BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN - In der ökumenischen Leidenschaft für eine den Menschen dienende Kirche nicht nachlassen - VELKD

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BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN - In der ökumenischen Leidenschaft für eine den Menschen dienende Kirche nicht nachlassen - VELKD
2. Tagung der 13. Generalsynode
              Drucksache Nr.: 10 / 2021 zu TOP 10

BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN
In der ökumenischen Leidenschaft
für eine den Menschen dienende
Kirche nicht nachlassen
BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN - In der ökumenischen Leidenschaft für eine den Menschen dienende Kirche nicht nachlassen - VELKD
In der ökumenischen
Leidenschaft für eine den
Menschen dienende Kirche
nicht nachlassen
Bericht des Catholica-Beauftragten der
Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche
Deutschlands, Landesbischof Dr. Karl-Hinrich
Manzke, Bückeburg, der 13. Generalsynode auf
ihrer 2. Tagung in Bremen am 7. November 2021
vorgelegt

Es gilt das gesprochene Wort.          Der schaumburg-lippische Landesbischof
                                       Dr. Karl-Hinrich Manzke ist seit April 2014
2. Tagung der 13. Generalsynode der    Catholica-Beauftragter der Vereinigten
Vereinigten Evangelisch-Lutherischen   Evangelisch-Lutherischen Kirche
Kirche Deutschlands, Bremen 2021       Deutschlands (VELKD).

DS Nr.: 10/2021 zu TOP 10
1. Sich nachhaltig anrühren lassen vom Leiden der Menschen
   und die Erzählungen der Religionen für die Idee einer
   Menschheitsfamilie einbringen                                1
2. „Gemeinschaft, Teilhabe, Mission“ – Die Reform der Kirche
   als synodaler Prozess                                        7
3. Auf dem gemeinsamen Weg die Gegenwart des Auferstanden
   spüren und ihn im Brotbrechen erkennen                      12
4. Ökumenische Leidenschaft für eine den Menschen dienende
   Kirche wachhalten                                           16
1   BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN

    1. Sich nachhaltig anrühren lassen                                   deutlich. Über die Grenzen von Kulturen,
    vom Leiden der Menschen und die                                      Nationalitäten und Religionen hinweg will er
    Erzählungen der Religionen für die                                   alle Menschen zur gemeinsamen
    Idee einer Menschheitsfamilie                                        Verantwortung für ein menschliches
    einbringen                                                           Miteinander auffordern. Und zugleich
                                                                         plausible Gründe und Argumente dafür ins
    Mit der Enzyklika „Fratelli tutti - über die
                                                                         Gespräch bringen, wie die Völker-
    Geschwisterlichkeit und die soziale
                                                                         gemeinschaft zu einem solidarischen
    Freundschaft“ hat Papst Franziskus am
                                                                         Miteinander kommen kann.
    4. Oktober 2020 die dritte Enzyklika seines
    Pontifikats veröffentlicht. Die öffentliche                          Die Intention, dieses Lehrschreiben zu
    Unterzeichnung dieses Lehrschreibens hat                             veröffentlichen, ist nicht zuletzt mit den
    er wie schon so oft mit einer bedeutungs-                            weltweiten Erfahrungen der Corona-
    vollen Geste verbunden. Am Tag vor dem                               Pandemie verbunden. Mit Nachdruck hebt
    Fest des Heiligen Franz von Assisi besuchte                          der Pontifex hervor, dass die Herausforde-
    er das Grab des Namenspatrons seines                                 rungen, vor die die Völkergemeinschaft in
    Pontifikats in Assisi und unterschieb dort die                       der Pandemie gestellt ist, eines überaus
    Enzyklika. Es war der erste Aufenthalt des                           deutlich machen: die Frage nach Solidarität
    Pontifex seit dem Beginn der Corona-                                 innerhalb der Völkergemeinschaft stellt sich
    Pandemie außerhalb Roms – an einem Ort,                              dringender denn je! Wie unter einem Brenn-
    der wie kaum ein anderer für eine beschei-                           glas ist durch die Corona-Pandemie über-
    dene und wahrhaft demütige, den                                      deutlich geworden: Keine Region der Erde
    Menschen zugewandte Kirche und für den                               kann für sich selbst die Zukunftsfragen
    gemeinsamen Dienst der Religionen an der                             lösen oder gar für sich allein selig werden.
    Menschheit steht.                                                    Kein Volk kann für sich selbst überleben
                                                                         oder auf sich allein gestellt die Probleme der
    Im Folgenden werde ich einige Kerngedan-
                                                                         Menschheit lösen – oder sich von ihnen
    ken der Enzyklika kurz darstellen.
                                                                         distanzieren. Es geht für den Bischof von
    1.1. Die Enzyklika „Fratelli tutti“ von                              Rom darum, ob und wie die Menschheit
                                                                         bereit ist, eine nachhaltige Perspektive
    Papst Franziskus „Über die
                                                                         dafür zu entwickeln, die das Wohl aller
    Geschwisterlichkeit und die soziale
                                                                         Menschen in den Blick nimmt. „Ich habe den
    Freundschaft“                                                        großen Wunsch, dass wir in dieser Zeit, die
    Wie schon in der vorausgegangenen                                    uns zum Leben gegeben ist, die Würde jedes
    Enzyklika „Laudato Si“ (2015) nimmt Papst                            Menschen anerkennen und bei allen ein
    Franziskus im Titel seines Lehrschreibens                            weltweites Streben nach Geschwisterlich-
    Bezug auf den Namensgeber seines Pontifi-                            keit zum Leben erwecken“. 2 Insofern ist die
    kates. Dieser habe sich in seiner Zeit mit                           Enzyklika ein prominenter Versuch, die
    dem Ruf „Fratelli tutti!“ an „alle Brüder und                        rechten Folgen und die notwendigen Lehren
    Schwestern“ gewandt, „um ihnen eine dem                              aus der Pandemie zu ziehen und insbeson-
    Evangelium gemäße Lebensweise darzu-                                 dere den Beitrag des christlichen Glaubens
    legen“. 1 Mit diesem Bezug auf Franz von                             und der Theologie zu formulieren und ins
    Assisi macht Papst Franziskus die Intention                          Gespräch zu bringen. Darin hat diese
    seines Schreibens gleich am Anfang

    1
        Vgl. Enzyklika Fratelli tutti des Heiligen Vaters Papst Franziskus über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft,
    Verlautbarungen des Heiligen Stuhls Nr. 227, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2020, Nr. 1.
    2
        Vgl. ebd., Nr. 8.
BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN                      2

Enzyklika des Papstes enorme Aktualität                   In einer Kommunikation, in der „jeder einzelne auf
und einen weit gefassten Horizont!                        anonymem Weg zu einem Objekt wird“, gehe die
                                                          „Achtung vor dem anderen“ oft verloren, „und auf
An den Anfang setzt Papst Franziskus einen
                                                          diese Weise“, so der Papst, „gerade, wenn ich ihn
sehr kritischen Blick auf die Gegenwart und
                                                          verdränge, ihn nicht beachte und auf Distanz halte,
beklagt die mangelnde Bereitschaft inter-
                                                          kann ich ohne irgendeine Scham bis zum äußersten in
nationaler Organisationen, neue Formen
                                                          sein Leben eindringen“. Zur gelungenen Kommuni-
und Zielsetzungen des gemeinsamen
                                                          kation bedarf es nach Papst Franziskus‘ Auffassung
Handelns regional und global zu entwickeln.
                                                          jedoch einer zwischenmenschlichen Beziehung. „Es
Das verdeutlicht er, wenn er vor dem
                                                          bedarf der körperlichen Gesten, des Mienenspiels, der
„Holzweg“ warnt, „dass es nur um ein
                                                          Momente des Schweigens, der Körpersprache und
besseres Funktionieren dessen geht, was wir
                                                          sogar des Geruchs, der zitternden Hände, des Errötens
schon gemacht haben, oder dass die einzige
                                                          und Schwitzens, denn all dies redet und gehört zur
Botschaft darin besteht, die bereits vorhan-
                                                          menschlichen Kommunikation.“ 5
denen Systeme und Regeln zu verbessern.“3
                                                          Der „abgeschotteten Welt“ stellt Papst
In seiner schonungslosen Analyse beschreibt der
                                                          Franziskus die in der Geschichte der
Papst gesellschaftliche und politische Irrwege, die
                                                          Religionen und Kulturen in unterschied-
seiner Meinung nach dazu führen, dass die politisch
                                                          licher Gestalt entwickelte Idee eines
Verantwortlichen in den internationalen Organi-
                                                          menschlichen Gattungsbewusstseins und
sationen und in den wirtschaftlich starken Nationen
                                                          einer Solidarität aller Völker entgegen. Diese
sich auf die Förderung ihrer Machtposition konzen-
                                                          kulturellen Wurzeln gilt es neu zu heben,
trieren.
                                                          bewusst zu machen und mit großer
Zu oft ziehe man sich auf den Bereich vermeintlicher      Entschiedenheit ins Gespräch zu bringen.
Sicherheiten zurück und vermeide den offenen Blick        Und das sei zunächst und vor allem der
auf die Menschen und Situationen jenseits des             Auftrag an die großen Religionen.
selbstgesteckten Horizonts. In dem so wertvollen
                                                          In einer ausführlichen Exegese des lukani-
Dreiklang der neuzeitlichen Menschenrechte „Freiheit,
                                                          schen Gleichnisses vom barmherzigen
Gleichheit und Brüderlichkeit“ werde das soziale
                                                          Samariter entfaltet Papst Franziskus den
Element der Geschwisterlichkeit oft zu wenig
                                                          besonderen Beitrag, den er von den
beachtet. Viel zu oft diene das Freiheitsideal dazu,
                                                          Christinnen und Christen in dieser Hinsicht
einen Wirtschaftsliberalismus zu rechtfertigen, der vor
                                                          erwartet. Seine intensive Auslegung bildet
allem den Stärkeren gerecht wird. Dem hält
                                                          ein Herzstück der Enzyklika. Der Methode
Franziskus gegenüber, dass die katholische Sozial-
                                                          des „Bibel-Teilens“ in den ignatianischen
lehre das „Recht auf Privatbesitz nie als absolut und
                                                          Exerzitien folgend vergegenwärtigt
unveräußerlich“ angesehen habe. Vielmehr sei das
                                                          Franziskus dem Leser die Situation der
Recht auf Privateigentum ein „sekundäres Naturrecht,
                                                          handelnden Personen in dem Gleichnis
das sich aus dem Prinzip der universalen Bestimmung
                                                          Jesu. Im Verhalten der Priester und Leviten
der geschaffenen Güter ableitet“. 4
                                                          sieht er einen Hinweis darauf, „dass die
Nicht weniger herausfordernd ist seine Kritik an den      Tatsache, an Gott zu glauben und ihn
Separierungstendenzen, die eine aus seiner Sicht          anzubeten, noch nicht gewährleistet, so zu
überbordende digitale Öffentlichkeit mit sich bringt.     leben, wie es Gott gefällt“. 6 Entscheidend sei

3
    Vgl. ebd., Nr. 7f.
4
    Vgl. ebd., Nr. 98.
5
    Vgl. ebd., Nr. 42f.
6
    Vgl. ebd., Nr. 74.
3   BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN

    es, sich in dem Überfallenen selbst zu                           seiner Auslegung fest. „Einmal auf dem Weg,
    erkennen und sein Leiden zur eigenen Sache                       treffen wir unvermeidlich auf verletzte
    zu machen.                                                       Menschen – wehe uns, wenn wir uns nicht
                                                                     anrühren lassen.“ 10 Für einen Christen-
    In der Haltung und im Handeln des
                                                                     menschen hängt alles an diesem Moment,
    Samaritaners sieht Papst Franziskus
                                                                     da die Christenmenschen, angerührt durch
    grundlegende Hinweise dafür beschrieben,
                                                                     das Leid des Menschen, in dem Antlitz des
    wie es dazu kommen kann, dass Menschen
                                                                     Leidenden Christus erkennen und so ihre
    sich einem Leidenden zuwenden und bereit
                                                                     Aufgabe erkennen und annehmen, tätig zu
    sind, solidarisch zu handeln. „Um sich
                                                                     werden und sich des Leidenden anzuneh-
    (…dem Verletzten, d. Vf.) zu nähern und bei
                                                                     men.
    ihm zu sein, hat (…der Samaritaner, d. Vf.)
    alle kulturellen und geschichtlichen                             Mit dieser Verankerung des Würdebegriffes
    Schranken überwunden.“ 7 Wie schon in                            im Gemüt und dem Gewissen des Einzelnen
    seinen früheren Schreiben macht Papst                            knüpft Papst Franziskus an gegenwärtige
    Franziskus deutlich, dass es ihm nicht um                        theologische und philosophische Debatten
    eine Lehre über abstrakte Ideale oder die                        an. Die Verknüpfung des Würdeverständ-
    „Funktionalität einer sozialethischen Moral“                     nisses mit dem „Antlitz des Leidenden“, in
    geht. Der Grundimpuls, den Franziskus als                        dessen Angesicht die unverlierbare Würde
    zentral für die Überwindung von Leid, Armut                      des Menschen aufleuchtet, ist beispielweise
    und Vereinzelung ansieht, ist die Über-                          bei dem 1995 verstorbenen jüdischen
    windung der eigenen Gleichgültigkeit dem                         Philosophen Emmanuel Levinas überzeu-
    anderen gegenüber. Das geschieht durch                           gend entwickelt worden. 11 Der in Harvard
    das Hinschauen. Das Hinschauen aber, in                          lehrende Michael J. Sandel hat seinerseits
    dem ein Mensch sich dem Blick eines                              verschiedentlich dargelegt, dass auch die
    offensichtlich Leidenden auszusetzen bereit                      marktorientierteste Gesellschaft darauf
    ist, führt zunächst zu einer körperlichen                        angewiesen ist, dass die Menschen, die dem
    Reaktion. Dem Hinschauenden „drehen                              Wohlstand frönen, den Diskurs über die
    sich“ angesichts des Leidenden die „Einge-                       jedem zuzumessende Würde nie ruhen
    weide um“, so schreibt der Evangelist                            lassen. In jeder Kultur könne gezeigt
    Lukas. 8 Und nun kann und will er nicht mehr                     werden, so Sandel, dass es vernünftig sei,
    wegsehen – er ist angerührt und entdeckt                         eine solidarische Gesellschaft zu fördern.
    sich selbst und sein eigenes mögliches                           Unsolidarische Gesellschaften hielten sich
    Schicksal in dem Antlitz des Leidenden!                          nicht und setzten zu viel Gewaltpotential
    „Das (Leid) muss uns so empören, dass wir                        frei. Besonders große Konzerne seien darauf
    unsere Ruhe verlieren und von dem                                angewiesen, dass die Gesellschaft, in der sie
    menschlichen Leiden aufgewühlt werden.
    Das ist Würde.“ 9, hält Papst Franziskus in

    7
        Vgl. ebd., Nr. 81.
    8
        Das Verb, das Lukas wählt, um die innere Bewegung zu beschreiben, die die Verwundungen des unter die Räuber gefallenen
    in dem Samariter auslösen, lässt sich am besten mit diesen Worten übersetzen: „und in ihm drehten sich die Eingeweide um“.
    9
        Vgl. Fratelli tutti, a.a.O., Nr. 68.
    10
         Vgl. ebd., Nr. 69.
    11
         Für Emmanuel Levinas erschließt sich „die Spur des Unendlichen im Anblick des leidenden Anderen“ und treibt den, der
    sich vom Antlitz des Leidenden anrühren lässt, zum helfenden Handeln und zur Aufforderung, tätig werden zu müssen. Vgl.
    Emmanuel Levinas, Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, hrsg, v. Wolfgang
    Nikolaus Krewani, Freiburg 2012, S. 231.
BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN                              4

sich niederließen, ausgeglichen sei und es                         „Fratelli tutti“ ist keine nur mahnende
ein gesundes soziales Klima gebe. 12                               Schrift, sondern eine Schrift, die die
                                                                   vorhandenen Diskurse aufnimmt und
Die Studie „Gott und die Würde des
                                                                   theologisch beleuchten und dadurch
Menschen“ der Dritten Bilateralen Arbeits-
                                                                   bereichern möchte.
gruppe der VELKD und der Deutschen
Bischofskonferenz hebt in ihrer Sprache                            In den auf die Lukas-Exegese, die den spezifisch
hervor: „Die christologische Begründung der                        christlichen Beitrag für die Bildung der Menschheits-
Würde des Menschen entfaltet ihre argu-                            familie im Sinne der Solidarität der Völker entfaltet,
mentative Kraft vor allem dort, wo es um die                       folgenden Kapiteln von „Fratelli tutti“ nennt Papst
Würde der Ausgestoßenen, Leidenden und                             Franziskus eine Reihe von Konkretisierungen und
Sterbenden geht. Jesu Tod bezeugt die                              Forderungen, die dazu beitragen sollen, „eine offene
Würde aller, die der öffentlichen Schande                          und solidarische Welt zu denken und zu schaffen“. Auf
preisgegeben werden“. 13 Für Papst                                 sie alle hier einzugehen, würde den Rahmen
Franziskus legt der konzentrierte Blick auf                        sprengen. Besonders bemerkenswert ist jedoch, wie
die Gleichnisse und Reden Jesu offen, dass                         Papst Franziskus in seiner Forderung nach einer
mit Jesus von Nazareth eine ethische                               humanen Flüchtlingspolitik den Begriff des Volkes
Grundlegung menschlichen Handelns in die                           positiv aufgreift und ihn gegen dumpfen Populismus
Welt gekommen ist, in der die Würde jedem                          abgrenzt. Der Populismus, so Franziskus, laufe
Menschenkind, unabhängig von Herkunft                              nämlich Gefahr, die „Legitimität des Volksbegriffes“ zu
und Prägung, zugesprochen wird. Dass                               untergraben. Gerade diesen will Franziskus aber stark
Papst Franziskus mit seiner Enzyklika den                          machen, weil er „notwendig (ist, d. Vf.), um auszu-
Kern aktueller Fragestellungen und                                 sagen, dass die Gesellschaft mehr ist als eine bloße
Herausforderungen trifft, zeigen die vielen                        Summe von Individuen“ 15 und dass die Idee der
positiven Reaktionen, nicht nur aus                                Völkergemeinschaft nicht naiv ist. Man wird der
binnenkirchlichen Bereichen. Internationale                        Beobachtung zustimmen können: „´Volk` ist für
NGOs haben die Enzyklika nachdrücklich                             Franziskus, so sagt er selbst, eher eine ´mythische`
begrüßt und ihr Anliegen als unverzichtbar                         als eine ´logische` Kategorie, eine Form von
herausgestellt. 14 Vor allem aber gilt, dass                       kollektiver Erzählgemeinschaft, bei der einzelne
Papst Franziskus mit „Fratelli tutti“ ein                          Menschen zusammenkommen und gemeinsam am
Beispiel gibt, wie sich theologisches Nach-                        Gemeinwesen und der Zukunft arbeiten. Sein Volk ist
denken in internationale Debatten um den
Weg eines Zusammenlebens der Völker
einbringen kann, ohne nur in bloße Appelle
oder Forderungen an andere zu verfallen.

12
     Michael J. Sandel, What money can´t buy. The moral limits of markets, London 2012; vgl. auch Peter Bieri, Eine Art zu leben.
Über die Vielfalt menschlicher Würde, Frankfurt a. M. 2013. Bieri entwickelt die These, dass die menschliche Würde nicht wie
bisher als eine metaphysische Eigenschaft des Menschen verstanden werden müsse, sondern vielmehr als eine gewisse
Lebensform, die sich aus der Begegnung mit dem Scheitern und dem konstruktiven Umgang mit den eigenen Grenzen des
Menschen und der Begegnung mit dem Leidenden bildet.
13
     Vgl. Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche
Deutschlands: Gott und die Würde des Menschen, Paderborn – Leipzig 2017., Nr. 183f.
14
     Vgl. Viel Lob und etwas Kritik für Enzyklika von Papst Franziskus, abzurufen unter: www.br.de/nachrichten/klutur/viel-lob-
und-etwas-kritik-fur-enzyklika-von-papst-franziskus.SCXqhVC sowie Anette Zoch: Teile der Menschheit scheinen geopfert
werden zu können, abzurufen unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/papst-franziskus-enyklika-fratelli-tutti-corona-
1.503631. Eine kritische Bewertung nimmt Daniel Deckers vor: Vgl. Lehrschreiben des Papstes. Spiegel der Welt, nicht der
Kirche, abzurufen unter: www.faz.net/aktuell/politk/ausland/fratelli-tutti-spiegel-der-welt-nicht-der-kirche-16987428.html.
15
     Vgl. Fratelli tutti, a.a.O., Nr. 157.
5   BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN

    nicht völkisch“. 16 Wie schon in „Querida Amazonia“                  „Als Gläubige sind wir davon überzeugt,
    zeigt Papst Franziskus seine Verwurzelung in der                     dass es ohne die Offenheit gegenüber dem
    lateinamerikanischen Kultur und der „Teología del                    Vater aller keine soliden und beständigen
    Pueblo“. Er ist davon überzeugt, dass sich aus ihr                   Gründe für den Aufruf zur Geschwisterlich-
    Einsichten ableiten lassen, die für das Gedeihen                     keit geben kann“ 18, fasst er den zentralen
    moderner Gesellschaften im 21. Jahrhundert hilfreich                 Gedanken seines Eintretens für ein gemein-
    sind. Diesen Gedanken aufzunehmen und ihn in                         sames Handeln der Religionen zusammen.
    taugliche Konzepte für die heutigen gesellschaftlichen               Die großen Religionen haben in sich das
    Herausforderungen zu übertragen, ist eine lohnende                   Potential, Narrative bereit zu stellen, die die
    Aufgabe. Denn: „Ein lebendiges, dynamisches Volk mit                 gemeinsame Verantwortung der Völker für
    Zukunft ist jenes, das beständig offen für neue                      die Erde und ihre Erhaltung sowie für eine
    Synthesen bleibt, indem es das in sich aufnimmt, was                 solidarische Weltgesellschaft betonen und
    verschieden ist“ 17, schreibt Papst Franziskus in seiner             dabei auch die Herzen der Menschen
    Enzyklika.                                                           erreichen und zudem die konfessionellen
                                                                         und kulturellen Prägungen gelten lassen
    1.2. Die Religionen im Dienst an der                                 und stark machen.
    Geschwisterlichkeit in der Welt
                                                                         Ausdrücklich bezieht Papst Franziskus sich
    Im achten und letzten Kapitel seiner                                 in seiner Schrift mehrfach auf seinen Besuch
    Enzyklika wendet Papst Franziskus sich                               auf der arabischen Halbinsel im Februar
    dann in besonderer Weise der Rolle der                               2019. In Abu Dhabi hatte er sich mit dem
    Religionen beim gemeinsamen Eintreten                                Großimam der Al-Azhar-Universität in Kairo,
    aller Menschen für eine humane Welt zu.                              Scheich Ahmad Mohammad Al-Tayyeb
    Damit schließt sich der Kreis zum Ein-                               getroffen, der von sunnitischen Muslimen
    gangszitat seines Lehrschreibens, wo er auf                          als ein führender Gelehrter und als Autorität
    die Impulse des Franz von Assisi einge-                              des Islam anerkannt wird. Mit seinem
    gangen war. Indem schon dieser alle                                  Besuch wollte Papst Franziskus auch einen
    Menschen als „Schwester und Brüder“                                  Impuls zur Verständigung von Schiiten und
    ansprach, habe er die Grenze, die zwischen                           Sunniten im Irak geben. Mehrfach zitiert
    den Religionen gezogen ist, durchlässig                              Franziskus in seiner Enzyklika das
    gemacht. „Geschwisterlichkeit“ ist für Papst                         „Dokument über die Brüderlichkeit aller
    Franziskus der Ausgangspunkt für die                                 Menschen“, dass er am 4. Februar 2019
    gemeinsame Verantwortung aller                                       zusammen mit dem Großimam unterzeich-
    Menschen. Die unterschiedliche Ausprägung                            net hat. Gemeinsam hoben die beiden
    und Diversität der großen Religionen sieht                           Religionsführer in diesem Dokument hervor:
    er dabei nicht als einen Hinderungsgrund                             „Der Glaube lässt den Gläubigen im anderen
    an. Vielmehr kommt ihnen, insbesondere                               einen Bruder sehen, den man unterstützt
    den monotheistischen Religionen, nach                                und liebt. Aus dem Glauben an Gott, der das
    seinem Verständnis eine zentrale Rolle auf                           Universum, die Geschöpfe und alle
    diesem Weg zu. In dem gemeinsamen                                    Menschen – aufgrund seines Erbarmens –
    Glauben an Gott sieht Papst Franziskus die                           mit gleicher Würde erschaffen hat, ist der
    Möglichkeit einer umfassenden Solidarität                            Gläubige gerufen, diese menschliche
    der Menschen untereinander begründet.                                Brüderlichkeit zum Ausdruck zu bringen,

    16
         Vgl. Felix Neumann: Fratelli tutti: Papst Franziskus Programm für eine brüderliche Welt, veröffentlicht in katholisch.de,
    abzurufen unter http://katholisch.de/artikel/27094-frattelli-tutti-papst-franziskus-programm-für-eine-brüderlich-welt, S. 5.
    17
         Vgl. Fratelli tutti, a.a.O., Nr. 160.
    18
         Vgl. Fratelli tutti, a.a.O., Nr. 272.
BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN                         6

indem er die Schöpfung und das ganze                                zum Himmel hinauf. Wenn wir nach
Universum bewahrt und jeden Menschen                                tausenden Jahren den gleichen Himmel
unterstützt, besonders die am meisten                               betrachten, erscheinen dieselben Sterne.
Bedürftigen und die Ärmsten“. 19 Deshalb                            Sie erhellen die dunkelsten Nächte, weil sie
seien „die Intellektuellen, die Philosophen,                        gemeinsam leuchten. Auf diese Weise gibt
die Vertreter der Religionen, die Künstler,                         uns der Himmel eine Botschaft der Einheit:
die Medienleute und die Kulturschaffenden                           Der Allerhöchste über uns lädt uns ein, uns
in der ganzen Welt“ aufgerufen, „die Werte                          niemals von unserem Bruder, unserer
des Friedens, der Gerechtigkeit, des Guten,                         Schwester neben uns zu trennen.“21
der Schönheit, der menschlichen Brüder-
                                                                    Papst Franziskus geht es darum, die
lichkeit und des gemeinsamen Zusammen-
                                                                    Potentiale der großen Erzählungen der
lebens wiederzuentdecken, um die Bedeu-
                                                                    Religionen in den Blick zu rufen und die
tung dieser Werte als Rettungsanker für alle
                                                                    Verantwortlichen der Religionsgemein-
deutlich zu machen und sie überall zu
                                                                    schaften für den gemeinschaftlichen Dienst
verbreiten“ 20.
                                                                    an dem Zusammenhalt der Völkergemein-
Eine weitere Geste der Verständigung mit                            schaft zu gewinnen. In seiner Enzyklika will
dem Islam setzte Papst Franziskus im                                er den großen Schatz heben, den die
Rahmen seiner Reise in den Irak im März                             Religionen für die Idee einer Einheit des
2021, als er den Großajatollah Ali as-Sistani                       Menschengeschlechtes entwickeln. Dieser
besuchte. Der Leiter der angesehenen                                Schatz muss in den Herzen aller Menschen
theologischen Hochschule von Nadschaf,                              guten Willens Platz finden, wenn nicht die
„Hawza“, wird von vielen schiitischen                               Erde verkommen soll. Unmissverständlich
Muslimen als eine Autorität in Glaubens-                            macht er nicht nur durch seine ausführliche
fragen geachtet. Mit seinem Besuch wollte                           Auslegung des Gleichnisses vom barmherzi-
Papst Franziskus nicht zuletzt auch einen                           gen Samariter deutlich, dass er selbst
Impuls zur Verständigung von Schiiten und                           selbstverständlich „auf der Grundlage
Sunniten im Irak geben. Informationen zu                            (seiner. d.Vf.) christlichen Überzeugung“ 22
den Inhalten dieses Gespräches wurden                               spricht und diese einbringt. Aber es gehe
vom Vatikan leider nicht veröffentlicht. Im                         darum, die Kraft der Religion und ihrer
Rahmen einer interreligiösen Begegnung in                           Sprache insgesamt neu zu entdecken, um
der Ebene von Ur, der Heimstädte des                                die Menschheit zu geschwisterlichem
Stammvaters Abraham, erklärte Franziskus                            Denken und Handeln anzurühren. 23 Damit
aber wenige Stunden später: „Wir sehen                              nimmt Papst Franziskus Impulse von

19
     Vgl. Apostolische Reise von Papst Franziskus in die Vereinigten Arabischen Emirate (3. – 5. Februar 2019), Dokument über
die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Miteinander in der Welt, abzurufen unter
http://vatican.va/content/francesco/de/travels/2019/outside/documents/papa-francesco_20190204_documento-fratellanza-
umana.html, S. 1.
20
     Vgl. ebd., S. 3.
21
     Vgl. Apostolische Reise von Papst Franziskus in den Irak (5. – 8. März 2021), Interreligiöse Begegnung, Ebene von Ur,
Samstag, 6. März 2021, Ansprache von Papst Franziskus, abzurufen unter
https.//vatican.va/content/francesco/de/speeches/2021/march/documents/papa-francesco_20210306_iraq-incontro-
interreligioso.html, S. 1.
22
     Vgl. Fratelli tutti, a.a.O., Nr.6.
23
     Hier findet er neuerdings und erneut kräftige Unterstützung bei dem großen alten Mann der Frankfurter Schule, Jürgen
Habermas. In seinem jüngst erschienenen Werk „Auch eine Geschichte der Philosophie“, geschrieben in Anlehnung an den
Bückeburger Johann Gottfried Herder, hat der reife Jürgen Habermas entfaltet, dass gerade die Religionen eine Sprache,
Bilderwelt und Vorstellungskraft für die Idee einer Menschheitsfamilie entwickeln, die ein großes Hoffnungspotential für das
7   BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN

    Johannes Paul II. und seinem 1986                                  Die wichtigsten Elemente möchte ich kurz in
    initiierten interreligiösen Gebetstreffen in                       Erinnerung rufen.
    Assisi auf; diese jährlichen Friedensgebete
                                                                       Schon in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii
    der Religionen und Konfessionen werden
                                                                       Gaudium“ von 2013 hatte der Pontifex eine stärkere
    von der Gemeinschaft Sant`Egidio seitdem
                                                                       Beteiligung aller Teile des Gottesvolkes an den
    verantwortet. Diesen wichtigen Impuls zur
                                                                       Entscheidungsprozessen der Kirche eingefordert. 24
    Verantwortung der Religionen für die
                                                                       Die Bischofssynode, die 1965 von Paul VI. als
    Verständigung der Völkergemeinschaft
                                                                       ständiges Organ zur Beratung des Bischofs von Rom
    möchte der römische Bischof für seine
                                                                       mit den Bischöfen der Teilkirchen weltweit
    Kirche und für alle religiösen Gemein-
                                                                       eingerichtet wurde, hat Franziskus als zentrales
    schaften auf der Welt festhalten. In ihm
                                                                       Instrument und Kristallisationspunkt einer Kultur der
    sieht er einen unverzichtbaren Bestandteil
                                                                       synodalen Beratung definiert. Mit der Apostolischen
    für das Zusammenleben der Menschen im
                                                                       Konstitution „Episcopalis Communio“ von 2018 hat er
    21. Jahrhundert, das zu fördern und zu
                                                                       neue Regeln für die Durchführung der Synode
    unterstützen die Kirchen unbedingt
                                                                       festgelegt. Seitdem muss jedem Bischofstreffen in
    verpflichtet sind.
                                                                       Rom eine ausführliche „Konsultation des Gottesvolkes
                                                                       auf allen Ebenen der Kirche bis zu den Pfarreien,
    2. „Gemeinschaft, Teilhabe, Mission“
                                                                       Verbänden und geistlichen Gemeinschaften“
    – Die Reform der Kirche als synodaler
                                                                       vorausgehen. 25 Bei den vergangenen Sondersynoden
    Prozess
                                                                       zu den Themen „Jugend“ (2018) und „Amazonien“
    Mit der Entscheidung vom 7. März 2020, dass                        (2019) wurde diese Kultur der Beteiligung durch
    die kommende ordentliche Bischofssynode                            Fragebögen, Online-Plattformen und die Einladung
    in Rom sich mit dem synodalen Charakter                            von Gästen schon teilweise umgesetzt.
    der Kirche befassen wird, wurde das
                                                                       In verschiedenen Texten und öffentlichen Äußerungen
    zentrale Thema dieses Pontifikates in den
                                                                       hat Papst Franziskus in den vergangenen Jahren sein
    Mittelpunkt der kommenden Beratungen
                                                                       Verständnis vom synodalen Wesen und von der syno-
    und Entscheidungen im Vatikan gerückt. In
                                                                       dalen Struktur der Kirche theologisch verankert und
    den vergangenen Jahren bin ich in meinen
                                                                       begründet. In besonderer Weise ist hier die Ansprache
    Berichten auf verschiedene Weise auf dieses
                                                                       zum 50-jährigen Bestehen der Bischofssynode vom
    für die Reformprozesse in der katholischen
                                                                       Oktober 2015 hervorzuheben. Im Anschluss an die
    Kirche so wichtige Thema eingegangen.
                                                                       dogmatische Konstitution „Lumen Gentium“ des
    Anhand maßgeblicher Äußerungen und
                                                                       Zweiten Vatikanischen Konzils hatte Papst Franziskus
    Texte von Papst Franziskus habe ich
                                                                       in seiner Rede den sensus fidei, also den „Glaubens-
    versucht nachzuzeichnen, wie Synodalität
                                                                       sinn“, mit dem jeder einzelne Christ und jede einzelne
    im Kontext katholischer Theologie zu
                                                                       Christin Kraft des Heiligen Geistes durch die Taufe
    verstehen ist und worin Unterschiede zu
                                                                       ausgestattet ist, als zentralen Bezugspunkt der
    evangelischen Synoden bestehen.
                                                                       Beratungs- und Entscheidungsprozesse der Kirche

    Zusammenleben der Völker bereithalten. Das müsse und könne gehoben werden, sonst gehe es der Völkergemeinschaft
    schlecht. Vgl. Jürgen Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie. Band 1: Die okzidentale Konstellation Glauben und
    Wissen Band 2: Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen, Berlin 2019.
    24
         Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Bischöfe, an die Priester und
    Diakone, an die Personen des geweihten Lebens und an die christlichen Laien über die Verkündigung des Evangeliums in der
    Welt heute, Verlautbarungen des Heiligen Stuhls Nr. 194, hrsg. v. der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2013, Nr. 120.
    25
         Vgl. Apostolische Konstitution Episcopalis Communio über die Bischofssynode von Papst Franziskus , zu beziehen unter
    www.vatican.va/content/francesco/de/apst_constitutions/documents/papa-francesco_constitutione-
    ap_20180915_episcopalis-commuion.html, Art. 2 und 6.
BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN                        8

herausgestellt. Den Bezug zum Glauben des                           wird, sondern vielmehr ein Teil der Synode
pilgernden Gottesvolkes und die Frömmigkeit jeder                   selbst ist.
einzelnen Christin und jedes einzelnen Christen als
                                                                    Vom Oktober 2021 bis August 2022 29 werden
Schatz der Kirche neu zu entdecken, hatte er
                                                                    in allen mehr als 4000 Bistümern der katho-
gefordert. 26 Dabei nahm er Bezug auf die Studie der
                                                                    lischen Kirche weltweit Bischöfe, Priester
Internationalen Theologischen Kommission „Die
                                                                    und Laien auf der Grundlage von Doku-
Synodalität in Leben und Sendung der Kirche“ von
                                                                    menten, Fragebögen und Handreichungen
2018. In ihr wurde das Zusammenwirken des ganzen
                                                                    über die Zukunft der katholischen Kirche
Gottesvolkes mit der kollegialen Gemeinschaft der
                                                                    beraten. Dabei werden auch die katholi-
Bischöfe unter Leitung des Bischofs von Rom als
                                                                    schen Hochschulen, Orden und Laien-
„Dynamik der Synodalität“ beschrieben, deren
                                                                    bewegungen einbezogen. Die Ergebnisse
wesentliche Elemente das „Zuhören“ und das
                                                                    dieses ersten Beratungsgangs sollen dem
„Unterscheiden“ sind. 27
                                                                    Synodensekretariat vorgelegt werden, das
Im Folgenden möchte ich die bemerkens-                              aus den Erfahrungen und Vorschlägen die
werten Konkretisierungen schildern, die der                         erste Fassung eines Instrumentum Laboris,
Plan einer Bischofssynode zum Thema                                 also einer Beratungsgrundlage für die
„Synodalität“ seitdem bekommen hat.                                 anstehende Zusammenkunft der Bischöfe,
                                                                    erarbeiten wird. Seine Veröffentlichung ist
2.1. Ein neues Verfahren für die                                    für den September 2022 vorgesehen.
Bischofssynode
                                                                    In einer zweiten Phase von Oktober 2022 bis
In der Absicht, einen Beratungsstil zu                              März 2023 soll der Raum der Beratungen auf
etablieren, der alle Ebenen des Gottesvolkes                        die kontinentale Ebene ausgeweitet
einbezieht und sie an den richtungswei-                             werden. Die Bischofskonferenzen der
senden Beratungen der Kirche beteiligt, hat                         einzelnen Kontinente werden die bisherigen
das Synodensekretariat in Rom ein neues                             Ergebnisse sichten und weiter beraten. Auch
Verfahren entwickelt, das der kommenden                             sie werden ihre Einschätzungen, Anregun-
Bischofssynode zugrunde liegen wird. „Die                           gen und Vorschläge dem Synodensekre-
erste große Neuerung ist die Umwandlung                             tariat übergeben.
der Synode vom Ereignis zum Prozess“28,
                                                                    Die Aufgabe für das Synodensekretariat wird
hat deren Generalsekretär, Kardinal Mario
                                                                    darin bestehen, aus dem gesamten Material
Grech, angekündigt. Damit ist gemeint, dass
                                                                    ein zweites, endgültiges Vorbereitungs-
der fast zweijährige Prozess, der dem
                                                                    dokument für das Bischofstreffen in Rom zu
Treffen der Bischöfe in Rom vorausgeht,
                                                                    erarbeiten. Die Veröffentlichung dieses
nicht als „Vorspiel“ der Synode aufgefasst
                                                                    endgültigen Instrumentum Laboris ist für

26
     Vgl. 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode. Ansprache von Papst Franziskus am 17. Oktober 2015, zu beziehen
unter http://vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/october/documents/papa-francesco_20151017_50-
anniversario-sinodo.html, S. 2.
27
     Vgl. Internationale Theologische Kommission: Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, Arbeitsübersetzung des
Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Heiligen Stuhls Nr. 215, hrsg. vom Sekretariat der
Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2018, Nr. 42.
28
     Vgl. Grech zur Synodenreform: „Unterscheidung beginnt mit Zuhören“, Interview mit Andrea Tornielli vom 21. Mai 2021,
autorisierte deutsche Übersetzung des italienischen Originals, zu beziehen unter
https://vaticannews.va/de/vatikan/news/2021-05/kardinal-grech-interview-synodos-episcoporum-reform-synode.html, S. 3.
29
     Ursprünglich sollte die erste Phase im März 2021 abgeschlossen sein. Die Frist wurde auf Bitten vieler Diözesen am 29.
Oktober verlängert.
9   BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN

    Juni 2023 vorgesehen. Im Oktober 2023 wird                         Verständnis vom Aufbau, der Struktur und
    die Bischofssynode dann auf der Grundlage                          dem Selbstverständnis der katholischen
    des vorgestellten Materials unter dem Titel                        Bischofssynode. Der Vatikan selbst spricht
    „Für eine synodale Kirche. Gemeinschaft,                           von einem „synodalen Weg“, den er für die
    Teilhabe, Mission“ darüber beraten.                                gesamte katholische Weltkirche initiieren
                                                                       möchte, mit dem Ziel einer Reform, die die
    Die Prozesse, die in mehr als 4000 Bistümern
                                                                       regionale Entwicklung in der weltweiten
    unter völlig unterschiedlichen Voraus-
                                                                       katholischen Kirche fördert und die
    setzungen und in unterschiedlichen
                                                                       Potentiale aller Getauften Glieder der Kirche
    Kontexten ablaufen, so miteinander zu
                                                                       neu entdeckt. 32
    verzahnen, dass daraus eine handhabbare
    Arbeitsgrundlage entsteht, ist ein ambi-
                                                                       2.2. Eine richtungsweisende
    tioniertes Vorhaben. Das bekommt vor dem
                                                                       Personalentscheidung – Mario
    Hintergrund eine besondere Bedeutung,
    dass nicht nur in Deutschland, sondern an                          Kardinal Grech als Generalsekretär
    vielen Orten der Weltkirche bereits synodale                       der Bischofssynode
    Wege und Beratungsprozesse laufen, die                             Die Initiierung dieses weltweiten synodalen
    von Rom gefördert und unterstützt                                  Weges geht einher mit einer wichtigen
    werden. 30 Alle lokalen Prozesse und ihre                          Personalentscheidung, die Papst Franziskus
    bereits entstandenen Dynamiken in den                              getroffen hat. Am 16. September 2020 hat er
    synodalen Prozess der Weltkirche mit                               Mario Kardinal Grech zum Generalsekretär
    hineinzunehmen, ist ein enormes Vorhaben                           der Bischofssynode ernannt. Mit dem
    und eine mutige Reformidee. 31 Wenn die                            vormaligen Bischof von Gozo (Malta) hat
    Vorschläge und Lösungsansätze der                                  eine außerordentlich profilierte und
    einzelnen Ortskirchen dem Wohl der ganzen                          erfahrene Persönlichkeit diese wichtige
    Kirche nicht widersprechen, sondern                                Schlüsselfunktion übernommen, die das
    vielmehr durch den sensus ecclesiae auf ihr                        Vertrauen des Papstes in besonderer Weise
    Wohl hin ausgerichtet sind, werden sie für                         genießt. 33
    den Beratungsprozess der ganzen
                                                                       In einem bemerkenswerten Interview, das
    katholischen Kirche fruchtbar gemacht
                                                                       Kardinal Grech der vatikanischen
    werden können.
                                                                       Nachrichtenagentur Vatican News im Mai
    Was sich zunächst wie ein schwerfälliges                           2021 gab, hat er seine Einschätzungen und
    und kaum realisierbares Verfahren anhört,                          Erwartungen zum synodalen Prozess
    ist tatsächlich weitaus mehr als nur eine                          pointiert formuliert. Mit Nachdruck hebt der
    Verfahrensregelung. Dahinter steckt eine                           Kardinal hervor, dass das Volk Gottes am
    deutliche Akzentverschiebung im                                    prophetischen Amt Christi Anteil hat. Für die

    30
         Papst Franziskus selbst hat im Februar dieses Jahres die katholische Kirche in Italien aufgefordert, einen synodalen Weg zu
    initiieren. In Australien wird von Oktober 2021 an ein Plenarkonzil der Diözesen tagen. Auch in Lateinamerika und anderen
    Teilen der Welt gibt es vergleichbare Prozesse.
    31
         Hier zeigt sich erneut die Herausforderung, die von Papst Franziskus geforderte „heilsame Dezentralisierung“ mit der
    notwendigen Einheit der römisch-katholischen Kirche zusammenzubringen, Vgl. dazu meine Ausführungen im Catholica-
    Bericht 2020, Die Kirche- dem Evangelium in Treue verpflichtet und den Menschen zugewandt, a.a.O., S. 10ff.
    32
         Vgl. Roland Juchem und Ludwig Ring-Eifel: Bischofssynode 2023: Zwei Jahre lang lernen, wie synodale Kirche geht,
    veröffentlicht in katholisch.de, zu beziehen unter www.katholisch.de/artikel/29935-bischofssynode-2023-zwei-Jahre-lang-
    lernen-wie-synodale-Kirche-geht.
    33
         Vgl. Burkhard Jürgens: Stabwechsel im Vatikan bekräftigt den Reformkurs des Papstes, veröffentlicht in katholisch.de, zu
    beziehen unter www.katholisch.de/artikel/26899-Stabwechsel-im-Vatikan-bekräftigt-den-Reformkurs-des-Papstes, S. 3.
BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN                  10

Bischöfe und den Papst ist es deshalb                           übersetzt werden, jeder entsprechend
unverzichtbar, auf das Kirchenvolk zu hören.                    seiner spezifischen Bedingung und
„Und um ihm zuzuhören“, so der Kardinal,                        Funktion“ 36.
„ist es notwendig, dorthin zu gehen, wo es
                                                                In Anlehnung an Papst Franziskus formuliert
lebt – in den Teilkirchen.“ 34
                                                                der verantwortliche Organisator der
Das Prinzip der synodalen Beratung sieht                        Bischofssynode seine Erwartung für die
der maltesische Kardinal in der Tradition                       Zukunft: „Heute scheint klar zu sein, dass
der Kirche verankert und in der Fluchtlinie                     eine solche Gemeinschaft entweder synodal
ihre Geschichte als Aufgabe für ihre Zukunft                    ist oder es ist keine Gemeinschaft.“37 Denn
angelegt: „Synodalität war eine typische                        das „Zuhören ist die wahre pastorale
Praxis der Kirche des ersten Jahrtausends“,                     Umkehr der Kirche“, so der Kardinal. 38
analysiert er, „die in der orthodoxen Kirche
fortgesetzt wird. Das Neue in der katholi-                      2.3. Das prophetische Amt des
schen Kirche ist, dass die Synodalität als                      Gottesvolkes
Krönung eines langen Prozesses der
                                                                An den Äußerungen von Kardinal Grech ist
Lehrentwicklung wieder auftaucht. Dieser
                                                                deutlich zu erkennen, dass den Laien eine
Prozess führte“, so Grech, „zur Klärung des
                                                                stärkere Rolle für die zukünftige Gestaltung
petrinischen Primats im I. Vatikanum, zur
                                                                der katholischen Kirche zukommen soll.
bischöflichen Kollegialität im II. Vatikanum
                                                                Indem man die Bischofssynode als einen
und heute, durch die fortschreitende
                                                                Prozess versteht, in den das Gottesvolk auf
Rezeption der konziliaren Ekklesiologie (…)
                                                                allen Ebenen einbezogen ist, werden
zur Synodalität als einer Form der
                                                                Laienvertreter zu einem konstitutiven
Beteiligung aller am Weg der Kirche“35.
                                                                Bestandteil des Synodengeschehens. Dies
Aus dem Eingeständnis, dass in der                              wird darin begründet, dass sie gemäß der
Vergangenheit „vielleicht etwas viel auf der                    Lehre der katholischen Kirche „am
`communio hierarchica´ bestanden wurde,                         prophetischen Amt Christi Anteil haben.“ 39
der Idee, dass die Einheit der Kirche nur
                                                                Das bietet Anklänge an die Lehre von den
durch die Stärkung der Autorität der Hirten
                                                                drei Ämtern Christi, die auch in der dogma-
erreicht werden könne“, leitet der General-
                                                                tischen Konstitution des 2. Vatikanischen
sekretär der Bischofssynode einen Auftrag
                                                                Konzils über die Kirche „Lumen Gentium“
für die Zukunft ab, denn dies könne, so
                                                                verankert ist. In ihr wird bekanntlich
Grech, „nicht die normale Art sein, kirchliche
                                                                festgehalten, dass alle Christgläubigen
Gemeinschaft zu leben, die Zirkularität,
                                                                durch die Taufe Christus „einverleibt“
Gegenseitigkeit, und ein gemeinsames
                                                                wurden und so „des priesterlichen,
Unterwegssein in Bezug auf die jeweiligen
                                                                prophetischen und königlichen Amtes
Funktionen im Volk Gottes verlangt.“ Die
                                                                Christi auf ihre Weise teilhaftig geworden
Gemeinschaft kann, so Grech, „nur in die
                                                                sind“ 40. In der Beteiligung am priesterlichen,
Teilnahme aller am Leben der Kirche

34
     Vgl. Grech zur Synodenreform, a.a.O., S. 3f.
35
     Vgl. ebd., S. 5.
36
     Vgl. ebd., S. 6.
37
     Vgl. ebd., S.6.
38
     Vgl. ebd., S. 5.
39
     Vgl. ebd., S.2.
40
     Vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium“, in Heinrich Denzinger: Kompendium der
Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter
11   BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN

     königlichen und prophetischen Amt Christi                               Christi durch die Laien für die Kirche Gestalt
     sind alle Getauften gerufen, in der Nachfolge                           gewinnt, tritt in den bisherigen Äußerungen
     Jesu ihre Gaben in das Leben der Kirche                                 aus Rom zum synodalen Prozess eher in den
     einzubringen. Auffällig ist die Akzent-                                 Hintergrund. Wenn Laien in dem angestreb-
     setzung, die Kardinal Grech in seinen                                   ten Prozess vor allem das prophetische Amt
     Äußerungen vornimmt. Von den drei Ämtern                                zukommt, dann liegt es nahe zu vermuten,
     Christi, an denen alle Getauften Anteil                                 dass die Bischöfe in Gemeinschaft mit dem
     haben, hebt er das prophetische Amt für die                             Papst vor allem das königliche und das
     Kennzeichnung der Mitwirkung aller                                      priesterliche Amt ausfüllen werden. 42 Darin
     Getauften an der Gestaltung und Verände-                                bildet sich die klassische Verteilung der
     rung der Kirche in besonderer Weise hervor.                             Zuständigkeiten ab, nach der die Beratung
                                                                             Sache des ganzen Gottesvolkes ist, die
     Offenbar sieht er im prophetischen Amt
                                                                             Entscheidung aber letztlich den Bischöfen in
     Christi in besonderer Weise die Rolle
                                                                             der Gemeinschaft und unter der Leitung des
     repräsentiert, die den Laien beim synodalen
                                                                             Bischofs von Rom zukommt. 43
     Prozess der Kirche zukommt. Ihr Ruf und ihr
     Drängen hat für die Kirche eine geradezu                                In den synodalen Prozessen jedoch, die in
     prophetische Dimension. Jesus selbst hatte                              Deutschland und weltweit auch an anderen
     sein prophetisches Amt u. a. dadurch                                    Orten, z. B. in Amazonien, stattfinden, ist zu
     ausgeübt, dass er Weherufe gegen die                                    erkennen, dass diese nicht nur auf eine
     Schriftgelehrten und Pharisäer ausstieß und                             prophetische Funktion des Gottesvolkes
     die Händler aus dem Tempel trieb. 41 In der                             abzielen, von der die Bischöfe und der Papst
     Fluchtlinie der Dreiämterlehre ist es nicht                             sich aufgefordert fühlen sollen zu handeln.
     übertrieben, wenn man den Ruf des Gottes-                               Mit dem synodalen Weg in Deutschland z. B.
     volkes nach Linderung der Nöte der                                      verbindet sich die starke Erwartung, dass
     Menschen als Anteil aller Getauften am                                  Laien auch an den priesterlichen und könig-
     prophetischen Amt Christi versteht. Allen                               lichen Ämtern in der Kirche zunehmend
     Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und                           beteiligt werden. Die zeigt sich u. a. in den
     Kirche ist aufgetragen, darauf zu hören und                             Themenforen „Macht und Gewaltenteilung“
     danach zu handeln.                                                      und „Frauen in Diensten und Ämtern der
                                                                             Kirche“. Auch die Amazonas-Synode 2020
     Damit ist prominent und deutlich der Anteil
                                                                             hatte dafür plädiert, dass Frauen zu Diako-
     eingegrenzt, den die Laien am Amt Christi in
                                                                             ninnen geweiht werden sollten. Ein großes
     der Kirche haben. Die Frage hingegen, wie
                                                                             Konfliktpotential in diesem synodalen
     das königliche und das priesterliche Amt
                                                                             Prozess liegt offenbar darin, dass viele

     Mitwirkung von Helmut Holping herausgegeben von Peter Hünermann, 37. Auflage Freiburg i. Br. - Basel – Rom – Wien 1991,
     Nr. 31.
     41
          Vgl. Mt. 23, 13ff. sowie Mt. 21, 12-17, Lk. 19, 45-48 und Mk. 11, 15-19.
     42
          In seinem Mahnschreiben „Christifideles laici“ von 1988 hat Papst Johannes Paul II. die drei Ämter Christi unterschiedlich
     gewichtet. Am priesterlichen Amt haben die Laien demzufolge dadurch Anteil, dass sie „mit Christus und seinem Opfer
     verbunden (sind, d. Vf.), indem sie sich selbst und ihre Werke darbringen“. Das königliche Amt sieht Johannes Paul II.
     „vornehmlich durch ihren geistlichen Kampf, um selbst in sich das Reich der Sünde zu besiegen und zu überwinden“,
     ausgefüllt. Ihr Anteil am prophetischen Amt jedoch richtet sich stärker nach außen und wirkt in die Kirche hinein, denn durch
     jenes „nehmen die christgläubigen Laien (…) am übernatürlichen Glaubenssinn der Kirche teil“ und sind „berufen, die
     Neuheit und Kraft des Evangeliums (…) offenbar werden zu lassen.“ Vgl. Johannes Paul II.: Nachsynodales Apostolisches
     Mahnschreiben „Christifideles laici“ vom 30. Dezember 1988, in: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und
     Lehrentscheidungen, a.a.O., Nr. 14.
     43
          Vgl. dazu: Internationale Theologische Kommission: Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, a. a. O., Nr. 42.
BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN                    12

Regionen der Weltkirche eine Mitwirkung                           „gesunden Ungeduld“ sprach, die viele
der Getauften auch in dem priesterlichen                          Christinnen und Christen erfasst habe. Es sei
und königlichen Amt Christi erwarten und                          nötig, diese Ungeduld für den ökumeni-
fordern, andere Regionen aber die Beteili-                        schen Weg fruchtbar zu machen. „Wie die
gung eher auf den prophetischen Dienst des                        Jünger von Emmaus können wir die
berufenen Gottesvolkes beziehen.                                  Gegenwart des auferstandenen Christus
                                                                  spüren, der an der Seite geht und uns die
Angesichts der Erwartungen, die große Teile
                                                                  Schrift aufschließt“, schreibt er, „und (wir
des Gottesvolkes nicht nur in Deutschland
                                                                  können, d.Vf.) ihn im Brotbrechen erkennen
mit Nachdruck äußern, ihre Kirche aktiv und
                                                                  in der Erwartung, miteinander das eucha-
verantwortlich mitzugestalten und zu
                                                                  ristische Mahl zu teilen“. 45 Mit diesen Worten
verändern, bleibt dieser Prozess sehr
                                                                  unterstrich Papst Franziskus die Erwartung
spannend. Umso mehr sollte das positive
                                                                  und das Sehnen vieler Christinnen und
Potenzial, das in dem synodalen Prozess
                                                                  Christen weltweit, gemeinsam an den Tisch
steckt, entschlossen genutzt werden. In ihm
                                                                  des Herrn zu treten.
konzentriert sich die katholische Kirche auf
die in ihrer Tradition verankerte Einsicht,
                                                                  3.1. Beobachtungen zur Rezeption
dass ihre Gestalt und die Vollzüge ihres
                                                                  der Studie „Gemeinsam am Tisch des
Lebens den Anforderungen des Gottes-
volkes gerecht werden müssen.                                     Herrn“ des Ökumenischen Arbeits-
                                                                  kreises evangelischer und katholi-
3. Auf dem gemeinsamen Weg die                                    scher Theologen
Gegenwart des Auferstanden spüren                                 Im September 2019 hat der Ökumenische
und ihn im Brotbrechen erkennen                                   Arbeitskreis evangelischer und katholischer
Beim gemeinsamen Gottesdienst zum                                 Theologen seine Studie „Gemeinsam am
Reformationsjubiläum am 31. Oktober 2016                          Tisch des Herrn“ veröffentlicht. Auf der Basis
in Lund haben Repräsentantinnen und                               einer gründlichen theologischen Analyse
Repräsentanten der römisch-katholischen                           und Reflexion votiert diese Studie dafür,
Kirche und des Lutherischen Weltbundes                            dass evangelische Christinnen und Christen
erklärt, dass sie die Not derer hören, die                        unter bestimmten Umständen an einer
unter der Trennung am Tisch des Herrn                             katholischen Eucharistiefeier teilnehmen
leiden. Die beteiligten Kirchen haben sich                        können und katholische Christinnen und
verpflichtet, an der Überwindung dieser                           Christen ebenso am Abendmahl. Kirchen-
Trennung mit Leidenschaft weiterzuar-                             präsident Christian Schad hat in seinem
beiten 44. Damit haben sie den kommenden                          Bericht für die Vollkonferenz der UEK und
ökumenischen Bemühungen ein Ziel                                  die Generalsynode der VELKD im vergange-
gesetzt.                                                          nen Jahr den Argumentationsgang der
Papst Franziskus hat dieses Ziel mit Nach-
druck aufgegriffen, als er im Juni 2020 an
den 25. Jahrestag der Ökumeneenzyklika
„Ut unum sint“ erinnerte und dabei von einer

44
     Vgl. Gemeinsame Erklärung anlässlich des gemeinsamen katholisch-lutherischen Reformationsgedenkens, Lund, 31.
Oktober 2016, abzurufen unter https://de.lutheranworld.org/de/content/gemeinsame-erklaerung-anlaesslich-des-
gemeinsen-katholisch-lutherischen.
45
     Vgl. Ich teile die gesunde Ungeduld, Schreiben zum 25. Jahrestag der Enzyklika Ut unum sint, in: KNA-Ökumenische
Informationen 24 / 9. Juni 2020.
13   BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN

     Studie ausführlich nachgezeichnet und                               theologisch unbefriedigend, sie verkenne in
     analysiert. 46                                                      zentralen Punkten die kirchliche Wirklich-
                                                                         keit und übergehe die offenen und noch zu
     Gemessen an früheren Studien und
                                                                         klärenden Fragen. 48
     Dokumenten ökumenischer Arbeitskreise
     kamen die Reaktionen aus Rom auf                                    Die notwendige Rezeption dieses wichtigen
     „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ unge-                                und richtungsweisenden Dokuments des
     wöhnlich schnell und fielen überaus                                 Ökumenischen Arbeitskreises ist mit diesen
     deutlich in der Ablehnung aus. Im                                   Äußerungen aus Rom keineswegs beendet.
     September 2020 wurde ein Brief der                                  Im Gegenteil, es gilt nun, den Rezeptions-
     Glaubenskongregation an den Vorsitzenden                            prozess weiter voranzutreiben, dabei auf
     der Deutschen Bischofskonferenz veröffent-                          kritische Fragen von beiden Seiten einzu-
     licht. Als Anhang zu diesem Brief wurden                            gehen und sie zu bearbeiten. Dabei sollte
     „lehrmäßige Anmerkungen“ verschickt, die                            der Hinweis der Glaubenskongregation
     verdeutlichen, dass in dem Theologen-                               aufgenommen werden, dass nur die Kirchen
     papier das „katholische Grundverständnis                            selbst über die nach ihren Ordnungen
     von Kirche, Eucharistie und Weiheamt“                               gültige Zulassung zum Abendmahl bzw. zur
     nicht berücksichtigt sei. Die Studie basiere                        Eucharistie entscheiden können und nicht
     an wesentlichen Stellen auf theologischen                           der Arbeitskreis, der hierzu eine Empfehlung
     Bestimmungen der Leunberger Konkordie                               ausgesprochen hat. Es ist daher Sache der
     und sei daher für evangelische Christinnen                          Kirchen, die Rezeption der Studie weiter zu
     und Christen vielleicht einleuchtend, für                           betreiben, zu offenen Fragen Stellung zu
     katholische Christinnen und Christen aber                           nehmen und dann auch ihre Schlüsse aus
     eher ungeeignet. 47 Eine weitere Reaktion                           dem Votum zu ziehen.
     kam vom Päpstlichen Einheitsrat. Im
                                                                         Der Rat der EKD hat sich im Februar 2020
     Februar 2021 veröffentlichte dessen
                                                                         mit einer ersten Stellungnahme zum Votum
     Präsident, Kurt Kardinal Koch, einen Brief an
                                                                         des Ökumenischen Arbeitskreises
     den evangelischen Co-Vorsitzenden des
                                                                         geäußert. 49 Im März 2021 hat die
     Ökumenischen Arbeitskreises. In seinem
                                                                         Bischofskonferenz der VELKD einen
     Brief hob er hervor, dass zwischen Katho-
     liken und Protestanten keineswegs ein
     Konsens in Fragen des Abendmahls bestehe,
     wie es die Studie behaupte. Die Studie sei

     46
          Bericht des evangelischen Vorsitzenden des Kontaktgesprächskreises, Kirchenpräsident Dr. h. c. Christian Schad, im Auftrag
     des Vorsitzenden des Rates der EKD vor der 12. Generalsynode der VELKD und der 3. Vollkonferenz der UEK „Unverzagt
     ökumenisch“, 7. Tagung der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, 8. bis 9. November 2020 in Berlin,
     Drucksache IV / 1, S. 2ff.
     47
          Vgl. Brief der Glaubenskongregation an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz vom 18. September 2020,
     abzurufen unter www.dbk.de/fleiadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2020/2020-09-18_Kard.-Ladaria_lettera-
     Vorsitzende-DBK.pdf sowie Lehrmäßige Anmerkungen zum Dokument Gemeinsam am Tisch des Herrn (GTH) des
     Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (Jäger-Stählin-Kreis), abzurufen unter
     https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2020/2020-09-18_Kard._Ladaria_Lettera_Anlage-
     Vorsitzender-DBK.pdf.
     48
          Vgl. Offener Brief an Professor Volker Leppin als Antwort auf sein Interview in katholisch.de vom 3. Februar 2021, abzurufen
     unter https://www.katolisch.de/artikel/28600-kardinal-koch-am-oeak--kein-konsens--zum-gemeinsamen-Abendmahl#28600-
     1-iBFUW.
     49
          Abzurufen unter https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/200228_Stellungnahme_Rat_der_EKD-
     Gemeinsam_am_Tisch_des_Herrn.pdf.
BERICHT DES CATHOLICA-BEAUFTRAGTEN                           14

detaillierten, kirchlich verantworteten Text                     werden, so die Bischofskonferenz. „Viel-
vorgelegt. 50                                                    mehr wird man mit den Orten und Gelegen-
                                                                 heiten sehr respektvoll und in Anerkennung
Die Bischofskonferenz hebt in ihrer
                                                                 der Prägungen und Empfehlungen des
Stellungnahme hervor, dass die Empfehlung
                                                                 jeweiligen Partners und der Gläubigen
des Ökumenischen Arbeitskreises die
                                                                 umgehen und dabei sorgsam beachten, ob
Freude an der Eucharistie und dem
                                                                 die Teilnahme an der Mahlfeier in der
Abendmahl fördern wolle, dadurch, dass die
                                                                 konkreten (Situation und, d. Vf.) Gemeinde
jeweils eigene liturgische Tradition mit dem
                                                                 möglich ist 52“, so das Fazit der Bischofs-
ökumenischen Partner zu gegebenen
                                                                 konferenz der VELKD.
Anlässen geteilt werden kann. Diese
Empfehlung traue, so die Bischofskonfe-
                                                                 3.2. Orte und Formen eucharistischer
renz, „den jeweiligen konfessionellen
                                                                 Gemeinschaft auf dem gemeinsamen
Prägungen viel zu. Sie ist davon überzeugt,
dass die jeweiligen Kirchen genügend                             Weg
Prägekraft haben, um die Freude an der                           Ein Beispiel für die Umsetzung des Votums
jeweils eigenen Tradition an besonderen                          von „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ hat
Orten und zu besonderen Zeiten mit den                           der Ökumenische Kirchentag vom 13. bis
Gläubigen aus anderen Konfessionen teilen                        16. Mai 2021 gegeben. Am Samstag, den
zu können.“ Daraus sei die Folgerung zu                          15. Mai fanden in vier Frankfurter Kirchen
ziehen, dass „die Kirchen es sich zur                            „konfessionssensible Gottesdienste“ statt.
Aufgabe machen sollten, solche Orte zu                           Sie waren von den gastgebenden Gemein-
finden“ 51.                                                      den in ihrer jeweiligen konfessionellen
Die besondere Stärke der Studie „Gemein-                         Tradition gestaltet worden. Gäste anderer
sam am Tisch des Herrn“ liege darin, dass                        Konfessionen wurden zu diesen Gottes-
sie gerade nicht auf eine weitreichende                          diensten ausdrücklich eingeladen. Die
Praxis der Interkommunion abzielt oder                           „individuelle Gewissensentscheidung in
eine „neue, gleichsam ökumenische Liturgie                       Bezug auf die Teilnahme an Eucharistie oder
für die Feier des Abendmahls oder der                            Abendmahl 53“ wurde dabei geachtet. Der
Eucharistie vorschlägt“. Es sollte auch nicht                    Vorsitzende der Deutschen Bischofskonfe-
übersehen werden, dass das Hinzutreten zur                       renz und Bischof von Limburg, Dr. Georg
Kommunion nicht die einzige Möglichkeit                          Bätzing, hatte schon im Vorfeld des Kirchen-
der Partizipation an einer Messfeier ist. Mit                    tages angekündigt, dass es „um die Frage
Recht ist darauf hingewiesen worden, dass                        (gehe, d. Vf.), wie wir mit der persönlichen
auch eine „geistliche Kommunion“ möglich                         Gewissensentscheidung einzelner katholi-
ist. Bei der Empfehlung des Ökumenischen                         scher oder evangelischer Christen um-
Arbeitskreises muss nicht an eine grundsätz-                     gehen“. Für ihn gelte, so Bätzing, „dass ich
liche oder regelmäßige Teilnahme an der                          eine solche Entscheidung respektiere und
Feier der je anderen Konfession gedacht                          die Kommunion spende, wenn jemand

50
     Aus dem Raum der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche liegt ein von Werner Klän und Jobst Schöne verantworteter
Text vor. Vgl. Werner Klän und Jobst Schöne: Gemeinsam am Tisch des Herrn. Eine lutherische Antwort, in: Lutherische
Orientierung 15, Hannover 2020.
51
     Vgl. Stellungnahme der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Studie des
Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen „Gemeinsam am Tisch des Herrn“, in: Texte aus der
VELKD, Nr. 190 März 2021, S. 6.
52
     Vgl. ebd., S. 7.
53
     Vgl. den Bericht auf der Homepage des Ökumenischen Kirchentages www.oekt.de/feiern/konfessionelle Gottesdienste
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