Arbeitsrecht Aktuell - EY Law
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Arbeitsrecht Aktuell Ausgabe 40 | 1. Quartal 2020 Brennpunkt 14 Equal-Pay-Gebot gilt bei unvollständiger 3 Reform der EU-Entsenderichtlinie — Inbezugnahme eines Zeitarbeits- Employment Status quo zum Umsetzungsstand in Deutschland Tarifvertrags Law 15 M itwirkungspflicht des Arbeitgebers bei Aus der Praxis einer stufenweisen Wiedereingliederung 5 Selbständig oder Scheinselbständig, Newsletter das ist hier die Frage 17 Urlaubsrecht aktuell Aktuelle Rechtsprechung Zu guter Letzt 8 BAG entscheidet zu Matrix-Strukturen: 19 Langer Sommerurlaub durch einen Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG Teilzeitantrag zur Freistellung im Ferienmonat August? 10 Anhörungsfrist vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung 20 Veranstaltungen 11 Anspruch auf Bonuszahlung auch bei unterbliebener Zielvereinbarung 12 Freiwilligkeitsvorbehalt bei Vorständen wirksam 13 Einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs nach § 14 S. 1 Arbeitnehmer-Entsendegesetz
Editorial Auch wenn das Jahr 2020 im Lichte von Corona und Co. turbulent gestartet ist, heißt es doch für weite Teile der Wirtschaft soweit möglich „Business as usual“. Grenzüberschreitende Mitarbeiterentsendungen sind weiterhin ein heißes Thema, da unter der Reform der EU-Entsenderichtlinie im Laufe dieses Jahres grundle- gende Neuerungen zu erwarten sind. Dazu berichten wir in unserem Brennpunkt. Sollten Sie Fragen zu arbeitsrechtlichen Auswirkungen des Corona-Virus haben, stehen wir Ihnen natürlich, neben der Publikation dezidierter Alerts zu aktuellen Entwicklungen, jederzeit sehr gerne auch persönlich zur Verfügung. Da es ein „Dauerbrenner“ ist, haben wir uns in dieser Ausgabe noch einmal aus führlich mit der Frage der Abgrenzung (echter) Selbständigkeit von Schein selbständigkeit auseinandergesetzt und die wesentlichen Punkte in unserer Rubrik „Aus der Praxis“ zusammengefasst. Wie gewohnt stellen wir Ihnen natürlich aktuelle praxisrelevante Rechtsprechung aus dem Arbeitsrecht vor. Schwerpunkt dieser Ausgabe ist dabei eine Entscheidung des BAG aus dem Betriebsverfassungsrecht zu Beteiligungsrechten der Betriebs- räte in Matrix-Strukturen für Fälle, in denen ein Matrix-Manager Vorgesetztenfunktion für Mitarbeiter anderer Betriebe erhalten soll. Darüber hinaus haben wir uns u. a. mit interessanten Entscheidungen zur vertraglichen Ausgestaltung und Verwirk lichung von Ansprüchen auf variable Vergütung, zu Ausnahmen vom Equal-Pay- Gebot bei Arbeitnehmerüberlassungen, zur Bürgenhaftung nach dem AEntG sowie auch aus dem Urlaubsrecht befasst. Und zu guter Letzt: Das LAG Nürnberg hatte über einen pfiffigen, wenn auch letzt- lich unzulässigen Teilzeitantrag zu entscheiden, mit dem sich ein Arbeitnehmer 4 Wochen Sommerurlaub im August sichern wollte. Am Ende unseres Newsletters finden Sie zudem unsere Veranstaltungshin- weise. Sollten sich aufgrund weiterer Corona-Virus-Beschränkungen zu den in den nächsten Wochen geplanten Veranstaltungen, zu denen Sie sich ggf. bereits angemeldet haben, Änderungen ergeben, werden wir Sie entsprechend rechtzeitig informieren. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre und bleiben Sie gesund! Ihr EY Law Arbeitsrechtsteam 2 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
BRENNPUNKT Reform der EU-Entsenderichtlinie — Status quo zum Umsetzungsstand in Deutschland Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 12. Februar 2020 Mit der Reform der Entsenderichtlinie Arbeitnehmer-Entsendegesetzes • Der Grundsatz „gleiches Geld für im Juni 2018 (2018/957/EU) wurden die (AEntG) vor, welche alle grenzüber- gleiche Arbeit“ („Equal Pay for Equal Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis zum schreitenden Entsendungen nach Work“) wird umgesetzt und die Vor- 30. Juli 2020 weitere arbeitsrechtliche Deutschland (sog. Inbound-Fälle) aussetzungen, unter denen Entsen- Mindeststandards für entsandte Arbeit- betreffen werden. dezulagen auf die im Gastland vor nehmerinnen und Arbeitnehmer in das geschriebene Vergütung tatsächlich jeweilige nationale Recht umzusetzen. Reform der Entsenderichtlinie auf angerechnet werden können, werden Dadurch sollen die Dienstleistungsfrei- EU-Ebene klarer gefasst. heit sowie gleicher und fairer Wettbewerb Mit der Änderungsrichtlinie (2018/957/ gesichert und die Rechte der entsand- EU) vom Juni 2018 wurden zahlreiche Geplante Änderungen des AEntG ten Beschäftigten gestärkt werden, indem Bestimmungen der Entsenderichtlinie Änderungen bzgl. der Vergütung — u. a. ein besserer Schutz vor Lohn- und (96/71/EG) geändert. Equal Pay Sozialdumping und unfairer Konkurrenz Der bisherige Begriff „Mindestentgelt- gewährleistet wird. Wesentliche Reformelemente sind satz“ soll in § 2 Nr. 1 AEntG-E durch den insbesondere: Begriff „Entlohnung“ ersetzt werden, Das Bundesministerium für Arbeit und • Der Katalog der auf entsandte Arbeit- weshalb also künftig nicht nur Mindest Soziales (BMAS) hat dafür am 13. Novem- nehmer anwendbaren Arbeits- und entgelte zu beachten sind. Die betrieb ber 2019 einen ersten Referentenent- Beschäftigungsbedingungen des Gast- liche Altersvorsorge wird davon aus- wurf vorgelegt und das Kabinett hat am lands wird erweitert. drücklich ausgenommen. Zwingend 12. Februar 2020 einen nahezu inhalts- • Auf länger als 12 bzw. 18 Monate einzuhaltende Entlohnungsbedingungen gleichen Gesetzesentwurf beschlossen. entsandte Arbeitnehmer finden — mit ergeben sich zukünftig auch aus allge- Die Entwürfe sehen insbesondere wesent- wenigen Ausnahmen — alle zwingen- meinverbindlichen tarifvertraglichen liche Änderungen des den Arbeits- und Beschäftigungsbedin- Entlohnungsvorschriften. gungen des Gastlands Anwendung. 3 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
BRENNPUNKT Weiterhin soll für Zulagen und Kosten mer, die von ihrem Arbeitgeber mit Sitz im Jahr dauern oder für vorübergehende erstattungen zur Deckung der Reise-, im Ausland länger als 12 bzw. 18 Monate Beschäftigungen bis maximal 14 Tage Unterbringungs- und Verpflegungskos- im Inland beschäftigt werden. In diesen im Sinne des § 24 Abs. 3 AEntG-E. Als ten zwingend deutsches Recht anzu- Fällen sollen alle Arbeitsbedingungen vorübergehende Beschäftigung sind in wenden sein. Entsendebedingte Kosten Anwendung finden, die am Beschäfti- diesem Zusammenhang z. B. Dienstrei- sollen insoweit grundsätzlich vom Arbeit- gungsort in Rechts- und Verwaltungs- sen zur Vornahme von Besprechungen geber zu tragen sein. vorschriften und in allgemeinverbind und Vertragsverhandlungen, Messe lichen Tarifverträgen vorgeschrieben besuchen oder konzerninterner betrieb- Der Gesetzesentwurf sieht nur eine ein- sind. Dies können beispielsweise ein Ent- licher Weiterbildung genannt. In diesen geschränkte Anrechenbarkeit von Ent- geltfortzahlungsanspruch an Feierta- Fällen sollen insbesondere die Regelun- sendezulagen auf die Vergütung vor. gen oder Ansprüche auf Elternzeit sein. gen zur Vergütung und zum bezahlten Eine Anrechnung soll nicht möglich sein, Ausgenommen sind allerdings Kündi- Mindestjahresurlaub nicht gelten. wenn erkennbar ist, dass es sich dabei gungsschutzvorschriften, Regelungen eigentlich um die Erstattung von Reise-, zur betrieblichen Altersvorsorge und zu Geltung des AEntG für Leiharbeitnehmer Unterbringungs- und Verpflegungskos- nachvertraglichen Wettbewerbsverboten. Im Gesetzesentwurf ist schließlich auch ten (Entsendekosten) handelt. Ist nicht vorgesehen, dass die Regelungen des eindeutig erkennbar, ob es sich um an- Entsprechende Informationen sollen aus- AEntG auch für ausländische Leiharbeit- rechnungsfähige Entsendungszulagen ländischen Arbeitgebern in transparen- nehmer, die in Deutschland eingesetzt oder nicht anrechnungsfähige Entsen- ter Weise auf der noch dahingehend aus- werden, Anwendung finden. dungskosten handelt, soll eine unwider- zubauenden Website www.zoll.de zur legliche Vermutung gelten, dass es sich Verfügung gestellt werden. Status quo zur Umsetzung in um Entsendungskosten handelt und nationales Recht in Deutschland diese entsprechend nicht auf die Ver- Ausnahmen für bestimmte Tätigkeiten Die vorgesehenen Änderungen des gütung angerechnet werden können. In § 24 sieht der Gesetzesentwurf außer- AEntG sollen voraussichtlich im ersten dem Sonderregelungen und Erleichte- Halbjahr 2020 — nach Zustimmung Geltung der deutschen Arbeitsbedin- rungen für bestimmte Tätigkeiten vor, durch Bundestag und Bundesrat — ver- gungen bei Langzeitentsendungen wie zum Beispiel Erstmontage- oder Ein- abschiedet werden und voraussichtlich In §§ 13b ff. sieht der Gesetzesentwurf bauarbeiten im Rahmen eines Liefer zum 30. Juli 2020, und damit EU-frist- besondere Regelungen für Langzeitent- vertrags durch entsandte Arbeitnehmer, gerecht, in Kraft treten. sendungen vor. Dies betrifft Arbeitneh- sofern diese nicht mehr als acht Tage Autorinnen Bärbel Kuhlmann Rechtsanwältin Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M. Telefon +49 6196 996 11336 baerbel.kuhlmann@de.ey.com Sabine Fabig Rechtsanwältin Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M. Telefon +49 6196 996 25776 sabine.fabig@de.ey.com 4 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AUS DER PRAXIS Selbständig oder Scheinselbständig, das ist hier die Frage In Deutschland arbeiten allein in der IT-Branche mehr als 100.000 sogenannte Freelancer. Aber auch im Bereich der Bau- und Architektenbranche und anderen Bereichen der Wirtschaft sind Freelancer nicht mehr wegzudenken. Sie sind in der Regel Selbständige ohne weitere (eigene) Angestellte und erzielen nach Erkenntnissen des Bundesverbands „Selbständige Wissensarbeit“ e. V. Nettoeinkommen von durchschnittlich 4.700 EUR im Monat (www.faz.net, zuletzt abgerufen am 30. Januar 2020). Diese sehen sich oftmals — wie spiegelbildlich auch deren Auftraggeber — dem potenziellen Risiko einer sog. „Scheinselbständigkeit“ ausge- setzt. Den Sozialversicherungsträgern ist die (schein)selbständige Tätigkeit oftmals ein Dorn im Auge, da diese Art der Tätigkeit bei Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft zu Beitragsausfällen im Sozialversiche- rungssystem führt. Wird daher im Rahmen einer Überprüfung eine Einordnung als Scheinselbständiger vor genommen, werden die bis dahin selbständigen Unternehmer als sozialversicherungsrechtliche Arbeitnehmer eingestuft. Dies führt dazu, dass sowohl „Arbeitnehmer“ als auch „Arbeitgeber“ von einem „bunten Strauß“ an Nachzahlungspflichten überrascht werden. Das Thema ist ein Dauerbrenner und betrifft sowohl eine Vielzahl von Unternehmen, die auf die Dienst leistungen von Freelancern angewie- sen sind, als auch die als Freelancer Tätigen selbst. Wann liegt eine Scheinselb- ständigkeit vor? Wer nur auf dem Papier selbständig ist, kann grundsätzlich als Arbeitnehmer und damit als scheinselbständig einge- stuft werden. Wird der Arbeitnehmer- status nachträglich festgestellt, hat dies erhebliche Konsequenzen im Bereich des Arbeits-, des Sozialversicherungs- und des Steuerrechts. Ob eine Schein- selbständigkeit vorliegt, wird vorrangig Indizien, die für eine Scheinselbstän Weitere potenzielle Erkennungs- anhand einer Gesamtbetrachtung der digkeit des „Freelancers“ im Rahmen merkmale sind: Umstände beurteilt. Eine abschließende seiner Tätigkeit für einen Auftraggeber Aufzählung von Tatbestandsmerkmalen sprechen, sind: • Der Gesamtumsatz des Freelancers kann daher nicht vorgenommen werden. stammt größtenteils von einem • „Freelancer“ trägt kein eigenes Auftraggeber Stattdessen werden verschiedene unternehmerisches Risiko • Der Freelancer nimmt regelmäßig Anhaltspunkte und Indizien herange • „Freelancer“ hat Anweisungen des an Weiterbildungsmaßnahmen des zogen, welche grundsätzlich für die Auftraggebers Folge zu leisten Auftraggebers teil Annahme einer unselbständigen Tätig- • festgelegte Arbeitszeiten • Die Tätigkeit des Freelancers unter- keit und damit für eine Scheinselbstän- • festgelegter Arbeitsort scheidet sich kaum von der eines digkeit sprechen. Die Bezeichnung im • Urlaubsanspruch Angestellten des Auftraggebers Vertrag spielt dabei lediglich eine unter- • Eingliederung in den Betrieb des geordnete Rolle. Vielmehr kommt es „Auftraggebers“, insbesondere feste auf die tatsächliche Durchführung, d. h. Prozessintegration sowie umfang die gelebte Praxis des Beschäftigungs- reiche Pflichten zum Reporting an verhältnisses an. den Auftraggeber • regelmäßige Teilnahme an Betriebsfeiern 5 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AUS DER PRAXIS Arbeitsrechtliche Folgen einer Sozialversicherungsrechtliche Folgen Da eine mögliche Scheinselbständigkeit Scheinselbständigkeit einer Scheinselbständigkeit im Einzelfall für einen vergleichsweise Da Scheinselbständige vor dem Gesetz Bei Scheinselbständigen handelt es langen Zeitraum bestehen kann, sum- als normale Arbeitnehmer gelten, ste- sich um ganz „normale“ Arbeitnehmer, mieren sich zum Teil erhebliche Beträge hen ihnen auch alle Rechte eines Arbeit- welche als solche gemäß den jeweili- auf, die vom Arbeitgeber nachgezahlt nehmers zu. Alle arbeitsrechtlichen gen Regelungen in den einzelnen Zwei- werden müssen. Die Verjährungsfrist Schutzgesetze und ggf. einschlägige gen der Sozialversicherung versiche- von Sozialversicherungsbeiträgen beträgt Tarifverträge oder Betriebsvereinbarun- rungspflichtig sind. Die Einordnung der unter besonderen Umständen bis zu gen finden Anwendung. Das Vertrags- Einkünfte durch das Finanzamt als Ein- 30 Jahre, vgl. § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV. verhältnis zwischen Auftraggeber und künfte aus selbständiger Tätigkeit bzw. Auftragnehmer wird, unabhängig von der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätig- Steuerrechtliche Folgen einer gewählten Bezeichnung und auch für die keit kann — muss aber nicht — mit der Scheinselbständigkeit Vergangenheit (!), als Arbeitsverhältnis Einordnung zur Sozialversicherung über- Lohnsteuerliche Folgen behandelt. Das bedeutet insbesondere: einstimmen. Die sozialversicherungs- Sofern der Scheinselbständige auch steu- rechtliche Handhabung für die Zukunft errechtlich als Arbeitnehmer einzuordnen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist in der Regel unproblematisch, da die ist, hätte der „Arbeitgeber“ Lohnsteuer Erkrankt der Arbeitnehmer, muss der notwendigen Anmeldungen rechtzeitig einbehalten und abführen müssen. Im Auf- Arbeitgeber für bis zu sechs Wochen die abgegeben werden können. deckungsfall kann die Lohnsteuer vom Vergütung weiterzahlen, § 3 Entgelt- Arbeitgeber als Haftungsschuldner rück- fortzahlungsgesetz. Kritischer stellt sich vielmehr die sozial- wirkend für mindestens vier Jahre nach- versicherungsrechtliche Behandlung gefordert werden. Das gilt grundsätzlich Bezahlter Erholungsurlaub der Vergangenheit des „Arbeitnehmers“ auch, wenn der Scheinselbständige auf Ein Arbeitnehmer hat das Recht auf dar. Der Arbeitgeber muss die für die sein „Honorar“ bereits Einkommensteuer bezahlten Erholungsurlaub von mindes- Vergangenheit nachträglich erhobenen gezahlt hat, da die Jahreslohnsteuer und tens vier Wochen pro Jahr nach dem Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitge- die Einkommensteuer in der Regel geson- Bundesurlaubsgesetz. ber- und Arbeitnehmeranteil) abführen. dert zu betrachten sind (so z. B. FG Düs- seldorf, Urteil vom 21. Oktober 2009, Kündigungsschutz Betroffene „Auftraggeber“ suchen, um AZ: 7 K 3109/07 H (L)). Ist faktisch Um einem Arbeitnehmer kündigen zu den wirtschaftlichen Schaden gering zu jedoch keine Steuer mehr rückständig, können, braucht der Arbeitgeber — sofern halten, oftmals nach Regressmöglich- wird die Haftung für diesen Fall in der die übrigen Vorrausetzungen nach dem keiten bei dem „Freelancer“. Tatsäch- Praxis auf „Null“ reduziert. Zu beachten Kündigungsschutzgesetz (Beschäftigung lich gibt es einen derartigen Rückforde- ist jedoch, dass die Bemessungsgrund- von in der Regel mehr als zehn Arbeit- rungsanspruch gegen den „Freelancer“, lagen zur Lohn- und Einkommensteuer- nehmern, Betriebszugehörigkeit des allerdings ist dieser zeitlich begrenzt berechnung differieren können. Zudem betroffenen Arbeitnehmers von mehr als und nur einschlägig, wenn die Zusam- können vom Scheinselbständigen gel- sechs Monaten) vorliegen — einen per menarbeit fortgesetzt wird: tend gemachte Betriebsausgaben und sonen-, verhaltens- oder betriebsbeding- weitere Steuerabzugsbeträge nur noch ten Kündigungsgrund. Um sich von einem Gemäß § 28g SGB IV kann ein Anspruch als Werbungskosten bzw. Sonderausga- Freelancer zu trennen, muss er diesem auf Rückforderung der Sozialversiche- ben abziehbar sein bzw. können Abzugs- hingegen nur keine weiteren Aufträge rungsbeiträge durch Abzug vom Arbeits- beschränkungen unterliegen. Bei erteilen. entgelt geltend gemacht werden, jedoch abziehbaren Betriebsausgaben unter begrenzt auf die nächsten drei Gehalts- 1.000 EUR kann der Steuerpflichtige Anderweitige Regelungen zahlungen nach Feststellung der Sozial- dann jedoch auch den Werbungskosten- Darüber hinaus finden auf das beste- versicherungspflicht. Wird die Zusam- pauschbetrag gem. § 9a S. 1 Nr. 1 a) hende Arbeitsverhältnis sämtliche ander- menarbeit nicht fortgesetzt, scheidet ein EStG in Höhe von aktuell 1.000 EUR gel- weitige Arbeitnehmerschutzvorschrif- derartiger Anspruch aus, denn dann tend machen. ten, wie z. B. Mutterschutz nach dem bezieht der „Freelancer“ kein Arbeits- Mutterschutzgesetz sowie andere kün entgelt aus seiner Tätigkeit für den Auf- Bleibt der nach Sozialversicherungsrecht digungsschutzrechtliche Vorschriften, traggeber mehr. Für den „Freelancer“ eingestufte Scheinselbständige steuer- die zugunsten von Schwangeren und selbst bestehen damit keine sozialversiche- rechtlich jedoch selbständiger Unterneh- schwerbehinderten Menschen gelten, rungsrechtlichen Konsequenzen, sofern mer, schuldet der Auftraggeber Sozial- Anwendung. die Zusammenarbeit beendet wird. abgaben, aber keine Lohnsteuer. 6 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AUS DER PRAXIS Umsatzsteuerliche Folgen Weitere Folgen Sofern der Scheinselbständige Unterneh- Bei Annahme einer Scheinselbständig- befreienden Anzeige gem. §§ 371, 378 mer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes keit können sich neben den oben aufge- Abs. 3 AO. Unsere umfangreiche Pro ist, hat er im Falle des Überschreitens der zählten Folgen auch straf- und bußgeld jekterfahrung in diesem Bereich zeigt sog. Kleinunternehmergrenze nach § 19 rechtliche Risiken ergeben, insbesondere jedoch, dass sich straf- oder bußgeld UStG gesondert Umsatzsteuer auszuwei- wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt rechtliche Konsequenzen durch eine sen und abzuführen. Die Umsatzgrenze nach § 266a StGB oder Steuerhinterzie- aktive Aufarbeitung und Nachmeldung wurde zum 01. Januar 2020 auf nun- hung nach § 370 AO. Im Gegensatz zu gegenüber den zuständigen Behörden mehr 22.000 EUR erhöht. Vom Rech- § 266a StGB besteht für Steuerdelikte häufig vermeiden bzw. auf ein erträgli- nungsbetrag muss er den Arbeitnehme- die Möglichkeit einer straf- bzw. bußgeld- ches Maß reduzieren lassen. ranteil am Gesamtsozialversicherungs- beitrag einbehalten und abführen. Für den Auftragnehmer gehört dieser Arbeitnehmeranteil zum umsatzsteuer- pflichtigen Entgelt. Wird dem Scheinselbständigen die Unter- nehmereigenschaft jedoch aberkannt, erfolgte der in der Regel vorgenommene Umsatzsteuerausweis in den jeweiligen Rechnungen zu Unrecht. Dem Auftrag- geber steht folglich aus den Rechnun- gen des Freelancers kein Vorsteuerab- zug zu und ihm droht eine Rückzahlung bereits abgezogener Vorsteuerbeträge. Dies kann zusätzlich durch eine Zinszah- lung in Höhe von 6 % nach § 233a AO „begleitet“ werden. Der Auftragnehmer schuldet die ausgewiesene Umsatz- steuer grundsätzlich weiterhin. Nur wenn der Auftragnehmer noch keine Vorsteuer abgezogen hat oder er dem Finanzamt diese wieder zurückzahlt, kann der Auf- traggeber seine Rechnungen noch berich- tigen und die Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG, § 17 UStG erstattet bekom- Fazit men. Hat der Scheinselbständige selbst Vorsteuern abgezogen, ist er auch inso- weit zur Rückzahlung verpflichtet. Die Einordnung als abhängige Beschäftigung oder als (Schein)selbständig- keit bleibt — trotz des Wissens um diese Problematik — unverändert schwie- rig und birgt sowohl für Arbeitgeber als auch für den potenziellen Schein- selbständigen erhebliche arbeitsrechtliche, sozialversicherungsrechtliche sowie steuer(straf)rechtliche Risiken. Erschwerend kommt hinzu, dass die rechtliche Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses im Sozial-, Steuer- Autoren und Arbeitsrecht unterschiedlich ausfallen kann, da die Einstufung einer Behörde keine Bindungswirkung für andere Behörden entfaltet. Spätestens Christian Gaßmann wenn die Rentenversicherung oder das Finanzamt „vor der Tür stehen“, Rechtsanwalt Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf sollte dringend ein erfahrener Berater konsultiert werden. Wesentlich ziel- Telefon +49 211 9352 14949 führender, auch unter dem Gesichtspunkt der Verminderung von Risiken, christian.gassmann@de.ey.com ist eine präventive Herangehensweise. Bereits im Vorfeld können wir im Martina S. Buhr Rahmen unserer Beratung helfen, das Risiko einer Scheinselbständigkeit zu Rechtsanwältin erkennen und erfolgreich zu vermeiden. Hierbei legen wir Wert auf indivi Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf Telefon +49 211 9352 28164 duelle, wirtschaftliche und praxisnahe Lösungen. Sprechen Sie uns gerne an! martina.buhr@de.ey.com 7 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG BAG entscheidet zu Matrix-Strukturen: Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG Matrix-Strukturen erfreuen sich gerade bei größeren Unternehmen seit Jahren stetig wachsender Beliebtheit. Zur effizienteren Bündelung personeller Ressourcen werden Fachmitarbeiter mehrerer Konzernunternehmen einem Vorgesetzten (dem sogenannten Matrix-Manager) unterstellt. Dieser wiederum hat typischerweise nur mit einem der Konzernunternehmen einen Anstellungsvertrag. Angesichts bislang sehr überschaubarer Recht- sprechung zu solchen Strukturen werden diverse arbeitsrechtliche Fragen kontrovers diskutiert — insbesondere die Beteiligungsrechte der jeweiligen Betriebsräte und arbeitnehmerüberlassungsrechtliche Gesichtspunkte. Zur ersten Fragestellung liegt nun eine BAG-Entscheidung (Beschluss vom 12. Juni 2019, AZ: 1 ABR 5/18) zu § 99 Abs. 1 BetrVG vor. räumliche Zuordnung des Matrix-Mana- gers. Auf die Art der Vorgesetztenbe- fugnisse ging das BAG nicht näher ein. Das BAG setzt sich durchaus mit den Argumenten der Literatur und auch der Arbeitgeberseite auseinander, stellt am Ende aber entscheidend auf den Schutz der Belegschaft des Betriebs durch deren Betriebsrat ab. Dieser müsse zu- mindest irgendeine Kontrollmöglich- keit haben, wenn ein neuer Vorgesetz- ter in den Betrieb kommen solle. Immerhin hält das BAG aber noch fest, dass die Betriebsräte ihre Zustimmung jedenfalls nicht mit der Begründung ver- Worum geht es in der Entscheidung nieren und womöglich gar — im Falle weigern können, es habe keine betriebs und was ist der Hintergrund? von Zustimmungsverweigerungen — interne Ausschreibung stattgefunden, Je größer und komplexer der Konzern auch noch eine Vielzahl gerichtlicher denn es werde im Einsatzbetrieb keine aufgestellt ist, desto „weiter verteilt“ Zustimmungsersetzungsverfahren vor Stelle neu geschaffen bzw. neu besetzt. sind v.a. bei divisionalen Strukturen oft diversen Arbeitsgerichten führen zu Im Ergebnis ist dies sicher zu begrüßen, auch die einzelnen Fachmitarbeiter auf müssen. Ganz zu schweigen von dem wenn auch in der dogmatischen Begründ- die jeweiligen Konzernunternehmen und Umstand, dass womöglich jedes Arbeits- barkeit durchaus fragwürdig. Standorte. Eine bislang umstrittene gericht anders entscheiden könnte. Frage war nun, ob die Einräumung von Arbeitnehmerüberlassungsrechtliche Vorgesetztenkompetenzen an einen Genau hierzu zwingt das BAG die Unter- Auswirkungen? Matrix-Manager eine „Einstellung“ i. S. d. nehmen nun jedoch — was arbeitneh Die Entscheidung des BAG ist durchaus § 99 Abs. 1 BetrVG sein kann. Die Kon- merüberlassungsrechtliche Folgefragen überraschend. Die Definition einer Ein- sequenz wäre nämlich, dass von jedem aufwirft. stellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG deckt Betriebsrat jedes Betriebs, in dem Fach- sich inhaltlich in weiten Teilen mit der mitarbeiter tätig sind, welche dem Matrix- Zustimmungspflichtige Einstellung Definition einer Arbeitnehmerüberlas- Manager unterstellt werden sollen, die Laut BAG kann die Einräumung von Vor- sung nach § 1 AÜG. Bislang war für bei- Zustimmung eingeholt werden müsste. gesetzten-Funktionen an einen Matrix- des erforderlich, dass der betreffende Man stelle sich vor, ein Matrix-Manager Manager eines Betriebs für Arbeitnehmer Mitarbeiter in den Einsatzbetrieb einge- soll für Fachmitarbeiter in zehn Betrie- eines anderen Betriebs eine Einstellung gliedert und den (disziplinarischen) ben verschiedener Konzernunternehmen in diesen anderen Betrieb gem. § 99 Weisungen des Einsatzbetriebs bzw. Ent- zuständig werden. Welch ein Aufwand, Abs. 1 BetrVG darstellen, wenn dies dem leihers unterstellt wird. Dementsprechend dann alle zehn Betriebsräte um ihre Betriebszweck des anderen Betriebs zählt auch der Einsatz von Leiharbeit- Zustimmung bitten zu müssen, dies dienen soll. Entscheidend sei allein eine nehmern zu den typischen Beispielen für unternehmensübergreifend zu koordi- organisatorische Einbindung, nicht die eine Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG. 8 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG Bei nur auf ein einzelnes Unternehmen Genau deshalb lag und liegt einer der Jedenfalls unmittelbar und ausdrück- beschränkten Matrix-Strukturen stellen wichtigsten Schwerpunkte der Ausgestal- lich trifft das BAG hierzu keine Aussage. sich arbeitnehmerüberlassungsrecht tung gesellschaftsübergreifender Matrix- Erfreulich ist aber, dass sich das BAG liche Fragen zwar nicht, denn Arbeitneh- Strukturen darin, bereits begrifflich das durchaus Gedanken über die möglichen merüberlassung kann es nicht inner- Vorliegen von Arbeitnehmerüberlas- Konsequenzen seiner Entscheidung zu halb eines Unternehmens geben. Die sung auszuschließen. Klassischerweise § 99 Abs. 1 BetrVG gemacht hat. Noch weitaus meisten Matrix-Strukturen sind wurde dabei bislang vor allem darauf erfreulicher ist, dass das BAG deutlich aber nicht auf einzelne Unternehmen be- geachtet, eine disziplinarische gesell- hervorhebt, dass der seiner Entscheidung schränkt. Im Gegenteil werden typischer- schaftsübergreifende Weisungsbindung zugrunde liegende Sachverhalt nicht weise Fachmitarbeiter verschiedenster zu vermeiden (wobei es auch durchaus mit Fällen des Einsatzes von Fremdper- Unternehmen des Konzernverbundes alternative Lösungsansätze gibt). sonal vergleichbar ist. Auch bezieht unter der „Ägide“ eines Matrix-Managers sich die Entscheidung insgesamt nur „gebündelt“. Läge bei solchen „gesell- Diskutiert wird nun, ob und inwieweit auf betriebsübergreifende, aber eben schaftsübergreifenden“ Matrix-Strukturen sich aus der vorliegenden BAG-Entschei- nicht auch auf gesellschaftsübergrei- Arbeitnehmerüberlassung vor, dann dung auch Auswirkungen auf die Defini fende Matrix-Strukturen. wäre diese mit hoher Wahrscheinlichkeit tion der Arbeitnehmerüberlassung in schon wegen der Dauerhaftigkeit solcher § 1 Abs. 1 AÜG ergeben, genauer: Wenn Von seiner Argumentation her wird Strukturen unzulässig. Das sogenannte alleine die Einräumung von Vorgesetz- man das BAG daher wohl so verstehen „Konzernprivileg“ würde nicht greifen, tenfunktionen nun schon für eine Einstel- können, dass nur die Einräumung von die Folge wären mögliche hohe Bußgel- lung nach § 99 Abs. 1 BetrVG genügen Vorgesetztenfunktionen nicht für das der, gesellschaftsübergreifende Haftung kann, folgt daraus dann ein quasi auto- Bejahen von Arbeitnehmerüberlassung für Sozialabgaben, „fingierte“ Arbeits- matisches Vorliegen von Arbeitnehmer- ausreicht. Dies gilt umso mehr, als bei verhältnisse usw. überlassung? der Frage nach Arbeitnehmerüberlas- sung noch mehr Gesichtspunkte eine Rolle spielen können als bei der Frage nach einer Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG. Diese sind gerade auch bei Matrix-Strukturen relevant. Beispiels- weise will der vertragliche Arbeitgeber des Matrix-Managers — im Gegensatz zum Verleiher eines Leiharbeitnehmers — typischerweise gerade nicht lediglich einen fremden Betriebszweck fördern, sondern (auch) eigene Betriebszwecke. Praxishinweis Sollen Matrix-Manager Vorgesetztenfunktionen für Fachmitarbei- ter in anderen Betrieben erhalten, ist die vorherige Zustimmung aller Betriebsräte aller betroffenen Betriebe nach § 99 Abs. 1 BetrVG erforderlich. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung zu Matrix-Strukturen sollte gerade auch mit Blick auf arbeitneh- merüberlassungsrechtliche Themen verfolgt werden. Autoren Wolfgang Hardt Rechtsanwalt Ernst & Young Law GmbH, Hamburg Telefon +49 40 36132 16463 wolfgang.hardt@de.ey.com Jan-Jacob Roeder, LL.M. Rechtsanwalt Ernst & Young Law GmbH, Berlin Telefon +49 30 25471 23089 jan-jacob.roeder@de.ey.com 9 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG Anhörungsfrist vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung Die Anhörung des zu kündigenden Arbeitnehmers vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung muss grundsätzlich innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden von Anhaltspunkten für den Kündigungssachverhalt erfolgen. Besondere Umstände können aber eine Überschreitung dieser Wochenfrist rechtfertigen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein den Kündigungssachverhalt mitteilender Arbeitnehmer berechtigterweise um Ver- traulichkeit bittet und auch auf Nachfrage innerhalb der ihm gesetzten kurzen Frist erklärt, nicht auf die vertrau- liche Behandlung des Sachverhalts verzichten zu wollen (BAG, Beschluss vom 27. Juni 2019, AZ: 2 ABR 2/19). Sachverhalt Die Arbeitgeberin beantragte die Erset- Der Arbeitgeberin sei es aufgrund ihrer Allerdings könne ein Arbeitgeber nicht zung der vom Betriebsrat verweigerten aus § 241 Abs. 2 BGB folgenden Pflicht, beliebig lange abwarten, bis sich der Zustimmung zu einer außerordentlichen auf das Wohl und die berechtigten Inter- Arbeitnehmer zu einer Entbindung der Kündigung des Betriebsratsvorsitzen- essen der Arbeitnehmer Rücksicht zu Vertraulichkeit entschließt. Das BAG den wegen sexueller Belästigung einer nehmen und sie vor Gesundheitsgefah- nannte hierbei keine genaue Frist, es Kollegin am 21. und 22. November 2016. ren auch psychischer Art zu schützen, führte jedoch aus, dass der zeitliche Aufgrund einer Konzernbetriebsver- möglicherweise unzumutbar gewesen, Abstand von drei Wochen zwischen der einbarung, die eine Verschwiegenheits- den Betriebsratsvorsitzenden vor dem Mitteilung der Vorwürfe und der Entbin- pflicht vorsieht, wurde der Sachverhalt 14. Dezember 2016 anzuhören. Sollte dung von der Vertraulichkeit durch die zunächst auf Wunsch der Arbeitneh- der Vorfall für die krankheitsbedingte betroffene Arbeitnehmerin bei einer auf merin vertraulich behandelt. Ab dem Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin dem Vorfall beruhenden krankheitsbe- 24. November 2016 war die Arbeit- ausschlaggebend gewesen sein, habe dingten Arbeitsunfähigkeit, die psycho- nehmerin arbeitsunfähig erkrankt. Am die Arbeitgeberin darauf Rücksicht neh- logische Hilfe erfordert, noch nicht zu 14. Dezember 2016 teilte sie der Arbeit- men müssen. beanstanden sei. geberin schließlich mit, dass sie den Fall jetzt doch offiziell untersuchen las- Praxishinweis sen wolle und übermittelte am Folge- tag einen Bericht. Am 16. Dezember 2016 wurde der Betriebsratsvorsitzende zu den gegen ihn erhobenen Vorwür- Erfährt der Arbeitgeber von Umständen, die eine außerordentliche Kündigung fen angehört. Am 19. Dezember 2016 eines Arbeitnehmers rechtfertigen könnten, so ist grundsätzlich Eile gebo- und am 21. Dezember 2016 beantragte ten. Obwohl die Pflicht zur Vertraulichkeit unter bestimmten Voraussetzungen die Arbeitgeberin die Zustimmung des (berechtigtes Interesse des Hinweisgebers, Fristsetzung des Arbeitgebers) Betriebsrats zur Kündigung des Betriebs- eine Überschreitung der Regelfrist für die Anhörung des Beschuldigten recht- ratsvorsitzenden, die dieser jedoch ver- fertigen kann, ist es Arbeitgebern zu empfehlen, nicht zu lange mit der Anhö- weigerte. rung des zu kündigenden Arbeitnehmers abzuwarten. Da das BAG ausdrücklich offengelassen hat, welche Frist für eine Entscheidung über die Entbindung Entscheidung von der Vertraulichkeit noch hinnehmbar ist, sollte man eine Anhörung nicht zu Das LAG habe den Zustimmungserset- lange hinausschieben. zungsantrag nicht mit der Begründung abweisen dürfen, dass die Arbeitgebe- rin die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Autoren BGB versäumt habe, so das BAG. Die Arbeitgeberin habe zur weiteren Sach- Vanessa Schubert Rechtsanwältin verhaltsaufklärung zunächst eine An- Ernst & Young Law GmbH, München hörung des Betriebsratsvorsitzenden Telefon +49 89 14331 22573 vanessa.schubert@de.ey.com abwarten dürfen. Die Anhörung müsse zwar grundsätzlich innerhalb einer Maximilian Witzani Woche erfolgen, allerdings könnte die Rechtsanwalt Ernst & Young Law GmbH, München Einhaltung der Regelfrist aufgrund Telefon +49 89 14331 23307 besonderer Umstände unzumutbar sein. maximilian.witzani@de.ey.com 10 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG Anspruch auf Bonuszahlung auch bei unterbliebener Zielvereinbarung Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln vom 09. Oktober 2019 (AZ: 18 Ca 3535/19) führt eine unterbliebene Zielvereinbarung regelmäßig nicht zum Erlöschen des Anspruchs auf Bonuszahlung, sofern der Bonusanspruch von dem Erreichen zuvor vereinbarter Ziele abhängig ist. Sachverhalt Die Parteien hatten in dem Arbeitsver- trag einen jährlichen Bonusanspruch in Höhe von 5.000 EUR vereinbart. Laut Vertrag sollte in einem jährlichen Ziel- gespräch eine Zielvereinbarung getrof- fen werden, welche die quantitativen und qualitativen Ziele für das Bestehen des Bonusanspruchs festlegt. Für den Bonus im Jahr 2018 wurde keine solche Zielvereinbarung getroffen. Entscheidung Das Arbeitsgericht Köln lehnte den Bonusanspruch in diesem Fall im Ergeb- nis ab. Zwar hänge der Bonusanspruch nach der vertraglichen Regelung nicht davon ab, ob eine Zielvereinbarung tat- sächlich zustande komme. Auch sei der Anspruch nicht deswegen abzulehnen, Praxishinweis weil die (nicht vereinbarten) Ziele nicht erreicht wurden. Da vertraglich nicht geregelt wurde, wie im Fall zu verfahren ist, wenn keine Zielvereinbarung getrof- Mit einer etwas willkürlich erscheinenden Begründung hat das Arbeitsgericht fen wurde, sei die Bonushöhe im Zweifel Köln den Bonusanspruch im Ergebnis abgelehnt. Anders als das Bundesarbeits- nach § 612 Abs. 2 BGB zu bemessen. Es gericht geht das Arbeitsgericht Köln hier nicht den Weg über den Schadens sei aber nicht ersichtlich, dass die Kläge- ersatzanspruch wegen der unterbliebenen Zielvereinbarung (vgl. hierzu BAG, rin die „übliche Vergütung“ nicht bereits Urteil vom 12. Dezember 2007, AZ: 10 AZR 97/07), sondern zieht § 612 erhalten habe. Darlegungen zur üblichen Abs. 2 BGB zur Festlegung der „üblichen Vergütung“ heran. Trotz ausdrück Gesamtvergütungshöhe habe die Kläge- licher vertraglicher Regelung einer variablen Vergütung sei die Klägerin aber rin nicht erbracht. schon „üblich“ vergütet worden. Auch wenn das Urteil im Ergebnis aus Arbeitgebersicht vorteilhaft ist, sollte weiterhin die oben genannte BAG-Rechtsprechung berücksichtigt werden: die jährliche Zielvereinbarung abzuschließen bzw. den Versuch des Abschlusses Autoren ausführlich zu dokumentieren. Sebastian Rasch Die Regelung für einen Anspruch auf eine variable Vergütung sollte darüber Rechtsanwalt Ernst & Young Law GmbH, München hinaus so bestimmt und transparent wie möglich ausgestaltet sein. Soll für die Telefon +49 89 14331 14179 Höhe der variablen Vergütung eine Zielvereinbarung maßgeblich sein, sollten sebastian.rasch@de.ey.com die Parteien regeln, wann eine solche spätestens zu treffen ist. Insbesondere Liesa Beer sollte geregelt werden, was hinsichtlich des Anspruchs gelten soll, wenn es die Rechtsanwältin Parteien versäumen, eine jährliche Zielvereinbarung zu treffen, oder wenn Ernst & Young Law GmbH, Nürnberg Telefon +49 911 3958 15891 eine einvernehmliche Regelung nicht zustande kommt. liesa.beer@de.ey.com 11 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG Freiwilligkeitsvorbehalt bei Vorständen wirksam Der Vorbehalt einer Aktiengesellschaft im Vorstandsdienstvertrag, wonach eine variable Vergütung nach billigem Ermessen gewährt werden kann und eine freiwillige Leistung ohne Rechtsanspruch darstellt, ist wirksam (BGH, Urteil vom 24. September 2019, AZ: II ZR 192/18). Sachverhalt Entscheidung Der Kläger wurde 2006 in den Vorstand abgeleitet werden. Solche Sonderzuwen- Der BGH entschied, dass der Freiwillig- der beklagten Aktiengesellschaft beru- dungen, Gratifikationen oder Ähnliches keitsvorbehalt betreffend etwaige Bonus fen. 2010 schlossen die Parteien einen können auch für außerordentliche Leis- zahlungen wirksam und nach seinem neuen Vorstandsdienstvertrag, wonach tungen des Vorstandsmitglieds gewährt Wortlaut eindeutig sei. Es bestehe seitens — abweichend von den Vorgängerrege- werden.“ des Klägers daher kein Anspruch auf die lungen — folgende Regelungen zur vari- Zahlung einer variablen Vergütung. Auch ablen Vergütung getroffen wurden: Der Kläger kündigte sein Dienstver- der AGB-Kontrolle halte die Regelung hältnis mit der Beklagten mit Wirkung stand, insbesondere könne keine unange- „Der Aufsichtsrat kann nach billigem zum 30. September 2011, legte sein messene Benachteiligung des Klägers Ermessen und im Einklang mit gelten- Amt vorzeitig nieder und wurde ab dem festgestellt werden. Für den vom OLG dem Recht (insbesondere § 87 AktG, 20. Mai 2011 freigestellt. Für das Jahr hergeleiteten Anspruch auf eine Ermes- soweit anwendbar) zusätzlich zum Jah- 2011 erhielt er erstmals keinen Bonus. sensentscheidung sei nach der Rege- resbruttogrundgehalt Sonderleistun- lung kein Raum, selbst bei Annahme einer gen, Gratifikationen oder Ähnliches ein- Seine Klage zum Landgericht blieb unangemessenen Benachteiligung und malig oder wiederholt gewähren. Bei erfolglos, vor dem Oberlandesgericht sich daraus ergebender Unwirksamkeit diesen Sonderleistungen, Gratifikationen hatte er zum Teil Erfolg. Auf die Revi- des Freiwilligkeitsvorbehalts. Die Recht- oder Ähnlichem handelt es sich in jedem sion der Beklagten zum Bundesgerichts- sprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Falle um freiwillige Zuwendungen. Ein hof (BGH) wurde die Klage vollständig Unwirksamkeit eines Freiwilligkeitsvor- Rechtsanspruch kann aus ihnen nicht abgewiesen. behalts im Arbeitsvertrag betreffend die Auszahlung eines Bonus bei bestehender Zielvereinbarung könne entgegen der Auffassung des OLG ebenfalls nicht ohne Weiteres auf Vorstände übertragen wer- den. Ferner sei die Lage hier ohnehin eine andere, da keine konkrete Zielver- einbarung getroffen worden sei, die in Verbindung mit der vertraglichen Rege- lung stünde. Auch aus der Anwendung des § 87 AktG ergebe sich nichts anderes, da dieser keinen Anspruch auf eine vari able Vergütung gewähre, sondern ledig- lich im Rahmen des Aufsichtsrechts das Ermessen des Aufsichtsrats einschränke. Praxishinweis Interessant ist die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeiten, die sie bei der Vergütung im Vor- standsbereich eröffnet, in Abgrenzung zu der eher rest- Autorinnen riktiven Rechtsprechung des BAG im Bereich der Arbeit- nehmervergütung. Der BGH verdeutlicht hier den weiten Sophia Haus Rechtsanwältin individuellen Gestaltungsspielraum im Vorstandsvertrag. Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M. Allerdings ist stets sehr genau auf die Formulierung zu Telefon +49 6196 996 11454 sophia.haus@de.ey.com achten, um hier nicht versehentlich eine Ermessensent- scheidung des Aufsichtsrats anstatt des angestrebten Isabella Kothen, LL.M. Freiwilligkeitsvorbehalts über das „Ob“ der variablen Rechtsanwältin Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf Vergütung zu begründen. Telefon +49 211 9352 29199 isabella.kothen@de.ey.com 12 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG Einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs nach § 14 S. 1 Arbeitnehmer-Entsendegesetz Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seinem Urteil vom 16. Oktober 2019 (AZ: 5 AZR 241/18) mit dem Begriff des Unternehmers für die Bürgenhaftung des § 14 S. 1 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) aus einandergesetzt und auf die bisher für die Vorgängerregelung § 1a AEntG a. F. bestehende Rechtsprechung zurückgegriffen. Danach ist der Unternehmerbegriff einschränkend auszulegen. Der bloße Bauherr gilt nicht als Unternehmer in Sinne dieser Bürgenhaftung. Sachverhalt Nachunternehmens zur Zahlung des Min- Im vorliegenden Fall streiten die Parteien destentgelts an Arbeitnehmer wie ein um die Zahlung von Nettoarbeitslohn. Bürge haftet, der auf die Einrede der Die Beklagte war Eigentümerin eines Vorausklage verzichtet hat. Nach Sinn Grundstücks, auf dem sie ein Einkaufs- und Zweck dieser Haftung werde nach zentrum errichten ließ, das sie verwal- Ansicht des BAG ein Unternehmer erfasst, tet und in dem sie Geschäftsräume ver- der sich zu einer Werk- oder Dienstleis- mietet. Zur Errichtung des Gebäudes tung verpflichtet habe, diese aber nicht hat die Beklagte einen Generalunterneh- mit eigenen Arbeitnehmern erfülle, son- mer beauftragt, der wiederum mehrere dern sich zur Erfüllung seiner eigenen Subunternehmer einschaltete. Der Klä- Verpflichtung eines Subunternehmers ger war als Bauhelfer bei einem der Sub- bediene. Da ein solcher Unternehmer unternehmer beschäftigt, der an der die Beachtung der zwingenden Mindest Errichtung des Einkaufszentrums mit- arbeitsbedingungen aus seiner Hand wirkte. Nachdem über das Vermögen gebe, sei eine solche Bürgenhaftung des Generalunternehmers das Insolvenz gerechtfertigt. Es bedürfe einer beson- verfahren eröffnet war und der Kläger deren Verantwortungsbeziehung zwi- seinen Nettolohn für die Arbeit auf der schen Auftraggeber und Nachunterneh- Praxishinweis Baustelle des Einkaufszentrums nicht von seinem Arbeitgeber erhalten hatte, begehrte er von der Beklagten seinen mer. Diese Situation sei jedoch nicht mit der Beklagten als bloße Bauherrin vergleichbar. Die Beklagte habe einen Mit dieser Entscheidung folgt das BAG ausstehenden Lohn auf der Grundlage Auftrag zur Errichtung eines Einkaufs- seiner bisherigen Rechtsprechung des § 14 S. 1 AEntG. zentrums an einen Generalunternehmer zur einschränkenden Auslegung des erteilt und habe damit nicht die Erfül- Unternehmerbegriffs zu der Vorgän- Entscheidung lung eigener Verpflichtungen weiterge- gerregelung § 1a AEntG a. F. Damit Die Revision des Klägers zum BAG hatte geben. Sie habe mit dem Bauauftrag schafft diese Entscheidung auch für keinen Erfolg. Ebenso wie die Vorinstan- lediglich die Grundlage für ihre Geschäfts die Neuregelung des § 14 S. 1 AEntG zen lehnte das BAG eine Bürgenhaftung tätigkeit der Verwaltung und Vermietung Rechtssicherheit, sodass die Rechts- des Bauherrn nach § 14 S. 1 AEntG ab. geschaffen. folge der Bürgenhaftung unter Ver- Das BAG entschied, dass die Beklagte als zicht auf die Einrede der Vorausklage bloße Bauherrin nicht unter den Unter- nicht jeden Unternehmer trifft, nehmerbegriff des § 14 S. 1 AEntG falle. Autorinnen der eine Bauleistung in Auftrag gibt. Der Begriff des Unternehmers sei unter Vielmehr berücksichtigt der einge- Rückgriff auf die Rechtsprechung der Vor- Bärbel Kuhlmann schränkte Unternehmerbegriff die Rechtsanwältin gängerregelung in § 1a AEntG a .F. ein- Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M. erforderliche besondere Verantwor- schränkend auszulegen. § 14 S. 1 AEntG Telefon +49 6196 996 11336 tungsbeziehung zwischen Auftrag- sieht vor, dass ein Unternehmer, der baerbel.kuhlmann@de.ey.com geber und Nachunternehmern, die einen anderen Unternehmer mit der Ulla Kuniß-Nickel eine entsprechende weitreichende Erbringung von Werk- oder Dienstleis- Rechtsanwältin Bürgenhaftung erst rechtfertigt. Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M. tungen beauftragt, für die Verpflichtun- Telefon +49 6196 996 25153 gen dieses Unternehmers oder eines ulla.kuniss-nickel@de.ey.com 13 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG Equal-Pay-Gebot gilt bei unvollständiger Inbezugnahme eines Zeitarbeits-Tarifvertrags Eine Abweichung von dem Gebot der gleichen Vergütung („Equal-Pay“) nach dem Arbeitnehmerüber- lassungsgesetz (AÜG) ist nur möglich, wenn die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag vollumfänglich ausgestaltet ist, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 16. Oktober 2019 (AZ: 4 AZR 66/18) festgestellt hat. Sachverhalt Entscheidung Der Kläger war im Rahmen einer Arbeit- Das BAG befand, dass die vorliegende, Tarifvertrag lediglich in Bezug nähmen, nehmerüberlassung von April 2014 bis nur teilweise vertragliche Inbezugnahme Raum für ein geringeres Maß an Tarifan- August 2015 als Kraftfahrer bei einem des Tarifvertrags nicht den Anforde- wendung ließe. Könne der Arbeitgeber Unternehmen (Entleiher) tätig. Sein Ar- rungen des § 9 Nr. 2 AÜG a. F. genüge. zum Teil von dem in Bezug genommenen beitsvertrag mit dem Verleiher (Beklagte) Abweichungen von dem gesetzlichen Tarifwerk abweichen, sei ein angemes- sah eine dynamische Verweisung auf Equal-Pay-Gebot seien nach Wortlaut, sener Ausgleich divergierender Interes- Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche Systematik und Zweck der Vorschrift sen, anders als bei beidseitiger Tarifge- vor. Im Übrigen beinhaltete der Arbeits- nur dann möglich, wenn die tarifver- bundenheit, nicht gewährleistet. Insofern vertrag einige von den tarifvertragli- traglichen Regelungen der Zeitarbeits- sei hier eine Anwendung des Equal-Pay- chen Regelungen negativ abweichende branche ohnehin für die Vertragspar- Gebots geboten. Unschädlich seien nur Bestimmungen. teien gelten oder vollumfänglich in Be- Regelungen, die tarifvertraglich nicht zug genommen würden. Es gebe keine berührte Gegenstände beträfen sowie Auf die Stammarbeitnehmer des Entlei- Anhaltspunkte dafür, dass die gesetzli- vertragliche Abweichungen, die nur hers fanden im Überlassungszeitraum che Regelung für nicht tarifgebundene zugunsten des Arbeitnehmers wirkten. kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die den Beides sei hier nicht der Fall. Tarifverträge der Metall- und Elektroin- dustrie Anwendung, die ein höheres Ent- gelt regelten, als dem Kläger durch die Beklagte gewährt wurde. Der Kläger be- gehrte die Differenzvergütung von der Beklagten, womit er in den Vorinstan- zen scheiterte. Die Revision des Klägers zum BAG war erfolgreich und führte zur Zurückverweisung der Sache an das LAG. Praxishinweis Die Entscheidung überrascht Jahre nach der Einführung des Equal-Pay-Gebots und der Möglichkeit, durch Inbezugnahme tarifvertraglicher Regelung hiervon Autorinnen abzuweichen. Trotzdem erscheint sie konsequent, da der Schutz des Leiharbeit- nehmers im Fokus steht und klargestellt wird, dass ein „cherry picking“ zwischen Sophia Haus tarif- und einzelvertraglichen Regelungen zu seinen Lasten nicht wirksam vor- Rechtsanwältin Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M. genommen werden kann. Zeitarbeitsunternehmen sollten ihre Arbeitsverträge Telefon +49 6196 996 11454 zeitnah prüfen und gegebenenfalls anpassen, um das Risiko der Inanspruch- sophia.haus@de.ey.com nahme aus Entgeltdifferenzansprüchen zu minimieren. Aber auch für Entleiher Isabella Kothen, LL.M. kann eine solche vertragliche Regelung problematisch werden: sie laufen Gefahr, Rechtsanwältin im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung nach dem SGB IV für fehlende Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf Telefon +49 211 9352 29199 Sozialversicherungsbeiträge herangezogen zu werden. isabella.kothen@de.ey.com 14 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei einer stufenweisen Wiedereingliederung Der Arbeitgeber kann dazu verpflichtet sein, an der stufenweisen Wiedereingliederung schwerbehinderter Arbeitnehmer in das Erwerbsleben mitzuwirken. Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht kann Schadenser- satzansprüche des betroffenen Arbeitnehmers begründen, so das BAG in seiner Entscheidung vom 16. Mai 2019 (AZ: 8 AZR 530/17). Grund dafür ist, dass in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung gemäß § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX der Arbeitgeber verpflichtet sein kann, an einer stufenweisen Wiedereingliederung schwerbehinderter Beschäftigter dergestalt mitzuwirken, dass er diese entsprechend den Vorgaben eines Wie- dereingliederungsplans beschäftigt. In Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber jedoch berechtigt sein, seine Mitwirkung zu verweigern und eine Beschäftigung des schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Arbeitnehmers abzulehnen. Insbesondere kann das dann der Fall sein, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer der Arbeitgeber davon ausgehen durfte, dass dem Arbeitnehmer aus der Wiedereingliederungsmaßnahme nach- teilige gesundheitliche Folgen entstehen. Sachverhalt Der Kläger, der mit einem Grad der Behin- derung (GdB) von 70 als schwerbehin- derter Mensch anerkannt ist, war bei der beklagten Stadt (im Folgenden Beklagte) seit 1991 beschäftigt, zuletzt in der Posi- tion des Bauleiters. Von August 2014 bis Anfang März 2016 war er arbeits unfähig erkrankt. Am 21. September 2015 wurde der Kläger betriebsärztlich untersucht. Die Betriebsärztin befürwor- tete in ihrer Beurteilung vom 12. Okto- ber 2015 eine stufenweise Wiedereinglie- derung zur vorsichtigen Heranführung an die Arbeitsfähigkeit mit bestimmten Einschränkungen in der Tätigkeit. Der Klä- ger beantragte sodann bei der Beklag- ten unter Vorlage des Wiedereingliede- rungsplans seines behandelnden Arztes vom 28. Oktober 2015 die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben im Zeitraum vom 16. November 2015 bis zum 15. Januar 2016. Der Wieder- eingliederungsplan des behandelnden Arztes sah keine Einschränkungen in der Tätigkeit vor. Als absehbaren Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeits- daraufhin einen zweiten Wiedereinglie- gliederung war auch erfolgreich. Der fähigkeit gab der behandelnde Arzt den derungsplan vor. Dieser sah eine Wieder- Kläger erlangte am 07. März 2016 seine 18. Januar 2016 an. Anfang November eingliederung in der Zeit vom 04. Januar volle Arbeitsfähigkeit wieder. lehnte die Beklagte diesen Wiederein- bis zum 04. März 2016 vor. Es lag gliederungsplan ab. Begründet wurde zudem ein Bericht der behandelnden Der Kläger forderte von der Beklagten den dies damit, dass ein Einsatz des Klägers Psychologin bei, wonach Einschränkun- Ersatz der Vergütung, die ihm in der Zeit im bisherigen Aufgabengebiet/Tätig- gen in der Tätigkeit nicht mehr bestan- vom 18. Januar bis zum 06. März 2016 da- keitsbereich wegen der in der betriebs den. Die Beklagte stimmte diesem Wie- durch entgangen ist, dass die Beklagte ärztlichen Beurteilung aufgeführten dereingliederungsplan nach erneuter ihn nicht entsprechend den Vorgaben des Einschränkungen nicht möglich sei. — nun positiver — Beurteilung durch die Wiedereingliederungsplans vom 28. Okto- Der noch arbeitsunfähige Kläger legte Betriebsärztin zu. Diese Wiederein- ber 2015 beschäftigt hat. 15 Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |
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