06| 2020 - Der Paritätische
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I N H A LT 14 20 31 ▌ EDITORIAL 3 ▌ SOZIALPOLITIK ▌ Schwerpunkt Vermischtes 29 Das Verbandsmagazin im Wandel der Jahre 4 Sind die Kindertageseinrichtungen schon winterfest? 31 Liebe Abgeordnete, was haltet ihr von uns? 6 ▌ VERBANDSRUNDSCHAU Unsere Abteilungen im Paritätischen 8 Digitale Transformation in der Wohlfahrtspflege /Frisch gedruckt 32 Parität in Zahlen 11 Für die Unterbringung der Moria-Flüchtlinge! Wer kennt den Paritätischen? 12 /Frisch gedruckt 33 Der Paritätische Paritätische (Online-)Termine 34 Spiegelbild bürgerschaftlichen Engagements 13 Einkaufsvorteile nutzen/Impressum 35 Interview mit Josef Schädle 14 Der Paritätische Armutsbericht und seine Geschichte 17 Der Verband und seine Häuser 18 Parität Aktiv. Ein paar Eindrücke aus den letzten, Nicht nur gedruckt besonders aktiven Jahren 19 sondern auch unter Kinder von Moria 20 facebook.com/paritaet Drei Fragen an Tim Ellmer 23 bei Twitter unter @paritaet Unser Paritätisches Alphabet 24 bei Instagram als paritaet Deutsche Fernsehlotterie 26 Wohlfahrtsmarken/UNION-Versicherung 27 Unsere Paritätischen Landesverbände 28 Dieses Magazin kann als barrierefreie pdf-Datei im Internet heruntergeladen werden: www.paritaet.org 2 www.der-paritaetische.de 6 | 2020
E D I TO R I A L LIEBE LESER*INNEN, mit dieser Ausgabe des Verbandsmagazins wollen wir den Blick einmal nach innen richten: in den Paritätischen selbst. Wir zeigen, welche Themen uns bewegen, wie wir arbeiten und was wir unseren Mitgliedern bieten. Dabei geht es über die Vorstellung von einzelnen Abteilungen über Fachpolitiken bis hin zu Dienstleistungsangeboten. Wir haben auch Politiker*innen ge- fragt, welches Bild sie vom Paritätischen haben. 96 Jahre nach der Gründung ist der Paritätische ein starker und vielseitiger Verband mit über 10.700 Mitgliedsorganisationen. Der Gesamtverband zählt die 15 Landesverbände und 147 überregionale Mitgliedsorganisationen als Mitglieder. Für die Arbeit des Paritätischen und seiner Mitglieder ist auf allen Feldern der Wohlfahrtspflege die Werteorientierung fundamental: bei der Arbeit in der Pflege, mit Migrant*innen, in der Kinder-, Jugend- und Gesundheitsarbeit, in der Bildung und mit behinderten Menschen, in der Gefährdeten- und Straffälligenhilfe, in Frauenhäusern und so weiter. Es geht immer um ein Gemeinsames: um das gute Zusammenleben aller Menschen, Professor Dr. Rolf Rosenbrock, um Hilfe zur Selbsthilfe, um Selbstbefähigung, um die Überwindung von Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands Hindernissen, die diesen Zielen entgegenstehen, um die Verringerung sozi- al bedingter Ungleichheit und um die Ermöglichung von Teilhabe – physische, psychische, soziale, materielle Teilhabe. Letztlich geht es um die Förderung von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Im Arbeitsalltag ist es oftmals eine Herausforderung, bei knappen Ressourcen und hoher Arbeitslast Werte, Fachlichkeit und Effizienz miteinander zu vereinbaren. Die Gründe dafür sind vielseitig und müssen bearbeitet werden. Das wird desto besser gelingen, je stärker wir diese Werte als Grundlage nicht nur unserer Arbeit, sondern für das gesellschaftliche Zusammenleben insgesamt offensiv betonen und einfor- dern und damit zugleich die Stärke des Paritätischen als wesentlichen Akteur der Freien Wohlfahrtspfle- ge hervorheben. Deshalb muss soziale Arbeit, müssen wir, auch öffentlich benennen, dass ein großer Teil der bearbeiteten Probleme ihre Verursachung in der wachsenden Spreizung von Einkommen und Teilha- bechancen, in der Schere zwischen Arm und Reich hat. Soziale Arbeit ist befugt und meines Erachtens auch verpflichtet zu zeigen, wie Ungleichheit wirkt und durch welche Maßnahmen dieses Dilemma zumin- dest verkleinert werden könnte. Darum ist die Armutsberichtserstattung durch den Armutsbericht u.a. ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Um mit breiter Wirkung in der Gesellschaft und für die Bekämpfung von Ungleichheit wirksam zu werden, braucht es Bündnispartner. Deshalb engagieren wir uns u.a. mit vielen Partnern im Bündnis #Unteilbar für eine offene Gesellschaft und gegen Rassismus, mit Kinderschutzbund und vielen weiteren gegen Kin- derarmut oder zusammen mit dem BUND und anderen Organisationen für eine sozial-ökologische Trans- formation. Gegenüber der Politik und Öffentlichkeit ist die soziale und wertebasierte Innovationskraft der freien Wohlfahrtspflege zu betonen. Innovationen der sozialen Arbeit als Antwort auf soziale Herausforderun- gen entstanden und entstehen vor allem in der praktischen Arbeit unserer Mitglieder. Die Gemeinnützig- keit und das damit verbundene Verbot der Gewinnentnahme sind das zentrale Wesensmerkmal, das garantiert, dass die Lösungen und sozialen Innovationen, die von der Freien Wohlfahrtspflege ausgehen, ausschließlich unseren Klient*innen und der Förderung des Allgemeinwohls dienen. Herzlich, Ihr Rolf Rosenbrock www.der-paritaetische.de 6 | 2020 3
SCHWERPUNKT DAS damals nur von Frauen ausgeführt wurde. Gute Nachrichten gab es auch für alle Rentner*innen: Wenn sie 25 Jahre in die Pensi- onskasse der Freien Wohlfahrtspflege eingezahlt hatten, konnten VERBANDSMAGAZIN sie sich über 100 DM Rente im Monat zusätzlich freuen. JANUAR/FEBRUAR 1968 IM WANDEL DER Noch recht schlicht, aber bereits mit farbigem Titel JAHRE begann das sagenumwobe- ne Jahr 1968 mit den „DPWV-Nachrichten“. Die gesellschaftlichen Umwäl- Mit diesem Heft geht eine Ära zu Ende. Seit 1951 zungen zeigen sich auch be- erscheint das Magazin des Paritätischen Gesamtverban- reits in dieser Ausgabe. Ein des als Mitgliedermagazin. Die vorliegende Ausgabe ist Vertreter von pro familia die vorerst letzte, die in gedruckter Fassung erscheint. sprach sich deutlich für Ver- Ab 2021 wird unser Magazin zwar weiter erscheinen, hütung sowie das Selbstbe- aber nur noch digital und mit dem Relaunch der neuen stimmungsrecht der Frau aus. Ein Text, der 42 Jahre Webseite Mitte kommenden Jahres in einem ganz später leider wieder Aktu- modernen Design. alität besitzt. Auch heute Wir wollen diesen Anlass nutzen, um einmal durch antiquiert wirkende Para- unsere bisherigen Hefte aus sieben Jahrzehnten zu graphen wie das sogenann- blättern und einen kleinen Rückblick zu gestalten. Viel te „Unehelichenrecht“ wurden thematisiert und es wurde be- grüßt, dass sog. ehelich und unehelich geborene Kinder (letztere hat sich über die Jahre immer wieder geändert in machten etwa fünf Prozent aus) nun rechtlich gleichgestellt wer- Design, Themen, Umfang und sogar Namensgebung den konnten. So ganz ist die Emanzipation aber noch nicht in des Magazins und wird sich auch zukünftig ändern. Der der Wohlfahrt angekommen. Auf der letzten Seite sucht ein nächste große Schritt wird die Digitalisierung unseres „Sozialarbeiter, 46 Jahre“ eine neue Stelle als Heimleiter und Verbandsmagazins sein. wirbt mit dem Satz: „Die Ehefrau ist zur Mitarbeit bereit.“ APRIL 1976 APRIL 1952 Immer noch in schwarz, Ungewöhnlich für einen weiß und blau präsentiert überkonfessionellen Wohl- sich das Titelbild Mitte der fahrtsverband machte das Siebziger. Zwei pfiffige Co- Magazin zu Ostern mit ei- mic-Kids freuen sich, dass nem Bibelvers aus dem Ko- Mutti nach dem Besuch des rintherbrief auf. Vor dem Müttergenesungswerkes Hintergrund, dass über 95 wieder Bäume ausreißen Prozent der (West-)Deut- könnte und präsentieren schen Anfang der fünfziger selbigen als Beleg. Auch im Jahre einer der beiden Inneren wird ein anderer christlichen Kirchen ange- Ton angeschlagen. Wo der hörten, dann doch nicht so Einleitungstext zuvor noch ungewöhnlich. Einleitend grußlos begann und streng lobte Gerda von Craushaar, mit „Die Schriftleitung“ die Leiterin der Centrale schloss, eröffnete man in für die Fürsorge, die Rolle den Siebzigern bereits mit der Hauspflegerin, welche „Hallo Freunde!“ und nutzte das vertraute Du. Diskussionsbei- Familien in Not unterstützte. Diese Not konnte in der noch stark träge gab es auch noch 1976, wie den Aufsatz „Freizeit in den vom Patriarchat geprägten Gesellschaft die Berufstätigkeit der Sozialen Diensten – Aufgabe oder modisches Gerede?“ Der Au- Tochter sein, durch die diese sich nicht mehr um den Haushalt tor kam zum Schluss: Mitnichten Mode, auch Menschen mit Be- der Eltern kümmern konnte. Der Beruf wurde selbstverständlich hinderung haben ein Recht auf eine ausfüllende Freizeitgestaltung. noch nicht gegendert und im Text wurde deutlich, dass er auch 4 www.der-paritaetische.de 6 | 2020
SCHWERPUNKT AUGUST 1983 SOMMER 2003 Technische Innovationen Die ersten ahnten bereits, halten auch in die Wohl- dass der von SPD und Grü- fahrt Einzug: Auf dem Ti- nen durchgeführte radikale telbild hält Dr. Rudolf Ni- Umbau des Sozialsystems colussi Tonträger der von durch die Agenda-Gesetze ihm geleiteten „Norddeut- mit großen Nachteilen für schen Blindenbücherei“ in die Betroffenen einherge- die Kamera. Während hen könnten. Ein Artikel heute Hörbücher auf dem von Karl-Heinz Theußen, Smartphone im Alltag dem Bundeskoordinator jede längere Fahrt interes- Jugendsozialarbeit, wirkte santer gestalten, waren in dieser Ausgabe wie eine vorgelesene Bücher 1983 Prophezeiung. Schon da- noch ein spezielles Ange- mals sah er den „Kahlschlag bot für blinde Menschen, ohne Alternative.“ So beti- die diese in einer der acht telte er seinen Artikel und Tonbandbüchereien aus- forderte ein Überdenken leihen konnten. Das große der Maßnahmen. Dazu be- Thema dieser Ausgabe waren darüber hinaus Geburtsvorberei- richteten zahlreiche Bildungsträger in dieser Ausgabe, welche tungen. Was bereits in den zwanziger Jahren in den USA zum negativen Auswirkungen die geplanten Reformen für sie haben medizinischen Standard gehörte und staatlich gefördert wurde, würden. Die meisten waren sich einig: Nichts Gutes. sollte auch zunehmend in Deutschland Einzug halten. Die Ge- burtsvorbereitung und die Ausbildung qualifizierter Geburtshel- ferinnen und Hebammen (auch hier offenbar noch Frauenarbeit) FRÜHJAHR 2017 sollte die hohe Säuglingssterblichkeit senken. Mitte der Siebziger Und schon wieder eine Na- lag sie selbst in Deutschland noch bei über 20 Prozent. mensänderung. Seit zehn Jahren schon gibt es ein neues Logo, das Magazin JUNI 1990 heißt inzwischen einfach Die DPWV-Nachrichten nur „Der Paritätische“ und heißen inzwischen „nach- tut es bis heute. Das Jahr richten PARITÄT.“ Und 2017 war schwerpunktmä- auch sonst hat sich wieder ßig geprägt von der Bun- eine Menge geändert. Die destagswahl. Dementspre- DDR ist Geschichte, aber chend formulierten in die- die Menschen, die dort in ser speziellen Ausgabe der Wohlfahrt gearbeitet Paritäter*innen ihre Forde- haben, machen natürlich rungen an die kommende im wiedervereinigten Bundesregierung und tra- Deutschland weiter. In der fen Vertreter*innen der Ausgabe wird berichtet damals fünf im Bundestag über die „Gründungserklä- vertretenen Parteien. Die AfD wurde nur kurz am Rande er- rung“ verschiedenster Or- wähnt. Obwohl erst drei Jahre alt, liest sich diese Ausgabe wie ganisationen wie der aus einer anderen Epoche, ohne Rechtspopulist*innen und Aids-Hilfe DDR, dem ASB, Rechtsradikale im Bundestag. Der Herausforderung, mit der seit- dem VdK oder dem dem gewachsenen Präsenz rechter Akteur*innen in Parlamenten Guttemplerorden, die sich umzugehen, muss sich der Paritätische leider immer öfter stellen. in einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschlossen, um sich gegen- seitig zu unterstützen. Auch neue ethische Entwicklungen spielen io ne n eine Rolle in diesem Heft: Es wurde über die neuesten Möglich- We it er e In fo rm at keiten und Gefahren der Reproduktionsmedizin diskutiert – eine Diskussion, die heute auch noch unter dem Stichwort „Designer- Auch in Zukunft keine Ausgabe verpassen? babys“ weiter aktuell ist. Jetzt unser Verbandsmagazin digital abonnieren, schreiben Sie einfach eine Mail an redaktion@paritaet.org . www.der-paritaetische.de 6 | 2020 5
SCHWERPUNKT LIEBE ABGEORDNETE, tenhilfe, Behindertenhilfe und der Pflege. Hier stehen wir gerade in Corona-Zeiten vor besonderen Herausforderungen, denen sich die Politik mit vielfältigen Hilfsmaßnahmen für die soziale WAS HALTET IHR VON Infrastruktur gestellt hat. Die Stärkung des sozialen Zusammen- halts der Gesellschaft und die Unterstützung schwacher Perso- nengruppen eint uns als gemeinsames Ziel. UNS? Peter Weiß ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag Ständig stehen wir im Austausch mit KERSTIN TACK (SPD) Politiker*innen, um unsere Positionen Wer gute Politik machen möchte, braucht Erfahrun- zu Sozial-, Bildungs- und gen aus der Praxis. Der Gesundheitspolitik in die einzelnen Paritätische ist breit aufge- Parteien und Fraktionen zu tragen. stellt und verfügt über eine hohe Expertise. Er bringt Daher haben wir Abgeordnete der sich oft kritisch aber immer demokratischen Fraktionen im konstruktiv in den Gesetz- Deutschen Bundestag gefragt: Was gebungsprozess ein und prägt so die deutsche Sozi- verbinden Sie mit dem Paritätischen? alpolitik. Als Sprecherin für Arbeit und Soziales der PETER WEISS (CDU/CSU) SPD-Fraktion im Deut- schen Bundestag ist die Zusammenarbeit mit dem Paritätischen Als Sozialpolitiker ist es eine demnach sehr wertvoll für meine politische Arbeit. besondere Aufgabe, bei der Gestaltung des Sozialrechts Besonders prägnant und positiv bleibt mir die Zusammenarbeit mitzuwirken. Diese Mitwir- mit dem niedersächsischen Landesverband zum Bundesteilhabe- kung lebt auch von der Arbeit gesetz im Kopf. Als hannoversche Bundestagsabgeordnete habe der sozialen Verbände. Der ich zum Landesverband einen besonders engen Draht, vor allem Paritätische Wohlfahrtsver- zur Vorsitzenden, Birgit Eckhardt. Im Rahmen des Bundesteilha- band ist hier ein wertvoller begesetzes verbessern wir die Teilhabe behinderter Menschen Impulsgeber. Mit vielen seiner an der Gesellschaft. Das ist eines der größten Gesetzesvorhaben über 10.000 Mitglieder und in der letzten Legislaturperiode. Verbände, die die ganze bunte Vielfalt der Wohlfahrtspflege Auch im Rahmen des Teilhabechancengesetzes erinnere ich mich in Deutschland abdecken, stehe ich im persönlichen Kontakt. zum Paragrafen 16i an eine sehr gute und konstruktive Zusam- Viele Impulse des Paritätischen haben schon in der politischen menarbeit mit dem Paritätischen Gesamtverband. Langzeitar- Arbeit Berücksichtigung gefunden und sind so in Gesetze einge- beitslose zurück ins Berufsleben zu bringen – das war unser Ziel flossen. Ein gutes Beispiel ist das Bundesteilhabegesetz. Der und das haben wir erreicht. Paritätische versteht sich zu Recht als Anwalt der Schwachen. Unser Staat leistet auch für diese Menschen sehr viel. Natürlich endet die Arbeit an einem Gesetz nicht, wenn es ver- abschiedet wird. Auch zu Gesetzesänderungen gibt der Paritäti- Dort wo der Einsatz des Staates an die Grenzen des Machbaren sche aktiv Stellungnahmen ab. In diesem Sinne freue ich mich auf stößt, ist ehrenamtliches Engagement gefragt. Jedes Jahr leisten eine weitere produktive Zusammenarbeit. mehr als 13.000 Freiwillige ein FSJ oder einen BFD bei den Pari- Kerstin Tack ist Sprecherin für tätischen Freiwilligendienstträgern. Das verdient besondere An- Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion erkennung. Gerade in unsicheren Zeiten haben wir gemerkt, wie wichtig die BEATE MÜLLER-GEMMEKE (GRÜNE) ehrenamtlichen und sozialen Strukturen der Verbände sind. Oft Für mich sind der Paritätische und seine engagierten Vertreter*in- sind sie vor Ort Helfer in der Not und halten unsere Gesellschaft nen eine beständige Begleitung meiner beruflichen Laufbahn. In zusammen. Sie sind ein unverzichtbarer Teil unseres Sozialstaats, meinem früheren Leben als selbstständige Sozialpädagogin habe weil sie mit ihren Angeboten ganz wesentlich zur gesellschaftli- ich die unterschiedlichsten ESF-Projekte in Baden-Württemberg chen Integration benachteiligter Gruppen beitragen. Besonders entwickelt und begleitet. Als Honorarkraft beim Paritätischen hervorzuheben ist das Engagement des Paritätischen in der Al- habe ich das Schulungsprogramm „EPM – ESF-Projekte managen 6 www.der-paritaetische.de 6 | 2020
SCHWERPUNKT – Erfolg sichern“ mit ange- eines staatlichen Programms. Die dezentrale und vielfältige Kre- schoben und die ersten ativität der freien Wohlfahrtseinrichtungen erscheint mir uner- Angebote mit entwickelt, setzlich, wenn es darum geht, Menschen in unserer Gesellschaft um Träger im Umgang mit zu helfen, die es ohne Hilfe sehr viel schwerer hätten. Dafür dem ESF fit zu machen. möchte ich dem Verband und seinen Mitgliedern herzlich danken. Etwas Entwicklungspotenzial beim Verband und seiner jüngeren Das hat mir nicht nur viel Positionierung sehe ich bei der Frage, ob sozialpolitisch viel auch Spaß gemacht, sondern es immer gleich viel helfe. Das ist vielleicht zu viel verlangt von einem hat mich inhaltlich auch wei- Interessenverband, aber Fördern und Fordern ist auch hier der tergebracht. Vor allem aber richtige Weg. hat sich EPM als sinnvolles Johannes Vogel ist Arbeitsmarkt- und gern genutztes Ange- und rentenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion bot etabliert. Heute als Abgeordnete im Bundestag bin ich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik treu geblieben und kann mich auf Praxiseinblicke, professionelle Sachverständige in öffentlichen KATJA KIPPING (LINKE) Anhörungen, Hinweise auf Leerstellen in unseren Konzepten, Wenn in der Öffentlich- aber auch auf unterstützende Kommentare aus den Reihen des keit Sozial- und Gesund- Paritätischen verlassen. heitspolitisches verhandelt wird, kann man sicher sein, Der Paritätische Gesamtverband bereichert uns – die Bundes- dass der Paritätische tagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen – auch in unserem Wohlfahrtsverband un- Gewerkschafts- und Sozialbeirat. Hier diskutieren wir Zukunfts- überhörbar seine Stimme fragen, stellen grüne Programmatik zur Diskussion und erhalten erhebt. Als Dachverband vom Beiratsmitglied Ulrich Schneider klare und inspirierende von über 10.000 eigen- Ansagen. Danke also für die engagierte, immer auch (medial) ständigen Organisationen, präsente und vor allem inhaltlich kompetente Arbeit. Wir brau- Einrichtungen und Grup- chen diese wichtige Stimme und den beharrlichen Einsatz für pierungen im Sozial- und soziale Gerechtigkeit! Gesundheitsbereich ver- Beate Müller-Gemmeke ist Sprecherin für fügt er über eine große Kompetenz, um fundiert Expertise und ArbeitnehmerInnenrechte und aktive Arbeitsmarktpolitik politische Forderung zu verbinden. Mich persönlich verbindet mit dem Paritätischen Wohlfahrtsver- JOHANNES VOGEL (FDP) band sein unbeugsames Eintreten für die Rechte derjenigen, die So richtig in Kontakt gekom- in dieser Gesellschaft zu wenig Beachtung finden, die in sozialer men bin ich mit „dem Paritä- Not leben oder individuelle Beeinträchtigungen erleiden - und ter“ ab dem Jahr 2009. Als von daher auf Unterstützung angewiesen sind. Dass man dabei junger Bundestagsabgeord- auch für manche politischen Kräfte unbequem werden kann, liegt neter mit Schwerpunkt Ar- in der Natur der Sache. beit und Soziales habe ich damals zu vielen Organisati- Sei es beim Einsatz für Sanktionsfreiheit, sei es beim Nachweisen, onen und Gesprächspart- dass die Bundesregierung die Hartz-IV-Regelsätze kleinrechnet, nern Kontakt gesucht, um zu beim Kampf gegen Kinderarmut, bei Aufrufen für Demonstrati- lernen. Um die Meinungsviel- onen wie Unteilbar – überall ist der Paritätische aktiv. falt in diesem Politikbereich Erst neulich waren wir uns bei einem Spitzengespräch einig: Uns kennen zu lernen, eigene stehen harte Verteilungskämpfe bevor, und darin müssen wir Ideen austesten zu können zusammen mit anderen dafür eintreten, dass die Kosten der Co- und Leute zu finden, auf deren fachliche Einschätzung man sich ronakrise nicht auf die Ärmsten oder diejenigen, die den Laden inhaltlich verlassen konnte. Das galt dann damals auch für die am Laufen halten, abgewälzt werden, sondern durch eine stär- Vertreterinnen und Vertreter des Paritätischen. Ebenfalls schon kere Besteuerung von Millionengewinnen, Millionenerbschaften damals hat Ulrich Schneider den Verband geprägt und die Ver- und Millionenvermögen. bandsinteressen seither immer mit großem Einsatz im politischen Berlin vertreten, wobei er manchmal auch gar nicht falsch liegt. Respekt gebührt allen, die in den Organisationen und Einrichtun- gen unter dem Dach des Paritätischen tätig sind, die sich sozial Am Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband gefällt mir die und politisch engagieren. grundsätzliche Idee, dass Wohlfahrt in einer Gesellschaft das Katja Kipping ist Werk der Vielen ist und nicht einfach die behördliche Umsetzung sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE www.der-paritaetische.de 6 | 2020 7
SCHWERPUNKT DAS ALTERNATIVE ORGANIGRAMM UNSERE ABTEILUNGEN IM PARITÄTISCHEN Sieben Abteilungen hat der Gesamtverband neben dem fachübergreifenden Stab. Doch wofür genau sind diese eigentlich zuständig? Wir haben alle Leiter*innen gebeten, kurz und knapp ihre Abteilung vorzustellen... FINANZEN UND VERWALTUNG GESUNDHEIT, TEILHABE UND PFLEGE Soziale Arbeit im Paritätischen ist auf eine verlässliche Finanzie- Die neu zugeschnittene Abteilung Gesundheit, Teilhabe und Pfle- rung ihrer Arbeit angewiesen. Die Abteilung „Finanzen und Ver- ge hat vor allem die wichtige Aufgabe, die Entwicklungen im waltung“ unterstützt bei der Mittelbeschaffung, beim Einkauf und Bereich Gesundheit, Eingliederungshilfe, Pflege und Alter bera- im Qualitätsmanagement. Sie stellt darüber hinaus sicher, dass tend zu begleiten. Hierbei beraten wir einerseits die politischen die Mitarbeitenden des Gesamtverbandes ihre fachliche Arbeit Akteure, indem wir in Fachgesprächen und Anhörungen die Pa- leisten können, indem z. B. eine funktionale digitale Infrastruktur ritätische Sicht auf geplante oder notwendige Maßnahmen dar- vorgehalten wird, die Information, Beratung und Qualifizierung legen und wirken maßgeblich in Verhandlungen mit Leistungsträ- durch die Fachabteilungen ermöglicht. gern mit. Andererseits informieren und beraten wir auch Lan- desverbände und Mitgliedsorganisationen, wie sie die beschlos- In der Mittelbeschaffung begleitet und berät die Abteilung An- senen Gesetze und Maßnahmen am besten umsetzen können. tragsanliegen auf Förderung aus Mitteln des Bundes und bundes- Wir setzen uns auf Bundesebene für die Schaffung und Verbes- weit tätigen Förderorganisationen für die ihnen angeschlossenen serung von Rahmenbedingungen ein, die ein würdevolles und Mitgliedsorganisationen. 2019 konnten für über 3.000 Mitglieds selbstbestimmtes Leben aller Menschen – egal ob sie mit oder organisationen insgesamt rd. € 85 Mio. an Fördermittel z. B. im ohne Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder Krankheit leben – BFD, FSJ, MBE, Revolvingfonds, der Aktion Mensch, dem Deut- ermöglichen. Für die Entwicklung von Paritätischen Positionen schen Hilfswerk, der GlücksSpirale, der Aktion Deutschland Hilft stimmen wir uns eng mit den Paritätischen Landesverbänden und oder der Stiftung Jugendmarke akquiriert werden. unseren Mitgliedsorganisationen ab und fördern ihren Austausch untereinander. Unsere Abteilung besteht aus acht Kolleg*innen, Als Dach von 10.700 selbständigen Organisationen ist es dem die in den Referaten „Selbsthilfe und chronische Erkrankungen“, Paritätischen möglich, gemeinsame Interessen gegenüber Unter- „Behindertenhilfe und soziale Psychiatrie“, „Altenhilfe und Pflege“ nehmen zu formulieren. Über 170 Firmen haben deshalb Rah- sowie „Gesundheit, Prävention, Rehabilitation und Bevölkerungs- menverträge mit dem Gesamtverband vereinbart, die Paritäti- schutz“ arbeiten. Neben dem „FORUM Rettungswesen und Ka- schen Mitgliedsorganisationen den preiswerten Einkauf von Pro- tastrophenschutz“, in welchem sich u.a. das DLRG, der ASB und dukten und Dienstleistungen bundesweit möglich machen. der Bundesverband Rettungshunde miteinander austauschen, ist unserer Abteilung auch das „FORUM chronisch kranker und be- Eine qualitativ verlässliche und klientenorientierte Arbeit trotz hinderter Menschen“ zugeordnet. In diesem FORUM beraten unterschiedlicher fachlicher Ansätze auf ein gemeinsames Profil Vertreter*innen der Bundesorganisationen der Selbsthilfe über zusammenzubringen und weiterzuentwickeln, dies hat sich die ihre aktuellen Themen, Gesetzesverfahren und Belange der Pa- Paritätische Qualitätsgemeinschaft Bund als Zusammenschluss tientenvertretung im „Gemeinsamen Bundesausschuss“ (G-BA). der Paritätischen Landesverbände mit dem Gesamtverband zur Der Paritätische Gesamtverband ist eine anerkannte, für die Aufgabe gemacht. Dazu entwickelt das Zentrum für Qualität und Wahrnehmung der Interessen der Selbsthilfe maßgebliche Spit- Management kontinuierlich das verbandseigene System PQ-Sys zenorganisation und setzt sich im Rahmen dieser Funktion für ® weiter und schult Mitarbeitende im Paritätischen. die Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Selbsthilfe ein. Die Abteilung wird geleitet von Die Abteilung wird geleitet von Joachim Hagelskamp Lisa Marcella Schmidt HEIT, TEILHABE 8 www.der-paritaetische.de 6 | 2020
SCHWERPUNKT RECHT für werden Schulungen angeboten und Arbeitshilfen erstellt. Aktuell geht es auch darum, die Mitgliedsorganisationen bei der Wenn der gesunde Menschenverstand nicht mehr weiterhilft, Digitalisierung ihrer Arbeit (Online- Beratung) zu unterstützen. können die Jurist*innen des Gesamtverbandes bestimmt helfen – Schließlich gehört zum Aufgabenspektrum das Eintreten auf so ist oft der Auslöser für Anfragen an die Rechtsabteilung. Klar nationaler oder europäischer Ebene für eine menschenrechts- ist der typische Fall für die Inanspruchnahme von Jurist*innen, basierte, solidarische und faire Asylpolitik in Europa und die wenn Interessen nicht übereingehen oder Beziehungen gestört gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschich- sind. Die Frage am Telefon „Welche Rechte hat eigentlich ein te . Einen Schwerpunkt der Arbeit stellt die Unterstützung von Vereinsmitglied“ ist regelmäßig der deutliche Hinweis auf Störun- Migrantenorganisationen dar, dazu wurde schon 2007 das Forum gen der Chemie im Verein. der Migrantinnen und Migranten gegründet. Darüber hinaus versuchen wir, immer wieder Impulse zu geben Interessengegensätze und Konflikte sind aber nicht die bevorzug- für mehr Diversität im Verband und in der Gesellschaft und den ten Themen der Jurist*innen beim Gesamtverband. Viel lieber verbesserten Schutz vor Diskriminierung, wie aktuell mit Projek- unterstützen wir die Fachreferate bei der Interpretation von ten zur interkulturellen Öffnung der Behindertenhilfe oder der Gesetz(entwürf)en, der Formulierung von Stellungnahmen und Qualifizierung von Moscheegemeinden. Fachinformationen mit dem Ziel der gelungenen Verbindung von „Internationale Kooperation“ , das umfasst vor allem die Vertre- juristischer Präzision und Verständlichkeit. Die Antwort „Es tung unserer Mitgliedsorganisation im Bündnis „Aktion Deutsch- kommt darauf an“ mag als Jurist*innenattitüde anmuten. Sie ist land hilft“, in dem sich 10 Paritätische Mitgliedsorganisationen angesichts der Komplexität von Lebenssachverhalten und der engagieren, sowie die Auseinandersetzung mit der Situation Kompliziertheit vieler Gesetze öfter berechtigt, als uns lieb ist. Geflüchteter in Transitstaaten oder Herkunftsregionen. Wir bemühen uns immer um praktisch hilfreiche Hinweise und Um die Themen Flucht und Migration gibt es immer wieder kon- vermeiden akademische Pirouetten. troverse politische Auseinandersetzungen. Neben der engen Abstimmung im Team ist uns daher die Zusammenarbeit mit Außer der Unterstützung der Fachreferate hat die Rechtsabtei- anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren wichtig. lung eigene Themen, die unabhängig sind von einem Fachbereich und Strukturfragen sozialer Organisationen betreffen wie Ar- Die Abteilung wird geleitet von beitsrecht, Vereinsrecht, Gemeinnützigkeitsrecht, Datenschutz, Harald Löhlein Rechtsgrundlagen der Finanzierung, Urheberrecht und Ähnliches mehr. Mit unseren etwa 3,5 Stellen müssen wir uns auf Grund- lageninformationen und die Unterstützung von Landesverbänden und überregionalen Mitgliedsorganisationen beschränken. Die Abteilung wird geleitet von Werner Hesse SOZIALE ARBEIT Trotz der kurzen Bezeichnung umfasst die Abteilung „Soziale Arbeit“ ein breites Themenspektrum. Zentral sind die Themen Kinder, Jugend, Familien und Frauen. Aber auch die Freiwilligen- MIGRATION UND INTERNATIONALE dienste, das Bürgerschaftliche Engagement, die Straffälligen- und KOOPERATION Suchthilfe, Schule und Bildung werden in der Abteilung bearbei- tet. Zudem gibt es zwei große Bundesprogramme: „Kultur macht Nein, Migration ist gewiss nicht die „Mutter aller Probleme“ (In- Stark. Bündnisse für Bildung“ und in Kooperation mit dem Pari- nenminister Seehofer), aber es bedarf guter rechtlicher, instituti- tätischen Landesverband Berlin sowie dem Bundesverband Kin- oneller Rahmenbedingungen, professioneller Unterstützungsan- dertagespflege „Demokratie und Vielfalt in Kindertageseinrich- gebote und einer engagierten Zivilgesellschaft, damit die Auf- tungen“. Das breite Themenspektrum ist durchaus auch eine nahme und Partizipation von Eingewanderten oder Schutzsu- Herausforderung, denn in der Vielfalt gibt es kaum gemeinsame chenden gelingt. Dafür setzen sich die derzeit 14 Kolleginnen und Punkte, die alle Kolleginnen und Kollegen betreffen, die gemein- Kollegen unserer Abteilung, in der die Themenbereiche Migra sam erörtert oder sogar bearbeitet werden können. Ungeachtet tion, Flucht und humanitäre Auslandshilfe/Entwicklungszusam- dessen versuchen wir aber über unsere Austauschrunden und menarbeit bearbeitet werden, ein. Konkret geht es dabei u.a. um die Vorstellung von Schwerpunkten in der Arbeit der Fachrefe- die Umsetzung von aktuell acht Förderprogrammen, wie etwa rent*innen möglichst viel Transparenz und Verständnis für die bei der Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) oder die För- Themen des jeweils anderen zu erreichen. Wir verstehen uns als derung von Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge. Ein weiteres Team, können uns aufeinander verlassen und sind miteinander Anliegen ist die fachliche Qualifizierung der Organisationen. Da- und untereinander solidarisch. Ein Ruf nach Hilfe und Unterstüt- www.der-paritaetische.de 6 | 2020 9
SCHWERPUNKT zung, oder auch nur nach fachlichem Austausch bleibt bei uns, ÖFFENTLICHKEITSARBEIT, PRESSE, wie in den anderen Abteilungen auch, nicht unbeantwortet. In unserem Selbstverständnis sind wir Dienstleister für unsere Mit- REDAKTION UND KAMPAGNEN gliedsorganisationen und Träger, bringen unsere fachliche Exper- tise in die verbandlichen Diskurse ein und übernehmen sozialan- Ohne diese Abteilung würden nur wenige erfahren, was der waltschaftliche Funktion gegenüber den Menschen, die in unserer Paritätische eigentlich macht. Unter der Leitung von Gwendolyn Gesellschaft nicht oder kaum gehört werden. Stilling wird hier die Darstellung des Paritätischen in der Öffent- lichkeit koordiniert. Sowohl eingehende Presse-, Interview- und Die Abteilung wird geleitet von Medienanfragen werden bearbeitet als auch entschieden, mit Marion von zur Gathen welchen Botschaften und Meldungen der Verband sich nach au- ßen darstellen möchte, wozu auch die Entwicklung der Darstel- lung in den Sozialen Medien gehört. Zu den regelmäßigen Ver- öffentlichungen zählt auch dieses Verbandsmagazin, auch die Gestaltung weiterer Publikationen des Verbandes ist Aufgabe der Abteilung. Das zweite große Feld, das in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut wurde, sind verbandsweite Kampagnen und Bündnisaktivitäten. Die Abteilung hält Kontakte in die Zivilge- ARBEIT, SOZIALES UND EUROPA sellschaft und vertritt den Paritätischen in Bündnissen wie #unteil- bar. Daher sind Paritäter*innen inzwischen fester Bestandteil gro- Der Name der Abteilung ist Programm. Sie trägt dazu bei, das ßer Demonstrationen. Auch das Projekt „Beratung gegen Rechts“ Soziale vor Ort ebenso wie auf europäischer Ebene weiterent- und die Kampagne „Vielfalt ohne Alternative“ sind in der Abteilung wickeln zu helfen und dabei buchstäblich „Übersetzungsarbeit“ angegliedert. Hier bekommen Mitglieder Hilfe, wenn Sie Anfein- zu leisten. Sie informiert und berät Landesverbände und überre- dungen von Rechten ausgesetzt sind. Darum, die Paritäter*innen gionale Mitgliedsorganisationen über europäische Fördermöglich- und unseren Verband für die Digitalisierung fit zu machen, küm- keiten, aber auch zu Fragen des Wettbewerbs- und Beihilfen- mert sich das Projekt „Digitale Kommunikation.“ Die Kolleg*innen rechts. Darüber hinaus widmet sich die Abteilung fachlich der aus dem Projekt verwalten unser Mitgliederportal www.wir-sind-pa- Architektur der sozialen Sicherungssysteme allgemein, speziell ritaet.de, koordinieren das Team von inzwischen fast 200 On- Fragen der Arbeitsmarkt- und Alterssicherungspolitik. Dabei geht line-Scouts aus dem ganzen Verband und sorgen mit Workshops, es darum, die Interessen der betroffenen Menschen ebenso wie Beratung und konkreten Arbeitshilfen im „Webzeugkoffer“ dafür, der Einrichtungen und Dienste im Paritätischen durchsetzen zu dass unsere Mitglieder alle #GleichImNetz sind. helfen. Die Abteilung trägt auch dazu bei, die Vielfalt der Wei- terbildungsangebote im Paritätischen sichtbar zu machen. Die Abteilung wird geleitet von In der Kommunikation mit Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Gwendolyn Stilling Öffentlichkeit werden neben guten Argumenten auch empirische Daten benötigt, um für verbandliche Anliegen Gehör zu finden. Als einziger Wohlfahrtsverband verfügt der Paritätische deshalb über eine eigene Forschungsstelle. Dies bietet dem Verband die Möglichkeit, neue Aspekte fundiert in die öffentliche Diskussion einzubringen. Beispielsweise legt die Forschungsstelle jährlich kon- krete Zahlen zur lokalen Umsetzung des Bildungs- und Teilhabe- paketes vor. Organisationen vor Ort haben damit die Möglichkeit, Fr is ch ge dr uc k t Defizite im Vergleich zu erkennen und Beispiele für eine gute Umsetzung zu identifizieren. Mit Kurzexpertisen und Studien, In der Arbeitshilfe „Druck aus den etwa zur Angemessenheit der Hartz-IV-Sätze, unterstützt die Parlamenten. Zum Umgang sozialer Forschungsstelle die verbandliche Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Organisationen mit Anfeindungen Mit dem durch die Aktion Mensch Stiftung geförderten Projekt von rechts“ klärt der Paritätische in Teilhabeforschung wird ein besonderes Augenmerk auf die Bereit- Kooperation mit dem Verein für stellung von Daten für eine inklusive Politik und eine bessere För- Demokratische Kultur in Berlin derung und Beteiligung von Menschen mit Behinderung gelegt. (VDK) e.V. und Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin Die Abteilung wird geleitet von (MBR) über Strategien der Rechts- Dr. Joachim Rock extremen und Rechtspopulist*innen auf und gibt Tipps so- wie Handlungsempfehlungen für von Anfeindungen betrof- fene Einrichtungen, Organisationen und Mitarbeiter*innen. Mehr Infos unter: www.vielfalt-ohne-alternative.de 10 www.der-paritaetische.de 6 | 2020
SCHWERPUNKT PARITÄT IN Zählt man das 36-seitige Verbandsma gazin, welches 6x im Jahr erscheint, mit dazu, sind es sogar 919. tere Rahmenverträge dingfest gemacht, verriet man uns! ZAHLEN MITGLIEDER ONLINE-PRÄSENZ Zahlen sind langweilig? Mitnichten! 763.000 Wir haben uns mal durch diverse Statistiken und Archive beim 764.ooo Aufrufe Paritätischen Gesamtverband gewühlt und die Kolleg*innen Menschen hat unsere Homepage www.paritaet.org befragt und dabei einige interessan- arbeiteten 2019 in einer der über 10.000 bis zum Redaktionsschluss in diesem Jahr te Sachen über den Verband Paritätischen Mitgliedsorganisationen in gehabt. Fast eine Verdoppelung, was na- herausgefunden. ganz Deutschland. Sie leisteten über türlich einerseits durch die ständig steigen- de Attraktivät des Verbandes und seiner 800 Millionen Homepage als auch durch die Corona-Pan- GESCHICHTE demie begründet werden kann. 2019 wa- ren es über das ganze Jahr gerechnet 96 Jahre Arbeitsstunden insgesamt ab. 383.000 Aufrufe. Auch in den Sozialen Netzwerken sind ist der Paritätische Gesamtverband inzwi- JAHRESKAMPAGNE wir immer stärker präsent. Unser Flag- schen alt. Die Vorbereitungen für unseren schiff ist dort immer noch Twitter. 100. Geburtstag laufen so langsam an. 2018 hat der Paritätische mit der großen 24.980 Jahreskampagne „Mensch, Du hast Recht!“ auf das Jahr der Menschenrechte hinge- MITARBEITER*INNEN wiesen, auch mit einer großen Material- schlacht. Knapp eine Follower 73% viertel Million haben wir dort. Doch auch woanders wachsen wir. Vor wenigen Wochen konnten wir uns darü- ist der Frauenanteil der Mitarbeiter*innen beim Paritätischen Gesamtverband. Von Plakate ber freuen, bei Facebook fünfstellig zu werden und inzwischen insgesamt 105 10.016 wurden im Rahmen der Kampagne ge- druckt. Mitarbeiter*innen in unserer Geschäfts- stelle definieren sich 77 weiblich und 28 RAHMENVERTRÄGE Follower männlich. Die Mitgliedschaft beim Paritätischen dort zu haben. lohnt sich, denn auf die Mitglieder warten PUBLIKATIONEN Und auch unser „eigenes“ soziales Netz- 186 werk wächst kontinuerlich. Zum Redakti- 811 Seiten onsschluss waren auf wir-sind-paritaet.de 368 Rahmenverträge, mit denen sich eine hat der Paritätische im vergangenen Jahr Menge Geld sparen lässt. Von Rabatten in seinen im Fitnessstudio über günstigere Software 20 bis hin zu billigeren Büromöbeln ist eine Paritäter*innen aktiv, tauschen sich real ganze Menge dabei. und virtuell miteinander aus und machen gemeinsame Aktionen miteinander. Publikationen, Handreichungen und Ex- Stand ist der Redaktionsschluss. In den pertisen veröffentlicht. kommenden Wochen werden noch wei- www.der-paritaetische.de 6 | 2020 11
SCHWERPUNKT WER KENNT DEN PARITÄTISCHEN? Ein kleines Quiz. Schicken Sie die richtigen Anworten bis zum 15.12. an redaktion@paritaet.org und gewinnen Sie eine von drei „Vielfalt ohne Alternative!“-Tassen.
SCHWERPUNKT KLEINE HISTORIE und Praxis herausforderten. Die Grenzen und Schwächen der sozialen Sicherungssysteme wurden dann spätestens in den MITGLIEDERENTWICKLUNG IM 1980ern angesichts von Massenarbeitslosigkeit, zunehmender Langzeitarbeitslosigkeit, empor schnellender Sozialhilfezahlen PARITÄTISCHEN und demografischem Wandel erstmals mehr als deutlich spürbar. Erstmals war die Rede von der „neuen Armut“. Der soziale Pro- blemdruck fand über Initiativen von Sozialhilfebezieher*innen Hervorgegangen aus einem Krankenhausfachverband und soziale Beschäftigungsinitiativen in den Verband. Auch Frau- hat sich der Paritätische zu einem der drei größten enhäuser und Fraueninitiativen sowie eine Vielzahl von Selbsthil- feinitiativen im Gesundheitsbereich (heute im Forum chronisch Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege kranker und behinderter Menschen im Paritätischen organisiert) entwickelt. Anfang der 1950er Jahre zählte der wurden in dieser Zeit Mitglied im Paritätischen und ließen den Paritätische Wohlfahrtsverband knapp 380 Verband politischer werden. Ein erster Armutsbericht wurde Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 1.800 1989 als sichtbarster und öffentlichkeitswirksamster Ausdruck sozialen Einrichtungen. Knapp 30 Jahre später, 1979, dieser Entwicklung vorgelegt. waren es bereits über 2.400 Mitglieder, 1989 hatte sich Offenheit, Toleranz, Vielfalt diese Zahl auf rund 5.000 Mitglieder bereits mehr als Der Verband gab sich damals erstmals Verbandsgrundsätze. Es verdoppelt und zwanzig Jahre später noch einmal eine war durchaus diskutiert worden, gar keine weiteren Mitglieder glatte Verdoppelung – im Jahr 2009 begrüßte der aufzunehmen, aus Angst, der enorme Zulauf könnte den Verband Verband das 10.000ste Mitglied. Heute sind es knapp überfordern. In den Verbandsgrundsätzen von 1989 bekennt sich der Paritätische schließlich jedoch klar zu Vielfalt und Offenheit. 10.700 rechtlich eigenständige, gemeinnützige Erst die Offenheit, die Toleranz und das Zulassen der Vielfalt lösen Organisationen bundesweit, die unter dem Dach des notwendige gesellschaftliche Bewegungen aus und halten sie in Paritätischen organisiert sind. Mehr als 700.000 Gang. Das waren die Einsichten, die in den Verbandsgrundsätzen Menschen sind hauptamtlich in den mehr als 20.000 festgeschrieben wurden – Einsichten, die bis heute nicht an Aktu- Einrichtungen beschäftigt – und noch mehr Menschen, alität eingebüßt haben. engagieren sich ehrenamtlich und in der Selbsthilfe. Ganz im Gegenteil: In den letzten Jahrzehnten haben Tempo und Druck, auch auf die Freie Wohlfahrtspflege zugenommen. Wie- dervereinigung, Globalisierung, Liberalisierung, Europäisierung, Die Mitgliederentwicklung spricht für den Verband. In der Auf- Digitalisierung. Die Einführung des Euro Ende der 1990er. Die nahmepolitik des Paritätischen, die vor allem charakterisiert ist Agenda 2010, die Probleme lösen sollte, stattdessen aber Armut durch eine Politik der Offenheit und des „Sich-Nicht-Verschließens“, manifestierte. Der Durchmarsch des Neoliberalismus nach der und der Mitgliederentwicklung spiegeln sich letztlich stets auch Wiedervereinigung, als Wettbewerb und Ökonomisierung in den gesellschaftliche Probleme und Interessen der jeweiligen Zeit wider. 1990er Jahren auch in der Wohlfahrtspflege Einzug hielten, die Nach dem Zweiten Weltkrieg stand zunächst alles im Zeichen des sich plötzlich mit Problemen wie Preisdumping auseinandersetzen Wiederaufbaus und der Rückkehr zur Normalität. Alle Wohl- musste, während gleichzeitig politisch das Ehrenamt hofiert wurde. fahrtsorganisationen waren insbesondere mit der Linderung von Die Globalisierung brachte immer wieder neue Widersprüche mit Kriegsfolgen befasst. Die Freie Wohlfahrtspflege hatte ihren festen sich und heizte beispielsweise die Debatte um Migration und Inte- Platz im Sozialstaat und der Paritätische galt als „Sammelbecken gration an: Ist die Bundesrepublik ein Einwanderungsland und will der Versprengten“, die eben nicht AWO, nicht Caritas, DRK oder sie es überhaupt sein? Selbstorganisationen der Migrant*innen Diakonie waren. In den 1960er Jahren entwickelte sich der Paritä- entstanden und kamen in den Verband. Über 200 Migrant*innen- tische zunehmend zu einem Dach für die neu entstehenden Initi- organisationen sind heute im 2007 gegründeten Forum der ativen von Bürger*innen, insbesondere in der Behindertenhilfe. Migrant*innen im Paritätischen organisiert, um gemeinsam und Gleichzeitig wurde das Sozialsystem in Deutschland ausgebaut und selbst ihre Interessen zu vertreten. die soziale Arbeit professionalisierte sich. Ein Verband, der immer in Bewegung ist Neue Aufbrüche in den Siebzigern In den letzten fünf Jahren sind es u.a. Fragen der Demokratiear- Die 1970er Jahre brachten vor allem eins: Umbruch. „Chancen- beit, des Engagements gegen Rechts und für Menschenrechte, gleichheit“, „Emanzipation“, „Alternative Lebensformen“ waren die neue Relevanz im Verband erhalten haben, aber auch mehr Schlagworte dieser Zeit, aber auch Krisen (Energie- und Staats- und mehr Organisationen und Initiativen mit sozial-ökologischer krise) und Arbeitslosigkeit bewegten das Land. Es kam Bewegung Expertise finden sich in der Mitgliedschaft. Schließlich kann der in die soziale Arbeit. Und der Paritätische wurde mit diesen Verband immer mehr queere Mitgliedsorganisationen willkom- Bewegungen schnell konfrontiert – denn alle diese neuen Grup- men heißen, die sich für die Gleichberechtigung von Menschen pierungen drängten in den Verband, wie beispielsweise die neu- verschiedener sexueller und geschlechtlicher Identitäten einset- en Eltern-Kind-Initiativen, die mit alternativen Pädagogikkonzep- zen. Und so halten Offenheit und Vielfalt den Verband letztlich ten und ihrem gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch Fachwelt bis heute jung und dynamisch. GST www.der-paritaetische.de 6 | 2020 13
SCHWERPUNKT „DER VERBAND HAT SICH MIT SEINER MITGLIEDSCHAFT POLITISIERT. UND SCHON MANCHES MAL WAREN WIR DER GESELLSCHAFT VORAUS.“ Josef Schädle am 5. November 2009 im Berliner Abgeordnetenhaus anlässlich des 20. Jubiläums der Veröffentlichung des ersten Armuts- berichtes des Paritätischen. Ein Gespräch mit Josef Schädle, stellvertretender Vorsit- war für die damalige Zeit natürlich radikal. Dann haben wir die zender des Paritätischen Gesamtverbands und seit Ende Kampagne zur Abschaffung von Paragraf 218 offensiv unterstützt, der 1970er aktiv in den Gremien des Verbandes. was innerverbandlich allerdings auch in der DGSP durchaus um- stritten war. Es gibt auch anständige Konservative dort. Wie sind Sie zum Paritätischen gekommen? Ich war Geschäftsführer einer Paritätischen Mitgliedsorganisation Seit Anfang der 1980er engagierten Sie sich dann im Paritäti- in Wunstorf in Niedersachsen. 1978 gründete der Landesver- schen Gesamtverband auf Bundesebene, als Vertreter der band einen Arbeitskreis Soziale Psychiatrie, in dem ich mich en- DGSP im damaligen „Beirat“. Ein Kulturschock? gagierte. Unser erster Beschluss war ein Antrag auf Einrichtung Der Paritätische war vorher, ich will jetzt nicht sagen, ein schnar- eines solchen Arbeitskreises auch auf Bundesebene. chiger Verband, aber als ich 1983 das erste Mal im Beirat war, wie es damals noch hieß, habe ich zu meinem Nachbarn gesagt: Den gab es damals noch nicht? „Sag mal, ist das hier eine Kaffeerunde im Seniorenstift oder was Nein, man muss bedenken: Bis dahin gab es in der Psychiatrie ist das hier?“ Der Beirat war ein riesiges Gremium, so 70 bis 80 eigentlich nur Medizinerverbände. Damals aber gründeten sich Menschen. Die Aula am damaligen Hauptstandort des Gesamt- immer mehr soziale und sozialpolitische Gruppierungen, wie die verbandes in Frankfurt am Main war proppenvoll: der 32köpfige Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP), der Dach- Vorstand war im Beirat vertreten, alle Landesverbände, soweit verband Gemeindepsychiatrie, Psycholog*innenverbände und nicht im Vorstand, und Vertreter*innen aller überregionalen Mit- Selbsthilfegruppen. Als die DGSP, in der ich auch Mitglied war, gliedsorganisationen. Ende der 1970er Mitglied im Paritätischen Gesamtverband wur- de, war das wie ein Türöffner: Nicht nur für das relativ junge Feld Sie sagen, der Beitritt der DGSP war eine Art „Türöffner“. der Sozialpsychiatrie, sondern auch für andere soziale Bewegun- Wie entwickelte sich die Mitgliedschaft und der Verband denn gen. Dass eine damals als linksalternativ bis linksradikal verschrie- in der weiteren Folge? ne Organisation wie die DGSP zum Paritätischen ging, hat es Nachdem zuvor bereits vor allem viele Elterninitiativen als Mit- auch anderen neuen Initiativen und Gruppierungen leichter ge- glied aufgenommen worden waren, waren es jetzt viele Selbst- macht, Kontakt aufzunehmen und schließlich unter dem Dach hilfegruppen, aber beispielsweise auch die ganze Frauenhaus- des Paritätischen ihren Platz zu finden. Bewegung, die neu in den Verband kamen, teilweise auch über den Umweg einer Mitgliedschaft im Paritätischen Bildungswerk. Wie radikal war die DGSP denn? Im Paritätischen Gesamtverband war die Frage der Mitgliede- Die Selbsthilfebewegung im Gesundheitswesen hat ihre Wurzeln rentwicklung und auch der Neuaufnahmen dabei aber immer zum großen Teil in der Studentenbewegung der 1968er, den sozi- wieder auch Gegenstand intensiver Debatten. Heftig umstritten alpolitischen Arbeitskreisen an den Unis und so. Das ist auch eine war zum Beispiel die Aufnahme von pro familia. Der Hauptkon- wichtige Wurzel der DGSP gewesen. Also ich sage mal, wir waren flikt lag hier zwischen den Behindertenverbänden einerseits und auf jeden Fall linksalternativ. Ende der 1970er war eine zentrale pro familia auf der anderen Seite, wie es heute auch immer noch Forderung der DGSP, die Großkrankenhäuser abzuschaffen, das bei einigen Themen der Fall ist. 14 www.der-paritaetische.de 6 | 2020
SCHWERPUNKT Plötzlich also mischten linksalternative Psycholog*innen, El- ment von Werten, die uns verbinden und auf der Basis können terninitiativen und Frauenbewegung die Gremien des Paritä- wir uns äußern, für uns selbst und im Namen unserer Mitglieder. tischen auf. Wie wurdet Ihr aufgenommen? Darum ging es. Parallel lief aber ja auch noch eine weitere De- Ohne das sehr aktive innerverbandliche Wirken des damaligen batte: die Diskussion um den ersten Armutsbericht. Das war Geschäftsführers Klaus Dörrie wäre es sicher weniger reibungs- sozusagen die erste wirkliche sozialpolitische Debatte, die ich im los abgelaufen. Was er im Vorstand und in den Landesverbänden Verband mitbekommen habe. Das andere davor war eigentlich im Detail alles bewegt hat, kann ich von außen nicht beurteilen. immer nur so Geplänkel. Ich habe dann erst das Ergebnis gesehen. Ein erstes Signal, dass sich auch strukturell etwas bewegt, war, als wir, eine Gruppe von Worum ging es bei der Diskussion um den ersten Armutsbericht? fünf bis sechs jüngeren Leuten aus dem Beirat, angeregt haben, Es war unbestritten, dass es Armut gibt. Diskutiert wurde, ob dass über die Besetzung und die Funktion des damals doch recht der Paritätische ein Mandat hat, sich politisch aktiv in solche Sa- ominösen Wahlvorstandes mal nachgedacht werden sollte. Man chen einzumischen und wenn ja, woher hat er dieses Mandat? wisse ja im Vorhinein schon, was bei den Wahlen rauskommt. Kann er sich das selbst geben oder bekommt er das von seinen Das hat dann zwar nicht sofort funktioniert, aber immerhin be- Mitgliedern? Er hat es gewiss nicht von der organisierten Politik. wirkt, dass es Ende der 1980er Jahre zu einer grundlegenden Es wurde diskutiert, ob uns der Geldhahn zugedreht wird, wenn Strukturveränderung kam, mit einem kleineren Vorstand und wir uns an solche Themen wagen. Dann gab es einen Vorstands- einem ordentlich gewählten Verbandsrat. beschluss, dass wir es machen, aber nur als gemeinsames Projekt der BAGFW (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrts- 1989 hat der Paritätische ja auch erstmals eigene inhaltliche pflege). Die anderen Verbände haben aber letztlich abgesagt, die „Grundsätze der Verbandspolitik“ verabschiedet. Hingen die Caritas kündigte an, etwas eigenes zum Thema zu machen. Dann Prozesse zusammen? haben wir beschlossen, es allein zu machen. Wir haben eine Auf jeden Fall, das lief parallel und bedingte sich wechselseitig. Als Arbeitsgruppe gebildet und den Bericht innerhalb von zwei Jah- Dieter Sengling, damals Professor für Erziehungswissenschaften an ren fertiggestellt… der Uni Münster, 1987 Vorsitzender des Paritätischen wurde, kam das alles ins Rollen. Sengling hat eine inhaltliche Debatte angezettelt …und am 9. November 1989 in Bonn in der Bundespresse- über gemeinsame Werte und Grundsätze. Dann war gleichzeitig konferenz vorgestellt. aber auch klar, eine solche inhaltliche Debatte bringt uns gar nichts, Ja, die Ereignisse des Tages überrollten dann alle. Der Mauerfall wenn wir nicht auch an die Struktur gehen. war Vorteil und Nachteil zugleich. Die inhaltliche Diskussion um den Armutsbericht, aber auch die Angriffe etwaiger Gegner*in- Wie ist es gelungen, sich auf gemeinsame Grundsätze zu ver- nen gingen in den folgenden Tagen weitgehend unter. Aber: Im- ständigen trotz der Vielfalt der Mitgliedsorganisationen und der merhin hatten wir es zum ersten Mal als Verband in die Bundes- inhaltlich bisweilen konträren Positionen, die diese vertreten? pressekonferenz und sogar in die ARD Tagesschau geschafft. Es werden im Paritätischen in wirklich zentralen Fragen keine Beschlüsse gefasst, die nicht von allen mitgetragen werden kön- Zu Großdemonstrationen rief der Paritätische damals aber nen. Das war eine der für mich wichtigen Entscheidungen der noch nicht auf. damaligen Wertediskussion. Es bedeutet, dass der Verband sich Dass der Paritätische auf die Straße geht und aktiv zu einer Teil- zwar in manchen Punkten nicht eindeutig äußern kann, aber das nahme einer Großdemonstration aufruft, das wäre damals in finde ich gar nicht dramatisch. Es war ganz zentral für die inner- 1980ern schon gar nicht, aber auch in den 1990ern nicht denkbar verbandliche Kultur, zu sagen, es wird kein Verband überstimmt, gewesen. Aber wenn ich jetzt so meine 30 Jahre als Verbandsrats- wenn es um zentrale Fragen wie beispielsweise das Recht auf mitglied anschaue, kann ich schon sagen, dass der Verband von Leben oder Selbstbestimmung geht. Bei manchen biogenetischen Wahlperiode zu Wahlperiode politischer wurde. Die Themen Fragestellungen würde ich mir zwar wünschen, wir wären manch- wurden politischer, die Stellungnahmen wurden klarer. Sprache ist mal etwas flexibler, aber es ist halt nicht so und das ist auch in ja auch etwas Politisches, also die Entscheidung, wie verbrämt oder Ordnung. Es gibt rote Linien, die darf man nicht ohne Not über- eindeutig drücke ich es aus, wenn ich einem Ministerium mitteile: schreiten. Es war ein ganz wichtiger Schritt für den Verband, zu „Also passen Sie mal auf, dieser Gesetzentwurf ist wirklich Schrott.“ sagen: Wenn wir schon Werte verkünden, wie Gleichwertigkeit, Darf ich das dann Schrott nennen oder muss ich das so umschrei- Toleranz, Vielfalt, Partizipation, dann muss das auch innerver- ben, dass ein Außenstehender gar nicht merkt, dass es Schrott ist? bandlich gelten. Gab es auch, gab es alles. Wenn man sich heute mal einige alte Stellungnahmen durchliest, da bekommt man das kalte Grausen. Was hat die damalige Wertedebatte noch bewirkt? Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die Erkenntnis, dass sich aus der Verknüpfung von inhaltlichen sozialen Problemstellungen auch eine Notwendigkeit ergibt, po- Die Stellungnahmen aber wurden klarer, der Verband zeigte litisch zu agieren, also tatsächlich als politischer Anwalt aufzutre- immer häufiger klare Haltung… ten für die Bedürfnisse der Mitglieder und Klient*innen – das war Ja, die Erfahrung mit der Veröffentlichung des Armutsberichts aus meiner Sicht eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Wer- 1989 bewirkten etwas, denn das Echo blieb ja trotz Mauerfall te-Debatte. Dass es uns gelungen ist, uns auf gemeinsame Grund- nicht völlig aus. Teile aus dem Armutsbericht sind damals in allen sätze zu verständigen, bedeutete: Wir haben jetzt ein Funda- wichtigen überregionalen Zeitungen gedruckt worden und das www.der-paritaetische.de 5 | 2020 15
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