Diskurs Die fi nanzielle Mitarbeiterbeteiligung praxistauglich weiterentwickeln - ARBEITSKREIS MITTELSTAND
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August 2011 Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik Diskurs Die finanzielle Mitarbeiterbeteiligung praxistauglich weiterentwickeln ARBEITSKREIS MITTELSTAND I
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Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Die finanzielle Mitarbeiterbeteiligung praxistauglich weiterentwickeln Klaus Mehrens Stefan Stracke Peter Wilke
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis 4 Vorbemerkung 5 Das Wesentliche auf einen Blick 7 1. Einführung: Mitarbeiterkapitalbeteiligung – ein Thema mit vielen Facetten 8 2. Formen und Verbreitung der finanziellen Mitarbeiterbeteiligung 10 2.1 Beteiligungsformen im Überblick 10 2.1.1 Erfolgsbeteiligung 11 2.1.2 Kapitalbeteiligung 12 2.2 Wo funktionieren Beteiligungsangebote – wo gibt es Probleme? 14 3. Die gesellschaftspolitische Debatte: Mitarbeiterbeteiligung als Lösungsansatz für mehr Verteilungsgerechtigkeit? 17 4. Das Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz von 2009 20 4.1 Die politischen Beweggründe – Was war mit der Modernisierung der Förderbedingungen beabsichtigt? 20 4.2 Was muss besser werden? – Erfahrungen und Positionen 25 4.2.1 Reaktionen von Parteien und Sozialpartnern auf das MKBG 25 4.2.2 Anwendungsprobleme des MKBG im Detail 27 Wir danken der Franziska- und Otto-Bennemann-Stiftung für die finanzielle Förderung dieser Publikation. Diese Expertise wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich- Ebert-Stiftung veröffentlicht. Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind von den Autoren in eigener Verantwortung vorgenommen worden. Impressum: © Friedrich-Ebert-Stiftung | Herausgeber: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung | Godesberger Allee 149 | 53175 Bonn | Fax 0228 883 9205 | www.fes.de/wiso | Gestaltung: pellens.de | Fotos © Fotolia | bub Bonner Universitäts-Buchdruckerei | ISBN: 978 - 3 - 86872 - 835- 4 |
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs 5. Krisenbewältigung und Aufbau neuer Perspektiven durch Mitarbeiterbeteiligung? 40 5.1 Hintergrund: Beteiligung in der Krise als „Tauschgeschäft“ 40 5.2 Konzepte und Vorschläge der Debatte im Urteil der Expertenrunde 41 5.2.1 SPD-Konzept „Eckpunkte einer Mitarbeiterbeteiligung in Sanierungsfällen“ 41 5.2.2 CDU/CSU-FDP-Regierung: Änderung des Entgeltumwandlungsverbots 42 5.2.3 Das DGB-Konzept „Belegschaftskapital als attraktiver Baustein einer Krisenlösung“ 42 5.3 Unternehmensbeispiele – Was lässt sich aus den Erfahrungen lernen? 43 6. Mitarbeiterbeteiligung in Europa – Was können wir von unseren Nachbarn lernen? 47 6.1 Drei Länderbeispiele 47 6.1.1 Mitarbeiterbeteiligung in den Niederlanden: Die Entwicklung eines Kernmodells für KMU 47 6.1.2 Mitarbeiterbeteiligung in Frankreich: Eine lange Tradition staatlicher Förderprogramme 48 6.1.3 Mitarbeiterbeteiligung in Österreich: Das Konzept des „strategischen Eigentums“ bei der voestalpine AG 49 6.2 Mitarbeiterbeteiligung als Baustein des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells 50 7. Fazit 52 Literatur 54 Die beteiligten Expertinnen und Experten 62 Die Autoren 64 3
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Formen der finanziellen Mitarbeiterbeteiligung 10 Abbildung 2: Formen der Erfolgsbeteiligung 11 Abbildung 3: Formen der Kapitalbeteiligung 12 Abbildung 4: Funktionsweise eines Mitarbeiterbeteiligungsfonds 14 Abbildung 5: Anlagegrenzen des Mitarbeiterbeteiligungsfonds 24 4
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Vorbemerkung Obwohl die Sozialpartnerschaft in Deutschland Differenzen über die Ausgestaltung einzelner eine gute und lange Tradition hat, spielt die finan- Instrumente, nicht aber über den gesellschafts- zielle Mitarbeiterbeteiligung in der politischen politischen und wirtschaftlichen Wert einer Mit- Diskussion und in der unternehmerischen Praxis arbeiterkapitalbeteiligung. Die Zielsetzungen von nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Die im- langfristig mehr Verteilungsgerechtigkeit durch mer ungleichere Verteilung von Vermögen und die breitere Beteiligung von Arbeitnehmern und speziell die Konzentration des Produktivkapitals Arbeitnehmerinnen am Produktivkapital sind ge- in den Händen Weniger gibt allen Anlass, die in nauso Konsens wie die Idee einer stärkeren Moti- früheren Jahrzehnten geführten Diskussionen vationswirkung im Unternehmen durch Beteili- wieder aufzunehmen. Die breite Beteiligung von gung mit positiven Wirkungen auf die Produk- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Un- tivität. ternehmen könnte der zunehmenden Ungleich- Die möglichen Hindernisse bei einer stärke- verteilung von Vermögen in Deutschland zumin- ren Nutzung von finanziellen Mitarbeiterbeteili- dest entgegenwirken. Zusätzlich zeigen Erfahrun- gungsmodellen liegen gerade bei kleinen und gen aus der Unternehmenspraxis, dass Mitarbei- mittleren Unternehmen in den Details der prak- terbeteiligung vielfältige Vorteile für Beschäftigte tischen Umsetzung. Dies belegen auch die sehr und Unternehmen bieten kann. Der Gesetzgeber unterschiedlichen Beteiligungsquoten in den ver- hat mit der Neufassung des Mitarbeiterkapitalbe- schiedenen Branchen und Unternehmensgrö- teiligungsgesetzes von 2009 neue und verbesserte ßenklassen. Während bei den großen börsenno- Anreize für die Einführung von Beteiligungsmo- tierten Unternehmen Beteiligungsangebote doch dellen geschaffen und will damit insbesondere relativ weit verbreitet sind und zum „alltägli- die Beteiligung im Bereich der kleinen und mitt- chen“ Instrument moderner Personalpolitik ge- leren Unternehmen (KMU) fördern. Mit der Zu- hören, ist eine Beteiligung der Mitarbeiterinnen lassung von überbetrieblichen Beteiligungsfonds und Mitarbeiter am Unternehmenskapital in wurde darüber hinaus ein Instrument geschaffen, KMU nach wie vor eine Ausnahme. Daher ist die um die Umsetzung von Beteiligungsangeboten Umsetzung, Begleitung und Verbesserung der zu erleichtern. Möglichkeiten einer finanziellen Mitarbeiterbe- Nicht zuletzt durch die faktisch zeitgleich teiligung insbesondere im KMU-Bereich ein wich- einsetzende Wirtschafts- und Finanzkrise und tiges Aktionsfeld für einen wirtschafts- und ge- den Regierungswechsel fand das neue Gesetz zur sellschaftspolitischen Dialog, der u. a. auch der Mitarbeiterbeteiligung bisher nicht die gewünsch- Idee von mehr Demokratie und Verteilungsge- te breite Resonanz in der Wirtschaft. An der poli- rechtigkeit verpflichtet ist. tischen Unterstützung mangelt es nicht: Die Vor diesem Hintergrund hat der Arbeitskreis Spitzenverbände der Sozialpartner BDA und DGB Mittelstand der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zu- begrüßen beide die erweiterten Möglichkeiten sammenarbeit mit der Hans Böckler Stiftung ein der Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Auch in den Dialogprojekt durchgeführt, das aus einer Reihe politischen Parteien gab und gibt es allenfalls von Expertengesprächen bestand und an wichti- 5
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung gen offenen Fragen der finanziellen Mitarbeiter- Unternehmen zu steigern. Im Mittelpunkt des beteiligung ansetzte. Ziel des Projektes war es, zweiten Expertengesprächs am 22.2.11 stand die Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, aber auch Ver- Diskussion betrieblicher Erfahrungen mit Beteili- bands- und Gewerkschaftsvertreter sowie Arbeit- gungsmodellen im Zusammenhang mit betrieb- nehmerinnen und Arbeitnehmer im kritischen lichen Krisen- und Sanierungsfällen. Im Rahmen Austausch zusammenzubringen und hieraus An- des dritten Expertengespräches am 5.4.11 wur- stöße für Verbesserungen der Beteiligungsmög- den schließlich auf Grundlage der Erfahrungen lichkeiten und entsprechende Handlungsoptio- mit Mitarbeiterbeteiligung in den Niederlanden, nen zu entwickeln. Frankreich und Österreich Bedingungsfaktoren Im Rahmen des ersten Expertengespräches für die unterschiedliche Verbreitung finanzieller am 23.11.10 wurden die Hintergründe des neuen Mitarbeiterbeteiligung in Europa diskutiert. Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes und not- Die vorliegende Publikation fasst die wesent- wendige Impulse für weitergehende gesetzgeberi- lichen Ergebnisse der Expertengespräche und die sche Initiativen diskutiert, um die Attraktivität politische Auseinandersetzung mit dem Thema von Beteiligungsmodellen für Beschäftigte und Mitarbeiterbeteiligung in jüngster Zeit zusammen. Helmut Weber Marion Weckes Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik Abteilung Mitbestimmungsförderung Friedrich-Ebert-Stiftung Hans-Böcker-Stiftung 6
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Das Wesentliche auf einen Blick Der Bundestag hat im Frühjahr 2009 eine Neufas- den, ihren Beschäftigten ein Beteiligungsangebot sung des Gesetzes zur finanziellen Mitarbeiter- zu machen. Nach den Vorstellungen der damali- beteiligung verabschiedet, um das politische Ziel gen Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD einer stärkeren Verbreitung der Beteiligung von sollte durch die Ausweitung der Förderbedingun- Beschäftigen an Erfolg und Kapital der Unterneh- gen die Anzahl der am Unternehmen beteiligten men zu erreichen. Dieser Gesetzesinitiative vor- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zwei auf ausgegangen war eine mehrjährige politische drei Millionen gesteigert werden. Diskussion unter Einbeziehung der Sozialpartner In der Diskussion seit Einführung des Ge- über mehr Verteilungsgerechtigkeit sowie einzel- setzes werden die mit den neuen gesetzlichen wirtschaftlich positive Auswirkungen von Mitar- Regelungen verbundenen praktischen Anwen- beiterbeteiligung. Der wirtschaftspolitische Kon- dungsprobleme und Verbesserungsvorschläge text dieser Diskussion war geprägt durch einen thematisiert. Hier zeigt sich vor allem, dass es in konjunkturellen Aufschwung und steigende Un- der Umsetzung des neuen Gesetzes noch erhebli- ternehmensgewinne. Die nach der Verabschie- chen Kommunikations- und Vermittlungsbedarf dung des Gesetzes einsetzende Finanzkrise im gegenüber der Wirtschaft gibt. Die möglichen Jahr 2009 änderte diese Rahmenbedingungen positiven Wirkungen von Beteiligungsmodellen erheblich. Zwar wurde in der Wirtschafts- und Fi- (bessere Mitarbeitermotivation und -bindung, nanzkrise die Debatte um Mitarbeiterbeteiligung höhere Produktivität etc.) werden in der Wirt- fortgeführt – jetzt allerdings aus einem anderen schaft zwar erkannt, aber die Idee überbetrieb- Blickwinkel. Im Zusammenhang mit wirtschaftli- licher Umsetzungsmodelle scheint vielen Unter- chen Schwierigkeiten, beispielsweise bei Opel und nehmen zu kompliziert. In der Realität gibt es Schaeffler, wurde diskutiert, inwieweit eine Kapi- solche Fonds bisher noch nicht. talbeteiligung als Instrument zur Bewältigung der Der Weg zu einer stärkeren Verbreitung von Krisensituation in Frage kommen könnte. Wenn Mitarbeiterbeteiligung kann zwar über eine For- Belegschaften auf Lohnansprüche in der Gegen- derung nach noch stärkerer finanzieller Förde- wart verzichten – so die Forderung der Arbeitneh- rung gehen. Aber ohne die politische Initiative merseite – sollten sie durch eine Beteiligung am der Parteien und Sozialpartner kann das Thema Kapital der Unternehmen im Gegenzug Stimm- Mitarbeiterbeteiligung in der öffentlichen Dis- rechte und die Chance auf mögliche Wertstei- kussion keinen neuen Schwung erhalten. Wich- gerungen in der Zukunft haben. tig ist vor allem eine gemeinsame Diskussion von Die Weiterentwicklung der Förderbedingun- Politik und Sozialpartnern zur Verwirklichung gen für Kapitalbeteiligungen aus der Neufassung von mehr positiven Beispielen auf Unternehmens- des Gesetzes umfasste u. a. die Erhöhung der Ar- ebene. Hier ist z. B. zu überlegen, statt der bislang beitnehmersparzulage für in Beteiligungen ange- völlig ungenutzten überbetrieblichen Fonds Stif- legte vermögenswirksame Leistungen von 72 auf tungsmodelle und andere betriebliche Beteili- 80 Euro jährlich. Zudem wurde der steuer- und gungsgesellschaften in den Mittelpunkt der För- sozialversicherungsfreie Höchstbetrag für die derung zu stellen. Solche Modelle werden in Überlassung einer Mitarbeiterbeteiligung am Ar- Deutschland bereits praktiziert. Es ist auch zu dis- beit gebenden Unternehmen von 135 auf 360 Euro kutieren, inwieweit Frankreich als Vorbild dienen pro Jahr erhöht. Darüber hinaus sollte durch über- kann. Dort hat eine umfassende staatliche För- betriebliche Mitarbeiterbeteiligungsfonds vor al- derung zu einer hohen Verbreitung von Beteili- lem für KMU eine Möglichkeit geschaffen wer- gungsmodellen geführt. 7
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 1. Einführung: Mitarbeiterkapitalbeteiligung – ein Thema mit vielen Facetten Der Bundestag hat im Frühjahr 2009 eine Neufas- weise bei Opel und Schaeffler, wurde nun disku- sung des Gesetzes zur finanziellen Mitarbeiterbe- tiert, inwieweit eine Kapitalbeteiligung als Instru- teiligung („Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz“, ment zur Bewältigung der Krisensituation in Fra- im Folgenden: MKBG) verabschiedet. Politisches ge kommen könnte. Wenn Belegschaften auf Ziel war eine stärkere Verbreitung der Beteiligung Lohnansprüche in der Gegenwart verzichten – so von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Kapi- die Forderung der Arbeitnehmerseite – sollten sie tal der Unternehmen. Die Anzahl der am Unter- durch eine Beteiligung am Kapital der Unterneh- nehmenskapital beteiligten Beschäftigten sollte men im Gegenzug Stimmrechte und die Chance mittelfristig von heute rund zwei Millionen Mit- auf mögliche Wertsteigerungen in der Zukunft arbeiterinnen und Mitarbeitern auf drei Millio- haben. nen erhöht werden (Deutscher Bundestag Druck- Beide Diskussionsstränge haben ihre Berech- sache 16/10531 2008). Um diesem Ziel näher zu tigung. Allerdings muss man heute, zwei Jahre kommen, wurden die staatlichen Förderbeträge nach Einführung des Mitarbeiterkapitalbeteili- angehoben und als neue Förderkategorie das so- gungsgesetzes, feststellen, dass es keine wirklich genannte „Mitarbeiterbeteiligungs-Sondervermö- konkreten Hinweise gibt, dass die durch dieses gen“, d. h. eine Beteiligung in Form überbetrieb- Gesetz und die damit verbundene Förderung ein- licher Fonds, neu eingeführt. geräumten Möglichkeiten der Mitarbeiterkapital- Der Gesetzesinitiative vorausgegangen war beteiligung in größerem Umfang genutzt werden eine mehrjährige politische Diskussion unter Ein- als vorher (auch wenn es zwei Jahre nach Einfüh- beziehung der Sozialpartner über mehr Vertei- rung des MKBG zu früh sein mag zu beurteilen, lungsgerechtigkeit durch finanzielle Mitarbeiter- welche langfristigen Effekte von den veränderten beteiligung. Angeregt worden war die Debatte Förderbedingungen auf die Verbreitung und Nut- schon im Jahr 2001 durch den damaligen Bun- zung von Mitarbeiterbeteiligungsmodellen in der deskanzler Gerhard Schröder und Ende 2005 auch Praxis ausgehen). Die Gründe für die bisher eher durch den damaligen Bundespräsidenten Horst schwache Resonanz auf eine Initiative, die von Köhler, der eine stärkere Partizipation der Be- allen politischen Parteien und den Sozialpartnern schäftigten an der erfolgreichen Entwicklung von im Grundsatz unterstützt wurde, sind erklärungs- Unternehmen einforderte (Bundespräsidialamt bedürftig. 2005). Aus diesem Grund wurden vom Arbeitskreis Der wirtschaftspolitische Kontext zu Beginn Mittelstand der Friedrich-Ebert-Stiftung in Koope- der Diskussion war geprägt durch einen konjunk- ration mit der Hans Böckler Stiftung eine Reihe turellen Aufschwung und steigende Unterneh- von Expertengesprächen zwischen Herbst 2010 mensgewinne. Die nach der Verabschiedung des und Frühjahr 2011 durchgeführt (siehe Übersicht Gesetzes einsetzende Finanzkrise im Jahr 2009 im Anhang). Ziel war es, in einem kritischen Aus- änderte diese Rahmenbedingungen aber erheb- tausch zwischen Politik, Praxisexperten und So- lich, so dass die Debatte um Mitarbeiterbeteili- zialpartnern Problemstellungen bei der Nutzung gung in der Wirtschafts- und Finanzkrise eine und Verbreitung der Mitarbeiterbeteiligung in andere Perspektive bekam. Im Zusammenhang Deutschland zu erörtern und Lösungsansätze für mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten, beispiels- eine Verbesserung der Bedingungen zu entwi- 8
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs ckeln. Da die grundsätzlichen Vorteile (und Nach- fahrungen haben Arbeitgeber und Gewerk- teile) einer finanziellen Mitarbeiterbeteiligung schaften gemacht? Gibt es Best-Practice-Fälle? und die damit verbundenen politischen Ziele – Keine finanzielle Beteiligung ohne Transparenz schon im Vorfeld der letzten Gesetzesänderung und Information – aber wie viel Mitbestim- breit diskutiert worden sind,1 sollte das Projekt mung folgt daraus? auf diesen Diskussionsergebnissen aufsetzen. – Was kann eine solche Beteiligung wirklich leis- D. h. es ging nicht darum, noch einmal das gene- ten für Vermögensaufbau in Arbeitnehmer- relle Für und Wider finanzieller Mitarbeiterbetei- hand und Verteilungsgerechtigkeit? ligung zu diskutieren,2 sondern vielmehr konkret – Mitarbeiterbeteiligung als europäisches Pro- an den in letzten Jahren erkennbar gewordenen jekt – Was können wir auf politischer Ebene einzelnen Problemstellungen anzusetzen. The- von Europa erwarten? Welche Möglichkeiten men für die Diskussion in den Expertengesprä- der Umsetzung von Beteiligungsmodellen gibt chen waren: es bei transnationalen Unternehmen? Was ma- – Was war mit dem MKBG aus dem Jahr 2009 chen unsere europäischen Nachbarn besser? beabsichtigt? Welche Umsetzungsprobleme gibt Die vorliegende Studie dokumentiert die Ergeb- es? Wie sind die praktischen Probleme zu be- nisse der Expertengespräche und stellt sie in den werten? Kontext der Fachdiskussion und der einschlägi- – Hat sich Mitarbeiterbeteiligung in der Wirt- gen Literatur zum Thema finanzieller Mitarbei- schafts- und Finanzkrise bewährt? Welche Er- terbeteiligung. 1 Vgl. dazu die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeitsgruppe Mitarbeiterbeteiligung von SPD-Parteivorstand und SPD-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2007, den Beschluss der gemeinsamen Arbeitsgruppe von CDU und CSU unter dem Vorsitz von Karl-Josef Laumann und Erwin Huber 2007 sowie den Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe von CDU/CSU und SPD für mehr Mitarbeiterkapitalbeteiligung in Deutschland aus dem Jahr 2008. 2 Ein Überblick der Debatte und der Vorschläge und Forderungen von Parteien und Sozialpartnern im Vorfeld des Gesetzgebungsverfah- rens findet sich z. B. bei Meyer (2008) und Stracke et al. (2007). 9
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 2. Formen und Verbreitung der finanziellen Mitarbeiterbeteiligung 2.1 Beteiligungsformen im Überblick Grundsätzlich lassen sich zwei Formen der materiellen Mitarbeiterbeteiligung unterschei- In der Diskussion werden üblicherweise die ma- den: die Kapitalbeteiligung und die Erfolgsbeteili- terielle (finanzielle) und die immaterielle Beteili- gung (Abbildung 1). In der Praxis werden diese gung der Beschäftigten an Entscheidungen und beiden Beteiligungsformen häufig miteinander am Ergebnis der Unternehmen unterschieden. verknüpft, z. B. wenn die Erfolgsbeteiligung zur Die immaterielle Beteiligung bezieht sich auf die Finanzierung der Kapitalbeteiligung genutzt wird. Partizipation von Arbeitnehmerinnen und Ar- Die Gruppe der Mitarbeiterinnen und Mitar- beitnehmern an Entscheidungsprozessen (Voß et beiter, die mit Angeboten einer finanziellen Be- al. 2003). Bei der materiellen Beteiligung sollen teiligung angesprochen werden soll, ist in der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer monetäre Regel nicht homogen. Da sich die Arbeitsentgelte Vorteile aus einer Beteiligung bekommen. D. h. es je nach Hierarchie oder nach berufsüblichen Be- geht um eine vertraglich geregelte, dauerhafte Be- sonderheiten unterschiedlich zusammensetzen, teiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spielt dies auch für Ansätze der finanziellen Mit- am Kapital und/oder wirtschaftlichen Erfolg ihres arbeiterbeteiligung eine wichtige Rolle. So gibt es Arbeit gebenden Unternehmens (Juntermanns z. B. für die Beteiligung von Vorständen, Mana- 1991; Schneider/Fritz/Zander 2007).3 gern und leitenden Angestellten deutlich andere Abbildung 1: Formen der finanziellen Mitarbeiterbeteiligung Finanzielle Beteiligung Kapital- Erfolgs- Sonstige beteiligung beteiligung Beteiligung Eigenkapital- Gewinn- Aktienoptionen beteiligung beteiligung Ertrags- Mischformen Zeitwertpapiere beteiligung Fremdkapital- Leistungs- … beteiligung beteiligung Quelle: Eigene Darstellung. 3 Auf europäischer Ebene wurde Anfang der 1990er Jahre von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften der Begriff „PEPPER“ geprägt: „Promotion of Employee Participation in Profits and Enterprise Results“ (Uvalić 1991). 10
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Abbildung 2: Formen der Erfolgsbeteiligung Erfolgsbeteiligung Gewinn- Leistungs- Ertrags- beteiligung beteiligung beteiligung Basisgröße, z. B. Basisgröße, z. B. Basisgröße, z. B. Ausschüttungs- Produktions- Wertschöpfung gewinn menge Bilanzgewinn Produktivität Nettoertrag Substanzgewinn Kostenersparnis Rohertrag Umsatz Quelle: Eigene Darstellung. Dimensionen bei Beteiligungsangeboten und an- lich, die Höhe der Sonderzuwendung an betrieb- dere Spielräume für die Nutzung der Programme liche Kennziffern zu koppeln. In Abhängigkeit als für die breite Belegschaft. Die Diskussion der von dem Kriterium, das zur Festlegung des Perio- letzten Jahre konzentriert sich im Wesentlichen denerfolgs herangezogen wird, lassen sich dem- auf die breit angelegten Modelle für alle Beleg- nach Gewinn-, Leistungs- und Ertragsbeteiligung schaftsangehörigen. unterscheiden (Abbildung 2). In wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten führt dies in der Regel zu hö- 2.1.1 Erfolgsbeteiligung heren Ausschüttungen an die Beschäftigten, in schlechteren Zeiten kann die Erfolgsbeteiligung Eine Erfolgsbeteiligung basiert auf dem Grund- entsprechend abgesenkt werden bzw. ganz ent- gedanken, die Leistungen der Mitarbeiterinnen fallen. und Mitarbeiter neben dem festen Lohn bzw. Ge- In der neueren Literatur wird das Konzept halt durch eine erfolgsabhängige Sonderzuwen- der Erfolgsbeteiligung in einer weiter gefassten dung im Rahmen der Vergütung zu honorieren. Definition nicht mehr nur mit dem Gedanken Diese ist vom wirtschaftlichen Erfolg des Unter- einer Beteiligung an einer kollektiv erbrachten nehmens oder eines Unternehmensteils abhängig Basisgröße, sondern darüber hinaus auch auf der und kann nur indirekt von den einzelnen Be- Ebene der Individualleistung als „Individual In- schäftigten beeinflusst werden (Risser 2005; Strot- centive“ betrachtet. Hierunter werden im We- mann 2003). Basis der Erfolgsbeteiligung ist die sentlichen Prämien auf der Basis von Leistungs- Erzielung eines Periodenerfolgs, von dem ein Teil beurteilungen oder Zielvereinbarungen, aber an die Belegschaft ausgeschüttet wird (Beck 2008; auch Umsatz- oder Deckungsbeitragsprovisionen Drumm 2008). In vielen Unternehmen ist es üb- verstanden (AGP 2011; Schneider/Fritz/Zander 11
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 2007). Damit wird das Konzept einer Erfolgsbe- folgsabhängige Verzinsung ihres eingesetzten Ka- teiligung im kollektiven Sinne jedoch aufge- pitals erhalten oder als Anteilseigner mit allen weicht und der Übergang beispielsweise zu Prä- Chancen und Risiken am unternehmerischen Er- mienlohnsystemen wird fließend. folg teilhaben. Welche der Beteiligungsformen im Einzelfall gewählt wird, hängt vor allem von 2.1.2 Kapitalbeteiligung den Zielen, die mit der Mitarbeiterbeteiligung verfolgt werden sollen (z. B. die Stärkung der Bei einer Kapitalbeteiligung stellen Arbeitneh- Eigenkapitalbasis oder die Steigerung der Mitar- merinnen und Arbeitnehmer dem Unternehmen beitermotivation und -bindung), und der Rechts- neben ihrer Arbeitskraft finanzielle Mittel zur form des Unternehmens ab. Aus dem gewählten Verfügung. Hierbei kann es sich entweder um Beteiligungsmodell ergeben sich bestimmte Rech- Fremd- oder um Eigenkapital handeln (Abbil- te, insbesondere Informations- und Mitwirkungs- dung 3). Zwischen dem Unternehmen und dem rechte für die beteiligten Beschäftigten (siehe einzelnen Beschäftigten entsteht dabei zusätzlich hierzu ausführlich z. B. Schneider/Fritz/Zander zur arbeitsrechtlichen eine vermögensrechtliche 2007; Stettes 2008; Voß/Wilke/Maack 2003). Beziehung (Kay/Backes-Gellner 2004; Risser 2005). Die einfachste Form einer Fremdkapitalbetei- In der Unternehmenspraxis lassen sich unter- ligung ist das Mitarbeiterdarlehen, das unabhän- schiedliche Verfahren und Regelungen zur Ge- gig von der Rechtsform des Unternehmens ge- staltung der Beteiligungsmodelle finden. Die je- wählt werden kann. Wesentlich ist, dass die Ar- weilige Form der Kapitalbeteiligung bestimmt beitnehmerinnen und Arbeitnehmer dem Unter- darüber, ob die Beschäftigten eine feste oder er- nehmen für einen festgelegten Zeitraum eine Abbildung 3: Formen der Kapitalbeteiligung Kapitalbeteiligung Fremdkapital- Eigenkapital- Mischformen beteiligung beteiligung z. B. durch z. B. durch z. B. durch Mitarbeiter- Stille Beteiligung Belegschaftsaktie darlehen Schuld- Genussrecht bzw. GmbH-Anteil verschreibungen Genussschein Indirekte Kommanditistenanteil Beteiligung (Mitarbeiter- gesellschaften) Genossenschaftsanteil Quelle: Eigene Darstellung. 12
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs bestimmte Geldsumme zur Verfügung stellen, die gefasst, die „zwischen“ das Unternehmen und die nach Ablauf des Zeitraumes in verzinster Form beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „ge- zurückgezahlt wird. Neben einer festen Verzin- schaltet“ wird (Voß et al. 2003). D. h. die Beschäf- sung ist auch eine Verzinsung möglich, die an tigten schließen Beteiligungsverträge mit der Be- Kenngrößen wie Umsatz oder Gewinn geknüpft teiligungsgesellschaft (in der Praxis häufig als stil- ist (partiarisches Darlehen). Eine Verlustbeteili- le Gesellschafter), diese wiederum beteiligt sich gung ist hier ausgeschlossen, im Fall einer Insol- am Arbeit gebenden Unternehmen (vielfach auch venz des Unternehmens kann die Forderung des als stille Gesellschafterin). Hierbei handelt es sich Darlehensgebers jedoch ganz oder teilweise aus- demnach um eine indirekte Beteiligung. Für Mit- fallen. Im Fall einer Darlehenskonstruktion ha- arbeiterbeteiligungsgesellschaften wird häufig die ben die beteiligten Beschäftigten keine gesetzlich Rechtsform der GmbH gewählt. Auch Stiftungs- geregelten zusätzlichen Informations-, Kontroll- modelle sind üblich (John/Stachel 2009). und Mitspracherechte, es sei denn, diese werden Zusätzlich zu diesen betrieblichen Beteili- gesondert geregelt (Bierbaum et al. 2005; Drumm gungsformen gibt es die Möglichkeit einer über- 2008). betrieblichen Beteiligung über das Instrument Die in ihren Konsequenzen am weitesten eines Mitarbeiterbeteiligungsfonds. Hier vereinba- reichende Form einer Kapitalbeteiligung der Be- ren Beschäftigte, Unternehmen und eine Fondsge- schäftigten ist die Eigenkapitalbeteiligung. Je sellschaft ein „Dreiecksgeschäft“ (Abbildung 4): nach Rechtsform des Unternehmens können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwerben An- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Beleg- teile an einem Fonds, dieser wiederum beteiligt schaftsaktien, GmbH-Anteile, Genossenschafts- sich am Kapital mehrerer Unternehmen gleich- anteile oder Kommanditanteile am Unternehmen zeitig, u. a. am Arbeit gebenden Unternehmen beteiligt werden. Auf diese Weise sind die Be- (Brenk-Keller 1997; Schneider/Zander 2001). Bei schäftigten auch gesellschaftsrechtlich am Unter- Mitarbeiterbeteiligungsfonds handelt es sich um nehmen beteiligt, d. h. sie haben die gleichen In- rechtlich unselbstständige Sondervermögen, die formations-, Kontroll- und Mitentscheidungs- von einer Kapitalanlagegesellschaft für Beschäf- rechte wie die übrigen Gesellschafter des Unter- tigte von Unternehmen aufgelegt und verwaltet nehmens, sofern diese Rechte nicht durch werden (Bierbaum et al. 2005). Voraussetzung ist zusätzliche Regelungen eingeschränkt werden die Bereitschaft des Unternehmens, Anteile an (Kay/Backes-Gellner 2004; Voß/Wilke/Maack die Fondsgesellschaft zu veräußern. Erträge, die 2003). Je nachdem, welche Beteiligungsform ge- der Fonds erwirtschaftet (z. B. Gewinnanteile oder wählt wird, sind diese Rechte in ihrem Umfang Zinsen), werden zurück an die beteiligten Beschäf- unterschiedlich ausgestaltet (siehe ausführlich tigten geleitet. Überbetriebliche Fonds werden BMAS 2009a). In der Regel übernehmen die Be- vor allem von Gewerkschaften als Möglichkeit schäftigten dieselben Risiken wie die übrigen An- einer risikoärmeren Form der Vermögensbildung teilseigner. Hierzu gehört etwa das Risiko der von Belegschaften gesehen (Tofaute 2006). Haftung, der Erfolgsabhängigkeit der Erträge Es bestehen unterschiedliche Möglichkeiten, (z. B. der Höhe der Dividendenzahlung) oder das die Mittel für die Beteiligung der Beschäftigten Risiko von Kursschwankungen bis hin zum Total- am Unternehmenskapital aufzubringen. Diese verlust in der Insolvenz (Risser 2005). reichen von einer vollständigen Finanzierung Insbesondere bei kleinen und mittleren Un- durch das Unternehmen bis zu freiwilligen Zah- ternehmen sind auch Mischformen zwischen lungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Eigen- und Fremdkapitalbeteiligung über stille mer aus ihrem Privatvermögen oder ihrem Lohn Beteiligungen oder Genussrechte zu finden (siehe bzw. Gehalt (siehe ausführlich BMAS 2009a; ausführlich Schneider/Fritz/Zander 2007). Stracke et al. 2007). In der Praxis werden oft die Anteile der Mit- Für viele Unternehmen stellt eine Erfolgsbe- arbeiterinnen und Mitarbeiter in einer sogenann- teiligung den Einstieg in eine spätere Mitarbeiter- ten Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft zusammen- kapitalbeteiligung dar. Wenn Beschäftigte eine 13
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Abbildung 4: Funktionsweise eines Mitarbeiterbeteiligungsfonds Mitarbeiterbeteiligungsfonds Erhalten Ausschüttung Beteiligt sich am Unternehmen Überweisen Geld zum Erwerb von Können sich Fondsanteilen Zahlen Dividende unmittelbar durch Mitarbeiter für Beteiligung beteiligen Unternehmen A Angebote zur Mitarbeiter des Unternehmens A Teilnahme Unternehmen B Mitarbeiter des Unternehmens B Teilnahme Unternehmen C Mitarbeiter des Unternehmens C Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BMAS 2009a: 33. Sonderzuwendung durch den Arbeitgeber erhal- d. h. substitutiv durch den Verzicht auf die Bar- ten und mit diesen Mitteln eine Kapitalbeteili- auszahlung eines Teils des (Tarif-)lohns bzw. der gung finanziert wird, spricht man auch von einer Lohnsteigerung finanziert. In diesem Fall redu- „investiven Erfolgsbeteiligung“. ziert sich das ausbezahlte Entgelt, während die In diesem Zusammenhang wird auch der Be- Beschäftigten einen Anspruch auf künftige Aus- griff des „Investivlohns“ verwendet (vgl. hierzu schüttungen und Kurssteigerungen erwerben. Die ausführlich Bontrup/Springob 2002; Priewe/Ha- andere Alternative sieht die additive Entlohnung vighorst 2001; Rürup/Schäfer 1998). Was ist da- durch die Überlassung von Kapitalanteilen vor runter zu verstehen? In einer engen Definition („on top“). spricht man von Investivlohn, wenn Bestandteile des tarifvertraglich festgelegten Lohns bzw. der Lohnsteigerung (Barlohn) der Beschäftigten für 2.2 Wo funktionieren Beteiligungs- eine Beteiligung am Produktivkapital verwendet angebote – wo gibt es Probleme? werden. Diese Umwandlungsform wird von ge- werkschaftlicher Seite in der Regel abgelehnt. In In Deutschland gibt es einen parteienübergrei- einer weiter gefassten Definition handelt es sich fenden Konsens, dass Mitarbeiterkapitalbeteili- bereits dann um einen Investivlohn, wenn Mitar- gung sowohl wirtschaftlich als auch politisch (in beiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich zum Bar- Sachen Mitbestimmung und Transparenz) positi- lohn ein weiteres Einkommen erhalten, das aller- ve Effekte hat. Trotzdem sind die Zahl der Unter- dings nicht ausbezahlt wird, sondern als Kapi- nehmen mit Beteiligungsmodellen und die Zahl taleinlage im Unternehmen verbleibt. Der ersten der am Unternehmen beteiligten Mitarbeiterin- Abgrenzung zufolge wird der Investivlohn direkt, nen und Mitarbeiter in Deutschland im europä- 14
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs ischen Vergleich eher gering. Ein „flächendecken- Kennziffern orientieren, setzen ein bestimmtes des“ Angebot an alle Arbeitnehmerinnen und fachliches Wissen und besondere Verwaltungska- Arbeitnehmer gibt es nicht. pazitäten voraus. Diese sind eher in Großbetrie- In der Praxis sind Formen der Erfolgsbeteili- ben als in kleineren Unternehmen zu finden. gung weiter verbreitet als Formen der Kapitalbe- Auch die wirtschaftliche Stabilität von Unterneh- teiligung – auch wenn Erfolgsbeteiligungen we- men ist ein wichtiger Faktor. Betriebe mit guter der gesetzlich geregelt sind noch Steuervergünsti- Ertragslage verfügen eher über ein Beteiligungs- gungen genießen. Nach dem IAB-Betriebspanel programm als solche in schlechter wirtschaftli- 2005 praktizieren lediglich zwei Prozent der Un- cher Verfassung (Bispinck/Brehmer 2008). ternehmen (ab einem Beschäftigten) in Deutsch- Auf eine einfache Formel gebracht, funktio- land ein Modell der Kapitalbeteiligung, aber neun nieren die Angebote einer Kapitalbeteiligung in Prozent der Unternehmen haben ein Erfolgsbe- großen, vorzugsweise börsennotierten Unterneh- teiligungssystem (Bellmann/Möller 2006). Dort, men. Von den über zwei Millionen Mitarbeiterin- wo Beteiligungsangebote gemacht werden, ist der nen und Mitarbeitern in Deutschland, die heute Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- eine Beteiligung halten, arbeitet ein großer Teil in mer, die das Beteiligungsangebot nutzen, relativ solchen Unternehmen. Unzureichend oder gar hoch. 46 Prozent der Beschäftigten in diesen Un- nicht vorhanden sind Beteiligungsangebote in ternehmen werden in Modelle der Kapitalbetei- der Mehrzahl der KMU in Privatbesitz. Drei we- ligung einbezogen, 62 Prozent der Beschäftigten sentliche Gründe sind hierbei ausschlaggebend: profitieren von Erfolgsbeteiligungsmodellen. Be- – Technisch-juristische Hindernisse von Beteili- zogen auf die Gesamtheit aller Beschäftigten neh- gung an Unternehmen z. B. in der Rechtsform men jedoch nur zwölf Prozent aller Beschäftigten einer GmbH und hohe Verwaltungskosten pro in Deutschland an Erfolgsbeteiligungsmodellen Beschäftigten (vor allem bei KMU); und lediglich drei Prozent an Kapitalbeteiligungs- – hohes wirtschaftliches Risiko der Beteiligung programmen teil (Bellmann/Leber 2007). (Gehalt und Kapitalanlage von einem Unter- Die geringen Durchschnittswerte bei der Ver- nehmen abhängig); breitung der Mitarbeiterbeteiligung werden stark – mangelnde Bereitschaft zur Beteiligung auf bei- durch den hohen Anteil kleiner Betriebe in den Seiten (Unternehmen und Arbeitnehmerin- Deutschland beeinflusst, die seltener als Groß- nen und Arbeitnehmer bzw. Gewerkschaften). betriebe und Konzerne über Beteiligungsmodel- Dies zeigt auch die Verbreitung der praktizierten le verfügen (Bellmann/Möller 2006; Matiaske/ Modelle der Kapitalbeteiligung nach der Beteili- Tobsch/Fietze 2009). Während lediglich zwei Pro- gungsform. Es überwiegen eindeutig Belegschafts- zent der Unternehmen mit weniger als 50 Be- aktien (1,5 Millionen beteiligte Beschäftigte) vor schäftigten ein Modell der Kapitalbeteiligung stillen Beteiligungen (rund 340.000 beteiligte Be- praktizieren, haben immerhin sieben Prozent der schäftigte). D. h. rund zwei Drittel der Mitarbei- Unternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten terinnen und Mitarbeiter, die ein Beteiligungsan- ein solches Modell. Die Verbreitung von Erfolgs- gebot wahrnehmen, sind über Belegschaftsaktien beteiligungsmodellen für die entsprechenden beteiligt (AGP & GIZ 2009). Größenklassen beträgt acht Prozent in Unterneh- Im europäischen Vergleich liegt Deutschland men mit weniger als 50 Beschäftigten bzw. 34 bei der Verbreitung finanzieller Mitarbeiterbetei- Prozent in Unternehmen mit 500 und mehr Be- ligung insgesamt im hinteren Mittelfeld (vgl. z. B. schäftigten (Bellmann/Möller 2006). Warum ist Cranet 2005, EWCS 2005, ECS 2009). Dem „Euro- das so? pean Company Survey“ (ECS), einer Befragung Beteiligungsmodelle, die z. B. über pauschale von mehr als 27.000 Personalverantwortlichen Bonuszahlungen an die Beschäftigten hinausge- aus dem Jahr 2009 zufolge, bieten 14 Prozent der hen und sich an unterschiedlichen betrieblichen privaten deutschen Unternehmen mit zehn oder 15
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung mehr Beschäftigten ihren Mitarbeiterinnen und päischen Durchschnittswertes von fünf Prozent Mitarbeitern die Möglichkeit einer Erfolgsbeteili- (Eurofound 2010). Die Unterschiede in der Ver- gung. Dies entspricht exakt dem Durchschnitts- breitung sind im Wesentlichen auf die spezifi- wert der 30 untersuchten Länder in Europa. Nach schen sozialen, wirtschaftlichen und politischen den Ergebnissen dieser Studie verfügen jedoch Rahmenbedingungen der einzelnen Länder sowie nur drei Prozent der privaten Unternehmen mit auf die landestypischen Kapitalmarktstrukturen, mindestens zehn Beschäftigten in Deutschland die unterschiedlichen Größenstrukturen der Un- über ein Modell der Kapitalbeteiligung. Damit ternehmen und den Einfluss der Sozialpartner zu- liegt Deutschland unterhalb des ermittelten euro- rückzuführen (Lowitzsch/Hashi/Woodward 2009). 16
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs 3. Die gesellschaftspolitische Debatte: Mitarbeiterbeteiligung als Lösungsansatz für mehr Verteilungsgerechtigkeit? Die Diskussion um eine Beteiligung von Mitar- nehmerhand“. Die für kurze Zeit in den Parteien beiterinnen und Mitarbeitern am Unternehmens- und Gewerkschaften aufkommende Diskussion eigentum und damit auch an den Wertzuwäch- um eine Verstaatlichung bzw. Vergesellschaftung sen und Gewinnen eines Unternehmens zieht von Verkehrseinrichtungen, Schlüsselindustrien sich wie ein roter Faden durch die Entwicklung und Kreditinstituten hatte politisch an Bedeu- der Marktwirtschaft – von den Anfängen des in- tung verloren. Kritiker sahen in der Frage der Mit- dustriegeprägten Kapitalismus über die program- arbeiterbeteiligung eine „Ersatzdiskussion in Sa- matischen Neuansätze der 1950er Jahre bis zu chen materieller Partizipation (Vermögensbeteili- den Ideen der modernen sozialen Marktwirtschaft gung)“ (Bontrup 2009a: 3). Die in den 1960er mit ihren Leitbildern beteiligungsorientierter Un- Jahren eingeführten Vermögensbildungsgesetze ternehmensführung und gemeinsamer Verant- hatten nicht die Förderung einer Beteiligung der wortung. Aus verteilungspolitischem Blickwinkel abhängig Beschäftigten am Produktivkapital zum ging es dabei schon immer um die Frage, ob Ziel, sondern in erster Linie die allgemeine Spar- Mitarbeiterbeteiligung in einer Volkswirtschaft und Eigenheimförderung (Priewe/Havighorst insgesamt zu einer gerechteren Verteilung des 2001). Produktivvermögens und der Einkommen der In den Debatten der 1960er und 1970er Jah- Beschäftigten führen kann (Bispinck/Brehmer re wurde von Seiten der Gewerkschaften eine 2008). finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmerinnen In den 1950er und 1960er Jahren wurde der und Arbeitnehmer abgelehnt (Pitz 1974; Tofaute Gedanke der finanziellen Mitarbeiterbeteiligung 1998). Als Gefahr wurde vor allem eine drohende vor allem von Kirchen und anderen gesellschaft- „Entsolidarisierung der Arbeitnehmer“ oder eine lichen Gruppierungen in die Diskussion einge- mögliche Beendigung des „Klassenkampfes“ ge- bracht, die den weitgehenden Ausschluss der Be- sehen (Bontrup/Springob 2002: 19). Im Vorder- legschaften von der Teilhabe am Produktiv- grund stand eine offensive Tarifpolitik, die durch vermögen und am wirtschaftlichen Erfolg der finanzielle Mitarbeiterbeteiligung eher erschwert Unternehmen kritisierten. Hintergrund dieser worden wäre. Die ablehnende Haltung der Ge- Forderung war die schon damals ungleiche Ver- werkschaften gegenüber finanzieller Mitarbeiter- teilung des Vermögens. Nach einer Studie von beteiligung hatte auch trotz der von Krelle, Krelle, Schunck und Siebke aus dem Jahr 1968 Schunck und Siebke (1968) festgestellten extrem besaßen 1,7 Prozent der privaten westdeutschen ungleichen Konzentration des Produktivvermö- Haushalte allein mehr als 70 Prozent des privaten gens in Deutschland Bestand. Die Gewerkschaf- gewerblichen Produktivkapitals. ten waren der Auffassung, dass sowohl die Kon- Die Diskussion um finanzielle Mitarbeiterbe- zentration des Produktivvermögens als auch die teiligung war damals eingebettet in die Debatte Verfügungsmacht des Kapitals bereits in den um eine stärkere „Vermögensbildung in Arbeit- 1950er Jahren irreversibel war und mit einer wie 17
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung auch immer gearteten Umverteilung des Vermö- 2010), bietet sich eine Beteiligung an Erfolg und gens – unterstellt, sie wäre überhaupt realisier- Kapital der Unternehmen geradezu an. So be- bar – keine greifbaren Vorteile für den einzelnen gründete die damalige Bundesregierung die Ge- Beschäftigten verbunden wären. Pitz (1974: 8) be- setzesinitiative im Jahr 2008 auch mit einem zeichnete die finanzielle Mitarbeiterbeteiligung „Gebot wirtschaftlicher Vernunft und sozialer schlicht als „abgebranntes Irrlicht in der gesell- Gerechtigkeit, dass Beschäftigte am Ertrag der schaftspolitischen Auseinandersetzung“. Diese Volkswirtschaft gerecht und ausgewogen teilha- Einschätzung mündete letztendlich in die pro- ben“ (Deutscher Bundestag Drucksache 16/10531 grammatische Forderung der Gewerkschaften 2008: 11). „Wir wollen keine Vermögensbildung, wir wollen Doch kann der Ausweg aus dieser strukturel- mehr Lohn“. Man sprach sich damit eindeutig len Ungleichheit allein darin bestehen, möglichst für eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu aus, die mit einer zusätzlichen Umverteilungs- Kapitaleignern und damit zu Miteigentümern komponente in Form eines verteilungswirksamen ihrer Unternehmen zu machen, die an den Wert- Zuschlags zu ergänzen sei (Bontrup/Springob steigerungen und den Gewinnen ihrer Unter- 2002). In der Gewerkschaftspolitik standen zu- nehmen beteiligt werden? Nach Einschätzung dem die Demokratisierung politischer und öko- von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Ex- nomischer Macht, staatliche Reformen und der pertengespräche ist in finanzieller Mitarbeiterbe- Ausbau der sozialen Sicherheit klar im Vorder- teiligung mit Sicherheit kein „Allheilmittel“ zur grund (Hardieck 2009). Beseitigung der sozioökonomischen Ungleichheit Seit den 1990er Jahren hat sich die gewerk- in Deutschland zu sehen. Mitarbeiterbeteiligung schaftliche Position hinsichtlich einer Teilhabe kann aber einen Beitrag dazu leisten, einer weite- der Belegschaften an Kapital und Erfolg der Un- ren Polarisierung der Gesellschaft mit einer klei- ternehmen geändert und ist differenzierter. Deut- nen Gruppe von Eigentümerinnen und Eigentü- lich wurde dies vor allem auf dem DGB-Bundes- mern am Produktivkapital (mit möglicherweise kongress 1996 in Dresden. Das dort verabschiede- hohen Zuwächsen) auf der einen und einer großen te Grundsatzprogramm enthält die Forderung Gruppe von Nichteigentümerinnen und -eigen- nach einer gerechten Beteiligung der Arbeitneh- tümern mit real stagnierendem oder schrumpfen- merinnen und Arbeitnehmer am Produktivver- dem Arbeitseinkommen auf der anderen Seite mögen. „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer langfristig zu begegnen. sind immer noch weitgehend von der Teilhabe Die Chance auf Partizipation durch Mit- ausgeschlossen. Auch in Ostdeutschland ist es eigentümerschaft ist gleichzeitig jedoch unver- nicht gelungen, die Privatisierung der Vermö- meidbar verbunden mit der Übernahme des un- gensbestände und die Neubildung von Produk- ternehmerischen Risikos. Kapitalbeteiligungen tivkapital für eine gerechtere Vermögensvertei- beinhalten immer ein Anlagerisiko, das bis zum lung zu nutzen. Wir wollen deshalb unsere An- Totalverlust führen kann. Für die Belegschaft geht strengungen für eine bessere Beteiligung der Be- es nicht nur um ein Ertragsrisiko, sondern zusätz- schäftigten am Produktivkapital verstärken. Wir lich um das Risiko, im Insolvenzfall neben dem fordern, die gesetzlichen Voraussetzungen für eingesetzten Kapital auch den Arbeitsplatz zu ver- entsprechende tarifpolitische Initiativen der Ge- lieren (Bispinck 2007). Auch bei einer Erfolgsbe- werkschaften zu schaffen“ (DGB 1997: 20). teiligung, die z. B. zur Finanzierung einer Kapital- Vor dem Hintergrund der ungleichen Ver- beteiligung genutzt wird, besteht ein Einkom- mögens- und Einkommensverteilung und der mensrisiko für die Beschäftigten, wenn feste Ent- Tatsache, dass Gewinne und Kapitaleinkommen geltkomponenten variabilisiert werden und die in den vergangenen Jahren deutlich stärker ge- Beteiligung nicht zusätzlich („on top“) zu den stiegen sind als die Einkommen der abhängig tarifvertraglich festgelegten Entgelten gewährt Beschäftigten (vgl. z. B. Becker 2011; Frick/Grabka wird. Gewerkschaftliche Kapitalbeteiligungsmo- 18
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs delle waren deshalb in der Regel Fondsmodelle, rechten. Insbesondere vor diesem Hintergrund ist die das individuelle Verlustrisiko minimieren mitbestimmungspolitisch von Bedeutung, ob sollten. durch eine verstärkte Kapitalbeteiligung auf be- Eine Flexibilisierung der Vergütung im Zuge trieblicher, sektoraler oder gesamtwirtschaftlicher einer Mitarbeiterbeteiligung könnte bei wirt- Ebene verbesserte Möglichkeiten der Einflussnah- schaftlichem Misserfolg des Unternehmens fak- me und Mitsprache der Beschäftigten entstehen tisch sogar zu einer Verminderung des Entgelts können (Bispinck & Brehmer 2008; Trautwein der Beschäftigten führen. Im Kern geht es hierbei 2007). Von Beschäftigtenseite könnte jedoch be- um die Frage, inwieweit Beschäftigte bereit sind, fürchtet werden, dass es zu einer „Verwischung“ auf Lohnbestandteile zu verzichten, wenn ihnen der Interessen der Belegschaft als Arbeitneh- im Gegenzug eine Beteiligung am Kapital des Un- merinnen und Arbeitnehmer auf der einen und ternehmens eingeräumt wird. Beschäftigte erwar- als Miteigentümer bzw. Miteigentümerin auf der ten dann in der Regel eine Gegenleistung in Form anderen Seite kommt (Rieble 2009; Tietmeyer von Beschäftigungssicherung und Mitsprache- 2008). 19
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 4. Das Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz von 2009 4.1 Die politischen Beweggründe – merinnen und Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Was war mit der Modernisierung der Erfolg der Unternehmen teilhaben zu lassen. Die Förderbedingungen beabsichtigt? Einkommen aus Kapitalbeteiligungen hätten sich seit Jahren besser entwickelt als die Löhne. Der Nach knapp dreijähriger Diskussion ist im April damalige Bundeswirtschaftsminister Glos sah in 2009 das „Gesetz zur steuerlichen Förderung der einer verstärkten Beteiligung der Beschäftigten Mitarbeiterkapitalbeteiligung (Mitarbeiterkapital- an den Gewinnen der Unternehmen auch eine beteiligungsgesetz)“ in Kraft getreten (Bundesge- Möglichkeit für branchen- und situationsgerech- setzblatt 2009). Bundestag und Bundesrat haben te flexible Lohnabschlüsse. Die positiven Finan- dem Gesetz und den bereits seit dem Frühsom- zierungseffekte für die Unternehmen durch Mit- mer 2008 bekannten Regelungen ohne größere arbeiterbeteiligung könnten seiner Meinung nach Veränderungen ihre Zustimmung gegeben. Es die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Volks- stand von Anfang an fest, dass es hierbei in erster wirtschaft stärken (Creutzburg 2006). Politisch Linie nicht um die Förderung unternehmerischer ging es auch um die Suche nach neuen Möglich- Beteiligungsmodelle geht, sondern um den Aus- keiten, den Interessen von „unternehmensinteres- bau der Vermögensbildung und die Beteiligung sierten“ Investoren gegenüber „ausschließlich der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am renditeinteressierten“ Investoren mehr Gewicht Produktivkapital der Unternehmen. zu verleihen. Demzufolge sollte der Zugang zu Der Anstoß zur Diskussion, die zu den ge- den Kapitalmärkten für breitere Kreise der Beleg- setzlichen Maßnahmen führte, war Ende 2005 schaften und der Bevölkerung erleichtert und so- vom damaligen Bundespräsidenten Köhler ausge- mit eine langfristige Anlage von Beteiligungska- gangen. Er hatte sich in der damaligen konjunk- pital gegenüber kurzfristigen Interessen reiner turellen Aufschwungphase dafür ausgesprochen, Finanzinvestoren gestärkt werden (Drost 2007).4 die Möglichkeiten der Beteiligung der Belegschaf- In der Folgezeit kündigten einige Politiker ten am Kapital ihrer Unternehmen zu verbessern, der damaligen Großen Koalition aus CDU/CSU um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und SPD eine Verbesserung der rechtlichen Rah- an der positiven Entwicklung der Unternehmen menbedingungen der finanziellen Mitarbeiterbe- teilhaben zu lassen: „In der Globalisierung kön- teiligung an. Die Fraktionen beider Parteien erar- nen solche Kapitalbeteiligungen in Arbeitneh- beiteten jeweils unterschiedliche Ansätze zur merhand dazu beitragen, einer wachsenden Kluft Stärkung und zum Ausbau von Modellen der fi- zwischen Arm und Reich entgegenzuwirken“ nanziellen Mitarbeiterbeteiligung, die Mitte 2007 (Bundespräsidialamt 2005). vorgestellt wurden.5 Im Modell der CDU/CSU Bundeskanzlerin Merkel nahm das Thema („Betriebliche Bündnisse für Soziale Kapitalpart- mit dem Argument auf, dass es in Zeiten hoher nerschaften“) standen vor allem freiwillige Kon- Gewinnzuwächse wichtig sei, die Arbeitneh- zepte der Mitarbeiterkapitalbeteiligung auf Un- 4 Im Zuge der Schließung des Nokia-Werkes in Bochum bezeichnete Bundeskanzlerin Merkel Anfang 2008 eine starke Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als zukunftsweisendes Instrument, mit dem Unternehmensverkäufe an unerwünschte Investo- ren verhindert oder zumindest erschwert werden könnten (Hardieck 2009). 5 Ein Überblick der Debatte und der Vorschläge und Forderungen von Parteien und Interessenverbänden ist z. B. bei Meyer (2008) und Stracke et al. (2007) dargestellt. 20
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs ternehmensebene im Mittelpunkt (CDU/CSU wurde die steuerliche Förderung von Mitarbei- 2007). Die SPD dagegen sprach sich in ihrem terkapitalbeteiligungen im Rahmen des Einkom- Modell („Deutschlandfonds für Arbeitnehmerin- mensteuergesetzes (EStG) und des Fünften Ver- nen und Arbeitnehmer“) für überbetriebliche Be- mögensbildungsgesetzes erweitert (5. VermBG). teiligungslösungen aus (SPD-Parteivorstand/SPD- Darüber hinaus wurde das Investmentgesetz ge- Bundestagsfraktion 2007). Da sich die beiden ändert, in dem die Anlage von Kapital in Mitar- Konzepte inhaltlich jedoch in den wesentlichen beiterbeteiligungsfonds geregelt wird. Punkten widersprachen, konnten sie nicht in Die wesentlichen Neuerungen des MKBG Einklang miteinander gebracht werden. sind im Einzelnen (siehe ausführlich BMAS 2009a Ende 2007 wurde daraufhin eine „gemeinsa- und 2009b; Bundesgesetzblatt 2009): me Arbeitsgruppe von CDU/CSU und SPD für mehr Mitarbeiterkapitalbeteiligung in Deutsch- (1) Erhöhung des steuer- und sozialversicherungs- land“ unter Leitung von Olaf Scholz (SPD), Erwin freien Höchstbetrags für die Überlassung einer Huber (CSU) und Karl-Josef Laumann (CDU) ge- Mitarbeiterbeteiligung durch den Arbeitgeber bildet und mit der Ausarbeitung eines parteien- Wird Beschäftigten eine Beteiligung am Arbeit ge- übergreifenden Konzeptes und eines Gesetzes- benden Unternehmen unentgeltlich oder verbil- entwurfes beauftragt. Bei der Wahl dieses Ansat- ligt überlassen, liegt darin ein geldwerter Vorteil, zes war es wenig überraschend, dass im Gesetz- der als Arbeitslohn sozialabgaben- und einkom- gebungsverfahren die unterschiedlichen wirt- mensteuerpflichtig ist. Erfolgt die Beteiligung der schafts- und sozialpolitischen Sichtweisen der Beschäftigten am Unternehmenskapital als frei- Koalitionsparteien eine zentrale Rolle spielen willige Leistung des Arbeitgebers, besteht die sollten. Der Ausgleich der Forderungen und In- Möglichkeit einer Befreiung von Steuern und So- teressen im Sinne einer Kompromisslösung war zialversicherungsabgaben auf Basis des § 3 Nr. 39 zu erwarten. Der gemeinsame Vorschlag der Ar- EStG. Im Zuge der Neuregelung wurde der bis da- beitsgruppe wurde im April 2008 vorgestellt (Ge- hin für die Förderung relevante § 19a EStG durch meinsame Arbeitsgruppe von CDU, CSU und SPD den § 3 Nr. 39 ersetzt und der jährliche Freibetrag 2008). Einigkeit bestand darin, vor allem die Rah- von 135 auf 360 Euro pro Mitarbeiterin bzw. Mit- menbedingungen für die Umsetzung von Betei- arbeiter erhöht. ligungsangeboten im Bereich der kleinen und Die Gewährung von Steuervergünstigungen mittleren Unternehmen zu verbessern. Als politi- wurde allerdings an bestimmte Bedingungen ge- sches Ziel bzw. als Begründung zum Gesetz wurde knüpft. So wurde festgelegt, dass das Angebot zur eine stärkere Verbreitung der Beteiligung von Beteiligung am Unternehmen mindestens allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Kapital Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern offen und Erfolg der sie beschäftigenden Unternehmen stehen muss, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe formuliert. Dies sei ein Gebot wirtschaftlicher des Angebots ein Jahr oder länger ununterbro- Vernunft und sozialer Gerechtigkeit. Die vorge- chen in einem Dienstverhältnis zum Unterneh- schlagenen Neuerungen betreffen jedoch nur die men stehen (Gleichbehandlungsgrundsatz). Ver- Kapitalbeteiligung, Erfolgsbeteiligungsmodelle günstigungen sollten zudem nur dann gewährt werden nach wie vor nicht gefördert. Die Eck- werden, wenn die Vermögensbeteiligung als frei- punkte des Papiers waren schließlich die Grund- willige Leistung zusätzlich zum ohnehin vom Ar- lage für das neue Gesetz. beitgeber geschuldeten Arbeitslohn („on top“) Durch die gesetzliche Neuregelung wurde die gewährt und nicht auf bestehende oder zünftige finanzielle (steuerliche) Förderung von Mitarbei- Ansprüche angerechnet wird (Freiwilligkeits- terkapitalbeteiligungsmodellen erhöht und die grundsatz). Möglichkeiten der technischen Durchführung Darüber hinaus wurde die Bewertung der erweitert, u. a. durch Einführung von Mitarbei- überlassenen Beteiligungen neu geregelt. Als Wert terbeteiligungsfonds in Form des sogenannten der Vermögensbeteiligung ist der gemeine Wert Mitarbeiterbeteiligungs-Sondervermögens. Dafür anzusetzen, der dem Verkehrswert entspricht. 21
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