Über die Sonnen- und Schattenseiten bei Großprojekten

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Über die Sonnen- und Schattenseiten bei Großprojekten
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Teil 2: Online-Fachtagung „Strukturmigration mittels komplexer Intervention“ von IGiB StimMT

Über die Sonnen- und Schattenseiten bei Großprojekten
Bei der Online-Fachtagung „Strukturmigration mittels komplexer Intervention“ von IGiB StimMT, die Ende letzten Jahres
stattfand, wurden in drei Workshops zum einen die „Ökonomische Dimensionen der Ambulantisierung“ (Teil 1, MVF 06/20),
zum anderen die „Evaluation komplexer Interventionen“ (wird in MVF 02/21 publiziert) und zum Dritten die „Sonnen- und
Schattenseiten bei der Führung von Großprojekten des Innovationsfonds“ thematisiert. Diesem Thema widmet sich dieser
Teil der Berichts-Triologie.

>> „Das Templiner Projekt ist ein sehr leb-    auch ehrlicherweise eigene Problemfelder,           lich alle großen Innovationsfondsprojekte
haftes Projekt.“ Mit diesen Worten begann      so zum Beispiel den Wechsel der Gesamt-             gleichermaßen betrifft: die langwierige und
MUDr./CS Peter Noack, der Vorstandsvorsit-     projektleitung (von Helming auf den heu-            überhaupt nicht triviale Teambildung in
zende der Kassenärztlichen Vereinigung Bran-   tigen IGiB-StimMT-Geschäftsführer Lutz O.           derartigen Großprojekten. Das Ganze oben-
denburg seinen durchaus sehr persönlichen      Freiberg und ihn), die durchaus (und gewiss         drein garniert durch externe Problemfelder,
Rückblick auf die letzten knapp vier Jahre,    nicht verwunderlich) diversen Interessen-           vor allen Dingen die rasante Entwicklungen
in denen er mitverantwortlich war für das      lagen im Konsortium und das, was eigent-            der Digitalisierung sowie auf der Bundes-
Innovationsfondsprojekt „Strukturmigration
im Mittelbereich Templin, kurz IGiB-StimMT.
In diesen annähernd vier Jahren, in denen                      Struktur des Innovationsfondsprojekts
Noack die Verantwortung für die Führung               Strukturmigration im Mittelbereich Templin (IGiB-StimMT)
der KV Brandenburg (und damit auch des
Großprojekts) von seinem Vorgänger Dr.
med. Hans-Joachim Helming übernommen
hatte, wurden für dieses eine Innovati-
onsfondsprojekt wöchentliche Jour Fixe
des Führungskreises (Gesamtprojektleitung
und Projektkoordination), eine 14-tägige
Teilprojektleiterrunde (Projektkoordination
und Teilprojektleiter) sowie viele Sitzungen
des Lenkungsgremiums (KVBB/BARMER/
AOK Nordost/Sana/AGENON – davon meh-
rere inklusive hochrangigen Vertretern des
Ministeriums für Soziales, Gesundheit, In-
tegration und Verbraucherschutz des Landes
Brandenburg, kurz MSGIV) durchgeführt.
Darauf rückblickend – so Noack – „habe ich
versucht, aus diesem Leben ein paar Schlüs-
se zu ziehen und Informationen darüber zu                                                          orientiert und regionalspezifisch auf die veränder-
geben, wo in diesem Projekt die Sonnen-                         Die Region                         ten Bedingungen des demografischen Wandels auf
oder Schattenseiten zu finden waren“.          Die Stadt Templin mit rund 16.000 Einwohnern        den Weg zu bringen. Dazu entstand am Standort
                                               liegt im Norden des Bundeslandes Brandenburg        des heutigen Krankenhauses Templin ein Ambu-
                                               und gehört zum Landkreis Uckermark. Im Mittel-      lant Stationäres Zentrum (ASZ) Templin, begleitet
         Noack: „Sehr erfolgreich              bereich Templin lebten im Jahr 2015 ungefähr        von einem Um- und Neubau. Im ASZ werden zu-
           ans Netz gebracht“                  27.000 Einwohner (2015, Amt für Statistik Berlin-   künftig die stationären und ambulanten Versor-
                                               Brandenburg). Hierzu gehören die Städte Templin,    gungskapazitäten den Bedarfen angepasst sowie
                                               Lychen, die Gemeinde Boitzenburger Land und das     fach- und einrichtungsübergreifend miteinander
   Derlei Schattenseiten gab es viele.
                                               Amt Gerswalde.                                      verzahnt. Mit den niedergelassenen Ärzten und
Doch gab es dazwischen im Laufe der Zeit                                                           Psychotherapeuten – insbesondere aus dem Arzt-
auch etwas Sonne. Zu den Schattenseiten                    Über IGiB-StimMT                        netz – sowie Therapeuten, Hebammen und Pfle-
zählte Noack als erstes die Probleme, die      Das Projektvorhaben Strukturmigration im Mit-       geunternehmen besteht ein fachlicher und kolle-
                                               telbereich Templin, kurz StimMT, ist ein Projekt    gialer Austausch. Die Angebote des ASZ ergänzen
durch die Förderstruktur und eine damit
                                               der IGiB GbR (AOK Nordost, BARMER, KV Branden-      das Angebot der niedergelassenen Arztpraxen und
einhergehende hohe Bürokratielast aufka-       burg) und der Sana Kliniken Berlin-Brandenburg      bringen die stationäre Versorgung des bisherigen
men, wie etwa den verspäteten Projektstart     GmbH. Zur Umsetzung des Projektes wurde die         Krankenhauses Templin sowie die pflegerische und
durch eine verspätete Auszahlung der För-      IGiB-StimMT gGmbH gegründet. Die IGiB-StimMT        therapeutische Versorgung mit ein.
                                               gGmbH und die weiteren Konsortialpartner (Sa-       Das Koordinierungs- und Beratungszentrums mit
dergelder, die lange Bearbeitungszeit von
                                               na Kliniken Berlin-Brandenburg GmbH, AOK Nord-      individueller Beratung und Unterstützung von Pa-
Änderungsanträgen und Genehmigungen            ost, BARMER, KV Brandenburg sowie die KV COMM       tienten, Angehörige und Ärzten begleitet diesen
durch den Projektträger DLR sowie die vie-     GmbH, AGENON GmbH und inav GmbH) hatten             Prozess. Von 2017 bis Ende 2020 wurde das Pro-
len durch diesen geforderten Zwischenbe-       zum Ziel, die regionalen Versorgungsstrukturen      jekt IGiB StimMT aus dem Innovationsfonds des
                                               und -prozesse im Mittelbereich Templin bedarfs-     Bundes gefördert.
richte und Statusmeldungen. Er nannte aber

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ebene inklusive der entsprechenden Gesetz-       gleich den zur Umsetzung derartiger Pro-              Projekten, dass das am Ende dazu führt, dass
gebungsverfahren, die zur elektronischen         jekte bestehende Rechtsrahmen, die nicht              die Zeit knapp wird.“ Dies betreffe vor allem
(seit Januar dieses Jahres endlich gestar-       nur den Innovationsgeist, sondern auch                die Einschreibezahlen, die man benötige,
teten) Patientenakte geführt haben. All          die mögliche Überführung in die Regelver-             um zu den prognostizierten Ergebnissen zu
das hat das eigene Teilprojekt mit dem ge-       sorgung einschränke. Denn, so Matthesius:             kommen. Diese wären in der veranschlag-
planten Aufbau einer eigenen IT-Plattform        „Innovation muss nicht immer bedeuten,                ten Projektzeit grundsätzlich möglich, aber
und einem dazu gehörenden Clinical Data          wir machen etwas komplett neu, sondern                nicht in einer verkürzten. Gleiches gelte für
Repository nicht nur weit überholt, sondern      auch Bestehendes anders“. Innovativ kön-              die Zeit der tatsächlichen Intervention. Laut
auch unnötig gemacht.                            ne es auch sein, „dass man Sachen, die es             Matthesius gäbe es bei einzelnen Projekten
    Doch trotz all dieser Problemfelder und      schon gibt, neu kombiniert und neu auf-               zwar die Möglichkeit, die Projektlaufzeit zu
Schwierigkeiten ist das Projekt nach Noacks      stellt und miteinander verzahnt“, wie es              verlängern, doch sei die Förderdauer insge-
Sicht „sehr erfolgreich ans Netz gebracht“       eben gerade beim Projekt der Strukturmi-              samt reglementiert. Insbesondere bei Pro-
worden, sprich aktiv als Koordinierungs-         gration in Templin der Fall sei.                      jekten, bei denen Strukturen verändert wer-
und Beratungszentrum mit einer für                   Erschwerend komme jedoch hinzu, dass              den müssen, sei es mittlerweile offenkundig,
Deutschland ganz neuen Struktur, die durch       die Definition der Regelversorgung und                dass diese Zeit zu kurz getaktet sei, um zum
ein auf Patienten und deren Bedarfe aus-         deren Abgrenzung keinesfalls klar sei.                gewünschten Ziel zu kommen; insbesondere
gerichtetes Ambulant-Stationäres Zentrum         Matthesius: „Das ist etwas, das wir lernen            dann, wenn – wie beim Projekt der Struk-
gebildet wird. Noack: „Das Zentrum ist von       mussten: Es ist alles andere als einfach,             turmigration Templin – es sich nicht nur um
Patienten sehr gut angenommen worden.“           vielversprechende oder auch gut funktio-              eine komplexe Intervention handele, son-
Das habe dazu beigetragen, dieses Projekt        nierende Projektbestandteile umzusetzen,              dern auch um eine, die „an die Grenzen der
in der Öffentlichkeit positiv darstellen zu      einfach weil es Beschränkungen hinsicht-              manifestierten sektorierten Welt“ komme.
können; doch ausschlaggebend sei der Fakt        lich der Förderfähigkeit gibt, die es schier          Einer dieser Grenzpfeiler ist die „sektorüber-
gewesen, dass damit „eine neue Struktur          unmöglich machen, einzelne Komponenten,               greifende Vergütung“, die laut Matthesius
aufgebaut wurde, die der Bevölkerung wirk-       die sinnvoll und auch umsetzbar wären, in             in einigen der Innovationsfondsprojekte,
lich von Nutzen ist“.                            die Praxis zu überführen.“                            an der seine Kasse beteiligt sei, eine große
    Doch gleichermaßen auch für die ambu-            Matthesius sprach in seinem Vortrag aber          Rolle spiele. Doch gebe es hier „noch keine
lant tätigen Ärzte vor Ort, die „sich neu zu-    auch ein ganz grundlegendes, in vielen der-           Lösungen, derer es aber bedarf“.
sammengefunden“, unter anderem ein Ärzte-        artiger Projekte zutage tretendes Problem-               Als weitere Großbaustelle nannte der
netz gegründet und „sehr aktiv an dem Pro-       feld an: Generell sei von vorneherein die             BARMER-Manager das Thema der Finanzie-
jekt mitgearbeitet“ hätten. Aber eben nicht      Anlaufzeit unterschätzt worden. Das ist               rung, nicht nur im Verlauf eines Projekts,
wie früher jeder für sich allein, sondern in     etwas, was der BARMER-Manager gut beur-               sondern ganz speziell im Anschluss an ein
eine neue Struktur eingebunden, die Kon-         teilen kann: Immerhin ist seine Kasse an              Projekt. Hier gebe es drei Lücken. Die erste
takte zu den stationär tätigen Kollegen          insgesamt 83 Innovationsfondsprojekten be-            entstehe schon in dem Moment, an dem im
nicht nur vorsieht, sondern tatsächlich auch     teiligt, davon 49 Projekte, die den Neuen             Rahmen eines Projektes die fondsseitige Fi-
strukturiert bietet. Noack: „So sind wir gu-     Versorgungsformen zuzurechnen sind, ergänzt           nanzierung des Einschlusses der Versicher-
ter Hoffnung, dass sich unser Ambulant-Sta-      durch 34 Projekte im Bereich der Versor-              ten in die entsprechenden Prozesse endet.
tionäres Zentrum in der ärztlichen Versor-       gungsforschung. Dass ein Projekt aufgrund             Ab diesem – oft recht frühen – Zeitpunkt,
gung, die dann in ärztlicher Hand ist, verste-   oft verspätet eintreffender Förderzusagen             könne dieser Part „im Prinzip über Fondsgeld
tigen wird und sehr zukunftssicher gestaltet     später als geplant starten könne, sei nicht           nicht mehr gefördert“ werden. Die zweite Lü-
ist.“ Immerhin sind über das Projekt aktuell     das Schlimme. Problematisch sei jedoch,               cke schließt sich Matthesius Worten zufolge
10.439 Patienten aufgeklärt, was nicht nur       dass der Förderer damit nicht gleichzeitig die        gleich nach Beendigung des Projektes an. Zu
circa 40 Prozent der Einwohner des Mittel-       Förderzeit verlängere. „Wir sehen bei vielen          diesem Zeitpunkt sei zwar das Projekt offi-
bereiches Templin entspricht, sondern auch
rund 80 Prozent der tatsächlich zu behan-
delnden Population (12.998 Personen).                                             Frage der Zwischenfinanzierung

  Matthesius: „Der Rechtsrahmen
schränkt den Innovationsgeist ein“
   Auch Dr. Gregor Matthesius, der für den
Konsortialpartner BARMER zuständige und
im Projekt stark involvierte Leiter Verträge
der zuständigen Landesvertretung Berlin/
Brandenburg, wusste von allerlei Schatten-
seiten zu berichten. Er nannte hier ähnlich
wie Noack einen „enormen administrativen
Aufwand bei der Kommunikation mit dem
Förderer, was unter anderem zu zeitlichen        Abb. 1: Frage einer Zwischenfinanzierung. Aus Vortrag: Matthesius, gehalten anlässlich der Online-Fach-
Verzögerungen führen würde. Doch dann            tagung „Strukturmigration mittels komplexer Intervention“ der IGiB StimMT gGmbH.

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           ziell abgeschlossen, doch laufe ab hier die        „Das ist dann eben die neue Regelversor-             2017 in Billstedt/Horn und Nijkerk in den
           Evaluation, die dann auch noch beim För-           gung, wobei es keine Möglichkeit mehr                Niederlanden, seit 2019 im Werra-Meiß-
           dermittelgeber eingereicht werden müsse.           gibt, sie abzuwählen.“ Diese neue Regel-             ner-Kreis und im britischen Hampshire so-
           Die dritte Lücke schließe sich an, wenn die        versorgung müsse ebenso für alle Versi-              wie ab 2020 im Schwalm-Eder-Kreis), wes-
           Evaluation vorliegt, aber die vom Innovati-        cherten der GKV oder allen Patienten in              halb er auch zur IGiB-Veranstaltung geladen
           onsausschuss zu treffende Entscheidung, ob         einer Region zugänglich sein, was sich               war. In seinem Vortrag „Gegen den Strom:
           das Projekt in die Regelversorgung überführt       mit selektivvertraglichen Lösungen kaum              Nutzung des Innovationsfonds zur Transfor-
           wird oder nicht, andauert. Dieser Zeitablauf       mehr abbilden lasse, weil dies zu einer enor-        mation des Gesundheitswesens“ betonte er,
           sei bei der Konstruktion und der Implemen-         men Mehrbelastung führen würde.                      dass der Innovationsfonds nicht auf Inno-
           tierung des Innovationsfonds nicht beach-                                                               vation (im Schumpeterschen Sinne) ziele,
           tet worden, spiele aber in der Praxis bei all      Hildebrandt: „Ist das Verfahren, das                 sondern „auf eine komplementäre Ergän-
           ihm bekannten Projekten eine große Rolle.          mit dem Innovationsfonds gewählt                     zung zur klassischen Regelversorgung“. Dies
           Daher lautete seine Forderung, dass der hier         wurde, das richtige Verfahren?“                    sei auch den im deutschen Gesundheitswe-
           sichtbar werdende grundlegende Konstruk-                                                                sen seit Jahren herausgebildeten und ver-
           tionsfehler, insbesondere beim Thema der               Das weiß niemand besser als Dr. h.c. Hel-        festigten Strukturen und – so Hildebrandt
           Zwischenfinanzierung, angegangen werden            mut Hildebrandt. Der Vorstands­   vorsitzende        – „Pfadabhängigkeiten, wie ein Wirtschafts-
           müsse.                                             der OptiMedis AG sieht Innovation im                 wissenschaftler sagen würde“, geschuldet.
               Auch sei die Frage der Überführung in          Schumpeterschen* Sinne nicht nur als                 Da dadurch jedoch das Gesundheitswesen
           die Regelversorgung zu lösen; ganz be-             etwas revolutionär Neues, sondern auch „als          „sehr stark, aber auch sehr behäbig“ sei,
           sonders dann, wenn „es keine Möglichkeit           ein Stück Zerstörung bestehender, oft nicht          wäre die Frage, ob „das Verfahren, das mit
           mehr gibt, die Regelversorgung alter Art           effizienter Strukturen“, die durch neue              dem Innovationsfonds gewählt wurde, das
                                 und die neue Versor-         erfolgreichere Produktionsfunktionen ersetzt         richtige Verfahren ist, um zu wirklichen In-
* Joseph Alois                   gung     nebeneinander       werden, die besser in der Lage seien, den ge-        novationen zu kommen?“
Schumpeter                       zu führen“, weil durch       sellschaftlichen Anforderungen zu genügen.              Darum sei es überhaupt nicht verwun-
                                 ein Projekt die Versor-          Hildebrandt hat zwar mit der Templi-             derlich, dass meist genau die Projekte vom
(*8. Februar 1883, † 8. Ja-
nuar 1950) war ein österrei-
                                 gungsstruktur    derart      ner Strukturmigration an sich nichts zu              Innovationsfonds gefördert würden, die der
chischer Nationalökonom und      verändert  worden  sei,      tun, steuert und implementiert aber mit              klassischen Regelversorgung ein kleines
Politiker. Er gilt als einer der dass es im Prinzip nur       seinem Unternehmen diverse größere,                  Add-on aufsetzen, um so eine gewisse Op-
herausragenden Ökonomen          noch die neue Versor-        zum Teil auch ähnlich geartete innova-               timierung und Verbesserung zu erzeugen.
des 20. Jahrhunderts.
                                 gung gibt. Matthesius:       tive Projekte (seit 2005 im Kinzigtal, seit          Das aber widerspreche dem politischen

                                                    Vertragsbeziehungen für „Innovative Gesundheitsregionen“

         Abb. 2: Vertragsbeziehungen für „Innovative Gesundheitsregionen“. Aus Vortrag: Hildebrandt, gehalten anlässlich der Online-Fachtagung „Strukturmigration
         mittels komplexer Intervention“ der IGiB StimMT gGmbH.

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                                                                                                    Zitationshinweis
                                                                               Stegmaier, P.: „Über die Sonnen- und Schattenseiten bei Großpro-
                                                                               jekten‘“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (01/21), S. 14-19; doi:
                                                                               http://doi.org/10.24945/MVF.01.21.1866-0533.2271

Auftrag des G-BA, der selbst auf seiner            Aus all diesen Punkten, besonders durch        schoben werden musste, sondern auf „das
Webseite darstellen würde, dass es beim        ihr Zusammenspiel, folgerte er, dass wirk-         Projekt vor dem Großprojekt“. Seine Aufzäh-
Innovationsfonds darum geht, „über die         liche Innovationen, die zum Teil auch erst         lung der des von ihm dokumentierten Zeit-
bisherige Regelversorgung hinausgehende        im Konflikt und der Weiterentwicklung ge-          aufwands vor Förderbeginn sollte so man-
Projekte zu entwickeln, die zur Verbesse-      genwärtiger Strukturen entwickelt werden           chen nachdenklich werden lassen, der sich
rung der bestehenden Versorgung geeignet       könnten, notwendigerweise eher einem               mit derartigen Großprojekten befassen will:
sind“. Dies ende in der berühmten und viel-    Suchprozess folgten und im Real-Life auch          Alleine vor der Förderung seien laut Jäger
fältig diskutierten Aussage, dass der beim     mal Umwege fahren müssten, eben „fast nur          bei ihm rund 1.230 „Personenstunden“, um-
G-BA angesiedelte Innovationsausschuss         über Umwege möglich“ seien.                        gerechnet 154 „Personentage“ angefallen:
bei der Förderung Neuer Versorgungs-               Genau darum geht der OptiMedis-Grün-           • Erste Gespräche Ende 2016 (Einreichung
formen nach Abschluss der geförderten          der bei einigen seiner Projekte einen Son-            am 19.03.2018)
Vorhaben einen Beschluss mit Empfeh-           derweg. „Das ist nicht ganz einfach, aber          • Förderbeginn zum 01.07.2019 (Verschie-
lungen zur Überführung in die Regelver-        es gibt sie“, erklärte Hildebrandt und ver-           bung auf 01.10.2019)
sorgung fassen würde. Hildebrandts rheto-      wies dabei auf ein Projekt in Nordhessen           • Begleitung der Konzeptionierung und An-
rische Frage: „Was machen wir denn, wenn       namens „Gesunder Werra-Meißner-Kreis“.                tragstellung durch AGENON und JGM
die sektoral getrennte Regelversorgung         Dieses Projekt wird explizit nicht über den        • 12 Arbeitsgruppensitzungen mit je 8-10
das eigentliche Problem ist?“ Und weiter:      Innovationsfonds finanziert, sondern über             Teilnehmern zu je 3-4 Stunden
„Reichen die Bedingungen und Strukturen        Banken und stille Gesellschafter organi-           • Diverse Unterarbeitsgruppensitzungen und
des Innovationsfonds dafür aus? Oder die       siert. Das sind meist regional ansässige Un-          Telkos
des ganz normalen Lebens? Hildebrandt:         ternehmen, die ein positives Interesse an          • 6 Lenkungsgremiumssitzungen mit je 12-
„Reales Leben ist sperrig, ist widerspen-      der Gesundheit der Mitarbeiter und deren              14 Teilnehmern zu je 2-3 Stunden
stig. Das zeigt sich gerade darin, dass das,   Familien haben. Ergänzend dazu gebe es die
was heute gedacht wird, in drei Jahren         Möglichkeiten einer Impact-Finanzierung,              „Das macht ungefähr den Arbeitsauf-
eventuell schon gar nicht mehr hundert-        ergänzend aber auch Sozialinvestitionen            wand eines Dreivierteljahrs einer Vollzeit-
prozentig richtig ist.“                        und Wandelanleihen.                                stelle aus, den man benötigt, um eine Kon-
    Wenn man all das zusammennehme,                „Wenn wir aus der Forschungsdenke              zeptidee antragsreif in die Strukturen des
erkenne man, dass nicht nur die Entschei-      hinaus in eine Finanzierungsdenke gehen“,          Innovationsfonds zu bringen“, rechnete
dungsstruktur ein Problem sei, sondern         berichtete Hildebrandt aus eigener Erfah-          Jäger vor. Dann aber geht es erst los. Um
auch, dass die Vertreter der heutigen Sek-     rung, „dann riskieren wir zwar etwas, weil         Großprojekte managebar zu halten, plä-
toren mit über die Projektanträge entschei-    wir für unser Tun auch haften müssen, doch         dierte er dafür, dass nicht mehr als sieben
den. Damit bleibe ein Projektantrag, der       können solche Modelle eine gute und auch           bis neun Partner in ein Projekt aufgenom-
sektorenübergreifend denkt und etwas in        notwendige Lösung sein, um zu einem In-            men werden. Das ist ungefähr die Zahl der
der Gefahrenzone entwickelt, das die Inte-     vestment in die Versorgungstransformation          Hauptakteure, die bei IdA und bei IGiB-
ressen der jeweiligen Sektorenvertreter tan-   und Nachhaltigkeit zu kommen“.                     StimMT aktiv sind, doch – so Jäger – „viel
giert, „gar nicht ankommen kann“. Anders                                                          mehr sollten es nicht werden“. Generell sei
gesagt: „Die Entscheidungsträger müssten               Jäger: „Das Projekt vor                    eine klar kommunizierte Aufgaben- und Rol-
über ihren eigenen Schatten und ihre ei-                 dem Großprojekt“                         lenverteilung im Management das A und O
genen Interessen hinweg das Gemeinwohl                                                            – „jeder muss wissen, was er zu tun hat“.
nach vorne stellen, und das ist eine sehr         Ähnliche Erfahrungen macht auch Dr.             Dies müsse dann nachgehalten, terminiert
hohe Anforderung.“                             Carsten Jäger, der Gründer und Geschäfts-          und protokolliert werden, damit alle Detail-
    Als Problemfelder bezüglich der Umset-     führer der Jäger Gesundheitsmanagement             schritte und Entscheidungen nachvollzieh-
zungsprojekte bezeichnete Hildebrandt zu-      GmbH (JGM), der ebenfalls zum IGiB-StimMT-         bar sind. „Dann kann auch ein Großprojekt
sammenfassend folgende Punkte:                 Workshop geladen war. Er berichtete in             funktionieren“, sagte Jäger, der aber auch
• Entscheidungsstruktur: Die Vertreter der    seinem Impulsreferat über das „Projektma-          weiß, dass man dazu neben einer hohen
   Sektoren entscheiden mit über die Pro-      nagement im Innovationsfondsprojekt IdA“           Frustrationstoleranz „auch ein gewisses
   jektanträge                                 (Interdisziplinäre demenzsensible Akut-            Vertrauen in die Kompetenzen der einzel-
• Krankenkassen: Pflicht zur Beantragung      versorgung – sektorübergreifend).                  nen Partner“ haben müsse, die im Laufe der
   mit mindestens einer Krankenkasse/Be-          Im Fokus dieses vom Innovationsfonds            Zusammenarbeit entstehen könne – „und
   teiligung weiterer Krankenkassen?           geförderten Projekts stehen Menschen mit           die wir in unserem Konsortium mittlerweile
• Studienart/Forschungsmodell: Evaluiert      akut behandlungsbedürftiger somatischer            auch haben“. Sein Fazit lautete daher: „In-
   wird auf der Basis des Antragskonzepts      Erkrankung und kognitiven Einschrän-               novative Großprojekte im Gesundheitswe-
• aufwändige Beantragungsverfahren bei        kungen mit der Nebendiagnose Demenz.               sen mit zwei bis drei oder auch vier Millio-
   Veränderungen                               Ziel ist die Optimierung der stationären Ver-      nen Euro Jahresumsatz benötigen (wie ganz
• Zu kurze Dauer: Evaluation als Vorausset-   sorgung unter systematischer Vernetzung            normale wirtschaftliche Unternehmen auch)
   zung der Beurteilung (d. h. Projektende     mit der ambulanten Versorgung. Dabei ging          klare Organisationsstrukturen und müssen
   vor Beurteilung)                            er gar nicht so sehr auf das Projekt selbst        professionell gemanagt werden, um erfolg-
• Überführung in Regelversorgung: Konflikt    ein, und auch nicht auf die Mammutaufga-           reich zu sein.“  Fortsetzung der Fehlanreize              ab Mai 2020 coronabedingt zwingend ver-                                        Peter Stegmaier

                                               Monitor Versorgungsforschung 01/2021                                                              19
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