Liebe Leserinnen und Leser des politicum! - LANDESHAUPTMANN HERMANN SCHÜTZENHÖFER

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Liebe Leserinnen und Leser des politicum! - LANDESHAUPTMANN HERMANN SCHÜTZENHÖFER
© Erwin Scheriau
                                                                Liebe Leserinnen
                                                                und Leser des politicum!
                                                                LANDESHAUPTMANN
                                                                HERMANN SCHÜTZENHÖFER

In der nunmehr 120. Ausgabe des politicum,                      aller beteiligten Akteure ist zwingende Notwen­
diesmal der Zukunft unseres Gesundheitssys­                     digkeit für eine gelungene Umsetzung. Dement­
tems gewidmet, wird in bewährter Form ein sehr                  sprechend geben in dieser Ausgabe des politi­
heikles und mit hoher Emotionalität verbun­denes                cum auch alle im Landtag Steiermark vertre­
Thema von hochkarätigen Expertinnen und Ex­                     tenen Parteien ihre Sichtweise zu diesem Vor­
perten aus den unterschiedlichsten Bereichen                    haben wieder.
beleuchtet.                                                     Es gibt aber viele weitere brennende Fragen
Warum das Thema Gesundheit ein so emotio­                       inner­halb des Themenkomplexes, wie etwa das
nales und niemals spannungsfreies ist, braucht                  der Landärzte und somit der Gesundheitsver­
keine Erklärungssuche. Jeden von uns betrifft es                sorgung der ländlichen Räume oder ELGA, die
persönlich. Denn Gesundheit ist ein wesentlicher                elektronische Gesundheitsakte, und die durch­
Bestandteil von Lebensqualität. Und Gesund­                     aus kontroversielle Auseinandersetzung damit,
heitsversorgung ist ein wesentlicher Bestandteil                und vieles andere mehr.
des umfassenden Sicherheitsgefühls der Men­                     Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern des
schen.                                                          politicum viel Freude mit dieser ehrlichen und
Der Steirische Gesundheitsplan 2035 ist eines                   mutigen Auseinandersetzung zum steirischen
der ambitioniertesten Projekte der steirischen                  Gesundheitssystem (und darüber hinausgehend)
Landespolitik. In Gesprächsterminen quer durch                  und danke allen Autorinnen und Autoren für ihre
die steirischen Regionen wurden die Pläne und                   Bereitschaft, sich konstruktiv an der inhalt­lichen
Vorhaben bereits skizziert – große Einbindung                   Debatte zu beteiligen.

                                                                                    Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                                   1
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Editorial Klaus Poier ________________________________________________________________           5
Der Steirische Gesundheitsplan 2035 – Über Grenzen hinweg denken Christopher Drexler ____        6
Gesundheitsreform: den Menschen in den Mittelpunkt stellen Ursula Lackner _______________       10
Wie sichern wir am besten
die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems? Hans Jörg Schelling ___________________        14
Gesundheitspolitik für das 21. Jahrhundert Sabine Oberhauser ___________________________        16
ENDLICH: Die Steiermark im Aufbruch Clemens Martin Auer _____________________________           20
Ist unser Gesundheitssystem reformierbar? Ulrike Rabmer­Koller __________________________       22
Entwicklungen in der Medizin –
Betrachtung der Grazer Universitätsmedizin von 1863 bis heute Hellmut Samonigg __________       24
Die MedVision 2030 als Teil des Gesundheitsplanes 2035 Karlheinz Tscheliessnigg, Ernst Fartek   28
Gesundheit darf niemals zum Luxus werden! Verena Nussbaum __________________________            32
Die beste und qualitativ hochwertigste
Versorgung im Krankheitsfall als Ziel Michael Koren, Bernd Leinich ________________________     34
Gesundheitspolitik mit den Menschen Herwig Lindner ___________________________________          40
Mehr Qualität für die steirischen Patientinnen und Patienten Renate Skledar ________________    42
Der Steirische Gesundheitsplan 2035 aus Sicht der FPÖ Mario Kunasek ___________________         44
Gesunde Steiermark – auch morgen und übermorgen noch! Lambert Schönleitner __________           46
Gesundheit ist kein Geschäft! Claudia Klimt­Weithaler ___________________________________       48
Nutzen wir die Chancen im Gesundheitssystem Josef Herk ______________________________           50
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politicum 120                                                Herausgeber | Christopher Drexler

Die richtige Leistung, zur richtigen Zeit,
am richtigen Ort, mit der besten Qualität! Josef Pesserl __________________________________    54
Die Zukunftsperspektiven des Krankenversorgungswesens aus Sicht
des Zentralbetriebsrates der Stmk. KAGes und der GÖD Gerhard Hammer, Michael Tripolt ___       56
Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum –
Das Mariazellerland als Beispiel Manfred Seebacher ____________________________________        58
Der Notfall Klaus Pessenbacher ______________________________________________________          60
Auf dem Weg zu einem neuen Regionalen Strukturplan Gesundheit Wolfgang Habacher _____          62
Gesundheitsberichterstattung in der Steiermark Christa Peinhaupt ________________________      64
ELGA – die elektronische Gesundheitsakte –
Plattform für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens Werner Leodolter ______________      67
Sicherheit und Lebensfreude: „HerzMobil Tirol“ hat sich bereits bei
150 PatientInnen bewährt – Nun auch Zusammenarbeit mit der Steiermark Bernhard Tilg ____       70
e­Medikation erhöht Arzneimittelsicherheit und Lebensqualität Gerhard Kobinger ____________    72
Digital Healthcare­Pilotprojekt im Mürztal – Versicherungsanstalt
für Eisenbahnen und Bergbau baut ihre digitalen Gesundheitsdienste aus Kurt Völkl _________    74
Kinder­ und Jugendpsychiatrie in der Steiermark Katharina Purtscher­Penz _________________     76
Das steirische Gesundheitssystem
im internationalen Vergleich Herwig Ostermann, Florian Bachner, Martin Zuba _______________    78
Neue Wege in der Ausbildung für Gesundheitsberufe Karl Peter Pfeiffer, Günter Riegler ______   84

Wissenschaftlicher Beirat ___________________________________________________________          89
Autorinnen und Autoren ____________________________________________________________            90
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stichwort   AUTOR

4 politicum 120
Liebe Leserinnen und Leser des politicum! - LANDESHAUPTMANN HERMANN SCHÜTZENHÖFER
KLAUS POIER       editorial

                                                      Das steirische
                                                      Gesundheitssystem
                                                      der Zukunft
                                                      KLAUS POIER

D
        ie Steiermärkische Landesregierung hat        eine Gesundheitspolitik 4.0 die Bedürfnisse der
        2016 ein Leitbild „Steirischer Gesund­        Menschen ansprechen müsse. Ombudsfrau
        heitsplan 2035“ zur Diskussion vorge­         ­Renate Skledar fordert mehr Qualität für die stei­
legt. Das vorliegende politicum 120 geht in be­        rischen Patientinnen und Patienten. Aus Sicht der
währter umfassender und pluralistischer Weise          Opposition beurteilen die Klubobleute Mario
unterschied­lichen Aspekten des steirischen            Kunasek, Lambert Schönleitner und Claudia
                                                       ­
Gesundheits­systems der Zukunft nach.                  Klimt-Weithaler die vorgelegten Pläne kritisch.
Gesundheitslandesrat Christopher Drexler plä­          Unterstützende Stimmen kommen von den
diert insbesondere für eine bundesländerüber­          Sozial­partnern, WK-Präsident Josef Herk und
greifende Koordination im Gesundheitsbereich.          AK-Präsident Josef Pesserl. Die Sicht des Be­
Bildungslandesrätin Ursula Lackner betont, dass        triebsrates bringen Gerhard H ­ ammer und Michael
bei der Gesundheitsreform die Menschen in den          Tripolt ein. Bürgermeister Manfred Seebacher be­
Mittelpunkt zu stellen seien. Finanzminister Hans      leuchtet Fragen der Gesundheitsversorgung im
Jörg Schelling zeigt auf, wie die Finanzierbarkeit     ländlichen Raum, Primarius Klaus Pessenbacher
des Gesundheitssystems am besten gesichert             Aspekte der Notfallmedizin, EPIG-Geschäftsfüh­
werden könne. Für Gesundheitsministerin Sabine         rer Wolfgang Habacher den Prozess zum neuen
Oberhauser muss eine Gesundheitspolitik für das        Regionalen Strukturplan Gesundheit, die Soziolo­
21. Jahrhundert gesundheitliche Chancenge­             gin Christa Peinhaupt die Gesundheitsberichter­
rechtigkeit für alle gewährleisten. Sektionschef       stattung in der Steiermark und Gesundheits­
Martin Auer freut sich über die aktuellen Ambi­        manager Werner Leodolter die elek­tro­nische Ge­
tionen in der Steiermark. Hauptverbandsvorsit­         sundheitsakte (ELGA). Der Tiroler Gesundheits­
zende Ulrike Rabmer-Koller hält unser Gesund­          landesrat Bernhard Tilg berichtet über Erfahrun-
heitssystem trotz aller Widrigkeiten für reformier­    gen mit „HerzMobil Tirol“. Der Präsident der Apo­
bar. Rektor Hellmut Samonigg zeigt die Entwick­        thekerkammer, Gerhard Kobinger, erläutert Vor­
lung der Grazer Universitätsmedizin auf. Die           teile der e-Medikation. Kurt Völkl, Generaldirektor
MedVision 2030 als Teil des Steirischen Gesund­        der Eisenbahner-Versicherungsanstalt, präsentiert
heitsplanes 2035 präsentieren die KAGes-­              ein Digital Healthcare-Pilotprojekt im Mürztal. Pri­
Vorstände Karlheinz Tscheliessnigg und Ernst           maria Katharina Purtscher-Penz ermöglicht Einbli­
Fartek. Die Obfrau der Steiermärkischen Gebiets­       cke in die Kinder- und Jugend­psychiatrie in der
krankenkasse Verena Nussbaum unterstreicht,            Steiermark. Einem internatio­nalen Vergleich wird
dass Gesundheit niemals Luxus werden dürfe.            das steirische Gesundheitssystem durch die Ge­
Für die Geschäftsführer des Gesundheitsfonds           sundheitsökonomen Herwig Ostermann, Florian
Steiermark, Michael Koren und Bernd Leinich, ist       Bachner und Martin Zuba unter­        zogen. Neue
das oberste Ziel die beste und qualitativ hoch­        Wege in der Ausbildung für Gesundheitsberufe
wertigste Versorgung im Krankheitsfall. Herwig         zeigen schließlich FH-­Joan­neum-Rektor Karl Peter
Lindner, Präsident der Ärztekammer, betont, dass       Pfeiffer und Geschäftsführer Günter Riegler auf.

                                                                          Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                         5
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Der Steirische Gesundheitsplan 2035   CHRISTOPHER DREXLER

              Der Steirische
            ­Gesundheitsplan
                  2035
                            Über Grenzen hinweg denken

                             CHRISTOPHER DREXLER

                                                            © Gesundheitsfonds Steiermark

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Liebe Leserinnen und Leser des politicum! - LANDESHAUPTMANN HERMANN SCHÜTZENHÖFER
CHRISTOPHER DREXLER   Der Steirische Gesundheitsplan 2035

                                                         Die Steiermark könnte wieder
                                                         einmal zeigen, dass sie beherzte
                                                         und mutige Schritte zu setzen
                     © Teresa Rothwangl
                                                         bereit ist, dass sie österreichweit
                                                         beispielhaft vorangeht.
                                                         CHRISTOPHER DREXLER

D
           ie Steiermärkische Landesregierung hat        ein fiktiver Schlusspunkt erst in ungefähr 20
           in diesem Jahrtausend schon einmal            Jahren und daher vermeintlich in zeitlich weiter
           ­ihren Willen und ihre Bereitschaft bewie­    Ferne sein soll – ist das andere. Irgendwie und
sen, ein heikles Reformthema professionell anzu­         irgendwann muss man schließlich auch begin­
packen und in eine enkeltaugliche Zukunft zu             nen, dorthin zu kommen; irgendwann müssen
führen. Gemeint ist die Gemeindestrukturreform           die Überlegungen zu konkreten Umsetzungs­
– begleitet von einer umfassenden Verwaltungs­           schritten führen und in ein abschließendes Er­
strukturreform1 –, die nach vielen Diskussionen          gebnis münden.
und auch höchstgerichtlichen Urteilen zu einem
guten und zufriedenstellenden Ergebnis geführt
                                                         Meilensteine
hat. Nun gilt es, in dieser XVII. Gesetzgebungs­
periode, die bis 2020 dauern wird, weitere Wei­          In Zeitraffer seien die weiteren Schritte in Rich­
chen für die Zukunft zu stellen. Die „Koalition.         tung Gesundheitsplan 2035 nur skizziert, da sie
Zukunft.Steiermark“ als Fortführung der Reform­          sehr „technischer“ Natur sind: Entwurf und Dis­
partnerschaft zwischen ÖVP und SPÖ hat sich              kussion eines neuen Regionalen Strukturplanes
daher in ihrem Regierungsübereinkommen dar­              Gesundheit, gesetzliche Anpassungen, die auf­
auf geeinigt, eine „Neuordnung der Spitals­              grund der Vereinbarungen gem. Art. 15a B-VG
landschaft in enger Abstimmung mit dem nieder­           Zielsteuerung-Gesundheit notwendig geworden
gelassenen Bereich“ in Angriff zu nehmen.2               sind, Abhaltung von weiteren konkreten regiona­
Die dafür notwendigen Gründe sind im letzten             len Konferenzen, abschließende Diskussionen
Jahr mannigfach und hinreichend ausgeführt               des Steirischen Gesundheitsplanes, diverse Be­
worden.3 Sie an dieser Stelle aufzuzählen würde          schlüsse in den dafür vorgesehenen Gremien,
zu unnotwendigen Redundanzen führen. Der                 Verordnung des Regionalen Strukturplanes Ge­
„Steirische Gesundheitsplan 2035“ wurde – be­            sundheit sowie schließlich noch vor dem
ginnend mit dem ersten Dialogtag im Juni 2016            Sommer 2017 der Beschluss über weitere
                                                         ­
und sieben steirischen Regionalkonferenzen im            Konkre­ tisierungsschritte im Steiermärkischen
Spätherbst und Winter 2016 – einer breiten               Landtag.
Öffent­lichkeit vorgestellt und zur Diskussion ge­       Wie oft wird der Politik und ihren Verantwor­
bracht4 und wird ja auch in diesem Heft noch             tungsträgern floskelhaft vorgeworfen, sie wür­
einmal zusammenfassend ausreichend ­reflektiert          den nicht über den Tellerrand blicken und wären
und thematisiert.                                        bloße Verwalter des Althergebrachten? Wie oft
Überlegungen sind das eine. Wenn sie grund­              hört man, es gäbe keine Visionen für die Men­
sätzlich sinnhaft scheinen, nimmt man gerne da­          schen und die Zukunft eines Landes? Wie oft
ran teil, diskutiert und argumentiert fleißig mit        hört man den Vorwurf, Überlegungen an Bun­
und es herrscht großes Verständnis für Vor­              desländergrenzen einzustellen und dadurch
haben und Pläne. Das Umsetzen – auch wenn                teure Doppelgleisigkeiten in Kauf zu nehmen?

                                                                              Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                             7
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Der Steirische Gesundheitsplan 2035   CHRISTOPHER DREXLER

                          Für nähere Informationen siehe:
                         www.gesundheitsplan-steiermark.at

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Liebe Leserinnen und Leser des politicum! - LANDESHAUPTMANN HERMANN SCHÜTZENHÖFER
CHRISTOPHER DREXLER   Der Steirische Gesundheitsplan 2035

Ich meine, man sollte a priori jeder klugen Idee       einmal über Bundesländergrenzen hinweg eben
eine Chance geben und jede kluge Idee, auch            auch über gemeinsam betriebene Spitäler oder
wenn sie noch so unkonventionell und unüblich          über spezielle fachliche Kooperationen nachzu­
sein mag, einer ernsthaften Diskussion zu­führen.      denken. Welches Argument, ausgenommen ein
                                                       emotionales, ist anzuführen, dass ein Hartberger
                                                       nicht in Oberwart behandelt und ein Bad Ischler
Föderalismus ja, aber
                                                       nicht in Bad Aussee operiert werden soll? Die
Als vehementer Befürworter des Föderalismus5           Distanz kann es nicht sein. Die Überschreitung
bin ich immer für die Autonomie der österreichi­       einer unsichtbaren Grenze innerhalb Österreichs
schen Bundesländer eingetreten und habe mit            aber wohl auch nicht.
vielen Argumenten gute Verteidigungslinien da­         Es gilt daher meines Erachtens, ohne Scheu­
für entwickelt. Dort, wo sie notwendig schienen.       klappen mögliche gemeinsame Standorte zu
Wo man allerdings ruhig einmal genauer hinse­          diskutieren. Selbstverständlich müssen solche
hen darf, ja geradezu hinsehen muss, ist, im Be­       Gespräche ergebnisoffen sein und offenen Geis­
reich der Gesundheit über die Bundesländer­            tes, was im Englischen mit „open minded“ wahr­
grenzen hinweg zu denken.                              scheinlich besser zum Ausdruck gebracht wird.
Themen, wie beispielsweise der gemeinsame              Die Steiermark könnte wieder einmal zeigen,
Einkauf von Medikamenten oder teuren medizi­           dass sie beherzte und mutige Schritte zu setzen
nischen Geräten zwischen zwei Krankenanstal­           bereit ist, dass sie österreichweit beispielhaft
tenträgern unterschiedlicher Bundesländer, wa­         voran­geht und damit einzementierte Strukturen
ren bis vor wenigen Jahren noch außerhalb un­          aufbrechen kann, die eines modernen und
serer Denkmöglichkeiten. Viel musste diskutiert        digitalen 21. Jahrhunderts ohnehin nicht mehr
                                                       ­
und überzeugt werden, um sich langsam diesen           würdig sind.
Überlegungen von Zusammenschlüssen, die
absolut Sinn machen, nähern zu können.

Ergebnisoffen und open minded
22 Kilometer und 20 Minuten Autofahrt trennen
                                                       1   Vgl. zum Thema etwa das politicum 114 „Reformpart­
das steirische Hartberg vom burgenländischen               nerschaft Steiermark: Strukturreformen“. 33. Jahrgang,
Oberwart. 27 Kilometer und 29 Minuten Auto­                Juni 2012.
fahrt trennen das steirische Bad Aussee vom            2   Der gesamte Text ist unter folgendem Link abrufbar:
                                                           http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/doku­
oberösterreichischen Bad Ischl. An allen ge­               mente/12411003_127313761/d0810fe6/Koalition.Zu­
nannten Orten befinden sich österreichische                kunft.Steiermark.pdf (14.2.2017).
Spitäler bzw. im Fall von Oberwart wird ein            3   Siehe beispielsweise meine Ausführungen im Steirischen
                                                           Jahrbuch 2016 unter dem Titel „Der Gesundheitsplan
neues Krankenhaus entstehen. Es gäbe öster­
                                                           2035. Die Steirerinnen und Steirer sollen gesünder sein
reichweit noch viele weitere Beispiele solcher in­         und länger leben als der Rest der Welt“ (herausgegeben
haltlicher Naheverhältnisse anzuführen.                    von Beatrix Karl et al., Graz 2017).
Kein vernunftbegabter Mensch kann erklären,            4   Ein Überblick über alle Veranstaltungen sowie alle inhalt­
                                                           lichen Schwerpunkte ist zu finden unter www.gesund­
welchen Sinn zwei Krankenhausstandorte in so
                                                           heitsplan-steiermark.at.
enger Distanz zueinander machen. Hingegen              5   Siehe dazu etwa meine Ausführungen im Symposiums­
scheint es viele Argumente zu geben, zukünftig             band „Österreich 22“ (2017).

                                                                              Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                             9
Liebe Leserinnen und Leser des politicum! - LANDESHAUPTMANN HERMANN SCHÜTZENHÖFER
Gesundheitsreform: den Menschen in den Mittelpunkt stellen    URSULA LACKNER

 Gesundheitsreform:
   den Menschen
 in den Mittelpunkt
       stellen
                                      URSULA LACKNER

D
         er Wunsch, es möge alles so bleiben,          Wer kann es ihnen verdenken? Unser Gesund­
         wie es ist, ist tief im Menschen verwur­      heitssystem ist hervorragend, zählt zu den bes­
         zelt. Psychologen führen dies auf das         ten der Welt. Wer heute medizinische Hilfe be­
Bedürfnis nach Bindung zurück und auf die              nötigt, erhält sie auch – in vielfältiger Art und
Sorge, mit einer neuen Situation, mit Verän­           Weise, unabhängig vom sozialen Hintergrund.
derungen nicht adäquat umgehen zu können –             Dafür sorgen unser hoch entwickeltes Gesund­
ihnen nicht gewachsen zu sein.                         heits- und Versicherungssystem. Wird das so
Verunsicherung! Diese empfinden viele Steirerin­       bleiben? Schließlich ist das, was unser Gesund­
nen und Steirer daher auch, wenn die Reform            heitssystem bietet, in weiten Teilen der Welt
des Gesundheitswesens zur Sprache kommt.               nicht ansatzweise Realität – das gilt mitunter
Ich habe das in den letzten Monaten oft erfahren       auch für sonst fortschrittliche Nationen.
– nicht nur bei den regionalen Informationsver­        Erinnern wir uns an eine der ersten Amtshand­
anstaltungen, an denen ich teilgenommen habe,          lungen von Donald Trump nach seiner Vereidi­
sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten.         gung als Präsident der Vereinigten Staaten von
Die Häufigkeit, mit der ich auf die Pläne des          Amerika: Er unterschrieb ein Dekret, das den
Landes angesprochen werde, ist ein Indikator           „Affordable Care Act“ teilweise außer Kraft setzt.
dafür, wie sehr das Thema die Bevölkerung be­          Diese von seinem Vorgänger gesetzte und da­
schäftigt. Die gestellten Fragen sind vielfältig und   her als „Obamacare“ bekannt gewordene Initia­
zeichnen ein Bild davon, welch weiter Weg in           tive ermöglichte es Menschen, auch mit Vorer­
der Entwicklung der Reform noch zu gehen ist,          krankungen, eine Krankenversicherung abzu­
um das Vertrauen jener nicht zu verlieren, die im      schließen. Außerdem konnten junge Menschen
Mittelpunkt der Bestrebungen nach Verbesse­            unter 26 Jahren mit den Eltern mitversichert
rungen stehen. Denn die Neustrukturierung              sein. Trump hat noch am Tag seiner Amtseinfüh­
bringt bei jenen Zweifel mit sich, die die Vor­        rung mit einem Federstrich allen staatlichen
haben nicht im Detail kennen.                          Stellen die Erlaubnis gegeben, dieses Programm

10 politicum 120
URSULA LACKNER   Gesundheitsreform: den Menschen in den Mittelpunkt stellen

                                                              Wir müssen in der
                                                              Gesundheitsversorgung
                                                              über die veränderten
                                                              Rahmenbedingungen reden!
                    © Lunghammer

                                                              URSULA LACKNER

nicht anzuwenden oder in der Umsetzung zu                     Menschen, die nicht über Expertenwissen ver­
blockieren. Er bezeichnete dies als erste, vor­               fügen. Menschen, die mit reißerischen Meldun­
übergehende Lösung, bis „Obamacare“ ganz                      gen und Zahlen konfrontiert sind, die zu bewer­
abgeschafft werde.                                            ten sie selbst nicht in der Lage sind, weil ihnen
Ich bin sicher, dass hierzulande niemand glaubt,              das Fachwissen fehlt. Menschen, die sich auf
dass derartiges auch bei uns passiert, wenn wir               die Interpretation anderer verlassen müssen.
das System unserer Gesundheitsversorgung re­                  Anderer, deren wahre Intentionen für sie kaum
formieren. Dennoch trägt es ein Scherflein zur                erkennbar sind.
weiteren Verunsicherung bei. Denn dieser – von                Die Aufgabe der Politik ist es also, im Vorfeld die
den Medien umfangreich transportierte und breit               richtigen Fragen zu stellen – und danach die
kommentierte – Vorgang macht auch hierzu­                     richtigen Antworten darauf zu finden.
lande die Frage brennender: Wenn sich am Ge­                  Was brauchen die Steirerinnen und Steirer, um
sundheitssystem, an der Struktur der Kranken­                 Gewissheit zu haben? Welche Ängste haben
häuser, an den Angeboten im niedergelassenen                  sie? Welche Informationen benötigen Sie? Und
Bereich etwas ändert: Was kommt da auf uns                    welche erhalten sie? Wie nachvollziehbar sind
zu?                                                           diese Informationen für all jene, die eigentlich
Umso wichtiger ist es, den Steirerinnen und                   nur eines wollen: gut versorgt zu sein und das
Steirern zu verdeutlichen, welche Ziele mit der               auch in der Realität zu spüren, wahrzunehmen,
Reform der Gesundheitsversorgung verfolgt                     zu erkennen.
werden, welche Notwendigkeiten dahinterste­                   Welche Erfahrungen machen Familien, Mütter
cken – dass es darum geht, unser hervorragen­                 und Väter, wenn sie mit ihrem kranken Kind zur
des Gesundheitssystem vor dem Hintergrund                     Ärztin bzw. zum Arzt müssen? Oder wenn sie
der steten Veränderung von Gesellschaft und                   selbst krank sind und, schon am Ende ihrer
Medizin weiterzuentwickeln.                                   Kräfte, ein voll besetztes Wartezimmer betreten
Aber das ist nur einer der notwendigen Schritte.              oder eine Ambulanz, wissend, dass sie warten
Noch viel bedeutender wird es sein, dass die                  müssen, und wissend, dass sie ihr Kind in zwei
Menschen erleben können, dass sie gesund­                     Stunden vom Kindergarten abholen müssen?
heitlich gut versorgt sind. Nicht, indem in ihnen             Welche Belastungen erlebt ein krebskranker
lediglich das Gefühl erzeugt wird, sondern in­                Mensch, wenn er durch die halbe Steiermark
dem Maßnahmen gesetzt werden, die es er­                      geführt wird, zu drei verschiedenen Unter­
möglichen, dass dieses Gefühl in ihnen entsteht,              suchungen an drei verschiedenen Orten? Wie
dass es in ihrem Inneren wächst, genährt von                  schaffen es ältere, chronisch kranke Menschen,
eigenen Erfahrungen, die zu Überzeugungen                     die sich durch die letzten Jahre ihres Arbeits­
werden – und schließlich zu Sicherheit.                       lebens kämpfen? Wie können sie die best­
Das ist eine große Herausforderung, denn be­                  mögliche Behandlung bekommen? Wie steht
troffen von den Veränderungen sind ganz viele                 es diesbezüglich um in ihrer körperlichen und

                                                                                Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                               11
Gesundheitsreform: den Menschen in den Mittelpunkt stellen             URSULA LACKNER

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                                                                    wieder die Anforderungen an das Pflegesys­
                                                                    tem!
                                                                 • über die Binnenwanderung der steirischen
                                                                    Bevölkerung: Die Menschen drängen in
                                                                    Stadtregionen, die Abwanderung führt in den
                                                                    Regionen zu veränderten Quantitäten in der
                                                                    Nutzung der Versorgungseinrichtungen. Dies
                                                                    wiederum bedingt kleinere Fallzahlen, was
                                                                    sich auf die Qualitätssicherung in den einzel­
                                                                    nen Behandlungsfeldern auswirkt, denn auch
                                                                    Ärztinnen und Ärzte müssen unternehmerisch
                                                                    denken.
                                                                 • darüber, dass es immer schwieriger wird, Ärz­
                                                                    tinnen und Ärzte zu finden, die den demogra­
                                                                    fischen und topografischen Herausforderun­
                                                                    gen trotzen und in den Tälern oder auf den
                                                                    Hügeln und Bergen der Steiermark ihre Praxis
                                                                    eröffnen wollen.
                                                                 • über Ärztinnen und Ärzte, die in peripheren
                                                                    Krankenhäusern Dienst tun, dabei genügend
                                                © Med Uni Graz

                                                                    lernen und eine Behandlung oft genug durch­
                                                                    führen, um auf Grund ihrer ausreichenden Er­
                                                                    fahrung den Erfolg sicherstellen können.
geistigen Mobilität eingeschränkte Seniorinnen                   • über die zunehmende Mobilität der Patientin­
und Senioren?                                                       nen und Patienten – weil die Verkehrswege in
Welche Erwartungen haben all diese Menschen?                        den Regionen ausgebaut sind und der Not­
Und welche Anhaltspunkte – im wahrsten Sinne                        arztwagen nicht mehr so lange zum Einsatz­
des Wortes – können wir ihnen geben? Was                            ort benötigt wie noch vor 20 Jahren. Selbst
brauchen sie, um sich gut versorgt zu fühlen?                       der Notarzthubschrauber kann heute mit der
Sie müssen wahrnehmen, dass wir die Struktur                        entsprechenden technischen Ausrüstung
des Gesundheitssystems an die Menschen an­                          schon nachts Notfall-Einsätze fliegen.
passen, nicht umgekehrt. Dabei tun sich Her­                     • über den medizinischen Fortschritt, der kür­
ausforderungen auf, denen begegnet werden                           zere Spitalsaufenthalte und zunehmend sogar
muss. Wie viele Ärztinnen und Ärzte gibt es                         ambulante bzw. tagesklinische Behandlungen
noch in den Regionen, in der Nähe der Men­                          ermöglicht. Dies bedingt auch die Notwen­
schen? Wie sieht es mit ihrer Bereitschaft aus,                     digkeit eines Zusammenspiels von sozialen,
rund um die Uhr erreichbar und einsatzbereit zu                     pflegerischen und medizinischen Faktoren,
sein, sich mitten in der Nacht ins Auto zu setzen                   wie es einst beispielsweise die „Dorfkranken­
und durch Eis und Schnee zu einem Kind zu                           schwester“ gewährleistet hat.
fahren, das mit hohem Fieber im Bett liegt, be­                  Vor diesem Hintergrund wurde ein Entwick­
treut von angsterfüllten Eltern, die nicht mehr ein              lungsprozess gestartet, der all diese Fragen mit­
noch aus wissen?                                                 einbezieht, um auf diese Herausforderungen
Wir müssen in der Gesundheitsversorgung über                     Antworten und zeitgemäße Angebote zu finden,
die veränderten Rahmenbedingungen reden –                        die den Steirerinnen und Steirern Sicherheit ge­
zum Beispiel:                                                    ben, indem sie in der ersten Phase das regio­
• über die demografische Entwicklung: Die                        nale Angebot verbessern durch:
   Steirerinnen und Steirer werden immer älter.                  • eine wohnortnahe Erst- und Notfallversor­
   Das ist ein Erfolg unseres Gesundheitssys­                       gung rund um die Uhr,

12 politicum 120
URSULA LACKNER   Gesundheitsreform: den Menschen in den Mittelpunkt stellen

• gut erreichbare bzw. auch ins Haus kom­              ­ egion funktioniert, muss nicht unbedingt auch
                                                       R
   mende praktische und fachärztliche Versor­          für die anderen Regionen passen. Denn es gibt
   gung bei grundsätzlichen medizinischen Pro­         auf Grund vieler verschiedener Faktoren – wie
   blemen bis hin zu pflegerischen Fragen              Bevölkerungsstruktur, Topografie usw. – völlig
• sowie Spitzenmedizin in bestens ausgestatte­         unterschiedliche Anforderungen, denen das Ver­
   ten Spitälern als Kompetenzzentren.                 sorgungssystem gerecht werden muss.
Und zwar in dieser Reihenfolge, weil sie schlüs­       Woran wird die steirische Politik gemessen?
sig ist.                                               Und künftig gemessen werden?
Wie das funktioniert, zeigt die Steiermark in den      Einerseits daran, dass sie all das erreicht. An­
Pilotregionen Mariazell mit einer neuen Primär­        dererseits aber auch daran, dass sie den Stei­
versorgungseinheit und Eisenerz mit dem Aus­           rerinnen und Steirern Glaubwürdigkeit vermit-
bau einer bestehenden Gruppenpraxis. Dort              telt, indem ihnen die Pläne nicht nur präsen-
werden verschiedene Angebote getestet, wie             tiert werden, sondern sie die Bürgerinnen
zum Beispiel der „Telefonarzt“ für die Nacht, der      und Bürger die Vorteile der neuen Strukturen
im Falle des Falles den „Visitenarzt“ entsendet.       auch wahr­ nehmen lassen. So, dass sich bei
Doch schon jetzt, am Beginn dieser Pilotphase,         ihnen die Gewissheit entwickelt: „Ich bin gut ver­
sei eines vorausgeschickt: Was in der einen            sorgt!“
© Med Uni Graz

                                                                        Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                       13
Wie sichern wir am besten die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems?   HANS JÖRG SCHELLING

  Wie sichern wir
   am besten die
  Finanzierbarkeit
      unseres
Gesundheitssystems?
                               HANS JÖRG SCHELLING

G
          esundheit ist unser allerhöchstes Gut.     wäre die langfristige Finanzierbarkeit der öster­
          Dank ausgezeichneter medizinischer Ver­    reichischen Gesundheitsversorgung gefährdet.
          sorgung gehört das österreichische Ge­     Aus diesem Grund wurde im Jahr 2013 zwi­
sundheitssystem grundsätzlich zu einem der bes­      schen Bund, Ländern und Sozialversicherung
ten der Welt. Ziel ist, den erfreulich hohen Stan­   übereingekommen, ein partnerschaftliches Ziel­
dard der Gesundheitsversorgung auch in Zukunft       steuerungssystem unter dem Titel „Gesund­
für die Bürger und Bürgerinnen unseres Landes        heitsreform“ einzurichten. Als gleichberechtigte
sicherzustellen, denn das Wohl der Österreicher­     Partner planen und steuern sie Struktur, Organi­
innen und Österreicher steht an oberster Stelle.     sation und Finanzierung der österreichischen
In der Vergangenheit sind auf Grund der Zer­         Gesundheitsversorgung, damit die Gesundheits­
splitterung der Kompetenzen und der Organisa­        versorgung nicht nur für alle gleich zugänglich,
tionsstrukturen sowie der unterschiedlichen Fi­      sondern auch langfristig finanzierbar bleibt. Das
nanzierungsströme von Bund, Ländern und So­          war und ist ein wichtiger Meilenstein in Richtung
zialversicherung bedauerlicherweise Effizienzver­    einer Einheit von Bund, Ländern und Sozialver­
luste entstanden. Das hat unter anderem zu           sicherung sowie einer damit einhergehenden
einem wachsenden Anteil der öffentlichen Ge­         Bündelung von Verantwortung. Für mich ist klar:
sundheitsausgaben gemessen an der Wirt­              Die vielen Zweigleisigkeiten müssen zum Wohle
schaftsentwicklung geführt. Die öffentlichen Ge­     eines vorhersehbaren, berechenbaren und steu­
sundheitsausgaben würden ohne Reformmaß­             erbaren Gesundheitswesens beseitigt werden.
nahmen jährlich wesentlich stärker wachsen als       Im Rahmen der Verhandlungen zum Finanzaus­
das nominelle BIP von derzeit 3,2 %. Dadurch         gleich 2017-2021 haben die drei Partner eine

14 politicum 120
HANS JÖRG SCHELLING   Wie sichern wir am besten die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems?

                                                        50 % der weltweiten
                                                        Sozialausgaben werden
                                                        in Europa getätigt.
                                                        Tendenz weiter steigend!
                     © BMF

                                                        HANS JÖRG SCHELLING

Verlängerung der Gesundheitsreform beschlos­            Gesundheitssystems arbeitet. Dabei darf weder
sen. Durch die gesetzten Schritte sollen die öf­        mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt, noch
fentlichen Gesundheitsausgaben in den kom­              ein unfinanzierbares System angepriesen werden.
menden Jahren um jeweils 0,1 Prozentpunkte              Das Thema Gesundheit erfordert in all ihren
weniger steigen, d.h. im Jahr 2017 steigen die          ­Facetten – vom Hausarzt im Dorf bis zur Spitzen­
öffentlichen Gesundheitsausgaben noch um                 forschung von Weltrang – einen bedachten und
3,6 %, im Jahr 2021 dann nur mehr um 3,2 %.              sensiblen Umgang. Denn das Ziel muss sein,
Die Leistungen für die Versicherten werden               dass unsere Standards erhalten bleiben und un­
Schritt für Schritt qualitativ verbessert und unser      sere Kinder eine noch bessere aber auch effizien­
Gesundheitssystem auch für die Zukunft auf               tere Versorgung bekommen als wir.
starke Beine gestellt. Für den Ausbau der Pri­           Mein Motto lautet daher: Nicht weniger investie­
märversorgung bzw. die Schaffung von multipro­           ren, sondern genau dort einsetzen, wo die Men­
fessionellen Primärversorgungszentren werden in          schen wohnortnahe medizinische Versorgung
den nächsten Jahren 200 Millionen Euro für die           brauchen – jeder Euro zum Wohle des Patien­
Bedeckung dieser Ausgaben zweckgewidmet.                 ten. Auch wenn wir nicht unmittelbar von der
Im globalen Kontext sind für mich jedoch drei            Steiermark aus die Bevölkerungsentwicklung
Zahlen von wesentlicher Bedeutung – drei Zah­            Europas und die Wirtschaftsleistung unseres
len die uns vor Augen führen, in welche Richtung         Kontinents alleine verändern können, verfügen
wir uns entwickeln und welche Konsequenzen               wir dennoch über Möglichkeiten, unser System
wir daraus zu ziehen haben: 7, 25 und 50.                nachhaltig zu sichern. Genau das können wir als
7 % der Weltbevölkerung lebt in Europa. Wäh­             Verantwortungsträger in unseren Strukturen – in
rend die Bevölkerung in anderen Regionen der             den Gemeinden, Bezirken und Ländern – bewir­
Welt zunimmt, geht der Anteil auf unserem Kon­           ken. Das Zauberwort dafür lautet „Strukturrefor­
tinent zurück.                                           men“. Zugegebenermaßen ein mittlerweile zum
25 % der Weltwirtschaftsleistung wird in Europa          Unwort mutiertes und schon sehr mit Unglaub­
erbracht. Unser Kontinent legt nicht weiter zu,          würdigkeit behaftetes Wort in unserem Land.
während immer mehr Länder aus anderen Erd­               Dennoch sehe ich gerade das Gesundheitssys­
teilen aufholen und in unsere Märkte drängen.            tem unseres Landes als ein Paradebeispiel da­
50 % der weltweiten Sozialausgaben werden in             für, wie man Gutes und Etabliertes erhalten
Europa getätigt. Tendenz weiter steigend!                kann, jedoch Ineffizientes und Doppelgleisiges
Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftsleistung          beseitigen könnte. Ich spreche hier bewusst im
verlieren im globalen Vergleich an Boden, aber           Konjunktiv, weil wir erst mit den ersten Schritten
parallel steigen Kosten und Ausgaben im Sozial­          zur Sicherung unseres Gesundheitssystems be­
bereich. Es ist daher nicht nur eine Selbstver­          gonnen haben. Der erste Schritt war wichtig.
ständlichkeit, sondern die Pflicht, dass die Politik     Die Richtung stimmt. Nur dürfen wir nicht auf
ständig an der Modernisierung des Sozial- und            halbem Weg den Mut verlieren.

                                                                          Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                         15
Gesundheitspolitik für das 21. Jahrhundert   SABINE OBERHAUSER

    Gesundheitspolitik
          für das
     21. Jahrhundert
                                  SABINE OBERHAUSER

U
           nser Gesundheitssystem gehört zu den         Es ist die Aufgabe einer verantwortungsvollen
           besten der Welt. Im internationalen Ver­     Gesundheitspolitik, unser Gesundheitssystem
           gleich wird immer wieder der umfassende      rechtzeitig auf die Veränderungen und Her­aus­
Zugang zu medizinischer Versorgung in Österreich        forderungen bestmöglich vorzubereiten und
hervorgehoben und auch Umfragen zeigen, dass            die erforderlichen Weichenstellungen vorzu­
die Österreicherinnen und Österreicher im Großen        nehmen.
und Ganzen sehr zufrieden mit ihrer Gesundheits­        Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie
versorgung sind. Es ist aber auch klar und offen­       die medizinische Versorgung organisiert sein
sichtlich: unser Gesundheitssystem ist im Wandel.       soll. Für die Gesundheitsversorgung der Zu­
                                                        kunft brauchen wir gut ausgebaute ambulante
                                                        Strukturen, die ein umfassendes Angebot an
Veränderte Anforderungen
                                                        medizinischer und therapeutischer Versorgung
Gesellschaftliche und demografische Verände­            anbieten. Das erfordert einen Mix an Möglich­
rungen beeinflussen alle Lebensbereiche und be­         keiten, wie die Versorgung organisiert sein kann
sonders auch das Gesundheitssystem. Wir wer­            – von der Einzelordination über Netzwerke von
den immer älter und wollen natürlich auch länger        Einzelordinationen bis hin zu Zentren, die eine
gesund bleiben. Unsere Bedürfnisse ändern sich          umfassende und multiprofessionelle Versorgung
– jene der Patientinnen und Patienten, aber auch        an einem Standort bieten. Auch der Spitals­
die Bedürfnisse derjenigen, die in einem Gesund­        bereich ist mit Veränderungen konfrontiert – die
heitsberuf tätig sind. Die Medizin entwickelt sich      Bandbreite der Anforderungen reicht von der
weiter, mit immer mehr Möglichkeiten und Spezi­         wohnortnahen Versorgung, der raschen Hilfe
alisierungen. Das schafft neue Möglichkeiten –          bei Akut- und Notfällen bis zur hochspezialisier­
aber auch neue Herausforderungen.                       ten Spitzenmedizin.

16 politicum 120
SABINE OBERHAUSER   Gesundheitspolitik für das 21. Jahrhundert

                                                       In Zukunft soll die
                                                       medizinische Versorgung
                                                       stärker als heute
                                                       auf die Zusammenarbeit
                                                       im Team aufgebaut sein.
                     © Jeff Mangione

                                                       SABINE OBERHAUSER

                                                       tion“ für die Patientinnen und Patienten ist damit
Die Primärversorgung stärken
                                                       auch ein Wandel von der Krankheits- hin zur
Bis zum Jahr 2025 werden rund 60 % der Allge­          Gesundheitsorientierung umfasst – ein Paradig­
meinmedizinerInnen das Pensionsalter erreicht          menwechsel, auch in unserem Gesundheitssys­
haben. Wenn es soweit ist, soll es keine Lücken        tem. Ziel ist, die Gesundheit besser zu fördern,
in der Gesundheitsversorgung geben. Denn die           Krankheit zu vermeiden sowie auch eine verbes­
hausärztliche Versorgung muss nahe bei den             serte, qualitativ hochwertige und effiziente Kran­
Menschen bleiben – für eine umfassende medi­           kenbehandlung sicherzustellen. Dabei müssen
zinische Versorgung nahe am Wohnort. Vieles            wir von den bestehenden Stärken unseres Ge­
wird sich ändern müssen, damit der Beruf des           sundheitssystems ausgehen und das System so
Hausarztes/der Hausärztin attraktiv bleibt. Denn       weiterentwickeln, dass die Bedürfnisse und Er­
die neue Generation von Ärztinnen und Ärzten           wartungen sowohl der Patientinnen und Patien­
stellt neue Anforderungen an den Beruf –               ten als auch der ärztlichen und nicht-ärztlichen
möchte mehr Möglichkeiten, sich zu spezialisie­        Gesundheitsberufe erfüllt werden können.
ren, mehr Zusammenarbeit und fachlichen Aus­           Damit verbunden sind auch längere und flexib­
tausch im Team und auch eine bessere Verein­           lere Öffnungszeiten, kürzere Wartezeiten, mehr
barkeit von Beruf und Privatleben. Deshalb müs­        Zeit der Ärztinnen und Ärzte für die Patientinnen
sen wir handeln und die entsprechenden                 und Patienten, familienfreundliche Arbeitszeiten
Voraussetzungen schaffen.                              und moderne Arbeitsbedingungen. Einerseits
Unser Ansatz liegt in der Stärkung der Primär­         bedeutet das einen besseren Service für Patien­
versorgung. Primärversorgung meint „die allge-         tinnen und Patienten, andererseits stärken wir
meine und direkt zugängliche erste Kontaktstelle       die Gesundheitsberufe und die multiprofessio­
für alle Menschen mit gesundheitlichen Proble-         nelle Zusammenarbeit. Schließlich wird die Pri­
men im Sinne einer umfassenden Grundversor-            märversorgung auch zu einer Stärkung der
gung. Sie soll den Versorgungsprozess koordi-          Kommunen führen. Die Planung der Gesund­
nieren und gewährleistet ganzheitliche und kon-        heitsversorgung in den Regionen wird transpa­
tinuierliche Betreuung. Sie berücksichtigt auch        renter und die Bedürfnisse der Menschen in den
gesellschaftliche Bedingungen.“ Diese Definition       jeweiligen Regionen finden mehr Berücksich­
(aus dem Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz) ist         tigung. Die verschiedenen Angebote im Ge­
ein Versuch, ein komplexes und vielschichtiges         sundheitsbereich werden besser miteinander
Thema auf den Punkt zu bringen. Denn was in            vernetzt und abgestimmt, längerfristig steigt die
der Theorie etwas sperrig klingt, ist in der Praxis    Lebensqualität in den Regionen. Und ganz be­
von zentraler Bedeutung für unser Gesundheits­         sonders wichtig: Die hausärztliche Versorgung in
system. Eine wohnortnahe und umfassende                den Gemeinden wird abgesichert, der Beruf
Primär­ versorgung ist das Fundament unseres           Landarzt/Landärztin für junge MedizinerInnen
Gesundheitssystems. Neben einer „Lotsenfunk­           wieder attraktiv gemacht.

                                                                           Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                          17
Gesundheitspolitik für das 21. Jahrhundert   SABINE OBERHAUSER

Schließlich wollen wir mit einer – auch organisa­       gen, dass diese bei den Menschen ankommen.
torisch – gestärkten Primärversorgung den               Hier gibt es unzählige Möglichkeiten, wie Pa­
Grundstein dafür legen, die Spitalsambulanzen           tientinnen und Patienten durch die Nutzung
– vor allem in den Städten – zu entlasten. Diese        moderner Kommunikations- und Informations­
sind vor allem an Tagesrandzeiten und an                technologien unterstützt und begleitet werden
Woche­nenden überfüllt, obwohl die benötigten           können.
Leistungen zu einem nicht unerheblichen Teil im         „eHealth“, insbesondere ELGA – die elektro­
niedergelassenen Bereich erbracht werden                nische Gesundheitsakte – wird laufend ausge­
könnten.                                                baut und bringt eine markante Verbesserung der
                                                        Kommunikation in und zwischen den Einrichtun­
                                                        gen des österreichischen Gesundheitswesens.
Multiprofessionelles und
                                                        Denn in einem modernen Gesundheitssystem
interdisziplinäres Arbeiten
                                                        läuft der Befund und nicht der Patient oder die
In Zukunft soll die medizinische Versorgung in          Patientin. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ent­
verstärktem Ausmaß multiprofessionell und in­           lassungsbriefe, Röntgenbefunde oder Verschrei­
terdisziplinär organisiert und stärker als heute        bungen müssen nicht mehr von den Patientin­
auf die Zusammenarbeit im Team aufgebaut                nen und Patienten aufbewahrt und zu Unter­
sein. Kooperative Teamarbeit entlastet die ein­         suchungsterminen mitgebracht werden. Patien­
zelnen Teammitglieder. Sie erlaubt eine Konzent­        tinnen und Patienten können über das
ration auf die medizinische, therapeutische und         ELGA-Portal jederzeit in ihre Daten Einsicht neh­
pflegerische Tätigkeit, berücksichtigt dadurch          men. Die Datensicherheit ist mir in diesem Zu­
die individuellen Bedürfnisse und wirkt sich posi­      sammenhang ein besonderes Anliegen, denn
tiv auf Lebensqualität und Arbeitszufriedenheit         sensible Gesundheitsdaten gehören nur den
aus (Work-Life-Balance).                                Patien­tinnen und Patienten persönlich.
Gerade für die Weiterentwicklung und Stärkung           Mit ELGA steigt die Behandlungsqualität, die
der Primärversorgung ist dieses Paradigma der           behandelnden Ärztinnen und Ärzte sehen auf ei­
multiprofessionellen Zusammenarbeit von zen­            nen Blick die notwendigen Befunde und auch,
traler Bedeutung. In Zukunft sollen Hausärztin­         welche Medikamente eingenommen werden.
nen und Hausärzte die Versorgung der Patien­            Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit von Fehl­
tinnen und Patienten gemeinsam mit einem                diagnosen oder Wechselwirkungen von mitein­
multi­professionellen Team – z.B. Physiothera­          ander unverträglichen Medikamenten. Gleichzei­
peutinnen und -therapeuten, Diätologinnen und           tig bleibt mehr Zeit für das persönliche Gespräch
Diätologen sowie Pflegerinnen und Pflegern –            zwischen Arzt/Ärztin und PatientIn.
übernehmen. Das muss nicht unbedingt an                 Ich bin überzeugt, dass ELGA mit der Anwen­
­einem einzelnen Standort sein – vor allem am           dung „eMedikation“ einen ganz wesentlichen
 Land werden es Netzwerke von Einzelordinatio­          Beitrag zur Verbesserung der PatientInnen­
 nen sein, die die wohnortnahe Primärversorgung         sicherheit leisten wird.
 sicherstellen. Ich bin davon überzeugt, dass der
 Weg der strukturierten und verbindlichen Zu­
                                                        Gesundheitsorientierung und
 sammenarbeit der Gesundheitsberufe langfristig
                                                        „Health in all Policies“
 zu den notwendigen Veränderungen für eine op­
 timale Versorgung von Patientinnen und Patien­         Die demografische Entwicklung und die Zu­
 ten führen wird.                                       nahme chronischer Erkrankungen werden uns in
                                                        den kommenden Jahrzehnten vor einige weitere
                                                        große Herausforderungen stellen. Um diesen
Innovative Technologien nutzen
                                                        Herausforderungen zu begegnen, setzt mein
Für das Gesundheitssystem der Zukunft ist es            Ressort auf den Ausbau von Prävention, Ge­
wichtig, dass wir technologische und medizi­            sundheitsförderung und Früherkennung. Bei der
nische Innovationen gut nutzen und dafür sor­           Prävention darf es nicht nur um Verhaltensprä­

18 politicum 120
SABINE OBERHAUSER   Gesundheitspolitik für das 21. Jahrhundert

vention gehen, sondern vor allem auch um Ver­          mit dem Bildungs-, dem Umwelt- und dem
hältnisprävention, um gesundheitliche Chancen­         Sozial­ressort. Nur gemeinsam und abgestimmt
gerechtigkeit für alle zu garantieren. Das betrifft    können wir die Gesundheit und das Wohlbefin­
eine gesunde Ernährung, die für alle leistbar sein     den in unserer Bevölkerung nachhaltig und
muss, ein gesundes Wohnumfeld, Gesundheits­            maßgeblich stärken.
förderung am Arbeitsplatz und eine Schule, die         Bei allen Veränderungen, die die Zukunft bringen
gesunde Ernährungs- und Bewegungsangebote              wird, ist es mir ein ganz besonderes Anliegen,
in den Alltag integriert. Wir müssen allen Kindern     dass wir das Wesen und das Ziel unseres Ge­
die Chance geben, gesunde Erwachsene zu                sundheitssystems beibehalten und unser ge­
werden. Die im Bundesministerium für Gesund­           sundheitspolitisches Handeln danach ausrich­
heit und Frauen verankerten und entwickelten           ten: die Sicherstellung der bestmöglichen medi­
Österreichischen Gesundheitsziele, die Gesund­         zinischen Versorgung aller Menschen in Öster­
heitsförderungsstrategie, die Kinder- und Ju­          reich, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer finanziellen
gendgesundheitsstrategie, der Nationale Ak­            Situation, ihres Alters, ihres Wohnorts etc. Alle
tionsplan Ernährung (NAP.e) oder der Aktions­          unsere gesundheitspolitischen Reformmaßnah­
plan Frauengesundheit dienen im Sinne von              men müssen sich auch weiterhin an den Bedürf­
„Health in all Policies“ als Basis für die Stärkung    nissen der Patientinnen und Patienten orientie­
der Gesundheit und des Wohlbefindens in der            ren und daran, dieses solidarisch ausgerichtete
Bevölkerung. Um langfristig erfolgreich sein zu        System zu erhalten und es im Interesse der heu­
können, benötigen wir den Austausch und die            tigen und zukünftigen Generationen weiterzu­
Zusammenarbeit mit anderen Sektoren, wie z.B.          entwickeln.
© Med Uni Graz

                                                                           Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                          19
ENDLICH: Die Steiermark im Aufbruch      CLEMENS MARTIN AUER

                     ENDLICH:
                   Die Steiermark
                    im Aufbruch
                               CLEMENS MARTIN AUER

D
          as Gesundheitssystem ist im Umbruch:         ziner das 65. Lebensjahr erreicht haben! Braucht
          Im Jahr 2025 werden 60 % aller der-          es mehr an Weckruf zum Aufwachen? Wer jetzt
          zeit bei der Sozialversicherung unter        nicht nachhaltig mit einer Strukturänderung ein­
Vertrag stehenden Allgemeinmediziner das               greift, versündigt sich an der Versorgung der
65. Lebensjahr erreicht haben. In den Spitälern        Bevölkerung. Die Selbstverwaltungskörper in
herrscht eine Stimmung der Frustration, ein be­        den Standesvertretungen und den Sozialversi­
trieblicher Kulturwandel ist dringend erforderlich.    cherungen sind aber immer noch im Schlummer
Der pharmazeutische Sektor steht vor enormen           verfangen. Das derzeitige Regime des Gesamt­
Herausforderungen hinsichtlich Markt- und Poli­        vertrags mit all seinen Fassetten bis hinein in ein
tikgeschehen. Und die strategische Steuerungs­         Bezahlsystem aus vergangenen Jahrzehnten ist
kraft in Österreich ist verfangen im Dschungel         – und das meine ich so!! – völlig ungeeignet,
der unterschiedlichsten Kompetenzen.                   diese Herausforderung zu bewältigen. Besse­
Die steirische Gesundheitspolitik ist aber im Auf­     rung im Status quo ist nicht in Sicht. Zu viele
bruch. Die Landespolitik hat die Initiative ergrif­    Chancen wurden vertan!
fen und die Stagnation im Reformprozess über­          Daher ist es erfrischend, wenn der Landesrat
wunden. Leadership ist gefragt, weil sonst jede        den Reformprozess auf eine politische Ebene
gute Reformidee, und deren gibt es genug und           hebt. Nachhaltige Strukturänderungen etwa im
keine einzig neue muss zusätzlich erfunden wer­        Bereich der Spitäler oder der Primärversorgung
den, in den großen Gremien der organsierten            brauchen diese politische Leadership. Die Ex­
Verantwortungslosigkeit erstickt wird. Das ist         pertisen liegen alle auf dem Tisch. Die Instru­
unser Problem: umso größer die Gremien (in der         mente sind alle vorhanden. Umsetzen heißt
Selbstverwaltung), umso weniger Reformgeist            Überwindung von Widerständen. Und das
und Reformkraft.                                       braucht Kraft, die in Großgremien allein nicht
Der Hut brennt aber: Im Jahr 2025 werden zum           entsteht. Freilich braucht es die Einbindung
Beispiel im österreichischen Schnitt 60 % der          der Akteure, aber die Leadership liegt bei der
derzeit unter Vertrag stehenden Allgemeinmedi­         Politik.

20 politicum 120
CLEMENS MARTIN AUER   ENDLICH: Die Steiermark im Aufbruch

                                                         Das sind die beiden Pole
                                                         auch der steirischen
                                                         Strukturreform:
                                                         neue Versorgungsformen
                                                         in der Primärversorgung
                                                         und Konzentration
                                                         der Spitalsstandorte.
                                                         CLEMENS MARTIN AUER

Wir werden in naher Zukunft nie mehr so viele            bindlichkeit für die Umsetzung dieser Planun-
Ärzte im System haben wie jetzt. Allein das ver­         gen ist mit den neuen Instrumenten aus der
langt nach neuen integrativen und multiprofes­           Ziel­
                                                         ­   steuerung Gesundheit gewährleistet. Der
sionellen Versorgungsformen, einer exakten               Rechtsrahmen für die verbindliche und struktu­
Betreuung der Patienten am jeweils besten
­                                                        rierte Zusammenarbeit in der Primärversorgung
„Point of Service“. Die gewohnte Versorgung in           in Form von dezentralen Netzwerken oder Ver­
un­ zähligen Einzelordinationen, wenig bis gar           sorgungszentren wird hoffentlich nicht am
nicht miteinander vernetzt, in kleinstrukturierten       Wider­ stand der organisierten Ärzteschaft poli­
­Spi­­tälern wird nicht eins zu eins aufrecht bleiben    tisch scheitern und könnte in naher Zukunft
 können. Das Pflegen der Schrebergärten der              auch noch realisiert werden.
 Eigen­  interessen, das Verstecken hinter den           Dann gibt es keine Ausreden mehr für ein Nicht­
 Para­vents der Intransparenz, wird immer weni­          vorankommen in der Reform. Mit dem Eifer von
 ger gelingen.                                           Gründerservicestellen, mit dem Willen, auch die
 Das sind die beiden Pole auch der steirischen           Kultur der Zusammenarbeit zu verändern, kann
 Strukturreform: neue Versorgungsformen in der           dieser Quantensprung nach vorne gelingen.
 Primärversorgung und Konzentration der Spi­             Scheitern kann das nur mehr in den Großgre­
 talsstandorte. Genaue Standort- und Versor­             mien der organsierten Verantwortungslosigkeit.
 gungsplanung ist gefragt. Eine rechtliche Ver­          Und dieser Widerstand ist politisch zu brechen.
© Med Uni Graz

                                                                            Das steirische Gesundheitssystem der Zukunft
                                                                                                                           21
Ist unser Gesundheitssystem reformierbar?    ULRIKE RABMER-KOLLER

        Ist unser
   Gesundheitssystem
     reformierbar?
                              ULRIKE RABMER-KOLLER

I
     st unser Gesundheitssystem reformierbar?           Schnittstellen dieses Netzwerks gibt es Doppel­
     Diese Frage stellen sich seit Jahrzehnten          gleisigkeiten und Fehlallokationen, die mitfinan­
     viele Gesundheitspolitiker, Gesundheitsöko­        ziert werden müssen.
nomen und Versicherte/Patienten. Für Außen­             Versuche, in Richtung „gemeinsamer Planung“
stehende ist die Diskrepanz zwischen der Fak­           oder „Finanzierung aus einer Hand“ zu kommen,
tenlage und der gefühlten Situation schwer er­          waren bisher von eher überschaubarem Erfolg.
klärbar. Einerseits seit Jahrzehnten kontinuierlich     Egal was man angreift, es gibt immer gewichtige
steigende Gesundheitsausgaben mit einem Re­             Player, die dagegen sind – und damit das ge­
kordhoch von jährlich über 36 Mrd. Euro und ei­         samte System seit langer Zeit versteinern. Dabei
ner Steigerungsperspektive um weitere 4,6 Mrd.          wäre es so wichtig, Ineffizienzen abzustellen, um
Euro bis zum Jahr 2021. Auf der anderen Seite           die dadurch frei werdenden Mittel für Innovation
überfüllte Spitalsambulanzen, Wartezeiten auf           und neue Leistungen einsetzen zu können. Dies
MRT-Untersuchungen und fehlende Innovatio­              auch vor dem Hintergrund, dass das Beitrags­
nen im e-Health-Bereich. Faktisch haben wir ein         aufkommen der Versicherten kontinuierlich steigt
sehr gutes, aber teures System, subjektiv               und wir den Beitragszahlern zeigen müssen,
wächst dennoch die Sorge, dass die medizini­            dass mit ihrem Geld sorgsam umgegangen wird.
sche Versorgung sich verschlechtert und vieles          Ein Beitragswachstum um 50 % in den vergan­
künftig nicht mehr leistbar sein könnte. Es fließt      genen 10 Jahren ist ein Auftrag – diese Budget­
also immer mehr Geld in den Gesundheitsbe­              mittel müssen für die Versicherten positiv spür­
reich, diese großen Investitionen kommen aber           bar gemacht werden, indem sie zielgerichtet in
teilweise nicht oder zu wenig spürbar bei den           Innovation, Effizienzsteigerung und Prävention
Menschen an. Warum? Weil es verschiedenste              investiert werden, anstatt in die Kompensation
Zahlungsströme und ein hochkomplexes Ge­                fehlender Reformen.
flecht an Zuständigkeiten und Verantwortlich­           Man sollte aber bei aller Kritik an den reform­
keiten zwischen Sozialversicherungsträgern,             resistenten Strukturen nicht vergessen, dass
Bundesländern und dem Bund gibt. An vielen              trotzdem vieles positiv in Bewegung ist – von

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