Arbeitsrecht Aktuell - EY Law

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Arbeitsrecht Aktuell - EY Law
Arbeitsrecht
                                      Aktuell

Ausgabe 40 | 1. Quartal 2020   		Brennpunkt                                  14	Equal-Pay-Gebot gilt bei unvollständiger
                                3	Reform der EU-Entsenderichtlinie —            Inbezugnahme eines Zeitarbeits-

Employment                         Status quo zum Umsetzungsstand in
                                   Deutschland
                                                                                 Tarifvertrags

Law
                                                                             15 M
                                                                                 itwirkungspflicht des Arbeitgebers bei
                               		 Aus der Praxis                                einer stufenweisen Wiedereingliederung
                                5	Selbständig oder Scheinselbständig,
Newsletter                         das ist hier die Frage                    17	Urlaubsrecht aktuell

                               		 Aktuelle Rechtsprechung                    		 Zu guter Letzt
                                8	BAG entscheidet zu Matrix-Strukturen:     19	Langer Sommerurlaub durch einen
                                   Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG       Teilzeitantrag zur Freistellung im
                                                                                 Ferienmonat August?
                               10	Anhörungsfrist vor Ausspruch einer
                                   außerordentlichen Kündigung               20 Veranstaltungen

                               11	Anspruch auf Bonuszahlung auch bei
                                   unterbliebener Zielvereinbarung

                               12	Freiwilligkeitsvorbehalt bei
                                   Vorständen wirksam

                               13	Einschränkende Auslegung des
                                   Unternehmerbegriffs nach § 14 S. 1
                                   Arbeitnehmer-Entsendegesetz
Arbeitsrecht Aktuell - EY Law
Editorial

Auch wenn das Jahr 2020 im Lichte von Corona und Co. turbulent gestartet ist,
heißt es doch für weite Teile der Wirtschaft soweit möglich „Business as usual“.
Grenzüberschreitende Mitarbeiterentsendungen sind weiterhin ein heißes Thema,
da unter der Reform der EU-Entsenderichtlinie im Laufe dieses Jahres grundle-
gende Neuerungen zu erwarten sind. Dazu berichten wir in unserem Brennpunkt.
Sollten Sie Fragen zu arbeitsrechtlichen Auswirkungen des Corona-Virus haben,
­stehen wir Ihnen natürlich, neben der Publikation dezidierter Alerts zu aktuellen
 Entwicklungen, jederzeit sehr gerne auch persönlich zur Verfügung.

Da es ein „Dauerbrenner“ ist, haben wir uns in dieser Ausgabe noch einmal aus­
führlich mit der Frage der Abgrenzung (echter) Selbständigkeit von Schei­n­
selbständigkeit auseinandergesetzt und die wesentlichen Punkte in unserer Rubrik
„Aus der Praxis“ zusammengefasst.

Wie gewohnt stellen wir Ihnen natürlich aktuelle praxisrelevante Rechtsprechung
aus dem Arbeitsrecht vor. Schwerpunkt dieser Ausgabe ist dabei eine Entscheidung
des BAG aus dem Betriebsverfassungsrecht zu Beteiligungsrechten der Betriebs-
räte in Matrix-Strukturen für Fälle, in denen ein Matrix-Manager Vorgesetztenfunktion
für Mitarbeiter anderer Betriebe erhalten soll. Darüber hinaus haben wir uns u. a.
mit interessanten Entscheidungen zur vertraglichen Ausgestaltung und Verwirk­
lichung von Ansprüchen auf variable Vergütung, zu Ausnahmen vom Equal-Pay-­
Gebot bei Arbeitnehmerüberlassungen, zur Bürgenhaftung nach dem AEntG sowie
auch aus dem Urlaubsrecht befasst.

Und zu guter Letzt: Das LAG Nürnberg hatte über einen pfiffigen, wenn auch letzt-
lich unzulässigen Teilzeitantrag zu entscheiden, mit dem sich ein Arbeitnehmer
4 Wochen Sommerurlaub im August sichern wollte.

Am Ende unseres Newsletters finden Sie zudem unsere Veranstaltungshin-
weise. Sollten sich aufgrund weiterer Corona-Virus-Beschränkungen zu den
in den nächsten Wochen geplanten Veranstaltungen, zu denen Sie sich ggf.
bereits angemeldet haben, Änderungen ergeben, werden wir Sie entsprechend
recht­zeitig informieren.

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre und bleiben Sie gesund!

Ihr EY Law Arbeitsrechtsteam

                                                                                        2
                                            Employment Law Newsletter 1. Quartal 2020 |  
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BRENNPUNKT

Reform der EU-Entsenderichtlinie — Status quo
zum Umsetzungsstand in Deutschland
Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 12. Februar 2020

Mit der Reform der Entsenderichtlinie       Arbeitnehmer-Ent­sendegesetzes            • Der Grundsatz „gleiches Geld für
im Juni 2018 (2018/957/EU) wurden die       (AEntG) vor, welche alle grenzüber-         gleiche Arbeit“ („Equal Pay for Equal
Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis zum      schreitenden Entsendungen nach              Work“) wird umgesetzt und die Vor-
30. Juli 2020 weitere arbeitsrechtliche     Deutschland (sog. Inbound-Fälle)            aussetzungen, unter denen Entsen-
Mindeststandards für entsandte Arbeit-      betreffen werden.                           dezulagen auf die im Gastland vor­
nehmerinnen und Arbeitnehmer in das                                                     geschriebene Vergütung tatsächlich
jeweilige nationale Recht umzusetzen.       Reform der Entsenderichtlinie auf           angerechnet werden können, werden
Dadurch sollen die Dienstleistungsfrei-     EU-Ebene                                    klarer gefasst.
heit sowie gleicher und fairer Wettbewerb   Mit der Änderungsrichtlinie (2018/957/
gesichert und die Rechte der entsand-       EU) vom Juni 2018 wurden zahlreiche       Geplante Änderungen des AEntG
ten Beschäftigten gestärkt werden, indem    Bestimmungen der Entsenderichtlinie       Änderungen bzgl. der Vergütung —
u. a. ein besserer Schutz vor Lohn- und     (96/71/EG) geändert.                      Equal Pay
Sozialdumping und unfairer Konkurrenz                                                 Der bisherige Begriff „Mindestentgelt-
gewährleistet wird.                         Wesentliche Reformelemente sind           satz“ soll in § 2 Nr. 1 AEntG-E durch den
                                            insbesondere:                             Begriff „Entlohnung“ ersetzt werden,
Das Bundesministerium für Arbeit und        • Der Katalog der auf entsandte Arbeit-   weshalb also künftig nicht nur Mindest­
Soziales (BMAS) hat dafür am 13. Novem-       nehmer anwendbaren Arbeits- und         entgelte zu beachten sind. Die betrieb­
ber 2019 einen ersten Referentenent-          Beschäftigungsbedingungen des Gast-     liche Altersvorsorge wird davon aus-
wurf vorgelegt und das Kabinett hat am        lands wird erweitert.                   drücklich ausgenommen. Zwingend
12. Februar 2020 einen nahezu inhalts-      • Auf länger als 12 bzw. 18 Monate        einzuhaltende Entlohnungsbedingungen
gleichen Gesetzesentwurf beschlossen.         entsandte Arbeitnehmer finden — mit     ergeben sich zukünftig auch aus allge-
Die Entwürfe sehen insbesondere wesent-       wenigen Ausnahmen — alle zwingen-       meinverbindlichen tarifvertraglichen
liche Änderungen des                          den Arbeits- und Beschäftigungsbedin-   Entlohnungsvorschriften.
                                              gungen des Gastlands Anwendung.

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BRENNPUNKT

Weiterhin soll für Zulagen und Kosten­      mer, die von ihrem Arbeitgeber mit Sitz     im Jahr dauern oder für vorübergehende
erstattungen zur Deckung der Reise-,        im Ausland länger als 12 bzw. 18 Monate     Beschäftigungen bis maximal 14 Tage
Unterbringungs- und Verpflegungskos-        im Inland beschäftigt werden. In diesen     im Sinne des § 24 Abs. 3 AEntG-E. Als
ten zwingend deutsches Recht anzu-          Fällen sollen alle Arbeitsbedingungen       vorübergehende Beschäftigung sind in
wenden sein. Entsendebedingte Kosten        Anwendung finden, die am Beschäfti-         diesem Zusammenhang z. B. Dienstrei-
sollen insoweit grundsätzlich vom Arbeit-   gungsort in Rechts- und Verwaltungs-        sen zur Vornahme von Besprechungen
geber zu tragen sein.                       vorschriften und in allgemeinverbind­       und Vertragsverhandlungen, Messe­
                                            lichen Tarifverträgen vorgeschrieben        besuchen oder konzerninterner betrieb-
Der Gesetzesentwurf sieht nur eine ein-     sind. Dies können beispielsweise ein Ent-   licher Weiterbildung genannt. In diesen
geschränkte Anrechenbarkeit von Ent-        geltfortzahlungsanspruch an Feierta-        Fällen sollen insbesondere die Regelun-
sendezulagen auf die Vergütung vor.         gen oder Ansprüche auf Elternzeit sein.     gen zur Vergütung und zum bezahlten
Eine Anrechnung soll nicht möglich sein,    Ausgenommen sind allerdings Kündi-          Mindestjahresurlaub nicht gelten.
wenn erkennbar ist, dass es sich dabei      gungsschutzvorschriften, Regelungen
eigentlich um die Erstattung von Reise-,    zur betrieblichen Altersvorsorge und zu     Geltung des AEntG für Leiharbeitnehmer
Unterbringungs- und Verpflegungskos-        nachvertraglichen Wettbewerbsverboten.      Im Gesetzesentwurf ist schließlich auch
ten (Entsendekosten) handelt. Ist nicht                                                 vorgesehen, dass die Regelungen des
eindeutig erkennbar, ob es sich um an-      Entsprechende Informationen sollen aus-     AEntG auch für ausländische Leiharbeit-
rechnungsfähige Entsendungszulagen          ländischen Arbeitgebern in transparen-      nehmer, die in Deutschland eingesetzt
oder nicht anrechnungsfähige Entsen-        ter Weise auf der noch dahingehend aus-     werden, Anwendung finden.
dungskosten handelt, soll eine unwider-     zubauenden Website www.zoll.de zur
legliche Vermutung gelten, dass es sich     Verfügung gestellt werden.                  Status quo zur Umsetzung in
um Entsendungskosten handelt und                                                        natio­nales Recht in Deutschland
diese entsprechend nicht auf die Ver-       Ausnahmen für bestimmte Tätigkeiten         Die vorgesehenen Änderungen des
gütung angerechnet werden können.           In § 24 sieht der Gesetzesentwurf außer-    AEntG sollen voraussichtlich im ersten
                                            dem Sonderregelungen und Erleichte-         Halbjahr 2020 — nach Zustimmung
Geltung der deutschen Arbeitsbedin-         rungen für bestimmte Tätigkeiten vor,       durch Bundestag und Bundesrat — ver-
gungen bei Langzeitentsendungen             wie zum Beispiel Erstmontage- oder Ein-     abschiedet werden und voraussichtlich
In §§ 13b ff. sieht der Gesetzesentwurf     bauarbeiten im Rahmen eines Liefer­         zum 30. Juli 2020, und damit EU-frist-
besondere Regelungen für Langzeitent-       vertrags durch entsandte Arbeitnehmer,      gerecht, in Kraft treten.
sendungen vor. Dies betrifft Arbeitneh-     sofern diese nicht mehr als acht Tage

                                                                                        Autorinnen

                                                                                        Bärbel Kuhlmann
                                                                                        Rechtsanwältin
                                                                                        Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M.
                                                                                        Telefon +49 6196 996 11336
                                                                                        baerbel.kuhlmann@de.ey.com

                                                                                        Sabine Fabig
                                                                                        Rechtsanwältin
                                                                                        Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M.
                                                                                        Telefon +49 6196 996 25776
                                                                                        sabine.fabig@de.ey.com

                                                                                                                                    4
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AUS DER PRAXIS

Selbständig oder Scheinselbständig,
das ist hier die Frage
In Deutschland arbeiten allein in der IT-Branche mehr als 100.000 sogenannte Freelancer. Aber auch im
Bereich der Bau- und Architektenbranche und anderen Bereichen der Wirtschaft sind Freelancer nicht mehr
wegzudenken. Sie sind in der Regel Selbständige ohne weitere (eigene) Angestellte und erzielen nach
Erkenntnissen des Bundesverbands „Selbständige Wissensarbeit“ e. V. Nettoeinkommen von durchschnittlich
4.700 EUR im Monat (www.faz.net, zuletzt abgerufen am 30. Januar 2020). Diese sehen sich oftmals — wie
spiegelbildlich auch deren Auftraggeber — dem potenziellen Risiko einer sog. „Scheinselbständigkeit“ ausge-
setzt. Den Sozialversicherungsträgern ist die (schein)selbständige Tätigkeit oftmals ein Dorn im Auge, da
diese Art der Tätigkeit bei Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft zu Beitragsausfällen im Sozialversiche-
rungssystem führt. Wird daher im Rahmen einer Überprüfung eine Einordnung als Scheinselbständiger vor­
genommen, werden die bis dahin selbständigen Unternehmer als sozialversicherungsrechtliche Arbeitnehmer
eingestuft. Dies führt dazu, dass sowohl „Arbeitnehmer“ als auch „Arbeitgeber“ von einem „bunten Strauß“
an Nachzahlungspflichten überrascht werden.

Das Thema ist ein Dauerbrenner
und betrifft sowohl eine Vielzahl von
Unternehmen, die auf die Dienst­
leistungen von Freelancern angewie-
sen sind, als auch die als Freelancer
Tätigen selbst.

Wann liegt eine Scheinselb-
ständigkeit vor?
Wer nur auf dem Papier selbständig ist,
kann grundsätzlich als Arbeitnehmer
und damit als scheinselbständig einge-
stuft werden. Wird der Arbeitnehmer-
status nachträglich festgestellt, hat dies
erhebliche Konsequenzen im Bereich
des Arbeits-, des Sozialversicherungs-
und des Steuerrechts. Ob eine Schein-
selbständigkeit vorliegt, wird vorrangig     Indizien, die für eine Scheinselbstän­    Weitere potenzielle Erkennungs-
anhand einer Gesamtbetrachtung der           digkeit des „Freelancers“ im Rahmen       merkmale sind:
Umstände beurteilt. Eine abschließende       seiner Tätigkeit für einen Auftraggeber
Aufzählung von Tatbestandsmerkmalen          sprechen, sind:                           • Der Gesamtumsatz des Freelancers
kann daher nicht vorgenommen werden.                                                     stammt größtenteils von einem
                                             • „Freelancer“ trägt kein eigenes           Auf­traggeber
Stattdessen werden verschiedene                ­unternehmerisches Risiko               • Der Freelancer nimmt regelmäßig
Anhaltspunkte und Indizien herange­          • „Freelancer“ hat Anweisungen des          an Weiterbildungsmaßnahmen des
zogen, welche grundsätzlich für die             Auftraggebers Folge zu leisten           Auftraggebers teil
Annahme einer unselbständigen Tätig-         • festgelegte Arbeitszeiten               • Die Tätigkeit des Freelancers unter-
keit und damit für eine Scheinselbstän-      • festgelegter Arbeitsort                   scheidet sich kaum von der eines
digkeit sprechen. Die Bezeichnung im         • Urlaubsanspruch                           Angestellten des Auftraggebers
Vertrag spielt dabei lediglich eine unter-   • Eingliederung in den Betrieb des
geordnete Rolle. Vielmehr kommt es              „Auftraggebers“, insbesondere feste
auf die tatsächliche Durchführung, d. h.        Prozessintegration sowie umfang­
die gelebte Praxis des Beschäftigungs-          reiche Pflichten zum Reporting an
verhältnisses an.                               den Auftraggeber
                                             • regelmäßige Teilnahme an
                                                Betriebsfeiern

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AUS DER PRAXIS

Arbeitsrechtliche Folgen einer                Sozialversicherungsrechtliche Folgen          Da eine mögliche Scheinselbständigkeit
Scheinselbständigkeit                         einer Scheinselbständigkeit                   im Einzelfall für einen vergleichsweise
Da Scheinselbständige vor dem Gesetz          Bei Scheinselbständigen handelt es            langen Zeitraum bestehen kann, sum-
als normale Arbeitnehmer gelten, ste-         sich um ganz „normale“ Arbeitnehmer,          mieren sich zum Teil erhebliche Beträge
hen ihnen auch alle Rechte eines Arbeit-      welche als solche gemäß den jeweili-          auf, die vom Arbeitgeber nachgezahlt
nehmers zu. Alle arbeitsrechtlichen           gen Regelungen in den einzelnen Zwei-         werden müssen. Die Verjährungsfrist
Schutzgesetze und ggf. einschlägige           gen der Sozialversicherung versiche-          von Sozialversicherungsbeiträgen beträgt
Tarifverträge oder Betriebsvereinbarun-       rungspflichtig sind. Die Einordnung der       unter besonderen Umständen bis zu
gen finden Anwendung. Das Vertrags-           Einkünfte durch das Finanzamt als Ein-        30 Jahre, vgl. § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV.
verhältnis zwischen Auftraggeber und          künfte aus selbständiger Tätigkeit bzw.
Auftragnehmer wird, unabhängig von der        Einkünfte aus nichtselbständiger Tätig-       Steuerrechtliche Folgen einer
gewählten Bezeichnung und auch für die        keit kann — muss aber nicht — mit der         Scheinselbständigkeit
Vergangenheit (!), als Arbeits­ver­hält­nis   Einordnung zur Sozialversicherung über-       Lohnsteuerliche Folgen
behandelt. Das bedeutet insbesondere:         einstimmen. Die sozialversicherungs-          Sofern der Scheinselbständige auch steu-
                                              rechtliche Handhabung für die Zukunft         errechtlich als Arbeitnehmer einzuordnen
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall          ist in der Regel unproblematisch, da die      ist, hätte der „Arbeitgeber“ Lohnsteuer
Erkrankt der Arbeitnehmer, muss der           notwendigen Anmeldungen rechtzeitig           einbehalten und abführen müssen. Im Auf-
Arbeitgeber für bis zu sechs Wochen die       abgegeben werden können.                      deckungsfall kann die Lohnsteuer vom
Vergütung weiterzahlen, § 3 Entgelt­-                                                       Arbeitgeber als Haftungsschuldner rück-
­fort­zahlungsgesetz.                         Kritischer stellt sich vielmehr die sozial-   wirkend für mindestens vier Jahre nach-
                                              versicherungsrechtliche Behandlung            gefordert werden. Das gilt grundsätzlich
Bezahlter Erholungsurlaub                     der Vergangenheit des „Arbeitnehmers“         auch, wenn der Scheinselbständige auf
Ein Arbeitnehmer hat das Recht auf            dar. Der Arbeitgeber muss die für die         sein „Honorar“ bereits Einkommensteuer
bezahlten Erholungsurlaub von mindes-         Vergangenheit nachträglich erhobenen          gezahlt hat, da die Jahreslohnsteuer und
tens vier Wochen pro Jahr nach dem            Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitge-        die Einkommensteuer in der Regel geson-
Bundesurlaubsgesetz.                          ber- und Arbeitnehmeranteil) abführen.        dert zu betrachten sind (so z. B. FG Düs-
                                                                                            seldorf, Urteil vom 21. Oktober 2009,
Kündigungsschutz                              Betroffene „Auftraggeber“ suchen, um          AZ: 7 K 3109/07 H (L)). Ist faktisch
Um einem Arbeitnehmer kündigen zu             den wirtschaftlichen Schaden gering zu        jedoch keine Steuer mehr rückständig,
können, braucht der Arbeitgeber — sofern      halten, oftmals nach Regressmöglich-          wird die Haftung für diesen Fall in der
die übrigen Vorrausetzungen nach dem          keiten bei dem „Freelancer“. Tatsäch-         Praxis auf „Null“ reduziert. Zu beachten
Kündigungsschutzgesetz (Beschäftigung         lich gibt es einen derartigen Rückforde-      ist jedoch, dass die Bemessungsgrund-
von in der Regel mehr als zehn Arbeit-        rungsanspruch gegen den „Freelancer“,         lagen zur Lohn- und Einkommensteuer-
nehmern, Betriebszugehörigkeit des            allerdings ist dieser zeitlich begrenzt       berechnung differieren können. Zudem
betroffenen Arbeitnehmers von mehr als        und nur einschlägig, wenn die Zusam-          können vom Scheinselbständigen gel-
sechs Monaten) vorliegen — einen per­         menarbeit fortgesetzt wird:                   tend gemachte Betriebsausgaben und
sonen-, verhaltens- oder betriebsbeding-                                                    weitere Steuerabzugsbeträge nur noch
ten Kündigungsgrund. Um sich von einem        Gemäß § 28g SGB IV kann ein Anspruch          als Werbungskosten bzw. Sonderausga-
Freelancer zu trennen, muss er diesem         auf Rückforderung der Sozialversiche-         ben abziehbar sein bzw. können Abzugs-
hingegen nur keine weiteren Aufträge          rungsbeiträge durch Abzug vom Arbeits-        beschränkungen unterliegen. Bei
erteilen.                                     entgelt geltend gemacht werden, jedoch        abziehbaren Betriebs­ausgaben unter
                                              begrenzt auf die nächsten drei Gehalts-       1.000 EUR kann der Steuerpflichtige
Anderweitige Regelungen                       zahlungen nach Feststellung der Sozial-       dann jedoch auch den Werbungskosten-
Darüber hinaus finden auf das beste-          versicherungspflicht. Wird die Zusam-         pauschbetrag gem. § 9a S. 1 Nr. 1 a)
hende Arbeitsverhältnis sämtliche ander-      menarbeit nicht fortgesetzt, scheidet ein     EStG in Höhe von aktuell 1.000 EUR gel-
weitige Arbeitnehmerschutzvorschrif-          derartiger Anspruch aus, denn dann            tend machen.
ten, wie z. B. Mutterschutz nach dem          bezieht der „Freelancer“ kein Arbeits-
Mutterschutzgesetz sowie andere kün­          entgelt aus seiner Tätigkeit für den Auf-     Bleibt der nach Sozialversicherungsrecht
digungsschutzrechtliche Vorschriften,         traggeber mehr. Für den „Freelancer“          eingestufte Scheinselbständige steuer-
die zugunsten von Schwangeren und             selbst bestehen damit keine sozialversiche-   rechtlich jedoch selbständiger Unterneh-
schwerbehinderten Menschen gelten,            rungsrechtlichen Konsequenzen, sofern         mer, schuldet der Auftraggeber Sozial-
Anwendung.                                    die Zusammenarbeit beendet wird.              abgaben, aber keine Lohnsteuer.

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AUS DER PRAXIS

Umsatzsteuerliche Folgen                      Weitere Folgen
Sofern der Scheinselbständige Unterneh-       Bei Annahme einer Scheinselbständig-         befreienden Anzeige gem. §§ 371, 378
mer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes         keit können sich neben den oben aufge-       Abs. 3 AO. Unsere umfangreiche Pro­
ist, hat er im Falle des Überschreitens der   zählten Folgen auch straf- und bußgeld­      jekterfahrung in diesem Bereich zeigt
sog. Kleinunternehmergrenze nach § 19         rechtliche Risiken ergeben, insbesondere     jedoch, dass sich straf- oder bußgeld­
UStG gesondert Umsatzsteuer auszuwei-         wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt       rechtliche Konsequenzen durch eine
sen und abzuführen. Die Umsatzgrenze          nach § 266a StGB oder Steuerhinterzie-       aktive Aufarbeitung und Nachmeldung
wurde zum 01. Januar 2020 auf nun-            hung nach § 370 AO. Im Gegensatz zu          gegenüber den zuständigen Behörden
mehr 22.000 EUR erhöht. Vom Rech-             § 266a StGB besteht für Steuerdelikte        häufig vermeiden bzw. auf ein erträgli-
nungsbetrag muss er den Arbeitnehme-          die Möglichkeit einer straf- bzw. bußgeld-   ches Maß reduzieren lassen.
ranteil am Gesamtsozialversicherungs-
beitrag ein­behalten und abführen.
 Für den Auftragnehmer gehört dieser
Arbeitnehmeranteil zum umsatzsteuer-
pflichtigen Entgelt.

Wird dem Scheinselbständigen die Unter-
nehmereigenschaft jedoch aberkannt,
erfolgte der in der Regel vorgenommene
Umsatzsteuerausweis in den jeweiligen
Rechnungen zu Unrecht. Dem Auftrag-
geber steht folglich aus den Rechnun-
gen des Freelancers kein Vorsteuerab-
zug zu und ihm droht eine Rückzahlung
bereits abgezogener Vorsteuerbeträge.
Dies kann zusätzlich durch eine Zinszah-
lung in Höhe von 6 % nach § 233a AO
„begleitet“ werden. Der Auftragnehmer
schuldet die ausgewiesene Umsatz-
steuer grundsätzlich weiterhin. Nur wenn
der Auftragnehmer noch keine Vorsteuer
abgezogen hat oder er dem Finanzamt
diese wieder zurückzahlt, kann der Auf-
traggeber seine Rechnungen noch berich-
tigen und die Umsatzsteuer nach § 14c
Abs. 2 UStG, § 17 UStG erstattet bekom-

                                                   Fazit
men. Hat der Scheinselbständige selbst
Vorsteuern abgezogen, ist er auch inso-
weit zur Rückzahlung verpflichtet.

                                                    Die Einordnung als abhängige Beschäftigung oder als (Schein)selbständig-
                                                    keit bleibt — trotz des Wissens um diese Problematik — unverändert schwie-
                                                    rig und birgt sowohl für Arbeitgeber als auch für den potenziellen Schein-
                                                    selbständigen erhebliche arbeitsrechtliche, sozialversicherungsrechtliche
                                                    sowie steuer(straf)rechtliche Risiken. Erschwerend kommt hinzu, dass die
                                                    rechtliche Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses im Sozial-, Steuer-
Autoren                                             und Arbeitsrecht unterschiedlich ausfallen kann, da die Einstufung einer
                                                    Behörde keine Bindungswirkung für andere Behörden entfaltet. Spätestens
Christian Gaßmann                                   wenn die Rentenversicherung oder das Finanzamt „vor der Tür stehen“,
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf                  sollte dringend ein erfahrener Berater konsultiert werden. Wesentlich ziel-
Telefon +49 211 9352 14949                          führender, auch unter dem Gesichtspunkt der Verminderung von Risiken,
christian.gassmann@de.ey.com
                                                    ist eine präventive Herangehensweise. Bereits im Vorfeld können wir im
Martina S. Buhr                                     Rahmen unserer Beratung helfen, das Risiko einer Scheinselbständigkeit zu
Rechtsanwältin                                      erkennen und erfolgreich zu vermeiden. Hierbei legen wir Wert auf indivi­
Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf
Telefon +49 211 9352 28164                          duelle, wirtschaftliche und praxisnahe Lösungen. Sprechen Sie uns gerne an!
martina.buhr@de.ey.com

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AKTUELLE RECHTSPRECHUNG

BAG entscheidet zu Matrix-Strukturen:
Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG
Matrix-Strukturen erfreuen sich gerade bei größeren Unternehmen seit Jahren stetig wachsender Beliebtheit.
Zur effizienteren Bündelung personeller Ressourcen werden Fachmitarbeiter mehrerer Konzernunternehmen
einem Vorgesetzten (dem sogenannten Matrix-Manager) unterstellt. Dieser wiederum hat typischerweise nur
mit einem der Konzernunternehmen einen Anstellungsvertrag. Angesichts bislang sehr überschaubarer Recht-
sprechung zu solchen Strukturen werden diverse arbeitsrechtliche Fragen kontrovers diskutiert — insbesondere
die Beteiligungsrechte der jeweiligen Betriebsräte und arbeitnehmerüberlassungsrechtliche Gesichtspunkte.
Zur ersten Fragestellung liegt nun eine BAG-Entscheidung (Beschluss vom 12. Juni 2019, AZ: 1 ABR 5/18) zu
§ 99 Abs. 1 BetrVG vor.

                                                                                          räumliche Zuordnung des Matrix-Mana-
                                                                                          gers. Auf die Art der Vorgesetztenbe-
                                                                                          fugnisse ging das BAG nicht näher ein.
                                                                                          Das BAG setzt sich durchaus mit den
                                                                                          Argumenten der Literatur und auch der
                                                                                          Arbeitgeberseite auseinander, stellt am
                                                                                          Ende aber entscheidend auf den Schutz
                                                                                          der Belegschaft des Betriebs durch
                                                                                          deren Betriebsrat ab. Dieser müsse zu-
                                                                                          mindest irgendeine Kontrollmöglich-
                                                                                          keit haben, wenn ein neuer Vorgesetz-
                                                                                          ter in den Betrieb kommen solle.

                                                                                          Immerhin hält das BAG aber noch fest,
                                                                                          dass die Betriebsräte ihre Zustimmung
                                                                                          jedenfalls nicht mit der Begründung ver-
Worum geht es in der Entscheidung             nieren und womöglich gar — im Falle         weigern können, es habe keine betrieb­s­
und was ist der Hintergrund?                  von Zustimmungsverweigerungen —             interne Ausschreibung stattgefunden,
Je größer und komplexer der Konzern           auch noch eine Vielzahl gerichtlicher       denn es werde im Einsatzbetrieb keine
aufgestellt ist, desto „weiter verteilt“      Zustimmungsersetzungsverfahren vor          Stelle neu geschaffen bzw. neu besetzt.
sind v.a. bei divisionalen Strukturen oft     diversen Arbeitsgerichten führen zu         Im Ergebnis ist dies sicher zu begrüßen,
auch die einzelnen Fachmitarbeiter auf        müssen. Ganz zu schweigen von dem           wenn auch in der dogmatischen Begründ-
die jeweiligen Konzernunternehmen und         Umstand, dass womöglich jedes Arbeits-      barkeit durchaus fragwürdig.
Standorte. Eine bislang umstrittene           gericht anders entscheiden könnte.
Frage war nun, ob die Einräumung von                                                      Arbeitnehmerüberlassungsrechtliche
Vorgesetztenkompetenzen an einen              Genau hierzu zwingt das BAG die Unter-      Auswirkungen?
Matrix-Manager eine „Einstellung“ i. S. d.    nehmen nun jedoch — was arbeitneh­          Die Entscheidung des BAG ist durchaus
§ 99 Abs. 1 BetrVG sein kann. Die Kon-        merüberlassungsrechtliche Folgefragen       überraschend. Die Definition einer Ein-
sequenz wäre nämlich, dass von jedem          aufwirft.                                   stellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG deckt
Betriebsrat jedes Betriebs, in dem Fach-                                                  sich inhaltlich in weiten Teilen mit der
mitarbeiter tätig sind, welche dem Matrix-­   Zustimmungspflichtige Einstellung           Definition einer Arbeitnehmerüberlas-
Manager unterstellt werden sollen, die        Laut BAG kann die Einräumung von Vor-       sung nach § 1 AÜG. Bislang war für bei-
Zustimmung eingeholt werden müsste.           gesetzten-Funktionen an einen Matrix-­      des erforderlich, dass der betreffende
Man stelle sich vor, ein Matrix-Manager       Manager eines Betriebs für Arbeitnehmer     Mitarbeiter in den Einsatzbetrieb einge-
soll für Fachmitarbeiter in zehn Betrie-      eines anderen Betriebs eine Einstellung     gliedert und den (disziplinarischen)
ben verschiedener Konzernunternehmen          in diesen anderen Betrieb gem. § 99         Weisungen des Einsatzbetriebs bzw. Ent-
zuständig werden. Welch ein Aufwand,          Abs. 1 BetrVG darstellen, wenn dies dem     leihers unterstellt wird. Dementsprechend
dann alle zehn Betriebsräte um ihre           Betriebszweck des anderen Betriebs          zählt auch der Einsatz von Leiharbeit-
Zustimmung bitten zu müssen, dies             dienen soll. Entscheidend sei allein eine   nehmern zu den typischen Beispielen für
unternehmensübergreifend zu koordi-           organisatorische Einbindung, nicht die      eine Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG.

                                                                                                                                      8
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AKTUELLE RECHTSPRECHUNG

Bei nur auf ein einzelnes Unternehmen      Genau deshalb lag und liegt einer der        Jedenfalls unmittelbar und ausdrück-
beschränkten Matrix-Strukturen stellen     wichtigsten Schwerpunkte der Ausgestal-      lich trifft das BAG hierzu keine Aussage.
sich arbeitnehmerüberlassungsrecht­        tung gesellschaftsübergreifender Matrix-­    Erfreulich ist aber, dass sich das BAG
liche Fragen zwar nicht, denn Arbeitneh-   Struk­turen darin, bereits begrifflich das   durchaus Gedanken über die möglichen
merüberlassung kann es nicht inner-        Vorliegen von Arbeitnehmerüberlas-           Konsequenzen seiner Entscheidung zu
halb eines Unternehmens geben. Die         sung auszuschließen. Klassischerweise        § 99 Abs. 1 BetrVG gemacht hat. Noch
weit­aus meisten Matrix-Strukturen sind    wurde dabei bislang vor allem darauf         erfreulicher ist, dass das BAG deutlich
aber nicht auf einzelne Unternehmen be-    geachtet, eine disziplinarische gesell-      hervorhebt, dass der seiner Entscheidung
schränkt. Im Gegenteil werden typischer-   schaftsübergreifende Weisungsbindung         zugrunde liegende Sachverhalt nicht
weise Fachmitarbeiter verschiedenster      zu vermeiden (wobei es auch durchaus         mit Fällen des Einsatzes von Fremdper-
Unternehmen des Konzernverbundes           alternative Lösungsansätze gibt).            sonal vergleichbar ist. Auch bezieht
unter der „Ägide“ eines Matrix-Managers                                                 sich die Entscheidung insgesamt nur
„gebündelt“. Läge bei solchen „gesell-     Diskutiert wird nun, ob und inwieweit        auf betriebsübergreifende, aber eben
schaftsübergreifenden“ Matrix-Strukturen   sich aus der vorliegenden BAG-Entschei-      nicht auch auf gesellschaftsübergrei-
Arbeitnehmerüberlassung vor, dann          dung auch Auswirkungen auf die Defi­ni­      fende Matrix-Strukturen.
wäre diese mit hoher Wahrscheinlichkeit    tion der Arbeitnehmerüberlassung in
schon wegen der Dauerhaftigkeit solcher    § 1 Abs. 1 AÜG ergeben, genauer: Wenn        Von seiner Argumentation her wird
Strukturen unzulässig. Das sogenannte      alleine die Einräumung von Vorgesetz-        man das BAG daher wohl so verstehen
„Konzernprivileg“ würde nicht greifen,     tenfunktionen nun schon für eine Einstel-    können, dass nur die Einräumung von
die Folge wären mögliche hohe Bußgel-      lung nach § 99 Abs. 1 BetrVG genügen         Vorgesetztenfunktionen nicht für das
der, gesellschaftsübergreifende Haftung    kann, folgt daraus dann ein quasi auto-      Bejahen von Arbeitnehmerüberlassung
für Sozialabgaben, „fingierte“ Arbeits-    matisches Vorliegen von Arbeitnehmer-        ausreicht. Dies gilt umso mehr, als bei
verhältnisse usw.                          überlassung?                                 der Frage nach Arbeitnehmerüberlas-
                                                                                        sung noch mehr Gesichtspunkte eine
                                                                                        Rolle spielen können als bei der Frage
                                                                                        nach einer Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1
                                                                                        BetrVG. Diese sind gerade auch bei
                                                                                        Matrix-Strukturen relevant. Beispiels-
                                                                                        weise will der vertragliche Arbeitgeber
                                                                                        des Matrix-Managers — im Gegensatz
                                                                                        zum Verleiher eines Leiharbeitnehmers —
                                                                                        typischerweise gerade nicht lediglich
                                                                                        einen fremden Betriebszweck fördern,
                                                                                        sondern (auch) eigene Betriebszwecke.

                                                           Praxishinweis
                                                           Sollen Matrix-Manager Vorgesetztenfunktionen für Fachmitarbei-
                                                           ter in anderen Betrieben erhalten, ist die vorherige Zustimmung
                                                           aller Betriebsräte aller betroffenen Betriebe nach § 99 Abs. 1
                                                           BetrVG erforderlich. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung
                                                           zu Matrix-Strukturen sollte gerade auch mit Blick auf arbeitneh-
                                                           merüberlassungsrechtliche Themen verfolgt werden.

                                                                                        Autoren

                                                                                        Wolfgang Hardt
                                                                                        Rechtsanwalt
                                                                                        Ernst & Young Law GmbH, Hamburg
                                                                                        Telefon +49 40 36132 16463
                                                                                        wolfgang.hardt@de.ey.com

                                                                                        Jan-Jacob Roeder, LL.M.
                                                                                        Rechtsanwalt
                                                                                        Ernst & Young Law GmbH, Berlin
                                                                                        Telefon +49 30 25471 23089
                                                                                        jan-jacob.roeder@de.ey.com

                                                                                                                                    9
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Arbeitsrecht Aktuell - EY Law
AKTUELLE RECHTSPRECHUNG

Anhörungsfrist vor Ausspruch einer
außerordentlichen Kündigung
Die Anhörung des zu kündigenden Arbeitnehmers vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung muss
grundsätzlich innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden von Anhaltspunkten für den Kündigungssachverhalt
erfolgen. Besondere Umstände können aber eine Überschreitung dieser Wochenfrist rechtfertigen. Dies ist
etwa dann der Fall, wenn ein den Kündigungssachverhalt mitteilender Arbeitnehmer berechtigterweise um Ver-
traulichkeit bittet und auch auf Nachfrage innerhalb der ihm gesetzten kurzen Frist erklärt, nicht auf die vertrau-
liche Behandlung des Sachverhalts verzichten zu wollen (BAG, Beschluss vom 27. Juni 2019, AZ: 2 ABR 2/19).

Sachverhalt
Die Arbeitgeberin beantragte die Erset-      Der Arbeitgeberin sei es aufgrund ihrer    Allerdings könne ein Arbeitgeber nicht
zung der vom Betriebsrat verweigerten        aus § 241 Abs. 2 BGB folgenden Pflicht,    beliebig lange abwarten, bis sich der
Zustimmung zu einer außerordentlichen        auf das Wohl und die berechtigten Inter-   Arbeitnehmer zu einer Entbindung der
Kündigung des Betriebsratsvorsitzen-         essen der Arbeitnehmer Rücksicht zu        Vertraulichkeit entschließt. Das BAG
den wegen sexueller Belästigung einer        nehmen und sie vor Gesundheitsgefah-       nannte hierbei keine genaue Frist, es
Kollegin am 21. und 22. November 2016.       ren auch psychischer Art zu schützen,      führte jedoch aus, dass der zeitliche
Aufgrund einer Konzernbetriebsver-           möglicherweise unzumutbar gewesen,         Abstand von drei Wochen zwischen der
einbarung, die eine Verschwiegenheits-       den Betriebsratsvorsitzenden vor dem       Mitteilung der Vorwürfe und der Entbin-
pflicht vorsieht, wurde der Sachverhalt      14. Dezember 2016 anzuhören. Sollte        dung von der Vertraulichkeit durch die
zunächst auf Wunsch der Arbeitneh-           der Vorfall für die krankheitsbedingte     betroffene Arbeitnehmerin bei einer auf
merin vertraulich behandelt. Ab dem          Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin      dem Vorfall beruhenden krankheitsbe-
24. November 2016 war die Arbeit-            ausschlaggebend gewesen sein, habe         dingten Arbeitsunfähigkeit, die psycho-
nehmerin arbeitsunfähig erkrankt. Am         die Arbeitgeberin darauf Rücksicht neh-    logische Hilfe erfordert, noch nicht zu
14. Dezember 2016 teilte sie der Arbeit-     men müssen.                                beanstanden sei.
geberin schließlich mit, dass sie den
Fall jetzt doch offiziell untersuchen las-

                                                Praxishinweis
sen wolle und übermittelte am Folge-
tag einen Bericht. Am 16. Dezember
2016 wurde der Betriebsratsvorsitzende
zu den gegen ihn erhobenen Vorwür-              Erfährt der Arbeitgeber von Umständen, die eine außerordentliche Kündigung
fen angehört. Am 19. Dezember 2016              eines Arbeitnehmers rechtfertigen könnten, so ist grundsätzlich Eile gebo-
und am 21. Dezember 2016 beantragte             ten. Obwohl die Pflicht zur Vertraulichkeit unter bestimmten Voraussetzungen
die Arbeitgeberin die Zustimmung des            (berechtigtes Interesse des Hinweisgebers, Fristsetzung des Arbeitgebers)
Betriebsrats zur Kündigung des Betriebs-        eine Überschreitung der Regelfrist für die Anhörung des Beschuldigten recht-
ratsvorsitzenden, die dieser jedoch ver-        fertigen kann, ist es Arbeitgebern zu empfehlen, nicht zu lange mit der Anhö-
weigerte.                                       rung des zu kündigenden Arbeitnehmers abzuwarten. Da das BAG ausdrücklich
                                                offengelassen hat, welche Frist für eine Entscheidung über die Entbindung
Entscheidung                                    von der Vertraulichkeit noch hinnehmbar ist, sollte man eine Anhörung nicht zu
Das LAG habe den Zustimmungserset-              lange hinausschieben.
zungsantrag nicht mit der Begründung
abweisen dürfen, dass die Arbeitgebe-
rin die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2      Autoren
BGB versäumt habe, so das BAG. Die
Arbeitgeberin habe zur weiteren Sach-        Vanessa Schubert
                                             Rechtsanwältin
verhaltsaufklärung zunächst eine An-         Ernst & Young Law GmbH, München
hörung des Betriebsratsvorsitzenden          Telefon +49 89 14331 22573
                                             vanessa.schubert@de.ey.com
abwarten dürfen. Die Anhörung müsse
zwar grundsätzlich innerhalb einer           Maximilian Witzani
Woche erfolgen, allerdings könnte die        Rechtsanwalt
                                             Ernst & Young Law GmbH, München
Einhaltung der Regelfrist aufgrund           Telefon +49 89 14331 23307
besonderer Umstände unzumutbar sein.         maximilian.witzani@de.ey.com

                                                                                                                                    10
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AKTUELLE RECHTSPRECHUNG

Anspruch auf Bonuszahlung auch bei
unterbliebener Zielvereinbarung
Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln vom 09. Oktober 2019 (AZ: 18 Ca 3535/19) führt eine
unterbliebene Zielvereinbarung regelmäßig nicht zum Erlöschen des Anspruchs auf Bonuszahlung, sofern
der Bonusanspruch von dem Erreichen zuvor vereinbarter Ziele abhängig ist.

Sachverhalt
Die Parteien hatten in dem Arbeitsver-
trag einen jährlichen Bonusanspruch in
Höhe von 5.000 EUR vereinbart. Laut
Vertrag sollte in einem jährlichen Ziel-
gespräch eine Zielvereinbarung getrof-
fen werden, welche die quantitativen
und qualitativen Ziele für das Bestehen
des Bonusanspruchs festlegt. Für den
Bonus im Jahr 2018 wurde keine solche
Zielvereinbarung getroffen.

Entscheidung
Das Arbeitsgericht Köln lehnte den
Bonusanspruch in diesem Fall im Ergeb-
nis ab. Zwar hänge der Bonusanspruch
nach der vertraglichen Regelung nicht
davon ab, ob eine Zielvereinbarung tat-
sächlich zustande komme. Auch sei der
Anspruch nicht deswegen abzulehnen,

                                              Praxishinweis
weil die (nicht vereinbarten) Ziele nicht
erreicht wurden. Da vertraglich nicht
geregelt wurde, wie im Fall zu verfahren
ist, wenn keine Zielvereinbarung getrof-      Mit einer etwas willkürlich erscheinenden Begründung hat das Arbeitsgericht
fen wurde, sei die Bonushöhe im Zweifel       Köln den Bonusanspruch im Ergebnis abgelehnt. Anders als das Bundesarbeits-
nach § 612 Abs. 2 BGB zu bemessen. Es         gericht geht das Arbeitsgericht Köln hier nicht den Weg über den Schadens­
sei aber nicht ersichtlich, dass die Kläge-   ersatzanspruch wegen der unterbliebenen Zielvereinbarung (vgl. hierzu BAG,
rin die „übliche Vergütung“ nicht bereits     Urteil vom 12. Dezember 2007, AZ: 10 AZR 97/07), sondern zieht § 612
erhalten habe. Darlegungen zur üblichen       Abs. 2 BGB zur Festlegung der „üblichen Vergütung“ heran. Trotz ausdrück­
Gesamtvergütungshöhe habe die Kläge-          licher vertraglicher Regelung einer variablen Vergütung sei die Klägerin aber
rin nicht erbracht.                           schon „üblich“ vergütet worden.

                                              Auch wenn das Urteil im Ergebnis aus Arbeitgebersicht vorteilhaft ist, sollte
                                              weiterhin die oben genannte BAG-Rechtsprechung berücksichtigt werden: die
                                              jährliche Zielvereinbarung abzuschließen bzw. den Versuch des Abschlusses
Autoren                                       ausführlich zu dokumentieren.

Sebastian Rasch                               Die Regelung für einen Anspruch auf eine variable Vergütung sollte darüber
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, München               hinaus so bestimmt und transparent wie möglich ausgestaltet sein. Soll für die
Telefon +49 89 14331 14179                    Höhe der variablen Vergütung eine Zielvereinbarung maßgeblich sein, sollten
sebastian.rasch@de.ey.com
                                              die Parteien regeln, wann eine solche spätestens zu treffen ist. Insbesondere
Liesa Beer                                    sollte geregelt werden, was hinsichtlich des Anspruchs gelten soll, wenn es die
Rechtsanwältin                                Parteien versäumen, eine jährliche Zielvereinbarung zu treffen, oder wenn
Ernst & Young Law GmbH, Nürnberg
Telefon +49 911 3958 15891                    eine einvernehmliche Regelung nicht zustande kommt.
liesa.beer@de.ey.com

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AKTUELLE RECHTSPRECHUNG

Freiwilligkeitsvorbehalt bei Vorständen wirksam
 Der Vorbehalt einer Aktiengesellschaft im Vorstandsdienstvertrag, wonach eine variable Vergütung nach
 ­billigem Ermessen gewährt werden kann und eine freiwillige Leistung ohne Rechtsanspruch darstellt, ist
­wirksam (BGH, Urteil vom 24. September 2019, AZ: II ZR 192/18).

Sachverhalt                                                                          Entscheidung
Der Kläger wurde 2006 in den Vorstand      abgeleitet werden. Solche Sonderzuwen-    Der BGH entschied, dass der Freiwillig-
der beklagten Aktiengesellschaft beru-     dungen, Gratifikationen oder Ähnliches    keitsvorbehalt betreffend etwaige Bonus­
fen. 2010 schlossen die Parteien einen     können auch für außerordentliche Leis-    zahlungen wirksam und nach seinem
neuen Vorstandsdienstvertrag, wonach       tungen des Vorstandsmitglieds gewährt     Wortlaut eindeutig sei. Es bestehe seitens
— abweichend von den Vorgängerrege-        werden.“                                  des Klägers daher kein Anspruch auf die
lungen — folgende Regelungen zur vari-                                               Zahlung einer variablen Vergütung. Auch
ablen Vergütung getroffen wurden:          Der Kläger kündigte sein Dienstver-       der AGB-Kontrolle halte die Regelung
                                           hältnis mit der Beklagten mit Wirkung     stand, insbesondere könne keine unange-
„Der Aufsichtsrat kann nach billigem       zum 30. September 2011, legte sein        messene Benachteiligung des Klägers
Ermessen und im Einklang mit gelten-       Amt vorzeitig nieder und wurde ab dem     festgestellt werden. Für den vom OLG
dem Recht (insbesondere § 87 AktG,         20. Mai 2011 freigestellt. Für das Jahr   hergeleiteten Anspruch auf eine Ermes-
soweit anwendbar) zusätzlich zum Jah-      2011 erhielt er erstmals keinen Bonus.    sensentscheidung sei nach der Rege-
resbruttogrundgehalt Sonderleistun-                                                  lung kein Raum, selbst bei Annahme einer
gen, Gratifikationen oder Ähnliches ein-   Seine Klage zum Landgericht blieb         unangemessenen Benachteiligung und
malig oder wiederholt gewähren. Bei        erfolglos, vor dem Oberlandesgericht      sich daraus ergebender Unwirksamkeit
diesen Sonderleistungen, Gratifikationen   hatte er zum Teil Erfolg. Auf die Revi-   des Freiwilligkeitsvorbehalts. Die Recht-
oder Ähnlichem handelt es sich in jedem    sion der Beklagten zum Bundesgerichts-    sprechung des Bundesarbeitsgerichts zur
Falle um freiwillige Zuwendungen. Ein      hof (BGH) wurde die Klage vollständig     Unwirksamkeit eines Freiwilligkeitsvor-
Rechtsanspruch kann aus ihnen nicht        abgewiesen.                               behalts im Arbeitsvertrag betreffend die
                                                                                     Auszahlung eines Bonus bei bestehender
                                                                                     Zielvereinbarung könne entgegen der
                                                                                     Auffassung des OLG ebenfalls nicht ohne
                                                                                     Weiteres auf Vorstände übertragen wer-
                                                                                     den. Ferner sei die Lage hier ohnehin
                                                                                     eine andere, da keine konkrete Zielver-
                                                                                     einbarung getroffen worden sei, die in
                                                                                     Verbindung mit der vertraglichen Rege-
                                                                                     lung stünde. Auch aus der Anwendung
                                                                                     des § 87 AktG ergebe sich nichts anderes,
                                                                                     da dieser keinen Anspruch auf eine vari­
                                                                                     able Vergütung gewähre, sondern ledig-
                                                                                     lich im Rahmen des Aufsichtsrechts das
                                                                                     Ermessen des Aufsichtsrats einschränke.

                        Praxishinweis
                        Interessant ist die Entscheidung insbesondere im Hinblick
                        auf die Möglichkeiten, die sie bei der Vergütung im Vor-
                        standsbereich eröffnet, in Abgrenzung zu der eher rest-      Autorinnen
                        riktiven Rechtsprechung des BAG im Bereich der Arbeit-
                        nehmervergütung. Der BGH verdeutlicht hier den weiten        Sophia Haus
                                                                                     Rechtsanwältin
                        individuellen Gestaltungsspielraum im Vorstandsvertrag.      Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M.
                        Allerdings ist stets sehr genau auf die Formulierung zu      Telefon +49 6196 996 11454
                                                                                     sophia.haus@de.ey.com
                        achten, um hier nicht versehentlich eine Ermessensent-
                        scheidung des Aufsichtsrats anstatt des angestrebten         Isabella Kothen, LL.M.
                        Freiwilligkeitsvorbehalts über das „Ob“ der variablen        Rechtsanwältin
                                                                                     Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf
                        Vergütung zu begründen.                                      Telefon +49 211 9352 29199
                                                                                     isabella.kothen@de.ey.com

                                                                                                                                 12
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AKTUELLE RECHTSPRECHUNG

Einschränkende Auslegung des
Unternehmerbegriffs nach § 14 S. 1
Arbeitnehmer-Entsendegesetz
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seinem Urteil vom 16. Oktober 2019 (AZ: 5 AZR 241/18) mit dem
Begriff des Unternehmers für die Bürgenhaftung des § 14 S. 1 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) aus­
einandergesetzt und auf die bisher für die Vorgängerregelung § 1a AEntG a. F. bestehende Rechtsprechung
zurückgegriffen. Danach ist der Unternehmerbegriff einschränkend auszulegen. Der bloße Bauherr gilt nicht
als Unternehmer in Sinne dieser Bürgenhaftung.

                                        Sachverhalt                                  Nachunternehmens zur Zahlung des Min-
                                        Im vorliegenden Fall streiten die Parteien   destentgelts an Arbeitnehmer wie ein
                                        um die Zahlung von Nettoarbeitslohn.         Bürge haftet, der auf die Einrede der
                                        Die Beklagte war Eigentümerin eines          Vorausklage verzichtet hat. Nach Sinn
                                        Grundstücks, auf dem sie ein Einkaufs-       und Zweck dieser Haftung werde nach
                                        zentrum errichten ließ, das sie verwal-      Ansicht des BAG ein Unternehmer erfasst,
                                        tet und in dem sie Geschäftsräume ver-       der sich zu einer Werk- oder Dienstleis-
                                        mietet. Zur Errichtung des Gebäudes          tung verpflichtet habe, diese aber nicht
                                        hat die Beklagte einen Generalunterneh-      mit eigenen Arbeitnehmern erfülle, son-
                                        mer beauftragt, der wiederum mehrere         dern sich zur Erfüllung seiner eigenen
                                        Subunternehmer einschaltete. Der Klä-        Verpflichtung eines Subunternehmers
                                        ger war als Bauhelfer bei einem der Sub-     bediene. Da ein solcher Unternehmer
                                        unternehmer beschäftigt, der an der          die Beachtung der zwingenden Mindest­
                                        Errichtung des Einkaufszentrums mit-         arbeitsbedingungen aus seiner Hand
                                        wirkte. Nachdem über das Vermögen            gebe, sei eine solche Bürgenhaftung
                                        des Generalunternehmers das Insol­venz­­     gerechtfertigt. Es bedürfe einer beson-
                                        verfahren eröffnet war und der Kläger        deren Verantwortungsbeziehung zwi-
                                        seinen Nettolohn für die Arbeit auf der      schen Auftraggeber und Nachunterneh-

Praxishinweis                           Baustelle des Einkaufszentrums nicht
                                        von seinem Arbeitgeber erhalten hatte,
                                        begehrte er von der Beklagten seinen
                                                                                     mer. Diese Situation sei jedoch nicht
                                                                                     mit der Beklagten als bloße Bauherrin
                                                                                     vergleichbar. Die Beklagte habe einen
Mit dieser Entscheidung folgt das BAG   ausstehenden Lohn auf der Grundlage          Auftrag zur Errichtung eines Einkaufs-
seiner bisherigen Rechtsprechung        des § 14 S. 1 AEntG.                         zentrums an einen Generalunternehmer
zur einschränkenden Auslegung des                                                    erteilt und habe damit nicht die Erfül-
Unternehmerbegriffs zu der Vorgän-      Entscheidung                                 lung eigener Verpflichtungen weiterge-
gerregelung § 1a AEntG a. F. Damit      Die Revision des Klägers zum BAG hatte       geben. Sie habe mit dem Bauauftrag
schafft diese Entscheidung auch für     keinen Erfolg. Ebenso wie die Vorinstan-     lediglich die Grundlage für ihre Geschäfts­
die Neuregelung des § 14 S. 1 AEntG     zen lehnte das BAG eine Bürgenhaftung        tätigkeit der Verwaltung und Vermietung
Rechtssicherheit, sodass die Rechts-    des Bauherrn nach § 14 S. 1 AEntG ab.        geschaffen.
folge der Bürgenhaftung unter Ver-      Das BAG entschied, dass die Beklagte als
zicht auf die Einrede der Vorausklage   bloße Bauherrin nicht unter den Unter-
nicht jeden Unternehmer trifft,         nehmerbegriff des § 14 S. 1 AEntG falle.     Autorinnen
der eine Bauleistung in Auftrag gibt.   Der Begriff des Unternehmers sei unter
Vielmehr berücksichtigt der einge-      Rückgriff auf die Rechtsprechung der Vor-    Bärbel Kuhlmann
schränkte Unternehmerbegriff die                                                     Rechtsanwältin
                                        gängerregelung in § 1a AEntG a .F. ein-      Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M.
erforderliche besondere Verantwor-      schränkend auszulegen. § 14 S. 1 AEntG       Telefon +49 6196 996 11336
tungsbeziehung zwischen Auftrag-        sieht vor, dass ein Unternehmer, der         baerbel.kuhlmann@de.ey.com
geber und Nachunternehmern, die         einen anderen Unternehmer mit der            Ulla Kuniß-Nickel
eine entsprechende weitreichende        Erbringung von Werk- oder Dienstleis-        Rechtsanwältin
Bürgenhaftung erst rechtfertigt.                                                     Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M.
                                        tungen beauftragt, für die Verpflichtun-     Telefon +49 6196 996 25153
                                        gen dieses Unternehmers oder eines           ulla.kuniss-nickel@de.ey.com

                                                                                                                                 13
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AKTUELLE RECHTSPRECHUNG

Equal-Pay-Gebot gilt bei unvollständiger
Inbezugnahme eines Zeitarbeits-Tarifvertrags
Eine Abweichung von dem Gebot der gleichen Vergütung („Equal-Pay“) nach dem Arbeitnehmerüber-
lassungsgesetz (AÜG) ist nur möglich, wenn die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag
vollumfänglich ausgestaltet ist, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 16. Oktober 2019
(AZ: 4 AZR 66/18) festgestellt hat.

Sachverhalt                                 Entscheidung
Der Kläger war im Rahmen einer Arbeit-      Das BAG befand, dass die vorliegende,      Tarifvertrag lediglich in Bezug nähmen,
nehmerüberlassung von April 2014 bis        nur teilweise vertragliche Inbezugnahme    Raum für ein geringeres Maß an Tarifan-
August 2015 als Kraftfahrer bei einem       des Tarifvertrags nicht den Anforde-       wendung ließe. Könne der Arbeitgeber
Unternehmen (Entleiher) tätig. Sein Ar-     rungen des § 9 Nr. 2 AÜG a. F. genüge.     zum Teil von dem in Bezug genommenen
beitsvertrag mit dem Verleiher (Beklagte)   Abwei­chungen von dem gesetzlichen         Tarifwerk abweichen, sei ein angemes-
sah eine dynamische Verweisung auf          Equal-Pay-­Gebot seien nach Wortlaut,      sener Ausgleich divergierender Interes-
Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche        Systematik und Zweck der Vorschrift        sen, anders als bei beidseitiger Tarifge-
vor. Im Übrigen beinhaltete der Arbeits-    nur dann möglich, wenn die tarifver-       bundenheit, nicht gewährleistet. Insofern
vertrag einige von den tarifvertragli-      traglichen Regelungen der Zeitarbeits-     sei hier eine Anwendung des Equal-Pay-
chen Regelungen negativ abweichende         branche ohnehin für die Vertragspar-       Gebots geboten. Unschädlich seien nur
Bestimmungen.                               teien gelten oder vollumfänglich in Be-    Regelungen, die tarifvertraglich nicht
                                            zug genommen würden. Es gebe keine         berührte Gegenstände beträfen sowie
Auf die Stammarbeitnehmer des Entlei-       Anhaltspunkte dafür, dass die gesetzli-    vertragliche Abweichungen, die nur
hers fanden im Überlassungszeitraum         che Regelung für nicht tarifgebundene      zugunsten des Arbeitnehmers wirkten.
kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme       Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die den      Beides sei hier nicht der Fall.
Tarifverträge der Metall- und Elektroin-
dustrie Anwendung, die ein höheres Ent-
gelt regelten, als dem Kläger durch die
Beklagte gewährt wurde. Der Kläger be-
gehrte die Differenzvergütung von der
Beklagten, womit er in den Vorinstan-
zen scheiterte. Die Revision des Klägers
zum BAG war erfolgreich und führte zur
Zurückverweisung der Sache an das LAG.

                                              Praxishinweis
                                              Die Entscheidung überrascht Jahre nach der Einführung des Equal-Pay-Gebots
                                              und der Möglichkeit, durch Inbezugnahme tarifvertraglicher Regelung hiervon
Autorinnen                                    abzuweichen. Trotzdem erscheint sie konsequent, da der Schutz des Leiharbeit-
                                              nehmers im Fokus steht und klargestellt wird, dass ein „cherry picking“ zwischen
Sophia Haus                                   tarif- und einzelvertraglichen Regelungen zu seinen Lasten nicht wirksam vor-
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a. M.       genommen werden kann. Zeitarbeitsunternehmen sollten ihre Arbeitsverträge
Telefon +49 6196 996 11454                    zeitnah prüfen und gegebenenfalls anpassen, um das Risiko der Inanspruch-
sophia.haus@de.ey.com
                                              nahme aus Entgeltdifferenzansprüchen zu minimieren. Aber auch für Entleiher
Isabella Kothen, LL.M.                        kann eine solche vertragliche Regelung problematisch werden: sie laufen Gefahr,
Rechtsanwältin                                im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung nach dem SGB IV für fehlende
Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf
Telefon +49 211 9352 29199                    Sozialversicherungsbeiträge herangezogen zu werden.
isabella.kothen@de.ey.com

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AKTUELLE RECHTSPRECHUNG

Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei einer
stufenweisen Wiedereingliederung
Der Arbeitgeber kann dazu verpflichtet sein, an der stufenweisen Wiedereingliederung schwerbehinderter
Arbeitnehmer in das Erwerbsleben mitzuwirken. Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht kann Schadenser-
satzansprüche des betroffenen Arbeitnehmers begründen, so das BAG in seiner Entscheidung vom 16. Mai
2019 (AZ: 8 AZR 530/17). Grund dafür ist, dass in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung gemäß
§ 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX der Arbeitgeber verpflichtet sein kann, an einer stufenweisen Wiedereingliederung
schwerbehinderter Beschäftigter dergestalt mitzuwirken, dass er diese entsprechend den Vorgaben eines Wie-
dereingliederungsplans beschäftigt. In Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber jedoch berechtigt sein, seine
Mitwirkung zu verweigern und eine Beschäftigung des schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Arbeitnehmers
abzulehnen. Insbesondere kann das dann der Fall sein, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer
der Arbeitgeber davon ausgehen durfte, dass dem Arbeitnehmer aus der Wiedereingliederungsmaßnahme nach-
teilige gesundheitliche Folgen entstehen.

Sachverhalt
Der Kläger, der mit einem Grad der Behin-
derung (GdB) von 70 als schwerbehin-
derter Mensch anerkannt ist, war bei der
beklagten Stadt (im Folgenden Beklagte)
seit 1991 beschäftigt, zuletzt in der Posi-
tion des Bauleiters. Von August 2014
bis Anfang März 2016 war er arbeits­
unfähig erkrankt. Am 21. September
2015 wurde der Kläger betriebsärztlich
untersucht. Die Betriebsärztin befürwor-
tete in ihrer Beurteilung vom 12. Okto-
ber 2015 eine stufenweise Wiedereinglie-
derung zur vorsichtigen Heranführung
an die Arbeitsfähigkeit mit bestimmten
Einschränkungen in der Tätigkeit. Der Klä-
ger beantragte sodann bei der Beklag-
ten unter Vorlage des Wiedereingliede-
rungsplans seines behandelnden Arztes
vom 28. Oktober 2015 die stufenweise
Wiedereingliederung in das Erwerbsleben
im Zeitraum vom 16. November 2015
bis zum 15. Januar 2016. Der Wieder-
eingliederungsplan des behandelnden
Arztes sah keine Einschränkungen in der
Tätigkeit vor. Als absehbaren Zeitpunkt
der Wiederherstellung der vollen Arbeits-     daraufhin einen zweiten Wiedereinglie-     gliederung war auch erfolgreich. Der
fähigkeit gab der behandelnde Arzt den        derungsplan vor. Dieser sah eine Wieder-   Kläger erlangte am 07. März 2016 seine
18. Januar 2016 an. Anfang November           eingliederung in der Zeit vom 04. Januar   volle Arbeitsfähigkeit wieder.
lehnte die Beklagte diesen Wiederein-         bis zum 04. März 2016 vor. Es lag
gliederungsplan ab. Begründet wurde           zudem ein Bericht der behandelnden         Der Kläger forderte von der Beklagten den
dies damit, dass ein Einsatz des Klägers      Psychologin bei, wonach Einschränkun-      Ersatz der Vergütung, die ihm in der Zeit
im bisherigen Aufgabengebiet/Tätig-           gen in der Tätigkeit nicht mehr bestan-    vom 18. Januar bis zum 06. März 2016 da-
keitsbereich wegen der in der betriebs­       den. Die Beklagte stimmte diesem Wie-      durch entgangen ist, dass die Beklagte
ärztlichen Beurteilung aufgeführten           dereingliederungsplan nach erneuter        ihn nicht entsprechend den Vorgaben des
Einschränkungen nicht möglich sei.            — nun posi­tiver — Beurteilung durch die   Wiedereingliederungsplans vom 28. Okto-
Der noch arbeitsunfähige Kläger legte         Betriebs­ärztin zu. Diese Wiederein-       ber 2015 beschäftigt hat.

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