06| 2020 - Der Paritätische

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06| 2020 - Der Paritätische
D 20493 E

              06| 2020

Nachrichten | Berichte | Reportagen
06| 2020 - Der Paritätische
I N H A LT

                                   14                                   20

                                                                                                                    31
▌   EDITORIAL                                            3   ▌   SOZIALPOLITIK
▌   Schwerpunkt                                              Vermischtes                                                  29
Das Verbandsmagazin im Wandel der Jahre                  4   Sind die Kindertageseinrichtungen schon winterfest?          31
Liebe Abgeordnete, was haltet ihr von uns?               6   ▌   VERBANDSRUNDSCHAU
Unsere Abteilungen im Paritätischen                      8   Digitale Transformation in der Wohlfahrtspflege
                                                             /Frisch gedruckt                                             32
Parität in Zahlen                                       11
                                                             Für die Unterbringung der Moria-Flüchtlinge!
Wer kennt den Paritätischen?                            12   /Frisch gedruckt                                             33
Der Paritätische                                             Paritätische (Online-)Termine                                34
Spiegelbild bürgerschaftlichen Engagements              13
                                                             Einkaufsvorteile nutzen/Impressum                            35
Interview mit Josef Schädle                             14
Der Paritätische Armutsbericht und seine Geschichte     17
Der Verband und seine Häuser                            18
Parität Aktiv. Ein paar Eindrücke aus den letzten,                                  Nicht nur gedruckt
besonders aktiven Jahren                                19                         sondern auch unter
Kinder von Moria                                        20                      facebook.com/paritaet
Drei Fragen an Tim Ellmer                               23                   bei Twitter unter @paritaet
Unser Paritätisches Alphabet                            24                    bei Instagram als paritaet
Deutsche Fernsehlotterie                                26
Wohlfahrtsmarken/UNION-Versicherung                     27
Unsere Paritätischen Landesverbände                     28

                                      Dieses Magazin kann als barrierefreie pdf-Datei
                                           im Internet heruntergeladen werden:
                                                    www.paritaet.org

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06| 2020 - Der Paritätische
E D I TO R I A L

       LIEBE LESER*INNEN,
       mit dieser Ausgabe des Verbandsmagazins wollen wir den Blick einmal nach
       innen richten: in den Paritätischen selbst. Wir zeigen, welche Themen uns
       bewegen, wie wir arbeiten und was wir unseren Mitgliedern bieten. Dabei
       geht es über die Vorstellung von einzelnen Abteilungen über Fachpolitiken
       bis hin zu Dienstleistungsangeboten. Wir haben auch Politiker*innen ge-
       fragt, welches Bild sie vom Paritätischen haben.
       96 Jahre nach der Gründung ist der Paritätische ein starker und vielseitiger
       Verband mit über 10.700 Mitgliedsorganisationen. Der Gesamtverband
       zählt die 15 Landesverbände und 147 überregionale Mitgliedsorganisationen
       als Mitglieder. Für die Arbeit des Paritätischen und seiner Mitglieder ist auf
       allen Feldern der Wohlfahrtspflege die Werteorientierung fundamental: bei
       der Arbeit in der Pflege, mit Migrant*innen, in der Kinder-, Jugend- und
       Gesundheitsarbeit, in der Bildung und mit behinderten Menschen, in der
       Gefährdeten- und Straffälligenhilfe, in Frauenhäusern und so weiter. Es geht
       immer um ein Gemeinsames: um das gute Zusammenleben aller Menschen,
                                                                                      Professor Dr. Rolf Rosenbrock,
       um Hilfe zur Selbsthilfe, um Selbstbefähigung, um die Überwindung von
                                                                                      Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands
       Hindernissen, die diesen Zielen entgegenstehen, um die Verringerung sozi-
       al bedingter Ungleichheit und um die Ermöglichung von Teilhabe – physische,
       psychische, soziale, materielle Teilhabe. Letztlich geht es um die Förderung von Selbstbestimmung und
       Selbstverwirklichung und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft.
       Im Arbeitsalltag ist es oftmals eine Herausforderung, bei knappen Ressourcen und hoher Arbeitslast
       Werte, Fachlichkeit und Effizienz miteinander zu vereinbaren. Die Gründe dafür sind vielseitig und müssen
       bearbeitet werden. Das wird desto besser gelingen, je stärker wir diese Werte als Grundlage nicht nur
       unserer Arbeit, sondern für das gesellschaftliche Zusammenleben insgesamt offensiv betonen und einfor-
       dern und damit zugleich die Stärke des Paritätischen als wesentlichen Akteur der Freien Wohlfahrtspfle-
       ge hervorheben. Deshalb muss soziale Arbeit, müssen wir, auch öffentlich benennen, dass ein großer Teil
       der bearbeiteten Probleme ihre Verursachung in der wachsenden Spreizung von Einkommen und Teilha-
       bechancen, in der Schere zwischen Arm und Reich hat. Soziale Arbeit ist befugt und meines Erachtens
       auch verpflichtet zu zeigen, wie Ungleichheit wirkt und durch welche Maßnahmen dieses Dilemma zumin-
       dest verkleinert werden könnte. Darum ist die Armutsberichtserstattung durch den Armutsbericht u.a.
       ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit.
       Um mit breiter Wirkung in der Gesellschaft und für die Bekämpfung von Ungleichheit wirksam zu werden,
       braucht es Bündnispartner. Deshalb engagieren wir uns u.a. mit vielen Partnern im Bündnis #Unteilbar
       für eine offene Gesellschaft und gegen Rassismus, mit Kinderschutzbund und vielen weiteren gegen Kin-
       derarmut oder zusammen mit dem BUND und anderen Organisationen für eine sozial-ökologische Trans-
       formation.
       Gegenüber der Politik und Öffentlichkeit ist die soziale und wertebasierte Innovationskraft der freien
       Wohlfahrtspflege zu betonen. Innovationen der sozialen Arbeit als Antwort auf soziale Herausforderun-
       gen entstanden und entstehen vor allem in der praktischen Arbeit unserer Mitglieder. Die Gemeinnützig-
       keit und das damit verbundene Verbot der Gewinnentnahme sind das zentrale Wesensmerkmal, das
       garantiert, dass die Lösungen und sozialen Innovationen, die von der Freien Wohlfahrtspflege ausgehen,
       ausschließlich unseren Klient*innen und der Förderung des Allgemeinwohls dienen.

       Herzlich, Ihr Rolf Rosenbrock

                                                                                         www.der-paritaetische.de   6 | 2020     3
06| 2020 - Der Paritätische
SCHWERPUNKT

DAS                                                                damals nur von Frauen ausgeführt wurde. Gute Nachrichten gab
                                                                   es auch für alle Rentner*innen: Wenn sie 25 Jahre in die Pensi-
                                                                   onskasse der Freien Wohlfahrtspflege eingezahlt hatten, konnten

VERBANDSMAGAZIN                                                    sie sich über 100 DM Rente im Monat zusätzlich freuen.

                                                                   JANUAR/FEBRUAR 1968
IM WANDEL DER                                                      Noch recht schlicht, aber
                                                                   bereits mit farbigem Titel

JAHRE                                                              begann das sagenumwobe-
                                                                   ne Jahr 1968 mit den
                                                                   „DPWV-Nachrichten“. Die
                                                                   gesellschaftlichen Umwäl-
Mit diesem Heft geht eine Ära zu Ende. Seit 1951
                                                                   zungen zeigen sich auch be-
erscheint das Magazin des Paritätischen Gesamtverban-              reits in dieser Ausgabe. Ein
des als Mitgliedermagazin. Die vorliegende Ausgabe ist             Vertreter von pro familia
die vorerst letzte, die in gedruckter Fassung erscheint.           sprach sich deutlich für Ver-
Ab 2021 wird unser Magazin zwar weiter erscheinen,                 hütung sowie das Selbstbe-
aber nur noch digital und mit dem Relaunch der neuen               stimmungsrecht der Frau
                                                                   aus. Ein Text, der 42 Jahre
Webseite Mitte kommenden Jahres in einem ganz                      später leider wieder Aktu-
modernen Design.                                                   alität besitzt. Auch heute
Wir wollen diesen Anlass nutzen, um einmal durch                   antiquiert wirkende Para-
unsere bisherigen Hefte aus sieben Jahrzehnten zu                  graphen wie das sogenann-
blättern und einen kleinen Rückblick zu gestalten. Viel            te „Unehelichenrecht“ wurden thematisiert und es wurde be-
                                                                   grüßt, dass sog. ehelich und unehelich geborene Kinder (letztere
hat sich über die Jahre immer wieder geändert in                   machten etwa fünf Prozent aus) nun rechtlich gleichgestellt wer-
Design, Themen, Umfang und sogar Namensgebung                      den konnten. So ganz ist die Emanzipation aber noch nicht in
des Magazins und wird sich auch zukünftig ändern. Der              der Wohlfahrt angekommen. Auf der letzten Seite sucht ein
nächste große Schritt wird die Digitalisierung unseres             „Sozialarbeiter, 46 Jahre“ eine neue Stelle als Heimleiter und
Verbandsmagazins sein.                                             wirbt mit dem Satz: „Die Ehefrau ist zur Mitarbeit bereit.“

                                                                   APRIL 1976
APRIL 1952                                                                                              Immer noch in schwarz,
                                     Ungewöhnlich für einen                                             weiß und blau präsentiert
                                     überkonfessionellen Wohl-                                          sich das Titelbild Mitte der
                                     fahrtsverband machte das                                           Siebziger. Zwei pfiffige Co-
                                     Magazin zu Ostern mit ei-                                          mic-Kids freuen sich, dass
                                     nem Bibelvers aus dem Ko-                                          Mutti nach dem Besuch des
                                     rintherbrief auf. Vor dem                                          Müttergenesungswerkes
                                     Hintergrund, dass über 95                                          wieder Bäume ausreißen
                                     Prozent der (West-)Deut-                                           könnte und präsentieren
                                     schen Anfang der fünfziger                                         selbigen als Beleg. Auch im
                                     Jahre einer der beiden                                             Inneren wird ein anderer
                                     christlichen Kirchen ange-                                         Ton angeschlagen. Wo der
                                     hörten, dann doch nicht so                                         Einleitungstext zuvor noch
                                     ungewöhnlich. Einleitend                                           grußlos begann und streng
                                     lobte Gerda von Craushaar,                                         mit „Die Schriftleitung“
                                     die Leiterin der Centrale                                          schloss, eröffnete man in
                                     für die Fürsorge, die Rolle                                        den Siebzigern bereits mit
                                     der Hauspflegerin, welche     „Hallo Freunde!“ und nutzte das vertraute Du. Diskussionsbei-
Familien in Not unterstützte. Diese Not konnte in der noch stark   träge gab es auch noch 1976, wie den Aufsatz „Freizeit in den
vom Patriarchat geprägten Gesellschaft die Berufstätigkeit der     Sozialen Diensten – Aufgabe oder modisches Gerede?“ Der Au-
Tochter sein, durch die diese sich nicht mehr um den Haushalt      tor kam zum Schluss: Mitnichten Mode, auch Menschen mit Be-
der Eltern kümmern konnte. Der Beruf wurde selbstverständlich      hinderung haben ein Recht auf eine ausfüllende Freizeitgestaltung.
noch nicht gegendert und im Text wurde deutlich, dass er auch

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06| 2020 - Der Paritätische
SCHWERPUNKT

AUGUST 1983                                                          SOMMER 2003
Technische Innovationen                                              Die ersten ahnten bereits,
halten auch in die Wohl-                                             dass der von SPD und Grü-
fahrt Einzug: Auf dem Ti-                                            nen durchgeführte radikale
telbild hält Dr. Rudolf Ni-                                          Umbau des Sozialsystems
colussi Tonträger der von                                            durch die Agenda-Gesetze
ihm geleiteten „Norddeut-                                            mit großen Nachteilen für
schen Blindenbücherei“ in                                            die Betroffenen einherge-
die Kamera. Während                                                  hen könnten. Ein Artikel
heute Hörbücher auf dem                                              von Karl-Heinz Theußen,
Smartphone im Alltag                                                 dem Bundeskoordinator
jede längere Fahrt interes-                                          Jugendsozialarbeit, wirkte
santer gestalten, waren                                              in dieser Ausgabe wie eine
vorgelesene Bücher 1983                                              Prophezeiung. Schon da-
noch ein spezielles Ange-                                            mals sah er den „Kahlschlag
bot für blinde Menschen,                                             ohne Alternative.“ So beti-
die diese in einer der acht                                          telte er seinen Artikel und
Tonbandbüchereien aus-                                               forderte ein Überdenken
leihen konnten. Das große                                            der Maßnahmen. Dazu be-
Thema dieser Ausgabe waren darüber hinaus Geburtsvorberei-           richteten zahlreiche Bildungsträger in dieser Ausgabe, welche
tungen. Was bereits in den zwanziger Jahren in den USA zum           negativen Auswirkungen die geplanten Reformen für sie haben
medizinischen Standard gehörte und staatlich gefördert wurde,        würden. Die meisten waren sich einig: Nichts Gutes.
sollte auch zunehmend in Deutschland Einzug halten. Die Ge-
burtsvorbereitung und die Ausbildung qualifizierter Geburtshel-
ferinnen und Hebammen (auch hier offenbar noch Frauenarbeit)         FRÜHJAHR 2017
sollte die hohe Säuglingssterblichkeit senken. Mitte der Siebziger                                        Und schon wieder eine Na-
lag sie selbst in Deutschland noch bei über 20 Prozent.                                                   mensänderung. Seit zehn
                                                                                                          Jahren schon gibt es ein
                                                                                                          neues Logo, das Magazin
JUNI 1990                                                                                                 heißt inzwischen einfach
                                      Die DPWV-Nachrichten                                                nur „Der Paritätische“ und
                                      heißen inzwischen „nach-                                            tut es bis heute. Das Jahr
                                      richten PARITÄT.“ Und                                               2017 war schwerpunktmä-
                                      auch sonst hat sich wieder                                          ßig geprägt von der Bun-
                                      eine Menge geändert. Die                                            destagswahl. Dementspre-
                                      DDR ist Geschichte, aber                                            chend formulierten in die-
                                      die Menschen, die dort in                                           ser speziellen Ausgabe
                                      der Wohlfahrt gearbeitet                                            Paritäter*innen ihre Forde-
                                      haben, machen natürlich                                             rungen an die kommende
                                      im      wiedervereinigten                                           Bundesregierung und tra-
                                      Deutschland weiter. In der                                          fen Vertreter*innen der
                                      Ausgabe wird berichtet                                              damals fünf im Bundestag
                                      über die „Gründungserklä-      vertretenen Parteien. Die AfD wurde nur kurz am Rande er-
                                      rung“ verschiedenster Or-      wähnt. Obwohl erst drei Jahre alt, liest sich diese Ausgabe wie
                                      ganisationen wie der           aus einer anderen Epoche, ohne Rechtspopulist*innen und
                                      Aids-Hilfe DDR, dem ASB,       Rechtsradikale im Bundestag. Der Herausforderung, mit der seit-
                                      dem VdK oder dem               dem gewachsenen Präsenz rechter Akteur*innen in Parlamenten
                                      Guttemplerorden, die sich      umzugehen, muss sich der Paritätische leider immer öfter stellen.
in einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschlossen, um sich gegen-
seitig zu unterstützen. Auch neue ethische Entwicklungen spielen                                  io ne n
eine Rolle in diesem Heft: Es wurde über die neuesten Möglich-             We it er e In fo rm at
keiten und Gefahren der Reproduktionsmedizin diskutiert – eine
Diskussion, die heute auch noch unter dem Stichwort „Designer-        Auch in Zukunft keine Ausgabe verpassen?
babys“ weiter aktuell ist.                                            Jetzt unser Verbandsmagazin digital abonnieren, schreiben
                                                                      Sie einfach eine Mail an redaktion@paritaet.org .

                                                                                                www.der-paritaetische.de   6 | 2020   5
06| 2020 - Der Paritätische
SCHWERPUNKT

LIEBE ABGEORDNETE,                                                  tenhilfe, Behindertenhilfe und der Pflege. Hier stehen wir gerade
                                                                    in Corona-Zeiten vor besonderen Herausforderungen, denen
                                                                    sich die Politik mit vielfältigen Hilfsmaßnahmen für die soziale

WAS HALTET IHR VON                                                  Infrastruktur gestellt hat. Die Stärkung des sozialen Zusammen-
                                                                    halts der Gesellschaft und die Unterstützung schwacher Perso-
                                                                    nengruppen eint uns als gemeinsames Ziel.

UNS?                                                                     Peter Weiß ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und
                                                                          Soziales der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag

Ständig stehen wir im Austausch mit                                 KERSTIN TACK (SPD)
Politiker*innen, um unsere Positionen                                                                 Wer gute Politik machen
                                                                                                      möchte, braucht Erfahrun-
zu Sozial-, Bildungs- und                                                                             gen aus der Praxis. Der
Gesundheitspolitik in die einzelnen                                                                   Paritätische ist breit aufge-
Parteien und Fraktionen zu tragen.                                                                    stellt und verfügt über eine
                                                                                                      hohe Expertise. Er bringt
Daher haben wir Abgeordnete der                                                                       sich oft kritisch aber immer
demokratischen Fraktionen im                                                                          konstruktiv in den Gesetz-
Deutschen Bundestag gefragt: Was                                                                      gebungsprozess ein und
                                                                                                      prägt so die deutsche Sozi-
verbinden Sie mit dem Paritätischen?                                                                  alpolitik. Als Sprecherin für
                                                                                                      Arbeit und Soziales der
PETER WEISS (CDU/CSU)                                                                                 SPD-Fraktion im Deut-
                                                                    schen Bundestag ist die Zusammenarbeit mit dem Paritätischen
Als Sozialpolitiker ist es eine                                     demnach sehr wertvoll für meine politische Arbeit.
besondere Aufgabe, bei der
Gestaltung des Sozialrechts                                         Besonders prägnant und positiv bleibt mir die Zusammenarbeit
mitzuwirken. Diese Mitwir-                                          mit dem niedersächsischen Landesverband zum Bundesteilhabe-
kung lebt auch von der Arbeit                                       gesetz im Kopf. Als hannoversche Bundestagsabgeordnete habe
der sozialen Verbände. Der                                          ich zum Landesverband einen besonders engen Draht, vor allem
Paritätische Wohlfahrtsver-                                         zur Vorsitzenden, Birgit Eckhardt. Im Rahmen des Bundesteilha-
band ist hier ein wertvoller                                        begesetzes verbessern wir die Teilhabe behinderter Menschen
Impulsgeber. Mit vielen seiner                                      an der Gesellschaft. Das ist eines der größten Gesetzesvorhaben
über 10.000 Mitglieder und                                          in der letzten Legislaturperiode.
Verbände, die die ganze bunte
Vielfalt der Wohlfahrtspflege                                       Auch im Rahmen des Teilhabechancengesetzes erinnere ich mich
in Deutschland abdecken, stehe ich im persönlichen Kontakt.         zum Paragrafen 16i an eine sehr gute und konstruktive Zusam-
Viele Impulse des Paritätischen haben schon in der politischen      menarbeit mit dem Paritätischen Gesamtverband. Langzeitar-
Arbeit Berücksichtigung gefunden und sind so in Gesetze einge-      beitslose zurück ins Berufsleben zu bringen – das war unser Ziel
flossen. Ein gutes Beispiel ist das Bundesteilhabegesetz. Der       und das haben wir erreicht.
Paritätische versteht sich zu Recht als Anwalt der Schwachen.
Unser Staat leistet auch für diese Menschen sehr viel.              Natürlich endet die Arbeit an einem Gesetz nicht, wenn es ver-
                                                                    abschiedet wird. Auch zu Gesetzesänderungen gibt der Paritäti-
Dort wo der Einsatz des Staates an die Grenzen des Machbaren        sche aktiv Stellungnahmen ab. In diesem Sinne freue ich mich auf
stößt, ist ehrenamtliches Engagement gefragt. Jedes Jahr leisten    eine weitere produktive Zusammenarbeit.
mehr als 13.000 Freiwillige ein FSJ oder einen BFD bei den Pari-                                      Kerstin Tack ist Sprecherin für
tätischen Freiwilligendienstträgern. Das verdient besondere An-                     Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion
erkennung.

Gerade in unsicheren Zeiten haben wir gemerkt, wie wichtig die      BEATE MÜLLER-GEMMEKE (GRÜNE)
ehrenamtlichen und sozialen Strukturen der Verbände sind. Oft       Für mich sind der Paritätische und seine engagierten Vertreter*in-
sind sie vor Ort Helfer in der Not und halten unsere Gesellschaft   nen eine beständige Begleitung meiner beruflichen Laufbahn. In
zusammen. Sie sind ein unverzichtbarer Teil unseres Sozialstaats,   meinem früheren Leben als selbstständige Sozialpädagogin habe
weil sie mit ihren Angeboten ganz wesentlich zur gesellschaftli-    ich die unterschiedlichsten ESF-Projekte in Baden-Württemberg
chen Integration benachteiligter Gruppen beitragen. Besonders       entwickelt und begleitet. Als Honorarkraft beim Paritätischen
hervorzuheben ist das Engagement des Paritätischen in der Al-       habe ich das Schulungsprogramm „EPM – ESF-Projekte managen

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06| 2020 - Der Paritätische
SCHWERPUNKT

                                      – Erfolg sichern“ mit ange-     eines staatlichen Programms. Die dezentrale und vielfältige Kre-
                                      schoben und die ersten          ativität der freien Wohlfahrtseinrichtungen erscheint mir uner-
                                      Angebote mit entwickelt,        setzlich, wenn es darum geht, Menschen in unserer Gesellschaft
                                      um Träger im Umgang mit         zu helfen, die es ohne Hilfe sehr viel schwerer hätten. Dafür
                                      dem ESF fit zu machen.          möchte ich dem Verband und seinen Mitgliedern herzlich danken.
                                                                      Etwas Entwicklungspotenzial beim Verband und seiner jüngeren
                                      Das hat mir nicht nur viel      Positionierung sehe ich bei der Frage, ob sozialpolitisch viel auch
                                      Spaß gemacht, sondern es        immer gleich viel helfe. Das ist vielleicht zu viel verlangt von einem
                                      hat mich inhaltlich auch wei-   Interessenverband, aber Fördern und Fordern ist auch hier der
                                      tergebracht. Vor allem aber     richtige Weg.
                                      hat sich EPM als sinnvolles                                       Johannes Vogel ist Arbeitsmarkt-
                                      und gern genutztes Ange-                        und rentenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion
bot etabliert. Heute als Abgeordnete im Bundestag bin ich der
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik treu geblieben und kann mich auf
Praxiseinblicke, professionelle Sachverständige in öffentlichen       KATJA KIPPING (LINKE)
Anhörungen, Hinweise auf Leerstellen in unseren Konzepten,                                               Wenn in der Öffentlich-
aber auch auf unterstützende Kommentare aus den Reihen des                                               keit Sozial- und Gesund-
Paritätischen verlassen.                                                                                 heitspolitisches verhandelt
                                                                                                         wird, kann man sicher sein,
Der Paritätische Gesamtverband bereichert uns – die Bundes-                                              dass der Paritätische
tagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen – auch in unserem                                                 Wohlfahrtsverband un-
Gewerkschafts- und Sozialbeirat. Hier diskutieren wir Zukunfts-                                          überhörbar seine Stimme
fragen, stellen grüne Programmatik zur Diskussion und erhalten                                           erhebt. Als Dachverband
vom Beiratsmitglied Ulrich Schneider klare und inspirierende                                             von über 10.000 eigen-
Ansagen. Danke also für die engagierte, immer auch (medial)                                              ständigen Organisationen,
präsente und vor allem inhaltlich kompetente Arbeit. Wir brau-                                           Einrichtungen und Grup-
chen diese wichtige Stimme und den beharrlichen Einsatz für                                              pierungen im Sozial- und
soziale Gerechtigkeit!                                                                                   Gesundheitsbereich ver-
                       Beate Müller-Gemmeke ist Sprecherin für        fügt er über eine große Kompetenz, um fundiert Expertise und
      ArbeitnehmerInnenrechte und aktive Arbeitsmarktpolitik          politische Forderung zu verbinden.

                                                                      Mich persönlich verbindet mit dem Paritätischen Wohlfahrtsver-
JOHANNES VOGEL (FDP)                                                  band sein unbeugsames Eintreten für die Rechte derjenigen, die
So richtig in Kontakt gekom-                                          in dieser Gesellschaft zu wenig Beachtung finden, die in sozialer
men bin ich mit „dem Paritä-                                          Not leben oder individuelle Beeinträchtigungen erleiden - und
ter“ ab dem Jahr 2009. Als                                            von daher auf Unterstützung angewiesen sind. Dass man dabei
junger Bundestagsabgeord-                                             auch für manche politischen Kräfte unbequem werden kann, liegt
neter mit Schwerpunkt Ar-                                             in der Natur der Sache.
beit und Soziales habe ich
damals zu vielen Organisati-                                          Sei es beim Einsatz für Sanktionsfreiheit, sei es beim Nachweisen,
onen und Gesprächspart-                                               dass die Bundesregierung die Hartz-IV-Regelsätze kleinrechnet,
nern Kontakt gesucht, um zu                                           beim Kampf gegen Kinderarmut, bei Aufrufen für Demonstrati-
lernen. Um die Meinungsviel-                                          onen wie Unteilbar – überall ist der Paritätische aktiv.
falt in diesem Politikbereich                                         Erst neulich waren wir uns bei einem Spitzengespräch einig: Uns
kennen zu lernen, eigene                                              stehen harte Verteilungskämpfe bevor, und darin müssen wir
Ideen austesten zu können                                             zusammen mit anderen dafür eintreten, dass die Kosten der Co-
und Leute zu finden, auf deren fachliche Einschätzung man sich        ronakrise nicht auf die Ärmsten oder diejenigen, die den Laden
inhaltlich verlassen konnte. Das galt dann damals auch für die        am Laufen halten, abgewälzt werden, sondern durch eine stär-
Vertreterinnen und Vertreter des Paritätischen. Ebenfalls schon       kere Besteuerung von Millionengewinnen, Millionenerbschaften
damals hat Ulrich Schneider den Verband geprägt und die Ver-          und Millionenvermögen.
bandsinteressen seither immer mit großem Einsatz im politischen
Berlin vertreten, wobei er manchmal auch gar nicht falsch liegt.      Respekt gebührt allen, die in den Organisationen und Einrichtun-
                                                                      gen unter dem Dach des Paritätischen tätig sind, die sich sozial
Am Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband gefällt mir die          und politisch engagieren.
grundsätzliche Idee, dass Wohlfahrt in einer Gesellschaft das                                                         Katja Kipping ist
Werk der Vielen ist und nicht einfach die behördliche Umsetzung                    sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

                                                                                             www.der-paritaetische.de    6 | 2020       7
06| 2020 - Der Paritätische
SCHWERPUNKT

DAS ALTERNATIVE ORGANIGRAMM

UNSERE ABTEILUNGEN IM PARITÄTISCHEN
Sieben Abteilungen hat der Gesamtverband neben dem fachübergreifenden
Stab. Doch wofür genau sind diese eigentlich zuständig? Wir haben alle
Leiter*innen gebeten, kurz und knapp ihre Abteilung vorzustellen...

FINANZEN UND VERWALTUNG                                               GESUNDHEIT, TEILHABE UND PFLEGE
Soziale Arbeit im Paritätischen ist auf eine verlässliche Finanzie-   Die neu zugeschnittene Abteilung Gesundheit, Teilhabe und Pfle-
rung ihrer Arbeit angewiesen. Die Abteilung „Finanzen und Ver-        ge hat vor allem die wichtige Aufgabe, die Entwicklungen im
waltung“ unterstützt bei der Mittelbeschaffung, beim Einkauf und      Bereich Gesundheit, Eingliederungshilfe, Pflege und Alter bera-
im Qualitätsmanagement. Sie stellt darüber hinaus sicher, dass        tend zu begleiten. Hierbei beraten wir einerseits die politischen
die Mitarbeitenden des Gesamtverbandes ihre fachliche Arbeit          Akteure, indem wir in Fachgesprächen und Anhörungen die Pa-
leisten können, indem z. B. eine funktionale digitale Infrastruktur   ritätische Sicht auf geplante oder notwendige Maßnahmen dar-
vorgehalten wird, die Information, Beratung und Qualifizierung        legen und wirken maßgeblich in Verhandlungen mit Leistungsträ-
durch die Fachabteilungen ermöglicht.                                 gern mit. Andererseits informieren und beraten wir auch Lan-
                                                                      desverbände und Mitgliedsorganisationen, wie sie die beschlos-
In der Mittelbeschaffung begleitet und berät die Abteilung An-        senen Gesetze und Maßnahmen am besten umsetzen können.
tragsanliegen auf Förderung aus Mitteln des Bundes und bundes-        Wir setzen uns auf Bundesebene für die Schaffung und Verbes-
weit tätigen Förderorganisationen für die ihnen angeschlossenen       serung von Rahmenbedingungen ein, die ein würdevolles und
Mitgliedsorganisationen. 2019 konnten für über 3.000 Mitglieds­       selbstbestimmtes Leben aller Menschen – egal ob sie mit oder
organisationen insgesamt rd. € 85 Mio. an Fördermittel z. B. im       ohne Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder Krankheit leben –
BFD, FSJ, MBE, Revolvingfonds, der Aktion Mensch, dem Deut-           ermöglichen. Für die Entwicklung von Paritätischen Positionen
schen Hilfswerk, der GlücksSpirale, der Aktion Deutschland Hilft      stimmen wir uns eng mit den Paritätischen Landesverbänden und
oder der Stiftung Jugendmarke akquiriert werden.                      unseren Mitgliedsorganisationen ab und fördern ihren Austausch
                                                                      untereinander. Unsere Abteilung besteht aus acht Kolleg*innen,
Als Dach von 10.700 selbständigen Organisationen ist es dem           die in den Referaten „Selbsthilfe und chronische Erkrankungen“,
Paritätischen möglich, gemeinsame Interessen gegenüber Unter-         „Behindertenhilfe und soziale Psychiatrie“, „Altenhilfe und Pflege“
nehmen zu formulieren. Über 170 Firmen haben deshalb Rah-             sowie „Gesundheit, Prävention, Rehabilitation und Bevölkerungs-
menverträge mit dem Gesamtverband vereinbart, die Paritäti-           schutz“ arbeiten. Neben dem „FORUM Rettungswesen und Ka-
schen Mitgliedsorganisationen den preiswerten Einkauf von Pro-        tastrophenschutz“, in welchem sich u.a. das DLRG, der ASB und
dukten und Dienstleistungen bundesweit möglich machen.                der Bundesverband Rettungshunde miteinander austauschen, ist
                                                                      unserer Abteilung auch das „FORUM chronisch kranker und be-
Eine qualitativ verlässliche und klientenorientierte Arbeit trotz     hinderter Menschen“ zugeordnet. In diesem FORUM beraten
unterschiedlicher fachlicher Ansätze auf ein gemeinsames Profil       Vertreter*innen der Bundesorganisationen der Selbsthilfe über
zusammenzubringen und weiterzuentwickeln, dies hat sich die           ihre aktuellen Themen, Gesetzesverfahren und Belange der Pa-
Paritätische Qualitätsgemeinschaft Bund als Zusammenschluss           tientenvertretung im „Gemeinsamen Bundesausschuss“ (G-BA).
der Paritätischen Landesverbände mit dem Gesamtverband zur            Der Paritätische Gesamtverband ist eine anerkannte, für die
Aufgabe gemacht. Dazu entwickelt das Zentrum für Qualität und         Wahrnehmung der Interessen der Selbsthilfe maßgebliche Spit-
Management kontinuierlich das verbandseigene System PQ-Sys            zenorganisation und setzt sich im Rahmen dieser Funktion für
® weiter und schult Mitarbeitende im Paritätischen.                   die Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Selbsthilfe ein.

                                  Die Abteilung wird geleitet von                                       Die Abteilung wird geleitet von
                                            Joachim Hagelskamp                                                   Lisa Marcella Schmidt

                     HEIT, TEILHABE
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RECHT                                                                 für werden Schulungen angeboten und Arbeitshilfen erstellt.
                                                                      Aktuell geht es auch darum, die Mitgliedsorganisationen bei der
Wenn der gesunde Menschenverstand nicht mehr weiterhilft,             Digitalisierung ihrer Arbeit (Online- Beratung) zu unterstützen.
können die Jurist*innen des Gesamtverbandes bestimmt helfen –         Schließlich gehört zum Aufgabenspektrum das Eintreten auf
so ist oft der Auslöser für Anfragen an die Rechtsabteilung. Klar     nationaler oder europäischer Ebene für eine menschenrechts-
ist der typische Fall für die Inanspruchnahme von Jurist*innen,       basierte, solidarische und faire Asylpolitik in Europa und die
wenn Interessen nicht übereingehen oder Beziehungen gestört           gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschich-
sind. Die Frage am Telefon „Welche Rechte hat eigentlich ein          te . Einen Schwerpunkt der Arbeit stellt die Unterstützung von
Vereinsmitglied“ ist regelmäßig der deutliche Hinweis auf Störun-     Migrantenorganisationen dar, dazu wurde schon 2007 das Forum
gen der Chemie im Verein.                                             der Migrantinnen und Migranten gegründet.
                                                                      Darüber hinaus versuchen wir, immer wieder Impulse zu geben
Interessengegensätze und Konflikte sind aber nicht die bevorzug-      für mehr Diversität im Verband und in der Gesellschaft und den
ten Themen der Jurist*innen beim Gesamtverband. Viel lieber           verbesserten Schutz vor Diskriminierung, wie aktuell mit Projek-
unterstützen wir die Fachreferate bei der Interpretation von          ten zur interkulturellen Öffnung der Behindertenhilfe oder der
Gesetz(entwürf)en, der Formulierung von Stellungnahmen und            Qualifizierung von Moscheegemeinden.
Fachinformationen mit dem Ziel der gelungenen Verbindung von          „Internationale Kooperation“ , das umfasst vor allem die Vertre-
juristischer Präzision und Verständlichkeit. Die Antwort „Es          tung unserer Mitgliedsorganisation im Bündnis „Aktion Deutsch-
kommt darauf an“ mag als Jurist*innenattitüde anmuten. Sie ist        land hilft“, in dem sich 10 Paritätische Mitgliedsorganisationen
angesichts der Komplexität von Lebenssachverhalten und der            engagieren, sowie die Auseinandersetzung mit der Situation
Kompliziertheit vieler Gesetze öfter berechtigt, als uns lieb ist.    Geflüchteter in Transitstaaten oder Herkunftsregionen.
Wir bemühen uns immer um praktisch hilfreiche Hinweise und            Um die Themen Flucht und Migration gibt es immer wieder kon-
vermeiden akademische Pirouetten.                                     troverse politische Auseinandersetzungen. Neben der engen
                                                                      Abstimmung im Team ist uns daher die Zusammenarbeit mit
Außer der Unterstützung der Fachreferate hat die Rechtsabtei-         anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren wichtig.
lung eigene Themen, die unabhängig sind von einem Fachbereich
und Strukturfragen sozialer Organisationen betreffen wie Ar-                                           Die Abteilung wird geleitet von
beitsrecht, Vereinsrecht, Gemeinnützigkeitsrecht, Datenschutz,                                                        Harald Löhlein
Rechtsgrundlagen der Finanzierung, Urheberrecht und Ähnliches
mehr. Mit unseren etwa 3,5 Stellen müssen wir uns auf Grund-
lageninformationen und die Unterstützung von Landesverbänden
und überregionalen Mitgliedsorganisationen beschränken.

                                  Die Abteilung wird geleitet von
                                                 Werner Hesse

                                                                      SOZIALE ARBEIT
                                                                      Trotz der kurzen Bezeichnung umfasst die Abteilung „Soziale
                                                                      Arbeit“ ein breites Themenspektrum. Zentral sind die Themen
                                                                      Kinder, Jugend, Familien und Frauen. Aber auch die Freiwilligen-
MIGRATION UND INTERNATIONALE                                          dienste, das Bürgerschaftliche Engagement, die Straffälligen- und
KOOPERATION                                                           Suchthilfe, Schule und Bildung werden in der Abteilung bearbei-
                                                                      tet. Zudem gibt es zwei große Bundesprogramme: „Kultur macht
Nein, Migration ist gewiss nicht die „Mutter aller Probleme“ (In-     Stark. Bündnisse für Bildung“ und in Kooperation mit dem Pari-
nenminister Seehofer), aber es bedarf guter rechtlicher, instituti-   tätischen Landesverband Berlin sowie dem Bundesverband Kin-
oneller Rahmenbedingungen, professioneller Unterstützungsan-          dertagespflege „Demokratie und Vielfalt in Kindertageseinrich-
gebote und einer engagierten Zivilgesellschaft, damit die Auf-        tungen“. Das breite Themenspektrum ist durchaus auch eine
nahme und Partizipation von Eingewanderten oder Schutzsu-             Herausforderung, denn in der Vielfalt gibt es kaum gemeinsame
chenden gelingt. Dafür setzen sich die derzeit 14 Kolleginnen und     Punkte, die alle Kolleginnen und Kollegen betreffen, die gemein-
Kollegen unserer Abteilung, in der die Themenbereiche Migra­          sam erörtert oder sogar bearbeitet werden können. Ungeachtet
tion, Flucht und humanitäre Auslandshilfe/Entwicklungszusam-          dessen versuchen wir aber über unsere Austauschrunden und
menarbeit bearbeitet werden, ein. Konkret geht es dabei u.a. um       die Vorstellung von Schwerpunkten in der Arbeit der Fachrefe-
die Umsetzung von aktuell acht Förderprogrammen, wie etwa             rent*innen möglichst viel Transparenz und Verständnis für die
bei der Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) oder die För-         Themen des jeweils anderen zu erreichen. Wir verstehen uns als
derung von Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge. Ein weiteres       Team, können uns aufeinander verlassen und sind miteinander
Anliegen ist die fachliche Qualifizierung der Organisationen. Da-     und untereinander solidarisch. Ein Ruf nach Hilfe und Unterstüt-

                                                                                             www.der-paritaetische.de   6 | 2020     9
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SCHWERPUNKT

zung, oder auch nur nach fachlichem Austausch bleibt bei uns,          ÖFFENTLICHKEITSARBEIT, PRESSE,
wie in den anderen Abteilungen auch, nicht unbeantwortet. In
unserem Selbstverständnis sind wir Dienstleister für unsere Mit-       REDAKTION UND KAMPAGNEN
gliedsorganisationen und Träger, bringen unsere fachliche Exper-
tise in die verbandlichen Diskurse ein und übernehmen sozialan-        Ohne diese Abteilung würden nur wenige erfahren, was der
waltschaftliche Funktion gegenüber den Menschen, die in unserer        Paritätische eigentlich macht. Unter der Leitung von Gwendolyn
Gesellschaft nicht oder kaum gehört werden.                            Stilling wird hier die Darstellung des Paritätischen in der Öffent-
                                                                       lichkeit koordiniert. Sowohl eingehende Presse-, Interview- und
                                  Die Abteilung wird geleitet von      Medienanfragen werden bearbeitet als auch entschieden, mit
                                         Marion von zur Gathen         welchen Botschaften und Meldungen der Verband sich nach au-
                                                                       ßen darstellen möchte, wozu auch die Entwicklung der Darstel-
                                                                       lung in den Sozialen Medien gehört. Zu den regelmäßigen Ver-
                                                                       öffentlichungen zählt auch dieses Verbandsmagazin, auch die
                                                                       Gestaltung weiterer Publikationen des Verbandes ist Aufgabe
                                                                       der Abteilung. Das zweite große Feld, das in den letzten Jahren
                                                                       kontinuierlich ausgebaut wurde, sind verbandsweite Kampagnen
                                                                       und Bündnisaktivitäten. Die Abteilung hält Kontakte in die Zivilge-
ARBEIT, SOZIALES UND EUROPA                                            sellschaft und vertritt den Paritätischen in Bündnissen wie #unteil-
                                                                       bar. Daher sind Paritäter*innen inzwischen fester Bestandteil gro-
Der Name der Abteilung ist Programm. Sie trägt dazu bei, das           ßer Demonstrationen. Auch das Projekt „Beratung gegen Rechts“
Soziale vor Ort ebenso wie auf europäischer Ebene weiterent-           und die Kampagne „Vielfalt ohne Alternative“ sind in der Abteilung
wickeln zu helfen und dabei buchstäblich „Übersetzungsarbeit“          angegliedert. Hier bekommen Mitglieder Hilfe, wenn Sie Anfein-
zu leisten. Sie informiert und berät Landesverbände und überre-        dungen von Rechten ausgesetzt sind. Darum, die Paritäter*innen
gionale Mitgliedsorganisationen über europäische Fördermöglich-        und unseren Verband für die Digitalisierung fit zu machen, küm-
keiten, aber auch zu Fragen des Wettbewerbs- und Beihilfen-            mert sich das Projekt „Digitale Kommunikation.“ Die Kolleg*innen
rechts. Darüber hinaus widmet sich die Abteilung fachlich der          aus dem Projekt verwalten unser Mitgliederportal www.wir-sind-pa-
Architektur der sozialen Sicherungssysteme allgemein, speziell         ritaet.de, koordinieren das Team von inzwischen fast 200 On-
Fragen der Arbeitsmarkt- und Alterssicherungspolitik. Dabei geht       line-Scouts aus dem ganzen Verband und sorgen mit Workshops,
es darum, die Interessen der betroffenen Menschen ebenso wie           Beratung und konkreten Arbeitshilfen im „Webzeugkoffer“ dafür,
der Einrichtungen und Dienste im Paritätischen durchsetzen zu          dass unsere Mitglieder alle #GleichImNetz sind.
helfen. Die Abteilung trägt auch dazu bei, die Vielfalt der Wei-
terbildungsangebote im Paritätischen sichtbar zu machen.                                                 Die Abteilung wird geleitet von
In der Kommunikation mit Politik, Verwaltung, Wissenschaft und                                                       Gwendolyn Stilling
Öffentlichkeit werden neben guten Argumenten auch empirische
Daten benötigt, um für verbandliche Anliegen Gehör zu finden.
Als einziger Wohlfahrtsverband verfügt der Paritätische deshalb
über eine eigene Forschungsstelle. Dies bietet dem Verband die
Möglichkeit, neue Aspekte fundiert in die öffentliche Diskussion
einzubringen. Beispielsweise legt die Forschungsstelle jährlich kon-
krete Zahlen zur lokalen Umsetzung des Bildungs- und Teilhabe-
paketes vor. Organisationen vor Ort haben damit die Möglichkeit,                 Fr is ch ge dr uc k t
Defizite im Vergleich zu erkennen und Beispiele für eine gute
Umsetzung zu identifizieren. Mit Kurzexpertisen und Studien,            In der Arbeitshilfe „Druck aus den
etwa zur Angemessenheit der Hartz-IV-Sätze, unterstützt die             Parlamenten. Zum Umgang sozialer
Forschungsstelle die verbandliche Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit.     Organisationen mit Anfeindungen
Mit dem durch die Aktion Mensch Stiftung geförderten Projekt            von rechts“ klärt der Paritätische in
Teilhabeforschung wird ein besonderes Augenmerk auf die Bereit-         Kooperation mit dem Verein für
stellung von Daten für eine inklusive Politik und eine bessere För-     Demokratische Kultur in Berlin
derung und Beteiligung von Menschen mit Behinderung gelegt.             (VDK) e.V. und Mobile Beratung
                                                                        gegen Rechtsextremismus Berlin
                                  Die Abteilung wird geleitet von       (MBR) über Strategien der Rechts-
                                               Dr. Joachim Rock         extremen und Rechtspopulist*innen auf und gibt Tipps so-
                                                                        wie Handlungsempfehlungen für von Anfeindungen betrof-
                                                                        fene Einrichtungen, Organisationen und Mitarbeiter*innen.
                                                                        Mehr Infos unter: www.vielfalt-ohne-alternative.de

10     www.der-paritaetische.de      6 | 2020
SCHWERPUNKT

PARITÄT IN                                   Zählt man das 36-seitige Verbandsma­
                                             gazin, welches 6x im Jahr erscheint, mit
                                             dazu, sind es sogar 919.
                                                                                          tere Rahmenverträge dingfest gemacht,
                                                                                          verriet man uns!

ZAHLEN                                       MITGLIEDER
                                                                                          ONLINE-PRÄSENZ
Zahlen sind langweilig? Mitnichten!
                                                                                                    763.000
Wir haben uns mal durch diverse
Statistiken und Archive beim                         764.ooo                                        Aufrufe
Paritätischen Gesamtverband
gewühlt und die Kolleg*innen                        Menschen                              hat unsere Homepage www.paritaet.org
befragt und dabei einige interessan-
                                             arbeiteten 2019 in einer der über 10.000     bis zum Redaktionsschluss in diesem Jahr
te Sachen über den Verband                   Paritätischen Mitgliedsorganisationen in     gehabt. Fast eine Verdoppelung, was na-
herausgefunden.                              ganz Deutschland. Sie leisteten über         türlich einerseits durch die ständig steigen-
                                                                                          de Attraktivät des Verbandes und seiner

                                              800 Millionen
                                                                                          Homepage als auch durch die Corona-Pan-
GESCHICHTE                                                                                demie begründet werden kann. 2019 wa-
                                                                                          ren es über das ganze Jahr gerechnet

        96 Jahre                             Arbeitsstunden insgesamt ab.                 383.000 Aufrufe.

                                                                                          Auch in den Sozialen Netzwerken sind
ist der Paritätische Gesamtverband inzwi-    JAHRESKAMPAGNE                               wir immer stärker präsent. Unser Flag-
schen alt. Die Vorbereitungen für unseren                                                 schiff ist dort immer noch Twitter.
100. Geburtstag laufen so langsam an.        2018 hat der Paritätische mit der großen

                                                                                                    24.980
                                             Jahreskampagne „Mensch, Du hast Recht!“
                                             auf das Jahr der Menschenrechte hinge-
MITARBEITER*INNEN                            wiesen, auch mit einer großen Material-
                                             schlacht. Knapp eine
                                                                                                   Follower
               73%                           viertel Million
                                                                                          haben wir dort.
                                                                                          Doch auch woanders wachsen wir. Vor
                                                                                          wenigen Wochen konnten wir uns darü-
ist der Frauenanteil der Mitarbeiter*innen
beim Paritätischen Gesamtverband. Von            Plakate                                  ber freuen, bei Facebook fünfstellig zu
                                                                                          werden und inzwischen
insgesamt

                105                                                                                 10.016
                                             wurden im Rahmen der Kampagne ge-
                                             druckt.

Mitarbeiter*innen in unserer Geschäfts-
stelle definieren sich 77 weiblich und 28    RAHMENVERTRÄGE                                        Follower
männlich.
                                             Die Mitgliedschaft beim Paritätischen        dort zu haben.
                                             lohnt sich, denn auf die Mitglieder warten
PUBLIKATIONEN                                                                             Und auch unser „eigenes“ soziales Netz-

                                                             186
                                                                                          werk wächst kontinuerlich. Zum Redakti-

       811 Seiten
                                                                                          onsschluss waren auf wir-sind-paritaet.de

                                                                                                           368
                                             Rahmenverträge, mit denen sich eine
hat der Paritätische im vergangenen Jahr     Menge Geld sparen lässt. Von Rabatten
in seinen                                    im Fitnessstudio über günstigere Software

                 20
                                             bis hin zu billigeren Büromöbeln ist eine    Paritäter*innen aktiv, tauschen sich real
                                             ganze Menge dabei.                           und virtuell miteinander aus und machen
                                                                                          gemeinsame Aktionen miteinander.
Publikationen, Handreichungen und Ex-        Stand ist der Redaktionsschluss. In den
pertisen veröffentlicht.                     kommenden Wochen werden noch wei-

                                                                                          www.der-paritaetische.de    6 | 2020      11
SCHWERPUNKT

WER KENNT DEN
PARITÄTISCHEN?
Ein kleines Quiz. Schicken Sie die richtigen Anworten bis zum
15.12. an redaktion@paritaet.org und gewinnen Sie eine von
drei „Vielfalt ohne Alternative!“-Tassen.
SCHWERPUNKT

KLEINE HISTORIE                                                        und Praxis herausforderten. Die Grenzen und Schwächen der
                                                                       sozialen Sicherungssysteme wurden dann spätestens in den
MITGLIEDERENTWICKLUNG IM                                               1980ern angesichts von Massenarbeitslosigkeit, zunehmender
                                                                       Langzeitarbeitslosigkeit, empor schnellender Sozialhilfezahlen
PARITÄTISCHEN                                                          und demografischem Wandel erstmals mehr als deutlich spürbar.
                                                                       Erstmals war die Rede von der „neuen Armut“. Der soziale Pro-
                                                                       blemdruck fand über Initiativen von Sozialhilfebezieher*innen
Hervorgegangen aus einem Krankenhausfachverband                        und soziale Beschäftigungsinitiativen in den Verband. Auch Frau-
hat sich der Paritätische zu einem der drei größten                    enhäuser und Fraueninitiativen sowie eine Vielzahl von Selbsthil-
                                                                       feinitiativen im Gesundheitsbereich (heute im Forum chronisch
Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege                            kranker und behinderter Menschen im Paritätischen organisiert)
entwickelt. Anfang der 1950er Jahre zählte der                         wurden in dieser Zeit Mitglied im Paritätischen und ließen den
Paritätische Wohlfahrtsverband knapp 380                               Verband politischer werden. Ein erster Armutsbericht wurde
Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 1.800                       1989 als sichtbarster und öffentlichkeitswirksamster Ausdruck
sozialen Einrichtungen. Knapp 30 Jahre später, 1979,                   dieser Entwicklung vorgelegt.
waren es bereits über 2.400 Mitglieder, 1989 hatte sich                Offenheit, Toleranz, Vielfalt
diese Zahl auf rund 5.000 Mitglieder bereits mehr als                  Der Verband gab sich damals erstmals Verbandsgrundsätze. Es
verdoppelt und zwanzig Jahre später noch einmal eine                   war durchaus diskutiert worden, gar keine weiteren Mitglieder
glatte Verdoppelung – im Jahr 2009 begrüßte der                        aufzunehmen, aus Angst, der enorme Zulauf könnte den Verband
Verband das 10.000ste Mitglied. Heute sind es knapp                    überfordern. In den Verbandsgrundsätzen von 1989 bekennt sich
                                                                       der Paritätische schließlich jedoch klar zu Vielfalt und Offenheit.
10.700 rechtlich eigenständige, gemeinnützige                          Erst die Offenheit, die Toleranz und das Zulassen der Vielfalt lösen
Organisationen bundesweit, die unter dem Dach des                      notwendige gesellschaftliche Bewegungen aus und halten sie in
Paritätischen organisiert sind. Mehr als 700.000                       Gang. Das waren die Einsichten, die in den Verbandsgrundsätzen
Menschen sind hauptamtlich in den mehr als 20.000                      festgeschrieben wurden – Einsichten, die bis heute nicht an Aktu-
Einrichtungen beschäftigt – und noch mehr Menschen,                    alität eingebüßt haben.
engagieren sich ehrenamtlich und in der Selbsthilfe.                   Ganz im Gegenteil: In den letzten Jahrzehnten haben Tempo und
                                                                       Druck, auch auf die Freie Wohlfahrtspflege zugenommen. Wie-
                                                                       dervereinigung, Globalisierung, Liberalisierung, Europäisierung,
Die Mitgliederentwicklung spricht für den Verband. In der Auf-         Digitalisierung. Die Einführung des Euro Ende der 1990er. Die
nahmepolitik des Paritätischen, die vor allem charakterisiert ist      Agenda 2010, die Probleme lösen sollte, stattdessen aber Armut
durch eine Politik der Offenheit und des „Sich-Nicht-Verschließens“,   manifestierte. Der Durchmarsch des Neoliberalismus nach der
und der Mitgliederentwicklung spiegeln sich letztlich stets auch       Wiedervereinigung, als Wettbewerb und Ökonomisierung in den
gesellschaftliche Probleme und Interessen der jeweiligen Zeit wider.   1990er Jahren auch in der Wohlfahrtspflege Einzug hielten, die
Nach dem Zweiten Weltkrieg stand zunächst alles im Zeichen des         sich plötzlich mit Problemen wie Preisdumping auseinandersetzen
Wiederaufbaus und der Rückkehr zur Normalität. Alle Wohl-              musste, während gleichzeitig politisch das Ehrenamt hofiert wurde.
fahrtsorganisationen waren insbesondere mit der Linderung von          Die Globalisierung brachte immer wieder neue Widersprüche mit
Kriegsfolgen befasst. Die Freie Wohlfahrtspflege hatte ihren festen    sich und heizte beispielsweise die Debatte um Migration und Inte-
Platz im Sozialstaat und der Paritätische galt als „Sammelbecken       gration an: Ist die Bundesrepublik ein Einwanderungsland und will
der Versprengten“, die eben nicht AWO, nicht Caritas, DRK oder         sie es überhaupt sein? Selbstorganisationen der Migrant*innen
Diakonie waren. In den 1960er Jahren entwickelte sich der Paritä-      entstanden und kamen in den Verband. Über 200 Migrant*innen-
tische zunehmend zu einem Dach für die neu entstehenden Initi-         organisationen sind heute im 2007 gegründeten Forum der
ativen von Bürger*innen, insbesondere in der Behindertenhilfe.         Migrant*innen im Paritätischen organisiert, um gemeinsam und
Gleichzeitig wurde das Sozialsystem in Deutschland ausgebaut und       selbst ihre Interessen zu vertreten.
die soziale Arbeit professionalisierte sich.
                                                                       Ein Verband, der immer in Bewegung ist
Neue Aufbrüche in den Siebzigern                                       In den letzten fünf Jahren sind es u.a. Fragen der Demokratiear-
Die 1970er Jahre brachten vor allem eins: Umbruch. „Chancen-           beit, des Engagements gegen Rechts und für Menschenrechte,
gleichheit“, „Emanzipation“, „Alternative Lebensformen“ waren          die neue Relevanz im Verband erhalten haben, aber auch mehr
Schlagworte dieser Zeit, aber auch Krisen (Energie- und Staats-        und mehr Organisationen und Initiativen mit sozial-ökologischer
krise) und Arbeitslosigkeit bewegten das Land. Es kam Bewegung         Expertise finden sich in der Mitgliedschaft. Schließlich kann der
in die soziale Arbeit. Und der Paritätische wurde mit diesen           Verband immer mehr queere Mitgliedsorganisationen willkom-
Bewegungen schnell konfrontiert – denn alle diese neuen Grup-          men heißen, die sich für die Gleichberechtigung von Menschen
pierungen drängten in den Verband, wie beispielsweise die neu-         verschiedener sexueller und geschlechtlicher Identitäten einset-
en Eltern-Kind-Initiativen, die mit alternativen Pädagogikkonzep-      zen. Und so halten Offenheit und Vielfalt den Verband letztlich
ten und ihrem gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch Fachwelt          bis heute jung und dynamisch. GST

                                                                                               www.der-paritaetische.de    6 | 2020     13
SCHWERPUNKT

„DER VERBAND HAT SICH MIT SEINER MITGLIEDSCHAFT
POLITISIERT. UND SCHON MANCHES MAL WAREN WIR DER
GESELLSCHAFT VORAUS.“

     Josef Schädle am 5. November 2009
     im Berliner Abgeordnetenhaus
     anlässlich des 20. Jubiläums der
     Veröffentlichung des ersten Armuts-
     berichtes des Paritätischen.

Ein Gespräch mit Josef Schädle, stellvertretender Vorsit-               war für die damalige Zeit natürlich radikal. Dann haben wir die
zender des Paritätischen Gesamtverbands und seit Ende                   Kampagne zur Abschaffung von Paragraf 218 offensiv unterstützt,
der 1970er aktiv in den Gremien des Verbandes.                          was innerverbandlich allerdings auch in der DGSP durchaus um-
                                                                        stritten war. Es gibt auch anständige Konservative dort.
Wie sind Sie zum Paritätischen gekommen?
Ich war Geschäftsführer einer Paritätischen Mitgliedsorganisation       Seit Anfang der 1980er engagierten Sie sich dann im Paritäti-
in Wunstorf in Niedersachsen. 1978 gründete der Landesver-              schen Gesamtverband auf Bundesebene, als Vertreter der
band einen Arbeitskreis Soziale Psychiatrie, in dem ich mich en-        DGSP im damaligen „Beirat“. Ein Kulturschock?
gagierte. Unser erster Beschluss war ein Antrag auf Einrichtung         Der Paritätische war vorher, ich will jetzt nicht sagen, ein schnar-
eines solchen Arbeitskreises auch auf Bundesebene.                      chiger Verband, aber als ich 1983 das erste Mal im Beirat war,
                                                                        wie es damals noch hieß, habe ich zu meinem Nachbarn gesagt:
Den gab es damals noch nicht?                                           „Sag mal, ist das hier eine Kaffeerunde im Seniorenstift oder was
Nein, man muss bedenken: Bis dahin gab es in der Psychiatrie            ist das hier?“ Der Beirat war ein riesiges Gremium, so 70 bis 80
eigentlich nur Medizinerverbände. Damals aber gründeten sich            Menschen. Die Aula am damaligen Hauptstandort des Gesamt-
immer mehr soziale und sozialpolitische Gruppierungen, wie die          verbandes in Frankfurt am Main war proppenvoll: der 32köpfige
Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP), der Dach-         Vorstand war im Beirat vertreten, alle Landesverbände, soweit
verband Gemeindepsychiatrie, Psycholog*innenverbände und                nicht im Vorstand, und Vertreter*innen aller überregionalen Mit-
Selbsthilfegruppen. Als die DGSP, in der ich auch Mitglied war,         gliedsorganisationen.
Ende der 1970er Mitglied im Paritätischen Gesamtverband wur-
de, war das wie ein Türöffner: Nicht nur für das relativ junge Feld     Sie sagen, der Beitritt der DGSP war eine Art „Türöffner“.
der Sozialpsychiatrie, sondern auch für andere soziale Bewegun-         Wie entwickelte sich die Mitgliedschaft und der Verband denn
gen. Dass eine damals als linksalternativ bis linksradikal verschrie-   in der weiteren Folge?
ne Organisation wie die DGSP zum Paritätischen ging, hat es             Nachdem zuvor bereits vor allem viele Elterninitiativen als Mit-
auch anderen neuen Initiativen und Gruppierungen leichter ge-           glied aufgenommen worden waren, waren es jetzt viele Selbst-
macht, Kontakt aufzunehmen und schließlich unter dem Dach               hilfegruppen, aber beispielsweise auch die ganze Frauenhaus-­
des Paritätischen ihren Platz zu finden.                                Bewegung, die neu in den Verband kamen, teilweise auch über
                                                                        den Umweg einer Mitgliedschaft im Paritätischen Bildungswerk.
Wie radikal war die DGSP denn?                                          Im Paritätischen Gesamtverband war die Frage der Mitgliede-
Die Selbsthilfebewegung im Gesundheitswesen hat ihre Wurzeln            rentwicklung und auch der Neuaufnahmen dabei aber immer
zum großen Teil in der Studentenbewegung der 1968er, den sozi-          wieder auch Gegenstand intensiver Debatten. Heftig umstritten
alpolitischen Arbeitskreisen an den Unis und so. Das ist auch eine      war zum Beispiel die Aufnahme von pro familia. Der Hauptkon-
wichtige Wurzel der DGSP gewesen. Also ich sage mal, wir waren          flikt lag hier zwischen den Behindertenverbänden einerseits und
auf jeden Fall linksalternativ. Ende der 1970er war eine zentrale       pro familia auf der anderen Seite, wie es heute auch immer noch
Forderung der DGSP, die Großkrankenhäuser abzuschaffen, das             bei einigen Themen der Fall ist.

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SCHWERPUNKT

Plötzlich also mischten linksalternative Psycholog*innen, El-             ment von Werten, die uns verbinden und auf der Basis können
terninitiativen und Frauenbewegung die Gremien des Paritä-                wir uns äußern, für uns selbst und im Namen unserer Mitglieder.
tischen auf. Wie wurdet Ihr aufgenommen?                                  Darum ging es. Parallel lief aber ja auch noch eine weitere De-
Ohne das sehr aktive innerverbandliche Wirken des damaligen               batte: die Diskussion um den ersten Armutsbericht. Das war
Geschäftsführers Klaus Dörrie wäre es sicher weniger reibungs-            sozusagen die erste wirkliche sozialpolitische Debatte, die ich im
los abgelaufen. Was er im Vorstand und in den Landesverbänden             Verband mitbekommen habe. Das andere davor war eigentlich
im Detail alles bewegt hat, kann ich von außen nicht beurteilen.          immer nur so Geplänkel.
Ich habe dann erst das Ergebnis gesehen. Ein erstes Signal, dass
sich auch strukturell etwas bewegt, war, als wir, eine Gruppe von         Worum ging es bei der Diskussion um den ersten Armutsbericht?
fünf bis sechs jüngeren Leuten aus dem Beirat, angeregt haben,            Es war unbestritten, dass es Armut gibt. Diskutiert wurde, ob
dass über die Besetzung und die Funktion des damals doch recht            der Paritätische ein Mandat hat, sich politisch aktiv in solche Sa-
ominösen Wahlvorstandes mal nachgedacht werden sollte. Man                chen einzumischen und wenn ja, woher hat er dieses Mandat?
wisse ja im Vorhinein schon, was bei den Wahlen rauskommt.                Kann er sich das selbst geben oder bekommt er das von seinen
Das hat dann zwar nicht sofort funktioniert, aber immerhin be-            Mitgliedern? Er hat es gewiss nicht von der organisierten Politik.
wirkt, dass es Ende der 1980er Jahre zu einer grundlegenden               Es wurde diskutiert, ob uns der Geldhahn zugedreht wird, wenn
Strukturveränderung kam, mit einem kleineren Vorstand und                 wir uns an solche Themen wagen. Dann gab es einen Vorstands-
einem ordentlich gewählten Verbandsrat.                                   beschluss, dass wir es machen, aber nur als gemeinsames Projekt
                                                                          der BAGFW (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrts-
1989 hat der Paritätische ja auch erstmals eigene inhaltliche             pflege). Die anderen Verbände haben aber letztlich abgesagt, die
„Grundsätze der Verbandspolitik“ verabschiedet. Hingen die                Caritas kündigte an, etwas eigenes zum Thema zu machen. Dann
Prozesse zusammen?                                                        haben wir beschlossen, es allein zu machen. Wir haben eine
Auf jeden Fall, das lief parallel und bedingte sich wechselseitig. Als    Arbeitsgruppe gebildet und den Bericht innerhalb von zwei Jah-
Dieter Sengling, damals Professor für Erziehungswissenschaften an         ren fertiggestellt…
der Uni Münster, 1987 Vorsitzender des Paritätischen wurde, kam
das alles ins Rollen. Sengling hat eine inhaltliche Debatte angezettelt   …und am 9. November 1989 in Bonn in der Bundespresse-
über gemeinsame Werte und Grundsätze. Dann war gleichzeitig               konferenz vorgestellt.
aber auch klar, eine solche inhaltliche Debatte bringt uns gar nichts,    Ja, die Ereignisse des Tages überrollten dann alle. Der Mauerfall
wenn wir nicht auch an die Struktur gehen.                                war Vorteil und Nachteil zugleich. Die inhaltliche Diskussion um
                                                                          den Armutsbericht, aber auch die Angriffe etwaiger Gegner*in-
Wie ist es gelungen, sich auf gemeinsame Grundsätze zu ver-               nen gingen in den folgenden Tagen weitgehend unter. Aber: Im-
ständigen trotz der Vielfalt der Mitgliedsorganisationen und der          merhin hatten wir es zum ersten Mal als Verband in die Bundes-
inhaltlich bisweilen konträren Positionen, die diese vertreten?           pressekonferenz und sogar in die ARD Tagesschau geschafft.
Es werden im Paritätischen in wirklich zentralen Fragen keine
Beschlüsse gefasst, die nicht von allen mitgetragen werden kön-           Zu Großdemonstrationen rief der Paritätische damals aber
nen. Das war eine der für mich wichtigen Entscheidungen der               noch nicht auf.
damaligen Wertediskussion. Es bedeutet, dass der Verband sich             Dass der Paritätische auf die Straße geht und aktiv zu einer Teil-
zwar in manchen Punkten nicht eindeutig äußern kann, aber das             nahme einer Großdemonstration aufruft, das wäre damals in
finde ich gar nicht dramatisch. Es war ganz zentral für die inner-        1980ern schon gar nicht, aber auch in den 1990ern nicht denkbar
verbandliche Kultur, zu sagen, es wird kein Verband überstimmt,           gewesen. Aber wenn ich jetzt so meine 30 Jahre als Verbandsrats-
wenn es um zentrale Fragen wie beispielsweise das Recht auf               mitglied anschaue, kann ich schon sagen, dass der Verband von
Leben oder Selbstbestimmung geht. Bei manchen biogenetischen              Wahlperiode zu Wahlperiode politischer wurde. Die Themen
Fragestellungen würde ich mir zwar wünschen, wir wären manch-             wurden politischer, die Stellungnahmen wurden klarer. Sprache ist
mal etwas flexibler, aber es ist halt nicht so und das ist auch in        ja auch etwas Politisches, also die Entscheidung, wie verbrämt oder
Ordnung. Es gibt rote Linien, die darf man nicht ohne Not über-           eindeutig drücke ich es aus, wenn ich einem Ministerium mitteile:
schreiten. Es war ein ganz wichtiger Schritt für den Verband, zu          „Also passen Sie mal auf, dieser Gesetzentwurf ist wirklich Schrott.“
sagen: Wenn wir schon Werte verkünden, wie Gleichwertigkeit,              Darf ich das dann Schrott nennen oder muss ich das so umschrei-
Toleranz, Vielfalt, Partizipation, dann muss das auch innerver-           ben, dass ein Außenstehender gar nicht merkt, dass es Schrott ist?
bandlich gelten.                                                          Gab es auch, gab es alles. Wenn man sich heute mal einige alte
                                                                          Stellungnahmen durchliest, da bekommt man das kalte Grausen.
Was hat die damalige Wertedebatte noch bewirkt?                           Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Die Erkenntnis, dass sich aus der Verknüpfung von inhaltlichen
sozialen Problemstellungen auch eine Notwendigkeit ergibt, po-            Die Stellungnahmen aber wurden klarer, der Verband zeigte
litisch zu agieren, also tatsächlich als politischer Anwalt aufzutre-     immer häufiger klare Haltung…
ten für die Bedürfnisse der Mitglieder und Klient*innen – das war         Ja, die Erfahrung mit der Veröffentlichung des Armutsberichts
aus meiner Sicht eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Wer-           1989 bewirkten etwas, denn das Echo blieb ja trotz Mauerfall
te-Debatte. Dass es uns gelungen ist, uns auf gemeinsame Grund-           nicht völlig aus. Teile aus dem Armutsbericht sind damals in allen
sätze zu verständigen, bedeutete: Wir haben jetzt ein Funda-              wichtigen überregionalen Zeitungen gedruckt worden und das

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