Antiepileptika in der Schwangerschaft
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Antiepileptika in der Schwangerschaft Barbara Tettenborn, Klinik für Neurologie, Kantonsspital St. Gallen Zusammenfassung and prophylactic measures are taken. In general, treatment of epilepsy in women of child- Etwa 1 % aller Schwangeren leiden an einer Epilep- bearing age should be performed according to accepted sie. Die Mehrzahl dieser Schwangerschaften verläuft guidelines. In particular, monotherapy with antiepilep- komplikationslos und in über 90 % werden gesunde tic (AE) drugs should be chosen, since the risk of malfor- Kinder geboren. Eine Epilepsie stellt also in der Regel mation increases with combination of different AE keinen Grund dar, auf Kinder zu verzichten. Es besteht drugs. If possible, retard formulation should be chosen zwar für Kinder epilepsiekranker Eltern ein leicht erhöh- and given in 2 to 4 daily doses, to guarantee smooth tes Fehlbildungsrisiko, die Angst vor Fehlbildungen ist blood levels and to avoid high maternal peak concentra- aber meist zu gross und das Risiko kann zusätzlich ver- tions of AE drugs. Prophylactic treatment of folate in a ringert werden, wenn eine Schwangerschaft sorgfältig dose of 2.5 - 5 mg per day may be beneficial, since it geplant und vorbeugende Massnahmen getroffen wer- may decrease the risk of malformation of the fetus. den. Generell sollte die Behandlung einer Epilepsie bei Due to changed maternal hormonal concentration Frauen im gebärfähigen Alter nach den üblichen Richtli- during pregnancy blood levels of AE drugs may be nien erfolgen. Insbesondere sollte auf eine Monothera- changed. Therefore, therapeutic drug monitoring of AE pie mit einem Präparat der ersten Wahl eingestellt wer- drugs at regular intervals is indicated to adapt their do- den, da das Risiko für Fehlbildungen bei einer Kombina- ses, if necessary. tionstherapie deutlich ansteigt. Es sollten wenn möglich Retardpräparate in 3 bis 4 Key words: Antiepileptic drugs, pregnancy, teratogenicity Tagesdosen eingenommen werden, um einen gleich- mässigen Wirkspiegel zu gewährleisten und Spitzen- konzentrationen des Medikamentes im Blut der Mutter Les anti-épileptiques pendant la grossesse zu vermeiden. Prophylaktisch ist die Einnahme des Vita- mins Folsäure in einer Dosis von 2,5 - 5 mg pro Tag sinn- A peu près 1% de toutes les femmes enceintes souf- voll, da hierdurch möglicherweise das Fehlbildungsrisi- frent d'épilepsie. Ces grossesses se déroulent tout à fait ko gesenkt werden kann. Durch die Änderung der Hor- normalement dans leur grande majorité, plus de 90% monspiegel in der Schwangerschaft kann es zu einer de ces femmes donnent le jour à des enfants parfaite- Beeinflussung der Blutspiegel der antikonvulsiven Me- ment sains. Une épilepsie n'est donc normalement pas dikamente kommen. Aus diesem Grund sind Blutspie- une raison de renoncer à un désir d'enfants. Il est vrai gelbestimmungen der Antikonvulsiva in regelmässigen que le risque de malformations est légèrement plus éle- Abständen sinnvoll. vé pour les enfants de parents épileptiques, mais la Gegebenenfalls sind Dosisanpassungen der Medika- peur est souvent disproportionnée et le risque peut en mente notwendig. outre être diminué lorsqu'une grossesse est soigneuse- ment préparée et accompagnée de mesures préventi- Epileptologie 2008; 25: 72 – 76 ves. De manière générale, le traitement des femmes en âge de procréer devrait obéir aux directives d'usage. On Schlüsselwörter: Antiepileptika, Schwangerschaft, Tera- visera en particulier une monothérapie avec un produit togenität de premier choix, étant donné que le risque de malfor- mations augmente nettement en présence d'une théra- pie combinée. Antiepileptic Drugs in Pregnancy Si possible, la préférence sera donnée aux prépara- tions à effet retard absorbées en 3 à 4 doses journaliè- About 1% of all pregnant women suffer from epilep- res, afin de garantir un taux actif constant et éviter les sy. The majority of all pregnancies is devoid of complica- pics de concentration du médicament dans le sang de la tions and in over 90% of the cases, healthy children are mère. La prise d'acide folique (une vitamine) par doses born. Epilepsy should therefore be no reason to refrain quotidiennes de 2,5 à 5 mg est recommandée à titre from pregnancy. Although there is a slightly increased prophylactique pour diminuer le risque d'éventuelles risk for malformation for children from parents suffer- malformations. La modification du taux des hormones ing from epilepsy, the fear for malformations appears to pendant la grossesse peut influencer le taux des médi- be inadequately too high. In addition, the risk could be caments anticonvulsifs dans le sang, l'analyse régulière decreased, when a pregnancy is thoroughly planned des taux d'anticonvulsifs dans le sang paraît donc indi- 72 Epileptologie 2008; 25 Antiepileptika in der Schwangerschaft | Barbara Tettenborn
quée, afin de pouvoir adapter la posologie des médica- chen Anfällen während der Frühschwangerschaft bil- ments au besoin. den die einzige Ausnahme (siehe oben). Fehlbildungen sind als „auffallende morphologische Mots clés: anti-épileptiques, grossesse, tératogénéité Defekte“ definiert, die zum Zeitpunkt der Geburt vorlie- gen. Obwohl viele Anomalien auf zellulärer und mole- kularer Ebene ebenfalls angeboren sind, das heisst zum Einleitung Zeitpunkt der Geburt bereits vorliegen, werden sie nicht in diese Definition einbezogen. Die Zahlenangaben Etwa 1 % aller Schwangeren leiden an einer Epilep- über die Häufigkeit von angeborenen Fehlbildungen sie. Die Mehrzahl dieser Schwangerschaften verläuft differieren stark. In amtlichen Statistiken schwankt der komplikationslos und in über 90 % werden gesunde Prozentsatz der Kinder mit Fehlbildungen zwischen 0,8 Kinder geboren. Aus epidemiologischen Studien ist be- und 2 %, während sich aus den Statistiken der Kranken- kannt, dass das Risiko für Fehlbildungen bei Kindern häuser und Kliniken eine Schwankungsbreite zwischen epilepsiekranker Eltern nur geringfügig höher ist als in 1,4 und 3,3 % errechnen lässt. Die zuletzt genannten der allgemeinen Bevölkerung. Verschiedene retro- und Zahlen sind wahrscheinlich die exakteren, doch sind prospektive Untersuchungen beschreiben ein etwa auch hier die grossen Unterschiede auffällig. Das kann zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für schwerere Fehlbil- auf tatsächlichen Häufigkeitsunterschieden in verschie- dungen bei Kindern von Müttern unter Antiepileptika- denen Regionen und Ländern beruhen oder aber mit ei- einnahme im ersten Schwangerschaftsdrittel im Ver- ner unterschiedlichen Auslegung des Begriffes Fehlbil- gleich zu Kontrollkindern. Generell sollte die Behand- dung zusammenhängen. Insgesamt ist davon auszuge- lung einer Epilepsie bei Frauen im gebärfähigen Alter hen, dass 2-3 % aller Lebendgeborenen bei der Geburt nach den üblichen Richtlinien erfolgen. Insbesondere eine oder mehrere Fehlbildungen aufweisen und dass sollte auf eine Monotherapie mit einem Präparat der sich dieser Anteil am Ende des ersten Lebensjahres ersten Wahl eingestellt werden, da das Risiko für Fehl- durch die Aufdeckung von Fehlbildungen verdoppelt, bildungen bei einer Kombinationstherapie deutlich an- die bei der Geburt noch nicht bemerkt wurden [3, 4]. steigt. Unter schwer wiegenden Fehlbildungen versteht Antiepileptika, besonders ihre Kombination, weisen man solche, die einen chirurgischen Eingriff erforderlich ein teratogenes Risiko auf. Die Behandlung der Epilepsie machen. Hierzu gehören die Spina bifida aperta, die Lip- während einer Schwangerschaft ist eine stetige Balance pen-Kiefer-Gaumen-Spalte, Skelett- und Herzfehlbil- zwischen mütterlichem und fetalem Risiko assoziiert dungen sowie Anlagestörungen im Magen-Darm-Be- mit unkontrollierten Anfällen auf der einen Seite und reich und im Urogenitaltrakt. Keine dieser Fehlbildun- potenzieller Teratogenität auf der anderen Seite. Un- gen kommt spezifisch unter Einnahme eines bestimm- kontrollierte generalisierte tonisch-klonische Anfälle ten Antiepileptikums vor. Allerdings treten schwer wie- sind gefährlich für die Mutter und – obwohl strikte Evi- gende Fehlbildungen auch nach aktueller Datenlage denz fehlt – wird von einem höheren Schaden für das gehäuft bei Kindern auf, deren Mütter in der Früh- ungeborene Kind ausgegangen als durch die Gabe von schwangerschaft mit Valproinsäure (VPA) behandelt Antiepileptika. Einige Studien berichten von einer er- wurden. Dabei scheint eine Dosisabhängigkeit mit ei- höhten Fehlbildungsrate im Vergleich zur Allgemeinbe- nem besonders hohen teratogenen Risiko bei mehr als völkerung, wenn vermehrt Anfälle in der Schwanger- 1000 mg Tagesdosis zu bestehen [5]. Die Rate an Kin- schaft auftreten, insbesondere im ersten Trimenon [1]. dern mit Spina bifida aperta ist ebenfalls bei Einnahme Insbesondere generalisierte tonisch-klonische Anfälle von VPA durch die Mutter in der Frühschwangerschaft gehen mit dem Risiko eines verminderten Placenta- erhöht [5-8]. In der Normalbevölkerung beträgt das Spi- Blutflusses und verschlechterter fetaler Oxygenierung na-bifida-Risiko 0,06 %. In letzter Zeit gibt es vermehrt einher. Andererseits gibt es keine klare Evidenz, dass fo- Berichte über Entwicklungsverzögerungen und niedri- kale Anfälle, Absencen oder myoklonische Anfälle die geren verbalen Intelligenzquotienten bei Kindern von Schwangerschaft oder die Entwicklung des Feten nega- Müttern, die in der Frühschwangerschaft VPA in einer tiv beeinflussen. Dosierung über 800-1000 mg/Tag eingenommen ha- Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft An- ben [9-13]. tiepileptika eingenommen haben, haben ein etwa zwei- Zu den geringfügigen Fehlbildungen zählen vor al- bis dreifach erhöhtes Risiko für kongenitale Fehlbildun- lem kleine kosmetische Veränderungen der Nase, Lip- gen im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung. Dieses pen oder anderer Gesichtspartien oder Verkürzung von ist nach aktuellem Kenntnisstand zumindest zum Fingerendgliedern oder Nägeln. Sie kommen nicht häu- grössten Teil auf die antikonvulsive Medikation zurück- figer vor als bei Kindern von Eltern ohne Epilepsie. Mög- zuführen. Eine Meta-Analyse von 10 publizierten Studi- licherweise treten unter einer Medikation mit en kam zu der Schlussfolgerung, dass Frauen mit einer Phenytoin (PHT) kleinere Fehlbildungen etwas gehäuft Epilepsie ohne antikonvulsive Medikation kein wesent- auf [8]. lich erhöhtes Risiko haben, ein Kind mit einer Fehlbil- Lange Zeit war unklar, welche ursächliche Bedeu- dung zur Welt zu bringen [2]. Patientinnen mit zahlrei- tung für die Entstehung embryopathischer Veränderun- Antiepileptika in der Schwangerschaft | Barbara Tettenborn Epileptologie 2008; 25 73
gen der mütterlichen Epilepsie und welche den Antiepi- PB kam es zu einer erhöhten Rate an Lippen-, Kiefer-, leptika zukommt. Zu dieser Fragestellung haben vor ei- Gaumenspaltbildungen; VPA-Medikation war mit ei- nigen Jahren Holmes und Mitarbeiter die Ergebnisse ei- nem vermehrten Auftreten von Hypospadien, Porenze- ner Studie publiziert [14], bei der sie im Verlauf von phalie, Gesichts- und Extremitätenanomalien assozi- über 100 000 Schwangerschaften ein Screening durch- iert. Wiederum gibt diese Untersuchung aber keine geführt haben mit dem Ziel einer Identifizierung von Auskunft über die potenzielle Teratogenität neuer An- drei Gruppen von Säuglingen: tiepileptika, sondern bestätigt lediglich bereits bekann- te teratogene Effekte der so genannten Standard- 1. Mütterliche Epilepsie ohne Exposition gegenüber An- antiepileptika. tiepileptika, Verschiedene Untersuchungsergebnisse weisen 2. Exposition gegenüber Antiepileptika während darauf hin, dass das Fehlbildungsrisiko unter der Ein- Schwangerschaft, nahme mehrerer Antiepileptika in Polytherapie höher 3. Kontrollgruppe gesunder Mütter ohne Medikamen- ist als unter Monotherapie während der Schwanger- teneinnahme. schaft [3]. Alle Antiepileptika sind mehr oder weniger plazentagängig, somit in der fetalen Zirkulation vor- Alle Neugeborenen wurden systematisch auf das handen und potenziell teratogen. Vorliegen grosser Fehlbildungen, Zeichen einer Hypo- Dabei ist die Datenlage aus bislang vorliegenden plasie des Gesichtes oder der Finger oder zu kleiner Kör- Studien nicht ausreichend, um über die einzelnen An- pergrösse evaluiert. Mehrlingsschwangerschaften und tiepileptika genaue Informationen bezüglich ihrer Tera- andere Einflüsse, die bekannterweise mit einer erhöh- togenität zu geben, insbesondere fehlen Zahlen zu den ten Fehlbildungsrate einhergehen, waren ausgeschlos- neueren Antiepileptika. Aus diesem Grund wurde eine sen. Es zeigte sich kein Unterschied in der Häufigkeit europäische Studie zur Erfassung von Schwanger- von Zeichen einer Embryopathie zwischen den Kindern schaftsverläufen bei Frauen unter Antiepileptikaexposi- der Kontrollgruppe (8,5 %) und den Kindern epilepsie- tion konzipiert (EURAP), die seit mehreren Jahren läuft kranker Mütter ohne Medikation (6,1 %), während die und an der sich inzwischen auch zahlreiche aussereu- Gruppe der Kinder mit Exposition gegenüber Antiepi- ropäische Länder beteiligen. Inzwischen sind über leptika bei nur einem Medikament mit 20,6 % und bei 10'000 Schwangerschaften unter Antiepileptika-Exposi- zwei Medikamenten mit 28,0 % signifikant häufiger tion dokumentiert. Ziel dieser Datenerfassung ist die Zeichen einer Embryopathie aufwiesen. Die hohe Fehl- Erhebung des teratogenen Risikos älterer und neuerer bildungsrate in der Kontrollgruppe war in erster Linie Antiepileptika, sowie Informationen über die Art der durch Mittelgesichtsdysplasien bedingt. Eine Spina bifi- Fehlbildungen und eine eventuelle Dosisanhängigkeit da wurde nur unter der Einnahme von VPA oder Carba- zu erhalten. Allerdings sind die statistischen Daten für mazepin (CBZ) beobachtet. Diese Studienergebnisse die einzelnen Medikamente noch nicht ausreichend, lassen die Schlussfolgerung zu, dass eine unbehandelte um verbindliche Aussagen zu den jeweiligen Antiepi- mütterliche Epilepsie mit keinem erhöhten teratogenen leptika machen zu können [16]. Die einzigen bisher Risiko einhergeht, während die Einnahme von Antiepi- freigegebenen Zahlen sind die Gesamt-Malformations- leptika mit einem deutlich erhöhten Fehlbildungsrisiko rate, die sich bei allen Schwangerschaften insgesamt einhergeht. Hinweise für schädliche Einflüsse schwere- für schwerere Fehlbildungen auf 7 % beläuft. Dabei rer mütterlicher Anfälle ergaben sich nicht. Hiermit liegt das Fehlbildungsrisiko bei Polytherapie höher als werden frühere Untersuchungsergebnisse bestätigt, bei Monotherapie. Umgekehrt ausgedrückt heisst es dass eine mütterliche Epilepsieerkrankung unabhängig aber eben auch, dass es bei 93 % aller Schwangerschaf- von ihrer Aetiologie nicht ursächlich für eine Embryopa- ten von Müttern, die während der Schwangerschaft An- thie verantwortlich ist, sondern die Einnahme von An- tiepileptika eingenommen haben, zu keinen schweren tiepileptika. Leider waren auch in dieser Studie aller- Fehlbildungen kommt. dings fast ausschliesslich die so genannten Morrow und Mitarbeiter haben 2006 die bisherigen „Standardantiepileptika“ (CBZ, VPA, PHT, Phenobarbital Daten aus dem englischen Epilepsie- und Schwanger- (PB)) therapeutisch eingesetzt worden, so dass auch schaftsregister publiziert und hier auch zu der Teratoge- diese Untersuchung keine Daten zu der potenziellen Te- nität der einzelnen Medikamente Stellung bezogen [6]. ratogenität der neuen Antiepileptika liefert. Eine kürzli- Es wurden prospektiv die Daten von 3607 Schwanger- che Meta-Analyse von 10 Studien zu dieser Thematik schaften dokumentiert und die schweren Fehlbildun- kam zu einem gleichlautenden Ergebnis [2]. gen innerhalb der ersten drei Lebensmonate erfasst. In einer weiteren Studie zur Teratogenität von Antie- Dabei betrug die Rate der schweren Fehlbildungen un- pileptika wurden von Arpino und Mitarbeitern (2000) ter Antiepileptika-Einnahme 4,2 % und lag bei Polythe- über 8000 Kinder mit Fehlbildungen untersucht [15]. rapie mit 6% erwartungsgemäss höher als bei Mono- Bei 299 Kindern hatte die Mutter im ersten Trimenon therapie mit 3,7 %. Die Rate der Fehlbildungen bei Frau- der Schwangerschaft Antiepileptika eingenommen, en mit Epilepsie ohne antiepileptische Behandlung be- und zwar PB, VPA, CBZ und PHT. Es fanden sich kardiale trug 3,5 %. Aus den Resultaten hervorzuheben ist, dass Fehlbildungen bei PB-, VPA- und CBZ-Einnahme. Unter VPA-Monotherapie unter allen Monotherapien mit 6,2 74 Epileptologie 2008; 25 Antiepileptika in der Schwangerschaft | Barbara Tettenborn
% mit dem höchsten Fehlbildungsrisiko einherging Rolle der Folsäureprophylaxe (n=762). Unter Lamotrigin (LTG)-Monotherapie (n=684) kam es in 3,2 % zu Fehlbildungen, unter CBZ-Monothe- Zur Minderung des kindlichen Fehlbildungsrisikos rapie (n=684) in 2,2 %, also geringer als bei den unbe- wird im Allgemeinen die präkonzeptive Einnahme von handelten Epilepsie-Patientinnen. Die Daten für Topira- Folsäure (2,5 - 5 mg pro Tag) empfohlen, die dann be- mat (TPM) mit n=28 und Levetiracetam (LEV) mit n= 22 gonnen werden sollte, wenn die Schwangerschaft ge- sind aufgrund der zu geringen Fallzahl nicht verwertbar. plant wird. Eine längerdauernde Einnahme von Folsäure Alle Polytherapien, die VPA beinhalteten, hatten ein ist problemlos zu vertreten, eine verpasste Situation höheres Risiko für schwere Fehlbildungen als Kombina- nach Eintreten der Schwangerschaft nicht nachzuholen. tionen ohne VPA. Besonders hoch war diese Rate mit 9,6 Daher kann durchaus bei allen Frauen im gebärfähigen % unter der Kombinationsbehandlung von VPA mit LTG. Alter parallel zur Verschreibung der Antiepileptika di- Insgesamt fiel vor allem die relativ hohe Rate an Neural- rekt auch die Verschreibung von Folsäure erfolgen. Auf- rohrdefekten von 1 % unter VPA-Monotherapie auf, die grund des Zeitpunktes des Neuralrohrschlusses am Tag aber in etwa der früher bereits vermuteten Häufigkeit 28 der Schwangerschaft ist der Beginn der Folsäurega- von Neuralrohrdefekten unter VPA-Therapie entspricht. be nach der 4. Schwangerschaftswoche ohne supporti- Eine gewisse Dosisabhängigkeit konnte lediglich für La- ven Effekt. Bei Frauen mit Einnahme von Leberenzym- motrigin bei Dosen über 350 mg täglich beobachtet induzierenden Antiepileptika wie zum Beispiel CBZ, ist werden. aufgrund des beschleunigten Folsäureabbaus die höhe- re Dosis von 5 mg zu empfehlen. Zwar ist bislang nicht bewiesen, dass Folsäure bei epilepsiekranken Müttern Monitoring während der Schwangerschaft mit Antiepileptika-Behandlung wirklich das Risiko schwerer fetaler Fehlbildungen reduziert, aber da von Sorgfältiges Monitoring während der Schwanger- der Einnahme der Folsäure auch in dieser hohen Dosie- schaft ist essenziell, um das Risiko für Mutter und unge- rung kein negativer Effekt – auch nicht auf die Anfalls- borenes Kind so gering wie möglich zu halten. Dabei frequenz – zu erwarten ist, wird von den meisten Fach- sind zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: gesellschaften diese Einnahme empfohlen [17]. a) Neurologisches und laborchemisches Monitoring zur optimalen Anfallskontrolle Monitoring der Anfallssituation b) Gynäkologisches Monitoring der Gesundheit des Fe- ten Während der Schwangerschaft sind regelmässige Blutspiegelbestimmungen der Antiepileptika empfeh- Oft sieht der Neurologe eine schwangere Frau, die lenswert. Die Plasmakonzentration sollte bei jeder Pati- Antiepileptika einnimmt, zum ersten Mal in der 8.-10. entin vor der Schwangerschaft festgehalten und dann Gestationswoche. Zu diesem Zeitpunkt kann eine Ände- jedes Trimester während der Schwangerschaft und im rung der Medikation keine Änderung des fetalen Fehl- letzten Monat kontrolliert werden, gegebenenfalls kön- bildungsrisikos mehr bewirken, insbesondere wird die nen auch monatliche Kontrollen notwendig werden. Rate der Neuralrohrdefekte dann nicht mehr beein- Speziell die Datenlage zu LTG zeigt, dass die Dosis flusst, denn der Zeitpunkt des Neuralrohrschlusses liegt während der Schwangerschaft, insbesondere im letzten am Tag 28 der Schwangerschaft. Andererseits kann eine Trimester, in vielen Fällen erhöht werden muss, um die Änderung der antiepileptischen Therapie in der vorherigen Plasmakonzentrationen aufrecht zu erhal- Schwangerschaft zu einer Frequenzzunahme oder Ver- ten [18]. Bei Medikamenten mit ausgeprägter Protein- schlimmerung der Anfälle führen, was sowohl Mutter bindung sollten jeweils die freien Plasmakonzentratio- als auch ungeborenes Kind schädigen kann, insbeson- nen bestimmt werden (zum Beispiel CBZ, VPA und PHT). dere wenn es zum gehäuften Auftreten generalisierter Wenn die Plasmakonzentrationen um mehr als tonisch-klonischer Anfälle kommt. Die Medikation soll- 50 % im Vergleich zum Ausgangswert vor der Schwan- te daher in der niedrigst möglichen Dosierung, die An- gerschaft abfallen, sollte eine Dosiserhöhung erwogen fallsfreiheit gewährleistet, fortgeführt werden, und die werden, auch wenn es klinisch bislang zu keiner erhöh- Mutter über die vorhandenen statistischen Daten zu ten Anfallsfrequenz gekommen ist. Bei Zunahme der Fehlbildungen beim Kind informiert werden. Es sollte Anfallshäufigkeit während der Schwangerschaft sollte das bestmögliche Monitoring angeboten werden. in jedem Fall eine Dosiserhöhung oder Zusatztherapie Durch die Durchführung eines speziellen hochauflösen- mit einem weiteren Medikament vorgenommen wer- den Fehlbildungsultraschalls in der 11.-13., ggf. auch bis den. Im Falle einer Erhöhung der Medikation während zur 20. Schwangerschaftswoche sowie Bestimmung des der Schwangerschaft ist unmittelbar nach der Geburt Alpha-Fetoproteins können schwerwiegende Fehlbil- wieder auf die alte Medikamentendosis umzustellen, dungen relativ zuverlässig diagnostiziert werden, in um eine Intoxikation der Mutter bei sich schnell wieder Einzelfällen kann zusätzlich noch eine Fruchtwasserun- veränderndem Stoffwechsel postpubertal zu vermei- tersuchung erforderlich sein. den. Es ist zusätzlich wichtig, während der Schwanger- Antiepileptika in der Schwangerschaft | Barbara Tettenborn Epileptologie 2008; 25 75
schaft auf die Compliance der Patientin zu achten, da Epub ahead of print. gerade schwangere Frauen aus Angst vor Schädigung 12. Titze K, Koch S, Helge H et al. Prenatal and family risks of children born to des Kindes dazu neigen, Medikamente nicht in der vor- mothers with epilepsy: effects on cognitive development. Dev Med Child geschriebenen Dosis einzunehmen. Daher ist eine aus- Neurol 2008; 50: 117-122 führliche und umfassende Information der Schwange- 13. Perucca E. Birth defects after prenatal exposure to antiepileptic drugs. ren von besonderer Bedeutung, die beinhalten muss, Lancet Neurol 2005; 4: 781-786 dass eine Anfallszunahme das ungeborene Kind gege- 14. Holmes LB, Harvey EA, Coull BA et al. The teratogenicity of anticonvulsant benenfalls mehr schädigen kann als Medikamente, ins- drugs. N Engl J Med 2001; 344: 1132-1138 besondere nach dem ersten Trimenon. 15. Arpino C, Brescianini S, Robert E et al. Teratogenic effects of antiepileptic drugs: use of an international database on malformations and drug ex- posure (MADRE). Epilepsia 2000; 41: 1436-1443 Monitoring des Fetus 16. Tomson T, Battino D. Teratogenic effects of antiepileptic drugs. Seizure 2008; 17: 166-171 Monitoring des Fetus zielt darauf ab, grössere Fehl- 17. Schmitt E, Bauer J. Mindert eine Folsäuresubstitution die Teratogenität von bildungen so früh wie möglich zu erkennen. Dies sollte Antiepileptika? Eine Analyse derzeitiger Kenntnisse. Z Epileptol 2004; einen hochauflösenden Ultraschall in der 11.-13. 17:199-208 Schwangerschaftswoche sowie die Bestimmung des Al- 18. Schmitz B. Lamotrigin bei Frauen mit Epilepsie. Nervenarzt 2003; 74: 833- pha-Fetoproteins beinhalten zur Erkennung eines Neu- 840 ralrohrdefektes. Ultraschalluntersuchungen bis zur 20. Schwangerschaftswoche können auch andere Fehlbil- dungen wie kardiale Fehlbildungen oder Lippen-Kiefer- Gaumenspalten aufzeigen. Eine Amniozentese ist heut- zutage nur noch in sehr seltenen Fällen erforderlich und sollte bei Frauen mit Epilepsie nach den gleichen Krite- rien wie bei gesunden Frauen indiziert werden. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Barbara Tettenborn Klinik für Neurologie Referenzen Kantonsspital St. Gallen CH 9007 St. Gallen 1. Lindhout D, Omtzigt JG. Pregnancy and the risk of teratogenicity. Epilep- Tel. 0041 714 941652 sia 1992; 33 (Suppl 4): S41-S48 FAX 0041 714 946380 2. Fried S, Kozer E, Nulman I et al. Malformation rates in children of women barbara.tettenborn@kssg.ch with untreated epilepsy: a meta-analysis. Drug Saf 2004; 27: 197-202 3. Samrén EB, Lindhout D. Major malformations associated with maternal use of antiepileptic drugs. In: Tomson T, Gram L, Sillanpää M, Johannessen SI (eds): Epilepsy and Pregnancy. Petersfield UK and Bristol PA, USA: Wrightson Biomedical Publishing Ltd, 1997: 43-61 4. Tettenborn B. Teratogenität von Antiepileptika: grosse und kleine Fehlbil- dungen. Akt Neurol 2002; 29(Suppl 1): S37-S39 5. Diav-Citrin O, Shechtman S, Bar-Oz B et al. Pregnancy outcome after in ute- ro exposure to valproate. Evidence of dose relationship and teratogenic ef- fect. CNS Drugs 2008; 22: 325-334 6. Morrow JI, Russell A, Gutherie E et al. Malformation risks and antiepilep- tic drugs in pregnancy: a prospective study from the UK Epilepsy and Preg- nancy Register. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2005; 77: 193-198 7. Eadie MJ, Vajda FJ. Should valproate be taken during pregnancy? Ther Clin Risk Manag 2005; 1: 21-26 8. Beck-Mannagetta G. Fehlbildungen und Anomalien, körperliches Wachs- tum, psychomotorische und intellektuelle Entwicklung. Epilepsie-Blätter 1990; 3: 1-6 9. Adab N, Kini U, Vinten J et al. The longer term outcome of children born to mothers with epilepsy. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2004; 75: 1575- 1583 10. Tettenborn B. Management of epilepsy in women of childbearing age. Practical recommendations. CNS Drugs 2006; 20: 373-387 11. Thomas SV, Ajaykumart B, Sindhu K et al. Motor and mental development of infants exposed to antiepileptic drugs in utero. Epilepsy Behav 2008; 15. 76 Epileptologie 2008; 25 Antiepileptika in der Schwangerschaft | Barbara Tettenborn
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