaltung möglich machen – Projektideen von • Wohnraum schaffen – selbständiges Herrichten Migranten gemeinsam mit der Stadtgesellschaft von Häusern durch Flüchtlingsfamilien umsetzen Leipzig – Integration durch Initiativmanagement • Gemeinsame Zielrichtung – Ämterübergreifende Zusammenarbeit zur Erarbeitung ganzheitlicher Konzepte • Quartiere ohne Förderkulisse stärken – Entw ick lung neuer Ansätze zum Aufbau integrierender Nachbarschaften in benachteiligten Quartieren • Netzwerke fördern – Akteure vor Ort sollen durch intensive Kooperationen gestärkt werden Arrival Stadtland Thüringen • Ländlicher Raum im Fokus – Aktives Gestalten von Migration als Impuls der integrierten Stadtentwicklung • Einzelprojekte wirken in die Stadt – in vier Modellstädten sollen Leerstand, neue Nutzer und öffentlicher Mehrwert zusammengeführt werden • Projekte im Prozess coachen – die IBA Thüringen begleitet die Modellprojekte bei Initiierung und Umsetzung Mannheim Nürnberg Daheim in Pegnitz! • Vom Einzelprojekt zur Stadtentwicklung – Errichtung eines Integrationshauses als Anlauf stelle für alle rund um das Thema Integration • Zivilgesellschaft mitnehmen – Akteure vor Ort werden unter Federführung des Bürgermeisters eingebunden Pilotprojekte: Neue Wege gehen – Mutige Akteure bei realen • Mitmachen erwünscht – Aktive Einbeziehung Experimenten begleiten. der Stadtgesellschaft, von Neuzugewanderten und Einheimischen, in allen Phasen des Projektes Satelliten: Erfolge weitergeben und Impulse setzen – Von erfolgreichen Kommunen im Themenfeld Integration und Stadtentwicklung lernen. Illustration: Mia Sedding Sterne: Über den Tellerrand schauen – Innovative Ansätze im Wien, Ausland in den Blick nehmen und als „lessons learned“ in den Prozess einbinden. Österreich Hume, Australien 19
„Ankommen“ als Dimension von Stadt- entwicklung „Ankommen“ heißt Perspektiven haben integriertes Verständnis von Stadtentwicklung Ankommen hat viele Facetten, die weit schafft viele Perspektiven und erleichtert das mehr beinhalten als das rein physische Erreichen Ankommen von Migrantinnen und Migranten. eines Ankunftszieles. Damit aus dem Erreichen eines Ankunftszieles auch ein Ankommen und Ankommen im Fokus – der Blick nach Kanada Weiterkommen wird, brauchen Zuziehende am Wenn es um die strategische Ausrichtung neuen Wohnstandort individuelle Perspektiven: der Stadtpolitik auf das Thema Ankunft geht, Ankommen braucht mehr als nur Wohnraum, es dann lohnt ein Blick nach Kanada: Die kanadische braucht Teilhabe. Für den einen ist es der Sprach- Großstadt Toronto begreift sich seit Langem als kurs, um sich möglichst schnell verständigen Ankunftsstadt. Von ihr kann gelernt werden, wie zu können, für die andere ist es das gemein- die Kommune das Ankommen und die Teilhalbe schaftliche Miteinander im Yoga-Kurs. Beim auf sehr vielen Ebenen unterstützen kann. Um Ankommen geht es um Sprache, Qualifizierung, den Zugang zu Einrichtungen und städtischen Arbeitsmarkt und Einkommenssicherung sowie Dienstleistungen wie Schulen, Bibliotheken, um die Betreuung und Bildung der Kinder, es Schwimmkursen etc. für alle Personen zu gewähr- geht um seelsorgerische, gesundheitliche oder leisten, verfolgt Toronto beispielsweise die kulturelle Teilhabe. Letztlich braucht Ankommen Initiative Access Toronto, eine „Don’t ask, don’t persönliche Perspektiven, die sukzessive eine tell“-Politik. Bei Inanspruchnahme von Leis- gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. tungen wird nicht nach einem Aufenthaltsstatus gefragt, sondern lediglich nach dem Namen und Stadtentwicklung kann das Ankommen der Adresse. Dadurch wird Neuankommenden in erleichtern Toronto Teilhabe ermöglicht. Je nach individuellem Hintergrund ver- In Toronto haben etwa 80 % der Bevölkerung läuft das Ankommen in ganz unterschiedlichem einen direkten Bezug zur Migration, da sie Foto: fotografixx@gettyimages Tempo. Ankommende sind jedoch immer auf entweder selbst oder ein Elternteil außerhalb die lokalen Voraussetzungen angewiesen, die Kanadas geboren wurde. Ressourcen, die der Teilhabe leichter oder schwerer machen können. Integration von Einwanderern dienen, stehen in Wie Stadtentwicklung von der Kommune selbst Toronto umfassend zur Verfügung: verstanden und gestaltet wird, ist ein wichtiger • In „Newcomer Services Kiosks“, die von der Baustein für gelingendes Ankommen: Ein breites, Stadt in Kooperation mit den jeweils fachlich 21
zuständigen kommunalen Einrichtungen Neben einem multikulturellen Flair und Offenheit bereitgestellt werden, erhält jede Person bringt die Vielfalt Torontos auch einen wirtschaft- Informationen und Beratung zu Themen wie lichen Wettbewerbsvorteil: In einer globalisierten Bildung, Arbeit, Gesundheit, Wohnen, Schule Welt erleichtert sie die Erschließung neuer Märkte und gemeinnützigen Einrichtungen (vgl. im Ausland sowie ethnische Nischen im kana Toronto 07.10.2020). dischen Markt (Allahwala 16.10.2020). Diversität • Um die Arbeitsplatzsuche qualifizierter wird deshalb in Toronto als Stärke beschrieben Zugewanderten zu erleichtern, hat die Stadt- und ist bereits seit 1998 offizielles Aushängeschild verwaltung zusammen mit dem Toronto Region der Stadt: „Diversity, Our Strength“! Immigrant Employment Council das Pro- gramm „Profession to Profession – Mentoring Sensibilität für Aufgaben und Chancen Immigrants“ ins Leben gerufen. In dem Pro- der Vielfalt gramm werden Migrantinnen und Migranten In Toronto ist Diversität ein selbstbewusstes mit Mentorinnen und Mentoren der gleichen Motto und damit die Integration von Neuan- Branche zusammengebracht, um ihnen in kommenden selbstverständlich. Auch in Europa einem Zeitraum von drei bis vier Monaten die sind Kommunen auf dem Weg dahin und Geschäftskultur Kanadas zu vermitteln. Darüber bemühen sich, über unterschiedliche Ansätze für hinaus werden Sprachkurse, Kinderbetreuung, das Thema zu sensibilisieren. So wird in Wien Kultur- und Freizeitprogramme angeboten. in der Verwaltung z. B. jährlich ein „Diversity • Jährlich wird der Toronto Newcomer Day Check“ wiederholt und seitens der Pilotprojekte gefeiert. Er dient dazu, Migrantinnen und hat sich die Stadt Saarbrücken mit dem Thema Migranten über kommunale Unterstützungsan- auseinandergesetzt. gebote zu informieren und die Vielfalt Torontos Diversitätsmanagement steht nicht mehr zu feiern. nur bei größeren Unternehmen auf der Tages- ordnung. „Wer sind unsere Zielgruppen?“ oder „Passt unsere Kommunikation zu unseren Kunden?“ Dies sind nur zwei der Fragen, die sich alle Dienststellen der Stadt Wien im Zuge des jährlichen Diversity Checks stellen. Die Vielfalt der Stadtgesellschaft wird zum Ausgangspunkt, um die eigenen Angebote und Dienstleistungen zu überprüfen und diversitätsbewusst auszurichten. Die Strategien sind vielfältig: Neben der Optimie- rung der Produkte und Dienstleistungen Begrüßung von Zuwanderern durch den Bürgermeister beim Newcomer Day 2017 in Toronto Foto: City of Toronto 22
(z. B. Informationsblätter/Ausfüllhilfen in zum Teil über 20 Sprachen oder interkulturelle Kalender) werden bewusst Mitarbeitende mit unterschiedlicher Herkunft eingestellt, kosten- lose Weiterbildungen für Schlüsselpersonen und Ehrenamtliche durchgeführt, Führungskräfte für das Thema sensibilisiert und Schulungen für Mitarbeitende angeboten. Osnabrück – Grundlagenwissen schaffen In dem Pilotprojekt in Saarbrücken setzt sich die Verwaltung intensiv mit dem Thema „Viel- In Osnabrück war es Zielsetzung von Politik und Verwaltung, in falt in der Stadt(teil)entwicklung“ auseinander. einem ersten Projektbaustein die Wissensgrundlagen über das Eine ganze Reihe von städtischen Ämtern sowie Leben von Migrantinnen und Migranten in Osnabrück zu ver- Verwaltungseinheiten des Regionalverbandes bessern. Dazu wurde eine Online-Befragung in sieben Sprachen Saarbrücken arbeiten in Workshops und durchgeführt. Rund 620 Fragebögen konnten ausgewertet Veranstaltungen gemeinsam an dem Thema. werden und gaben breite Informationen: zum Lebensgefühl der Unterstützt von externen Fachkundigen, wurde Migranten in Osnabrück, zu ihrer Verbundenheit und Integration eine Fortbildung zum Thema „Internationales in Bezug auf die Gesamtstadt und den Stadtteil, in dem sie leben, Saarbrücken: Mehr wissen über Migration in Informationen zur Wohnsituation, zum Freizeitverhalten oder zur Geschichte und Gegenwart“ durchgeführt. Der Mobilität. Parallel wurden Gesprächsrunden mit verschiedenen städtische „Kompetenzpool Bürgerbeteiligung“ Migrantenorganisationen durchgeführt und statistische Grund- organisiert Erfahrungsaustausche zur Bürger- lagendaten aufbereitet. Im Ergebnis zeigt sich, dass der Alltag beteiligung und ein Workshop zum Thema und die Wünsche von Migrantinnen und Migranten sehr ähnlich „Kommunales Integrationsmanagement“ hat zu denen der Gesamtgesellschaft sind. Gerade im Hinblick auf Vertreterinnen und Vertreter der Stadtverwaltung, stadtentwicklungspolitische Erfordernisse verlaufen Unter- des Regionalverbandes, der Gemeinwesenprojekte schiede eher zwischen sozialen Gruppen bzw. Altersklassen als und Quartiersmanagements zusammengebracht. zwischen herkunftsbezogenen Merkmalen. Diese Ergebnisse Darüber hinaus wurde eine Hochschule bestätigen eine post-migrantische Perspektive, die Unter- damit beauftragt, bestehende städtische Konzepte schiede weniger zwischen ethnischen als zwischen sozialen unter dem Gesichtspunkt der Migration und Gruppen sucht. Die Befragung macht ebenfalls sichtbar, dass Integration zu analysieren, um hier Weiter- ein großer Anteil der befragten Migrantinnen und Migranten entwicklungspotenziale aufzuzeigen. Die Ergeb- Diskriminierungserfahrungen, z. B. bei der Wohnungssuche, nisse sind zunächst in die Weiterentwicklung und gemacht hat. Herkunftsbezogene Merkmale spielen demnach Neufassung des Integrationskonzeptes der Stadt keine besondere Rolle in Bezug auf Wünsche und Verhalten, aller- Saarbrücken eingeflossen. dings führen sie umgekehrt zu Zuschreibungen und Vorbehalten. Die Ergebnisse wurden in drei Bänden veröffentlicht. Sie dienen als Grundlage für den weiteren Stadtentwicklungsprozess (Stadt Osnabrück 2018a/b/c). 23
Integration als Querschnittsaufgabe der die Stadtgrenze sowie Wanderungsbewegungen Stadtentwicklung innerhalb der Stadt (aus/in andere statistische Die Stadt Osnabrück betrachtet das Thema Bezirke). Integration als Querschnittsthema in allen Insgesamt wurden in Saarbrücken auf dieser strategischen Zielen der Stadtentwicklung. Damit Grundlage 19 Gebiete identifiziert. Auch wenn geht das Ziel einher, Osnabrück als lebenswerte diese Gebiete in der Stadtverwaltung aus unter- Stadt für alle in Osnabrück lebenden Menschen schiedlichen Gründen schon bekannt waren, so zu gestalten. Um diesem Anspruch gerecht zu hilft die kleinräumige Bestimmung der „Ankunfts- werden, war es notwendig, zunächst vertiefendes quartiere“ Schwerpunkte zu setzen und gezielt Wissen zu generieren, um Aufgaben besser angepasste Strategien zu erarbeiten. zu erkennen und auf verschiedene Personen- gruppen, die sich z. B. in Vereinen organisiert Quartiersentwicklung – der Schlüssel für haben, besser zugehen zu können. Die Ver- das Ankommen waltung hat sich im Rahmen des Projektes der Der Einzug in die eigene Wohnung gehört Nationalen Stadtentwicklungspolitik „Gestalte zu den zentralen Schritten des Ankommens. Bei deine Stadt. Osnabrücks Zukunft kennt keine der Zuwanderung von Geflüchteten ist es meist Herkunft“ das Ziel gesetzt, Migrantinnen und der Schritt aus einer Gemeinschaftseinrichtung Migranten viel stärker in kommunale Zukunfts- in die eigene Wohnung. Mit allen Schwierigkeiten dialoge einzubinden: Ihre Kompetenzen sollen für der Wohnungssuche, gerade in angespannten die gesellschaftliche, bauliche und wirtschaftliche Wohnungsmärkten sowie durch Marktzugangs- Entwicklung der Stadt genutzt werden. hemmnisse, wird mit dem Einzug auch die künftige Nachbarschaft und die Infrastruktur im Ankunftsquartiere erkennen Umfeld sowie die Rahmenbedingungen für die Im Pilotprojekt Saarbrücken hat ein Sozial- Organisation des Alltags festgelegt. Damit werden wissenschaftler durch Auswertung kleinräumiger auch nachbarschaftliche Kontaktmöglichkeiten Daten der amtlichen Statistik Ankunftsquartiere und letztlich die Verfügbarkeit vorhandener identifiziert. Insgesamt sieben Indikatoren Angebote sozialer und privater Infrastruktur wurden dazu in einer Faktoren- und Clusterana- in Wohnortnähe beeinflusst. Die Stadt- bzw. lyse zusammengefasst, um die beiden Faktoren Quartiersentwicklung trägt somit dort, wo „Segregation“ und „Fluktuation“ auf der Ebene Wohnraum für neu hinzuziehende Migrantinnen der statistischen Distrikte und Bezirke Saar- und Migranten erschwinglich und zugänglich brückens abzubilden. Als Indikatoren wurden ist, eine Verantwortung für die Gestaltung des herangezogen: SGB II-Quote (soziale Segregation), Ankommens. Das Ankommen in den Quartieren Anteil von Personen aus dem Ausland (ethnische und die Gestaltung der Rahmenbedingungen für Segregation), Anteil unter 18-Jähriger (demo- neu zuziehende Migrantinnen und Migranten, grafische Segregation) und für die Fluktuation aber auch für die bestehende Nachbarschaft („Durchlauffunktion“) der Gebiete die folgenden sind somit erweiterte Versorgungsaufgaben, vier Indikatoren: anteilige Wanderungs- die unmittelbar an die Wohnraumversorgung bewegungen (Zu- und Abwanderungen) über geknüpft sind. 24
Ankommen im Quartier – Strukturen für Ankunftsquartiere Stabile Strukturen, die die sozialräumliche Integration im Blick haben, erleichtern das Ankommen. Aber auch die Qualifizierung der Mitarbeitenden in sozialen und kulturellen Ein- richtungen, Vereinen und Initiativen im Stadtteil ist sinnvoll, um Integrationsaufgaben gerecht zu werden. Die Stadt Leipzig hat den Versuch unternommen, die Akteure in einem Ankunfts- quartier durch den Aufbau eines Netzwerkes und die Qualifizierung von Mitarbeitenden zu stärken. Der Prozess war erfolgreich, weil die einzelnen Einrichtungen einen Mehrwert für sich erkannt haben: gemeinsame Weiterbildungen, Aktivitäten im Quartier, Kooperationen von Einrichtungen sowie neue Unterstützungsstrukturen durch die Stadt Leipzig (Bürogemeinschaft Gauly & Volg- mann 2020). Durch das lokale Engagement und das gemeinsame Handeln konnte neben neuen Strukturen, wie einem regelmäßigen Arbeitskreis mit thematischen Projektgruppen, ein Quartiers- fonds etabliert werden. Mockauer Sommer in Leipzig Foto: Mahmoud Dabdoub Leipzig – ein Verfügungsfonds für das Quartier In Leipzig wurde ein fraktionsübergreifender Antrag zur „Etablierung eines Ver- fügungsfonds im Rahmen der Stadterneuerung in Mockau“ vom Rat der Stadt beschlossen. Da Leipzig-Mockau nicht in einer Förderkulisse der Städtebauförderung liegt, wird der Fonds zu 100 % aus dem kommunalen Haushalt finanziert. Die formale und inhaltliche Prüfung der Anträge hinsichtlich fördertechnischer Voraussetzungen erfolgt durch das Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung. Nach formaler Prüfung wird der Antrag an das lokale Entscheidungsgremium übergeben. Jährlich können 20.000 Euro als Zuschüsse an Vereine, Initiativen, Institutionen und Einzelpersonen vergeben werden. Förderfähig sind alle Projekte, die zur Aufwertung und Belebung des Stadtteils beitragen. Die Bandbreite bisheriger Projekte ist weit: Gefördert wurden z. B. Aktivitäten im Zusammenhang mit dem „Bunten Mockauer Sommer“, einem jährlich wiederkehrenden, temporären Begegnungsort von Jung und Alt im Quartier, eine Coachingreihe für Beteiligte zu Themen wie „Gelingende Integration“, „Konflikt- management“ oder „Religionskunde“ sowie ein Kunstprojekt, das die Geschichte eines Geflüchteten erzählt. 25
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