Beiträge der Geodäsie zur Talsperrensicherheit - Zum 100-jährigen Jubiläum der Talsperrenvermessungen in der Schweiz - swissdams

Die Seite wird erstellt Julie Junker
 
WEITER LESEN
Beiträge der Geodäsie zur Talsperrensicherheit - Zum 100-jährigen Jubiläum der Talsperrenvermessungen in der Schweiz - swissdams
Histoire de la culture et de la technique

Beiträge der Geodäsie zur                                                                 lagenüberwachung. Verbunden mit an­
                                                                                          deren Messeinrichtungen leistet sie wich­

Talsperrensicherheit –                                                                    tige Beiträge zur:
                                                                                          • Ermittlung des Talsperrenverhaltens als

Zum 100-jährigen Jubiläum                                                                    Teil der laufenden Beurteilung der Ein­
                                                                                             wirkungen und des Zustandes der

der Talsperrenvermessungen                                                                   Anlage;
                                                                                          • raschen Beurteilung im Falle von ausser­

in der Schweiz                                                                               gewöhnlichen Situationen oder nach
                                                                                             einem ausserordentlichen Ereignis;
                                                                                          • Abklärung der Ursachen von Verhal­
Vor 100 Jahren begannen in der Schweiz Spezialisten mit der geodätischen Überwa­
                                                                                             tensanomalien, die mit anderen Mess­
chung von Talsperren zur präventiven Sicherung der gefährdeten, unterliegenden
                                                                                             instrumenten festgestellt wurden.
Bevölkerung und der Infrastrukturen. Eine Arbeitsgruppe der Gesellschaft für die
Geschichte der Geodäsie in der Schweiz (GGGS) legt in einem Bericht, der auf ihrem
Internetportal www.gggs.ch zusammen mit einer umfassenden Bibliografie abrufbar
                                                                                          Geodätische Deformations-
ist, die Entstehung und Entwicklung dieser Überwachungsmessungen dar. In der
vorliegenden Kurzfassung werden die geschichtlichen Hintergründe der Talsperren­
                                                                                          messungen an Staumauern
vermessung in der Schweiz beschrieben, die methodische und instrumentelle Ent­            1921–1945
wicklung der geodätischen Überwachung im Überblick erläutert, sowie die modernen
                                                                                          1919–21 errichteten die Freiburger Kraft­
Technologien und möglichen Entwicklungen angesprochen.
                                                                                          werke an der Jogne oberhalb Broc (FR) die
                                                                                          Talsperre Montsalvens. Sie war die erste
                                                                                          doppelt (horizontal und vertikal) ge­
A. Wiget, B. Sievers, R. Huser, U. Federer   hörde des Bundes über die Sicherheit der     krümmte Bogenstaumauer Europas und
                                             Stauanlagen in der Schweiz gemeinsam         mit 55 m Höhe die erste Staumauer der
                                             mit Fachorganisationen, insbesondere         Schweiz über 30 m. Während man früher
Aufgaben und Ziele                           dem Schweizerischen Talsperrenkomitee        bei kleineren Talsperren mittels Aligne­
Gemäss den Richtlinien, welche das Bun­      (STK) herausgegeben hat, ist die Geodä­      ments nur die Mauerkronenmitte über­
desamt für Energie (BFE) als Aufsichtsbe­    sie ein integraler Bestandteil der Stauan­   wachte, wollte man bei diesem besonde­
                                                                                          ren Bauwerk erstmals die Mauerdeforma­
                                                                                          tionen an verschiedenen Punkten der
                                                                                          Maueroberfläche erfassen. Zudem war die
                                                                                          Genauigkeit und Zuverlässigkeit von Ali­
                                                                                          gnements infolge Refraktionserscheinun­
                                                                                          gen und unkontrollierter Beobachtungs­
                                                                                          pfeiler eingeschränkt. Ingenieur H. Zölly,
                                                                                          Chef Geodäsie der Eidg. Landestopogra­
                                                                                          phie (L + T, heute swisstopo), schlug daher
                                                                                          die Anwendung von trigonometrischen
                                                                                          Methoden der Landesvermessung vor. Die
                                                                                          auf der luftseitigen Mauerfläche eingelas­
                                                                                          senen Zielbolzen wurden durch wieder­
                                                                                          holtes Vorwärtseinschneiden von zwei
                                                                                          ausserhalb des Bauwerkes gelegenen
                                                                                          Beobachtungspfeilern aus eingemessen
                                                                                          (Fig. 1 – franz. Version). Die ersten Mes­
                                                                                          sungen fanden vom 4.–7.1.1921 vor dem
                                                                                          Einstau und vom 28.11.–1.12.1921 bei
                                                                                          vollem See statt.
                                                                                          Im Juli 1922 wurde die trigonometrische
                                                                                          Methode an der Bogenstaumauer Pfaffen­
Abb. 1: Netzplan der erweiterten Beobachtungsanlage «Pfaffensprung» und                   sprung (UR) der Schweizerischen Bundes­
geodätisch bestimmte Pfeilerverschiebungen (Lang in STK 1946).                            bahnen SBB bei deren Füllung erneut

                                      170          Géomatique Suisse 7–8/2021
Beiträge der Geodäsie zur Talsperrensicherheit - Zum 100-jährigen Jubiläum der Talsperrenvermessungen in der Schweiz - swissdams
Kultur- und Technikgeschichte

eingesetzt (Abb. 1). Um die Mauerbewe­         Die geodätische Methode wurde von den          beim ersten Aufstau bestimmt werden.
gungen möglichst zeitnah sowohl beim           Ingenieuren der L + T bezüglich Netzanla­      Im Allgemeinen haben sich die Staumau­
Einstauen wie beim Entleeren messen zu         ge, Materialisierung und Instrumentarium       ern übrigens beim Einstau mehr defor­
können, wurden die Mauerbolzen gleich­         stetig weiterentwickelt. Nebst Verbesse­       miert als die damalige Theorie vorsah und
zeitig durch zwei Beobachter von zwei          rungen an den Instrumenten, also den           diese Deformationen haben sich beim
Pfeilern aus vorwärts eingeschnitten und       Präzisions-Theodoliten und Nivellieren mit     Absenken des Seespiegels nur zum klei­
bestimmt.                                      zugehörigen Invar-Messlatten, wurden           nen Teil zurückgebildet. Die Verformun­
Staumauerunfälle im Ausland beunruhig­         für die hochpräzisen Anwendungen der           gen vieler Mauern wurden anschliessend
ten breite Kreise der Bevölkerung bezüglich    Ingenieurgeodäsie auch spezielle Entwick­      im Wechsel des Auf- und Abstaus bis zur
der Sicherheit der Talsperren. Aber auch       lungen bei den Zwangszentrierungen             Erreichung der (nahezu) endgültigen
der Bau immer höherer Staumauern ver­          sowie den Zielmarken und Zieltafeln ge­        Elastizität untersucht. Erst dann setzten
anlasste die Behörden und die Werkbetrei­      tätigt. Die L + T stellte dazu eigene Unter­   die langperiodischen Kontrollmessungen
ber, geodätische Deformationsmessungen         suchungen an, beispielsweise zur optima­       der Talsperre ein. Als grosser Vorteil der
zur Kontrolle des elastischen Verhaltens der   len Dicke des Fadenkreuzes im Fernrohr         geodätischen Überwachung ist zu er­
Staumauern ausführen zu lassen. So be­         oder zur Ausgestaltung der Zielmarken          wähnen, dass ihre Methoden von der
auftragte in den frühen 1920er-Jahren          und Mauerbolzen sowie deren Montage            Netzanlage über die Instrumentierung,
auch die AG Kraftwerk Wägital die L+T als      an verschiedenen Maueroberflächen und          Signalisierung und Durchführung der
«neutrale Amtsstelle», die Deformationen       im Fels. Sie arbeitete eng mit den Instru­     Messungen bis hin zur Auswertung rela­
der Staumauern Rempen (SZ) und Schräh          menten-Herstellerfirmen zusammen, u.a.         tiv flexibel und situativ auf die verschie­
(SZ, Abb. 2; bis 1930 mit 111 m die höchs­     der Max Hildebrand GmbH, Freiberg in           denen Talsperrentypen und lokalen
te Gewichtsmauer der Welt) trigonomet­         Sachsen, Kern & Co. AG in Aarau und Wild       Verhältnisse angepasst werden können.
risch und nivellitisch zu kontrollieren.       Heerbrugg AG. Die Firma Haag-Streit AG,        Von Bedeutung ist zudem, dass mit den
                                               feinmechanische Werkstätte in Bern,            geodätischen Methoden auch allfällige
Trigonometrische Messmethoden                  konstruierte für die L + T nach deren An­      Bewegungen des Fundamentfelsens so­
an Staumauern                                  gaben spezielle Bolzen und Zielmarken für      wie der Talsperrenumgebung erfasst
Die Ingenieure der L + T adaptierten die       die Staumauervermessungen, teilweise           werden.
trigonometrischen Methoden der Stau­           sogar als Einzelanfertigungen für be­
mauermessungen mit Richtungs- und              stimmte Zieldistanzen.                         Dokumentation und
Winkelmessungen (Triangulation), Vor­                                                         Erfahrungsaustausch
wärts- und Rückwärtseinschneiden sowie                                                        Die L + T berichtete im Beitrag «Trigono­
Präzisionsnivellements aus den Erfahrun­                                                      metrische Beobachtung der elastischen
gen der Landesvermessung. Die L + T war                                                       Deformationen der Staumauer am Pfaf­
praktisch bei allen Staumauern mit einer                                                      fensprung des Kraftwerkes Amsteg der
Sperrenhöhe über 20 m, welche von 1920                                                        S.B.B.» über diese Messungen, ihre Er­
bis 1940 in der Schweiz erstellt wurden,                                                      fahrungen und die Resultate. Der Bericht
mit Beratungen und Messungen beteiligt:                                                       wurde 1923 sowohl in der Schweizeri­
Bei den SBB-Staumauern Piora (Ritom TI),                                                      schen Zeitschrift für Vermessungswesen
Barberine (VS, Fig. 2) und Les Marécottes                                                     und Kulturtechnik wie auch in der
(VS), beim Illsee (VS) der Illsee-Turtmann­                                                   Schweizerischen Bauzeitung publiziert.
werke, beim Kraftwerk Wettingen (AG)                                                          Noch detaillierter und praxisnah be­
sowie bei den Staumauern Spitallamm,                                                          schrieb Ing. W. Lang die Methode und
Seeuferegg und Gelmer (BE) der Kraft­                                                         Anordnung der trigonometrischen Defor­
werke Oberhasli AG. Die «Spitallammsper­                                                      mationsmessungen, die Materialisierung
re» war die erste Mauer, deren Deforma­                                                       der Pfeiler und Bolzen, die Instrumentie­
tionen schon während der Bauausführung                                                        rung sowie die Auswertung und die
verfolgt wurden. Die Staumauern Garich­                                                       Diskussion der Resultate der Beobachtun­
te (GL) der Kraftwerke Sernf-Niederen­         Abb. 2: Beobachtungspfeiler im Netz            gen in dem von der L + T 1929 publizierten
bach AG und In den Schlagen am Sihlsee         der Staumauer «Schräh»; Einachser-             Buch «Deformationsmessungen an Stau­
(SZ) der Etzelwerk AG wurden, wie viele        theodolit von Hildebrand (Lang 1929).          mauern nach den Methoden der Geodä­
der oben genannten Mauern, seit ihrem                                                         sie» (Lang 1929). Er erläuterte auch
Bau bis 2020 von der L + T/swisstopo mit­      Mit der Geodäsie konnten die räumlichen        sorgfältig die Methodik zur Untersu­
tels geodätischen Deformationsmessun­          Verformungen der Sperren, welche die           chung der Festpunkte sowie allfälliger
gen überwacht.                                 Erbauer besonders interessierten, bereits      Bewegungen des Umfeldes der Talsperre

                                                             Geomatik Schweiz 7–8/2021        171
Beiträge der Geodäsie zur Talsperrensicherheit - Zum 100-jährigen Jubiläum der Talsperrenvermessungen in der Schweiz - swissdams
Histoire de la culture et de la technique

                                                                                          (VS). In den 1970er-Jahren wurden die
                                                                                          ersten grossen Pumpspeicherwerke in
                                                                                          Betrieb genommen bzw. umgerüstet, wie
                                                                                          beispielsweise Robiei–Naret/Cavagnoli
                                                                                          (Maggia Kraftwerke AG), Mapragg–Giger­
                                                                                          wald (Kraftwerke Sarganserland AG) oder
                                                                                          Grimselsee–Oberaarsee (Kraftwerke
                                                                                          Oberhasli AG).

                                                                                          Weiterentwicklung der Mess- und
                                                                                          Auswertemethoden
                                                                                          In dieser Zeit wurden an verschiedenen
                                                                                          Hochschulen im In- und Ausland die Me­
                                                                                          thoden zur Überwachung von Talsperren
                                                                                          und ganz allgemein von grossen Bauwer­
                                                                                          ken wie Brücken und Tunnels wissen­
                                                                                          schaftlich untersucht und weiterentwi­
                                                                                          ckelt; so auch die geodätischen Metho­
                                                                                          den – in der Schweiz insbesondere an den
                                                                                          Instituten für Geodäsie und Photogram­
Abb. 3: Deformationslinien quer zur Staumauer «Pfaffensprung» (Lang 1929).                metrie (IGP) der Eidgenössischen Techni­
                                                                                          schen Hochschulen in Zürich (ETHZ) und
und dokumentierte instruktive Darstel­       Stauanlagen. Diese geben grundlegende        Lausanne (EPUL/EPFL).
lungen der Deformationen und Verschie­       und umfassende Informationen zu den          1947 wurde F. Kobold, der seit 1932 als
bungen (Abb. 3/Fig. 3).                      Anforderungen an die Messkonzepte und        Ingenieur bei der L + T tätig war und dort
Das Buch wurde im Bauingenieurwesen          Messanlagen, die Durchführung und            bei Deformationsmessungen an Stau­
und in der Geologie mit Interesse zur        Auswertung der geodätischen Messun­          mauern mitwirkte, als Professor für Geo­
Kenntnis genommen und in Fachpublika­        gen sowie die Interpretation und Doku­       däsie und Topografie an die ETH Zürich
tionen zitiert. Die Veröffentlichungen der   mentation der Messresultate bis hin zur      berufen. Er brachte seine Erfahrungen
L + T fanden auch im benachbarten Aus­       Archivierung. Die Berichte sind zusam­       und sein Engagement für dieses Thema
land und in Nordamerika Beachtung und        men mit weiteren Informationen auf der       mit an das IGP. An der EPUL/EPFL enga­
teilweise Nachahmung. Auf Empfehlung         Webseite www.swissdams.ch abrufbar.          gierte sich Prof. W. K. Bachmann für die
der Elektrobank Zürich (spätere Elektro­                                                  Weiterentwicklung der Methoden und
watt AG) wurden Ingenieure der L + T                                                      Instrumente für geodätische Deformati­
zwischen 1929 und 1937 sogar persönlich
                                             Der grosse Aufschwung                        onsmessungen. Zur Gewährleistung des
zu Beratungen, Messungen und Auswer­         1945–1980                                    Praxisbezugs führte das Institut de pho­
tungen von geodätischen Deformations­        Nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders        togrammétrie et de géodésie der EPFL ab
messungen an drei Staumauern in Spa­         in der Zeit von 1955 bis 1969, folgte we­    1952 geodätische Deformationsmessun­
nien beigezogen. Gelegenheiten zum           gen dem Kraftwerkboom ein grosser            gen an der Staumauer Châtelot aus, ab
Wissens- und Erfahrungsaustausch boten       Aufschwung im Schweizer Talsperrenbau,       1954 auch an der Staumauer Mauvoisin.
ab den 1930er-Jahren auch die Kongres­       auch bezüglich Kühnheit der Ausführun­       Beide Professoren bzw. Institute arbeiteten
se der Internationalen Kommission für        gen. Dank den im allgemeinen guten           wiederum eng zusammen mit den Schwei­
Grosse Talsperren ICOLD sowie die Fach­      Felsverhältnissen in den Alpen wurden die    zer Firmen für geodätische Instrumente,
tagungen der 1930 gegründeten Schwei­        neueren Staumauern primär als Bogen-         der Kern & Co. AG in Aarau sowie der Wild
zerischen Talsperrenkommission, welche       oder Bogengewichtsmauern errichtet,          Heerbrugg AG. Beispiele für die Weiter­
1948 zum Schweizerischen Nationalko­         wie die 1948 vollendete, weitgespannte       entwicklung geodätischer Instrumente
mitee für Grosse Talsperren (SNGT) erwei­    Bogenmauer über die Saane bei Rossens        dieser Zeit sind die Verbesserungen an den
tert und 1988 in Schweizerisches Talsper­    (FR). Als weitere Beispiele seien erwähnt:   Zentriereinrichtungen (Kugelzentrierun­
renkomitee (STK) umbenannt wurde.            Mauvoisin (VS, Fig. 4), welche 1957 als      gen resp. Pfeilergrundplatten), welche
Die Arbeitsgruppe Talsperrenüberwa­          damals grösste Bogenmauer der Welt in        Theodolitaufstellungen mit einer Genau­
chung des STK erarbeitete ihrerseits         Betrieb genommen wurde und die 1961          igkeit von Zehntelmillimetern ermöglich­
Empfehlungen für den Einsatz der geo­        fertiggestellte und bis 1980 weltweit        ten (Abb. 4/5). Zwangszentrierungen hat­
dätischen Deformationsmessung bei            höchste Gewichtsmauer Grande Dixence         ten sowohl bei den Polygonzügen wie bei

                                      172          Géomatique Suisse 7–8/2021
Beiträge der Geodäsie zur Talsperrensicherheit - Zum 100-jährigen Jubiläum der Talsperrenvermessungen in der Schweiz - swissdams
Kultur- und Technikgeschichte

deren Verknüpfung mit der Triangulation    Ein wesentlicher Grund für das Interesse
grossen Einfluss auf die Genauigkeit. In   an neuen, verbesserten Messmethoden
den 1970er-Jahren wurden die mechani­      waren die grösseren Dimensionen der
schen Sekundentheodolite von Wild und      neu gebauten Talsperren, welche trigo­
Kern sowohl bezüglich Messgenauigkeit      nometrische Visurlängen von 500 m und
wie auch Komfort weiterentwickelt (z.B.    mehr verlangten. Bereits bei der Planung
verbesserte Fernrohroptik und diametrale   neuer Stauanlagen wurde deren spätere
Kreisablesung mit Mikrometer).             Überwachung vermehrt beachtet und in
                                           die Projektierung einbezogen. Die Über­
                                           wachungskonzepte der bestehenden wie
                                           der neuen Talsperren wurden erweitert,
                                           die geodätischen Beobachtungsverfahren
                                           verbessert und den Baugrössen ange­
                                           passt. Neben den Methoden der Landes­
                                           vermessung wurden weitere vermes­
                                           sungstechnische und geophysikalische
                                           Verfahren und Instrumente der Geotech­
                                           nik und der Felsmechanik mit der Geo­
                                           däsie kombiniert, primär im Innern der
                                           Staumauern. Beispielsweise wurden
                                           Draht-Alignements und Präzisionspoly­
                                           gonzüge in den Kontrollgängen gemes­
                                           sen und die Referenzpunkte der Lote/
                                           Pendel daran angeschlossen; dies direkt
                                           durch Einmessen der Lotdrähte oder
                                           durch Kontrollpunkte sehr nahe bei den
Abb. 4: Wild T3 mit Kugelzentrierung       Aufhängungen oder Ablesestellen der
(Untersee 1951).                           Loteinrichtungen.
                                           Für die Polygonzüge waren auch die
                                           neuen Methoden der Distanzmessung          Abb. 6: Distanzmessung mit Invar-
                                           von Interesse. Ab den 1950er-Jahren        band/-draht; Spannbock und Ablese-
                                           wurden Polygonseiten mit Invarbändern      massstab für Polygonmessung auf
                                           und -drähten gemessen (Abb. 6), mit        der Staumauer «Malvaglia» (Kern
                                           denen in den Kontrollgängen der Mauern     Bulletin 7, 1963).
                                           eine Standardabweichung von 0.07 mm
                                           erreicht werden konnte. An der ETHZ        EDM einen deutlichen Zeitgewinn und
                                           sowie am CERN wurden Instrumente für       damit eine Effizienzsteigerung bei der
                                           die Messung hochgenauer Distanzände­       Durchführung der Messungen, welcher
                                           rungen mittels Invardrähten entwickelt:    höchst willkommen war. Denn nebst der
                                           das Distometer ISETH und das Distinvar.    Komplexität der Messkonzepte und der
                                           Ab den 1970er-Jahren wurden geodäti­       erforderlichen grossen Erfahrung war der
                                           sche Messnetze durch elektronische Dis­    enorme Zeitaufwand ein deutlicher Nach­
                                           tanzmessungen (EDM) erweitert und          teil gegenüber den meisten anderen
                                           verstärkt. Dank dem Kern Mekometer         Methoden der Talsperrenüberwachung.
                                           ME3000 (Fig. 5) erreichten diese ein Ge­   Seit Mitte der 1960er-Jahre wurden auch
                                           nauigkeitsniveau im Submillimeterbe­       in der Rechentechnik und in der elektro­
                                           reich, sodass sie in den hochpräzisen      nischen Datenverarbeitung (EDV) wichti­
                                           Deformationsmessungen eingesetzt wer­      ge Fortschritte erzielt. Die Ausgleichungs­
                                           den konnten. Die Distanzmessungen er­      rechnung nach der Methode der kleinsten
                                           laubten es, die Messnetze luft- und see­   Quadrate war eine Voraussetzung für die
                                           seitig mit geringerem Aufwand durch        Optimierung und die effiziente Auswer­
Abb. 5: Kern Pfeilergrundplatte (Ko-       zusätzliche Referenz- und Kontrollpunkte   tung moderner geodätischer Netze, für
bold 1958).                                zu erweitern (Abb. 7). Zudem brachte die   angemessene geometrische Analysen

                                                       Geomatik Schweiz 7–8/2021      173
Histoire de la culture et de la technique

                                                                                         Erkenntnisse bezüglich der Stabilität bis­
                                                                                         heriger Referenzpunkte («Fixpunkte»)
                                                                                         können eine Überprüfung und Ergänzung
                                                                                         der Messanlage erfordern. Zudem führen
                                                                                         modernere Instrumente zu Modifikatio­
                                                                                         nen, Verbesserungen und Erweiterungen
                                                                                         der Überwachungskonzepte. Sie können
                                                                                         sowohl erhöhte Genauigkeiten ermögli­
                                                                                         chen, raschere und effizientere Ausfüh­
                                                                                         rung der Messungen erlauben oder auch
                                                                                         grundsätzlich neue Möglichkeiten der
                                                                                         Bestimmung von Deformationen am
                                                                                         Bauwerk und dessen Umfeld bieten.
                                                                                         Die meisten Talsperren der Schweiz haben
                                                                                         mittlerweile einen konsolidierten elasti­
                                                                                         schen Deformationszustand erreicht, der
                                                                                         primär von Temperatur- und Wasserstands­
                                                                                         änderungen beeinflusst wird. Dennoch
                                                                                         sind einzelne Talsperren sehr kleinen Ver­
Abb. 7: Erweitertes Aussennetz der Staumauer «Gigerwald» (© Schneider In-                schiebungen, Setzungen oder Hebungen
genieure AG).                                                                            unterworfen. Daher muss es ein Ziel des
                                                                                         Überwachungskonzeptes sein, nebst der
und Interpretationen von Deformationen      ligen Institutsmitarbeitern gegründeten      Bestimmung der (relativen) elastischen
sowie für korrekte Angaben zur Genau­       Vermessungsbüros ab den 1960er-Jah­          Verformungen infolge unterschiedlicher
igkeit und Zuverlässigkeit der Resultate.   ren, also in der Blütezeit des schweizeri­   Kraft- und Umwelteinflüsse auch einen
Schliesslich trugen die neuen EDV-Mittel    schen Staumauerbaus, neben der L + T/        (absoluten) Bezug zu geologisch stabilen
wesentlich bei zu besseren oder zumin­      swisstopo ebenfalls mit Kartierungs-,        Zonen herzustellen. Daraus wiederum er­
dest einfacher erstellbaren grafischen      Bau- und Überwachungsmessungen an            gibt sich situativ der Bedarf nach erweiter­
Darstellungen der Deformationen und         schweizerischen und ausländischen Tal­       ten geodätischen Deformationsnetzen,
ihrer Signifikanz.                          sperren beauftragt wurden. Schliesslich      welche insbesondere mit Präzisionsnivelle­
                                            war die Ausweitung der Durchführung          ments, Präzisionsdistanzen und GNSS-
Verbreitung des Wissens                     geodätischer Deformationsmessungen           Messungen realisiert werden können. Die
Um über die Ausbildungslehrgänge hin­       auf private Firmen auch wegen der zu­        zu erwartenden Bewegungen sind meist
aus weitere Kreise mit den neuen Metho­     nehmenden Anzahl der zu überwachen­          sehr klein und erfordern höchste Genau­
den der Distanzmessung und später all­      den Objekte unerlässlich.                    igkeit (d.h. Richtigkeit und Präzision).
gemein der Ingenieurvermessung ver­                                                      Die optimale (örtliche und zeitliche) Kom­
traut zu machen, organisierte das IGP der                                                bination des «äusseren» geodätischen
ETHZ gemeinsam mit anderen techni­
                                            Erneuerungen und                             Netzes mit dem «inneren» Messsystem,
schen Universitäten des deutschsprachi­     Erweiterungen 1980–2021                      welches primär aus nichtgeodätischen
gen Raums die periodisch durchgeführ­       Der Ausbau der Wasserkraftanlagen in         Methoden und Instrumenten besteht
ten Kurse für geodätische Streckenmes­      den Alpen wird in dieser Epoche deutlich     (z. B. Lote/Pendel, Neigungs-, Fugen- und
sung, später Ingenieurvermessungskurse      geringer vorangetrieben. Abgesehen von       Dehnungsmesser, etc.), trägt wesentlich
IVK genannt. Auch Kongressvorträge          den jüngsten Pumpspeicherwerken wer­         zur verbesserten Überwachung und In­
und Zeitschriftenartikel behandelten re­    den vor allem Sanierungen (z. B. zur         terpretation bei. So können die hochge­
gelmässig neuste Entwicklungen und          Verminderung von Erdbebenrisiken), Er­       nauen relativen und häufiger ausgeführ­
Erkenntnisse für die Talsperrenüberwa­      neuerungen und Mauererhöhungen aus­          ten «inneren» Messungen mit den selte­
chung.                                      geführt. Dennoch müssen die bestehen­        neren geodätischen Beobachtungen
Die Professoren und Mitarbeiter der         den geodätischen Überwachungsnetze           verbunden werden, um absolute Ver­
Hochschulinstitute wurden von privaten      unterhalten, erneuert und teilweise er­      schiebungen zu bestimmen. Selbstver­
Ingenieurunternehmungen für die Bera­       weitert werden. Gründe dafür sind der        ständlich sind auch die Temperatur- sowie
tung oder Mitarbeit bei Deformations­       Wegfall von Referenz- und Kontrollpunk­      die Wasserstands- und Sickerwassermes­
messungen beigezogen. Es ist denn auch      ten oder einzelner Visuren, hauptsächlich    sungen damit zu kombinieren und zu
nicht verwunderlich, dass die von ehema­    durch Bautätigkeiten. Aber auch neue         interpretieren. Schliesslich sollen geophy­

                                     174          Géomatique Suisse 7–8/2021
Kultur- und Technikgeschichte

sikalische und geotechnische Messinstal­      nauigkeit eingebaut. Zudem ermöglichen      Modellen (z. B. getrennte Ausgleichung
lationen wie Gleitmikrometer oder -de­        die Instrumente neuster Generation dank     von Lage und Höhe oder 3D-Ansatz), in
formeter, Bohrlochextensometer etc. an        schnelleren Messverfahren sowie der         der Art der kombinierten Ausgleichung
die geodätischen Netze angeschlossen          Motorisierung und dem automatischen         von trigonometrischen und GNSS-Mes­
werden. Die bereits in der vorherigen         Anzielen von Reflektoren raschere und       sungen oder in der Möglichkeit der ge­
Epoche 1945–1980 erwähnte Vielzahl            bequemere Messungen, was wiederum           meinsamen Ausgleichung mehrerer
vermessungstechnischer, geophysikali­         die Genauigkeit steigert.                   Mess­epochen unterscheiden.
scher und geotechnischer Methoden, die        1988 hat swisstopo die ersten satelliten­   Mit den heutigen Instrumenten und Soft­
nebeneinander beobachtet und ausge­           gestützten GPS-Messungen an Stauanla­       warewerkzeugen sind auch kontinuierli­
wertet werden, wird in modernen Über­         gen in der Schweiz durchgeführt (Fig. 6).   che Überwachungen von Talsperren
wachungskonzepten zum eigentlichen            Wie anfangs der 1920er-Jahre mit den        möglich. Im Gegensatz zu automatisier­
«Systemdenken» erweitert, indem sie           Methoden der Landestriangulation haben      ten Instrumentierungen im Innern der
direkt, also mittels identischer Messpunk­    diese Entwicklungen einen engen Bezug       Staumauern (z. B. automatische Pendel­
te kombiniert und die Resultate gesamt­       zu Neuerungen in der Landesvermessung.      ablesungen) sind vollautomatische, kon­
haft analysiert werden.                       Dank den GPS- und später GNSS-Mes­          tinuierliche geodätische Überwachun­-
                                              sungen kann die bisherige Einschränkung     gen noch die Ausnahme. Zumindest mit
Aktuelle Methoden und Konzepte                der notwendigen Sichtverbindung zwi­        GNSS-Geräten wären sie allerdings relativ
der Talsperrenvermessung                      schen den Messpunkten umgangen              einfach und kostengünstig realisierbar
Noch heute bilden die «klassischen» Me­       werden. Dies ermöglicht es, erweiterte      (siehe Geomonitoring).
thoden das Rückgrat der geodätischen          Referenznetze mit Festpunkten in ent­
Deformationsmessungen an Talsperren.          fernter liegenden, geologisch stabilen      Aktivitäten von Schweizer Firmen
Ab den 1980er-Jahren haben die Entwick­       und von der Stauanlage unbeeinflussten      an Talsperren im Ausland
lungen in der Elektronik und im Instru­       Zonen zu errichten. Zudem ermöglichen       Während in der Schweiz in dieser dritten
mentenbau zu einer deutlichen Steigerung      GNSS-Messungen in situ den Massstab         Epoche (ab ca. 1980) primär bestehende
der Genauigkeiten der geodätischen De­        der eingesetzten Distanzmesser zu über­     Stauanlagen erneuert sowie teilweise
formationsmessungen beigetragen. Seit         prüfen. Denn die Etablierung eines hoch­    erhöht und die zugehörigen geodäti­
1986 ermöglicht das Kern Mekometer            genauen äusseren Referenzrahmens setzt      schen Überwachungsnetze wie beschrie­
ME5000 (Abb. 8), das bis heute zu den         die Gewährleistung eines «absoluten»        ben erweitert wurden, sind das Wissen
Distanzmessern höchster Präzision zählt,      Massstabes voraus, beispielsweise zur       und die Erfahrung von Schweizer Firmen
das Messen von Distanzen im Nahbereich        zuverlässigen Beurteilung von Talver­       und Ingenieuren auch im Ausland für den
oder im Innern der Talsperren im Submil­      engungen. Dies im Gegensatz zu den          Bau und die Ertüchtigung von Talsperren
limeterbereich; bei sorgfältiger Erhebung     Bestimmungen der (kurzfristigen) elasti­    gefragt. Dank den guten Kontakten zu
repräsentativer Meteo-Parameter auch          schen Verformungen in den Anfängen          grossen Schweizer Ingenieur-Dienstleis­
über einige Kilometer im äusseren, erwei­     der trigonometrischen Netze, bei denen      tungsunternehmungen, welche beim Bau
terten Netz im Millimeterbereich. In jüngs­   die differentiellen Verschiebungsmessun­    von Wasserkraftwerken und Stauanlagen
ter Zeit sind in Tachymetern und Totalsta­    gen rein auf Vorwärtseinschnitten basier­   weltweit tätig waren und sind, können
tionen Distanzmesser mit ähnlicher Ge­        ten und der Netzmassstab noch eine          Schweizer Vermessungsfirmen und Geo­
                                              untergeordnete Rolle spielte.               däten ihre wertvollen Kenntnisse auch
                                              Wesentliche Verbesserungen bringen          beim Bau und der Überwachung von
                                              selbstverständlich auch in dieser Epoche    Stauanlangen im Ausland einbringen. Auf
                                              die Digitalisierung und die Weiterent­      der GGGS-Webseite sind die Ausland­
                                              wicklung der EDV-gestützten Auswer­         aktivitäten in einem Anhang zum Haupt­
                                              tung. Die geodätischen Netze werden         bericht zusammengestellt.
                                              sogar über mehrere Messepochen «in
                                              einem Guss» streng ausgeglichen. Dies
                                              ermöglicht eine bessere und zuverlässi­     Moderne Methoden
                                              gere Beurteilung der Resultate und eine     Seit der Jahrtausendwende werden neue
                                              verbesserte Dokumentation und grafi­        Methoden ergänzend zu den vorgehend
                                              sche Darstellung der Ergebnisse der De­     beschriebenen eingesetzt: Geomonito­
                                              formationsanalyse. Dazu sind in der In­     ring, Faseroptische Messsysteme, terres­
Abb. 8: Kern Mekometer ME5000                 genieurvermessung verschiedene Soft­        trisches Laserscanning, terrestrische bzw.
(1994) vor der Staumauer «Mauvoisin»          wareprodukte im Einsatz, welche sich in     satellitengestützte Radarinterferometrie
(© Pöyry Schweiz AG).                         den zugrundeliegenden mathematischen        und weitere.

                                                           Geomatik Schweiz 7–8/2021      175
Histoire de la culture et de la technique

Geomonitoring                            lang der Gotthard-Passstrasse festgestell­   sche und geotechnische Messanlagen
Zwei Ereignisse bzw. Erkenntnisse im     ten Setzungen von bis zu 12 cm, welche       eingerichtet (Fig. 7).
Zusammenhang mit Tunnelbauten moti­      auf den in den 1970er-Jahren erfolgten       Das Monitoring vor und während dem
vierten die Bauherrschaft AlpTransit     Bau des Gotthard-Strassentunnels und         Tunnelbau bezweckte, allfällige durch
Gotthard (ATG) 1998 zu einem umfassen­   dessen Drainagewirkung zurückgeführt         den Bau des Gotthard-Basistunnels ver­
den Geomonitoring im Gebiet von Stau­    werden konnten.                              ursachte Geländedeformationen und
anlagen der Kraftwerke Vorderrhein AG:   Zusätzlich zu den erweiterten «episodi­      damit die Auswirkungen des Untertage­
Die Beschädigung der Staumauer Zeuzier   schen» Messungen gemäss Stauanlagen­         baus auf die drei Stauanlagen frühzeitig
1978 infolge der Ausbrucharbeiten des    verordnung wurden deshalb zur Überwa­        zu erkennen und genügend Zeit für Ge­
Sondierstollens zur Prospektion des      chung der Talquerschnitte im Umfeld der      genmassnahmen zu gewinnen (Abb. 9).
Rawiltunnels sowie die anlässlich des    Staumauern Curnera, Nalps und Santa
Landesnivellements von swisstopo ent­    Maria spezielle, automatisierte geodäti­     Faseroptische Messsysteme
                                                                                      Rasche Seespiegeländerungen belasten
                                                                                      die Talsperren von Pumpspeicherkraft­
                                                                                      werken vermehrt. Zur Überwachung ihrer
                                                                                      Formänderungen werden auch Glasfasern
                                                                                      mit integrierten Messsensoren eingebaut.
                                                                                      Die Sensoren liegen z.B. in den Blockfu­
                                                                                      gen und erlauben es, Längenänderungen
                                                                                      der Glasfaser mit einer Präzision von
                                                                                      wenigen Mikrometern zu ermitteln.

                                                                                      Terrestrisches Laserscanning (TLS)
                                                                                      Der Scanner misst die Talsperrenoberflä­
                                                                                      che in einem frei definierbaren geomet­
                                                                                      rischen Punktraster dreidimensional und
                                                                                      berührungslos (Horizontal- und Vertikal­
                                                                                      richtung, Schrägdistanz, Intensität, evtl.
                                                                                      RGB-Farbwert) (Abb. 10). Die rasche
                                                                                      Messung hoher Punktmengen (bis zu
                                                                                      1 Mio. Punkte/s) ist in der Richtigkeit und
                                                                                      Präzision noch tiefer als die herkömmli­
                                                                                      che, hoch redundante aber zeitaufwän­
                                                                                      dige Mehrpunktbestimmung. Die Geo­
                                                                                      referenzierung und Modellbildung der
                                                                                      Punktwolken sind herausfordernd. TLS
                                                                                      wird künftig vermehrt, aber wohl noch
                                                                                      für längere Zeit ergänzend zu den klassi­
                                                                                      schen Methoden eingesetzt werden.

                                                                                      Terrestrische Radarinterferometrie
                                                                                      Bei sehr hohem Gefährdungspotenzial
                                                                                      kann GB-InSAR (ground-based Interfero­
                                                                                      metric Synthetic Aperture Radar) beson­
                                                                                      ders die Umgebung von Talsperren dau­
                                                                                      ernd und flächenhaft überwachen (Fig. 8a).
                                                                                      Die Reichweite beträgt ab Sensor bis zu
                                                                                      4 km, die überstrichene Fläche über 5 km2
Abb. 9: Setzungen 2002–2013 gemessen mit Präzisionsnivellements, GPS und              und Bewegungen können im Submillime­
Tachymetrie gemäss Fig. 7 im Bereich der Stauanlagen der Kraftwerke Vorder-           terbereich detektiert werden, allerdings
rhein AG während des Baus des Gotthard-Basistunnels (Bild aus internem                nur in Richtung der Achse des Radarstrahls
Expertenbericht der ATG-Fachkommission «Vortrieb und Stauhaltungen»;                  (Line-of-Sight LOS) (Fig. 8b). Werden meh­
publiziert in: Berichte der Landesgeologie, Nr. 7, 2016; © ATG, swisstopo).           rere GB-InSAR Sensoren auf unterschied­

                                  176          Géomatique Suisse 7–8/2021
Kultur- und Technikgeschichte

lichen Stationen eingesetzt, lassen sich
3D-Verschiebungen ermitteln. Im Umfeld
von Schweizer Talsperren wurde die Me­
thode bisher erst versuchsweise einge­
setzt.

Satellitengestützte Radar­
interferometrie InSAR
Die Oberflächen ganzer Täler oder Länder
lassen sich aus Satelliten mit Interfero­
metric Synthetic Aperture Radar (InSAR)
quasi-kontinuierlich überwachen. Die Pe­
riodizität ergibt sich aus den Ausleuch­      Abb. 10: Differenzmodell aus zwei Laserscans der Staumauer «Schiffenen»
tungszonen der Satellitendurchgänge. In       (© Vincent Barras; vgl. auch Wieser et al. 2020).
der Schweiz werden beispielsweise Set­
zungen von Salzabbaugebieten, Gelände­            rologische, inertiale Messeinheiten,       reiches Anwendungsgebiet der Ingenieur­
rutschungen, Blockgletscher und Perma­            Wasserstandsmesser usw.)                   geodäsie. Die geodätische Überwachung
frostgebiete untersucht. Die Präzision der    •   Ein Übergang von periodischen Mes­         von Stauanlagen wird vor allem dank ih­
durchschnittlichen Verschiebungsraten aus         sungen zu kontinuierlichen Zeitreihen      ren «absoluten» Ergebnissen ein wichtiger
differenziellen Auswertungen (D-InSAR)            auf ausgewählten, permanent und            Pfeiler im Sicherheitskonzept der Talsper­
ist in LOS Richtung besser als 1 mm/Jahr,         stabil installierten Messstationen         ren bleiben.
bei Einzelmessungen besser als 4 mm/Jahr.     •   Einbindung der geodätischen Talsper­
                                                  ren-Überwachungsnetze mittels GNSS
Weitere Methoden                                  in den «absoluten», langfristig stabilen   Literatur und Dokumente
• Elektronische Neigungsmesser zur per­           und gut überwachten Referenzrahmen
                                                                                             Auf der Webseite der GGGS https://www.
  manenten Bauwerksüberwachung                    der Landesvermessung                       gggs.ch sind zu finden:
• Digitale geotechnische Sensoren für         •   In ihrer Algorithmik weiter entwickelte
                                                                                             • Hauptbericht der Arbeitsgruppe: Dieser
  Kluftmessungen im Submillimeterbe­              Auswerte- und Analyse-Hilfsmittel,           vertieft die hier stark gekürzt präsentierten
  reich (Extensometer, Telejointmeter             d.h. komplexere Ausgleichungsmetho­          Inhalte, enthält das Literaturverzeichnis und
  usw.)                                           den, echtzeitnahe 3D-Zeitreihen- und         © Angaben zu den Bildern und Karten und
• Steinschlagradar: detektiert Steinschlag­       Strainanalysen, Ableiten von Trends,         beschreibt in Anhängen die Schweizer Tal­
  ereignisse bei allen Wetterbedingun­            Cloud-Dienste, künstliche Intelligenz,       sperren und die Aktivitäten schweizerischer
  gen, auch bei Dunkelheit, und alarmiert         Deep Learning                                Vermessungsbüros im Ausland
  innerhalb von wenigen Sekunden              •   Einsatz neuer Technologien aus dem         • Umfassende Bibliografie der einschlägigen
• Deformationskamera: analysiert auto­            Bereich des Internet of Things zur Ver­      schweizerischen Publikationen zu Talsper­
  matisch sequentielle, hochaufgelöste            netzung und Fernsteuerung von autono­        renvermessungen
  Bildaufnahmen und ermittelt dabei mit           men Multisensorsystemen (Machine-to-       • Viele Publikationen im PDF/A Format sowie
  raffinierten Bildverarbeitungsverfahren         machine Kommunikation über 5G, IPv6)         zusätzliche Bilder.
  flächige Deformationen von instabilen       •   Terrestrische Positionierungssysteme
  Hängen, Felswänden oder Gletschern              mit Pseudolites (lokal montierte Sender,
  auf wenige Zentimeter genau                     d.h. «Pseudo-Satelliten»), analog zu
• Bewegungssensoren, meist piezoelek­             Ground Based Augmentation Systems          Adrian Wiget
  trische Sensoren oder MEMS (Micro-              (GBAS) in der Luftfahrt                    Sonnenweg 6, 5507 Mellingen
  Electro-Mechanical-Systems)                 •   Technologien aus den Indoor Naviga­        adrian.wiget@bluewin.ch
• Digitale Pegelmessungen.                        tion Methoden                              Beat Sievers
                                              •   Einbezug von Augmented und Virtual         Bahnhofstrasse 11, 3454 Sumiswald
                                                  Reality zur Simulation und Prognose        sievers-frey@bluewin.ch
Ausblick                                          von zukünftigen Objektzuständen.           René Huser
Die Zukunft kann uns aus heutiger Sicht                                                      Meisenweg 9, 8600 Dübendorf
bringen:                                      Fazit                                          rene.huser@glattnet.ch
• Eine zunehmende Vernetzung und In­          Hochgenaue, langjährig zuverlässige De­        Urs Federer
  tegration von geodätischen, geotech­        formationsmessungen sind ein spannen­          Oelbergweg 5, 5234 Villigen
  nischen und weiteren Sensoren (meteo­       des, komplexes und höchst anforderungs­        urs.federer-kehl@greenmail.ch

                                                             Geomatik Schweiz 7–8/2021       177
Sie können auch lesen