Ausgabe 1 - Februar 2016 - Jahrgang, Nr. 76 1 Ausdruck Februar 1/2016 - Informationsstelle Militarisierung
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1 Ausdruck Februar 1/2016 Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen Ausgabe 1 - Februar 2016 14. Jahrgang, Nr. 76 AUSDRUCK MAGAZIN DER INFORMATIONSSTELLE MILITARISIERUNG E.V. Einzelpreis 3,50 € - ISSN 1612-7366 EU-Militarisierung Jacqueline Andres ~ FRONTEX 2.0 – Auf dem Weg zur (Grenz-)Polizei der EU – 1 Marius Pletsch ~ Eine Drohne für Europa – 4 Syrien David X. Noack ~ Die polit-ökonomische Dimension des Syrien-Krieges – 13 Jürgen Wagner ~ Syrien und der kurze Aufstand des US-Militärs – 20 Mirko Petersen ~ Der russische Krieg in Syrien und Moskaus Verhältnis zum Westen – 22 Weitere Themen Anne Labinski ~ Kein Ende in Sicht: Die Mär vom Abzug aus Afghanistan – 26 Thomas Mickan ~ Im Westen nichts Neues? – 29 Michael Schulze von Glaßer ~ Die Rekrutierungsstrategie des „Galaktischen Imperiums“ – 32
Editorial: Aktuell haben die Militaristen in CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Nachdruck zu verleihen, werden sich Deutschland Oberwasser: Am 26. Hahn: „Friedrich II. hat Diploma- vorwiegend westliche Spitzenpolitiker, Januar 2016 kündigte Verteidigungs- tie ohne Waffen einst als Musik ohne Militärs und Industrielle auch dieses ministerin Ursula von der Leyen an, Instrumente verspottet. In Europa hat Jahr wieder bei der Münchner Sicher- dass bis 2030 satte 130 Milliarden Euro man diese Wahrheit, die sich spätestens heitskonferenz vom 12. bis 14. Februar in die Neuanschaffung von Rüstungs- seit der Ukraine-Krise wieder Geltung 2016 zusammenfinden. Auch für dieses gütern investiert werden sollen. Über zu verschaffen sucht, lange vergessen Jahr sind wieder Gegenaktivitäten den Daumen gepeilt wird dies nahezu oder verdrängt. […] Militärische Macht geplant: Die zentrale Demonstration zu einer Verdopplung des Investiti- ist damit wieder vermehrt Bestandteil wird am 13. Februar 2016 um 13h in onshaushaltes und zu Mehrkosten im der internationalen Politik. Für uns München (Stachus) beginnen, der sich Umfang von jährlich bis zu 4 Mrd. heißt das: Wir müssen das Verständnis hoffentlich gerade auch angesichts der Euro führen. Eine „schöne“ Begrün- einer ausschließlich reaktiven Rolle, zunehmend militaristischen deutschen dung, weshalb dies erforderlich sei, die Deutschland über Jahre des Kalten Politik möglichst viele Menschen lieferte u.a. der ehemalige Mitarbeiter Krieges verinnerlicht hatte, endlich anschließen werden. der Abteilung Presse- und Öffentlich- abschütteln.“ Die Redaktion keitsarbeit beim deutschen Panzerbauer Um diesem neuen „Verständnis“ der Krauss-Maffei Wegmann und heutige deutschen Rolle in der Welt zusätzlich Impressum Spendeninformation Der AUSDRUCK wird herausgegeben von der Informations- Die Informationsstelle Militarisierung und der IMI-För- stelle Militarisierung (IMI) e.V. Tübingen. derverein Analyse und Frieden sind eingetragene und als Redaktion: Das Aktiventreffen der Informationsstelle Mili- gemeinnützig anerkannte Vereine. Die Arbeit der Informa- tarisierung, Jürgen Wagner, Christoph Marischka, Andreas tionsstelle trägt sich durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Seifert, Thomas Mickan, Jonna Schürkes. Wenn Sie Interesse an der Arbeit der Informationsstelle oder Erscheinungsweise: Der AUSDRUCK erscheint zweimonat- Fragen zum Verein haben, nehmen Sie bitte Kontakt zu uns lich jeweils zu Beginn des Monats. auf. Nähere Informationen, wie auch Sie IMI stützen können, Druck: Campus Druck, Hechinger Str. 203 (Sudhaus), erfahren Sie auf unserer Homepage (www.imi-online.de), per 72072 Tübingen. Brief, Mail oder Telefon in unserem Büro in Tübingen. Bezugsbedingungen: IMI-Mitglieder und Mitglieder des Spenden an IMI sind steuerabzugsfähig. IMI-Fördervereins erhalten den AUSDRUCK kostenlos (ab einem Beitrag von 5 €/Monat). Einzelpreis 3,50 €. Im Jahres- Unsere Spendenkontonummer bei der abo (6 Hefte): 25 € bzw. Förderabo 37 €. Kreissparkasse Tübingen Bezugsadresse: Informationsstelle Militarisierung e.V., IBAN: DE64 6415 0020 0001 6628 32 Hechinger Str. 203, 72072 Tübingen. BIC: SOLADES1TUB. Bildnachweise wie angegeben außer: Titelbild: Deutscher Konto des IMI-Förderverein: Tornado beim Abflug zum Syrien-Einsatz, Quelle: Bundes- IBAN: DE54 6415 0020 0001 7669 96 wehr/Falk Bärwald über flickr.com; S. 29: Adbusting, links- BIC: SOLADES1TUB. unten indymedia; S.31: bewaffnetes Gummibärchen, eigene Grafik; S.32: Logo StarWars, wikipedia.de. Kontakt: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Hinweise zu den Autoren dieser Ausgabe: Jacqueline Hechinger Str. 203 (Sudhaus) Andres arbeitet im IMI-Büro. Thomas Mickan, Mirko Peter- 72072 Tübingen sen und Michael Schulze von Glaßer sind IMI-Beiräte. David Telefon: 07071/49154 X. Noack ist Politikwissenschaftler und Historiker. Anne Lab- Fax: 07071/49159 inski hat Friedens- und Konfliktforschung (M.A.) in Marburg e-mail: imi@imi-online.de und Canterbury, England studiert. Marius Pletsch ist Stu- web: www.imi-online.de dent der Politikwissenschaft und war Praktikant bei der IMI. Jürgen Wagner ist IMI-Vorstandsmitglied. Hinweise zu Internetlinks in dieser Ausgabe: Alle ent- haltenen Link-Verweise wurden von den jeweiligen Autoren/ Autorinen zum Zeitpunkt der Drucklegung geprüft – für eine darüberhinausgehende Aktualität können wir keine Gewähr geben.
Ausdruck Februar 1/2016 1 Frontex 2.0 Zustimmung erteilen werden Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen – u.a. der schwedische Premier- minister Stefan Löfven sowie Auf dem Weg zur (Grenz-)Polizei der EU sein dänischer Amtskollege Lars Løkke Rasmussen lehnen einen von Jacqueline Andres möglichen Souveränitätsverlust an Brüssel ab.5 Begrüßt hinge- gen wurde der Plan von Seiten Vor zehn Jahren hat die europäische Grenzschutzagentur Deutschlands und Frankreichs. Der deutsche Außenminister FRONTEX ihre Arbeit aufgenommen und den Auftrag der EU Steinmeier betonte: Die jetzigen Vorschläge der Europäischen erhalten, u.a. den Grenzschutz der Mitgliedstaaten zu koordi- Kommission zum Ausbau von FRONTEX zu einer Europä- nieren und Risiko-Analysen zu erstellen. Bereits damals wurde ischen Grenzschutz- und Küstenwache verdienen unsere volle befürchtet, dass dies die Entwicklung der EU hin zu einem Unterstützung. Sie ziehen die Lehre aus den Defiziten der Ver- Superstaat mit eigener Polizei bedeuten könnte. 2015 könnte gangenheit. Insbesondere muss FRONTEX eigenständig dort nun als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die EU die tätig werden können, wo Mitgliedstaaten ihren Verpflichtun- Grundsteine für eine EU-Polizei gelegt hat – zunächst natür- gen nicht nachkommen. Unterstützung erwarte ich mir auch lich im Bereich des Grenzschutzes zu Lasten von Geflüchteten gerade von denjenigen, die vor einer Diskussion über eine faire und Migrant_innen. Verteilung einen stärkeren Grenzschutz gefordert haben.“6 Im Im Mai 2015 legte die EU-Kommission in ihrer Europä- Laufe der niederländischen Rats-Präsidentschaft soll der Kom- ischen Agenda zur Migration das Ziel der Errichtung eines missionsvorschlag fertig beraten und zwischen Rat und Parla- europäischen Grenzmanagements fest.1 Der EU-Präsident ment diskutiert werden.7 Jean-Claude Juncker verkündete Anfang September in seiner Konkret soll bei der neuen Grenzschutzagentur – ähnlich ersten Rede zur Lage der Union, dass wichtige Schritte für wie das bei FRONTEX angelegte zentrale „Risk and Analysis die Erschaffung einer europäischen Grenz- und Küstenwa- Network“– eine „Zentralstelle für Überwachung und Risiko- che bereits noch in diesem Jahr unternommen werden sollen, analyse [...] eingerichtet [werden], um die Migrationsströme um durch ein sogenanntes integratives Grenzmanagement die in die und innerhalb der Europäischen Union zu überwachen innere Sicherheit des Schengenraumes zu garantieren und vor und Risikoanalysen sowie verbindliche Schwachstellenbe- Terrorismus zu schützen. Auf einem nach den Anschlägen in wertungen durchzuführen, um Schwachstellen zu ermitteln Paris einberufenen EU-Treffen zur Terrorismusbekämpfung und beseitigen. Verbindungsbeamte werden in die Mitglied- wurden bereits unter dem Deckmantel der Anti-Terrormaß- staaten abgestellt, um Präsenz vor Ort zu gewährleisten, wo nahmen die Forderungen einer stärkeren Zusammenarbeit der Grenzen gefährdet sind.“8 Sollten Schwachstellen ersichtlich staatlichen Institutionen mit FRONTEX sowie nach der Inten- werden, wird die Agentur die betreffenden Mitgliedstaaten sivierung von Grenzkontrollen laut, welche in das Gesetzespa- „zum Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen auffordern“. ket der Kommission aufgenommen wurden.2 Sollten sie dieser Aufforderung nicht nachkommen wollen oder können, kann die EU-Kommission auch gegen den Willen Exekutive Befugnisse für FRONTEX 2.0? des betroffenen Mitgliedstaates die Grenzschutzagentur an die jeweilige als unsicher deklarierte Grenze schicken. Zum Ein- Am 15. Dezember 2015 präsentierte dann die Europäische satz kommen würde in diesem Fall die Speerspitze der Agentur Kommission dem Parlament in Brüssel ein Maßnahmenpaket, – eine „rasch mobilisierbare Reserve von [mindestens 1500] welches zur „wirksameren Migrationssteuerung, Verbesserung Grenzschutzbeamten, die in weniger als 3 Tagen eingesetzt der inneren Sicherheit der Europäischen Union und Wahrung werden können.“9 Im Rahmen von FRONTEX existiert bereits des Grundsatzes der Freizügigkeit beitragen“3 soll und sich die Rapid Border Intervention Teams (RABIT), die jedoch liest wie eine weitere Forderung nach mehr Überwachung, auf Anfrage des betreffenden Staates eingesetzt wird, wie es Aufweichung des Datenschutzes, Abschottung und verstärkten bereits in Griechenland zweimal der Fall war.10 Abschiebungen. Dieser Gesetzesentwurf stattet die europäische Grenz- Personelle, technische und finanzielle schutzagentur FRONTEX mit Befugnissen ganz neuer Qualität Aufrüstung aus. Während sie bisher u.a. für die Koordination der Mitglied- staaten bei der Überwachung der Grenzen, die Ausbildung Zusätzlich soll sich die Personalausstattung der neuen Agen- Grenzschutzbeamter, die Organisation von Abschiebungen tur von 402 Angestellten im Jahr 2016 auf 1000 ständige Mit- sowie für die Erstellung von Lagebildern zuständig war, sollen arbeiter_innen bis 2020 erhöhen11 – im Vergleich dazu hat ihre Kompetenzen laut den Vorschlägen der EU-Kommission FRONTEX momentan 344 Festangestellte. stark ausgebaut werden. Mit dem neuen Namen „Europäischer Auch an der technischen Ausstattung soll es zukünftig nicht Grenz- und Küstenschutz“ könnte FRONTEX zu einer supra- mangeln. Während FRONTEX bei den Mitgliedstaaten anfra- nationalen Institution mit dem „Recht, tätig zu werden“ mutie- gen musste, um Gerätschäften zu erhalten, soll die neue Agen- ren – d.h. sie könnte gegen den Willen eines Mitgliedsstaates tur selbst Equipment erwerben dürfen, sowie Zugang zu einer durch einen von der Kommission erlassenen Durchführungsbe- „von den Mitgliedstaaten bereitgestellten Reserve von techni- schluss an dessen Grenze einschreiten, sollte dieser Staat unter scher Ausrüstung“12haben. Der Vorschlag der EU-Kommission „erheblichem Migrationsdruck“4 stehen und zugleich unfähig verpflichtet alle Mitgliedstaaten, der neuen Agentur die im oder ungewillt sein, die „Sicherheit“ der EU-Außengrenzen Rahmen des EU Internal Security Fund erworbene Ausstattung aufrechtzuhalten. Dieser Aspekt ist hochumstritten und so ist zu Verfügung zu stellen.13 Durch die Ausweitung des Perso- es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen, ob das Euro- nals und des Equipments steigen auch die Kosten der europä- päische Parlament und der Europäische Rat die notwendige ischen Grenzüberwachung stark an: während FRONTEX im
2 Ausdruck Februar 1/2016 der EU auf dem afrikanischen Kontinent ein- Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen gebunden, wie u.a. in der European Border Assistance Mission (EUBAM) Libyen und in EUCAP Sahel Niger.20 Die Mission EUCAP Sahel Niger hat explizit den Auftrag „irregu- läre Migration zu verhindern“, da 90% aller Migrant_innen aus Westafrika, die versuchen das Mittelmeer von Libyen aus zu überque- ren, zunächst Niger passieren.21 Durch die finanzielle und personelle Aufstockung der geplanten neuen Agentur sowie durch die betonte Ausweitung des Mandats in Drittlän- dern wird die geheimdienstliche Komponente der Agentur vermutlich ausgebaut und ihre Beteiligung an zivil-militärischen Missionen verstärkt werden. Zu guter Letzt wird auch in der neuen Euro- päischen Grenz- und Küstenschutzagentur Eine Polizeipatrouille fährt an dem neu errichteten und mit NATO-Stacheldraht die mutmaßliche Terrorismusbekämpfung ausgestatteten Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien entlang. verankert. So soll die neue Agentur „unter Quelle: Wikipedia uneingeschränkter Achtung der Grundrechte in ihre Risikoanalysen auch die grenzüber- Gründungsjahr 2005 noch ca. €4 Mio. verschlang,14 sollen die schreitende Kriminalität und den Terrorismus einbeziehen und Ausgaben für die neue Agentur bis 2020 bei stolzen €322 Mio. mit anderen EU-Agenturen und internationalen Organisatio- liegen.15 nen bei der Terrorismusprävention zusammenarbeiten“.22 Erst Unterstützung bei der Seegrenzüberwachung erhält die dieses Jahr wurden die Kompetenzen der Agentur FRONTEX neue Agentur durch die nationalen Küstenwachen, wozu die ausgeweitet und durch ein neues Abkommen mit EURO- „Mandate der Europäischen Fischereiaufsichtsagentur und der POL ist es FRONTEX nun möglich, EUROPOL Daten ver- Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs […] meintlicher Krimineller weiterzuleiten und ebenso Daten von an den neuen Europäischen Grenz- und Küstenschutz ange- EUROPOL – offiziell für die gemeinsame Bekämpfung trans- passt“16 werden. Gemeinsam sollen diese drei Agenturen u.a. nationaler Kriminalität – zu erhalten. Die Zusammenarbeit mit durch den Einsatz von Drohnen Überwachungsmaßnahmen im EUROPOL wurde auch durch die aus EUROPOL, FRONTEX, Mittelmeerraum durchführen. Das Europäische Grenzüberwa- European Asylum Support Office sowie EUROJUST zusam- chungssystem EUROSUR nutzt bereits seit 2013 Drohnen und mengesetzte European Task Force (EURTF) gestärkt, welche Satellitenaufklärung, wodurch es fraglich ist, welchen Beitrag einen Sitz im sizilianischen Catania hat und ab Januar 2016 weitere Drohnenüberwachung des bereits stark militarisierten ein zweites Büro in der griechischen Hafenstadt Piraeus erhält. und inspizierten Mittelmeeres leisten soll. Ziel der EURTF ist es, den jeweiligen staatlichen Behörden bei der Identifikation, der Registrierung und der Abschiebung von Geheimdienstliche Zusammenarbeit und Migrant_innen und bei der vermeintlichen Bekämpfung von Terrorbekämpfung Schmugglerringen zu helfen.23 Um die „Sicherheit der Bürger Europas“ zu gewährleisten, Eine weitere Ausweitung der bisherigen Kompetenzen der sollen laut des Gesetzesentwurfes der Schengener Grenzko- Agentur im Zusammenhang mit Drittländern wäre das geplante dex geändert werden und die Reisedokumente aller Ein- und neue Mandat „zur Entsendung von Verbindungsbeamten und Ausreisenden aus dem Schengen-Raum systematisch mit den zur Organisation gemeinsamer Einsätze mit benachbarten verschiedenen Datenbanken – d.h. dem Schengener Informa- Drittländern, auch in deren Hoheitsgebiet“.17 Dieses Mandat tionssystem SIS, der Interpol-Datenbank für gestohlene und bekräftigt die von der EU angewandte Strategie der Vorverlage- verlorene Reisedokumente und einschlägiger nationaler Daten- rung von EU-Außengrenzen, um Migrant_innen in Herkunfts- banken – abgeglichen werden. Die geplante Regulierung lässt oder Transitregionen aufzuhalten. Bereits bis zum Jahr 2013 Flexibilität zu, sollte die obligatorische Kontrolle von EU-Bür- unterzeichnete FRONTEX mit Vertreter_innen von 17 Staaten ger_innen den Verkehr stark beeinträchtigen. In diesem Fall sei „working agreements“18, um u.a. Schulungen in Grenz- und es möglich, sich auf die Kontrolle von verdächtigen Personen Dokumentenkontrolle durchzuführen, fälschungssichere Pässe zu beschränken.24 Eine solche Formulierung legt den zuständi- zu entwickeln sowie Informationen auszutauschen oder auch gen Behörden eine zukünftige Anwendung des Racial Profiling um Abschiebungen bürokratisch zu erleichtern – sie werden als im Namen der Sicherheit nahe. technische Dokumente eingestuft und unterliegen somit kaum Zustimmung finden die geplanten Maßnahmen bei Bun- einer politischen Kontrolle. Im Jahr 2013 wurde die Africa- deskanzlerin Merkel, welche in der Pressekonferenz zum FRONTEX Intelligence Community etabliert, welche gemein- Abschluss des EU-Rats betonte, „dass das Schengener Infor- sam Lagebilder erstellt, sich austauscht und geheimdienstliche mationssystem – also die Datenbanken, die es dort gibt, und Produkte erstellt. Ähnliche Plattformen bzw. „intelligence- auch die Datenbanken von Interpol – stärker genutzt werden sharing communities“ unterhält FRONTEX im östlichen muss und dass gerade auch die verstärkte Zusammenarbeit der und westlichen Balkan.19 Darüber hinaus ist FRONTEX in Mitgliedstaaten mit FRONTEX und mit Europol notwendig verschiedene zivil-militärische Missionen im Rahmen der ist, um über alle Informationen zu verfügen. Wir haben dann Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) von unserer Seite noch einmal betont, wie wichtig es ist, dass
Ausdruck Februar 1/2016 3 die Nutzung von Fluggastdaten, also die PNR- Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen Richtlinie, jetzt endlich auf der Zielgeraden ist und dass sie dann vor allen Dingen auch schnell umgesetzt werden muss.“25 Kompetenzausweitung bei Abschiebungen Der vorgesehenen europäischen Grenz- und Küstenschutzagentur soll eine stärkere Rolle bei Abschiebungen zukommen: „Eine europä- ische Rückführungsstelle wird innerhalb der Agentur eingerichtet, die es ermöglichen wird, europäische Einsatzteams für Rückführungen mit Begleitpersonen, Beobachtern und Rück- führungsfachleuten bereitzustellen, die für die effektive Rückführung illegal aufhältiger Dritt- staatsangehöriger sorgen werden“.26 Somit wäre Kreativer Protest gegen Frontex in Hamburg im Jahr 2014. Quelle: Rasande Tyskar über Flickr. die neue Grenzschutzagentur nicht nur – wie bisher FRONTEX – für die Unterstützung und Organisation von Abschiebungen zuständig, sondern würde 6 Außenminister Steinmeier anlässlich der Pläne der EU-Kommis- diese komplett durchführen. Zudem solle ein neues europä- sion zu FRONTEX, auswaertiges-amt.de, 15.12.2015. isches Standard-Reisedokument für die Abschiebungen ein- 7 Europäischer Rat in Brüssel EU-Außengrenzen besser schützen, geführt werden, um „in Drittländern eine größere Bereitschaft bundesregierung.de, 18.12.2015. zur Aufnahme von Rückkehrern zu erreichen“. Zwar exi- 27 8 Pressemitteilung, 15.12.2015 9 Ebd. stiert seit 1994 ein Dokument zur Erleichterung von Abschie- 10 FRONTEX accepts Greece’s request for Rapid Border Interven- bungen, doch erkennen dies die Herkunftsländer oft nicht an, tion Teams, FRONTEX.europa.eu, 12.10.2015. wodurch sich die Notwendigkeit eines neuen Modells ergibt. 11 European Commission – Fact Sheet European Agenda on Migra- Von den jährlich fast 500.000 erteilten Ausweisungen oder tion: Securing Europe’s External Borders, europa.eu, 15.12.2015. Abweisungen in Europa, wurden im Jahr 2014 – so hieß es in 12 Pressemitteilung, 15.12.2015 der Pressekonferenz – nur 40% tatsächlich abgeschoben. Das 13 Ebd. Haupthindernis sei das Fehlen eines gültigen Reisedokuments 14 Budget, frontex.europa.eu der abzuschiebenden Person.28 15 European Commission – Fact Sheet European Agenda on Migra- Die vorgesehene Intensivierung der Überwachung, Abschot- tion, 15.12.2015 16 Pressemitteilung, 15.12.2015. tung und Abschiebungen wird die Situation der Menschen, 17 Ebed. die vor Krieg und Perspektivlosigkeit fliehen, verschlimmern. 18 Zu diesen Staaten gehören: Russland, Ukraine, Moldawien, Geor- Allein in diesem Jahr starben nach Angaben der Internationa- gien, Mazedonien, Serbien, Albanien, Bosnien und Herzegowina, len Organisation für Migration (IOM) mindestens 2738 Men- USA, Montenegro, Canada, Kap Verde, Nigeria, Armenien, schen auf der gefährlichsten Mittelmeerroute, die zwischen Türkei, Aserbaidschan und Weißrussland. Mit weiteren sieben Libyen und Italien verläuft.29 Durch die zunehmende Abschot- Staaten werden solche Verträge noch ausgehandelt: Libyen, tung Osteuropas entscheiden sich zunehmend Geflüchtete aus Marokko, Senegal, Mauretanien, Ägypten, Brasilien und Tune- Syrien, diesen riskanten Weg zu wählen, obwohl sich geo- sien graphisch gesehen die Route über die Türkei nach Griechen- 19 Strategic Analysis, frontex.europa.eu 20 FRONTEX: Afrika und Mittelmeer Strategie – AFIC, ffm-online. land anbietet. Stattdessen reisen viele Syrier_innen nun nach org, 17.03.2014. Mauretanien, um von dort nach Libyen zu gelangen und die 21 EUCAP Sahel Niger to help prevent irregular migration, 300km lange Mittelmeerüberfahrt nach Italien zu wagen.30 Die consilium.europa.eu, 13.05.2015. EU beharrt mit der Errichtung einer solchen neuen Agentur 22 Pressemitteilung, 15.12.2015 weiterhin auf ihrer desaströsen Strategie der Migrationspoli- 23 Europol and FRONTEX agree to exchange information on cross- tik, welche durch das Verhindern jeglicher sicherer Einreise- border crime, europol.europa.eu, 04.12.2015. möglichkeiten der Geflüchteten nach Europa eine menschliche 24 Communication from the Commission to the European Parlia- Katastrophe hervorbringt. ment and the Council, A European Border and Coast Guard and effective management of Europe’s external borders, statewatch. Anmerkungen org 25 Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel am 18. Dezember 1 Managing migration better in all aspects: A European Agenda on 2015 zum Abschluss des Europäischen Rats in Brüssel, bundesre- Migration, eeas.europa.eu, 13.05.2015. gierung.de 2 Conclusions of the Council of the EU and of the Member States 26 Pressemitteilung, 15.12.2015 meeting within the Council on Counter-Terrorism, consilium. 27 Ebd. europa.eu, 20.11.2015. 28 European Commission – Fact Sheet European Agenda on Migra- 3 Pressemitteilung. Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz für tion, 15.12.2015. die Außengrenzen Europas, europa.eu, 15.12.2015. 29 Paul Blickle, Philip Faigle und Julian Stahnke: Das stille Sterben 4 Ebd. im Mittelmeer, zeit.de, 14.12.2015. 5 Dutch Presidency to take over task of shaping EU’s border force, 30 Katarina Höije: The Long Way Round Syrians through the Sahel, euractiv.com, 18.12.2015. newirin.irinnews.org, 09.11.2015.
4 Ausdruck Februar 1/2016 Eine Drohne für Europa warum die Kooperationsbereit- Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen schaft hier so hoch ist. Im drit- ten Punkt wird herausgearbeitet Wie die EU gute Bedingungen für die Rüstungsindustrie schafft werden, was der europäische Aspekt an der Drohne sein wird, von Marius Pletsch wie die EU an dem Projekt be- teiligt ist und was sie sich von der europäischen Drohne ver- 1. Am Anfang war die Unterschrift spricht. Diesen drei Aspekten vorangestellt führe ich zunächst im folgenden Kapitel aus, wie die Vorgeschichte zu dem kom- Am 18. Mai 2015 unterschrieben die Verteidigungsminis- menden Projekt Eurodrohne aussieht. Bei dieser Gelegenheit ter_innen Deutschlands, Frankreichs und Italiens eine Ab- werden auch die wichtigsten Begriffe kurz erläutert. sichtserklärung (Declaration of Intent, kurz DoI) am Rande eines EU-Verteidigungsminister_innentreffens in Paris zur 2 FEMALE/MALE2020: Auf dem Weg zur Erstellung einer Definitionsstudie für eine zukünftige euro- europäischen Drohne päische Drohne. Anfang Dezember 2015 wurde bekannt, dass sich auch Spanien am Bau der europäischen Drohne beteiligen Die unterzeichnete Absichtserklärung der Verteidigungsmi- möchte.1 Diese Drohne soll der Kategorie der Medium Altitude nister_innen ist nicht der erste Versuch der gemeinsamen Ent- Long Endurance (MALE) angehören, also eine Flughöhe von wicklung einer europäischen Drohne. In der Vergangenheit gab bis zu 15.000 Metern erreichen und mindestens 24 Stunden es bereits mehrere entsprechende Kooperationen. Hierbei ist in der Luft bleiben können. Neben Sensoren zur Aufklärung es sinnvoll zwischen zwei besonders Systemen zu unterschei- und hochauflösenden Kameras soll die Drohne auch Waffen den, die das Interesse der Regierungen weckten: der MALE tragen können. Nachdem sie umfangreich in Lobbyarbeit für und dem UCAV. das Projekt Eurodrohne investiert hatte, begrüßte die Rüs- MALE Drohnen werden hauptsächlich für die Spionage, tungsindustrie das Abkommen. Die Firmen warten schon Überwachung und Aufklärung (engl. Intelligence, Surveillance lange auf eine erfolgversprechende Umsetzung eines solchen and Reconnaissance, kurz ISR) von Aktivitäten am Boden ein- Projektes und zeigten sich kooperationsfreudig. Eine europä- gesetzt. Wird beispielsweise eine Situation beobachtet, in der ische Drohnenentwicklung wurde auch von den europäischen es den Anschein hat, als würde eine improvisierte Sprengvor- Institutionen, insbesondere der Europäischen Kommission, richtung (IED) platziert, kann das Team zur Bedienung der dem Europäischen Rat und der bei der Entwicklung beteiligten Drohne die Kräfte am Boden informieren. Aufgrund dieser In- European Defence Agency (EDA) seit geraumer Zeit unter- formationen kann die Position für eine Bombardierung durch stützt. Die Vorstellungen, wie die fertige europäische Drohne bemannte Jets durchgegeben bzw. markiert werden. Wenn es aussehen soll, gehen jedoch auseinander und es wird von den sich um eine bewaffnete Drohne handelt, ist diese selbst in der unterschiedlichen Akteur_innen eine Vielzahl an Anforderun- Lage, „Effektoren“ – wie Bomben und Raketen verharmlosend gen gestellt. So sagten französische Offizielle, man strebe eine in der Militärsprache genannt werden – abzuschießen. Für den Drohne an, die über die Fähigkeiten der heutigen MQ-9 Preda- Einsatz von Drohnen dieser Kategorie ist die Beherrschung des tor B (Reaper) des US-Herstellers General Atomic hinausge- Luftraums entscheidend. Bislang eingesetzte MALE Drohnen hen soll – eine „Reaper-Plus“.² Die Reaper-Drohne ist mit der verfügen weder über Stealth-Eigenschaften, mit denen das Ge- etwas kleineren MQ-1 Predator A von der gleichen Firma das rät für feindliches Radar nur schwer zu entdecken wäre, noch am häufigsten benutzte unbemannte System für den sogenann- können sie sich wegen ihrer sparsamen aber leistungsschwa- ten „geheimen Krieg“,3 in dem die USA mit Drohnen in min- chen Propellermotoren mit höheren Geschwindigkeiten bewe- destens sieben Ländern gegen Terrorverdächtige vorgeht (und gen oder in Höhen operieren, die für Luftabwehrsysteme nicht dabei oft auch unschuldige exekutiert).4 Die Anforderungen an erreichbar sind. Deshalb sind für einen sichereren Betrieb einer die europäische Drohne lesen sich so auch wie die Beschrei- MALE-Drohne ein „sauberer“ Luftraum und damit die Luftho- bung einer eierlegenden Wollmilchsau. Sowohl als bewaffnete heit entscheidend.5 Die nächste Generation der Predator Droh- militärische Drohne mit Aufklärungstechnik wie auch für den nen, die Predator C Avenger, wird über Stealth-Eigenschaften zivilen Einsatz bei Grenzschutz, Polizeibehörden oder dem und einen Jet-Antrieb verfügen, welcher der Drohne erlaubt, Katastrophenschutz soll das System einsetzbar sein. Die nun in sich im Vergleich zu den vorherigen Modellen schneller zu be- Auftrag gegebene Definitionsstudie soll sich u.a. mit den An- wegen, um „durchsetzungsfähiger“ zu sein.6 forderungen an das System durch die teilnehmenden Staaten Für die Entwicklung einer europäischen Drohne der MALE und mit den Zulassungsbestimmungen befassen, die sich in der Klasse wurden bisher drei Anläufe mit multinationaler Beteili- Vergangenheit als kompliziert herausgestellt hatten. Bis Ende gung unternommen. Der erste Versuch wurde von Frankreich 2017 wird nach gegenwärtiger Planung das Ergebnis der Stu- und den Niederlanden bereits 2001 eingeleitet. Nachdem die- die vorliegen, im Anschluss daran soll die Entwicklungsphase ses EADS-geführte Projekt mit dem Namen EuroMALE an beginnen. Planungsschwierigkeiten, Anforderungsänderungen und Kos- In den folgenden Ausführungen wird der Weg in Richtung tenunsicherheiten 2006 scheiterte,7 unternahmen Frankreich, europäischer Drohne nachgezeichnet werden. Dazu soll ers- Spanien und Deutschland den nächsten Versuch mit dem Pro- tens am Beispiel der deutschen Debatte gezeigt werden, was jekt Talarion. Die 2009 vorgestellte Drohne sollte unter der sich die Bundeswehr und die Verteidigungspolitiker_innen von Führung von Cassidian (heute Airbus Defence & Space) und in dem Projekt versprechen und wie die Haltung der Bevölkerung (späterer) Kooperation mit dem türkischen Rüstungsunterneh- zu Drohnen ist bzw. wie sehr die Regierung an dieser Haltung men TAI entwickelt werden.8 Auch dieses Projekt scheiterte interessiert ist. Zweitens sollen die Rüstungsindustrien der eu- 2012, da die beteiligten Staaten keine weiteren Mittel bereit- ropäischen Mitgliedsstaaten betrachtet und erläutert werden, stellen wollten.9 Frankreich unternahm danach mit Großbritan-
Ausdruck Februar 1/2016 5 nien einen gemeinsamen Versuch mit Mantis, der aber, wie die EU-Mitgliedsstaaten hergestellte MALE-Drohne oder direkt Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen vorigen Projekte auch, „mangels Interesse der Regierungen“10 marktverfügbare amerikanische oder israelische Drohnen in scheiterte, wie die Branchenzeitung Flugrevue schrieb. Trotz die Bundeswehrhangars (vermutlich nach Jagel)18 kommen dieser Fehlschläge wurden die Bemühungen für eine gemein- sollen, war lange umstritten. same Entwicklung nicht aufgegeben. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestags- An der Entwicklung eines zweiten Systems, eines unbemann- fraktion, Rainer Arnold, zeigte sich im April 2013, als er noch ten Luftkampfflugzeugs (UCAV), arbeitet das französische auf der Oppositionsbank saß, skeptisch, was die direkte Be- Unternehmen Dassault Aviation mit den Partnern Alenia Aer- schaffung von bewaffneten MALE-Drohnen anbelangt. Wenn macchi (Italien), Saab (Schweden), Airbus Defence and Space am Ende der Debatte die Entscheidung für eine solche fiele, (Spanien), Ruag (Schweiz) und HAI (Griechenland). Dieses dann solle eine „gezielte Kooperation zwischen Großbritan- Projekt heißt nEUROn. Das britische Rüstungsunternehmen nien, Frankreich und Deutschland zur Entwicklung dieser BAE arbeitet mit dem Projekt Taranis ebenfalls an einem Systeme eingeleitet werden“.19 Ganz der Industriepolitiker UCAV.11 Bei einem UCAV handelt es sich um eine dezidiert fügte er hinzu: „Ein Kauf von der Stange auf dem amerika- offensiv ausgerichtete Drohne, oder wie Thomas Wiegold und nischen Markt würde den Weg für eine europäische Lösung Kai Biermann schreiben, „eine echte Kampfdrohne“.12 2010 erschweren, wenn nicht gar verbauen“.20 Bis ein solches eu- haben Frankreich und Großbritannien in den sogenannten ropäisches System verfügbar wäre, solle die Bundeswehr den Lancaster House Treaties vereinbart, in Zukunft eine stärke- Leasingvertrag über die Heron 1 verlängern.21 Auch Florian re verteidigungs- und rüstungspolitische Zusammenarbeit zu Hahn von der CSU favorisierte 2013 die Entwicklung einer pflegen. Dies war der Grundstein für den Auftrag der beiden „European MALE“ und sagte, er könne sich „vorstellen, auf Regierungen zur Erstellung einer Machbarkeitsstudie zu einem die Zwischenlösung durch REAPER und HERON komplett zu zukünftigen Luftkampfsystem (Future Combat Air System, verzichten“.22 FCAS) vier Jahre später (2014) im Umfang von 146 Mio. €. Mitte 2013 schien die Wahl dann doch auf die Reaper gefal- Dabei sollen die Erfahrungen aus dem französischen UCAV len zu sein, doch wurde die endgültige Entscheidung auf nach nEUROn mit denen des britischen Pendants Taranis zusam- der Bundestagswahl vertagt.23 Durch die Wahlniederlage der mengeführt werden.13 Bis 2030 soll das FCAS fertig entwi- FDP musste sich die CDU einen neuen Koalitionspartner su- ckelt werden. Ein mögliches Ziel des FCAS soll es sein, dass chen. Dadurch, dass die SPD vor der Wahl Vorbehalte gegen- bemannte Maschinen, vermutlich die nächste Generation von über der Beschaffung von Kampfdrohnen geäußert hat, wur- Rafaele (Frankreich) und Typhoon (Großbritannien) Kampf- de eine rasche Entscheidung verhindert. Damals wollte man flugzeugen, mit unbemannten interagieren und offensive Ope- in der SPD keine sofortige 180 Grad Wende bei dem Thema rationen gemeinsam durchführen können. Anders als die eben vollziehen und so einigte man sich im Koalitionsvertrag auf angesprochenen MALE Drohnen sollen UCAVs im Verbund eine Prüfung „alle[r] damit [der Beschaffung neuer Waffensys- mit bemannten Kampfflugzeugen gegen die gegnerische Luft- teme, Anm. d. Autors] im Zusammenhang stehenden völker- waffe vorgehen können und so die Lufthoheit erobern und si- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethi- chern.14 Wie bei der MALE Klasse ist auch hier die amerika- schen Fragen.“24 Jedoch wird bereits ein Absatz weiter oben nische Rüstungsindustrie der europäischen voraus, so wurden im Koalitionsvertrag die Unterstützung der Koalition für „eine mehrere „Erfolge“ der von Northrop Grumman entwickelten europäische Entwicklung für unbemannte Luftfahrzeuge“ zu- Drohne X-47B bei der autonomen Luftbetankung sowie bei gesagt.25 Start und Landung auf einem Flugzeugträger gemeldet – bei- Die Debatte, bzw. der Schein einer Debatte, war nach einer des ist insbesondere bei Einsätzen in umkämpften Luftraum, Anhörung im Verteidigungsausschuss am 30. Juni 2014 dann wo die Drohnen nicht vor Ort am Boden gewartet werden kön- auch schnell beendet. Die verantwortliche Ministerin Ursula nen, von besonderer Relevanz. Aber auch nEUROn und Ta- von der Leyen, die sich bis hierhin zögerlich in der Drohnen- ranis sind in der Entwicklung fortgeschritten, so wurden im frage zeigte, sprach sich in einem Interview, welches zwei Tage Herbst 2015 erste Waffentests in Schweden durchgeführt.15 später, am 2. Juli 2015, gedruckt wurde, für eine Zwischenlö- sung aus, welche die Heron 1 ablösen soll und auch bewaffnet 3 Das Projekt Eurodrohne aus drei werden kann, „da die neueren Modelle ohnehin bewaffnungs- Perspektiven: Staat, Industrie und EU fähig sind“.26 Langfristig solle es aber eine europäische Droh- ne geben und dafür nennt sie zwei Gründe: Erstens bräuchte 3.1 Eine europäische Drohne für nationale Europa die eigene Entwicklung, um unabhängiger von anderen Interessen? Staaten zu werden, gerade vor dem Hintergrund der NSA-Af- färe. Zweitens benötige Europa die „Technologie einer Aufklä- Der Wunsch nach Kooperation bei Forschung und Entwick- rungsdrohne [ ] nicht nur unter militärischen Gesichtspunkten, lung im Kontext mit unbemannten Systemen besteht seitens sondern vor allem für die zivilen Möglichkeiten, die dahinter der Bundesregierung schon lange. Bereits unter Bundeskanzler stecken“.27 Dabei scheint sich schon gar nicht mehr die Frage Gerhard Schröder wurde am 26. November 2001 mit Frank- zu stellen, ob eine europäische Drohne, die also den Namen reich, Italien, Spanien, Schweden und Großbritannien ein Me- der „Friedensmacht Europas“ trägt, bewaffnungsfähig sein soll morandum of Understanding unterzeichnet, das die Entwick- oder nicht. Denn „für die Entwicklung einer Drohne ohne Be- lung der benötigten Technologie für ein FCAS, das nach 2020 waffnungsfähigkeit würden wir [die Bundesregierung, Anm. d. einsatzfähig sein sollte, vorsah.16 Kooperationen im Bereich Autors] auch gar keine europäischen Partner finden.“28 der Forschung insbesondere zu zivilen Drohnen gab es bereits Die Entscheidung zur Entwicklung einer europäischen Lö- zuvor und man erhofft sich durch Forschungsprojekte wie Sa- sung wurde jedoch nicht ohne Kritik zur Kenntnis genommen. gitta, einem UCAV mit hohem Autonomiegrad, und Barracuda Volker Schwichtenberg, Herausgeber der rüstungsnahen Zeit- Erkenntnisse, die in die Herstellung einer operativen Drohne schrift Wehrtechnik, stellt die europäische Entwicklung einer einfließen sollen.17 Ob aber eine in Kooperation mit anderen Drohne infrage und kritisiert, warum der in der Vergangenheit
6 Ausdruck Februar 1/2016 Next-GenWS ist eine enge Kooperation mit anderen europä- Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen ischen Staaten geplant, da „[d]ie Entwicklung unterschiedli- cher Plattformversionen für unterschiedliche Nationen [ ] nicht zielführend [sei].“34 Auch die rüstungspolitische Zielrichtung wird in dem Papier zum Ausdruck gebracht: „Sowohl für die Ziellösung eines europäischen MALE UAS als auch für ein NextGenWS können für die jeweilige Fähigkeit Schlüssel- technologien durch die deutsche wehrtechnische Luftfahrt- industrie beigetragen werden. Rüstungspolitisch betrachtet sollte Deutschland bestrebt sein, die Gesamtsystemfähigkeit für UAS sowie das notwendige technologische Know-how zur Zulassung und unbeschränkte Integration in den allgemeinen Luftverkehr zur Wahrung der eigenen Zukunftsfähigkeit zu Das Modell zeigt die Studie der Eurodrohne, wie sie Airbus sichern.“35 Warum die unbeschränkte Integration unbemann- auf der Pariser Air Show 2013 präsentiert hat. Foto: Tango- ter Systeme in den europäischen Luftraum aus militärischen paso/wikimedia Gesichtspunkten gewünscht ist, dies wird auch genannt: „Ziel im Bereich der unbemannten Luftfahrt ist der Betrieb im allge- so häufig gescholtenen Industriepolitik Vorrang gewährt wer- meinen europäischen Luftraum zur Gewährleistung des Aus- den solle. Dabei habe sich das Bundesministerium der Vertei- bildungs- und Einsatzflugbetriebs.“36 Bislang musste die Aus- digung (BMVg) in der Vergangenheit für 80%-Lösungen und bildung, um eine Heron Drohne steuern zu können, meistens „Military of the shelf“-Produkte ausgesprochen. Dies bedeutet, in Israel bei der Herstellerfirma erfolgen. Seit 2014 steht für dass Rüstungsgüter gekauft werden sollen, die sofort verfügbar die Ausbildung zusätzlich ein Simulator im schleswig-holstei- sind, aber möglicherweise nicht den vollen Wünschen und An- nischen Kropp zur Verfügung.37 forderungen des Ministeriums entsprechen. Mit der europäi- Bis zur Marktreife der europäischen Drohne, die vor 2025 schen Lösung sei zu erwarten, dass „die Truppe“ wieder länger nicht erreicht sein dürfte, wird also noch einige Zeit ins Land auf das Endprodukt warte.29 streichen. Nichtsdestotrotz sollen die Soldat_innen nicht auf Zu erwähnen ist noch das Interesse des BMVg an der Hal- unbemannte Aufklärung und „Schutz“ von oben verzichten tung der Bevölkerung zu dem Thema Drohnen bei der Bun- müssen. Also wird in der Bundeswehr nach einer Ablösung der deswehr und deren Bewaffnung. In der Bevölkerungsumfrage Heron 1 gesucht, die momentan über Afghanistan kreist und des Jahres 2013 des Zentrums für Militärgeschichte und Sozi- für Bildaufklärung sorgt. Auf Basis der Bilder können dann alwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) wurde hier noch Luftschläge durch Partnerstaaten angefordert werden. Somit ausgiebig nach der Akzeptanz gefragt. Auf die Frage, ob die erledigen die vermeintlich „sauberen“ Aufklärungsdrohnen Bundeswehr in Zukunft zu ihrer Ausrüstung auch bewaffnete nur die Vorbereitung für den „schmutzigen“ und tödlichen Part Drohnen zählen solle, beantworteten dies neun Prozent der Be- der Kriegsführung. Bei der Entscheidung für eine Übergangs- fragten mit „stimme zu“ und 15 Prozent mit „stimme eher zu“. lösung hat die Verteidigungsministerin ihre anfänglich zöger- Mit „lehne eher ab“ antworteten 19 Prozent, mit einem klare- liche Haltung bezüglich bewaffneter Drohnen aufgegeben und ren „lehne ab“ 31 Prozent und 26 Prozent hatten keine Mei- forderte eine bewaffnete Nachfolge. Zwei Modelle waren da- nung, bzw. haben keine Angabe gemacht.30 Die Studie fasste bei in der engeren Auswahl: Zum einen die oben bereits ge- dies mit den Worten zusammen: „Drei Viertel der Befragten nannte MQ-9 Reaper von General Atomics, bzw. deren Weiter- zeigen sich folglich ablehnend oder unentschieden hinsichtlich entwicklung für den europäischen Markt. Dieses Modell nennt dieser Fragestellung“.31 sich Certifiable Predator B (CPB) und soll leichter für den eu- Eine Meldung vom November 2015 hinterlässt den Eindruck, ropäischen Luftraum zugelassen werden können.38 Die zweite dass nach der von der Ministerin getroffenen Entscheidung, Option war die Heron TP, das Nachfolgemodell der momentan bewaffnete Drohnen anzuschaffen, das Interesse des BMVg im Einsatz befindlichen Heron 1, des israelischen Rüstungs- an der Haltung der Bevölkerung zu dem Thema nachzulassen konzern Israel Aircraft Industries (IAI). Eine Entscheidung für scheint. Aus den noch zu erscheinenden „Ersten Ergebnisse eines der Produkte, ob zum Kauf oder als Leasing, wurde für der Bevölkerungsbefragung 2015“ des ZMSBw wurde vor- Ende 2015 angekündigt.39 Öffentlich wurde der Entschluss für ab Folgendes öffentlich: „Im Vergleich zur Vorjahresuntersu- die Israelische Heron TP dann am 12. Januar 2016. Demnach chung entfielen aufgrund ministerieller Weisung Fragen zum sollen übergangsweise ab 2018 drei bis fünf Drohnen geleast Ukrainekonflikt, zur Bewertung und zu den Auswirkungen des werden, bis die europäische Drohne in Dienst gestellt werden Afghanistaneinsatzes sowie zur gesellschaftlichen Akzeptanz kann. Geplant wird mit Kosten von mindestens 580 Mio. €. Da von Drohnen. Damit liegen zu diesen politisch sensiblen und die Drohnen in Israel stationiert und gewartet werden sollen, relevanten Themen keine aktuellen Informationen vor.“32 So- umgeht man auch die Zulassungsschwierigkeiten für den eu- mit verzichtet hier das Ministerium bewusst darauf, sich von ropäischen Luftraum. Vertragspartner_innen werden IAI und dem eigenen Institut einen Überblick über die Stimmung in Airbus Defence and Space seien.40 Auf dem Blog Augengera- diesen Fragen geben zu lassen. deaus! ist zu lesen, dass die Drohnen „vom Taktischen Luft- Die Militärische Luftfahrtstrategie 2016 des BMVg zeigt, waffengeschwader 51 Immelmann in Jagel betrieben [wer- dass der Einsatz der europäischen Drohne im Verbund mit den den]“41 sollen. Ob hier nur gesagt wird, dass die Operator aus bereits verfügbaren Kampfflugzeugen Tornado und dem Eu- dem Luftwaffengeschwader kommen, was wenig überrascht, rofighter, beziehungsweise dem sogenannten Next Generation oder ob daraus auch schon zu schließen ist, dass man den Ab- Weapon System (Next-GenWS), welches die Tornados ablö- stand der Bedienungs-Crews vom Einsatzort vergrößert, da die sen soll und bemannt, unbemannt oder optional bemannt sein Drohnen künftig aus Jagel (und nicht von Afghanistan aus) ge- soll, im Rahmen des FCAS fest eingeplant ist.33 Auch beim steuert werden sollen, dazu liegen zum Zeitpunkt des Verfas-
Ausdruck Februar 1/2016 7 sens der Studie noch nicht genügend Informationen vor. Träfe Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen letzteres zu, würde sich die Bundeswehr von der bisherigen Praxis verabschieden. Denn die momentan in Afghanistan sta- tionierten Drohnen werden aus einer Ground Control Station heraus gesteuert, die im Camp Marmal in Masar-e Sharif steht. In einem Interview sagte ein Drohnenpilot der Bundeswehr, der in Afghanistan Einsätze mit der Heron 1 flog, folgendes: „Meine persönliche Meinung ist, dass man, wenn man vor Ort ist, einen besseren Bezug zu der Mission hat. [ ] Man ist in Af- ghanistan näher am Geschehen. Ich denke, man nimmt es auch im Kopf anders wahr, als wenn ich morgens meinen Sohn zur Schule bringe und dann hier die Mission fliege. Dann handelt man eventuell anders als im Einsatzland.“42 Auch andere europäische Staaten stehen vor ähnlichen Ent- US Drohnen-Operatoren, die in der Creech Air Force Base scheidungen, bei manchen wurde diese bereits gefällt. Spanien Drohnen steuern. Foto: U.S. Air Force photo/Staff Sgt. N.B. hat nun 158 Mio. € von 2016-2020 ins Verteidigungsbudget für den MALE-Drohnenkauf eingeplant. Ende November wurde ist einer der vier Staaten, mit den USA, Israel und Pakistan, die sich für das Modell Reaper entschieden. Es sollen vier Droh- bereits bestätigte Luftangriffe mit Drohnen durchgeführt ha- nen und zwei Bodenkontrollstationen angeschafft werden, die ben. Aktuell setzt Großbritannien seine Reaperdrohen im Irak ersten Drohnen sollen 2017 geliefert werden.43 Der Fokus liegt und in Syrien beim Kampf gegen den Islamischen Staat ein, auf den ISR-Fähigkeiten der Drohne, doch scheint sich die Re- obwohl das britische Unterhaus einen Einsatz in Syrien lange gierung eine Bewaffnung vorstellen zu können.44 Frankreich Zeit nicht genehmigt hatte (das Unterhaus stimmte erst am 2. hat die Entscheidung für die Reaper Drohne bereits 2012 ge- Dezember 2015 Angriffen in Syrien zu). Es wurden jedoch be- troffen und wird den Bestand bis 2019 sukzessive auf zwölf reits bei einem Drohnenangriff am 21. August 2015 „gezielt“ Exemplare ausbauen.45 Im Laufe des Jahres 2016 soll der der- britische Staatsangehörige getötet.54 Premierminister David zeitige Bestand von vier Drohnen des Typs auf acht angeho- Cameron möchte die Flotte von derzeit ca. zehn Reapern durch ben werden. Weitere vier Reaper sollen dann 2019 eintreffen.46 20 neuere Modelle des Typs Certifiable Predator B ersetzen. Italien hatte sich als erster europäischer Staat für die Drohnen Diese sollen allerdings umbenannt werden und Protector („Be- aus dem Hause General Atomics entschieden und hat die ersten schützer“) heißen und anders als die Reaper auch im nationa- Fluggeräte 2005 im Rahmen der „Operation Iraqi Freedom“ len Luftraum fliegen können.55 eingesetzt. Auch in Afghanistan, dem Kosovo, Kuwait und Es hat sich gezeigt, dass der politische Wille der Bundesre- Dschibuti sind die italienischen Drohnen eingesetzt worden, gierung einer gemeinsamen europäischen Produktion von grö- ebenso wie sie während der Marinemissionen Mare Nostrum ßeren Drohnen schon seit geraumer Zeit besteht. Die Bundes- über dem Mittelmeer kreisten. Aktuell werden die Drohnen wehr setzt seit 2011 größere Drohnen ein und ab 2018 sollen auch bei der EU-Mission EUNAVOR MED eingesetzt, die es dann nach dem Willen der Großen Koalition aus CDU und sich gegen vermeintliche Schlepper und damit auch gegen die SPD auch bewaffnungsfähige bzw. bewaffnete sein. Der Schritt Migrationsbewegung über das Mittelmeer richten soll.47 Seit zur Aufrüstung mit Drohnen wird durch die Notwendigkeit Ende November 2014 können die Drohnen des Militärs durch zum Schutz der Soldat_innen erklärt, die Zugleich in immer eine Kooperationsvereinbarung auch von der Polizei und den offensivere und robustere Kampfeinsätze entsendet werden.56 Carabinieri innerhalb Italiens zur Beobachtung von Großer- Ferner spielt auch der industriepolitische Aspekt eine wichtige eignissen wie Fußballspielen oder Demonstrationen genutzt Rolle für die Entscheidung, eine europäische Drohne produ- werden.48 Mittlerweile verfügt Italien sowohl über das Modell zieren zu wollen. Predator A als auch Reaper, noch jeweils in der unbewaffneten Ausführung.49 Anfang November hat Italien aber die Genehmi- 3.2 Die europäische Rüstungsindustrie will ein gung des US State Department erhalten, die Reaper Drohnen Stück vom Kuchen in Zukunft bewaffnen zu dürfen (der Kongress muss die Ent- scheidung noch bestätigen). Diese Genehmigung kommt vier Die europäische Rüstungsindustrie drängt schon lange auf In- Jahre nachdem Italien erstmals 2011 um die Genehmigung für vestitionen in die Forschung und Produktion von Drohnen aus die Bewaffnung bat. Der Deal kostet Italien knapp 130 Mio. europäischen Schmieden. Sie wollen ein Stück des Kuchens US $. Im Gegenzug erhält Italien von dem Vertragspartner vom sich entwickelnden Drohnenmarkt abhaben. Für 2015 General Atomics allein 156 Stück Hellfire II Raketen, neben rechnen die Marktanalysten der Teal Group mit einem Umsatz weiterer Bewaffnung, wie lasergeleiteten Bomben.50 Ab 2016 von ca. 4 Mrd. US$. Im Jahr 2025 gehen die Analysten von ei- sollen nochmal sechs MALE-Drohnen dazukommen, dieses nem möglichen Umsatz von bis zu 14 Mrd. US$ aus.57 Obwohl Mal kein US-Import, sondern von der Firma Piaggio das Mo- die Industrie stets die Vorteile und Chancen der Drohnennut- dell Hammerhead, welches die erste operable MALE-Drohne zung für zivile Stellen und für die Konsumenten preist, wird aus einer europäischen Rüstungsschmiede wäre.51 Auch die der militärische Markt nach verschiedenen Analysen und Pro- Niederlande haben sich Anfang 2015 für den Kauf von vier gnosen in den nächsten zehn Jahren der dominante bleiben. Bis Reapern entschieden, diese können bewaffnet werden, was die 2025 wird sich der Drohnenmarkt nach der Teal Group Studie Königliche Niederländische Luftwaffe jedoch gegewnwärtig wie folgt aufschlüsseln: 72% Militär, 23% Konsumenten, 5% wohl noch nicht vor hat. Die Beschaffung kostet rund 300 Mio. Zivil, vorausgesetzt der Luftraum wird für die unbemannten €.52 In den Niederlanden soll demnächst auch das erste nordeu- Geräte geöffnet. Laut einer anderen Studie von IHS Jane‘s In- ropäische Trainingszentrum für Drohnenpiloten, hauptsächlich telligence Review wird bis 2024 mit einem jährlichen Wachs- für Drohnen von General Atomics, entstehen.53 Großbritannien tum des militärischen Drohnenmarktes von 5,5% gerechnet.
8 Ausdruck Februar 1/2016 ten werden, was bedeutet, dass die Drohne je nach Aufgabe Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen schnell durch eine andere Ladung an den jeweiligen Auftrag angepasst werden kann. Wenn die Drohne lange in der Luft bleiben muss, kann ein zusätzlicher Tank integriert werden, für Überwachungsaufgaben, kann sie mit weiteren Sensoren ausgerüstet werden oder es können auch Bomben in der Lade- bucht Platz finden.65 Airbus hat die Vorstellung, eine größere Version der Talarion als fertiges Produkt anzubieten. Allein Airbus hatte in das gescheiterte Projekt Talarion 500 Mio. € an Eigenmittel investiert. Die Unternehmen warten bei Rüstungsprojekten nur noch zu einem Teil auf Wunsch- listen aus den Verteidigungsministerien, sondern investieren vermehrt selbst, bieten den Regierungen dann die Ergebnisse Heron Drohne wird in Afghanistan betriebsbereit gemacht. an und setzten die Politik mit Ängsten über den Verlust von Foto: Flickr/Bundeswehr/Sebastian Wilke Wettbewerbsfähigkeit, Schlüsselkompetenzen für die eigenen Streitkräfte und Arbeitsplätzen unter Druck. Beim Aufbau von Bei dieser Studie wurde allein der Rüstungssektor betrachtet diesem Druck sind auch die Gewerkschaften behilflich. So ver- und die Analysten rechnen nur hier bereits für 2015 mit 6,4 suchte die IG-Metall über den damaligen Wirtschaftsminister Mio. US$ Umsatz. Bis 2024 wird der Militärmarkt dann rund Philipp Rösler einen Stopp für die „Sparpläne“ des Verteidi- 10 Mrd. US$ ausmachen.58 Durch neue Exportmodelle wie gungsministers Thomas de Maizière durchzusetzen, die auch den Predator XP, einer nicht bewaffnungsfähigen Version, die die Drohne Talarion betreffen sollten. Bernhard Stiedl, EADS überwiegend in Partnerstaaten der USA in Afrika, dem Nahen Beauftragter der IG-Metall deutete gegenüber dem Handels- und Mittleren Osten exportiert werden soll, und den wahr- blatt an, dass – wenn Talarion gestoppt würde – die gesamte scheinlich 2017 verfügbaren Certifiable Predator B für den eu- Entwicklung und Produktion aller militärischen Flugzeugen ropäischen Markt wird die USA Israel als führenden Exporteur nicht länger in Deutschland stattfinden würde. Daran hingen des Jahres 2014 ablösen. Für westeuropäische Unternehmen damals angeblich 25.000 Arbeitsplätze.66 Doch das Aus für wird damit gerechnet, dass sie zwischen 2015 und 2024 Droh- Talarion konnte trotz der Werbung von Industrie und Gewerk- nen im Wert von 1,4 Mrd. US $ verkaufen werden.59 Und nicht schaft nicht verhindert werden. Als Folge daraus entließ Airbus nur der Markt für die Fluggeräte befindet sich im Wachstum, etwa die Hälfte seiner Ingenieur_innen, die bei der Drohnen- auch der für das Zubehör wie Kameras, Radargeräte und für entwicklung beschäftigt waren. Von 600 Mitarbeiter_innen die Aushorchung von elektronischen Signalen (Signal Intelli- hätten 250 bis 300 ihre Anstellung verloren. 2014, nachdem gence, kurz SIGINT) wird sich zwischen 2015 und 2025 mehr sich Verteidigungsministerin von der Leyen für die Anschaf- als verdoppeln (von 3,1 auf 6,4 Mrd. US $).60 Im Bereich der fung von bewaffneten Drohnen ausgesprochen hatte, hieß es militärischen Forschung wird von 2015 bis 2025 mit Ausgaben von Stiedl, würde nun die Entwicklung einer europäischen um die 30 Mrd. US $ gerechnet.61 Drohne begonnen, könnten alleine am Standort Manching Um in diesem umkämpften Markt mitreden zu können, haben 1.500 Arbeitsplätze gesichert werden. Wie Airbus auf diese drei große europäische Rüstungsunternehmen kurz vor dem Zahl kommt, blieb zumindest gegenüber einem Journalisten Start der Pariser Air Show 2013 angekündigt, in Zukunft bei der der Tageszeitung die Welt unbeantwortet.67 Entwicklung einer MALE-Drohe zusammenzuarbeiten. Dabei Obwohl von Seiten der Politik, gerade auch von der Vertei- handelt es sich um Dessault Aviation (Frankreich)62, Alenia Ae- digungsministerin Ursula von der Leyen, erst versucht wurde, rmacchi (gehört zu Finmeccanica, Italien) und Airbus Defence sich unabhängig von der Rüstungsindustrie zu zeigen und Di- and Space (z.T. Deutschland). Begründet wurde der Schritt sei- stanz zu wahren, gab es schon früh Anzeichen, wohin der Weg tens der Firmen wie folgt: „Solch ein gemeinsames Programm geht.68 So wurde mit der Nutzungsgemeinschaft für Drohnen, würde den Fähigkeitsbedarf europäischer Streitkräfte nutzen, die am 19. November 2013 gegründet wurde, die Absicht ver- während die schwierige Budgetsituation durch das Poolen der kündet, eine europäische Drohne entwickeln zu wollen. Zu Finanzierung von Forschung und Entwicklung optimiert wür- diesem „Drohnen-Club“ gehören Frankreich, Italien, Deutsch- den.“63 Hier bitten, wenn nicht betteln die Firmen geradezu land, Spanien, Polen, die Niederlande und Griechenland. Von um einen entsprechenden Auftrag von ihren Regierungen. Wie der European Defence Agency (EDA), die von den sieben Na- die rüstungsnahe Website breakingdefence schreibt, versuchen tionen mit der Erstellung einer Studie für eine gemeinsam pro- die Firmen mit Lockangeboten Überzeugungsarbeit zu leisten. duzierte Drohne für Militär und Grenzschutz beauftragt wurde, Die europäische Souveränität und Unabhängigkeit bei der Ver- nannte Peter Round, der Direktor für Fähigkeiten, Ausrüstung arbeitung von Daten würde bei einer Entwicklung durch die und Technologie der EDA, daher den 19. November 2013 den drei Firmen gewahrt bleiben, es würden gute Jobs erhalten und „Startschuss, der uns ermöglicht mit der Arbeit an einem euro- geschaffen und die Firmen versprechen, sich mit Lobbyarbeit päischen ferngesteuerten Luftfahrtsystem zu beginnen.“69 einem der bislang schwierigsten Probleme beim Betrieb von Die drei Firmen Dessault Aviation, Alenia Aermacchi und Drohnen anzunehmen: Sie würden die zuständigen Stellen Airbus Defence and Space wollen den Auftrag ihrer Regie- auf nationaler wie europäischer Ebene überzeugen, dass sich rungen bekommen, diese zeigten sich aber – auch nach Un- Drohnen in Zukunft im selben Luftraum bewegen können, in terzeichnung der zu Beginn genannten Absichtserklärung der dem auch der zivile Flugverkehr stattfindet.64 drei Verteidigungsminister_innen – zögerlich, sie auch mit der Anders als die Mitgliedsstaaten haben die Rüstungsfirmen Definitionsstudie zu beauftragen. Auf eine Kleine Anfrage der schon genaue Vorstellungen von der Drohne. So soll sie so- Linksfraktion hieß es noch im Juli 2015: „Ob die genannten wohl über die Satellitenverbindungen von NATO, EU und UN Unternehmen Auftragnehmer einer MALE-UAS-Studie (UAS gesteuert werden können. Die Ladebucht soll modular gehal- – Unmanned Aerial Systems) werden, ist noch nicht entschie-
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